Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
In der Woche, die auf dies erste Verhör folgte, trieb es mich um in verzehrender Unrast. Ich hatte vor dem Bischof meinem Grimm freien Lauf gelassen, und nun kam der Rückschlag. Nicht um mich war mir bange; aber ich fühlte, daß meines Vaters Sache schlimmer geworden war durch meine ungestüme und ungezügelte Art. Der Magister schalt mich in hellem Zorn und sprach: »Meint Ihr, so mir offenem Haß und der grimmigen Wahrheit in solchem Prozeß etwas zu gewinnen wäre, ich hätte diesen Haß und diese Wahrheit nicht auch zur Hand gehabt? Ihr habt Euch gebärdet wie ein geschwätzig, sinnlos und unüberlegt Weib, das mit seiner Nachbarin keift; aber nicht wie eine, die ihren Vater will lösen aus den Banden der Hexenrichter. Hat Euch nicht auch der Domizellar dazumal gesagt, ihr sollet zwar die Wut behalten; aber das Schreien lassen? Ich sag Euch, wir alle müssen's entgelten!«
Dieweil ich solche zürnenden Vorwürfe mir selbst stündlich machte, wollte ich sie aus des Magisters Mund nicht ruhig hinnehmen, sondern ich widersprach voll Ärgers: »Ei, Herr, ich achte, wer für die Wahrheit will fechten, der muß auch die Wahrheit als Schwert haben.«
Der Magister entgegnete: »Jungfer, Ihr saget da ein Sprichwort, davon man erzählt, ein Advokat habe es von einem Pfaffen vernommen, und also darüber lachen müssen, daß ihm ein artig Kröpflein angewachsen sei.«
Ein andermal, da der Magister bei mir in der Stube saß, ward ein Getümmel und Lärmen, als wäre es drüben auf der neuen Brücke. Lamprecht schickte den buckligen Samuel fort, daß er sehe, was wieder werden wolle in der unruhigen Stadt. Das Männlein ging mit etlichem Murren, denn er war unsicher auf den Füßen und die Wege schlüpfrig von vielem Morast. Wir späheten indessen hinüber durch unser Fensterlein, konnten aber nichts sehen, dieweil es schon begann, dunkel zu werden. Der Magister kehrte sich ab und rüstete die Ampel auf dem Tisch und sagte: »Ein unterhaltend und kurzweilig Leben führt man derzeit zu Würzburg; denn jeder neue Tag 112 bringt ein neu Schauspiel.« Danach zog er ein Buch aus seinem Wamse und begann zu lesen, indes ich mit klopfendem Herzen lauschte und wartete.
Endlich kam Samuel zurück; und da er ans Licht trat, sahen wir, daß sein kurz, tuchen Wams mit Kot der Straße überzogen war.
Rupprecht sprang mit Winseln an dem Knecht in die Höhe, denn er hatte an ihm einen guten Freund gewonnen, der mit viel Geduld und Geschick am Mainufer die häßlichen Wasserratten fing, davon der Hund dieser Zeit sein Leben fristete.
Samuel begann mit lautem Lachen des Hundes Fell zu streicheln und sagte: »Ja, ja, da hättest du sollen dabei sein!«
Wir verwunderten uns über das Männchen, das dastund, als müsse es am Lachen ersticken. Endlich begann er zu reden.
Er war in ängstlicher Vorsicht, wie es der schlüpfrige Kot erheischte, über den Fischmarkt gegangen. Unweit der Kanzlei war ihm der Tungersleben, der rothaarige Spielmann, begegnet; diesen fragte er, weswegen die Leute also dem Kaulenberg zurennten und Geschrei machten. Aber der Mann hatte keine Antwort gewußt, sondern in ängstlicher Scheu ihm vertraut, der Vikarius zu Hach, der Hafnerin Sohn, sein ehemaliger Spielkamerad, sei heute am hellichten Mittag eingebracht worden, dieweil er die Hostie verunehrt habe. Im Vorüberführen habe der Malefikant seinen Jugendgefährten freundlich gegrüßt, und dies bedeute nun sicherlich Unheil. Danach ging Samuel weiter, den Leuten nach, dem Kaulenberg zu. Am Domprobsteihof, an der Ecke, wo der Gang hinführt gegen die Küche, stund die Menge, und er fragte einen jungen Buben, was es zu sehen gebe. Da lachte dieser und sagte: »Zu sehen noch nichts; nur zu riechen; aber bald wird das Mahl für die Herren über den Hof getragen und es möchte jeder, der zu Würzburg laufen kann, einmal wieder eine Pastete oder einen gebratenen Frischling von Angesicht zu Angesicht sehen.«
Und Samuel merkete einen lieblichen Geruch von Gesottenem und Gebratenem in der Luft, also, daß er auch stehen blieb. Ein Mann aber, der neben ihm stund, berichtete, daß Abgesandte der Liga zu Würzburg seien, Herren von Mainz, 113 Köln, Bamberg, Trier, und auch weltliche Vertreter, als Pfalz, Neuburg, Bayern, Leuchtenberg und noch etliche.
Während der Mann sprach, fingen die Leute zu johlen an, denn ein Koch lief mit einem hochgetürmten Brett kleiner Pasteten eilig aus der Küche. Da geschah's, daß der Koch in dem schlüpfrigen Kot ausglitt und seine Pasteten unter die Leute rollten.
Obgleich der erschrockene Mann schrie: »Laßt sie liegen, um der Heiligen willen, ich habe gelb Arsenikum hineingebacken, denn sie sind für die Ratten im pröbstlichen Keller,« fiel es doch keinem ein, den duftenden Raub fahren zu lassen, sondern mit vollen Backen schrien die Leute: »Was dem Probst seine Ratten hinmacht, ist heutzutag gut für Würzburger Stadtvolk!« Einer brüllte: »Halt's Maul, Giftmischer!«, und ein anderer: »Wir kennen die Ratten, sie fressen in der Fastenzeit besser, als wir am Festtag!«
Auch Samuel hatte ein Pastetlein erwischt, und als er an den leckeren Schmaus dachte, fing er wieder von vorne an zu lachen. Und es war dies Lachen ein selten und ungewohnt Geräusch in diesem Hause.
So der Magister und ich gleich von Tag zu Tag warteten, daß wir aufs neue vorgeladen oder in Haft genommen würden, geschahe doch nichts, und es war, als seien wir vergessen.
Es hieß in der Stadt, Se. Gnaden leide an bösem Gliederreißen, Klopfen und Stechen im Herzen und an Alpdruck; und dieser Druck sei die unheimliche Rache der verfolgten und bedroheten Hexen im Hochstift. Zu Ende des Februarmondes war alles Kriegsvolk abgezogen aus Stadt und Stift Würzburg. Es war deshalb aber nicht ruhiger, und wenn auch die Fremden fort waren, hatten sie doch ihr zuchtlos, frech Wesen und ihre schandbaren Laster dagelassen in der verwilderten Stadt. Die Posten der städtischen Wehr an den Toren wurden verringert, und darob gab es viel bös Blut, dieweil sich die Männer gern in der schweren Zeit auf Kosten der Stadt hatten füttern lassen. Am Burkhardertor kam es zu einer Schlägerei, davon der Lärm bis zu uns herüberhallte. Samuel sagte, es seien entlassene Stadtsoldaten, bischöfliche Söldner und etliche 114 Viertelsmeister und Herren vom Magistrat in der Trunkenheit handgemein geworden. Danach leuchtete es durch des sinkenden Abends Grau herüber, wie der Schein einer Feuersbrunst. Der Magister lief selbst zu sehen, was es gebe, und Samuel eilte seinem Herrn nach. Als ich vielleicht eine halbe Stunde am Fenster geharret hatte und die Nacht fast ganz herniedersank, sahe ich einen hohen Menschen über den Weg laufen, gegen unser Häuslein her. Es ward mir heiß und kalt, da ich sein Pochen an der Tür vernahm, und etwas in mir schrie in verzehrender Sehnsucht nach dem vermummten Manne, den ich dort draußen wußte. Aber so mir gleich nie jemand gesagt hatte, was einem Mägdlein gezieme an feinen Sitten und ehrbaren Gebräuchen, wachte doch zu jener Stunde das Weib in mir auf; und indes ich erschauerte vor Verlangen nach dem geliebten Manne, drückte ich mich in die Ecke in meiner Stube und hielt mit den Händen die Ohren zu, daß ich sein dringend und ungestüm Pochen nicht mehr hören möchte. Danach loderte der Feuerschein heller auf vor meinem Fenster. Es griff mir eine unsägliche Angst ans Herz, daß der harrende Mann möchte bedroht sein. Gestapf, wie von schweren Tritten, hörete ich vom Dom her, und die Sturmglocke, die zu Würzburg fast nicht mehr zur Ruhe kam, begann ihr Gewimmer. Die bange, süße, ängstliche Glut, die mich so fremd durchströmt hatte, ging unter in den Schrecken der Zeit, und indes ich mein starres Wesen zurückkehren fühlete, ging ich zur Tür, dem Domherrn Wolf Dieter zu öffnen. Er drängte sich rasch in den Flur und griff nach meiner Hand, mich in die Stube zu ziehen. Den schwarzen Mantel schlug er ein weniges zurück, daß ich sein totenblaß Gesicht erkennen konnte, dann zog er mich heftig an sich. Die Krause des geistlichen Gewandes berührte meine Stirn, als wolle sie an argen Frevel mahnen; doch schrak ich nicht zurück und alles andere wich weit von hinnen vor dem einen Gedanken, daß ich von nun an nicht mehr sollte verlassen sein. Wie lang ich also verharrete, weiß ich nicht. Des Hundes klägliches Gewinsel schreckte uns auf. Es war in der Stube so dunkel, daß der blasse Feuerschein fahl hereinleuchtete; aber als ich nach dem Öllämplein griff, wehrete mir der Domherr und zog mich fort an das hintere Fenster 115 der Kammer, durch das zu entweichen dem hochgewachsenen Mann ein Kleines sein mußte. Dort ließ er meine Hand los, und, indes er seinen Mantel wieder höher zog, begann er: »Mägdlein, Euer und Eueres Vaters Los heischt nicht Worte, sondern rasche Taten, so saget mir denn, ob Ihr mir zu vertrauen und zu folgen gewillt seid?«
Ich schlang in wildem Ungestüm meine Arme um seinen Hals und meisterte mein Schluchzen, daß ich mochte »Ja« sagen.
Er machte sich von mir los, und indes er sacht den Fensterriegel niederdrückte und spähend über den dunkeln, einsamen Damm und den gurgelnden Main hinblickte, sagte er leis: »So kommt!«
Er stieg auf das Gesimse und schwang sich hinunter; dann klimmte er an einem Mauerstein wieder halb in die Höhe und streckte die Arme nach mir aus, daß er mir möchte hinaushelfen. Aber ich sprang auf einen Schemel und schwang mich behend aus dem Fenster, denn es war mir, als müßte ich ihm zeigen, daß ich freiwillig und mit ganzem Entschluß aus der Heimat entweiche, um ihm zu folgen. Der Domherr tastete nach meiner Hand und zog mich hastig gegen den Main hin, schräg aufwärts gegen die Brücke. Das Klopfen meines Herzens nahm mir schier den Atem; doch huschte ich eilends neben dem Manne dahin. Das Wehr rauschte vor uns, und von drüben, vom Burkhardertor her, klangen immer noch wilde Schreie und das prasselnde Krachen eines großen Brandes. Hart am Mainufer strebten wir hin, dem heftigen Wind entgegen, der heulend unter der Brücke durchpfiff. Kein Mensch war am Wasser zu sehen; aber auf der Brücke hörete man die Leute lärmen, auch sahe man die Fünklein der Laternen durcheinanderzucken. Es hatten die Wachen wegen des Sturmes ihre Feuer gelöscht: also daß der Main in schweren, schwarzen Fluten durch die völlige Nacht dahinrauschete. Auf den großen Quadern am Wehr, hart vor uns, tauchte jetzt plötzlich eine dunkle Gestalt auf. Ich schmiegte mich in Angst an meinen Begleiter, doch hörete ich ihn alsbald halblaut sagen: »Isabel.«
Da entgegnete der Vermummte voll Freude: »Renata!«, und ich lag in meines Vaters Armen. 116
Ehe ich noch aufgehört hatte, den Langentbehrten zu herzen, drängte der Domherr weiter gegen die Brücke zu.
Eine kleine Landzunge, darauf ich oft bei niedrigem Wasser die Kinder hatte seltsame Kieselsteine sammeln sehen, sprang vor in den Fluß. Jetzt war sie überspült, denn der Main ging hoch, wie fast allezeit im Vorfrühjahr. Es grauete mir, wie ich den Liebsten sahe in das schwarze Wasser hineinschreiten; aber ich folgte mit meinem Vater. An der äußersten Spitze war ein Nachen an einen Pflock gekettet. Die Männer zogen ihn her, bis er still lag. Wir stiegen hinein und ich hörete meinen Vater sagen: »Im Namen Gottes!« Der Domherr lachte leise und entgegnete: »Für einen Hexenmeister habt Ihr keine üble Devise!« Nun begannen die Männer mit ihren Rudern den Kahn abzustoßen. Alsbald glitt er mainabwärts, drehete sich einmal rundum und fuhr blitzschnell dahin. Rechts aus der inneren Stadt und links aus dem Burkharder Viertel scholl dumpfer Lärm und das Geläute der Glocken, dann und wann sahe man Lichter auftauchen; aber das einsame Boot auf dem Main entdeckte niemand, zum mindesten rief uns niemand an. Da das Pleichertor schon hinter uns lag, begann unser Schifflein langsamer zu treiben, dieweil die Strömung vom Wehr jetzt nicht mehr wirkte. Die Männer zogen die Ruder ein, denn man sahe die Zollhäuser schwarz am Ufer auftauchen und ein Bangen ergriff uns, daß die Wächter uns möchten anrufen. Aber kein Licht flammte drüben auf, die Kähne, die rechts und links auf den schwarzen Fluten schaukelten, blieben leer, und kein ander Geräusch, denn das Glucksen des Wassers und das Geheul des Windes in der Luft war zu vernehmen. Da hörete ich den Domherrn laut aufseufzen, fast war es ein Schluchzen, und ich wußte, daß dies der überstandenen Gefahr galt. Der Steinberg glitt langsam vorüber, und am andern Ufer die Mauern von Oberzell. Mein Vater führete mit ruhiger Hand die Ruder und nannte mir leise dann und wann den Namen eines der Orte, die in dunklen Umrissen auftauchten und zurückblieben, sonst sprachen wir nichts. Grauschwarz ward jetzt die Nacht, man spürete den Mond hinter der Wolkendecke; aber zu sehen war er nicht. Langsam ging es vorwärts, ich weiß 117 nicht, wie lange, dann gebot Wolf Dieter meinem Vater, aufs Ufer zuzuhalten.
Unter niedrigem Erlengestrüpp stiegen wir aus. Der Domherr half mir heraus, dann langte er ein Bündel aus dem Nachen und reichte es mir herüber; er selbst setzete sich wieder ans Ruder.
Ich rief voll Schreckens: »Was tut Ihr?«, denn ich vermeinete nicht, daß er uns verlassen sollte.
Aber er sagte: »Ich führe das angefangene Werk zu Ende. Morgen wird es zu Würzburg heißen, der Teufel habe den Hexenmeister aus dem Kanzleihöflein entführt und mitsamt seiner Tochter aus der Stadt gebracht. Und es werden dann wohl auch die Händel am Burkhardertor und der Brand dieser Nacht dem leidigen Teufel zugeschrieben. Und nun, Doktor – Ihr wisset Weg und Ziel! Vermeidet noch Karlstadt; es ist dieser Tage kein guter Boden für Hexenmeister. Ihr müßt ohne Aufenthalt Gemünden erreichen. Das Gemäuer, das über die Stadt ragt, heißet der Schorenberg. Auf dem Wege dahin ist eine Kapelle des heiligen Zyriakus und daneben ein Mesnerhäuslein. Dort saget Ihr dem Mesner, der Wolf Dietrich von Schaumberg sende Euch, daß Ihr eine Woche herbergen möget; der Alte wird Euch behalten. Ich aber muß indes noch einmal zu Würzburg den Teufel spielen, und Eile tut not.«
Ich schluchzete auf und streckte die Arme aus nach der schwarzen Gestalt im Nachen; aber mein Vater trat ganz vor und bat: »Vergesset nicht die Botschaft an den Magister; er sorgt sich um Renata!«
Da rief der Domherr zurück: »Und Ihr, Doktor, erzählet der Jungfer von Johann Appel von Nürnberg und vom Friedrich Fischer von Heidingsfeld. Saget aber dem Mägdlein, daß ich statt dem Würzburger Spottlied über die beiden einen guten und wahrhaftigen Schluß ihrer Geschichte wisse.« Diese Worte waren mir dunkel; aber ich achtete ihrer weiter nicht, denn vor mir sahe ich den herzliebsten Mann hingleiten über die schwarzen Wogen, und es schlugen der Jammer und Schmerz zusammen über mir, dieweil mein Herz wild und ungebärdig war im Lieben und im Hassen. Mein Vater nahm mir den Pack vom Arme und zog daraus einen tuchenen Mantel hervor, weit und 118 lang, so wie ihn die Geschlechterfrauen vor Jahren pflegten auf der Straße zu tragen.
Als ich ihn umlegte, fiel etwas zu Boden, und da wir mit tastenden Händen suchten, fanden wir ein Säcklein mit Münzstücken, die sich danach als gute, volle Taler erwiesen, und wir ersahen wohl, daß der Domherr mit großem Bedacht unsere Flucht bewerkstelligt hatte.
Ich hing mich schwer an meines Vaters Arm, denn es kam mich nach der Erregung der letzten Nachtstunden eine tiefe Schwäche und Mutlosigkeit an, insonderheit, dieweil der Domherr wieder zurückgekehret war gen Würzburg, das mir als ein offener Höllenrachen erschien nach allem, was ich seit dem späten Herbst darin erduldet hatte. Im Vorwärtsschreiten begann mein Vater leise zu berichten von der Qual seiner langen Haft und den Schrecknissen des Gewölbes, darin man ihn hatte halb verhungern lassen. Zweimal war er verhört worden; aber wessen er eigentlich so hart verklagt war, das konnte er nur aus den schandbaren Fragen der Richter entnehmen, denn weder ward ein Kläger oder Zeuge zu den Verhören zugezogen, noch ward eine Klageschrift verlesen. Da mein Vater den vernehmenden Jesuiten vorhielt, daß sie nicht dem Rechte gemäß verführen, sagte einer, er solle sein sündhaftes Maul halten, dieweil er von einem geistlichen Gericht nichts verstehe. Es war auch der junge Domherr Wolf Dietrich von Schaumberg bei den Verhören zugegen gewesen, und als einer der Jesuiten dem verstockten Delinquenten hart ins Gewissen geredet und ihn vermahnet hatte, zur Vermeidung etlicher Tortur zu gestehen, entweder dem ganzen Kollegium der Richter oder einem geistlichen Beistand, war der Domherr vor meinen Vater getreten und hatte ihn gefragt, ob er nicht ihm alles gestehen wolle. Dieweil etwas im Ton der Stimme und im Blick der Augen des geistlichen Herrn lag, das wie eine bittende oder mahnende Ansprach war, hatte mein Vater zugesagt, und der Domizellar war am Abend in der Zelle erschienen. Ohne daß er meinen Vater über die Schandtaten, deren der unglückselige Mann beschuldiget war, befraget hätte, erklärete er, daß er ihm aus seiner schmählichen Haft zu entweichen behilflich sein wolle.
Da mein Vater sich des verwunderte von einem Herrn des 119 Domstifts, bedeutete ihm der Domherr, daß er mehr wisse von meines Vaters Leben voll Arbeit und Hilfsbereitschaft, denn die meisten Leute zu Würzburg; dieweil er in den letzten Wochen viel Mühe daran gesetzt habe, über den schwarzen Doktor etliches zu erfahren. Und es gestand der hochgesinnte Mann meinem Vater auch die Liebe zu mir, dem verfehmten Mägdlein, die ihn allgewaltig erfaßt habe, schon damals zu St. Burkhard.
Mein Vater lachte leise auf und fuhr weiter fort: »So hätte mir dies Geständnis den Glauben an diesen Mann gegeben, denn wenn ein Domherr dem Vater seiner Liebsten seine Neigung vertrauet, so ist der Mann ehrlich und offen. Wir beredeten am vorgestrigen Abend die ganze Flucht; sie war in dieser bösen Zeit nicht schwierig; denn die Wächter im Kanzleihöflein sind ausgehungert und mißmutig zum Dienst, auch abgestumpft gegen das Wesen mit Hexen und Hexenmeistern, und der Schließer, der mir mein Krüglein mit Haberbrühe zutrug am Morgen und am Abend, sagte oft, daß er an kein Teufelsbündnis mehr glaube, seit er sehe, wie die Gefangenen in derselbigen Not liegen mit ihren hungrigen Mägen wie er, der christgläubige Mann. Der Domherr trug mir nach und nach einen großen Humpen 23er Weines zu und eine Pastete von Schnecken. Und an diesem Abend versprach ich dem Schließer, so er bei mir bleiben wolle, bis der erste Stern sich am Himmel zeige, wolle ich ihm wohl Wein und Pastete herschaffen mit meines höllischen Kumpanes Hilfe. Der Mann, den des Hungers Gier lüstern und schwach machte, blieb da, und ich tischte auf, bis er trunken lag. Dann ging ich und fand außen keine Wache: sie waren alle zum Brand, und es läutete mit den Sturmglocken, da ich zum Wehr lief, als wolle ich auf den Brandplatz. Dieweil die städtischen Soldaten wider die bischöflichen sind und die bischöflichen wider die städtischen, gedachte ich jeder Wache zu sagen, ich sei der andern entsprungen; doch hielt mich keine an in dem Getümmel.
So ich nicht dich dahintengelassen hätte, wäre mir am Entweichen wenig gelegen gewesen; denn ob der Bischof ließe alles dürre Rebholz von Würzburger Markung auf einen Haufen tragen und unter dem schwarzen Doktor anzünden; es müßte 120 die ganze Glut doch in etlichen Stunden vorüber sein, und du weißt, daß ich nun mehr denn zwanzig Jahre ein verzehrend Feuer in mir trage, das nicht verlöschen will. Auch brannte ich darauf, dem Bischof gegenüber zu stehen, dem Manne, dem mein sterbend Weib gezeigt, daß es ihn mehr verabscheue, denn meine Ketzerei und lange Lüge. Vielleicht hätte ich dann endlich, endlich zeigen können, daß meines Lebens Feigheit mir nur aufgezwungen war als eine schier unerträgliche Last.«
Mein Vater sprach fast heiser und blieb stehen, indes er sein entsetzlich hager Gesicht rückwärts kehrte gegen die Stadt, die weit hinter uns lag. Der Mond stand jetzt hell tief am Horizont, und im Süden über der Gegend vor Würzburg hingen schwere Wolken wie ein schwarzes Tuch, und ich ballte meine Fäuste kindisch gegen die Stadt hin. Die kotige Straße führte durch ein nieder Eichengehölz, darin der Wind widerlich durch die dürren Blätter fuhr, daß es ein laut Geräusch gab. Es war eine wilde, ungute Nacht. Lange Zeit gingen wir schweigend weiter. So wir gleich viele Wochen waren getrennt gewesen, hatten wir doch nicht Lust zum Reden; denn all das Elend drückte uns darnieder. Als ich einmal bei dem Magister gejammert hatte über die Qualen, die man den verklagten Hexen in der Tortur zufüge, hatte er mir versichert, daß die Natur nur ein gewiß Maß von Schmerz zulasse, und daß darüber hinaus jegliche zugefügte Marter nur dumpf, stumpf und gefühllos mache, wie man es oft auf der Folter erprobet und gesehen; also, daß man bei den Daumenschrauben ein entsetzlich Geschrei und Gejammer, aber beim Aufziehen und Glühen nur leise Seufzer und still Gebet vernommen habe. Damals wunderte mich des Magisters Rede; aber wie ich in dieser Sturmnacht mit meinem Vater dahinschritt, stumm, gleichgültig und ohne Hast, wußte ich, daß es eine Grenze der Schrecken und ein Maß der Angst gibt, darüber hinaus nichts erschrecken und nichts ängstigen kann.
Der Mond stieg hinunter, und es ward sehr finster, also, daß wir nur stolpernd vorwärts kamen, denn der Weg war bös ausgefahren. Mein Vater meinte, es sei dies von den Truppenzügen und Geschützwagen, die so oft schon den Main entlang gekommen waren. Wir hatten wohl die Lichter von Karlstadt 121 gesehen; aber seine festen Mauern im Bogen umgangen, und als es hinter uns lag, vermochte ich mich nicht mehr weiter zu schleppen. Wir saßen nieder auf einen Stein am Wege und erwarteten das Grauen des Morgens, und ich schlief alsbald ein. Als kaum der Weg zu erkennen war, weckte mich mein Vater. Der kurze Schlaf hatte die Stumpfheit von mir genommen; ich vermochte wieder zu fragen und zu erzählen.
Es fielen mir auch des Domherrn Worte ein von dem Spottgedicht, und ich bat meinen Vater, mir zu sagen, was es damit wäre. Er strich mir aber über den Kopf und sprach: »Warte, bis der Domherr dir den guten Schluß dazu selbst sagen mag!«
Aber ich ließ nicht nach mit Drängen, bis mein Vater antwortete: »So ich auch das Gedicht nicht weiß, so weiß ich doch etwas von den beiden Doktoren Appel und Fischer, die zu Würzburg dermaleinst Chorherren am Neuen Münster waren. Es lebten die beiden vor vielen Jahren unter einem Bischof Konrad, der sie als hochgelehrte und geschickte Männer zu seinen Räten ernannte und in seine Regierungskanzlei nahm. Die zwei führeten ein Leben voll Pflichttreue und Redlichkeit und dieneten dem Bischof nach allen Kräften; aber sie luden die Todsünde auf sich, daß jeder ein Weib ins Haus nahm, mit ihr in rechtmäßiger Ehe zu leben. Es kam zu Sr. Gnaden Ohren und er ließ die Frechlinge von der Kanzlei abführen, durch Stadtknechte über den Judenplatz und die Grafen-Eckhards-Gasse auf den Frauenberg bringen und im mittleren Turm festsetzen. Und obgleich die zweie Doktoren der Rechte und dazu geweihte Priester waren, also, daß sie sowohl die richterlichen Gebräuche, als auch die Vorrechte der geistlichen Herren zu Würzburg wohl kennen mußten, kam es doch keinem von ihnen in den Sinn, die Frauen, mit denen sie lebten, als Dirnen auszugeben und sich dadurch die Freiheit zu verschaffen; sondern sie bestanden fest darauf, daß ihre Ehen in Christo geschlossen und rechtmäßig seien. Auch verfaßte der Doktor Johann Appel ein gelehrtes lateinisches Schreiben, worin er aus vielen Stellen des Apostels Paulus, aus den Evangelien und dem Alten Testament die Ehe der Geistlichen wohl begründete und verteidigte. Ich habe diese wohlmeinende und verständige 122 Schrift selbst im Archiv des Bischofs Julius dereinst gelesen; aber daß obengedachter Konrad seine Räte daraufhin der Haft entlassen hätte, habe ich nicht gelesen, und du mußt warten, bis dir der Domherr der Geschichte guten Schluß erzählt.«
Als wir gen Wernfeld kamen, war der Tag grau und nebelig heraufgezogen und man sahe den Morgenrauch über den Dächern liegen. Obschon wir gerne Menschen gemieden hätten, trieb uns doch der Hunger in den Ort, und wir gingen, zu herbergen. Es gab daselbst eine Schenke »Zum durstigen Landsknecht«, ein neu, rötlich Backsteinhaus. Wir wagten uns hinein, für unser gut Geld Suppe zu kaufen. Zwei junge Dirnen stunden in der Stube und zogen ihre wollenen Röcke an und dazu tuchene Spenzer. Sie hatten auch in einem kupfernen Becken Waschwasser vor sich stehen und Kämme, Bänder und Nadeln lagen umher, als hätten die zwei eben ihre Haare gestrählt. Mein Vater bot ihnen einen Gruß und sie lachten leis, indes sie an ihren Haken und Nesteln zerrten. Da wir unser Begehren sagten, riefen sie aus der Tür: Gundel! Und es kam eine starke Magd, die uns alsbald einen zähen Brei zutrug. Wir sahen, daß uns die drei Dirnen mit großer Neugier betrachteten; doch fragten sie erst, als mein Vater Würzburger Münze zum Bezahlen darreichte. Die Magd sahe ihm frech ins Gesicht und sagte: »So Ihr aus Würzburg seid, Herr, so muß der Hunger dort nicht kleiner sein, denn bei uns, ob es gleich alle Wochen Gebratenes gibt vor dem Sandertor.« Die Dirnen lachten hell auf; aber mich entsetzte dies Wort, denn sie meinte mit dem Gebratenen die Unseligen, die vor dem Sandertor mit Feuer gerichtet wurden. Mein Vater antwortete nicht, sondern schob seinen Teller zurück und stund auf, um zu gehen. Nun sagte die eine: »Wisset Ihr vielleicht, Herr, ob wir noch zurecht kommen zum Brand, so wir uns jetzt eilig gen Würzburg auf den Weg machen. Es hat gestern der lange Rupprecht, Sr. Gnaden Knecht, uns vertrauet, daß am heutigen Nachmittag zwölf Hexen und Hexenmeister zumal sollen gerichtet werden.« Da fiel die Magd ein: »Das Göbel Babele ist darunter, die schönste Dirn zu Würzburg, ob der einer vom Stift Haug sei in den Main gangen; und mit ihr muß ein Student brennen, der sechs Sprachen weiß und also zu musizieren 123 vermag, daß Mensch und Vieh davon gebannt wird.« Die dritte der Dirnen lachte hell und sagte weiter: »Es kommt heut auch die Brüglerin daran, die dicke Bäckin, und sie soll langsam geschmort werden, dieweil sie so gut im Fett steht.«
Mein Vater zog sein Wams zurecht; ich sahe seine Finger zittern; aber er sprach nichts, sondern schüttelte den Kopf.
Eine der Dirnen fuhr ängstlich fort: »Meinet Ihr, Herr, wir kommen nicht mehr zurecht? Dann wollten wir lieber für heute dableiben und warten, bis der schwarze Doktor daran kommt, welcher der größte Unhold im Stift ist, und sein schön Weib und den vorvergangenen Bischof umgebracht hat mit Teufelswerk. Der Rupprecht sagt, daß das Scheusal bald an der Reihe sei.«
Mein Vater zog mich gegen die Tür und in seinen schwarzen Augen flammte es bös, als er sagte: »Geht lieber heut, ihr wackeren Mägdlein, mit dem schwarzen Doktor ist es eine unsichere Sache, wenngleich auch ich hoffe, daß das Scheusal von Würzburg bald an die Reihe kommt.«
Dann enteilten wir durch ein winklig Gäßlein dem Ort. Erst da wir wieder draußen waren im breiten, nebeligen Maintal, schritten wir langsamer aus. Meines Vaters Gesicht war finster und bleich zum Erschrecken, und einmal ballte er die Fäuste, indes er sprach: »Als zu, Bischof! die Dirnen zu Wernfeld zusamt deinem Stadtvolk und deinen Knechten brauchen Schauspiel und Kurzweil!« Danach faßte ich mir ein Herz und erzählete meinem Vater, wie ich mich zum Zeugenverhör in der hochfürstlichen Kanzlei völlig gewaltsam hatte melden lassen, dieweil ich vermeint hatte, ihn dort zu sehen, und ich tat auch mit Scham und Bangen alles dar, was ich in meiner heftigen Art gezeuget und geredet, darob mich der Magister und mein eigenes Überlegen so grimmig hatte zurechtgewiesen. Ich vermeinete, mein Vater würde mir mein unklug, jäh Wesen vorhalten, aber er blieb stehen und nahm meine Hände, indes seine Augen aufflammten, und er sprach: »Gesegnet seist du tausendmal, meine herzliebe Renata! Es sagt dir's einer, der es erprobt hat: so Klugheit der Welt, Berechnung, Menschenfurcht oder Menschendienst hinleiten zu unwahrem Wort und feiger Heuchelei, so sind schon die Fesseln geschmiedet, 124 daraus man unsäglich schwer loskommt, und einer, der um der Wahrheit willen in Banden liegt, ist ein freierer Mann, denn der, der durch Lüge sich loskaufet. Ich will gerne mein zertrümmert Leben hinnehmen, so mein einzig Kind aus diesem Leben etwas gelernt hat.« Noch lange war meines Vaters Angesicht hell, wie von Stolz oder Freude. Bald danach sahen wir Gemünden in der Ferne liegen, wie es gebettet ist an den Abhängen des Spessart und der Rhön, und darüber die Mauern und Trümmer der Burg, die der Domherr den Schorenberg genannt hatte. An den fernen Höhen leuchtete es hell auf, als würden sie getroffen vom Strahl der Sonne, und zu unserer Linken ballten sich dichter und unruhiger die Nebel über dem Strom, als seien sie in angstvoller Hast vor der verzehrenden Feindin. Und da sie mählich heraufkam, stieg aus dem Brachland, darüber wir hinschritten, der feuchte, erdige Geruch, wie von erstem lenzlichem Erwachen, den ich wohl kannte von meinem Heideland. Ich dachte daran, wie ich einstens mit Ursula über die frühlingsfeuchten, grauen Stoppeln, darüber der Lenzwind strich, gegangen war; und wie sie dazumal meine Hand erfaßt hatte, mich zurückzuhalten zum Lauschen und zum Atmen.
Da hatten die blinden Augen hingestarrt über das öde Heideland, als sähen sie des Himmels Herrlichkeit in lichter Ferne, und das Mägdlein hatte gesagt: »Renata, ich rieche, wie das Leben über die Welt gehet! Ja, wenn die Lenzluft also daherkommt, dann weiß ich gewißlich, daß der Tod verschlungen ist in den Sieg, und daß ich meine Mutter werde dereinst wieder haben.« Als ich verwundert neben ihr stillstand, griff sie mit ihren weißen Händen in die Luft und rief: »Oh, könnte ich's halten, könnte ich's halten, was ich um mich spüre: Leben, nichts als Leben und Sieg!« Mir war die Blinde fast unheimlich gewesen, wie schon oft, wenn ihre wundersamen, leeren Augen so ins Unendliche starrten. Aber wie ich auf unserer angstvollen Flucht jenen Duft wieder roch, streckte auch ich die Hände aus und rief: »O Herr Vater, warum muß Ursula in der Zelle liegen, jetzt, da das Leben wieder über die Welt gehet!«
Es war aber das erstemal, daß ich auf unserer Flucht von Ursula sprach. Da wandte sich mein Vater rückwärts, mir zu; 125 fahl war er wie ein Toter und seine Augen traten aus den Höhlen wie in entsetzlichem Schreck und irrer Frage. Er faßte mich am Arm, daß ich fast aufschrie, und indes er mich schüttelte, stieß er hervor: »Ist sie eingezogen?« Daran merkete ich erst, daß mein Vater nichts wußte von der Unseligen grausamem Geschick, und ich weinete laut auf. Er ließ mich los und taumelte gegen den Wegrand wie trunken, und schrie auf wie ein Unsinniger. Ob ich gleich in den letzten Monden des Elends genug gesehen und davon gehört hatte, war es doch nichts gegen diesen Aufschrei des stillen, verschlossenen Mannes.
Auf eine Flurschranke in dem einsamen Gelände setzte er sich, und ich mußte ihm alles sagen von Anfang an, und ich vermeldete getreulich, wie sich Ursula gewehrt hatte, den Häschern zu folgen, bis sie von einem unter ihnen vernahm, daß der schwarze Doktor ihr Schicksal teilen müsse. Daraufhin seie sie willig geworden und ohne Widerrede mitgegangen. Mein Vater stund auf. Sein starr Gesicht wurde milder und er wendete sich zurück auf den Weg, den wir gekommen. Ich lief ihm nach und hielt ihn fest und schrie in Angst: »Herr Vater, was tut Ihr?« Aber er machte sich los und sahe mich lange an, dann sprach er: »Ich muß, weißt du nicht, daß ich muß? Soll ich immer den Kopf aus der Schlinge ziehen und feiger sein denn die anderen?« Da weinte ich bitterlich und entgegnete: »Aber Ihr opfert Euch dahin und könnet doch Ursula nicht lösen.« Mein Vater sprach: »Wär's, wie du sagtest, ich müßte dennoch zurück. Aber denke daran, daß ich gestern um diese Stunde nicht Sonne noch Himmel sahe, und heute stehe ich vor Gemünden und dem Asyl. Auch des blinden Mägdleins Gewölbe ist nicht fester denn meins war, und sie soll nicht umsonst sich den schwarzen Doktor zum Gefährten erwählt haben, und wenn es nur fürs Sterben wäre.«
Ich sahe ein Leuchten über meines Vaters Antlitz gehen und schlang erschüttert meine Arme um den unglückseligen Mann, und ich wußte nun, daß er zurück mußte. So wandten wir denn um gegen die verruchte Stadt, angesichts der Türme von Gemünden, wo wir wohl hätten Freiheit finden mögen. Und weder meinem Vater noch mir kam es in den Sinn, daß wenigstens ich hätte können Asyl suchen; sondern wir schritten 126 ohne Worte Hand in Hand dahin. Einmal, als uns der Hunger quälte, kauften wir ein Bohnenbrot; es war zu Veitshöchheim in der Backstube nahe beim Schloß. Sonst hielten wir nirgends an, sondern eilten mehr, in die Gefahr zurückzukommen, denn wir geeilet hatten, ihr zu entweichen. Es blieb der Weg am Tage nicht einsam; aber doch hielt uns niemand an, denn ein jeder mußte um sich selber sorgen. Nach einem langen, mühseligen Weg kamen wir ans Pleichertor; mein Vater zauderte nicht, sondern schritt vorwärts, obwohl dies Tor das bestbewachte zu Würzburg war, denn seit der Kriegsgefahr stunden dort neben der städtischen Wehr noch bischöfliche Söldner. Ich zitterte, daß jemand meinen Vater erkennen oder in Fragen verwickeln möchte; aber die Soldaten und Wachleute stritten sich mit Männern herum, die Tragkörbe voll Deckelschnecken und Froschschenkeln wollten in des Bischofs Hof am Domplatz bringen.
Es war still in den Gassen; aber dieweil wir wußten, daß alles vor dem Sandertor war beim Hexenbrand, wunderten wir uns dessen nicht. Der Tag begann eben zu sinken, als wir an des Magisters Tür klopften, wo uns erst nach einer langen Zeit Lamprecht selbst auftat. Das Männlein riß seine Augen weit auf vor Schrecken und Staunen; aber er fragte nichts; sondern verrammelte die Tür wieder mit Kette und Holzpflock, während wir unserer Stube zugingen. Ich konnte nichts weiter tun, denn mich lang auf das Bett hinwerfen, indes mein Vater sich vor seiner Lade niederließ und den Kopf auf den Deckel legte. Dann hörte ich nur noch das Freudengewinsel des Hundes, das wie aus weiter Ferne mein Ohr traf.