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Erinnerungen aus dem Leben des Grafen Johann Hartwig Ernst von Bernstorff

An die Frau Gräfin
E. C. von Bernstorff, geborne von Buchwald

Ich mache keinen Anspruch auf Autorschaft und Schriftstellerruhm, dazu konnten mich, wie Ew. nbsp;Gnaden bekannt ist, weder die Geschäfte noch die Schicksale meines Lebens führen; sondern weil Ihr verewigter Gemahl mein größter Wohltäter war, weil ich viel freudige, glückliche Jahre in seinem Hause unter seiner Leitung durchlebt habe, weil er mich bis an sein Ende seines Vertrauens und seiner Gewogenheit würdigte; so verkündige ich meine Empfindungen. Ich erzähle, welchen Mann die Erde verlor, und ich eigene das Opfer meiner Dankbarkeit Ew. nbsp;Gnaden zu, weil niemand diesen Verlust zärtlicher, inniger empfand und weil auch mein Dank Ihnen für Ihre mannigfaltige Güte gebührt. Ich erneure zwar traurige Auftritte; aber Erinnerung an den vortrefflichen Mann ist Bedürfnis Ihres Herzens.

Oldenburg, den 4. Juli 1777

H. P. Sturz

Ich wünschte Bernstorff zu schildern, wie er einst vor dem Gerichte der Nachwelt erscheint, wann kein Lob und keine Verleumdung mehr täuscht, wann die Zeit alle Stimmen gezählt und gewogen und seinen Wert berichtiget hat, wann die Folgen seiner Taten allein für ihn zeugen.

Alsdann, ich darf es erwarten, wird ein dankbares Volk ihn segnen, dessen Väter er glücklich machte, und erleuchtete Monarchen werden, zum Lohn ihrer Sorgen, einen Diener wie ihn von der Gottheit erflehn.

Aber Bernstorffs Geschichte ist innig mit der neuesten Geschichte aller Höfe verflochten; und wer darf es wagen, den Vorhang wegzuziehn, der diese Geheimnisse deckt, das bewegliche grenzenlose Gemälde der politischen Welt zu entwerfen, das eine Meisterhand fordert und doch nur für spätere Zeiten gehört, wo man die Wahrheit, weil sie weniger beleidigt, auch unter den Mächtigen erträgt?

Ich kann also Bernstorff nicht durch alle Auftritte seines merkwürdigen Lebens folgen. Ich mache mich nur zu zerstreuten Erinnerungen, zu wenigen, aber merkwürdigen Zügen seines Charakters verbindlich. Ich sammle nur einzele Zweige zur bürgerlichen Krone dieses Menschenfreunds, und ich lege sie auf sein ehrwürdig Grab nicht ohne stille Tränen nieder, denn ich habe ihn gekannt, ich habe den Minister hinter der Wolke gesehn, die ihn im Kreis der Geschäfte verbarg, die ihn gegen den spähenden Blick der Höflinge schützte.

Möcht es mir gelingen, mit Würde von dem Manne zu reden, der edlen Anstand und jede Schönheit der Tugend über seinen ganzen Wandel ausgoß! Nur wünschte ich den Ton der Lobrede zu meiden, der sich gerne zur feurigen Bewunderung gesellt und den kältern Beobachter mißtrauisch macht. Dieser fordert Eigentümlichkeit in dem Bilde großer Männer und erwartet Menschen zu sehen, keine Göttergestalten, die in den Denkmalen der Schriftsteller und Künstler sich immer einförmig ähnlich, so wie immer über der Natur, sind.

Bernstorff stammte aus einem durch Würden und Verdienste verherrlichten alten Geschlecht. Er war im Überfluß der Glücksgüter erzogen, ein Zufall, der den Weg zur Tugend mit neuen Hindernissen, mit neuen Gefahren umringt, weil Reichtum und Geburt ohne Mühe ein Ansehn gewähren, das sonst nur der Preis einer langen Arbeit ist. Bernstorff aber strebte mit einem Eifer nach Verdienst, als wenn er Glück und Namen erst durch seinen Fleiß erwerben sollte.

Mit einem Ernst über seine Jahre überließ er sich früh dem tugendhaften Ehrgeiz, nach der Achtung der Edelsten zu ringen. Es war eine Maxime seiner Jugend, die er oft noch im Alter wiederholte, mehr zu leisten, als Pflicht allein fordert, und dies war immer der güldne Spruch aller Unsterblichen. Er trat noch als Jüngling in die Ämter des Mannes. Schon im zwanzigsten Jahre ging er als dänischer Gesandter an den kursächsischen und königlich polnischen Hof, und er hat nachher die nämliche Würde in der Reichsversammlung zu Regensburg, bei Kaiser Karl dem Siebenten und am französischen Hofe bekleidet.

In einer langen Reihe von Jahren gingen alle Veränderungen der Staatswelt nahe an seinem Auge vorüber; nirgends trug sich ein wichtiger Vorfall zu, den er nicht aufgeklärt, dessen wahren Zusammenhang er nicht entfaltet hätte. Er selbst hatte viel Regenten, viel Minister, viel Günstlinge gekannt, oder er war ihnen durch ihr Leben mit einem forschenden Blick gefolgt; er kannte die Verfassung der Reiche, ihre Verhältnisse mit ihren Nachbarn, den Gang ihrer Politik, die oft den ungeübten Beobachter durch scheinbare Abwechselungen täuscht und doch bei mehr als einem Hofe jahrhundertelang die nämliche bleibt, weil der Geist der Nationen, ihre Art zu empfinden und zu handeln, nur langsam eine neue Wendung nimmt.

Sein Herz war für jede Tugend empfindlich; er suchte sie in der Geschichte und unter den Lebendigen auf; er hatte sich von seltenen Leuten Züge der ersten Vortrefflichkeit gewählt und wünschte sie alle in seinem Charakter zu vereinigen.

Die Vorsehung, welche so beständig und sichtbar für Dänemark wacht, hat ihm auch diesen Minister erhalten, der nach seiner Zurückkunft aus Frankreich schon einem andern Lande zugehörte. Er hatte sich dem Vater des jetzigen Königs von Engelland, dem gütigen Prinzen von Wallis, mit dem er erzogen war, in seiner Jugend verpflichtet, als der Tod dieses Fürsten Bernstorff seine Freiheit und dem dänischen Reich einen schon geprüften, großen Diener wiedergab.

Er war in der Kraft seiner Jahre, da er seine Staatsverwaltung antrat, und Friederich der Fünfte hatte noch nicht lange geherrscht, ein Monarch, der durch seine Leidenschaft, wohlzutun, durch die unwandelbare Güte seines Herzens die Freude des menschlichen Geschlechts war, der sich ganz der Wollust, geliebt zu sein, überließ, der von Vergnügen überfloß, wenn er es um sich her verbreiten konnte, dessen Ruhm auf dem Wege zur Unsterblichkeit immer höher steigen wird. Zwar warfen ihm die Schmeichler der Tyrannen seine unbegrenzte Gelindigkeit vor. Wenn man ihnen glaubt, so erschlaffen die Zügel in der Hand eines allzu gütigen Regenten. Als hätte das Volk seine Fürsten nur darum mit Übergewalt bewaffnet, damit es vor ihnen zittern müsse? Am Thron des Despoten mag immer die Lobrede des Sklaven widerhallen, stille widerlegt sie der Untertanen Fluch und die kühnere Nachkommenschaft laut. Es kann einem Menschenverächter gelingen, mit tugendloser Klugheit einen Haufen Iloten in schreckenvoller Ordnung zu beherrschen, aber für ihn ist auch keine Wollust der Liebe, kein Vertrauen, keine Freude der Menschlichkeit mehr.

Um Friedrichs Thron drängte sich ein zufriednes, frohlockendes Volk; es umringte ihn, wie in dem ersten Alter der Welt eine Familie ihren Vater umringte. Er umfaßte sie alle mit gleich inbrünstiger Liebe, und sie wurden von seiner Gewalt nur durch sein Wohltun überzeugt. Er wurde nie zum Zorn, nie zur Strenge gereizt. Er war immer ohne Bitten zur Gnade geneigt. Oft hat er als König das Gute belohnt, was, in der einsamen Hütte verborgen, nicht den Monarchen, nur den Menschen rühren konnte, und was dem Menschen mißfiel, hat er nie als König gerächt.

Diesem König diente Bernstorff mit einem nicht minder zärtlichen Herzen. Daher war auch seine Verwaltung der einheimischen und auswärtigen Geschäfte eine Reihe menschenfreundlicher Taten. Sein System in der Politik war, was es am Thron guter Könige ist, Friede, gutes Vernehmen, wechselseitige Dienstfertigkeit, Wohlfahrt und Ruhm fürs Vaterland, Vorteile auch für fremde Staaten. Damit erwarb er sich Vertrauen und bewies, daß redlich handeln die vorteilhafteste Staatskunst sei, anstatt daß ein Gewebe von Ränken nur eine Zeitlang gelingt und endlich ohnfehlbar die Verachtung und den Abscheu aller Völker gegen den Betrüger vereinigt. Nie ward von ihm die Heiligkeit der Verträge beleidigt, nie die gesetzmäßige Verfassung irgendeines Staats untergraben. Er erlaubte sich nie, Unterdrückte zu verfolgen, um dem Mächtigen zu schmeicheln, sich zum Sieger zu gesellen, um die Beute des Überwundenen zu teilen; sondern er dachte und handelte am Ruder des Staats, wie ein tugendhafter Mann in der bürgerlichen Gesellschaft zu denken und zu handeln gewohnt ist. Er glaubte nicht, daß ein glänzender Endzweck einen ungerechten Schritt entschuldigen könne, nicht, daß unter Königen eine andere Rechtschaffenheit gelte als unter den niedrigsten Erdbewohnern. Wenn man gegen ihn treulose Künste versuchte, so vereitelte er sie durch seine Klugheit. Denn so sehr er die Staatskünstelei verachtete, so sahe er doch ihre Finsternisse durch. Er vermutete die Ursachen und verkündigte die Folgen mancher dunkeln Begebenheit, noch ehe sie sich ganz entwickelt hatte. Oft ermunterte ein kleiner Vorfall seine ganze Geschäftigkeit, und noch öfter blieb er ruhig, wenn nach dem Urteil des großen und kleinen Pöbels ein Ungewitter aufzog.

Alle Kräfte, die Europa zerrütten oder die es beruhigen konnten, die Macht und Ohnmacht seiner Völker und Fürsten, hatte Bernstorff durch eine lange Erfahrung zuverlässig zu schätzen und zu vergleichen gelernt.

Das Verdienst eines Staatsmannes ist alsdann ohne Widerspruch entschieden, wenn der Hof, dem er dient, auch mit weniger Gewalt unter den mächtigsten Höfen eine ehrenvolle Stelle behauptet, wenn man seine Wünsche unterstützt, wenn man ihm mit Achtung und Würde begegnet. Dänemark hatte unter Bernstorffs Verwaltung mehr Einfluß als zu irgendeiner Zeit in die größten Angelegenheiten der Welt. Selbst Staaten suchten seine Freundschaft, die kein natürlich Interesse dazu antreiben konnte; des Königs Stimme war ehrwürdig auch an größeren Thronen, sein Rat wurde nie ohne Achtung gehört und gab öfters zum Wohl fremder Völker den Ausschlag.

In einem bedenklichen Zeitpunkt des Krieges, der vor wenig Jahren Europa verheerte, wählten zwei mächtige Heere Dänemark zum Mittler, um einen Vergleich zu stiften, der damals für den einen Teil wichtig werden konnte, hätten ihn nicht Ferdinands Siege, noch ehe er zustandekam, überflüssig gemacht. In den polnischen Unruhen hat das Vorwort dieses Hofes die Rechte der Dissidenten mit erwünschtem Erfolg unterstützt, und zwei dänische Minister in Württemberg haben unter den Ständen und ihrem Fürsten eine glückliche Aussöhnung vorbereitet.

Bernstorff stiftete nicht Bündnisse allein, sondern Freundschaften unter Monarchen. Ich nenne die Verbindung zwischen Rußland und Dänemark mit diesem unter den Großen der Erde so ungewöhnlichen Namen, denn kein anderer drückt so bündig die Gesinnungen der unsterblichen Kaiserin aus, welche über große Geschäfte des Staats alle Empfindsamkeit ihres menschenfreundlichen Herzens verbreitet.

Solange Friedrich regierte, war ganz Europa mit Dänemark einig; dies Reich genoß einer ungestörten Ruhe. Hätte Friedrich den Ruhm, der Königen schmeichelt, Eroberungen mehr als das Glück seiner Untertanen geschätzt, so fehlte es in dem letztern Kriege nicht an Veranlassungen und glücklichen Aussichten. Es war beinahe seiner Wahl überlassen, auf welche Art er die allgemeine Zerrüttung zu seinem Vorteile nützen wollte. Trat er gegen Preußen auf der Verbundenen Seite, so gab er vielleicht der Übermacht den Ausschlag und konnte Belohnungen fordern, die alle Wünsche des Eigennutzes befriediget haben würden; war er mehr von der Ehre gereizt, dem Unterdrückten zu Hülfe zu eilen, so war auch da der Preis des Sieges nicht fern, und es ist endlich Zeit, riefen selbst Patrioten, daß Dänemark nach einer langen Ruhe sich wieder in den Waffen übe. Ein beständiger Friede entnervt die Nation, und nur in den Stürmen des Staats erheben sich mächtige Seelen, deren Beispiel wieder ein ganzes Menschenalter hebt. Aber Friedrich liebte sein Volk. Der Gedanke, daß der Tod vieler Tausend ebensoviel sanfte Bande der Menschlichkeit trennt, wog in seinem Herzen alle Scheingründe des Ehrgeizes auf. Er strebte nicht nach Verdiensten, die nur ein allgemeines Elend entwickelt; er dachte groß genug, um lieber weniger zu glänzen, als weniger wohltätig zu sein. Er haßte den Krieg, ich darf es zum Ruhm seines Herzens gestehen; aber ganz Europa war Zeuge, daß er ihn nicht gefürchtet hat. Denn wir sahn ihn einem sieggewohnten Volk entschlossen entgegeneilen, als es darauf ankam, die Ehre seiner Krone zu behaupten, und auch Bernstorff trat dieser edlen Entschließung mit einer feurigen Tätigkeit bei, so mächtig er auch von dem ganzen Gefühl der bedenklichen Folgen durchdrungen war. Bernstorff hat also seiner Neigung zum Frieden nie größere Pflichten geopfert, und er, der Verdienste ums Vaterland mit einer warmen Empfindlichkeit ehrte, verdient den ungerechten Vorwurf nicht, daß er den Soldatenstand angefeindet habe. Es ist wahr, er unterschied die hohen Pflichten dieses Standes von den Forderungen einzeler Glieder desselben, die, durch Leidenschaften und Vorurteile verleitet, gleich jeden Hof zum Lager und jedes Volk zum Heer umschaffen möchten. Er glaubte, daß es Dänemark weniger als irgendeine andere Macht nötig habe, unter einer beständigen Rüstung zu wachen, da es durch Meere, die mit einer ehrwürdigen Flotte bedeckt sind, von fremden Eroberern getrennt wird, da sein Erbrecht durch eine Folge von Jahrhunderten heilig ist, da dieser Staat nicht aus Trümmern anderer Staaten besteht, die, durch Gewalt unterworfen, auch durch eine fortgesetzte Gewalt behauptet werden müssen.

Bernstorff schlummerte darum nicht bei nahen und fernen Gefahren, und seine Fürsorge schränkte sich nicht auf die Zeit seiner Staatsverwaltung ein, sondern auch für eine lange Zukunft wollte er Dänemark einer dauernden Ruhe versichern.

Darum arbeitete er mit immer gleichem Eifer an einer Vereinbarung mit Rußland, um den unglücklichen Zwist im Norden und die Ansprüche eines Zweiges des holsteinischen Hauses auf ewig zu entscheiden. Alle Hindernisse reizten seinen Fleiß, und er ermüdete nicht, sooft auch seine Hoffnung eines glücklichen Ausgangs getäuscht ward. Ein Vertrag, der angefochtene Rechte bestätigen, die selbständige Macht von Dänemark erhöhen und einen künftigen Krieg abwenden konnte, schien ihm der Triumph seines mühsamen Lebens und die höchste Belohnung einer segnenden Vorsehung zu sein.

Es war nicht in ihrem Ratschluß, daß Bernstorff den Tag sehen sollte, der der schönste seines Lebens gewesen sein würde, an welchem Katharina, die Wohltätigste unter den wenigen Großen, deren Übermacht die Erde beglückt, ihrer Zeit und der künftigen Friede verlieh, als sie, unter Siegen, wohin ihr die Geschichte kaum folgt, im Osten Königreiche zurückgab, im Norden Provinzen austeilte und alle Zweige ihres Heldenstamms durch ein neues Band der Großmut vereinigte. Aber Bernstorff verdient darum nicht weniger der Nachkommen Dank. Denn er hat das große Geschäfte eingeleitet und auch bis auf die Erfüllung der Zusagen vollendet. Der Traktat war schon bei seinem Leben geschlossen, nur konnte man ihn nicht ohne die gesetzmäßige Beistimmung des russischen Thronerben und des Erbprinzen von Dänemark vollziehn, deren erste Handlung als Fürsten eine Handlung der Großmut und Menschenliebe war, denn sie opferten willig eigene Vorteile dem allgemeinen Wohl auf. Der Erbprinz Friederich entsagte der Koadjutorschaft von Lübeck.

Bernstorff hat also den Baum gepflanzet, gewartet und begossen, der nun ein gerettetes Menschengeschlecht gegen Stürme beschützt und durch seinen Schatten erquickt. War ihm nie ein ander Unternehmen gelungen, so müßte ewig sein Name in der Geschichte von Dänemark leuchten. Aber wenn es der wichtigste Dienst dieser Art war, so war es doch der einzige nicht; denn auch das Herzogtum Plön hat er durch Verträge mit der Krone vereinigt.

Das Verdienst eines Ministers in auswärtigen Geschäften bleibt oft, wie die Geschäfte selbst, ein Geheimnis; aber alles, was er im Staat anordnet, geschieht vor den Augen der Nation, und noch heller strahlte hier Bernstorffs menschensegnende Tugend; hier kam es unmittelbar auf das Glück der Untertanen an, und jede Verfügung trug das Gepräge seines Herzens. Dennoch verstand er es sowenig als irgendein Sterblicher, allen Launen zu schmeicheln und widersprechende Wünsche zu vereinigen, und man hat seine Verwaltung oft mit aufrichtigem Unverstand, öfter mit voreiligem Leichtsinne getadelt. Es sei mir erlaubt, über den allgemeinen Vorwitz, Minister zu richten, meine Gedanken zu äußern. Erwägt man es auch genug, was es sei, eine so verwickelte Einrichtung, als es jede Staatsverfassung ist, dieses weitläuftige Räderwerk mit einem Adlerblick durchzuschauen, gegeneinander würkende Kräfte zu einer Absicht zu lenken, in dem Gedränge wichtiger Geschäfte nie die Waage des Rechts, nie den Faden der Ordnung zu verlieren, gerecht ohne Härte, gütig ohne Schwachheit zu sein, ferne Stürme abzuwenden, neue Segensquellen zu öffnen, Königen zu raten, Länder zu beglücken?

Alles das wird von dem Staatsmanne gefordert. Aber die Kunst zu regieren ist nicht auf untrügliche Grundsätze gebaut; sie besteht aus einer Menge dunkler, verworrener Aufgaben, die bei jeder Veränderung der Zeit und der Umstände anders bestimmt, anders aufgelöset werden müssen. Selten läßt sich eine Würkung zuverlässig berechnen; zuweilen ist es bloß Gefühl des Genies, die besten Maßregeln zu wählen, oft nur ein Zufall, wenn sie gelingen. Die weisesten Entwürfe, wenn der Erfolg sie vereitelt, werden Torheiten ähnlich. Es gibt keine Handlung, auch des größten Ministers, die ein Gleichgültiger nicht zum Fehltritt, die ein Feind nicht zum Verbrechen deuten könnte; und wären wir auch über allgemeine Forderungen einig, so kennen wir doch, diesseits des Vorhangs, alle Hindernisse nicht, die den Staatsmann in seiner Tätigkeit fesseln. Wir wissen vielleicht, daß er von Verhältnissen abhängt; aber wir entdecken nicht alle Gelenke der Kette vom Hofe herab durch Departementer und Familien; uns sind mancherlei Kräfte des Widerstands verborgen, die alle nach verschiedenen Richtungen würken; wir kennen weder die Schwachheit der Freunde eines Staatsmanns noch den Grad des Einflusses seiner Neider. Ja selbst in der Nähe des Throns, mit allen diesen Geheimnissen vertraut, sind wir zum Urteilen nicht immer fähig oder unparteiisch genug. Erziehung, persönliche Verbindungen, Geschäfte und Schicksale des Lebens bilden unsere Art zu sehen und zu empfinden. Wir erheben unsere Vorurteile zu Maximen, und hiernach verdammen oder billigen wir. Noch ist ein Staatsmann glücklich zu preisen, der keinen Tadel schlimmerer Art als diesen erfährt. Aber es gibt in jedem Staat einen mißvergnügten Haufen, der weniger ehrwürdig ist, der jeden Schritt der Regierung mit einem dumpfen Getöse begleitet und sich nie einen Laut des Beifalls erlaubt. Es gibt furchtsame, kränkliche Seelen, denen alles landverderblich vorkömmt, was von der Weise ihrer Väter abweicht. Andere zürnen, daß man ihren Rat nicht begehrt, daß man ihre Talente nicht auffordert; sie wollen durchaus im Gedränge bemerkt sein, wär es auch nur durch ihre Klagen.

Endlich so herrscht zwischen dem Minister und dem Höfling selten ein gutes Vernehmen, weil der Mann, der sich fühlt, dem Geschöpfe der Gunst nicht huldigt, das sich zwar um ein Band zu seinen Füßen windet, aber schnell, auf den neuen Puppenstaat stolz, sich über seinen engen Ideenkreis aufbläht und Geschäfte, die ihm ganz unverständlich sein müssen, mit einer abenteuerlichen Dreistigkeit meistert.

So verächtlich auch manche dieser Urteile sind, so sammlen sie sich doch nach und nach zum Gewimmer, das durch die ganze Nation widerhallt und den Pöbel im Palast und in der Hütte übertäubt, und nur die klagende Stimme, nur das Seufzen der Unzufriedenen wird gehört; denn der Glückliche schweigt und glaubt den Erfolg seiner Wünsche seinem eigenen Verdienste schuldig zu sein, und die größere Zahl ist ein leichtsinniger Haufe, der sich ohne Gründe zum Lob und ohne Gründe zum Tadel bestimmt. Darum hat so selten ein verdienstvoller Mann bei seinem Leben des Dankes genossen, der seiner Tugend gebührte; darum wurden Colbert und Sully gehaßt, mitten unter der Arbeit ihrer ewigen Taten. Auch Bernstorff entrann diesem Schicksal nicht immer. Ich behaupte seine Unfehlbarkeit nicht, aber man sollte große Männer mit mehr Bescheidenheit richten, deren Einsicht und Tugend unsere Ehrfurcht verdient und deren Irrtümer außer unserm Augkreise liegen.

Unter den Vorwürfen, welche man Bernstorff gemacht hat, ist jedoch einer, der eine nähere Betrachtung verdient; denn auch Redliche haben ihn oft wiederholt, und er schallt noch zuweilen um sein Grab. Er hat nämlich, wie man behauptet, alle Arten der angenehmen Emsigkeit, alle Künste des Geschmacks und des verfeinerten Lebens, über das Vermögen des Landes, ermuntert; er hat in Dänemark die Üppigkeit eingeführt, sie begünstiget und ausgebreitet.

Die Beschuldigung hat unter dem nordlichen Himmel immer ein patriotisches Ansehen. Die Natur fesselt Menschen und Sitten an das innere Vermögen ihrer Erde, und diese hat dem dänischen Volke nicht Gold, sondern Eisen verliehn. Ihre Väter entbehrten die Erfindung unserer Zeit, die Wollüste südlicher Sklaven; dahingegen waren sie tapfer und stark. Ihre Kleidung und Speise war die Beute ihrer Jagd, und sie segelten unter Stürmen immer neuen Siegen entgegen.

Aber die Welt ist der Welt unserer Väter nicht mehr ähnlich. Damals war kriegerische Tugend das einzige Verdienst der Nationen. Die nordliche Halbkugel war von keiner Wissenschaft erleuchtet, und gegen einzele große Taten, die darum heller glänzten, weil sie im Finstern erschienen, war die Erde mit Lastern und Verwüstung bedeckt; ein Zustand, der unsern Neid nicht verdient.

War indessen noch jetzt ein Land von allen andern durch unwegsame Grenzen abgesondert, hätten seine Bewohner nie die Lüste fremder Völker gekostet und nie mit neuen Kenntnissen auch neue Begierden erworben: so hätte freilich kein Luxus der erleuchteten oder verdorbenen Völker ihre Hütten erreicht, und die Frage mag den Witz eines Sophisten beschäftigen, ob ein solches Volk nicht glücklicher als ein gesittetes sei.

Aber sobald der Sophist vergleicht und empfindet, so söhnt er sich wieder mit der allgemeinen Vernunft aus. Ihm grauet alsdann vor dem Ideal seiner Welt, das noch in mancher Insel des Südmeers übrig ist, wo Geschöpfe, wie Menschen gestaltet, keine andere als tierische Bedürfnisse fühlen und, wenn diese befriedigt sind, nicht aus ihrer Felsenkluft kriechen. Alle Kräfte des gesellschaftlichen Lebens haben sich schon lange vereinigt, um ein so dürftiges Glück von der veredelten Erde zu treiben. Die Neugier, das Verlangen nach Reichtum und Ruhm, die Wissenschaften und der Handel haben unter fernen Nationen einen vertraulichen Umgang gestiftet und Erfindungen, Bequemlichkeiten, Neigungen und Sitten in einen allgemeinen Umlauf gesetzt. Ein Volk unterrichtet das andere und zündet seinen Wetteifer an; einigen verleiht die Natur ohne Mühe, was andern ihr Fleiß nur sparsam gewährt; alle streben nach dem Grade der Glückseligkeit, den die Vorsicht nur wenigen zugeteilt hat.

So bildet sich endlich, langsamer oder schneller, der Geist aller Völker; der Strom rauscht unaufhaltsam daher und droht nicht immer mit Verwüstung, sondern kündigt Fruchtbarkeit an, wenn ihn nur ein kluger Staatsmann in die rechten Kanäle zu leiten versteht, wenn er die Neigung zum Vergnügen, diese Urkraft alles menschlichen Bestrebens, zur Triebfeder eines nützlichen Fleißes anwendet, wenn er ein ermuntertes Volk dahin leitet, daß es sich aus den Fesseln fremder Tätigkeit reißt und selbst seines Glückes Schöpfer wird.

Der Luxus, der dadurch veranlasset oder genährt wird, ist kein Übel, sondern die höchste Gesundheit des Staats, dessen Nerven ihre äußerste Federkraft üben. Alsdann stockt der Nahrungssaft nirgends, keine Materie bleibt unnütz, weder Kinder noch Greise sind müßig, der Geschmack reift, der Verstand klärt sich auf, die Künste veredeln die Natur, die Wissenschaften mildern die Sitten, die Menschlichkeit und der Duldungsgeist gehn aus den Zimmern der Weltweisen hervor und nähern sich dem Thron, das Land wird verschönert, die Einwohner erleuchtet.

Freilich droht auch mitten im Wohlstand ein künftig Verderben: je mehr ein Volk seine Begierden und ihre Befriedigung verfeinert, je mehr es im Frevel des Witzes und im Kennergeschmack sinnlicher Freuden zunimmt, je mehr verliert es an Würde der Sitten, an Stärke der Seelen, und je schneller eilt es dem Untergange zu; aber man kämpft umsonst gegen das Schicksal aller Staaten, welche die Vorsehung, wie die ganze Natur, durch ähnliche Perioden, von der Blüte zur Reife, von dieser zum Verwelken und Abfallen führt und endlich, zur Nahrung einer neuen Entwickelung, im allgemeinen Chaos begräbt.

Nur frägt man; ob wir nicht berechtiget sind, von der Weisheit der Regierung Mittel zu erwarten, um eine so traurige Epoke zu entfernen, und ob es in ihrer Macht nicht steht, der Üppigkeit Grenzen zu setzen, wenn sie auch ihrem Einbruch nicht wehren kann. Allerdings. Damit aber keine nützliche Verfeinerung, kein zulässiger Genuß aus kleinmütiger Furcht ungewisser schädlicher Folgen zugleich mit verdrängt werde, kommt es vorläufig auf die schwere Bestimmung an, was schädlicher Luxus sei. Ein Begriff, der in verschiedenen Zeiten und Staaten nicht ein Menschenalter durch der nämliche bleibt. Unsre Väter fanden eine Pracht unter Fürsten gefährlich, die nun ohne Nachteil des Staats zum Bürger herabgesunken ist. Ein Einwohner von London und Paris findet in keiner nordischen Hauptstadt ein üppiges Leben, auch ist es ungewiß, welchen Grad des Wohllebens sich endlich selbst ein von der Natur wenig begünstigtes Volk erlauben darf, wenn alle seine Kräfte zweckmäßig arbeiten.

Ein Staatsmann verfehlt zuverlässig den Endzweck, wenn er allzu streng gegen einzele Beispiele der Üppigkeit eifert, deren Würkung im ganzen vielleicht unmerklich ist; aber das Buch der Nation mit allen handelnden Völkern muß offen vor ihm liegen, er muß ihr Vermögen gegen den Reichtum andrer zu berechnen, er muß richtig zu beurteilen verstehn, was ihr, unter verschiedenen Zeiten und Umständen, vergönnt werden kann und was ihr versagt bleiben muß. Wiewohl auch diese Künstelei vielleicht nur als Wehrmittel notwendig ist, solange die Handlungs-, Polizei- und Staatsökonomie der reichsten Nationen ausschließenden neidischen Grundsätzen folgt und sich gegen das Eindringen fremder Tätigkeit durch eine Menge verwickelter Gesetze verschanzt, so müssen andere nachahmen, um nicht allzu abhängig zu werden. Es dürfte wohl nicht schlimmer in der Welt aussehn, wenn mehr allgemeine Freiheit im Handel herrschte, denn alsdann würden nur Fleiß und Geschick den Vorzug bestimmen.

Und so hat auch Bernstorff Gesetze gegen ein so gefürchtetes Übel veranlaßt. Man hat fremde Waren und Erfindungen der Üppigkeit entweder ganz untersagt oder doch mit hohen Abgaben beschwert und dadurch der Verschwendung des Staats im allgemeinen gesteuert; aber der eifrige Patriot ist damit noch nicht zufrieden. Er fordert Prachtgesetze; er verlangt nichts Geringers, als über die Sitten zu herrschen; die Kleidung, die Wohnung, die Lebensart des Volks soll durch Verordnungen eingerichtet werden.

Wenn eine solche Enthaltsamkeit kleinen Republiken heilsam ist, die nur durch eine strenge Sparsamkeit dauern, so folgt ein größerer Staat billig andern Grundsätzen, und eine ganze Nation kann nicht wie ein Haufen Mönche behandelt werden, oder man meidet ein Land, wo so mancher Genuß unerlaubt ist, den keine Tugend mißbilligt, und wo auch ein unschuldig Vergnügen den Eigensinn der Gesetze fürchten muß.

Gegen alle Verordnungen dieser Art hat sich immer Bernstorff erklärt. Auf dem mühseligen Pfad dieses Lebens sind wir schon unter so viel erkünstelte Pflichten gebeugt, daß ein solcher Zwang unerträglich werden würde. Wo ist noch ein Schatten von Freiheit, wenn auch in unsern Hütten und bei unserm häuslichen Mahl ein Strafgesetz droht, wenn auch da die Sklavenfessel klirrt?

Dafür gab er, wie sein König, ein Beispiel, das mächtiger auf die Sitten des Volks als Vorschriften würkt. Friedrich der Fünfte lebte an seinem Hofe nicht prächtig, und Bernstorff hat durch seinen Wandel gezeigt, daß sich die Neigung zum angenehmen Leben auch mit der reinsten Tugend vertrage. Er hat den Luxus befördert, insofern er Dänemark glücklich machte; doch war es nicht Endzweck, sondern Folge, die von einem größern Wohlstand und einer geläuterten Empfindung des Schönen unmöglich getrennt werden kann.

Auch ein Patriot und ein Weiser darf wünschen, daß ein solcher Luxus noch mehr zunehmen möge; denn bis jetzt ist er allein in die Mauern der Hauptstadt eingeschränkt, wo Ehrgeiz, Rangsucht und Begierde zu glänzen zu einer Prachtliebe reizen, die selten würklichen Reichtum anzeigt.

Nur um innerlichen allgemeinen Wohlstand durch eine größere Tätigkeit auszubreiten, setzte Bernstorff alle Kräfte der Nation in Bewegung. Darum hat er verjährten Vorurteilen getrotzt und dem Dank seiner Zeitgenossen entsagt; darum rief er Fremde nach Dänemark und belohnte ihre Talente mit Großmut. Wer diese Handlungsart tadelt, überlegt nicht, daß eine allzufrühe Selbstgenügsamkeit, wie der Aberglaube, an die Mittelmäßigkeit fesselt, daß es einerlei ist, ob man die Künste des Ketzers verabscheut oder die Erfindungen des Fremden verachtet, daß ein kluges Volk Weisheit holt, wo man sie findet, und sich nicht schämt zu lernen, wenn es den Mut fühlt, seine Lehrer zu erreichen. Darum sind auch in der Indigenatsverordnung Lehrer und Künstler ausgenommen, und der König hat sich, bei wichtigen Fällen, noch andere Ausnahmen vorbehalten.

Ich kann einräumen, daß Bernstorff sich oft in manchem seiner Entwürfe in der Ausführung irrte, daß ihn zuweilen Betrüger hintergingen, weil er gern an die Redlichkeit glaubte, daß er, voll von dem Gedanken eines nützlichen Anschlags, Besorgnissen weniger als Hoffnungen nachhing und nicht immer Schwierigkeiten strenge genug erwog, daß er, um ein gutes Werk mit Nachdruck zu befördern, oft freigebiger als sparsam mit den Mitteln des Staats war. Ich gebe zu, daß ihm der levantische Handel, die Afrikanische Compagnie Die er nur fortgesetzt, nicht eingerichtet hat. und manche Fabriken mißglückten; aber der Wert allgemeiner Anstalten wird nicht durch das Schicksal einzeler Versuche, sondern durch ihre Würkung im ganzen entschieden. Es kömmt nicht darauf an, ob sie sämtlich gelingen, sondern ob ihr Endzweck die Wohlfahrt des Staats war, ob sie mit den Fähigkeiten der Nation übereinstimmten, ob die Tätigkeit derselben in dem Gleise ermuntert wurde, den ihr die Natur vorgezeichnet hat. Das nur ist die Frage des Weisen, und hierüber allein muß sich Bernstorff verantworten.

Bei Unternehmungen, die erst in Jahrhunderten reifen, darf man nicht gleich Früchte begehren, nicht gleich Einkünfte fordern. Erst die Nachwelt wiegt mißlungene Versuche gegen die Folgen der glücklichen ab, und wer für die Ewigkeit arbeitet, kann nicht mit seinen Zeitgenossen rechnen.

Für die nordischen Völker sind Gewerbe zur See ein Beruf der Natur, denn sie sind von Jugend auf mit ihren Gefahren vertraut; darum begünstigte Bernstorff jeden wahrscheinlichen Entwurf, um die Schiffahrt auszubreiten; darum hat er den Handel in allen Gegenden der Erde versucht, der die Schiffahrt nährt und belohnt. Er erlebte die Freude, daß Dänemark seine Geschäfte immer mehr unmittelbar trieb und sich aus der Gewalt eigennütziger Unterhändler riß. Es hörte zu seiner Zeit auf, den Hanseestädten zinsbar zu sein; es holt nun seine Bedürfnisse selbst aus allen Häfen der Welt, und Norwegen führt seinen Überfluß auf eignen Schiffen fremden Käufern zu. Auch die Frachtschiffahrt nahm unter seiner Verwaltung durch seine Aufmunterung zu. Die dänischen Seefahrer hatten sich im letztern Kriege das Vertrauen aller Völker erworben. Sie unterhielten, unter dem Schutz der Neutralität, die zerrissenen Bande der Menschlichkeit und brachten dem Vaterlande jährlich nicht viel weniger als eine Million fremden Geldes und zur See geübte Landeskinder zurück. Diese Schiffahrt würde belohnender sein, wenn sie ohne die Freundschaft der Barbaren möglich wäre, die schon zu lange eine ruhmlose Handlungseifersucht gegen die vernünftige Rache aller, Völker geschützt hat.

Kein Zweig des Fleißes hat sich schneller in dieser Zeit ausgebreitet als der westindische Handel. Die dänischen Inseln dieses Weltteils schmachteten unter der auszehrenden Gewalt einer Compagnie, die gemeiniglich ihre Kolonien wie eroberte Länder behandelt und sich mit keiner Ernte begnügt, sondern Beute verlangt. Der Zuckerbau ging langsam vonstatten, und der größte Teil dieser freigebigen Erde lag unbevölkert und öde, als Friedrich der Fünfte sich zur königlichen Handlung ohne Beispiel entschloß, der Gesellschaft ihr ausschließendes Recht abzukaufen und seinen Untertanen die Freiheit dieses Handels zu verleihn. Nun erwachten die verschloßnen Kräfte der Natur; die Freiheit goß ein neues Leben in die Geschäftigkeit der Kolonisten und der Kaufleute des mütterlichen Landes. Der Anbau und die Ausfuhr nahmen verhältnismäßig zu. Von vier mit Zucker beladenen Schiffen, die man jährlich in Dänemark einlaufen sah, ist die Anzahl bis auf fünfzig gestiegen; anstatt daß sonst kaum die Hauptstadt versorgt war, versieht sie nun schon mit ihrem Überfluß manche Handelsstädte des Baltischen Meers.

Auf Manufakturen wandte Bernstorff zwar eine unermüdete Aufmerksamkeit, aber mit abwechselndem Glücke; denn es ist ein undankbares Unternehmen, gegen den Ruf geübter Fabriken zu kämpfen, oder es müssen sie mächtige Revolutionen aus einem Lande in das andre drängen. England und Deutschland sind ihre besten Fabriken den französischen und spanischen Verfolgungen schuldig. Ein glücklicher und geachteter Künstler verläßt sein Vaterland nicht, und dürftige Überläufer verdienen selten, daß sie ein ander Land aufnimmt oder Auslagen mit ihnen auf ein ungewisses Spiel setzt.

Wenn nun auch die erste Materie mangelt, wenn das Land weder Meister noch Werkzeuge liefert und sich der ganze Gewinst auf Arbeitslohn einschränkt, alsdann ist der Endzweck nicht wichtig genug, und die Natur scheint dem Lande diese Gattung des Fleißes untersagt zu haben.

Dennoch hat Bernstorff einige dieser Hindernisse glücklich überwunden. Manche Manufakturen haben sich, an innerm Wert und äußerer Schönheit, den fremden genähert; wenigstens ist ein Same ausgestreut, der zu künftigem Segen reifen kann.

Alle Fabriken wären, glaubt man, besser gelungen, hätte man sie nicht in der Hauptstadt angelegt, wo die Bedürfnisse des Lebens allzu teuer sind; aber man sollte sich aus der Geschichte belehren, daß Manufakturen, sobald sie Geschmack und Schönheit erfordern, immer in großen Städten entstanden sind. Da nur ist Wetteifer, Lob des Kenners und Belohnung der Reichen. Wenn nun gar die Regierung die Kosten allein trägt, wenn sie den Fabrikanten durch Preise, durch ausschließende Rechte und Vorschüsse begünstigt: so muß es unter ihren Augen geschehn. In einem mit Wasser umflossenen Lande, dessen Küsten nicht alle bewacht werden können, ist es leicht, fremde Arbeit einzubringen, sie für Produkte einer inländischen Manufaktur auszugeben und derselben unverdiente Befreiungen und Preise zuzueignen, noch leichter, im unbeobachteten Müßiggang den Vorschuß des Staats zu verschwenden. Anders verhält es sich freilich mit Manufakturen, die sich von selbst in einem unfruchtbaren, aber stark bevölkerten Lande bilden; alsdann wird die Armut die Mutter eines erfinderischen Fleißes, der besser als die weisesten Anstalten gelingt und sich selten von seinem Geburtsort entfernt. Aber der Ackerbau, die Fischerei und die Schiffahrt können noch keine Hände in Dänemark entbehren. Jedes Volk wendet sich in der Ordnung der Dinge nur dann erst zur künstlichen Industrie, wenn die Natur ihre Wohltaten weigert. Solange es noch seine Nahrung der Erde und dem Meer abgewinnt, läßt es sich nicht an den Webstuhl fesseln, sondern zieht einen mit Freiheit und Gesundheit verbundenen Beruf einer kränklichen und einförmigen Lebensart vor.

Die Künste fanden in Bernstorff einen Beschützer, die Wissenschaften einen Kenner und Belohner; sie wandeln immer Hand in Hand und veredlen den Genuß und das Glück unsers Lebens. Er verband, um ihren Flor zu befördern, seine Bemühung mit dem Eifer des Staatsmanns, den sein König wie einen Freund geliebt hat und der Der Graf von Moltke. (die Mißgunst leugnet es nicht) seine Macht nur um wohlzutun übte. Der Einigkeit dieser beiden Minister hat die Nation den schnellen Fortgang ihres Geschmacks zu verdanken. Die Akademie der Künste, eine Einrichtung zur Ausbreitung der natürlichen Geschichte und die botanischen Anstalten wurden gestiftet. Saly und Chardin wurden königlich belohnt, sie, die, ganz von dem Geiste des Altertums genährt, auch in der schönsten Zeit von Italien geglänzt haben würden. Ihr Unterricht hat würdige Schüler gebildet, und ihre Werke lehren die Nachkommenschaft.

Klopstock und Cramer und von Berger, der Arzt, oder nenn ich ihn lieber mit einem mir viel teurem Namen Berger, der Freund aller leidenden Menschen, wurden sämtlich durch Bernstorff gerufen, von ihm geliebt und durch seinen König belohnt. Niebuhr ward durch seinen Schutz aufgemuntert, den Verlust seiner unglücklichen Reisegefährten durch sein bescheidenes Werk zu ersetzen. Auch wichtige Unternehmungen auswärtiger Gelehrten hat Bernstorff unterstützt; denn die Sache der Wissenschaften ist ein allgemeines Geschäfte der Menschlichkeit. Er unterhielt mit den berühmtesten einen beständigen Briefwechsel und schritt mit den Kenntnissen seines Zeitalters fort. Unter dem Gedränge seiner täglichen Pflichten gewann er Zeit, um wichtige Werke mit der Aufmerksamkeit eines Kunstrichters zu lesen. So hat er Klopstocks »Hermann«, noch eh er gedruckt ward, geprüft und Schlegels »Geschichte der Könige des oldenburgischen Hauses« im Manuskript mit eigenhändigen Anmerkungen begleitet.

Auch der Lieblingsgedanke unsers Jahrhunderts, die Verbesserung der Schulen, war eine Angelegenheit seines Herzens; aber dies ist nicht die Arbeit nur einer Regierung, nicht eines Jahrhunderts, und es scheint nicht, daß ein völliger Umsturz vorhandener Verfassungen das Geschäft erleichtert. Jede Verbesserung der gesellschaftlichen Ordnung schreitet nicht durch Sprünge, sondern stufenweise fort und kämpft lange mit den Vorurteilen und den Umständen der Zeit. Durch Statuten wird etwas, aber wenig gefördert, denn wer kann Weisheit und Tugend verordnen? Es ist nicht genug, Lehrer zu erleuchten, auch die Eltern müßten erst mehr aufgeklärt sein, damit nicht der häusliche Eindruck die Würkung des Schulunterrichts schwäche, damit nicht eine Kraft die andere zerstöre. Bernstorff tat wenigstens einzele Schritte und bereitete größere Entwürfe vor, deren Ausführung einer künftigen Welt vorbehalten bleibt.

Noch war er mit einem Geschäfte beladen, das selten der Mächtige wählt und das ihm gewiß der Neid nicht mißgönnte, ich meine die Aufsicht über die Versorgung der Armen. Ihre Seufzer dringen nicht in die Paläste der Großen, oder diese wenden ihr beleidigtes Ohr weg. In Hospitälern, die oft mehr der Ehrgeiz als das Mitleiden stiftet, wohnt ein glänzendes Elend, stolze Aufseher schwelgen, und die eingesetzten Erben verschmachten. Aber das Hospital, welches Friedrich stiftete und Bernstorff und Berger eingerichtet haben, befriedigt die Wünsche des Menschenfreunds; Kranke werden daselbst mit einer so wohlgeleiteten Sorgfalt verpflegt, daß Begüterte von allen Ständen die Wartung dieses Hauses der Pflege ihrer eigenen Familie vorziehn. Hiermit ist eine Anstalt zur unentgeltlichen Geburtshülfe verbunden, welche die Fehltritte der Menschlichkeit verbirgt und dem Staat manchen tüchtigen Bürger erhält. Auch das Erziehungshaus in Christianshaven, das dem Unterricht dürftiger Knaben in bürgerlichen Kenntnissen gewidmet ist, war in König Friedrichs Regierung eingerichtet, und Christian der Siebente hat alle diese wohltätigen Anstalten durch das Allgemeine Hospital unter Bernstorffs Verwaltung vermehrt.

Ich könnte nächst nach den königlichen Wohltaten Bernstorffs eigne Freigebigkeit rühmen; denn er teilte mehr als seinen Überfluß aus; aber ich will die Geheimnisse der Menschenliebe nicht verraten, die er sorgfältig dem Auge der Welt und nicht selten dem geretteten Elenden verbarg. Es ist auch kein Beispiel, das zur Nachahme reizt, wenn ich anführte, daß ein Viertel seiner Amtseinkünfte das Erbteil der Dürftigen war. Ihre Tränen flossen, als er Dänemark verließ, ihre vielvermögende Tränen vor Gott.

Die bürgerliche Verfassung der deutschen Provinzen war insbesondere Bernstorffs Aufsicht anvertraut, und daselbst wird noch lange sein Angedenken blühn; alle Stände segnen seine Verwaltung, die Kirche verdankt ihm Ansehen und Schutz, die Gerichte weise Gesetze, die Untertanen ein zufriednes Leben.

Er verlangte, daß die herrschende Religion in ihrer Reinigkeit gelehrt werden sollte, weil Vernünftelei und Polemik den großen Haufen nicht bessert; aber darum war er keinen Zweiflern gehässig, nicht gegen ihre Verdienste unempfindlich. Es fiel seinem Herzen nicht schwer, Orthodoxen und Irrende zu ehren, den erleuchteten Cramer zu lieben und den redlichen Basedow zu schätzen, die aufrichtigen Anhänger aller Religionen als seine Brüder zu ertragen.

Bei Besetzung geistlicher Ämter zog er immer den Mann von unsträflichem Wandel, der durch sein Beispiel zur Nachahmung reizt, dem größern Gelehrten vor, und von den Gerichten forderte er Recht, wie solches der Menschenfreund austeilt, der niemals vergißt, daß sein Amt nicht die Geißel, sondern der Trost unsers Lebens sein sollte, und der, wenn er straft, mit den Tränen des Verurteilten die seinigen mischt. Jeder Spruch in bürgerlichen Fällen war ihm heilig. Er verschloß zwar keiner Bitte den Zugang zum Thron, und oft drang sich eine unbescheidene durch, vielleicht ward auch zuweilen seine Einsicht getäuscht; aber immer blieb es sein unveränderlicher Grundsatz, daß ein Minister kein Gesetzerklärer sein müsse. Was ein Kollegium redlicher Männer gemeinschaftlich durchgeforscht hat, wird selten ein einzeler Mann, auch mit vorzüglichen Gaben, aber durch größere Geschäfte zerstreut, geduldiger, gründlicher prüfen, billiger und gerechter entscheiden; und sobald man Urteile durch Machtsprüche ändert, so sind Freiheit und Eigentum, die ersten Rechte des Bürgers, dem Einfluß der Gewalt oder der Gunst unterworfen.

In Bernstorffs Zeit ist eine Menge heilsamer Verordnungen erschienen. Einige setzen dem verwüstenden Gang der Schikane engere Schranken, ohne daß jedoch diese Hyder des Unglücks, die in allen ihren abgehauenen Enden wieder auflebt, ganz gebändigt werden konnte; andere haben die gerichtlichen Eide vermindert und sie dadurch ehrwürdiger gemacht; eine hat dem mannigfaltigen Betrug der Gewinnsucht im Handel gesteuert und mit scharfsinniger Billigkeit in beiden Königreichen einerlei Maß und Gewicht eingeführt; eine andere, unter dem Namen der Hebammenordnung, hat gefährliche Mißbräuche ausgerottet und das Verfahren der Wehmütter der Aufsicht vernünftiger Ärzte unterworfen.

Die Heerstraßen in Seeland, welche denen in Frankreich und England nicht an Pracht und Bequemlichkeit weichen, und die Postanstalten in Holstein ist man nicht weniger Bernstorffs Vorschlägen schuldig. Jeder Gedanke, nützlich zu sein, war seinem Herzen willkommen. Ich sondre aus der Menge seiner weisen Anstalten nur diejenigen aus, die durch ihren Einfluß auf die Verfassung des Staats auch der Folgezeit merkwürdig bleiben. An den meisten Verfügungen in den deutschen Provinzen hat der Konferenzrat Carstens, ein aufgeklärter Menschenfreund, teil, dessen Tugend die Belohnung verdient, in Bernstorffs Geschichte zu glänzen.

Bernstorff wurde in allen Fächern seiner Arbeit durch würdige Gehülfen unterstützt. Er sah mit kaltem Blick über den Haufen der Gnadenbettler weg, die in den Vorzimmern der Mächtigen kriechen, und suchte ihn auf im Gedränge und drang tief in den Mann, den er zum Dienst des Staats fähig glaubte, und es gelang ihm, ein aufkeimendes Genie, noch eh es glänzte, zu entdecken. Auch unter guten Ministern schmachtet mancher würdige Mann ungebraucht, bloß weil er mißfällt, andre dringen ihrem Fürsten eine elende Schar ihrer Günstlinge auf, die dem Fluch der Nation Trotz bieten und die Ernte der Tugend verzehren; Bernstorff war über diese Launen erhaben. Redlichkeit und Wissenschaft fesselten immer, aber auch allein, seine Gunst; Verdienst entwickelte sich schnell unter seiner Aufsicht; sein Beispiel reizte zur Nachfolge, seine Weisheit leitete sie. Aber er teilte mit seinen Untergebenen freigebiger den Ruhm als die Arbeit und ließ sich mit sanfter Würde herab. Immer blieb er der größere Mann, aber niemand fühlte sich an seiner Seite erniedrigt. Er verstand es, Aufträge in Geschäften in die Sprache des Umgangs, Verweise in einen freundschaftlichen Rat und verdienten Tadel in Zweifel zu kleiden. Wenn er Fleiß und Treue geprüft hatte, so vergaß er menschliche Fehler, ohne sie neugierig hervorzuziehn, ohne den Irrenden zu beschämen; denn ein würklich großer Mann ist immer zur allgemeinen Nachsicht gestimmt.

Der Adel war ihm ein ehrenvoller Stand, der den Thron eines Monarchen verherrlicht. Er vermutete gern erbliche Tugend bei den Nachkommen berühmter Vorfahren, und er gab ihnen früh Gelegenheit, um die Ansprüche ihrer Geburt zu erfüllen; aber er verlangte Proben eines feurigen Eifers, des großen Namens würdig zu sein, der, wenn er die Verdienste des Enkels umstrahlt, gewiß auch kein schwächeres Licht über seine Fehler verbreitet. Noch ehrwürdiger schien ihm der Mann, der durch rühmliche Taten der erste eines dunkeln Geschlechts war, der allein, ohne Reize der Geburt und des Beispiels, die hohe Bahn der Tugend ging, der, nach unbekannten Vorfahren, großen Nachkommen die Laufbahn zur Unsterblichkeit öffnete.

Es war Wollust, unter Bernstorff zu dienen. Alle Pflichten wurden zu Empfindungen, und er vergalt Verdienste, wie er selbst belohnt zu sein wünschte, wie er es war, durch Vertrauen und Zärtlichkeit, nicht durch eine gemißbrauchte Gnade des Königs. Reichtum ist der Günstlinge Lohn, aber Achtung und Nachkommendank gebührt der Tugend allein. Wer ihn liebte, dachte edel genug, den langsamen Weg des Verdienstes ohne Murren zu wandeln und dem Beispiel zu folgen, welches sein eigner Neffe gegeben hat.

Er, der Freund seines Herzens, der ihm in allen seinen Ämtern, so wie in jeder Tugend, gefolgt ist, stieg nur durch Arbeit zur Würde und hat im Staat keine Stelle bekleidet, die ihm Patrioten mißgönnten oder wozu ihn nicht Fleiß und Talente berechtigt hätten.

So dachte, so handelte Bernstorff. Dänemark hat seine Grundsätze geprüft; die Welt hat ihn handeln gesehn. Ich darf mich auf die Stimme des Redlichen berufen, ein großer Name umstrahlt den Wandel des Mannes, ein ganzes Volk wird zu Angebern und Richtern. Bernstorff darf ihr Urteil nicht scheuen, er, der nicht sein öffentliches Leben allein, sondern jeden einsamen Augenblick desselben dem Auge Gottes ohne Furcht unterwarf, denn die Religion hatte seine Tugend veredelt, sie hat ihn durch die glänzende Gefahren der Macht, und auch die Stufen herab, freundschaftlich geleitet, sie hat ihm Demut im Glück und Mut im Unglück verliehn.

Sie allein hat ihn zum Patrioten gemacht, der den seltnen Namen alsdann nur verdient, wenn er Neigungen, Leidenschaften, alle Wünsche seines Herzens dem größern Wohl aufopfert, wenn er sich vergißt und nur immer lebhaft das Verhältnis denkt, in welches er eingeschaltet ist, wenn er unerschrocken in den Abgrund blickt, an welchen ihn die Vorsehung stellt, und gelassen ins Gewitter, das über seinem Haupte droht.

Darum zitterte Bernstorff in keinen Gefahren, darum ermüdeten ihn weder Undank noch Kaltsinn, darum war er zufrieden, wenn das Gute geschah, und gönnte andern den Ruhm und die Belohnung, darum vergaß er Beleidigungen und rächte sie nie, und nur die Feinde des Staats waren die seinigen, darum gewann er es über die Menschlichkeit, auch seine Verfolger zu belohnen, ihre Verdienste ums Vaterland zu ehren und ihre Talente dem König zu empfehlen. Noch leben die Männer, und wenn sie auch Bernstorff nicht liebten, so sind sie doch redlich genug, um die Wahrheit dieses Zeugnisses einzugestehn.

Ich folge nun Bernstorff in die Stille des häuslichen Lebens, wo ein Mensch den andern nur durch inneren Wert, nur durch eigne Tugend übertrifft, wo kein Glanz der Würde mehr blendet, wiewohl auch diese nur einen Augenblick täuscht, denn ein Staatsmann kann auf seinem hohen Standort seine Sitten, seine Schwachheiten nicht lange verbergen. Bernstorffs Tugend war strenge und auf unveränderliche Grundsätze gebaut, aber nicht in den stoischen Ernst gehüllt, der alles Vergnügen wegscheucht, sondern sie vertrug sich mit den Freuden des gesellschaftlichen Lebens. Man vermutet zwar die Gabe zu gefallen bei dem Mann der großen Welt; er lebt immer unter Menschen, deren Meinung ihm nicht gleichgültig sein kann, und ist geübt, auf die kleinsten Ansprüche der Gesellschaft, auf die Forderungen jeden Augenblicks zu merken; es ist auch selten ohne dies Talent ein Minister groß und mächtig geworden, aber es erhält sich nicht lange, wenn er ein Arbeiter ist und den Staatsangelegenheiten selbst vorsteht; sein Geist wird zu sehr an wichtige Gegenstände geheftet, als daß er sich zu den kleinen Aufmerksamkeiten des Umgangs herablassen sollte. Daher rührt der feierliche Ernst, die finstre, eingewickelte Miene, die man keinem Minister verzeiht und die allerdings eine billigere Nachsicht verdient. Auch Bernstorff gefiel nicht beim ersten Anblick, denn sein Auge war umwölkt, und es saß Tiefsinn auf seiner Stirne, aber sowie man ihm nähertrat, drang die Seele mächtig in jeden Zug seines Angesichts, heiße Menschenliebe glühte im Auge, und heitere Leutseligkeit verjüngte den Zug seines Mundes; man hielt ihn bald für einen gütigen Mann, und er hatte kaum zu reden angefangen, für einen großen glänzenden Mann. Seine Beredsamkeit floß wie ein sanfter Strom und bahnte sich Wege durch Felsen; er nahm ein, überredete, überwältigte, je nachdem es ihm gefiel; der Ausdruck schmiegte sich dem Endzweck, das Wort der Sache fest an; sein Gegenstand war mit Wahrheit umstrahlt und ging hervor und stand da, mit den Farben der Natur geschmückt. Er sprach auszeichnend vortrefflich über Regierungsgeschäfte, über Revolutionen in der Geschichte der Menschheit, über künftige wichtige Folgen kaum hervorkeimender Ursachen, über Erwartungen im System der Politik; dann malte er Staaten und Menschen nach dem Leben und aus der Geschichte mit leichten, aber treffenden Umrissen, deren Ähnlichkeit auffiel, ordnete Massen und verteilte Licht und Schatten mit schöpferischen Zügen einer Meisterhand. Beispiele der Tugend begeisterten ihn, jede vortreffliche Tat, jede Gesinnung der Wohltätigkeit, der Vaterlandsliebe traf in seinem Herzen auf eine verschwisterte Saite, die deutlich im wärmern Ausdruck hervorklang; sein Blick und seine Sprache glühten, und er hob uns mit zu hohen Empfindungen empor.

Ein Mann, der mit blendenden Gaben auch noch Macht und Einflüsse vereinigt, herrscht gewöhnlich allein in dem schweigenden untertänigen Haufen; alles hört und bewundert, niemand wagt einen Laut, und das Gleichgewicht der Unterhaltung hört mit allen ihren Annehmlichkeiten auf. Aber Bernstorff demütigte nicht durch die Vorzüge seines Verstandes; er lud zum Widerspruch durch Leutseligkeit ein und wußte seinen Gegenstand immer nach dem Geistesvermögen der Gesellschaft zu wählen. Er verstand es, eine Frage zu tun, die man wünschte, eine Antwort zu finden, die befriedigen mußte. Er hatte für jeden ein Wort, einen Blick, ein Zeichen der Achtung in Bereitschaft, das auch dem Furchtsamen Mut gab. Jeder fand einen Anlaß, sein Talent zu entwickeln, jeder seinen Raum, wo er mit Vorteil erschien. Hierin allein besteht die wahre Höflichkeit, welche, wenn sie nicht im Charakter liegt, den Großen so selten gelingt, weil immer das Bewußtsein der Gnade durchscheint, mit welcher sie großmütig ihrer Würde entsagen, und sobald nur der Geringere seinen Abstand einen Augenblick zu vergessen scheint oder irgendeiner Lieblingstorheit nahetritt, so hüllt sich der große Mann zum Schrecken des Verwegnen schnell wieder in seinen Purpurmantel ein.

Bernstorff war sogar seiner Temperamentsneigungen Meister. Er war mit einer aufwallenden Wärme geboren; und weil seinem Scharfsinn das Lächerliche nicht entrann, so drängte sich oft die Satire bis an seine Lippen und leuchtete noch aus seinem Blick, aber er blieb seines Ausdrucks mächtig, der nie das Gepräge des Spottes trug und immer zur Freundlichkeit gestimmt war.

So betrug sich Bernstorff unter seinen Untergebenen und in der allgemeinen Gesellschaft. Ich unternehme es nicht, ihn unter seinen Freunden zu schildern, wenn seine ganze Seele sich ergoß und alle Zärtlichkeit seines Gefühls auch in ihre Herzen strömte; denn wer ist fähig, sie nachzuempfinden?

Sonst meidet die Freundschaft die Paläste der Großen; ihre Stelle vertritt eine niedrige Dienstfertigkeit, eine heuchlerische verstellte Liebe, die, sobald die Gnade des Fürsten wankt, oft ohne irgendeine andre Veranlassung zum offenbaren Haß wird. Der Anhang mancher Minister ist ein Haufen um Lohn gedungener Knechte, und unter Gebietern und Sklaven gibt es keine Vereinigung der Seelen. Aber Bernstorff hatte sich Freunde erworben, die seines Herzens würdiger waren; sie schätzten, unabhängig von der Würde, den Mann, der nicht verehrt, der geliebt sein wollte und der ihre Freundschaft mit einer Zärtlichkeit vergalt, die in der verfeinerten Welt nicht gekannt wird.

Ihr wenigen Edlen, eilet mit mir über ein allzutrauriges Angedenken weg, oder überlaßt euch vielmehr ohne Zwang eurem Schmerzen.

Bernstorff war ganz zum Vergnügen des Umgangs geschaffen; er zog, mehr aus Pflicht als aus Neigung, ein einsames Leben allen seinen Reizungen vor, aber sein Tag reichte kaum zu der Arbeit hin, welche unaufhörlich auf ihn zudrang: die ersten Stunden desselben waren der Religion, und zwar nicht ihrer Übung allein, sondern auch ihrer Untersuchung, gewidmet; er las die größten Theologen aller Zeiten; er verglich ihre Lehren mit den heiligen Quellen, untersuchte und prüfte ihre Glaubwürdigkeit und waffnete sich gegen ernsthafte Zweifel. Es ist wahr, er las die Spöttereien nicht, die, wenn man ihren Nachbetern glaubt, unser Jahrhundert so aufgeklärt haben und die man, wiewohl nicht im Ernst, die Stimme des andern Teils nennt. Sie mögen der Torheiten des Alters und den Wünschen der Jugend schmeicheln, aber sie kommen der kalten Vernunft des Rechtschaffnen verächtlich vor. Wer nicht Einfälle, sondern Gründe sucht, wer überzeugt, belehrt, nicht belustigt sein will, bebt vor dem Frevel zurück, die Regierung Gottes nach Schmähschriften zu beurteilen.

So, durch hohe Betrachtungen aufgeheitert, ging Bernstorff mit Freuden an die Geschäfte seines Berufs, las alle Bittschriften selbst und hielt ein eignes Tagbuch darüber; selten entfiel ihm ein wichtiger Umstand, zumal, wenn er zum Vorteil der Bittenden gereichte; selbst in gerichtlichen Angelegenheiten nicht, die, gekleidet in ihre veraltete Tracht, dem Mann von Geschmack zuwider sind. Auch der Geringste seufzte nicht nach Bescheid; Hülfsbedürftige aus allen Ständen wurden oft durch eigenhändige Schreiben erfreut; alle wurden getröstet, wenn sie auch nicht alle erhört werden konnten.

In den auswärtigen Geschäften überließ er wenig der Arbeit seiner Untergebenen. Er entwarf die wichtigsten Aufsätze, las alle Berichte der Abgesandten selbst und verlangte keine Auszüge, die zwar die Mühe des Lesens erleichtern, aber auch den Sinn der Berichte entstellen. Er schrieb aus der Fülle seines Geistes und Herzens; Gedanken und Ausdruck strömten ihm zu. Er verstand es, in einem gefälligen Ton durchdringend an den Verstand zu reden, überwiegend einzunehmen, alle Gegenstände so zu ordnen, daß sie sich untereinander gemeinschaftlich hoben und daß kein triftiger Umstand in Schatten zurückwich. Er wußte die Aufmerksamkeit bei verwickelten Sachen durch ein immer steigendes Interesse zu fesseln, immer den einzigen Ausdruck zu finden, der keine fremde Deutung zuließ, die in seinen Geschäften nicht gleichgültig war. Sein Stil war edel, ohne rednerischen Schmuck, leicht und fließend, ohne Trockenheit; er überredete und rührte, weil er mit aller Würde seiner eignen Tugend die Gesinnungen wohltätiger Könige vortrug; denn immer bleiben Gerechtigkeit und Wahrheit die einzigen Quellen aller Überzeugung, und kein Sophist hat mit allem Schimmer des Witzes je im eigentlichen Verstand eine schlechte Sache vortrefflich verteidigt. Es ist schade, daß seine Arbeit unter die Geheimnisse der Politik gehört, daß sie der Bewunderung der Kenner entzogen bleiben muß. Seine Instruktionen an Gesandte seines Königs sind Meisterstücke der Staatskunst und des Vortrags. Der Minister befand sich gleich mitten in dem Hof, an dem er zu leben bestimmt war; das Verhältnis dieses Hofes mit Dänemark, sein Gewicht auf andre Staaten, der Charakter der Nation, das System der Regierung war unterrichtend und deutlich entfaltet, Minister, Günstlinge, Häupter mächtiger Parteien waren geschildert, ihr Vermögen im Handeln war berechnet. In den Ausdrücken, mit welchen Bernstorff die Wünsche des Königs empfahl, waren die Mittel, sie zu erreichen, enthalten, alle Einwürfe waren entkräftet, Gründe mit Übergewicht bewaffnet, jeder Schritt war so behutsam vorgezeichnet, daß auch ein Neuling in der Staatskunst, mit einer solchen Karte versehen, sich kühn in das Labyrinth der Politik wagen durfte, und aus dieser Schule kamen vortreffliche Männer, zum Dienste des Vaterlandes gebildet, zurück.

Bernstorff verstand die meisten Sprachen von Europa, aber vorzüglich war er der französischen mächtig. Sie ist die Sprache der großen Welt und verbindet durch den Briefwechsel und den Umgang fast alle gesittete Völker, insbesondere gehört sie der Staatskunst zu, die, wie alle Wissenschaften, ihre Kunstsprache und ihre Eigenheit hat; nur hat der neue Geschmack sie allzusehr mit Putz überladen und dadurch ihren Nachdruck entkräftet; man ringt nach Witz, wo man kalte Vernunft fordert; man mißbraucht hohe Metaphern zu gemeinen Gedanken und scheuet sich nicht, die Geschäfte ganzer Völker in Epigrammen und Antithesen zu verhandeln. Dies war nicht der Stil des berühmten Jahrhunderts, in welchem Bernstorff seine Muster aufgesucht hatte. Man las seine Aufsätze noch mit Vergnügen nach der Arbeit eines Lionne, eines Torcy, eines Estrades. Lionne war sein Muster, ohnstreitig der größte Schriftsteller in Geschäften; aber Bernstorff übertraf ihn durch Würde des Inhalts. Er rührte durch die Mäßigung, durch die Gerechtigkeit seines Königs, anstatt daß jener die Eitelkeit des seinigen, zuweilen gar seine Rache veredeln mußte.

Im Deutschen war Bernstorff minder geübt, ob er gleich mit Empfindung unsere beste Schriftsteller las. Als er anfing, in der Welt zu erscheinen, war der deutsche Geschmack noch in seiner Kindheit; die Schreibart beschäftigter Leute war mehr oder weniger eine Art des Aktenstils, der entweder im frostigen Einklang ertönte oder sich in verschränkten Perioden verwirrte, wo der Sinn im Gedränge müßiger Worte verschwand. Er hatte in Regensburg gelebt und konnte den Ton dieser Schule nicht verleugnen; aber, weil ein Genie immer jede Sprache nach seinen Absichten beugt, so drückte er auch im Deutschen große und edle Gedanken, vielleicht nicht zierlich, aber mit einem eignen Nachdruck und mit einer fremden, aber kräftigen Wendung aus. Mitten unter seiner Arbeit las er vortreffliche Bücher; sie wurden behutsam, wie seine Freunde, gewählt, und es war ein Vorurteil für den Wert eines Buchs, wenn man es in seiner Sammlung antraf.

Ein so beschäftigter Mann findet seine Wollust in dem Genuß jeder freien ruhigen Stunde; sie ist ihm zu kostbar, als daß er sie in dem sinnlosen Getümmel der Welt verschwenden sollte. Bernstorff überließ sich alsdann den stillen Freuden des häuslichen Glücks, das sich täglich erneuert, das dem Weisen allein noch Vergnügen gewährt, wenn ihn jeder Triumph der Macht und des Ansehns, jeder Aufzug der Höfe kaltläßt. Er war der freundschaftlichste, gefälligste Ehemann. Seine Gemahlin blieb immer die Vertraute seines Herzens; er kehrte freudig aus jeder Gesellschaft in ihre Arme zurück; jedes Wort, das an sie gerichtet war, jeder Blick, der dem ihrigen begegnete, trug das Gepräge seiner Zärtlichkeit.

Die letzte Stunde des Abends war die angenehmste seines Tages. Diese brachte er unter seiner Familie, mit seinen Hausgenossen und einigen Gelehrten in Unterredungen zu. Klopstock, der Sänger Gottes und Freund und Liebling der Menschen, der rechtschaffene, geistvolle Cramer, der reine Lehre und unsträflichen Wandel mit Witz und Munterkeit und ausgebreiteten Kenntnissen vereinigt, gehörten mit zu diesem glücklichen Zirkel. Wir hingen alsdann an Bernstorffs Mund und labten uns mit sokratischer Weisheit. Hier entfaltete sich sein Herz und sein Geist; der Schleier der Würde fiel nieder, und die erhabne Seele glänzte in ihrer eigentümlichen Schönheit; wir verließen ihn nie, ohne wärmer für die Tugend zu empfinden, ohne unterrichtet oder gebessert zu sein.

Wenn die schöne Zeit des Jahrs herannahte, so entfloh auch Bernstorff aus dem Geräusche der Stadt in die sanftern Szenen der Natur. König Friedrich hatte ihm ein Landgut geschenkt, das, als der Ruhplatz eines großen Mannes, unserer Zeit und der Nachwelt ehrwürdig bleibt.

Auf einem Hügel, der auf einer weit ausgebreiteten Fläche sich langsam erhebt, ist ein geschmackvolles, mehr bequemes als prächtiges Wohnhaus erbaut. Jenseits der Fläche begrenzt die Stadt den Horizont, nah genug, um in ihrer ganzen Schönheit zu glänzen, und entfernt genug, um die ländliche Ruhe nicht zu stören. Die Stadt dehnt ihr Gewühl durch den Hafen in das angrenzende Meer aus; hier verändert die Schiffahrt jeden Augenblick die reiche mannigfaltige Szene, und das stille ferne Getümmel entzückt. An dem Hafen vorbei verliert sich der Blick auf der See oder ruht zuweilen unter einer sich sammlenden Flotte oder auf den Küsten von Schonen aus.

Jung gepflanzte Alleen führen von dem Wohnhaus in die regellosen Gänge eines reizenden Waldes, der einen Garten verbirgt und schützt, auf welchen die Sonne nicht weniger gütig als auf ein südliches Land blickt. Er ist das Muster der Gärten von Dänemark und bringt die besten Früchte der wärmern Provinzen von Europa in ihrer Vollkommenheit hervor. Bernstorff hat ihn gepflanzt und gewartet; er hat in demselben die angenehmsten Stunden seines Lebens zugebracht; sein Geist blühte auf, und sein Herz erweiterte sich, wenn er die freiere Luft dieses Lustplatzes atmen konnte. Er hatte es gelernt, die Stufenfolge der Wohltaten Gottes in der Natur aufzusuchen, einen heitern Tag mit Entzücken zu grüßen, der Entwicklung der Pflanzen nachzuspüren, die Ankunft der Blüte zu belauschen und über die schwellende Frucht zu frohlocken, alle die mannigfaltigen Freuden zu empfinden, die ein unverdorbnes Gefühl mit keinen andern vertauscht.

Damit auch kein Segen dieser auserwählten Erde fehlen möge, versammlete Bernstorff glückliche Menschen um sich her. Er gab seinen Gutsuntertanen ihr Geburtsrecht, Freiheit und Eigentum wieder; er munterte sie durch großmütige Beihülfe auf, ihre Güter zu teilen und auf der Mitte ihres Landes zu wohnen.

Schnell deckten sich Heiden mit fröhlichen Saaten; neue Pflanzungen stiegen hervor; anstatt dürftiger Hütten in elenden Dörfern wurde die Gegend mit angenehmen Wohnungen geschmückt, in welchen glückliche Väter ihren Kindern den Namen ihres Wohltäters lehrten. Sie wollen ihm, dem Freund der Menschen, mitten in der verschönerten Gegend ein Denkmal errichten, das dem künftigen Wanderer gewiß edlere Empfindungen als Trophäen einflößt, einen prachtlosen, aber ehrwürdigen Stein, auf welchen die Träne ihrer Dankbarkeit floß.

In dieser Wohnung des Friedens fühlte Bernstorff sich glücklich; sein Gedächtnis rief ihm tugendhafte Taten und überzeugende Beispiele der göttlichen Vorsehung zurück; keine Handlung seines Lebens war durch eine kränkende Reue verbittert; sein Fleiß war mit Gedeihen gesegnet; er war von den Redlichen im Staat, von den Würdigsten aller Nationen verehrt, von seiner Familie, von seinen Freunden, von seinen Untergebenen geliebt, und auf seiner gefahrvollen langen Laufbahn hatten ihn wenig Unglücksfälle betroffen. Er näherte sich mit muntern Kräften dem Alter und durfte sich schmeicheln, noch manche Früchte seiner Arbeit zu genießen, noch lange dem Staate nützlich zu sein.

Am Abend des Lebens wird selten ein Mann, der in großen Verhältnissen eingeflochten war, die vergangene Zeit wieder durchzuleben wünschen, ohne Epoken, ohne Vorfälle auszunehmen, deren Angedenken ihn quält; aber Bernstorff hat es oft mit freudigem Danke gegen die Vorsicht wiederholt: er nähme jeden verflossenen Tag aus den Händen der Allmacht ohne Bedingung zurück, ginge er nicht einer herrlichen Zukunft entgegen.

Jedoch auch seiner wartete der Sterblichen Los, die, wenn sie auch keine Strafgerichte fürchten, doch selten der Prüfung entgehn, die ihr Vertrauen auf Gott bestätigen und den Ruhm ihres Lebens durch den schwersten Triumph, durch ihre Geduld im Leiden, krönen soll. Langsam zog sich ein Ungewitter auf. Unbedeutend in seinem Anfang, schien es auch dem scharfsichtigsten Auge nicht furchtbar; aber es verbreitete sich schnell und deckte Dänemark mit einer schreckenvollen Nacht. – Oh, ruhte sie ewig auf der Geschichte dieser Zeit!

Bernstorff hatte schon lange die Absicht seiner Feinde entdeckt, ihn durch wiederholte Angriffe zu reizen und zu irgendeinem Schritt zu verleiten, der sie von dem Mann, den sie haßten, befreiete. Endlich konnte er sich nicht mehr verbergen, daß es ihnen gelung, ihm das Vertrauen seines Monarchen zu entziehn. Aber sollte er ruhig sein Schicksal erwarten oder dem Sturm, der ihm drohte, entfliehn? Das war die große bedenkliche Frage, die entschieden werden mußte und die in seiner bittern Verfassung nicht so leicht zu beantworten war.

Ein Staatsmann, der zu mißfallen anfängt, wandelt immer an Abgründen hin und tut keinen gleichgültigen Schritt mehr. Ist er gelassen, so ist es ein Stolz, der gedemütigt zu werden verdient; verbirgt er seine Unruhe und seine Empfindlichkeit nicht, so ist es Bewußtsein der Schuld; entschließt er sich, sein Amt niederzulegen, so wartet vielleicht eine Kränkung auf ihn, wozu nur der Anlaß gefehlt hat; und harrt er zu lange, reizt er die Ungeduld seiner Verfolger, so ist es ungewiß, zu welchem heftigen Ausbruch ihr Unwillen endlich verleitet werden mag. Wenn alle Zugänge des Throns von Ratgebern umringt sind, die ihre gemeinschaftliche Sicherheit vereinigt, so ist kein Fürst der Erde mächtig genug, den Eingebungen der Wahrheit, die zurückgescheucht wird, oder den Empfindungen seines unaufhörlich bestürmten Herzens zu folgen.

Johann Hartwig Ernst von Bernstorff

Alles das erwog Bernstorff mit heiterer Überlegung und entschloß sich dennoch, nicht zu fliehn, den Posten nicht feig zu verlassen, auf welchem er als ein auserwähltes Werkzeug der Vorsehung stand, keinen Augenblick, der in seiner Macht war, zu verlieren, wo er dem Staat oder auch nur einem Gliede desselben durch seine Arbeit nützlich sein konnte.

Der Schlag kam seiner Erwartung zuvor. Ich war der einzige Zeuge dieses prüfenden Augenblicks. Sein Betragen dabei muß auf ewig seinen Charakter entscheiden; denn in einer solchen Stunde ist der größte Mann in den Händen der Natur.

Er hatte sich eben zur Arbeit niedergesetzt, als er das Schreiben des Königs empfing, welches ihn den Staatsgeschäften entzog. Er las es mit ernsthafter Stille und stund mit einem Blick des Schmerzens auf. »Ich bin meines Amts entsetzt«, sprach er mit einem gesetzten bescheidenen Ton und fügte mit gen Himmel erhabenen Augen hinzu: »Allmächtiger, segne dies Land und den König!«

So stand Bernstorff an den Ruinen seines Ruhms; so gelassen sah er in einer Minute das Gebäude seines ganzen Lebens umstürzen; Hoffnungen, große Entwürfe zu vollenden, Aussichten in ein ehrenvolles ruhiges Alter, alle Freuden des vergangenen Lebens waren dahin wie ein Traum, und die Folgezeit breitete sich finster vor ihm aus; dennoch stand er unerschüttert. Entweder war Bernstorff ein großer oder ein unempfindlicher Mann. Wer hat ihn je unempfindlich gekannt?

Johann Friedrich Struensee

Es war seinen Feinden geglückt, die Grundsätze seiner Verwaltung zu schelten; aber dennoch haben sie nie in dem Herzen des Königs, selbst nicht in ihrem Gewissen, die Achtung vertilgt, welche das wahre Verdienst auch unter Verfolgungen fordert.

Der Brief, der ihn seines Amtes entsetzte, enthielt Beweise einer erkenntlichen Erinnerung seiner geleisteten Dienste, und Bernstorffs Asche ist versöhnt: der König hat sein Gedächtnis verherrlicht, er hat seine Familie durch rührende Beweise seines erneuerten Wohlwollens erfreut.

Bernstorff brachte nur einige Tage nach seiner Entlassung in Dänemark zu, und er wandte sie wie Sokrates an, um seine Freunde zu trösten. Ihm entfiel keine Klage, nicht ein empfindliches Wort. Er beschuldigte niemand, er verteidigte sich nicht, sondern ging, wie Scipio, aus der Versammlung seiner Ankläger und dankte, statt aller Verantwortung, Gott für alle Dienste, die er dem Staat geleistet hatte.

Bernstorff hatte kaum wenige Monate in Hamburg durchlebt, als es schon von seiner Wahl abhing, einem schmeichelhaften Ruf auf einen größern Schauplatz zu folgen. Er empfand das Unangenehme seiner Verfassung, nicht weil er aufgehört hatte, mächtig zu sein, sondern weil er nicht mehr nützlich sein konnte, weil er gewohnt war, sich mit dem Wohl ganzer Reiche zu beschäftigen, und die Bürde eines müßigen Lebens fühlte; auch war der Haß seiner Feinde so wenig befriedigt, daß ihn neue Kränkungen selbst in seiner ehrwürdigen Ruhe verfolgten. Warum sollte Bernstorff unter diesen Leiden dem Reiz widerstehn, an einem Throne zu glänzen, der alle Arten des Verdienstes an sich zieht und in der scharfsinnigen Großmut, Verdienste zu belohnen, alle Beispiele der Geschichte übertrifft? Wer erkennt nicht Rußland, dessen Monarchin über ihr Volk jeden Segen der Weisheit, des Ruhms und der Menschlichkeit ausgießt. Keine Regierung in der Geschichte der Welt ist, wie die ihrige, zu gleicher Zeit durch Siege und Wohltätigkeit, durch Wissenschaften, Künste, Schöpfung des Handels und Gesetzgebung verherrlicht. Ist es nicht eine Erscheinung, die den Philosophen verwirrt, die Habeas-Corpus-Akte in Twer, und in Paris noch Lettres de cachet? Aber alle Güter der Welt wogen keinen seiner Grundsätze auf. Er hatte sich einmal Dänemark in einer allzuwichtigen Sphäre gewidmet; sobald ihn dieses Land nicht länger ertrug, so war für ihn auf der ganzen Erde kein andres Vaterland mehr. Er verehrte die Tugend fremder Monarchen, aber sein Herz blieb nur einem König ergeben; da dieser seine Dienste nicht mehr begehrte, so begnügte sich Bernstorff, ihm den Segen des Himmels in seinem einsamen Gebet zu erflehn.

In einer Zeit, wo alles Vertrauen aufhörte und wo auch rechtschaffne Diener, bloß darum, weil sie die Verfolgung schonte, für Mitschuldige angesehn wurden, blieb Bernstorff seinen alten Freunden unveränderlich treu. Freilich war es Sicherheit, zu fliehn, und vielleicht verwerflicher Stolz eines reinen Gewissens, am Abgrund zu zaudern; aber sehnsuchtsvolle Wünsche im stillen wurden nicht gehört und nicht erfüllt, und ehrenvolle Verhältnisse haben manchen unter vergeblichem Leiden ans nahe Verderben gefesselt.

Bernstorff glaubte länger an die Tugend, die er geprüft und gewürdigt hatte, und blieb verleumdeten unglücklichen Männern bis an seinen Tod gewogen. Er erlebte die Verherrlichung noch, für seine Feinde in ihrem Elend zu beten, aber er starb zu früh, um des Triumphs zu genießen, den ihm das wiederkehrende Vertrauen des Königs und die Stimme aller Patrioten versprach. Er erlag unter den Kämpfen des Geistes, mehr durch Arbeit und Gram als durch Krankheit und Jahre erschöpft. Seine Unpäßlichkeit verkündigte keine Gefahr; sein Ende war schnell, wie es nur der Fromme wünschen darf; seine Gemahlin empfand die Schrecken dieses sanften Todes allein. Er hatte sich eben zur Ruhe niedergelegt, als sie tönte, die Posaune des Engels, der ihn an den Thron der Vergeltungen rief, als, nach wenigen Seufzern der unterliegenden Natur, diese große Seele unsre Erde verließ.

Alle Arten des Ruhms haben sein Leben verherrlicht. Er war glücklich am Ruder des Staats und von allen Redlichen geliebt und, von aller Macht entblößt, noch verehrt.

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Dem Leser dieser Schrift ist es nicht gleichgültig, zu wissen, ob der Erzähler unterrichtet sein konnte. Ich habe in Dänemark viele Jahre als königlicher Gesandtschaftsrat und Sekretär im Departement der ausländischen Sachen unterm Grafen von Bernstorff gearbeitet und immer in seinem Hause gelebt, wenn ich also nur aufmerksam war, so war die Gelegenheit zur Beobachtung günstig. Eine ausführliche Geschichte wäre lehrreicher gewesen, aber ein Vernünftiger fodert sie nicht.


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