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Eilfter Brief.

An Herrn Garrick.

Paris den 27. Nov. 1768.

Endlich ist mein Wunsch erfüllt: Ihre Freundin Clairon hat vorgestern bei der Frau von Villeroy, ihre Lieblingsrolle, Dido, gespielt, auf einem kleinen prachtlosen Theater, aber sie zauberte Würde um sich her; für unsere Empfindung stand sie da, wie im Virgil, als Äneas sie erblickte, in ihrer emporsteigenden Königsstadt.

Ihnen ist das langweilige Drama bekannt; es dauert ewig und schreitet nicht fort. Wer mag das Jammern eines verliebten Weibes, und die kalte Wundermoral des frommen Helden durch fünf lange Acte, auch selbst in schönen Versen, hören? Pompignan ging unter an der Klippe, wo Racine, in seiner Berenice, nur so eben behalten vorbei kam. Keuscher Ehrgeiz im Kampf mit der Liebe ist immer eine widerliche Gruppe, zumal wenn der Held, wie hier, für keinen Funken Lust empfänglich, ein Mittelding zwischen Göttern und Menschen, oder eigentlicher, ein Strohmann ist.

Im Virgil trägt sich Alles natürlicher zu. Äneas hat mit der Frau Dido in der Höhle gesteckt; die Dame gesteht Connubia et inceptos hymenaeos; sie bedauert nur, als eine gute Prinzessin, daß sie mit einer leeren Freude davon kam.

                   

– Si quis mihi parvulus aula
Luderet Aeneas
, sagt sie,
Non equidem omnino capta ac deserta videre.

Äneas verließ sie darum nicht, weil er seine Leidenschaft überwand, sondern Jupiter mußte den Merkur abschicken, der ihm eine bittere Standrede hielt.

                   

– Tu nunc Carthaginis altae
Fundamenta locas pulchramque
uxorius urbem
Exstruis? heu regni rerumque oblite tuarum.

Das allmächtige Schicksal trennte sie; ein Gott hatte sein Herz verstockt;

Fata obstant, placidasque viri Deus obstruit aures.

Ja als er auf den Schiffen noch weilt, erscheint ihm Merkur noch ein Mal, und macht ihm vor dem Zorn der aufgebrachten Dido bange:

                   

Illa dolos dirumque nefas in pectore versat.
Eja, age, rumpe moras, varium et mutabile semper
Femina.

Hier ist es ein kalter züchtiger Ritter, der nur sein Abenteuer vollendet, einer armen Fürstin das Herz bricht, ihre Feinde, die wie gerufen kommen, erst tapfer schlägt, und dann, wie Don Quixotte, unbefleckt aus dem Wirthshause zieht. Es gelingt einer großen Schauspielerin nur, eine so frostige Schöpfung zu beleben; unsere Seele hing an Clairon Dido, und so waren wir mit dem Dichter zufrieden.

Noch ist sie eine edle reizende Figur; ihre Grazie hat ihre Schönheit überlebt; ihre Stimme ist sanft und tönend; sie bleibt melodisch, wenn sie wüthet, und wird nicht kränklich, wenn sie klagt. Zwar ist sie nur klein; aber, wenn ihr Ausdruck gebieterischer Stolz wird, so wächs't sie empor, täuscht das Aug, und gleicht der Diane unter den Oreaden,

Gradiensque Deas supereminet omnea.

Dennoch schreitet sie nie athletisch über die Grenzen ihres Geschlechts; im heftigsten Sturme wehen mildere Töne der Weiblichkeit. Ihre königliche Yates Die beste tragische Schauspielerin zu der Zeit. sollte sie darum beneiden, welche immer zu sehr Virago ist. Nirgends kam sie mir vortrefflicher vor, als in den schweren Übergängen von einer Gemüthsbewegung zur andern; hinschmachtend, herzenschmelzend sagte sie, und mit einem Anstand, der ohne Sprache Seelen erschüttert:

                   

Est-il bien vrai, ce jour va donc nous separer?
Qui me consolera dans mes douleurs profondes?
Mon coeur, mon triste coeur, vous suivra sur les ondes,
Et d'une vaine gloire occupé tout entier,
Au fond de l'univers vous irez m'oublier.
M'oublier? ah Seigneur! de quelle affreuse idée
Mon ame en vous perdant se verra possédée?
Je sens que j'en mourrai – mais hélas! est-il temps,
Cher Prince, de hâter ces douloureux instans?

Nun wird, wie es scheint, Äneas gerührt, und Hoffnungsmorgenröthe glänzt in ihrem glühenden Auge; aber seine Antwort vernichtet alles; jetzt wandelt sie alle Grade der Empfindung durch, erst tiefe nagende Traurigkeit, dann aufwallendes Gefühl ihrer Würde, dann Muth, endlich mißlingender Versuch, den Mann zu verachten, an dem ihr Leben hängt. Ihr Spiel ist im Virgil geschildert:

                   

Talia dicentem jam dudum aversa tuetur,
Hic illic volvens oculos, totumque pererrat
Luminibus tacitis, et sic accensa profatur:
Nec tibi Diva parens, generis nec Dardanus auctor,
Perfide, sed duris genuit te collibus horrens
Caucasus
– – oder wie es Pompignan übersetzt:
Non, tu n'es point le sang des heros, ni des dieux,
Au milieu des rochers tu reçûs la naissance,
Un monstre des forêts éléva ton enfance,
Et tu n'as rien d'humain, que l'art trop dangereux
De séduire une amante et de trahir ses feux.
Dis-moi, qui t'appellait au bord de la Lybie?
T'ai-je arraché moi au sein de ta patrie?
Te fais-je abandonner une Empire assuré?
Toi, qui dans l'univers, proscrit, desespéré
Rebut des flots, jouet d'un espoir inutile,
N'as trouvé qu'en ces lieux un favorable Asyle.

Mittelmäßige Schauspieler schreiten alsdann in harte Dissonanzen über, und löschen den vorigen Seelenzustand aus; aber in der Clairon Spiel, und in der Natur, tönt die verlassene Saite noch nach. Weil ihre Leidenschaften alle aus der nämlichen Quelle flossen, so arteten sie auch nach ihrem Ursprung; durch alle strahlte, oder dämmerte, Liebe.

Als Äneas entfloh, war, nach dem mannigfaltigen Leiden, für den äußersten Schmerz, wie es schien, kein neuer Ausdruck übrig; hier überraschte sie uns durch eine glückliche Kühnheit. Sie schlug sich, unter einem nervenschneidenden Geschrei, mit beiden Händen vor die Stirne, ließ die Arme sinken, bebte erstarrend zurück, und im Auge war trostentsagende, todgeweihte Verzweiflung. Wir zitterten bleich um sie her, als wären wir mit zum Tode verurtheilt. Dieser Zug wirkte, wie Ihr Spiel, mein Freund, im Hamlet oder Makbeth. Es war eben die Grabesstille des Hauses, und überall, im Parterre und den Logen, erblickte man festgeheftete, verzogene Menschengestalten.

Die Kunst zu sterben ist auf der Bühne, wie in dem Leben, schwer. Ich höre zuweilen ein Heldengewimmer, das Bauchgrimmen anzugeigen scheint; hier drängen sich stöhnende Seufzer aus hohe strebender Brust, fremde Tonart klang in der Stimme, und das fliehende Leben weilte zuckend auf der Unterlippe.

Alle Fremde spotten gern über den französischen Theateranstand. Man findet darin eine tactrichtige, widernatürliche Zierlichkeit, eine hochtrabende Menuetten-Manier, die auf den Tanzboden gehört. Allerdings übertreiben sie, für den nördlichen Geschmack, Stellung, Gang und Declamation; aber man überlegte nicht, daß sie nicht für uns, sondern für ihre Landsleute, spielen. Jedes Volk ist gewohnt, durch ein eigenes Medium zu sehen; man täuscht und rührt uns nur, wenn man die Vorstellung in unsere Sehwinkel stellt, und unsern Sitten näher bringt. Vollkommene Wahrheit alter oder ausländischer Sitten wird, weder von dem Dichter, noch dem Schauspieler, erreicht; sie ist auch zu fremd für unsere Empfindung. Eine karthagische Prinzessin, wie sie vielleicht damals halbnackend durch die Felder strich, würde in unserm Zeitalter nirgends gefallen, und Shakespeare kannte sein Publicum, als er Römer und Dänen zu Engländern machte. Auch Clairon ist Französin; aber sie mäßigt, durch ihren Geschmack, was sich zu sehr von der allgemeinen Natur entfernt; sie verachtet die Pariser Theatergrimassen, das tragische Schluchzen, das Wiegen der Arme, und den Heldinnentritt.

Soll ich nun auch tadeln, weil ich einmal das leidige Handwerk eines Kunstrichters treibe, der, wie ein bürgerlicher Krämer, keinen Weihrauch ohne Zusatz verkauft? soll ich dem aufgeklärten Freunde der Clairon gestehen, daß es mir vorkam, als wenn diese Darstellerin aller Empfindungen nur wenig selbst empfinde? Man fühlt und erräth das deutlich aus einer gewissen Härte ihres Spiels; alle Wendungen scheinen mir überlegt, jede Miene beschlossen zu seyn; sie versteht es, wie die Alten, ihre Declamation zu notiren, und kann, ich bin es überzeugt, Rechenschaft von jeder Note geben. Zwar begreife ich, daß Begeisterung so wenig als Talent allein, den Schauspieler vollendet; er muß lange, wie der bildende Künstler, nach dem Leben modelliren und zeichnen. Sie selbst haben Ihren Schrecken im Hamlet gewiß von einem Geisterseher gelernt; was allen Partridgen Dieser Kritikus ist aus dem Tom Jones bekannt. so natürlich vorkommt, ist oft Resultat einer mühsamen Arbeit, der endlich gerathene Versuch einer oft mißlungenen Übung. Aber gleichwohl hat Horaz nicht Unrecht, man rührt nur, wenn man selbst gerührt ist; sonst kann der Ausdruck richtig seyn, und dennoch über die Seele gleiten. Die Verstellung schimmert durch; ein solches Spiel ist, was in der Malerei die harten richtigen Umrisse sind, sie machen der Kunst des Meisters Ehre, und erinnern, daß es ein Bild ist. Dem ungeachtet bin ich, mein Freund, mit Ihrem Urtheil einig, Clairon ist der Stolz der hiesigen Bühne. Als sie so herrschte über uns, und ihr unsre Thränen huldigten, da hätte ich mir den Erzbischof in der Nähe gewünscht, um ihn treuherzig zu fragen, ob er dieser Königin nicht neben orthodoxen Todten ein wenig Erde gönnte?

Die Dumenil habe ich auch gesehen, welche sonst aufzog, wie die strahlenlose Nacht, und fürchterliche Blitze schleuderte. Jetzt wetterleuchtet sie nur noch; es ist ein verzogenes Gewitter, und ihre Talente sind erschöpft. Sie spielte die Agrippina; in einzelnen Stellen erstrebte sie Kraft, ja zuweilen durchschauerte sie das Herz durch Züge aus der leidenden Natur, aber ganze Tiraden sagte sie im frostigen Einklang her, und vertilgte so den Eindruck wieder.

Le Cain, als Nero, bat meine Erwartung äußerst betrogen; der wollüstige Tyrann war kein Pedant, sondern ein wohlerzogener Bösewicht, nach griechischen Sitten gebildet. Hier strotzt er, wie ein High-Steward, und entwickelt langsam jede Bewegung, als beugte man Gelenke von Blei; im Eifer gleicht er einem Kämpfer, und in der Ruhe setzt er sich, wie das Modell einer Zeichnungsschule, zurechte; so urtheilen hier vernünftige Männer, und Alembert sagte noch neulich, daß er Mahomet's Rolle erwürgt. Aber Voltairens Freundschaft und die Mode dringen ihn dem Kennerpöbel auf; er ist, behaupten sie, unnachahmlich in jeder Leidenschaft, das heißt, er zürne mit geballter Faust, und klagt mit einem lauten Gebrülle.

Molé ist der Liebling der feinern Welt; alle Damen räuchern ihm; man nennt ihn beider Musen Günstling, und weint und lacht ihm zu gefallen. Es ist wahr, er hascht den Geist seiner Rolle, und hat ein gewandtes gefälliges Spiel; als Liebhaber ist er süß und schmachtend, und als Marquis, oder Fat nach der Mode, geht er allen seinen Nebenbuhlern vor; denn dieser Charakter mißlingt auf der Bühne, so häufig er in der französischen Gesellschaft ist. Im Leben ist er schon Affectation, und ein Grad mehr in der Nachahmung macht ihn zur unleidlichen Carricatur. Für das Trauerspiel ist Molé zu zierlich, zu sehr ein weicher zärtlicher Stutzer, der Krämpfe spielt, wenn er heftig wird, und mit dem Umfang seiner Stimme nicht durch die ganze Tonleiter der Leidenschaften reicht.

Aber Preville ist, ohne Zweifel, der König aller Crispine, und, in seinem eingeschränkten Fach, der Garrick dieses Volks. Bei ihm scheint nichts gelernt, nichts geübt, nichts nachgeahmt zu seyn; seine Rolle, glaubt man, ist ein tägliches Leben; er ist zu Hause, wir mit ihm; er vergißt die Zuschauer, wir die Bühne; jede Wendung, jede Miene ist ein launiger, drolliger Einfall, voller gutmüthiger Erzschelmerei. In ihm webt Molierens Geist lebendig, und die Natur hat seinen Körper für seine Gaben gebaut. Wenn er auftritt, so fühlt man sich in der Zeit der wahren Komödie; alles athmet helle Fröhlichkeit. Er reizt nicht zum verbissenen Lächeln; er gefällt dem kalten Kritiker nicht allein, sondern alle, denen das Zwerchfell nicht fest sitzt, alle Geschlechter, Alter und Stände jauchzen ihm Beifall durch ein tobendes Lachen.

Ich versäume Molierens Stücke nie, und finde das Haus gewöhnlich einsam und leer; ein schlimmes Zeichen für den heutigen Geschmack. In jeder Kunst gibt's eine höchste Stufe, dann wandert sie wieder bergab. Das Lustspiel artet nun zurück; keine neue Arbeit ist mit dem Menschenfeinde, dem Geizigen und dem Tartüffe zu vergleichen. Man hat zuweilen diese Meinung, die Schutzrede der Ohnmacht genannt; die Sitten, sagt man, ändern sich täglich, und bieten also neuen Stoff zur Schilderung dar; aber, wenn auch Ton und Lebensart und Witz und Mode ewig wechseln, so erhält sich dennoch die Natur, welche immer die nämliche war; ihre großen Züge sind verbraucht. In Frankreich trifft man jetzt nur auf Nüancen, auf Eigenheiten kleiner Zirkel, auf einzelne seltene Varietäten. Der Wohlstand richtet alle Geister und Herzen nach Einem Leierstückchen ab. Ihre Meister haben in der Fülle gepflückt; sie lesen jetzt nur dürftig nach, und sammeln taube Früchte. In England ist noch die Menschengattung mannigfaltig, wie Ihre Gärten; dennoch fehlte nicht viel, so hatte man auf der Bühne Ihre thätigen Britten in flache gallische Schwätzer verwandelt. Darum verdienen Sie den Dank Ihrer Zeit, daß Sie die elende Gattung verdrängten, und Shakespeare's nervige gesunde Natur wieder belebten durch Ihre schöpferische Kunst.

 


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