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Es regnet Überraschungen
Das Telegramm stammte von der Redaktion meines Blattes und hatte folgenden Wortlaut:
»Regierung heute nacht gestürzt. Rückkehret augenblicklich Bukarest. Seara«. Das war allerdings eine Neuigkeit, von der man betroffen sein konnte. Ich wußte zwar, daß unsere Regierung, nämlich die bisher am Ruder gewesene Regierung meiner Partei, in den letzten Tagen und Wochen auf schwachen Füßen stand, aber daß es so rasch zu einem Wechsel kommen würde, hatte ich nicht erwartet.
Hier in Pelteanu schien man von dem Umschwung der Dinge noch nichts zu wissen, denn sonst hätte man uns im Dorfe schon davon erzählt. In einer Hinsicht war ich sehr glücklich darüber. Ich habe niemals das Zeug in mir gefühlt, ein guter Regierungsjournalist zu sein, also ein Mann, der mit seiner Feder alles gutheißen und womöglich noch über allen grünen Klee loben muß, was das Kabinett anordnet. Mein Parteifanatismus ging nie soweit, die Schattenseiten einer Parteiherrschaft zu übersehen.
Ich hatte mich seinerzeit einer politischen Gruppe angeschlossen, weil in unserem Lande ein Journalist, der hochkommen will, nun einmal bei irgendeiner Partei sein muß.
Aber ich fühle mich immer wohler, wenn ich in einem oppositionellen Blatte schreiben und die Maßnahmen der Regierung einer scharfen Kritik unterziehen kann. Obgleich es Leute gibt, die behaupten, kritisieren sei schwer und verantwortungsvoll, so muß ich doch gestehen, daß ich lieber die Verantwortung für eine Kritik als für eine Verteidigung einer Regierungshandlung übernehme.
Selbstverständlich durfte ich keine Zeit verlieren. Die veränderten Verhältnisse geboten meine sofortige Rückkehr nach Bukarest. Ich setzte Tatjana von dem Inhalt meiner Depesche in Kenntnis. Sie erklärte ohne Überlegen, daß sie mich begleiten würde. Es halte sie nichts mehr in Pelteanu.
Wladimir Panin erhielt den Auftrag, den Wagen der Fürstin, der noch unter der Obhut der Gendarmen vor dem Gemeindearrest stand, nach dem Schloß zu dirigieren, damit wir sofort zur Station fahren könnten.
In kaum zehn Minuten waren meine Sachen gepackt. Ich hatte ja nicht viel. Die Fürstin allerdings auch nicht. Als ich aus meinem Zimmer kam und mich von dem Stand ihrer Reisevorbereitungen überzeugen wollte, stand sie bereits fix und fertig in der Halle und wartete nur auf mich. Ileana trug eben einen kleinen Koffer zum Tore hinaus. Das war alles. Wir fuhren ab.
Kurz und gemessen erwiderte Tete die ehrerbietigen Abschiedsgrüße ihrer Gutsleute, die sich in Reih' und Glied vor dem Schlosse versammelt hatten.
Ein freundliches Nicken des Kopfes – dann richtete sie den Blick geradeaus.
So war es mir möglich, Ileana noch rasch und herzhaft die kleine Hand zu drücken und ihr mit den Augen einen Dank für all ihre Liebenswürdigkeit zuzublinzeln.
Sie winkte uns nach, bis unser Wagen aus ihrem Gesichtskreis verschwand. Ein entzückendes Mädchen! Ich habe sie nie wiedergesehen.
Als ich im Zuge saß, fiel mir auf einmal Mr. Stoping ein. Lieber Gott – ich war ihm noch die Antwort auf sein Telegramm schuldig! Was sollte bloß geschehen? Balaban in den Bergen, die Regierung gestürzt, Neuwahlen in Aussicht – schlechte Zeiten für den Fremdenverkehr.
Und nun die Fürstin! Tatjana Trubakow, wie leid sie mir tat! Während der ganzen Reise ging sie nicht mehr aus sich heraus. So oft ich die Rede auf Armand Dupré brachte, schwieg sie. Wenn ein Wort über ihre Lippen kam, dann waren es gleichgültige, konventionelle Redensarten. Ein paar Scherze, mit denen ich sie zu erheitern bemühte, verfehlten ihre Wirkung.
Ebensowenig achtete sie auf die Gespräche der Mitreisenden, die sich selbstverständlich eifrig über die Bukarester Ereignisse unterhielten. Von ihnen erfuhr ich die näheren Umstände, die zu dem Sturze des Ministeriums geführt hatten.
Am Bahnhof in Ploesti schrien die Zeitungsjungen die neuesten Blätter aus. Ich kaufte verschiedene Ausgaben und bot sie Tatjana zur Lektüre an. Aber sie lehnte dankend ab. Die politischen Geschehnisse schienen sie nicht zu interessieren.
In Ploesti stieg in unseren Waggon ein mir bekannter Deputierter ein, welcher der neuen Regierungspartei angehörte. Er begrüßte mich wohlwollend, im Vollgefühle des Sieges, den seine Gruppe eben davongetragen hatte, erzählte, daß er mit Bestimmtheit darauf rechne, Staatssekretär im Finanzministerium zu werden, und kündigte prahlend eine neue Ära in der Entwicklung unseres Landes an.
So oft eine neue Regierung auf den Plan tritt, wird eine Glanzepoche prophezeit. Würde sich alles erfüllen, was man im ersten Rausche der Begeisterung zu versprechen pflegt, dann wären wir das glücklichste Volk auf Erden. Gottlob schränken die Regierungen in der Praxis ihr Programm wesentlich ein, so daß ihren Nachfolgerinnen immer noch genug zu tun oder zu unterlassen übrigbleibt.
In Bukarest angelangt, ließ ich es mir nicht nehmen, Tatjana zuerst in ihr Palais zu bringen, wo sie mich einlud, einen kleinen Imbiß bei ihr zu nehmen. Obgleich ich wenig Zeit hatte, war ich froh, der Fürstin noch ein wenig Gesellschaft zu leisten. Ich hätte ihr gern über die trübe Stimmung hinweggeholfen.
»Tete,« fragte ich, »was kann ich für Sie tun? Sprechen Sie! Ich bin Ihr ergebener Diener.«
Sie drückte mir mit einem dankbaren Lächeln die Hand.
»Ich weiß, Nicu,« sagte sie, »trinken wir auf unsere Freundschaft ...«
»Die Sie stets in Anspruch nehmen dürfen, Tatjana«, fiel ich ihr ins Wort.
»Sorgen Sie sich nicht um mich. Ich weiß, was ich zu tun habe. Aber ich danke Ihnen herzlichst, daß Sie zu mir halten wollen – trotz alledem.«
Die so sprach, war nicht mehr die stolze, unnahbare, boshafte Fürstin Trubakow, die Majestät in persona – war vielmehr eine arme, leidende Frau, deren Kummer mir zu Herzen ging.
Wie sagte sie nur? Trotz alledem?! Ganz im Gegenteil! Sie war in meiner Achtung nur gestiegen. Ich bewunderte die Offenheit, mit der sie von ihrem Leben sprach. Das Bild, das ich mir von ihr gemacht, hatte neue Farben bekommen. Aber ein Rätsel blieb sie mir doch. Beneidenswert der Mann, dem ihre Liebe galt!
Armand Dupré wurde in unserer ganzen Unterhaltung mit keiner Silbe erwähnt. Ich dachte auch nicht mehr an ihn. Nach alledem, was mir Tete von ihm erzählt hatte, war er für mich erledigt.
So geht es ja den meisten Männerfreundschaften. Es braucht nur eine Frau dazwischenzutreten – aus ist es!
Allzu rasch verstrich die Zeit unseres Beisammenseins. Meine Pflicht rief. Bukarest befand sich in höchster Erregung. Der Ämterschacher begann. Die Augen des ganzen Landes richteten sich auf die Hauptstadt. Im Café Capsa herrschte gewiß Hochbetrieb. Da durfte ich natürlich nicht fehlen.
So verabschiedete ich mich rasch von der Fürstin, bat sie, bald von sich hören zu lassen, versicherte sie nochmals meiner unbedingten Ergebenheit und stürzte in die Redaktion, wo man mich schon mit Sehnsucht erwartete.
Es kamen heiße Tage, Tage, die mit Besprechungen, Interviews, Parteiberatungen und langandauernden Redaktionskonferenzen bis zum späten Abend angefüllt waren.
Ein Dekret des Regentschaftsrates hatte die Kammer aufgelöst. Die Neuwahlen sollten so rasch als möglich durchgeführt werden. Die bisherigen Präfekten mußten ihre Ämter niederlegen und wurden durch Parteigänger der neuen Regierung ersetzt.
Vorläufig ging alles noch in schönster Ordnung. Die Revirements erfolgten in Ruhe. Im auswärtigen Dienst wurden nur die Gesandtenposten in London und Paris durch neue Männer ersetzt.
Dies ließ auf eine Kursänderung in der Außenpolitik der jetzigen Regierung schließen.
Der britische Gesandte hatte mit dem Kabinettschef mehrere Besprechungen, die lebhaft kommentiert wurden. Der französische Gesandte in Bukarest reiste zur Berichterstattung nach Paris ab. Die römische Presse begann einen aggressiven Ton gegen Rumänien anzuschlagen. Man munkelte, daß die italienfreundliche Haltung unserer früheren Regierung jetzt durch eine Annäherung an Frankreich desavouiert werden sollte. Darauf ließ der jähe Stimmungswechsel in der italienischen Presse schließen, die bisher unser Land in den höchsten Tönen besungen hatte und nun auf einmal grelles Mißtrauen an den Tag legte.
Dies bewies aber auch die Haltung des englischen Vertreters in Bukarest, der die Bemühungen seines italienischen Kollegen, einen Kurswechsel zu verhindern, eifrig unterstützte, zumal es bekannt war, daß England und Italien eine gemeinsame Front bildeten, um die französische Interessensphäre in Rumänien einzuengen.
Indessen wuchs die Erregung unter der Landbevölkerung. Die ersten Anzeichen des Wahlfiebers machten sich bemerkbar. Unsere Partei, die jetzt in die Opposition gedrängt war, besaß in Siebenbürgen und in Beßarabien eine große Anhängerschaft, insbesondere unter den Bauern, was die gegenwärtige Regierung veranlaßte, diesen Gegenden ihr besonderes Augenmerk zuzuwenden.
Chef der Regierung war der älteste der drei Brüder Trabianu, die seit Jahrzehnten in der Geschichte unseres Landes eine so große Rolle spielten. Daß er mit der ihm eigenen Rücksichtslosigkeit versuchen würde, die Wahlen in einem für seine Partei günstigen Sinne zu beeinflussen, um sich die Majorität in der Kammer und im Senat zu sichern, hatten wir erwartet. Aber seine Methoden überschritten das übliche Maß des Terrorismus, der erfahrungsgemäß bei den freien Wahlen in Rumänien zur Anwendung gelangte.
Da die völkischen Minderheiten, die Magyaren, Sachsen, Schwaben und Bulgaren, einen eigenen Block bildeten und selbständig in den Wahlkampf zogen, so mußte sich die Auseinandersetzung zwischen den beiden großen rumänischen Parteien verschärfen.
In Bessarabien setzte eine Schreckensherrschaft ein, wie sie bisher noch nicht erlebt worden war. Ohne jeden Grund verhaftete man unsere Parteisekretäre und Wahlkandidaten, sobald sie eine Versammlung abhalten wollten. Unsere Wahlaufrufe wurden unterdrückt, die Propagandaplakate unserer Partei herabgerissen. Aus dem ganzen Lande regnete es Beschwerden.
Aber es sollte noch ärger kommen.
Acht Tage vor der entscheidenden Wahl erreichte mich ein neues Telegramm Mr. Stopings, nachdem ich im Rummel der Begebenheiten eine Anzahl seiner Briefe unbeantwortet gelassen hatte. Ich muß gestehen, daß ich im Augenblick an der Fremdenverkehrsaktion gänzlich uninteressiert war. Der Regierungswechsel hatte alle meine Berechnungen glatt über den Haufen geworfen.
Denn solange unsere Partei am Ruder war, konnte ich in der immerhin ein wenig heiklen Räuberangelegenheit das stillschweigende Einverständnis der verantwortlichen Minister voraussetzen, das heißt, ich brauchte nicht zu befürchten, daß uns die Polizeibehörden einen Strich durch die Rechnung machen würde. Im Notfalle hätte der zuständige Innenminister unter Hinweis auf den patriotischen Zweck der ganzen Unternehmung an der Aktion mit einer entsprechenden Provision beteiligt werden müssen. Ich glaube, daß zwanzigtausend Dollar genügt haben dürften.
Jetzt aber sah die Situation wesentlich anders aus. Die Beziehungen, die ich zu der gegenwärtigen Regierung besaß, waren begreiflicherweise recht lose. Auch die Prinzessin Pizzicatino, meine hohe Gönnerin, stand sich mit den Brüdern Trabianu nicht gerade glänzend. Selbst wenn wir nicht Balaban, sondern irgendeinen kleineren Banditen als Ersatz in Aktion treten lassen wollten, so mußten wir gewärtig sein, daß die Trabianu-Regierung dem durchaus harmlosen Räuberrummel, der dem Sensationsbedürfnisse der reisenden Amerikaner eine gewisse Befriedigung verschaffen sollte, kurz entschlossen ein jähes Ende bereiten würde.
Die Trabianus hatten überhaupt für den Fremdenverkehr nichts übrig. Sie waren seit jeher der Meinung, daß Ausländer in unserem Staate nichts zu suchen hätten. Unsere Partei verfocht einen anderen Standpunkt; sie wollte die Abgeschlossenheit, in der sich unser Land befand, beseitigen, ausländisches Kapital für Rumänien interessieren, dem freien Wettbewerb der Kräfte keine Hindernisse in den Weg stellen, während die Trabianus, deren Partei die bedeutendsten Wirtschaftsinstitute des Landes in Händen hatte, die Ansicht vertrat, daß man sich durch eigene Kraft helfen müsse.
Jeder Versuch, diese überaus kurzsichtige Politik – denn unsere eigene Finanzkraft genügt wirklich nicht, um die vielen schlummernden Schätze unseres Landes zu heben – durch irgendwelche Maßnahmen zu durchkreuzen, würde von dem neuen Kabinett im Keime erstickt werden.
Darüber konnte kein Zweifel herrschen.
Was war also zu tun?
Ich setzte mich hin und schrieb endlich an Mr. Stoping einen ausführlichen Brief, in dem ich ihm die augenblickliche Konstellation genau schilderte und ihn bat, seine Aktion bis zu dem Zeitpunkt zu verschieben, da unsere Partei wieder zur Herrschaft gelangen würde. Dies könnte in ein bis zwei Jahren der Fall sein.
Gleichzeitig sandte ich ihm ein Telegramm, das in Schlagworten die wesentlichen Punkte meines Briefes andeutete.
Ich hatte gerade die Depesche im Gebäude der Hauptpost am Südende der Calea Victoriei aufgegeben und wollte um die Ecke in die Strada Carol I. einbiegen, als mir der frühere Außenminister in die Arme lief.
»'n Tag, lieber Bracu,« rief er hocherfreut, »das ist nett, daß ich Sie treffe. Sie müssen sofort mit mir in den Klub! Ich habe Wichtiges mit Ihnen zu reden!«
Er packte mich beim Arm und ließ mich nicht mehr los.
»Hören Sie,« sagte er, »ich komme eben von der Prinzessin Pizzicatino. Sie ist auf den alten Trabianu fürchterlich geladen, weil er ihren jüngsten Sohn, den Prinzen Bibi, der als Legationsrat in Paris tätig war, von seinem Posten abberufen und zur Disposition gestellt hat. Auch die staatliche Subvention für ihren ›Verein zur Hebung des Ansehens Rumäniens im Auslande und zur Hebung des Fremdenverkehres‹ wurde ihr verweigert.«
»Was habe ich damit zu tun? Mir sind die Vereine der Prinzessin völlig gleichgültig.«
»Uns gar nicht, lieber Bracu! Die Prinzessin, die bereits schwankte, ob sie angesichts der veränderten Verhältnisse mit ihren Söhnen nicht besser die Verbindung mit uns aufgeben und Anschluß an die Trabianus suchen sollte, hat dank der ungeschickten Taktik des Alten der neuen Regierung den Krieg angesagt. Sie ist jetzt unsere entschlossene Parteigängerin. Die alte Dame besitzt große Beziehungen und erfreut sich, wie Sie wissen, bei den Bauern draußen großer Beliebtheit. Das kann uns nur nützen. Durch sie haben wir auch eine treffliche Verbindung mit dem königlichen Hause, die für uns von großer Bedeutung sein kann. Es muß auf alle Fälle vermieden werden, daß die Dynastie ganz im Fahrwasser der Trabianu-Politik segelt. Aber nun passen Sie auf, Bracu! Die Prinzessin hat eine herrliche Idee.«
»Es handelt sich hoffentlich nicht wieder um einen Verein«, wagte ich einzuwenden.
»Nein – nein, seien Sie beruhigt,« versetzte der frühere Minister, »manchmal hat sie wirklich ganz geniale Einfälle. Es handelt sich nämlich um – Balaban!«
»Ah – schon wieder!«
»Was heißt: schon wieder? Ich finde ihre Idee glänzend.«
»Was ist denn das eigentlich für eine Idee?«
»Hören Sie, Bracu! Im Kreise Tulcea haben die Trabianus den früheren Präfekten Tittu als Kammerwahlwerber aufgestellt. Er führt die Regierungsliste.«
»Ausgerechnet Tittu, der sich seinerzeit als Präfekt durch seine Bestechlichkeit so mißliebig gemacht hat?«
»Ja! Man hofft wahrscheinlich, die dortige Bevölkerung derart einzuschüchtern, daß Tittu trotz seiner Unpopularität durchgebracht wird. Wir selbst haben in der Gegend keinen geeigneten Kandidaten, der den Kampf gegen Tittu aufnehmen könnte. Denn Raducanu ist ein Feigling. Er wird sich durch die Drohungen Tittus ins Bockshorn jagen lassen und auf jeden Widerstand im vorhinein verzichten. Wir brauchen aber dort einen ganzen Kerl, der das Vertrauen der Bevölkerung genießt, und für den diese auch im Falle von Repressalien einsteht.«
»Also soll nicht Raducanu für unsere Partei kandidieren?«
»Nein! Wir wollen an seiner Stelle Balaban als Kandidaten aufstellen!«
»Balaban – den Räuber Balaban?«
»Ja – das ist nämlich die Idee der Prinzessin Pizzicatino. Und ich sagte Ihnen schon, ich finde den Einfall fabelhaft. Balaban genießt auch heute noch ungeheure Popularität – vor allem in seiner engeren Heimat. Man hat ihn amnestiert. Er besitzt alle Bürgerrechte. Er wird bestimmt unseren Vorschlag akzeptieren und sich als Wahlkandidat aufstellen lassen, da er doch durch unsere Regierung seinerzeit amnestiert wurde und uns zu Dank verpflichtet ist.«
Ich mußte bei aller Überraschung zugeben, daß die Idee wahrhaftig nicht übel war.
»Na sehen Sie,« sagte der Minister, »es wäre eine Bombensensation, wenn wir seinen Namen auf unsere Wahlliste bekämen. Tittus Terrorakte werden gegen einen Balaban nichts ausrichten können. Der weiß sich schon zu wehren. Mit Balaban als Listenführer ist uns der Sieg im Kreise Tulcea sicher. Aber auch in den übrigen Landesteilen wird man seine Kandidatur mit Begeisterung aufnehmen.«
»Glauben Sie nicht, Exzellenz, daß es dem Rufe unserer Partei schaden könnte, wenn wir einen ehemaligen Räuber ...«
»In die Deputiertenkammer bringen! I wo! Was fällt Ihnen ein? Ganz im Gegenteil! Die Trabianus werden natürlich vor Wut schäumen. Aber eben deshalb erst recht. Balaban ist eine Zugkraft ersten Ranges. Unsere Partei behauptet ja immer, daß sie sich der Armen, der Elenden, der Enterbten des Glücks annehme. Wir wollen doch eine Partei des Volkes, der breiten Masse sein! Und schließlich ...«
Der Minister beugte sich weit zu mir hinüber und flüsterte mir zu:
»Glauben Sie, Bracu, daß Balaban der erste Räuber ist, der in die Kammer einzieht?«
»Der erste ehrliche Räuber zumindest, Exzellenz,« wandte ich ein, »und dagegen habe ich doch gewisse Bedenken. Ich fürchte, er wird sich als Mitglied des Hohen Hauses sehr unglücklich fühlen. Er besitzt eine viel zu gute Meinung von Gott und der Welt. Ein so biederer, aufrichtiger, anständiger Mensch paßt nicht in die Versammlung von Politikern hinein.«
Der Minister lachte.
»Sie denken zu weit, Bracu. Wenn Balaban in die Kammer gewählt wird, dann genügt es vollkommen, wenn er still dasitzt und sich hier und da mal einen Zwischenruf leistet, den wir ihm schon soufflieren werden. Niemand von der Regierungsmajorität wird es wagen, ihm zu widersprechen oder gar ihn zu reizen.«
»Wenn es aber doch geschehen sollte?«
»Nun – wenn der seine Fäuste zeigt, dann kriecht das ganze Hohe Haus unter die Bänke. Darauf verlassen Sie sich! Schlägereien, wie sie bisher im Parlament üblich waren, dürften sich nicht mehr ereignen. Dafür bürgt mir die Anwesenheit Balabans. Ich halte es für eine große moralische Tat, diesen Mann in die Kammer zu bringen. Er wird die Argumente unserer Partei buchstäblich durch das Gewicht seiner Persönlichkeit vertreten. Wie schrieb doch gestern der ›Adeverul‹? Das neue Parlament braucht starke Männer! Einen stärkeren als Balaban wüßte ich im ganzen Lande nicht. Und darum, lieber Bracu, müssen Sie ihn sofort aufsuchen und ihn bestimmen, die Kandidatur anzunehmen. Sie kennen ihn besser als wir. Beim nächsten Regierungswechsel sollen Sie dafür wenigstens einen Staatssekretärposten erhalten. Dafür garantiere ich Ihnen. Kommen Sie gleich in unseren Klub mit, damit Ihnen die Parteileitung den offiziellen Auftrag erteilt, mit Balaban zu verhandeln. Ich bin überzeugt, daß alle begeistert sein werden.«
Er wehrte alle Einwände ab, die ich noch erheben wollte und schleppte mich kurz entschlossen in das Zentralbüro unserer Partei, wo gerade die maßgebenden Führer zu einer entscheidenden Sitzung versammelt waren und nur noch die Ankunft meines Begleiters abwarteten, um mit den Beratungen zu beginnen.
Der Vorschlag, Balaban auf die Kandidatenliste zu setzen, fand in der Tat begeisterte Zustimmung. Man nannte die Idee der Prinzessin das Ei des Kolumbus. Ich erinnere mich nicht, jemals in einer Parteisitzung eine derartige Einhelligkeit der Anschauung wahrgenommen zu haben. Sonst pflegten die Meinungen scharf aufeinanderzuprallen. Dieses Mal aber schloß die Debatte in bewundernswerter Eintracht.
Man beglückwünschte mich und den früheren Außenminister, ja man umarmte uns beide und küßte uns sogar mit südlicher Leidenschaft ab, tanzte vor Freude im Sitzungssaal herum und telephonierte die Prinzessin Pizzicatino an, um ihr den tiefen Dank der Partei für ihren grandiosen Einfall auszusprechen.
Anschließend daran veranstaltete man sofort ein Festbankett.
Festbankette haben in Bukarest immer eine besondere politische Bedeutung. Die Freude, die unter den Führern unserer Partei herrschte, blieb nicht unbemerkt. Es fanden sich Reporter und Redakteure der Regierungspresse ein, um die Veranlassung dieses Jubels zu ergründen. Aber ihr vorsichtiges Ausschnüffeln hatte keinen Erfolg. Man verhielt sich überaus reserviert. Sie mußten gehen, ohne etwas Konkretes erfahren zu haben. Die großen Boulevardblätter der Hauptstadt wußten allerdings in ihren Abendausgaben bereits zu berichten, daß die Opposition einen schweren Schlag gegen die Regierung vorbereite.
Dies wieder hatte zur Folge, daß der Kabinettschef Trabianu durch einen Vertrauensmann den Generalsekretär unserer Partei verständigen ließ, er sei bereit, zwecks Bildung einer nationalen Regierung mit uns Vorverhandlungen anzuknüpfen. Zwei Ministerportefeuilles sollten mit Mitgliedern unserer Gruppe besetzt werden. Auch erklärte er sich einverstanden, mit uns ein geheimes Wahlabkommen zu treffen, das uns eine entsprechende Anzahl von Kammermandaten sichern würde.
Da jede Regierung hier erfahrungsgemäß den Wahlausgang in ihrem Sinne zu korrigieren pflegte, sei es durch Austausch der Wahlurnen oder andere Machinationen, so war der überraschende Vorschlag des alten Trabianu durchaus diskutabel. Der rechte Flügel unserer Partei riet daher, das Anerbieten des Ministerpräsidenten nicht von der Hand zu weisen, um ein allzu schlechtes Abschneiden bei der Wahl zu verhüten. Wahrscheinlich spekulierte er dabei auch auf die zwei Ministerposten.
Trabianus Entgegenkommen erzielte jedoch nicht die gewünschte Wirkung. Seine Nachgiebigkeit wurde als Zeichen der Schwäche ausgelegt. Und so behielt der linke Flügel unserer Partei, der den oppositionellen Standpunkt nicht aufgeben wollte, die Oberhand.
Man versprach sich Wunder von der Zugkraft des Namens Balaban.
Indessen wurden unsere Parteifreunde in der Provinz telegraphisch und telephonisch alarmiert, seinen Aufenthalt in Erfahrung zu bringen. Aus Pelteanu kam die Nachricht, daß er seit seiner auf Veranlassung der Fürstin Trubakow erfolgten Enthaftung nicht mehr gesehen worden sei. Zweifellos habe er die Gegend verlassen.
Eine Anfrage in Tulcea blieb ebenfalls ergebnislos.
Weder in Siebenbürgen, noch in der Moldau, noch in der Walachei fand man eine Spur von ihm.
Die Freude unserer Parteiführer wich einer argen Beklemmung. In wenigen Stunden verstrich der letzte Termin, bis zu dem die Kandidatenlisten bei der Wahlbehörde eingereicht werden konnten. Man war entschlossen, unter allen Umständen Balabans Namen auf die Liste zu setzen. Aber es war unbedingt notwendig, daß man ihn vorher eruierte.
Nichts blieb unversucht, um dies zu erreichen. Doch alle Bemühungen verliefen im Sande.
Merkwürdig, daß man in solchen Fällen auf das Nächstliegende nie zu verfallen pflegt. Merkwürdig, daß wir Balaban an allen Ecken und Enden des Reiches aufzuspüren trachteten und nicht auf den Gedanken kamen, ihn in Bukarest zu suchen! Wir wären nie zu einem Ergebnis gelangt, wenn uns ein Zufall nicht geholfen hätte.
Als ich nämlich das Parteibüro verließ, um auf eine Stunde in die Redaktion meines Blattes zu eilen, wo bereits eine Unmenge Arbeit meiner wartete, begegnete mir Armand Dupré, den ich schon seit Wochen nicht mehr gesehen hatte.
Mir war dieses Zusammentreffen in doppelter Hinsicht peinlich. Erstens einmal drängte die Zeit, dann aber wäre ich ihm gern ausgewichen, um mit ihm nicht über Tatjana sprechen zu müssen.
Aber er hielt mich auf.
»Ah, Nicu, wo steckst du denn immer? Ich rief dich schon öfters an, konnte dich aber nie erreichen. Hat man dir denn nicht ausgerichtet ...?«
Natürlich war ich informiert worden. Aber meine Sympathien für ihn hatten sich seit den Eröffnungen der Fürstin beträchtlich abgekühlt. Ich fand nun einmal sein Vorgehen gegenüber Tatjana nicht ganz gentlemanlike. Er merkte meine Verlegenheit, mit der ich mich aus der Affäre zu ziehen suchte, und meinte ganz unvermittelt: »Ich hörte, du wärest bei Tete in Pelteanu gewesen? Was hat es mit ihrem Verschwinden für eine Bewandtnis gehabt? Aus den Zeitungsnachrichten konnte man nicht ganz klug werden.«
»Falscher Alarm,« sagte ich, »die Überängstlichkeit ihrer Leute rief solche Gerüchte hervor. In Wirklichkeit hatte sie nur einen Ausflug ...«
»Ich fürchtete schon, sie hätte in Erfahrung gebracht, daß in Sinaia meine Verlobung mit Ilona ...«
»Ach richtig,« unterbrach ich ihn, »du bist ja offiziell verlobt. Meinen Glückwunsch ...«
Er überhörte das. Denn er fiel mir sofort ins Wort: »Hast du mit Tete gesprochen?«
»Ja!«
Seine Miene hellte sich auf.
»Herzlichen Dank, Nicu,« rief er, »ich hatte es mir gleich gedacht. Denn Tete scheint sich mit den Tatsachen abgefunden zu haben.«
»Glaubst du das wirklich?« fragte ich.
Er sah mich verwundert an.
»Wie meinst du das? Sie läßt mich jetzt wenigstens vollkommen in Ruhe. Oder meinst du, daß sie noch immer etwas im Schilde führt?«
»Ich bin der Meinung,« sagte ich kühl, »daß du dieser Frau viel zu sehr zu Dank verpflichtet bist, um sie auf so leichte Weise ihrem Schicksal zu überlassen. Es ist hier auf der Straße nicht der Platz, über dieses Thema zu reden. Aber soviel magst du wissen: Tete hat mir reinen Wein eingeschenkt.«
Einen Augenblick lang malte sich Verblüffung auf seinem Gesicht. Dann verzog er den Mund zu einem geringschätzigen Lächeln. Sein ganzer krasser Egoismus, seine Menschenverachtung, die Rücksichtslosigkeit seiner Natur kam darin zum Ausdruck.
Er sagte:
»Pah – du glaubst einer Abenteurerin ...?«
Ich bezwang die Wut, die in mir plötzlich aufstieg.
»Willst du vielleicht leugnen,« fragte ich, »daß Sie dich vor der drohenden Verhaftung durch italienische Grenzwächter gerettet hat?«
»Nein«, erklärte er ruhig.
»Daß man ihre Villa bei Mentone in Brand setzte, weil sie dir Hilfe und Schutz angedeihen ließ, ohne daß eure Regierung es für nötig erachtete, ihr den Schaden zu ersetzen?«
»Durchaus nicht,« versetzte Armand, »aber wenn du schon so genau über alles informiert bist, dann muß ich auch hinzufügen, daß ich bereit war, ihr aus eigenen Mitteln den Betrag für den Wiederaufbau ihrer Villa zur Verfügung zu stellen.«
»Lehnte ab, wollte nichts davon wissen.«
»Weil sie dich liebt!«
»Sie übertreibt die Liebe zu mir. Sie will, weil es anders nicht geht, mich zu ihrem Schuldner machen.«
»Das verstehe ich nicht,« unterbrach ich ihn, »aber waren es nicht unerhörte Opfer, die du ihr zugemutet hast? Ist sie dir bei deiner Spionagetätigkeit nicht eine selbstlose Helferin gewesen, stahl sie nicht für dich Akten und Papiere, zwangst du sie nicht, sich zu prostituieren, um deinen Zwecken dienlich zu sein?«
Armand rümpfte die Nase.
»Nicht gleich so hitzig, Nicu,« sagte er, »ich gebe das Faktum zu, nicht aber den Zwang. Denn der Zwang kam von ihr selber. Verstehe mich recht! Es wäre mir nie eingefallen, sie zu einer Handlung zu veranlassen, die mit den Gesetzen in Widerspruch steht. Ich habe Tete in einer mir höchst peinlichen Situation kennengelernt. Da sie so indiskret war, dir davon zu erzählen, stehe ich nicht an, rückhaltlos davon zu sprechen.«
»Sie hat in einem Anfall von Verzweiflung mir ihr bedrängtes Herz ausgeschüttet. Dein Benehmen ...«
»Mein Benehmen weiß ich zu verantworten,« entgegnete er scharf, »aber verurteile mich bitte erst, wenn du mich gehört hast. In jener Nacht, da sie mich in ihrem Bette vor den Häschern verbarg, empfand ich eine grenzenlose Dankbarkeit für Tete. Die entsetzliche Aufregung der letzten Stunden, die Verfolgung, der ich nicht mehr zu entrinnen glaubte, dieser Kampf um Leben oder Tod hatte meine Nerven in eine blinde Raserei versetzt. Ich war überzeugt, daß ich den nächsten Morgen nicht mehr überleben würde. Die Faschisten standen an der Tür und hielten Wache, standen unter dem Fenster, im Park, überall. Ein Entfliehen war unmöglich. Und nun die berauschende Nähe dieser Frau, der faszinierende Duft ihres Parfüms, die unendliche Geborgenheit, die ihr Lager ausströmte – und das fürchterliche Bewußtsein, daß draußen der Tod lauerte, alle diese Umstände versetzten mich in einen Taumel, betäubten mich, erzeugten in mir eine Extase, die vielleicht schon an Wahnsinn grenzte ...«
Er hielt plötzlich im Sprechen inne und fuhr nervös mit der Hand über die Stirn. Dann sagte er, indem er krampfhaft nach Worten suchte: »Ich weiß nicht, Nicu, wie ich es dir erklären soll, was mich in jener Nacht ergriffen hat. Wie eine riesenhafte Sturzwelle kam es über mich. Etwas schrie, jauchzte, brüllte in mir auf. Eine unfaßliche Gier, eine Lust nach dem Leben, die nach den Schrecknissen, nach den Todesängsten der letzten Stunden nur gar zu begreiflich war, ein hemmungsloses Verlangen, im Rausch zu ertrinken, den Augenblick bis zum letzten auszukosten ...
Und in dieser Verzückung, die nur der Ausdruck einer irren Verzweiflung war, riß ich die fremde Frau, die mir Schutz und Obdach bot, in meine Arme, vergaß der Gefahren, die mich umlauerten, stürzte mich mit einer Wildheit in dieses Erleben hinein, die mir heute, wenn ich daran denke, rätselhaft, fremd, unbegreiflich erscheint.
Es war nicht Liebe, Nicu, eher ein Triumphgefühl, daß ich angesichts des drohenden Todes noch ein Recht auf Leben besaß!
Am Morgen darauf, als die Italiener unverrichteterdinge wieder abzogen, als die Welt auf einmal wieder offen stand, als ich wieder hoffen durfte, stellte sich die Reaktion auf diese Nervenüberspannung ein. Aber ich wurde mir ihrer erst später so ganz bewußt.
So heiß, so inbrünstig und leidenschaftlich mein Liebesvermögen in jener Nacht gewesen war, so kühl und fremd ließ mich Tatjana nachher. Es ist nicht ihre Schuld gewesen, wahrhaftig nicht! Nach einer solchen Extase, geboren aus Angst, Verzweiflung und chaotischer Lebensgier, gab es nichts mehr, konnte es nichts mehr geben!
Für Tatjana war es eine Erweckung, für mich das große Erlebnis, das keiner Steigerung fähig war. Irgend etwas hatte sich in mir überschlagen, war auf die Spitze getrieben worden. Nach dem lodernden Brand, der sich in jener irren Nacht entzündete und Tatjana und mich vereinte, verglomm die letzte Glut. Es war eben aus.
Hätte ich dies bloß erkannt, wäre ich doch meines Weges gegangen, ohne sie wiederzusehen, nur mit der Erinnerung an dieses Erlebnis belastet und zugleich beglückt – es wäre uns beiden die Enttäuschung erspart geblieben.
So aber hielt mich die Dankbarkeit, die ich dieser Frau schuldig war, zurück, trieb mich wieder in ihre Arme, kettete mich an sie, ohne daß es mir möglich war, ihre Leidenschaft zu erwidern, ihre Sehnsucht zu erfüllen. Ich brachte es nicht übers Herz, sie von mir zu stoßen, ihre Nähe zu fliehen.
Sie hingegen verstand nicht, was mich bedrückte und von ihr fernhielt. Sie konnte es doch auch nicht verstehen! Und wie sollte ich es ihr nur begreiflich machen?!
Um mir näherzukommen, um ihre Unentbehrlichkeit zu beweisen, veranlaßte sie mich, sie in meine Geschäfte einzuweihen. Ich tat es, weil ich ihre Gedanken in eine andere Richtung lenken wollte. Ich hetzte sie in Abenteuer hinein, in der Hoffnung, daß alles in ihr sich aufbäumen würde, ich demütigte sie mit Aufträgen, die ihre Ehre und ihren Ruf beflecken mußten, nur um sie zu zwingen, sich von mir frei zu machen.
Aber Tatjanas Liebe war von einer Tiefe, die mich geradezu erschauern ließ. In alles willigte sie ein. Nichts war ihr zu schwierig und zu gefährlich, um es nicht zu wagen. Ihr Opfermut kannte keine Grenzen, beschämte und verwirrte mich, stachelte mich auf, ihr noch Ärgeres zuzumuten. Oh, diese russischen Frauen! Sie sind unergründlich in ihrer Ergebenheit, in ihrer Demut, in ihrer Selbstlosigkeit, wenn sie einmal lieben!
Aber Tatjana erreichte nur das Gegenteil von dem, was sie bezweckte. Die ständigen Erniedrigungen zerstörten den letzten Rest der Achtung, die ich ihr entgegenbrachte.
Es ist wahr: sie hat niemals Geld angenommen, weder von mir noch von meiner Regierung, die immer bestrebt war, Tatjanas Dienste entsprechend zu belohnen. Doch dies änderte an der Tatsache nichts, daß sie mir lästig wurde, daß unser Verhältnis sich immer mehr lockerte, je leidenschaftlicher sie meine Ziele unterstützte.
Sie war es ja, die mich zu den gewagtesten Unternehmungen antrieb, die stets von neuem Gelegenheiten nachspürte, um wichtiges Material in die Hände zu bekommen. Dieser Drang wurde bei ihr zur Manie, zu einer Leidenschaft, die mich erschrecken ließ. Für meine Warnungen und Mahnungen, vorsichtiger zu sein, hatte sie nur ein Lächeln übrig. Sie fühlte sich gefeit gegen alle Überraschungen. Die Erfolge hatten sie übermütig gemacht. Und doch hing es oft nur an einem Haar, und wir wären kompromittiert gewesen.
Dieses Leben konnte ich auf die Dauer nicht mehr ertragen. Ich mußte endlich Schluß machen, um von ihr nicht mit ins Verderben gezogen zu werden. Nur eine Heirat kann mich aus der Umgarnung dieser Frau retten!
Und nun verurteile mich, Nicu, wenn du dazu noch imstande bist! Es ist nicht allein ihre, aber auch nicht meine Schuld, daß es so kommen mußte. Nenne es Fatum, Verhängnis, wie du willst!
Ich verkenne nicht ihre Vorzüge. Sie ist eine reizende Frau, ein Mensch von ungeheuerer Vitalität, aber im Grunde ihres Wesens ist sie doch eine Abenteurerin ...«
Mitten in meiner Redaktionsarbeit mußte ich an Armands Worte zurückdenken. Ich hatte keinen Grund, seinen Erklärungen zu mißtrauen. Ein Funken Wahrheit lag sicher darin. Dupré war nicht der Mann, den eine Leidenschaft verwirren konnte. Immer darauf bedacht, das Prestige zu wahren, in den Augen der Welt als tadelloser Ehrenmann und Offizier dazustehen, nur von seinem maßlosen Ehrgeiz geleitet, konnte er die Opferwilligkeit einer Fürstin Trubakow nicht verstehen und nicht würdigen.
So wie die Dinge standen, hielt auch ich es für das richtigste, wenn beide endgültig einen dicken Strich unter die Vergangenheit setzten. Diese zwei Menschen, die ein seltsamer Zufall zusammengebracht hatte, waren nicht füreinander geschaffen.
Und darum beschloß ich, noch einmal mit Tatjana zu sprechen, um sie von unüberlegten Handlungen zurückzuhalten. Die Angelegenheit schien mir dringlich. Ich rief sie daher sofort an, um eine Zusammenkunft mit ihr zu vereinbaren.
Seit unserer gemeinsamen Rückkehr nach Bukarest hatte ich sie nicht mehr gesehen. Die politischen Ereignisse ließen mich nicht zu Atem kommen. Das sagte ich ihr auch, als sie mich am Telephon nach dem Grund meines langen Schweigens fragte. Einen Augenblick lang markierte sie Gekränktheit.
»Für gute Freunde sollte man immer ein bißchen Zeit finden,« meinte sie vorwurfsvoll, »aber ich versichere Ihnen, Nicule, daß ich den Mangel an Aufmerksamkeit zu verschmerzen weiß.«
»Sie betrüben mich, Fürstin! Ich habe Wichtiges mit Ihnen zu reden – in Ihrem eigenen Interesse.«
»So kommen Sie doch heute abend auf ein Stündchen zu mir!«
»Heute ist es unmöglich, Tete – ich muß noch ins Parteibüro. Es stehen große Dinge bevor. Sie haben vielleicht schon aus den Abendblättern erfahren, daß wir einen Schlag gegen die Regierung vorbereiten.«
»Darf man Näheres erfahren, Nicule?«
»Ich weiß nicht – – übrigens doch! Es betrifft ja einen gemeinsamen Freund. Wir wollen Balaban auf die oppositionelle Kandidatenliste setzen.«
»Balaban? Und weiß er schon von dieser Absicht?«
»Nein, Fürstin – wir suchen ihn bereits im ganzen Lande. Aber niemand kennt seinen Aufenthalt. Apropos – könnten Sie uns vielleicht einen Wink geben?«
»Wie meinen Sie das?«
»Ach, rein scherzhaft – ich dachte ...«
»Sie dachten zufällig einmal ganz richtig, Nicule«, war die Antwort.
Da wurde ich stutzig.
»Sollten Sie wirklich, Fürstin,« sagte ich, »Sie würden uns zu großem Danke verpflichten!«
»Dann kommen Sie rasch zu mir!« versetzte Tatjana.
»Können Sie mir nicht am Apparat verraten – die Sache hat nämlich höchste Eile ...«
»Balaban befindet sich seit gestern wieder in meinem Hause,« sagte die Fürstin, »die Sehnsucht hat ihn wieder nach Bukarest getrieben ...«