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III.
Die Nachforschungen

Die beiden Unbekannten waren jung und elegant gekleidet.

Obgleich es sehr kalt war, war doch weder der Eine, noch der Andere durch jene abscheulichen Röcke entstellt, welche dem »Nordwest« der englischen Matrosen so schlecht nachgeahmt sind, und von den französischen Schneidern Paletots genannt werden.

Der jüngere dieser beiden Männer, blond, schlank, von dem anmuthigsten Wesen, trug über seinem übrigen Anzuge einen Ueberrock von weißlichem Tuch, wattirt, und mit einer langen und breiten Taille. Die große Schleife seiner schwarzen Atlascravatte wurde durch eine Nadel mit Türkisen befestigt; seine beinahe eng anliegenden, ganz hellblauen Beinkleider fügten sich anmuthig seinen glänzend gewichsten Stiefeln an.

Der andere Unbekannte, braun, etwas älter, hatte ebenfalls das Aeußere eines Weltmannes; er trug einen bronzefarbigen Ueberrock, mit Sammtkragen und Aufschlägen von derselben Farbe. Seine hellgrauen Beinkleider ließen einen sehr hübschen mit einem Halbstiefel von schwarzem Casimir bekleideten Fuß sehen; eine ziegelrothe Phantasie-Cravatte, mit breiten weißen Streifen, paßte vortrefflich zu seiner Gesichtsfarbe und seinem braunen Haar.

Wir verweilen bei diesen kleinlichen Details, weil sie die, so zu sagen, wilde Neugier erklären, mit welcher diese beiden Männer von den Stammgästen des Café Lebœuf beobachtet wurden.

Der jüngere der beiden Unbekannten, blond und von sehr vornehmem Wesen, schien in heftiger Aufregung zu sein.

Indem er eintrat, nahm er seinen Hut ab, setzte sich fast niedergeschlagen an einen Tisch, und stützte den Kopf in seine beiden, mit feinen Handschuhen bekleideten Hände.

– Zum Teufel, sagte sein Freund, den wir Alfred nennen wollen, zum Teufel, beruhigen Sie sich, Gaston. Sie werden sich getäuscht haben, sage ich Ihnen. Sie ist es gewiß nicht gewesen.

– Sie war es nicht? erwiederte Gaston, lebhaft den Kopf erhebend und voll Bitterkeit lächelnd. Sie war es nicht? Wie? Wenn ich sie auf dem Maskenballe unter tausend Frauen, nur an ihrem Gange, an dem, ich weiß selbst nicht was, erkennen würde, das nur ihr allein angehört, soll ich mich getäuscht haben? Ach Alfred, Sie halten mich also für ein Kind; ich sage Ihnen, daß ich sie aus ihrem Wagen und in einen Miethwagen steigen sah, in einen blauen Miethwagen mit rothen Fenstervorhängen; sie hatte ihre verwünschte Madame Blondeau bei sich, und diese trug das Kästchen.

Bei diesen, von dem jungen Manne ziemlich laut ausgesprochenen Worten konnten die Stammgäste des Café Lebœuf eine Bewegung der Freude nicht unterdrücken.

Herr Godet sagte mit leiser Stimme zu seinen Mitverschwornen:

– Hört Ihr? Das Kästchen! – Das Kästchen! – Es ist ohne Zweifel das, welches die alte Frau so eben dem Bedienten des Vampyrs eingehändigt hat. Bravo! Das verwickelt sich immer mehr und mehr und wird sehr interessant. Laßt uns horchen. Gebt mir eine Zeitung; ich will mich geschickt zu den beiden Herren schleichen, die mir ganz wie ein Paar Schelme aus der höchsten Gesellschaft aussehen.

Indem er diese Worte sprach, näherte er sich dem Tische, an welchem die beiden jungen Männer sich miteinander unterhielten.

Diese bemerkten, daß man sie aufmerksam beobachtete, und setzten, verdrießlich über die Nähe des Herrn Godet, ihr Gespräch, zum großen Mißvergnügen der Neugierigen, in englischer Sprache fort.

– Aber was war das für ein Kästchen? sagte Alfred.

– Ein Kästchen, das sie mir gegeben, und das mein Kammerdiener dumm genug war, dieser Madame Blondeau auszuliefern, da er glaubte, daß ich sie geschickt hätte. – Diesen Morgen, als ich nach Haus kam, theilte Pierre mir die schöne Geschichte mit. In meinem Staunen eile ich zu ihr. – Sie war ausgegangen. – Ich begegne Ihnen auf dem Pont-Royal vor dem Pavillon der Flora, und während wir miteinander plaudern, sehe ich sie so deutlich, wie ich Sie jetzt sehe, auf der andern Seite der Brücke mit Madame Blondeau in einen kleinen blauen Miethwagen steigen.

Der Fiacre fährt ab, erzählte Gaston weiter; wir haben nur so viel Zeit, über die Brücke zu eilen, während Sie die Richtung beobachten, welche der Wagen verfolgt; ich eile nach der Rue du Bac, ein Cabriolet zu holen; ich bringe es; wir steigen hinein und folgen dem kleinen Fiacre bis zu der Einfahrt in die Rue du Temple. Seit einer Stunde durchirren wir nun alle Straßen, um den Fiacre wiederzufinden, doch umsonst. – Aber noch einmal, was kann sie nur im Marais, in dieser Einöde, machen? Sie kennt hier keine Seele, haben Sie mir gesagt. – Sie werden sich getäuscht haben, sage ich Ihnen.

– Nein, nein! begann Alfred bei einer neuen Bewegung der Ungeduld seines Freundes wieder. Aber wenn sie es auch wirklich war, die Sie gesehen haben, so begreife ich, unter uns gesagt, Ihren Verdruß und Ihre Unruhe immer noch nicht. Sie sagten mir noch gestern, daß Sie diese Verbindung abbrechen wollten und daß Ihre Heirath –

– Nun ja, ohne Zweifel, ich wollte brechen; seit zwei Monaten arbeite ich heimlich an diesem Bruche; aber ich habe tausend Gründe, um sie zu schonen, und es ist mir abscheulich, daß sie mir zuvorkommt. Dieses Kästchen enthielt ihre Briefe, und ich bin in Verzweiflung, sie nicht mehr zu besitzen. Nie gebe ich die Briefe zurück; das ist ein System bei mir: man weiß nicht, was geschehen kann.

– Aber wie hat Pierre das Kästchen weggeben können?

– Mein Gott, die höllische Blondeau hat es in meinem Namen verlangt, indem sie sagte, daß ich bei ihrer Gebieterin wäre. Pierre hat hundert Mal gesehen, wie die Blondeau mir Briefe brachte und mir vertraute Aufträge ausrichtete; er hat kein Mißtrauen gehegt, sondern ihr geglaubt.

Sie wußte also, daß ihre Briefe in diesem Kästchen waren?

– Ohne Zweifel; sie selbst hatte es mir dazu gegeben; ich hatte den Schlüssel und kannte die geheime Oeffnungsart; es stand in einem Schranke meines Schlafzimmers, das ich nie verschließe, denn ich habe volles Vertrauen zu Pierre.

– Aber, mein lieber Gaston, je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr finde ich darin so manches Unerklärliche; weshalb hat sie das Kästchen nicht ganz einfach bei sich behalten, statt es, wer weiß wohin, zu bringen?

– Sie wird es nicht gewagt haben.

– Sie wird es nicht gewagt haben? – Es ist doch hoffentlich nicht die Eifersucht ihres Gemahles, vor der sie sich fürchtete, sagte Alfred, indem er unwillkürlich lächelte.

– Ich kann Ihnen nicht mehr sagen, erwiederte Gaston in großer Verlegenheit und dunklem Erröthen; aber sie hat Gründe, zu glauben, daß das Kästchen anderwärts überall sicherer aufgehoben ist, als bei ihr selbst.

Alfred sah Gaston voll Staunen an. Das ist etwas Anderes, sagte er, und nun glaube ich Ihnen; aber im schlimmsten Falle sind es doch nur immer unfreiwillig zurückgegebene Briefe, und ich sehe nicht ein –

– Nein, das ist noch nicht Alles! Erfahren Sie denn, daß in diesen Briefen Bemerkungen von mir und einer andern Frau über diese Liebe standen. – Nun, mein Gott, ja, eine Herausforderung, ein Uebermaß von Schelmerei, eine Fanfaronade vom schlechtesten Geschmack, zu der ich mich leider verlocken ließ und die ich jetzt verwünsche. Denn wenn sie will, und ich gestehe, ich habe so schlecht gegen sie gehandelt, daß sie es wollen kann, so vermag sie mir fürchterlich zu schaden; ich kenne ihren Geist, ihre Festigkeit des Willens, und Sie wissen, welchen Einfluß sie in der Welt genießt. – Ach, Alfred, bei alle dem, was ich mir auf meine Feinheit zu Gute thue, habe ich gehandelt wie ein Schuljunge, wie ein Dummkopf, und bin jetzt ihrer Gnade preisgegeben.

– Nun, nun, mein lieber Gaston, es ist genug, wenn man die Reue erwartet; man braucht ihr nicht entgegen zu gehen; keine Uebertreibung. Sie haben Unrecht gehabt, Unrecht begangen – gegen sie, sagen Sie? Doch das ist nicht Frage. Es kommt darauf an, zu wissen, ob dieses Unrecht Ihnen schaden kann; und das glaube ich nicht. Man sagt, sie soll großmüthig und stolz sein; ehedem konnten Sie selbst die Eigenschaften ihres Herzens nicht genug rühmen; Sie hielten sie einer Schlechtigkeit, einer schwarzen Handlung nicht für fähig.

– Ach, Sie wissen eben so gut, wie ich, daß das eben die Charaktere sind, welche zuweilen am meisten leiden und sich über begangene Untreue am meisten ereifern, dafür am grausamsten rächen. – Seit zwei Jahren habe ich mich über sie nicht zu beklagen gehabt; und gleichwohl habe ich ihr viel Grund zur Eifersucht gegeben. Doch es ist einer jener stolzen Charaktere, die ihre Thränen bezwingen und uns stets mit heiterer Stirn empfangen. Das ist oft verletzend für die Eigenliebe, außerdem aber habe ich ihr, ich sage es noch einmal, nichts vorzuwerfen. Hätten Sie mir nicht diese Heirath vorgeschlagen, die mein Vermögen auf mehr als 50,000 Thaler Renten steigert, die Hoffnungen noch ungerechnet, so hätte ich, meiner Treu, diese Liaison fortgesetzt, und wenn auch nicht als ein Vergnügen, doch wenigstens als eine angenehme Gewohnheit. Und dann lag nichts Drückendes in unserer Verbindung; das war mir bequem, und, Alles wohl erwogen, weiß man, was man aufgiebt, aber nicht, was man erhält.

– Das Alles, mein lieber Gaston, ist ganz vortrefflich gedacht; es athmet den dreifachen Duft des Egoismus; Ihr ganzes Benehmen hat bis jetzt diesen Wundergeruch der Personalität gehabt. Lassen Sie sich daher nicht durch eitle Besorgnisse irre führen. Sie wollten brechen? Nun wohl, die Entführung dieses Kästchens ist ein hinreichender Grund zum Bruche. Was die Noten betrifft, wie Sie das nennen, was also die Noten betrifft, die sie dabei finden wird, so wagt eine Frau in ihrer Lage und eine Frau, die sich so sehr achtet, wie sie, nicht eine Rache, durch die sie sich in das Verderben stürzen kann, oder durch die man sieht, daß sie geopfert wurde – meiner Treu, ich frage nicht, wen, denn das kümmert mich wenig. – Noch einmal, lieber Gaston, glauben Sie mir, das Alles kann nicht besser sein.

Mein Gott, rief er nach einem Augenblicke des Stillschweigens und wie von einem plötzlichen Gedanken ergriffen, sie hat sich vielleicht an den Fluß fahren lassen, um das Kästchen hineinzuwerfen.

– Sie sind verrückt, Alfred. Sie hätte die Briefe ja nur zu Haus verbrennen dürfen und Alles wäre aus gewesen. Noch einmal, sie behält sie, und zwar, um einen boshaften Gebrauch davon zu machen.

– Einen boshaften Gebrauch? sagte Alfred, indem er ungeduldig die Achseln zuckte. Was beweisen diese Briefe? Nichts, als daß Sie schlecht gegen sie gehandelt, sie geopfert haben! Wer Teufel nimmt aber je die Partei einer geopferten Frau? Betrüben Sie eine Frau von Welt durch das abscheulichste Betragen, behandeln Sie sie öffentlich mit der rohesten Grausamkeit, und ihre vertrautesten Freunde werden überall sagen, der Unglücklichen widerfahre nur, was ihr gebühre; die Männer aber werden Ihre rohe Unverschämtheit beneiden, ohne zu wagen, Ihnen nachzuahmen, wie die kleinen Spitzbuben die Straßenräuber beneiden.

– Ich sage Ihnen, Sie kennen sie nicht, erwiederte Gaston.

Als Alfred die Blässe und Aufregung seines Freundes sah, sagte er, und zwar auf Französisch: – Beruhigen Sie sich, Gaston; wir waren in diese abscheuliche Schenke eingetreten, um einen Augenblick auszuruhen und ein Glas Wasser zu trinken.

– Sie haben Recht, entgegnete Alfred, indem er umherblickte, aber Alles sieht hier so unreinlich aus, daß wir vielleicht nicht einmal ein Glas erträgliches Wasser bekommen können.

Die unziemlichen Worte erhöhten den Zorn der Madame Lebœuf und ihrer Stammgäste, welche wüthend darüber waren, von der Unterhaltung der beiden jungen Männer, seitdem diese englisch sprachen, nichts verstehen zu können.

– Madame, ich bitte um ein Glas Zuckerwasser, sagte Gaston zu der Wittwe.

Ohne zu antworten, rührte diese majestätisch eine zersprungene Klingel und rief dazu mit kreischender Stimme: – Boitard! Boitard! ein Glas Zuckerwasser!

– Was für ein abscheulicher Kohlengeruch! sagte Gaston, indem er sich die Stirn hielt; mir brennt der Kopf.

– Dazu kommt noch, erwiederte Alfred mit Ekel, ein Dunst von Schimmel und altem Rentier, daß man wahrlich verpestet wird.

– Aber, Madame, ich hatte ein Glas Zuckerwasser bestellt, sagte Gaston ungeduldig.

– Aber, mein Herr, es scheint mir, als hätte ich stark genug nach Boitard geklingelt, erwiederte die Wittwe bitter, indem sie ihre Klingel auf's Neue rührte.

– In der That, es ist wahr, Gaston, Madame hat nach Boitard geklingelt, sagte Alfred mit viel Ernsthaftigkeit; haben Sie etwas Geduld. Da ich aber der Erscheinung des Boitard mißtraue, so will ich aus Vorsicht eine Cigarre anzünden.

Alfred zog eine Cigarrentasche von Limastroh hervor, nahm ein chemisches Zündzeug aus einem damascirten silbernen Kästchen, und fing an zu rauchen.

Die Stammgäste des Kaffeehauses sahen einander ganz verdutzt an und wußten nicht, wie sie diese verwegene Neuerung benennen sollten.

Einige husteten, Andere stießen wiederholt ein kräftiges Hm! Hm! aus; ohne das Interesse der Neugier, welches die jungen Leute durch die Rolle einflößten, die sie in dem Abenteuer des dem Bedienten des Vampyrs übergebenen Kästchens zu spielen schienen, hätten die Wittwe und ihre Anhänger ohne Zweifel gegen diese Tabagiemanieren lebhaft protestirt.

In diesem Augenblicke erschien Boitard, ein aufgedunsener Bursche mit nackten Armen, für den jede Jahreszeit die Hundstage waren.

Er trug auf einem bestoßenen Präsentirteller eine Caraffe, ein Glas von zwei Zoll Dicke, und fünf Stückchen Zucker in einer halbzerbrochenen Untertasse.

Während Gaston in tiefe Gedanken versunken zu sein schien, sah Alfred, beide Hände in seinen Taschen, mit einem mit Ekel gemischten Mißtrauen das Glas Wasser an und rief dann plötzlich aus:

– Aber Boitard, mein Lieber, es ist eine Spinne in Eurer Caraffe. Das ist mehr, als wir verlangt haben. Wir sind eilig. Wir wünschen blos ein Glas Wasser, ohne Spinnen, wenn es möglich ist.

Boitard fuhr mit einer seiner großen Hände durch sein Haar, kratzte sich den Kopf, sah aufmerksam in die Caraffe und erkannte in der That die wirkliche Anwesenheit einer Spinne. Statt durch diese abscheuliche Entdeckung verlegen zu werden, zuckte er die Achseln und wendete sich halb gegen die Wittwe und die Stammgäste.

Diese Bewegung schien zu sagen: Wahrlich, der Herr spielt mit seiner Spinne den Ekelhaften.

Die Wittwe und die Stammgäste antworteten hierauf durch eine andere Pantomime, welche ungefähr bedeutete: Ach Gott, Boitard, sprich nicht davon; es ist erbärmlich.

Boitard zuckte abermals die Achseln, nahm die Caraffe in die eine Hand, fuhr mehrmals mit seinem dicken, schmutzigen Finger in den Hals hinein und begann einen Fischfang ganz neuer Art.

Dieser Fischfang wurde mit dem schönsten Erfolge gekrönt. Boitard zog die Spinne heraus, nahm sie zwischen Zeigefinger und Daumen, zertrat sie mit dem Fuße, setzte mit einer unerschütterlichen Kaltblütigkeit die Caraffe auf den Tisch und sagte zu Alfred, als hätte er ihm einen Vorwurf über die Laune eines verzogenen Kindes machen wollen: Ich hoffe, mein Herr, daß Sie mir jetzt nicht mehr sagen werden, es sind Spinnen in dem Wasser.

Alfred hatte das Benehmen Boitard's mit der tiefsten Bewunderung angesehen. Diese letztern Worte schienen ihm göttlich.

Er drückte ihm ein Fünffrankenstück in die Hand und sagte dabei: Das ist für Euch, Boitard; jede Vollkommenheit hat ihren Preis, und in Eurer Art, mein Lieber, seid Ihr ausgezeichnet unreinlich.

Boitard betrachtete wechselsweise das Geld, Alfred, die Wittwe und die Gäste mit einfältigem Aussehen.

Gaston, der noch immer träumend da saß, sagte halblaut und wie zu sich selbst: Was soll ich thun – was soll ich thun? Wo ist jetzt das Kästchen? – Und unwillkürlich streckte er die Hand gegen die Caraffe aus.

– Zum Teufel, wenn Sie das anrühren, Gaston! sagte Alfred.

Und er erzählte hierauf seinem Freunde den Fischfang der Spinne.

Gaston stieß voll Abscheu den Präsentirteller zurück und rief voll Ungeduld:

– Es ist unmöglich, ein Glas Wasser zu trinken. Mir brennt der Kopf, meine Kehle ist in Feuer. – Kommen Sie, Alfred, und lassen Sie uns einen Ort suchen, der etwas weniger abschreckend ist.

Diese Worte steigerten den Zorn der Wittwe auf den höchsten Gipfel.

Sie rief mit unwilligem Tone, indem sie sich an Alfred wendete:

– Zuerst, mein Herr – man raucht hier nicht, wie in einer Schenke – verstehen Sie mich? Und dann ist es mir auch lieb, Ihnen, Ihres spöttischen Wesens ungeachtet, zu sagen, daß, wenn Sie nicht trinken wollen, was man Ihnen hier vorsetzt, Sie es wenigstens den Andern nicht zum Ekel zu machen brauchen.

Alfred antwortete mit einer unwandelbaren Ernsthaftigkeit:

– Glauben Sie mir, liebe Madame, daß ich meinen Einfluß auf diesen Herrn nicht mißbraucht habe; ich erkläre Ihnen, daß er, seinen eigenen Neigungen überlassen, nie Spinnen ißt.

– Kommen Sie, die Frau ist verrückt, sagte Gaston, indem er einen Louisd'or auf den Schenktisch warf.

Die Wittwe schob stolz das Goldstück zurück, indem sie ausrief, daß man in ihrem Etablissement nur bezahle, was man verbraucht hätte.

– Ich habe dem Schelm schon etwas für seine Spinne gegeben, sagte Alfred zu Gaston.

Dieser nahm seinen Louisd'or wieder, und die beiden jungen Leute gingen.

Kaum hatten sie die Thür des Kaffeehauses hinter sich zugemacht, als Herr Godet ihnen, der Kalte ungeachtet, mit bloßem Kopfe folgte.

– Ihr Hut, Herr Godet, sagte die Wittwe, welche die Absichten ihres Gastes errieth.

– Mein Hut! sagte Herr Godet; ich brauche ihn nicht; ich werde Ihnen die schönen Gelbschnäbel augenblicklich, an Händen und Füßen gebunden und sanft wie die Lämmer, zurückbringen.

Mit zwei Sätzen hatte er die jungen Leute erreicht und berührte leise den Arm Alfred's, der ihm das meiste Vertrauen einflößte.

– Was wollen Sie, mein Herr? sagte dieser, verwundert über das komische Aussehen des Stammgastes.

– Ich will Ihnen einen großen Dienst erweisen, mein Herr, wenn es möglich ist und wie dies unter guten Bürgern sein muß; ich schlage Ihnen vor, uns gegen den gemeinsamen Feind zu verbinden. In diesem Augenblicke aber ist unser gemeinsamer Feind Robin des Bois, oder mit andern Worten: der Vampyr.

Alfred und Gaston sahen Herrn Godet an, ohne ein Wort von seinem sonderbaren Geschwätz zu verstehen.

Gaston sagte endlich zu Alfred: Kommen Sie, Freund; sehen Sie nicht, daß diese Leute verrückt sind?

– Dieser sieht mir etwas zu dumm für einen Verrückten aus, sagte Alfred.

Herr Godet, welcher fürchtete, daß seine Beute ihm entschlüpfen möchte, beachtete diese Beleidigung nicht, sondern sagte sehr rasch mit geheimnißvollem Tone:

– Ich weiß Alles: Sie suchen eine junge Dame, die in einem blauen Miethwagen mit rothen Fenstervorhängen, in Begleitung einer ältern Frau fuhr. Schwarzer Hut, brauner Mantel, graue Haare, das ist das Signalement der Alten; blonde Haare, Augenbrauen und Augen schwarz, das ist das Signalement der Jungen.

– Sie sind es! rief Gaston; dann seine Kaltblütigkeit wieder gewinnend, sagte er zu Godet, der mit boshafter Freude triumphirte:

– In der That, mein Herr, ich wünschte wohl zu wissen, welche Richtung die Personen, von denen Sie sprechen, eingeschlagen haben?

– Und besonders zu wissen, wohin sie das kleine mit Gold ausgelegte Schildpattkästchen hingebracht haben, nicht wahr, mein Herr? entgegnete Herr Godet.

– Wie, sind Sie davon unterrichtet? sagte Gaston, immer verwunderter.

– Alles, was ich Ihnen auf meine Ehre versichern kann, ist, daß die alte Frau vor einer Stunde und vor meinen Augen das Kästchen an den Bedienten des Vampyrs gegeben hat, sagte Herr Godet.

Diese Neuigkeit war so unerwartet, so überraschend, daß die beiden jungen Leute sie nicht glauben konnten.

Tausend widersprechende Gefühle, Unruhe, Zorn, Eifersucht, Rachgier, Neugier kreuzten sich in Gaston.

– Mein Herr, rief er erblassend, Sie müssen mir augenblicklich sagen, wer die Person ist, die Sie den Vampyr genannt haben, und wo sie wohnt.

– Bst, Sie sind nicht dumm, werther Freund, dachte Herr Godet, der nicht geneigt war, seine Opfer so bald aufzugeben. Er fuhr daher fort, indem er auf seinen kahlen Schädel deutete: Ich mache Sie darauf aufmerksam, meine Herren, daß ich nicht mehr in meinem Frühling stehe. Wollen Sie in das Café Lebœuf zurückkommen, so könnten wir dort sprechen, ohne zu erfrieren.

– Es sei, sagte Gaston, indem er den Weg zu dem Kaffeehause der Wittwe wieder einschlug.

Nie war ein römischer Triumphator, der ganze Völker als Sklaven sich nachschleppte, stolzer als Herr Godet, da er in das Café der Wittwe, begleitet von den beiden jungen Leuten, zurückkehrte.

Er gab den Gästen ein Zeichen, ihre Neugier zu mäßigen, und trat dann in eine Ecke des Zimmers.

Herr Godet hütete sich wohl, den beiden jungen Leuten sogleich den Namen des Obersten zu nennen; ihrer Ungeduld ungeachtet, mußten sie alle die abgeschmackten Geschichten ertragen, welche der Aelteste unter den Stammgästen des Café Lebœuf geschmiedet hatte.

Ohne die bestimmten, augenscheinlichen Thatsachen, welche dieser unbarmherzige Neugierige bereits enthüllt hatte, würde Gaston seinen Worten nicht den geringsten Glauben geschenkt haben; er war gleichwohl gezwungen, die Geschichte von dem Schusse, von dem prachtvollen Wagen, von der Uniform des Obersten und endlich von seinen gotteslästerlichen Besuchen auf dem Kirchhofe des Pater La Chaise mit anzuhören.

Unter allen diesen Albernheiten fiel den jungen Leuten wenigstens die sonderbare Existenz des Obersten auf.

– Mein Herr, sagte Gaston, ich habe die Ehre, Sie das zum zwanzigsten Male zu fragen, erweisen Sie mir die Gnade, zu sagen, wo dieser Mensch wohnt? Alle diese näheren Umstände sind ohne Zweifel sehr merkwürdig, aber noch einmal – die Adresse des Obersten – seine Adresse?

– Folgen Sie mir, meine Herren, sagte Godet, indem er plötzlich mit imponirendem Wesen aufstand. Er öffnete die Thür des Kaffeehauses, streckte die Finger aus, zeigte Gaston die kleine Thür des Hôtel Orbesson und sagte: Da, mein Herr – das ist die Wohnung des Vampyr – gerade gegenüber – die Seitenthür.

Gaston eilte auf die Thür zu, ohne ein Wort zu sprechen.

Herr Godet schloß die Thür des Kaffeehauses und rief, indem er sich die Hände mit einer teuflischen Freude rieb:

– Das kocht, meine Herren, das kocht! Jetzt an unsere Löcher!

Die Gäste des Café Lebœuf stellten sich auf ihre Beobachtungsposten.

Gaston klingelte heftig.

Das Gesicht des alten Bedienten des Obersten erschien, doch nicht an der Thür, sondern an dem Schiebefenster.

Die beiden jungen Leute schienen dringend Einlaß zu begehren; Bitten, Drohungen selbst, Alles blieb nutzlos, und Gaston mußte sich darin fügen, seine Karte, auf die er in der Hast einige Worte schrieb, durch das Fenster zu reichen.

Als Herr Godet bemerkte, daß die beiden Unbekannten eifrig sprachen, öffnete er die Thür des Kaffeehauses ein wenig und hörte deutlich, wie Gaston mit zorniger Stimme sagte:

– Auf morgen früh um neun Uhr. Es wird dann keine Entschuldigung geben, hoffe ich.

Die beiden jungen Leute verschwanden, indem sie sich mit großen Schritten entfernten.



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