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Pitt stand allein auf seiner hohen Stelle; die Flut der neuen Sittenverderbnis strömte tief unter ihm hin. Er hatte sich selbst gebildet und sank nie zur Nachahmung auch der größten Männer herab. In seiner Gestalt ist strenger Ernst, wie in den Formen der ältesten Kunst, und auch die Härte derselben. Ihm ist kein Staatsmann aus der Geschichte zu vergleichen. Er verachtet die Politik; ihre Ränke waren ihm entbehrlich. Nie hat er gestrebt, recht zu behalten; nie hat man ihn überredet oder bewogen: Er riß ein und baute, herrschte, überwältigte; Englands Größe war sein Ziel, und sein Ehrgeiz Unsterblichkeit. Nie erhub sich in seinem Lande ein großer Mann ohne Partei; er allein vernichtete alle Parteien. Alle Briten waren mit ihm einig. Unter einem verkäuflichen Volk hat er nie eine Stimme gekauft. Frankreich sank unter der Kraft seines Arms, der die bourbonische Ligue zertrümmerte und Englands wogentürmende Demokratie nach allen Richtungen seines Willens trieb. Er sah ins Grenzenlose und maß das Schicksal von Jahrhunderten mit einem Blick. Seine Anschläge wurden immer durch unerwartete Mittel ausgeführt, die sich den Umständen anschmiegten, immer in die eigene Minute trafen, wo sie gelingen mußten. Hindernisse und Kräfte waren seinem Geiste auf einmal gegenwärtig, den gleichsam eine Gabe der Weissagung stärkte.
Dieser Mann paßte nicht in seine Zeit, nicht unter die Pygmäen seines Jahrhunderts. Furchtsam blickten sie an ihm hinauf; alle Klassen der feilen Rotte zitterten bei dem bloßen Namen Pitt. Freilich besitzt er die Verdienste eines guten, freundlichen Mannes nicht; diese sind nur für Menschen von minderer Größe. Unempfindlich gegen die sanfteren Freuden des häuslichen Glücks, sah er unverwandt auf Britanniens Schicksal, trat unter seine Helden und Gesetzgeber hin und entschied's.
Seine Beredsamkeit war leicht und helle und drückte die erhabensten Empfindungen durch gemeine Redensarten aus. Sie war weder dem reißenden Strom des Demosthenes noch der verzehrenden Flamme des Tullius ähnlich, sondern sie glich zuweilen dem Donner, zuweilen der Musik der Sphären. Er verleitete, fesselte den Verstand nicht durch mühsam verkettete Schlüsse wie Mansfield; er war nie, wie Townshend, auf der Folter, um Witz und Talente zu zeigen: sondern er umstrahlte den Gegenstand und traf sicher den Punkt durch den Blitz seines Geistes, den man, wie den Blitz seiner Augen, nur empfindet, nicht beschreibt. Er konnte nach Willkür umbilden, erschaffen, zerstören. Er hätte ein wildes Volk unter Ordnung und Gesetze vereinigt. Er verstand's, ein freies Volk wie Sklaven zu beherrschen, ein Reich zu gründen oder zu vernichten und einen Streich zu schlagen, der durch die Welt widerhallte. Bis hieher gehören einige Züge einem englischen Schriftsteller.
So war Pitt im letzten Krieg. Und wer konnte widerstehn, als er in der Toga stand und für die Kolonien gegen die Stempelakte sprach: »Eure Herrschaft über Amerika ist unumschränkt, wenn es auf Regierung, auf Gesetzgebung ankömmt, aber ihr seid nicht befugt, Steuern von den Kolonisten zu fordern. Sie haben mit uns gleichen Anspruch auf die Rechte der Menschheit, auf die Rechte von England; sie sind keine Hurenkinder, sondern eure Söhne. In unserm Vaterland ist das Recht, Steuern aufzulegen, weder ein Teil der regierenden noch der gesetzgebenden Macht; Steuern sind ein freies Geschenk der Gemeinen. Dieses Haus stellt die Gemeinen vor; darum geben und bewilligen wir, was wir geben können, unser Eigentum. Aber wenn wir dem König Steuern von Amerika bewilligen, so bewilligen Seiner Majestät Gemeinen von Großbritannien – unser Eigentum? nein, das Eigentum Seiner Majestät Gemeinen in Amerika. Einige sagen, die Kolonisten werden virtualiter durch dieses Haus repräsentiert. Ich frage, durch wen? durch Abgeordnete irgendeines Distrikts, irgendeiner Stadt – wo sind sie? ein verächtlicher Einfall, der keine Widerlegung verdient. Warum wollt ihr unmittelbar in der Tasche eurer Brüder plündern? Steuern sie nicht mittelbar beschwerlicher als wir durch eure Monopolien? Müssen sie nicht alles von euch, so teuer als ihr wünschet, kaufen? Alles an euch, so wohlfeil als ihr's wollt, verkaufen? Dürfen sie den Segen ihres Landes und die Früchte ihres Fleißes irgend jemand anbieten? Ihr erlaubt keinem Volke der Erde, auf diesem Markt neben euch zu stehn. Man erzählt uns, daß Amerika hartnäckig ist, daß es einen öffentlichen Aufruhr gewagt hat. Ich, meine Landsleute – ich freue mich, daß es widersteht. Drei Millionen Menschen, die sich freiwillig unter die Knechtschaft beugten, würden künftig taugliche Werkzeuge sein, auch uns das Joch auf den Nacken zu heften. Seit König William hat kein Minister den fürchterlichen Plan gewagt; er war unsern Zeiten vorbehalten.
Wenn Amerika fällt, so wird es die Pfeiler des Staats ergreifen und hinstürzen auf die Trümmer unserer Verfassung. – Ist dies euer gerühmter Frieden? Ihr wollt das Schwert nicht in die Scheide, sondern in die Eingeweide eurer Brüder stecken.«
Die Verehrer Pitts wünschen einen Tag aus seinem Leben zu vertilgen, dessen Geschichte Lord Chesterfield in folgenden Worten erzählt: »Pitt hatte freie Hand, alle Minister zu nennen; und erraten Sie, wozu er sich gemacht hat? zum Geheimen Siegelbewahrer und – werden Sie's glauben? zum Lord Chatham. Hier ist der allgemeine Scherz, daß er die Treppe hinaufgefallen ist, und zwar so unglücklich, daß er in seinem Leben nicht wieder auf die Beine kommen wird. Nun ist er nichts mehr als Lord Chatham und in keiner Bedeutung mehr Pitt. Ich kenne in der Geschichte kein ähnliches Beispiel. So in der Fülle seiner Macht wegzusinken, im Genuß des befriedigten Ehrgeizes, das Volk, das Haus der Gemeinen zu verlassen, das ihm allein Macht gab, ihm allein Macht versichern konnte, ins Hospital der Unheilbaren, ins Haus der Lords zu flüchten – es ist ein unglaublicher Schritt.« »Letters to Mr. Stanhope«.
Dennoch haben andere den großen Mann nicht ohne Nachdruck verteidigt, der entkräftet in Schatten zurücktrat, als England durch ihn triumphierte. Weder Würden noch Titel konnten Pitt erhöhn, sondern er entwich allein dadurch dem Geräusch und den Stürmen der Regierung, weil er Ruhe wünschte nach unsterblichen Taten; und verdient sie vielleicht der Retter seines Volks nicht?
Aber als er neulich sich wieder auf seinen Krücken emporhub und im Parlament mit sterbender Stimme rief: »Briten, ihr wollt Frieden kaufen? aufopfern Ruhm und Herrschaft, nicht züchtigen Frankreich, das vor euch bebte, euch nun hohnspricht? – Ich – zeuge wider euch bei der Nachwelt. Auf, laßt uns kämpfen, fallen, wenn es sein muß, unter den Trümmern des Vaterlandes!« War das nicht wieder die große Seele Pitts, die neuverklärt über ihrem Leichnam schwebte?
Die gegenwärtige Epoche von England erinnert an Roms gefahrvollen Krieg mit Tarent und den Chatham jener Zeit. Pyrrhus, als Bundsgenoß der Tarentiner, hatte den Konsul Laevinus überwunden und stand mit seinem Heer nur achtzehn Stunden von Rom; aber weil er Römermut zu würdigen verstand, so trug er dem Senat gleich nach erfochtenem Sieg freiwillig einen Vertrag durch den Philosophen Cineas an, der durch Geschenke und Gründe und durch allen Schmuck der Redekunst das Erbieten zu empfehlen wußte. Schon wankte der Rat, und einige stellten vor, daß eine große Schlacht verloren sei, daß eine zweite gefährlicher, entscheidender werden könnte, weil manche Völker Italiens sich mit Pyrrhus vereinigen wollten. Rom war im Begriff, einen schimpflichen Frieden als eine Wohltat anzunehmen. Aber Appius Claudius lebte noch, der, im hohen Alter und des Gesichtes beraubt, fern von Geschäften unter seinen Lorbeern ruhte. Es verlohnt sich der Mühe, anzuführen, was Cicero von diesem Manne sagt: »Appius Claudius war nicht allein alt, sondern auch blind; dennoch, als der Senat zum Frieden mit Pyrrhus geneigt war, sprach er dawider, wie Ennius solches in folgenden Versen ausdrückt: ›Wie ist euer standhafter Mut auf einmal so törig und tief herabgesunken, ihr Römer!‹« Und an einer andern Stelle: »Appius stand seiner Familie vor und war alt und blind; sein Geist war gespannt wie ein Bogen; er unterlag der Schwachheit des Alters nicht und erhielt nicht allein Ansehen unter den Seinigen, sondern er beherrschte sie auch. Er war gefürchtet von seinen Knechten, von seinen Kindern geehrt und geliebt von allen. In seinem Hause blühten alte väterliche Sitten und Zucht.« (»Cato maior vel De senectute«, Kapitel V und XI) Er hörte nicht so bald die friedliche Neigung des Senats, als er sich in einer offnen Sänfte über den großen Platz von Rom nach dem Kapitol bringen ließ. An der Türe erwarteten ihn seine Schwiegersöhne und Kinder, auf deren Arme gestützt er in die Versammlung trat, die bei dem Anblick des großen Mannes in stiller Ehrfurcht schwieg.
»Römer«, sprach er mit zitternder Stimme, »ich bin schon lange blind und ertrage mein Schicksal ungeduldig; aber heut wünschte ich auch taub zu werden, um eure Schlüsse nicht zu hören. Wo ist euer Trotz, wo sind die hohen Reden, die durch die Welt erschallten? Eure Väter, rühmtet ihr, hätten den Alexander verachtet. Habt ihr nicht oft wiederholt, daß Rom nur der Triumph noch fehlte, mit ihm gekriegt zu haben, daß er durch seine Flucht oder, durch seinen Tod euch verherrlicht haben würde? Das war also eitle Prahlerei? – Die Mazedonier fürchtet ihr nicht, aber die Molosser und die Chaonier? Den Alexander fürchtet ihr nicht, aber wohl den Pyrrhus, der als Knecht bei seinen Knechten diente? – Ihr träumt, Frieden zu kaufen; Krieg und Untergang werdet ihr für Schande kaufen! Wenn euch Pyrrhus gedemütigt hat, wenn man euch erst verachtet, so werden andre Feinde sich waffnen und über das erniedrigte, mutlose Volk herfallen. – Ha, ihr Schutzgötter meines Vaterlands! welcher Tag! – Pyrrhus siegt und gibt Rom dem Spott aller Barbaren preis.« Plutarch im »Pyrrhus«.
Rom verwarf den Frieden und siegte.