Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Er kam wie ein Schneegestöber eines Aprilabends und hatte eine Kruke aus schwedischem Ton an einem Hungerriemen um den Hals. Klara und Lotte waren mit dem Netzboot nach dem Badeort Dalarö gefahren, um ihn zu holen; aber es dauerte Ewigkeiten, ehe sie ins Boot kamen. Sie mussten zum Kaufmann, um eine Tonne Teer zu besorgen, und zur »Abtheke«, um graue Salbe fürs Ferkel zu kaufen; und dann mussten sie auf die Post, um eine Freimarke zu holen; und dann mussten sie zu Fia Löfström, um den Hahn zu borgen, gegen ein Halbpfund dünnes Garn zum Netzbau. Und zuletzt waren sie im Gasthaus gelandet, in das Carlsson die Mädchen zu Kaffee mit Kuchen geladen hatte.
Endlich kamen sie doch ins Boot.
Carlsson wollte steuern, aber das konnte er nicht; er hatte noch nie einen Rahsegler gesehen, daher schrie er, sie sollten die Fock hissen, die gar nicht vorhanden war.
Auf der Zollbrücke standen Lotsen und Zöllner, die über das Manöver grinsten, als das Boot über Stag ging und abgetrieben wurde.
– Hör mal, du hast ein Loch im Boot! schrie ein junger Lotse durch den Wind. Stopf zu! Stopf zu! Während Carlsson nach dem Loch guckte, hatte Clara ihn fortgestossen und das Steuerruder genommen; und mit den Riemen gelang es Lotte, das Boot wieder in den Wind zu bringen; mit gutem Gang segelte es dem Sund der Insel Aspö zu.
Carlsson war ein kleiner viereckiger Wärmländer mit blauen Augen und einer Nase, die so krumm war wie ein Doppelhaken. Lebhaft, spielerisch, neugierig war er, aber vom Seewesen verstand er nichts. Er war auch nach der Insel Hemsö im Stockholmer Inselmeer gerufen, um für Feld und Vieh zu sorgen; damit wollte sich nämlich niemand mehr befassen, seit der alte Flod aus dem Leben geschieden war und die Witwe allein auf dem Hof sass.
Als Carlssön die Mädchen mit Fragen nach den Verhältnissen auf dem Hofe anzapfte, bekam er Antworten, wie sie die Bewohner des Stockholmer Inselmeers, der »Schären«, zu geben pflegen.
– Ja, das weiss ich nicht! Ja, das kann ich nicht sagen! Ja, das weiss ich wirklich nicht!
Daraus wurde er nicht klug!
Der Kahn plätscherte zwischen Holmen und Schären dahin, während die Eisente zwischen den Kobben schnatterte und im Fichtenwald der Birkhahn balzte. Ueber freie Wasserflächen, die »Fjärde«, und über Strömungen fuhr das Boot, bis die Nacht kam und die Sterne aufleuchteten.
Da gings auf das grosse Wasser hinaus, wo der Leuchtturm der »Hauptschäre« blinkte. Bald kam man an einem Stangenzeichen mit Besen vorbei, bald an einer weissen Bake, die wie ein Gespenst aussah; bald leuchteten zurückgebliebene Schneewehen wie Leinen auf der Bleiche; bald tauchten aus dem schwarzen Wasser »Netzwächter « auf, die am Kiel schrapten, wenn man darüber fuhr. Eine schlaftrunkene Mantelmöwe ward von ihrem Riff aufgescheucht und brachte Leben in Seeschwalben und Möwen; ein höllischer Lärm brach los.
Weit draussen, wo die Sterne ins Meer tauchten, leuchteten das rote und das grüne Auge eines grossen Dampfers; der schleppte eine lange Reihe runder Lichter, die durch die Ventile der Kajüten schimmerten.
Alles war Carlsson neu, und er fragte nach allem; und jetzt erhielt er Antwort, und zwar so viele, dass er einsah, er war auf fremden Boden gekommen. »Er war eine Landratte«, das heisst ungefähr dasselbe, was für den Städter »Einer vom Lande« ist.
Jetzt segelte der Kahn in einen Sund und kam in Lee; man musste das Segel reefen und rudern.
Als sie bald darauf in einen neuen Sund kamen, sahen sie ein Licht von einer Hütte leuchten, die zwischen Erlern und Kiefern lag.
– Jetzt sind wir zu Hause, sagte Clara.
Das Boot schoss in eine schmale Bucht; eine Rinne war durchs Schilf gehauen, das an den Seiten des Kahns raschelte; dieses Rascheln weckte einen Laichhecht, der sich in den Anblick einer Angelrute vertieft hatte.
Der Hund gab Laut, und eine Laterne kam oben in der Hütte in Bewegung.
Der Kahn wurde an der Landungsbrücke festgemacht, und die Ausladung begann. Das Segel wurde um die Rahe gerollt, der Mast herausgenommen, und die Stage mit den Tauen umwunden. Die Teertonne rollte man ans Land, und Kübel, Kannen, Körbe, Bündel lagen bald auf der Landungsbrücke.
Carlsson schaute sich im Halbdunkel um und erblickte lauter neue und ungewöhnliche Dinge. Vor der Landungsbrücke lag der Fischkasten mit seinem Hebespiel; an der langen Seite der Brücke lief ein Geländer, das mit Netzbojen, Fangleinen, Dregghaken, Senkern, Schnüren, Grundleinen, Angelhaken behängt war; auf den Brückenplanken standen Strömlingstrommeln, Tröge, Wannen, Bottiche, Näpfe, Grundleinenkasten; am Brückenkopf lag ein Seeschuppen, der mit Lockvögeln behängt war: ausgestopfte Eidergänse, Sägetaucher, Langschnäbel, Trauerenten, Quakenten; unter der Dachtraufe lagen auf Haltern Segel und Masten, Riemen und Bootshaken, Schöpfkellen, Eispickel, Quappenkeulen. Und am Lande standen Pfähle, an denen Strömlingsnetze trockneten, so gross wie die grössten Kirchenfenster; Flundernetze mit Maschen, durch die man den Arm stecken konnte; Barschgarn, neu geknüpft und weiss wie die feinsten Schlittennetze; doch von der Brücke geradeaus zogen sich zwei Reihen Gabelstangen wie eine Gutsallee, und an denen hingen die grossen Zugnetze.
Vom höchsten Ende des Ganges kam jetzt die Laterne und warf ihren Schein auf den Sandweg, auf dem Muschelschalen und getrocknete Fischkiemen glitzerten, während in den Zugnetzen zurückgebliebene Strömlingsschuppen wie Reif an Spinngeweben blinkten. Aber die Laterne beleuchtete auch das Gesicht einer älteren Frau, das vom Wind gedörrt zu sein schien, und ein Paar kleine freundliche Augen, die beim Herdfeuer zusammengeschrumpft waren. Vor der Alten her sprang der Hund, ein zottiger Köter, der ebensogut auf See wie auf Land zu Hause sein mochte.
– Nun, seid ihr da, Mädchen, grüsste die Alte, und habt ihr den Burschen bei euch?
– Ja, da sind wir, und hier ist Carlsson, wie Ihr seht, Tante! antwortete Clara.
Die Alte wischte ihre rechte Hand an der Schürze ab und reichte sie dem Knecht.
– Willkommen, Carlsson; möge er sich bei uns heimisch fühlen!
Und zu den Mädchen:
– Habt ihr Kaffee und Zucker mitgebracht, Mädchen? Sind die Segel im Schuppen? Dann kommt hinauf, ich werde euch was zu essen geben.
Alle vier gingen die Anhöhe hinauf; Carlsson still, neugierig, voller Erwartung, wie sein Leben sich in der neuen Stellung wohl gestalten würde.
Drinnen in der Stube brannte Feuer im Ofen; auf dem weissen Klapptisch lag eine reine Decke; auf der Decke stand eine Flasche Branntwein, in der Mitte wie ein Stundenglas zusammengeschnürt; rings herum Tassen aus schwedischem Porzellan, auf denen Rosen und Vergissmeinnicht abgebildet waren; ein frischgebackenes Brot, gedörrter Zwieback, ein Teller mit Butter, Zuckerdose und Sahnenkanne vervollständigten den Tisch. Carlsson fand ihn reicher, als er von dieser gottverlassenen Gegend erwartet hatte.
Aber auch die Stube selbst sah nicht übel aus, als er sie im Schein des Feuers musterte; das kreuzte sich mit dem Talglicht des Messingleuchters, schien in der etwas unreinen Politur des Mahagonisekretärs wider, spiegelte sich in dem lackierten Gehäuse und dem Messingpendel der Wanduhr, funkelte auf den Silbereinlagen der damaszierten Läufe der Vogelflinten, hob die vergoldeten Buchstaben auf den Rücken der Postillen, Gesangbücher, Kalender, Bauernregeln hervor.
– Tritt er näher, Carlsson, lud ihn die Alte ein.
Carlsson war ein Kind der neuen Zeit und lief wirklich nicht in die Scheune hinaus, sondern trat sofort näher und setzte sich auf ein Banksofa, während die Mädchen seinen Kasten in die Küche schafften, die auf der andern Seite des Flurs lag.
Die Alte hakte den Kaffeekessel ab und legte die Klärhaut hinein; hakte ihn wieder an und liess ihn noch etwas kochen. Dann erneuerte sie die Einladung, dieses Mal mit dem Zusatz, Carlsson möge sich an den Tisch setzen.
Der Knecht setzte sich und drehte die Mütze zwischen den Fingern. Er passte auf, wie der Wind wehte, um seine Segel danach zu richten. Er hatte offenbar die feste Absicht, sich mit den Massgebenden gut zu stellen; da er aber noch nicht wusste, ob die Alte mit sich reden liess, wagte er es nicht, seinem Mundwerk freien Lauf zu lassen, ehe er nicht wusste, wo das Land lag. – Das ist aber ein feiner Sekretär, begann er und befühlte die Messingrosetten.
– Hm ! sagte die Alte, es ist aber nicht viel darin.
– Oho, das weiss ich wohl, schmeichelte Carlsson und bohrte den kleinen Finger in das Schlüsselloch der Klappe, darin ist genug!
– Ja, einmal war wohl ein Stück Geld darin, als wir ihn von der Auktion nach Hause brachten; dann aber musste der Flod in die Erde, und Gustav musste Soldat spielen, und seitdem ist keine rechte Ordnung auf dem Hof gewesen. Und dann wurde das neue Haus gebaut, das keinen Nutzen bringt. So kam eins zum andern. Aber nimm er Zucker, Carlsson, und trink er eine Tasse Kaffee.
– Soll ich damit anfangen? sperrte sich der Knecht.
– Ja, da noch keiner zu Hause ist, antwortete die Alte. Der verwünschte Junge ist auf der See, mit der Flinte; und den Norman nimmt er immer mit; so wird keine ordentliche Arbeit geleistet. Wenn sie nur fort kommen und einen Vogel jagen können, lassen sie Viehzucht und Fischerei zugrunde gehen. Das ist der Grund, weshalb ich ihn herkommen liess, Carlsson, damit er nach dem Rechten schaut. Darum soll er sich gleichsam für etwas mehr halten und ein Auge auf die Burschen haben. Will er nicht einen Zwieback nehmen, Carlsson?
– Ja, Tante, soll ich gleichsam etwas mehr sein, damit die andern auf mich hören, dann muss auch eine bestimmte Ordnung gelten. Dann muss ich an Tante einen Rückhalt haben, denn ich weiss, wies geht, wenn man sich mit den Burschen duzt und gemein macht.
So gewann Carlsson das Land, als er wusste, wo es lag.
– Was das Seegeschäft anlangt, fuhr er fort, da mische ich mich nicht hinein; das kenne ich nicht, aber auf dem Land, da weiss ich Bescheid, und da will ich Herr sein.
– Ja, das werden wir morgen regeln; dann haben wir Sonntag und können bei Tageslicht alles besprechen. Nun noch eine Halbe, Carlsson, dann kann er sich schlafen legen.
Die Alte goss zum zweitenmal Kaffee ein, und Carlsson nahm das Stundenglas, um die Tasse mehr als dreiviertel zu füllen. Nachdem er die Mischung hinuntergeschlürft hatte, fühlte er grosse Lust, das fallen gelassene Gespräch, das ihn äusserst angenehm berührt hatte, wieder aufzunehmen. Aber die Alte war aufgestanden, um sich am Herd zu schaffen zu machen; die Mädchen liefen aus und ein; der Köter gab Laut auf dem Hofe und lenkte die Aufmerksamkeit ab.
– Da haben wir die Burschen, sagte die Alte.
Draussen erklangen Stimmen, Absatzeisen klirrten auf den Steinen, und durch die Balsaminen im Fenster sah Carlsson draussen im Mondschein die Gestalten zweier Männer, die Flinten auf der Schulter und eine Tracht auf dem Rücken hatten.
Der Köter bellte im Flur, und gleich darauf ward die Tür geöffnet. Herein trat der Sohn in Wasserstiefeln und Jagdjoppe. Mit dem sichern Stolz des glücklichen Jägers schleuderte er Jagdtasche und ein Bündel Eider auf den Tisch an der Tür.
– Guten Abend, Mutter, da hast du Fleisch! grüsste er, ohne den Kömmling zu bemerken.
– Guten Abend, Gustav! Ihr seid lange fort gewesen, grüsste die Mutter zurück, während sie unwillkürlich einen zufriedenen Blick auf die prachtvollen Eider warf; mit dem kohlschwarzen und kreideweissen Gefieder, der rosenroten Brust und dem seegrünen Nacken. Ihr habt gute Beute gemacht, sehe ich. Hier haben wir Carlsson, den wir erwarteten.
Der Sohn warf einen forschenden Blick aus seinen kleinen, scharfen Augen, die von hellroten Wimpern halb verborgen waren, und änderte sofort sein Gesicht: offen war es gewesen, und schüchtern wurde es.
– Guten Abend, Carlsson, sagte er kurz und scheu.
– Guten Abend, antwortete der Knecht, indem er einen unbefangenen Ton anschlug, bereit, den Ueberlegenen zu spielen, sobald er über den neuen Mann im klaren war.
Gustav nahm den Platz auf dem Hochsitz ein, stützte sich mit dem Ellbogen aufs Fensterbrett und liess sich von der Mutter eine Tasse Kaffee einschenken, in die er sofort Branntwein goss. Während er trank, betrachtete er Carlsson heimlich.
Der hatte die Vögel genommen und untersuchte sie.
– Das sind prächtige Tiere, sagte er und kniff sie in die Brust, um zu fühlen, ob sie fett seien. Er ist ein guter Schütze, sehe ich, der Schuss sitzt an der rechten Stelle.
Gustav antwortete mit einem listigen Grinsen; er hörte sofort, dass der Knecht nichts vom Weidwerk verstand, da er Schüsse lobte, die in den Brustfedern sassen und die Eider zu Lockvögeln untauglich machten.
Carlsson aber schwatzte unverzagt weiter, lobte die Taschen aus Seehundsfell, pries die Flinte, machte sich so klein wie möglich; stellte sich in Seesachen noch unwissender, als er wirklich war.
– Wo hast du Norman gelassen? fragte die Alte, die schläfrig wurde.
– Er bringt nur die Sachen in den Schuppen, antwortete Gustav; er kommt gleich.
– Rundqvist hat sich schon niedergelegt. Es ist auch Zeit, und Carlsson muss müde sein, da er lange unterwegs gewesen ist. Ich will ihm zeigen, wo er liegen soll, wenn er mitkommt
Carlsson wäre gern geblieben, um das Stundenglas auslaufen zu sehen; aber der Wink war so deutlich, dass er die Geduld der Wirtin nicht länger auf die Probe zu stellen wagte.
Die Alte ging mit ihm in die Küche hinaus.
Gleich kam sie aber zum Sohn zurück, der sofort seinen freimütigen Ausdruck wieder annahm.
– Nun, wie findest du ihn? fragte die Alte; er sieht ordentlich und willig aus.
– Nein, nein! antwortete Gustav gedehnt. Trau ihm nicht Mutter; er schwatzt nur Unsinn.
– Was du sagst! Er kann doch wohl ordentlich sein, wenn er auch ein Mundwerk hat.
– Glaub mir, Mutter, das ist ein Schwätzer; mit dem werden wir uns zu schleppen haben, bis wir ihn wieder los werden. Aber das macht nichts; er soll schon arbeiten fürs Essen, und mir soll er nicht zu nahe kommen. Du glaubst allerdings nie, was ich sage, aber du wirst schon sehen! Wirst schon sehen. Nachher reut es dich, wenns zu spät ist! Wie wars mit dem alten Rundqvist? Der hatte auch ein tüchtiges Mundwerk, aber sein Rücken war schwach; wir haben uns mit ihm schleppen müssen, und jetzt werden wir ihn füttern, bis er stirbt. Solche Schwätzer sind nur bei der Schüssel gross, das kannst du mir glauben!
– Du bist wie dein Vater, Gustav; traust den Leuten nichts Gutes zu und verlangst dann unvernünftig viel! Der Rundqvist ist kein Seemann, sondern auch vom Lande, aber er kann vieles, was andere nicht können. Und Seeleute kriegen wir nicht mehr; die gehen zur Flotte, zum Zoll oder werden Lotsen. Nur Leute vom Lande kriegt man. Siehst du, man nimmt, was man bekommt.
– Das weiss ich wohl, dass keiner mehr Knecht sein will! Alle suchen Staatsdienst, und hier draussen auf den Inseln sammelt sich aller Abfall vom Festland. Ordentliches Volk kommt nicht in die Schären hinaus; es muss denn besondere Ursachen haben. Darum sage ich noch einmal: Halt die Augen offen !
– Du, Gustav, solltest die Augen offen halten, gab die Alte zurück, um dein Hab und Gut in Ordnung zu bringen. Einmal wird es ja deins ! Du solltest zu Hause bleiben und nicht immer auf der See herumliegen; zum mindesten die Leute nicht von der Arbeit abhalten.
Gustav rupfte eine Eider und antwortete:
– Ei, Mutter, du liebst es doch auch, wenn Braten auf den Tisch kommt, nachdem es den ganzen Winter über eingesalzenes Schweinefleisch und gedörrten Fisch gegeben hat; du musst also nicht so sprechen. Uebrigens gehe ich nicht in den Krug, und etwas muss der Mensch doch zu seinem Vergnügen haben. Essen haben wir ja genug, und etwas Geld auf der Bank auch, und verfaulen tut der Hof nicht; will er brennen, so mag er; er ist ja versichert.
– Verfaulen wird der Hof nicht, das weiss ich wohl, aber alles andere geht entzwei. Die Feldzäune müssen ausgebessert, die Gräben gereinigt werden. Das Stalldach ist so morsch, dass es aufs Vieh regnet. Nicht eine Brücke ist heil, die Boote sind zerbrechlich wie Zunder, die Netze müssen geflickt, der Milchkeller gedeckt werden. Und so weiter. Da ist so vieles, das gemacht werden müsste, aber nie gemacht wird. Jetzt aber wollen wir mal sehen, ob es nicht doch gemacht werden kann, nachdem wir einen Knecht eigens dafür angenommen haben. Es wird sich ja herausstellen, ob Carlsson nicht der rechte Mann dafür ist
– Dann lass ihn nur machen! schnauzte Gustav, indem er mit der Hand durch das kurzgeschorene Haar fuhr, dass es wie Stacheln in die Höhe stand. Da ist Norman! Komm und trink eine Halbe, Norman!
Norman, klein, breit, hellblond, mit keimendem Schnurrbart und blauen Augen, trat in die Stube und liess sich bei seinem Jagdgenossen nieder, nachdem er die Alte gegrüsst.
Die beiden Helden zogen ihre Tonpfeifen aus den Westentaschen und stopften sie mit »Schwarzem Anker«. Dann gingen sie nach Jägerart, bei einer Halben Kaffee mit Branntwein, alle ihre Heldentaten draussen am offnen Meer durch; Schuss für Schuss. Die Vögel wurden untersucht, die Finger in die Schusswunde gebohrt, die Hagelkörner gezählt, unentschiedene Treffer erörtert. Schliesslich entwarfen sie Pläne zu neuen Ausflügen.
Inzwischen war Carlsson in die Küche hinausgekommen, um sein Nachtlager aufzusuchen.
Die Küche war eine Firststube und sah wie eine mit dem Kiel nach oben gekehrte Schute aus, die auf der Ladung schwamm. Die Ladung bestand aus allen möglichen Gütern. Hoch oben unter dem berussten Dachfirst hingen Garn und Fischgeräte an den Balken; darunter waren Bretter und Bootsplanken zum Trocknen verstaut; Flachs und Hanfsträhne, Dregganker, Schmiedeeisen, Zwiebelbündel, Talglichter, Mundvorratskasten; auf einem Querbalken lag eine lange Reihe frisch ausgestopfter Lockvögel; über einen andern waren Schaffelle geworfen; von einem dritten baumelten Wasserstiefel, Unterjacken, Hemden, Strümpfe; und zwischen den Balken Spiesse mit Lochbroten, Stöcke mit Aalhäuten, Stangen mit Grundschnüren und Angelhaken.
Am Giebelfenster stand der Esstisch aus rohem Holz; an den Wänden standen drei Ausziehsofas, die mit reinen, aber groben Laken gebettet waren.
In einem davon hatte die Alte Carlsson einen Platz angewiesen. Als sie sich mit dem Licht entfernte, liess sie den Kömmling im Halbdunkel, das nur schwach von der Herdglut und einem kurzen Mondstreifen erleuchtet wurde. Der Mond zeichnete Pfosten und Sprossen des Fensters auf den Boden. Aus Gründen der Schamhaftigkeit wurde beim Schlafengehen kein Licht angesteckt; denn die Mädchen hatten auch ihre Schlafplätze in der Küche.
So entkleidete sich Carlsson im Halbdunkel. Er legte Rock und Stiefel ab; dann holte er die Uhr aus der Westentasche, um sie beim Schein des Herdfeuers aufzuziehen. Er hatte den Schlüssel ins Loch gesteckt und begann sie mit etwas ungewohnter Hand aufzuziehen; die Uhr ging nämlich nur an Sonntagen und bei feierlichen Gelegenheiten; da erklang aus den Bettdecken eine tiefe, brummende Stimme:
– Nein, hat er auch eine Uhr!
Carlsson fuhr zusammen, sah hin und bemerkte im Glutschein einen zottigen Kopf mit einem Paar blinzelnder Augen, der sich auf zwei haarige Arme stützte.
– Gehts dich was an? erwiderte er, um die Antwort nicht schuldig zu bleiben.
– Gehts an, dann läuten sie in der Kirche, wenn ich auch nie hineinkomme! antwortete der Kopf. Das ist jedenfalls ein feiner Mann: er hat ja Saffian an den Stiefelschäften.
– Das will ich meinen; und Galoschen hat er auch, wenns drauf ankommt!
– Nein, hat er auch Galoschen; dann kann er sicher auch einen Schluck spendieren!
– Ja, das kann er auch, wenns sein muss, antwortete Carlsson bestimmt und holte seine Tonkruke. Bitte!
Er zog den Kork heraus, trank einen Schluck und reichte die Kruke hinüber.
– Gott segne ihn; ich glaube wirklich, das ist Branntwein. Dann: Gutjahr und Willkommen! Jetzt sage ich du zu dir, Carlsson, und du nennst mich den närrischen Rundqvist, denn so heisse ich meistens.
Und dann kroch er wieder unter die Decke.
Carlsson entkleidete sich und kroch ins Bett, nachdem er seine Uhr am Salzfass aufgehängt und die Stiefel mitten ins Zimmer gestellt hatte, damit die roten Saffianzwickel recht zu sehen waren.
Es war still in der Küche und nur Rundqvist hörte man schnarchen am Herd.
Carlsson lag wach und dachte an die Zukunft. Wie ein Nagel sass ihm das Wort der Alten im Kopf, dass er etwas mehr als die andern sein solle, um die Wirtschaft in die Höhe zu bringen. Um den Nagel schmerzte und schwärte es; es war, als habe er ein Gewächs im Kopf. Er dachte an den Mahagonisekretär, an die roten Haare und misstrauischen Augen des Sohnes. Er sah sich mit einem grossen Schlüsselbund herumlaufen, mit dem er in der Hosentasche klapperte; da kommt einer und bittet um Geld; er hebt das Schurzfell, schüttelt das rechte Bein, steckt die Hand in die Tasche und fühlt die Schlüssel gegen den Schenkel; dann zupft er am Bund, wie man Werg entwirrt, und als er den kleinsten Schlüssel, der in die Klappe passt, gefunden hat, steckt er den ins Schlüsselloch, ganz wie ers heute abend mit dem kleinen Finger getan hatte; aber das Schlüsselloch, das wie ein Auge mit einem Augapfel ausgesehen, wird rund, gross und schwarz wie eine Flintenmündung, und über dem andern Ende des Laufes sieht er das rote Fischauge des Sohnes scharf und tückisch zielen, als wolle der sein Geld verteidigen.
Die Küchentür ging, und Carlsson wurde aus seinem Halbschlummer gerissen. Mitten im Zimmer, wohin die Mondscheiben gerückt waren, standen zwei weissgekleidete Gestalten, um gleich darauf in ein Bett unterzutauchen; das gewaltig knarrte, wie wenn ein Boot gegen eine schwankende Landungsbrücke stösst. Dann ward es in den Laken lebendig und kicherte, bis es still wurde.
– Gute Nacht, Mädchen, erklang Rundqvists erlöschende Stimme. Träumt von mir!
– Daran ist uns allerdings sehr gelegen, antwortete Lotte.
– Still, antworte dem Scheusal nicht, warnte Clara.
– Ihr seid – so – nett! Wenn ich nur auch so – nett – sein könnte wie ihr! seufzte Rundqvist. Ja, Herr Gott, man wird alt; dann kann man seinen Willen nicht mehr kriegen, und dann ist das Leben nichts wert. Gute Nacht, Kinder, und hütet euch vor Carlsson: der hat Uhr und Saffianstiefel! – Ja, Carlsson, der ist glücklich! Das Glück das kommt, das Glück das fliegt, o glücklich, wer das Mädchen kriegt! – Was habt ihr dort in euerm Bett zu kichern, Mädchen! – Hör mal, Carlsson, kann ich nicht noch einen Schluck kriegen? Es ist so furchtbar kalt hier hinten; es zieht vom Herd her.
– Nein, jetzt kriegst du nichts mehr, denn nun will ich schlafen, schnauzte Carlsson, in seinen Zukunftsträumen, in denen weder Wein noch Mädchen vorkamen, gestört und bereits mit seiner Stellung als Grossknecht vertraut.
Es wurde wieder still. Nur dumpfe Laute von den Geschichten der Jäger drangen durch die beiden Türen; und der Nachtwind rüttelte an der Ofenklappe.
Carlsson schloss wieder die Augen. Im Schlummer hörte er Lottes halblaute Stimme etwas auswendig hersagen, das er zuerst nicht verstehen konnte, sondern wie ein einziger langer Salm klang; schliesslich unterschied er:
– Undführeunsnicht – inversuchung, sondernerlöseunsvondemübel, denndeinistdasreich, unddiemachtunddieherrlichkeit inewigkeitamen. Gute Nacht, Clara! Schlaf gut!
Und nach einem Weilchen schnarchte es im Bett der Mädchen. Rundqvist aber sägte, dass die Fenster zitterten, ob nun aus Scherz oder Ernst. Aber Carlsson lag halbwach und wusste selbst nicht, ob er wachte oder schlief.
Da hob sich seine Decke und ein fleischiger, schweissiger Körper kroch an seine Seite.
– Es ist nur Norman! hörte er eine schöntuende Stimme neben sich. Da wusste er, es war der Knecht, der sein Bettgenosse sein sollte.
– Aha, der Schütze ist heimgekehrt, knarrte Rundqvists rostiger Bass. Ich dachte, es sei der Teufel, der am Sonnabend draussen geschossen.
– Du kannst ja gar nicht schiessen, Rundqvist; du hast ja keine Flinte, schnauzte Norman.
– Kann ich nicht? gab der Alte zurück, um das letzte Wort zu haben. Ich kann Schwarzstare mit der Büchse schiessen, und zwar zwischen den Laken ...
– Habt ihr das Feuer gelöscht? unterbrach ihn die freundliche Stimme der Alten, die aus dem Flur zur Tür hereinguckte.
– Jawohl, antwortete man im Chor.
– Dann gute Nacht!
– Gute Nacht, Tante!
Einige lange Seufzer wurden ausgestossen, dann wurde gepustet, geschnaubt, gekeucht, bis das Schnarchen im Gang war.
Aber Carlsson lag noch eine Weile wach und zählte die Fensterscheiben, um einen Wahrtraum zu haben.