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Vierzehn Tage später war Griseldis die Braut des Fürsten Karl Friedrich geworden.
Er saß ihr zu Füßen im Erker des Wohngemachs; feurig wie alles an und in ihm war die Liebe, die aus den Augen glühte, mit denen er die Gestalt seiner schönen Braut verzehrte. Er sah nur sie – und an ihr nur Edles, Gutes und Hohes. Sie ließ sich seine Huldigungen gefallen wie eine Königin und seine Zärtlichkeit mit einer Gelassenheit, die ihn noch mehr reizte, weil er sie für mädchenhaftes Sprödetun hielt.
Der alte Graf ging im Nebenzimmer auf und nieder, er war freudig erregt und bewegt.
Ehrenreich stand am Fenster und trillerte ein Jägerlied und sah nachdenklich und träumerisch in den leuchtenden Sommertag hinaus.
Anna Steinhofer glitt durchs Zimmer, sie hielt einen großen Rosenstrauß in beiden Händen und stellte ihn auf den runden Tisch in ein hohes Glas.
Ehrenreich sah ihr gespannt zu. Seine Augen leuchteten heller als sonst – das Liebestreiben im Erker nebenan regte ihn auf. Als sie schweigend das Zimmer wieder verlassen wollte und an ihm vorbeikam, trat er auf sie zu.
»Anna,« sagte er und sah ihr tief in die Augen, »warum seid Ihr so still? Ich finde, die Freude der beiden da drin steckt an. Man möchte es ebenso haben. Wollen wir es ihnen nicht gleichtun?« Er legte ihr die Hand auf den Arm, als habe sie enteilen wollen. Aber dem war gar nicht so. Entweder sie legte seinen Worten gar keine Bedeutung bei, oder sie wußte, daß man eine flüchtige Erregung am wirksamsten mit Ruhe dämpft. Sie blieb still stehen und sah ihn sinnend an.
»Nein, Junker,« sagte sie freundlich, »das Beispiel kann doch nur ansteckend wirken, wenn man auch den andern Teil schon weiß, der dazu gehört. Und den weiß ich nicht. Und Ihr, lieber Junker, seid noch viel zu jung zum Heiraten, genießt Eure Freiheit, ehe Ihr sie für immer aufgebt.«
Sie sprach's und schritt unbeirrt weiter. Seine Hand hielt sie nicht mehr zurück. Ehrenreich war betroffen und gekränkt – diese Auffassung vom Heiraten war ihm außerdem neu. Aber er zürnte ihr nicht – er betete sie nun noch mehr an. Der Alte, der mit halbem Ohr hingehört hatte, sah ihr zärtlich nach.
»Mach keine Dummheiten, Junge,« sagte er, als sie hinaus war. »Sie ist eine Besondere. Sie muß bei mir bleiben, wenn die andere fortgeht. Ich möchte nicht, daß ihr das um deinetwillen leid würde.«
Am andern Morgen mußte Ehrenreich zu seinem Regiment zurück; sein Urlaub war abgelaufen. Sein Abschied von Anna war, als sei nichts Besonderes zwischen ihnen gewesen. Sie glaubte, er werde das Aufwallen seines jungen Herzens draußen bald vergessen haben. Er aber hatte sich in langer schlafloser Nacht gelobt, daß Anna Steinhofer dennoch die Seine werden müsse.
Es begann nun ein neues Leben auf der Westernburg. Man teilte sich in zwei Parteien. Die eine war das Brautpaar. Der Fürst kam jeden Tag herüber; dann nahm er Griseldis für sich, hatte ihr immer Neues zu erzählen und konnte sich nicht satt an ihr sehen. Wenn er nicht da war, hielt sie sich abgesondert, schloß sich stundenlang in ihrem Zimmer ein und machte lange einsame Waldspaziergänge.
Die andere Partei waren der alte Graf und Anna. Vormittags ging ein jeder seiner Arbeit nach. Wenn in den Nachmittags- oder Abendstunden das Brautpaar koste, besprachen sie ernst und vernünftig Gegenwart und Zukunft. Der Haushalt lag ihr jetzt ganz allein auf. – Griseldis kümmerte sich um nichts mehr und wollte nicht einmal mehr gefragt werden. Sie war selbst dafür zu vornehm geworden. Nur um ihre Aussteuer ließ sie sich's angelegen sein. Sie ordnete alles bis ins kleinste selber an, wie sie es genäht und gestickt, und wie sie den Hausrat gewählt haben wollte. Aber nie legte sie selbst Hand mit an.
Anna Steinhofer saß mit unermüdlichem Eifer Tag für Tag bis in die Nacht hinein und arbeitete wie eine Näherin. Es wanderte kein Wäschestück in Griseldis' Hochzeitstruhe, das nicht Anna selbst zugeschnitten hatte.
Sie wurde blaß und sah oft bitter elend aus.
»Anna,« sagte eines Abends der Graf, als sie mit einem Korb voll Weißzeug herein kam, ihm Gesellschaft zu leisten, und nahm ihren Kopf zwischen seine Hände, – »du sollst nicht soviel arbeiten, Anna. Das viele Gebücktsitzen und Sticheln tut nicht gut. Du sollst nicht müde und abgenutzt sein, wenn sie nachher fort ist, denn dann brauche ich eine heitere Gefährtin.«
»Daran soll's auch gewiß nicht fehlen,« erwiderte sie freundlich, »aber für jetzt ist meine Hilfe nötig.« Und sie setzte sich und nahm Nadel und Faden zur Hand.
Im Herbst schon sollte die Hochzeit sein. Je näher der Tag kam, um so fieberhafter wurde Annas Tätigkeit. Die Arbeit häufte sich – aber Anna machte sich noch mehr als nötig war. Dabei wurde sie immer ernster und stiller. Ihre samtdunklen Augen hatten einen bangen, suchenden Ausdruck; es sah immer aus, als flehten sie um etwas. Dieser sonderbare Ausdruck wurde am intensivsten, wenn Griseldis anwesend war, er steigerte sich zu fieberischem Leuchten, wenn sie gezwungen wurde, mit dem Brautpaar in demselben Raum zu sein. Anna Steinhofer suchte. Sie suchte mit wahrer Herzensangst in den kalten Augen der Gefährtin nach einem Schimmer echter, wahrer Liebe für den Mann, dessen Weib sie werden wollte. Sie fand keinen.
Sie sah mit schneidendem Weh die Glut, die dieser Mann an seine Braut verschwendete, – dieser Mann, der vor der Fülle seiner eigenen Liebe den Mangel der Gegenliebe gar nicht fühlte.
In der Seele des stillen Mädchens war allmählich und sicher eine stumme, riesengroße Leidenschaft für diesen Manu erwachsen. Als er zum erstenmal ihr gegenüberstand, hatte sie aus seinen wilden Augen ihr Schicksal angesehen – und sie war diesem Schicksal ein für allemal verfallen.
»Warum hat die Kleine so merkwürdige Augen?« fragte Karl Friedrich eines Tages seine Braut, als Anna eben vorbeigekommen war.
»Was gehen dich Annas Augen an?« entgegnete sie scheinbar scherzend – und die alte Eifersucht regte sich in ihrem Herzen. Sie beugte sich vor und küßte ihn – zum erstenmal von selber. Seine Wonne darüber war so groß, daß er seine Frage und Annas Augen schnell vergaß.
An einem goldigen Herbsttage wurden sie zusammengegeben zu einem christlichen Ehepaar. Es war ein großes, rauschendes Fest. Anna Steinhofer trat in diesen Tagen ganz in ihre Arbeit zurück und kam fast gar nicht zum Vorschein. Der Alte und der Junge eiferten dagegen – es nützte nichts, sie wollte es so. – Nur eins hatte sie sich ausgebeten. Sie wollte die Braut selber schmücken.
Griseldis ließ es sich gefallen. Angenehm war es ihr nicht, aber sie wußte keine andere, die es so gut machen würde, und sie wollte heut' so schön wie möglich sein.
Anna Steinhofer schnürte ihr das Brautkleid zu, sie setzte ihr den Kranz auf und steckte den Schleier auf ihre blonden Flechten. Sie legte ihr das Perlengeschmeide um, den Familienschmuck der Runkelsteiner und drückte ihr das Spitzentüchlein in die Hände. Sie sprach wenig dabei, und ihre Finger regten sich mit kundiger Sicherheit.
Sie rang immerfort mit einem Entschluß. Sie wollte Griseldis bitten, den zu lieben, der heut' ihr Gatte werden sollte. Aber sie brachte es nicht über die Lippen – aus Scham – aus Stolz.
»Leb wohl, Griseldis,« sagte sie, als sie fertig war. »Gott gehe mit dir – Gott und das Glück!«
Dann ging sie, den Fürsten zu rufen, daß er seine Braut in Empfang nehme.
Sie ging nicht mit in die Kapelle. Unvermerkt blieb sie zurück und schmückte die reichbesetzte Tafel. Mit den andern niederzusitzen hatte sie nicht vermeiden können; sie hatte ihren Platz weit unten, und war bald nachher wieder entschwunden. – Sie mußte Griseldis Reisekleider bereitlegen und ihr beim Umkleiden helfen.
Griseldis kam herein – heiß vom Wein und der Erregung.
»Bemüh dich nicht unnütz,« sagte sie hastig; »ich bleibe wie ich bin.«
Sie stieg mit ihrer langen, weißen Schleppe in den geschlossenen Glaswagen, der sie in die neue Heimat führen sollte. Anna Steinhofer machte hinter ihr den Schlag zu. Dann ging sie hinauf in ihr Zimmer.
Sie stand am offenen Fenster und sah den Wagen unten über die Brücke fahren. Nun war er drüben. Nun rauschten die Wellen der Lahn zwischen ihnen.
Schloß Runkelstein war hellerleuchtet und sah wie eine Riesenfackel von seiner felsigen Höhe herab. Hoch darüber funkelte der helle Abendstern, und der Mond zog eine leuchtende, zitternde Straße quer über das unruhig atmende Wasser.
Nun kamen stille Zeiten für die Westernburg. Die letzten Gäste reisten ab, die letzten Spuren des Festes wurden getilgt. Die sonnigen Herbsttage wichen den Wolken und Stürmen des Novembers; die rissen die letzten Blätter von den Bäumen und machten die Wege grundlos. – Anna Steinhofer konnte sich schwer finden in die stille Zeit, nach all der Arbeit und Erregung, die hinter ihr lag. Sie ging umher, als ob sie etwas verloren habe.
Endlich fand sie sich zurecht mit dem, was ihr geblieben.
Es war immerhin genug – sie war Hausfrau, Tochter und Gefährtin des vereinsamten Alten, und er hielt sie wie sein eigen Kind. Sie lebten den langen Winter dahin, in weltabgeschiedener, inniger Zusammengehörigkeit, und bei der Gleichförmigkeit der kurzen Tage verging die Zeit schnell genug. Zu Weihnachten kam Ehrenreich und brachte einen erfrischenden Luftzug mit Er war mit Anna wie Bruder und Schwester, und niemand ahnte seinen stillen Vorsatz.
Als er wieder fort war und das heitere Lachen verstummte, machte der Graf etliche Tage ein nachdenkliches Gesicht. Er beobachtete Anna heimlich und oft, und sagte endlich eines Abends: »Kind, ich mache mir Gedanken darüber, daß ich dich und deine Jugend an mein einsames Alter kette. Du hast hier nicht, was du brauchst!«
Sie sah ihn erstaunt an.
»Was fehlt mir denn, und wo könnte ich es besser haben?«
»Nun ja – du bist mir lieb, und ich halte dich danach – aber ich bin doch nur ein alter Mensch. Es fehlt dir etwas Junges« –
Anna Steinhofer schüttelte lächelnd den Kopf.
»Ich brauche nichts Junges, ich bin zufrieden und glücklich, wie es ist. Ich kann mir wirklich nicht denken, was ich mir anders wünschen sollte.«
Da blieb es dabei; dem Grafen konnte ja nichts Lieberes geschehen. Er dachte bei sich: »Ja, ja, sie ist wirklich eine Besondere und anders wie andere Mädchen.« Aber wie es kam, daß sie so anders war, dem dachte er nicht nach.
Auf dem Runkelstein blitzten abends keine Lichter mehr, und bei Tage sah man nur geschlossene Fensterläden.
Der Fürst war mit seiner Gattin in die Residenz gezogen, wo sie den Winter am Hofe, in rauschenden Festlichkeiten verlebten. Von Griseldis kam dann und wann ein Brief an den Vater, in dem sie viel aus der großen Welt zu berichten wußte, was hier in dem einsamen, verschneiten Tal wie ein Märchen klang.
Anna Stemhofer las diese Briefe zwei-, dreimal und noch öfter; sie glaubte immer, etwas übersehen zu haben – irgendwo noch etwas an den Rand geschrieben zu finden. Sie konnte es nicht begreifen, daß eine junge Frau nicht ein einziges Wort über ihr junges Eheglück schrieb. Aber sie fand nichts dergleichen und gab das Papier enttäuscht zurück.
»Sie scheint das Leben zu genießen,« sagte sie dann wohl, wenn der Graf eine Äußerung zu erwarten schien. Er nickte zerstreut. Und einmal sagte er:
»Als ich mein Weib gefreit hatte, vergrub ich mich ein Jahr mit ihr in die Einsamkeit, weil wir beide niemandem einen Teil des andern gönnten und uns unser Glück zu lieb war, um es in alle Winde zu streuen.
»Die Menschen sind aber so verschieden« – begütigte sie.
Im Frühling, als im Tal die Schlüsselblumen und an den Felsen der Weißdorn blühte, kamen sie zurück.
Eines Tages flatterte im Frühlingswind das fürstliche Banner auf dem Runkelsteiner Turm. Als Anna es lustig weiß und blau leuchten sah, wandelte sie eine jähe Herzschwäche an. Aber sie faltete die Hände über dem Herzen – da ging es noch einmal vorüber.
Bald darauf kamen sie zum Besuch herüber.
Griseldis war noch schöner geworden, tat noch vornehmer und kleidete sich sehr kostbar. Sie erzählte viel und lebhaft von ihren Erlebnissen und Vergnügungen; nach des Vaters Ergehen fragte sie nur vorübergehend – mit Anna sprach sie nur aus Höflichkeit.
Karl Friedrich trug einen dunklen Samtrock; er sah fürstlich und männlich aus und wie jemand, der gewohnt ist, auf alle Fälle seinen Willen durchzusetzen; der Zug von Wildheit und Heftigkeit, der seinem Wesen eigen, trat noch schärfer hervor. Er hörte den Erzählungen seines Weibes meist schweigend zu; man fühlte, ihn hatte dieser Winter nicht befriedigt. Aber er wollte es sich nicht merken lassen. Einmal richtete er das Wort an Anna und fragte, ob sie es nicht sehr einsam habe allein hier oben. –
»Ich bin nicht allein,« erwiderte sie harmlos, »und einsam ist man nur, wenn man von niemand geliebt wird.«
Da trat eine Falte zwischen seine Augenbrauen und er antwortete ihr nicht.
Den ganzen Sommer blieb das fürstliche Paar daheim. Sie schienen plötzlich die Einsamkeit suchen zu wollen, denn sie kamen sehr selten nach der Westernburg, und andern Umgang gab es wenig im Tal. Der alte Graf ging im Anfang oft hinüber, kam aber allemal bald wieder, und ließ endlich immer längere Zeit bis zu einem neuen Besuch verstreichen. Es war ihm nicht behaglich bei seinen Kindern, obschon er nicht sagen konnte, woran es lag. Anna Steinhofer begleitete ihn selten. Griseldis war mehr denn je bemüht, ihr einen untergeordneten Platz anzuweisen und ließ sie fühlen, daß ihr an der Gefährtin nichts gelegen sei. Dazu kam, daß Anna nicht ertragen konnte, was ihre durch Liebe wissenden Augen immer deutlicher sahen: die Schrift getäuschter Hoffnungen und betrogener Liebe in den Zügen des Fürsten.
»Ich weiß nicht, woran es liegt, Anna,« sagte einmal der Graf, als sie zusammen von drüben zurückkamen – »ich bin allemal froh, wenn ich wieder fortkann.« Er sah betrübt aus, als er das sagte. Anna seufzte.
»Ich glaube, sie sind nicht glücklich, Anna!« fuhr er zögernd fort.
»Sie könnten es sein – wenn Griseldis wollte!«
»Ja – und warum will sie nicht? Er liebt sie doch, man sieht's und fühlt's. Warum sollte sie ihn denn genommen haben, wenn sie ihn nicht geliebt hätte und ihn glücklich machen wollte?«
Anna Steinhofer schwieg.
Der Sommer verging, und der Herbst kam. Auf dem Runkelstein begann ein geräuschlos und hartnäckig geführter Streit. Der Fürst wollte den Winter über zu Hause bleiben. Griseldis strebte in die Welt, in den Glanz des Hoflebens zurück. – Der Fürst war übersättigt mit derlei weltlichem Treiben, durch eine lange Reihe von Jahren, in denen er sich einem schrankenlosen Genuß hingegeben hatte. Er sehnte sich nach der Ruhe eines steten Heims, nach dem ernsten pflichtenreichen Mannesdasein an der Seite einer treuen und liebevollen Gattin.
Griseldis hatte die Welt und ihre Freuden aber eben erst kennen gelernt und ein leidenschaftliches Gefallen daran gesunden. Ihre Eitelkeit, ihre Vergnügungssucht waren geweckt, sie war sich ihrer äußeren Vorzüge bewußt worden und nicht willens, sie ungesehen und ungewürdigt verblühen zu lassen. Sie fand kein Vergnügen an der leidenschaftlichen Bewunderung ihres Gatten; sie wollte nicht leuchten in der Verborgenheit seiner Liebe, sondern in der großen Öffentlichkeit allgemeiner Bewunderung, denn sie liebte den Fürsten nicht so, wie ein Weib seinen Mann lieben soll. Er war ihr nur das angenehme Mittel zur Erreichung ihrer weltlichen Zwecke, zur Befriedigung ihres Ehrgeizes, ihrer Eitelkeit. Sie war einer echten Frauenliebe vielleicht gar nicht fähig.
Sie stritten sich auch in Gegenwart des Vaters und machten ihm ihr Haus immer ungemütlicher.
Griseldis stritt mit vielen kleinen, gehässigen Worten.
Karl Friedrich antwortete kurz, herrisch und überlegen.
Der Winter kam und sie reisten nicht ab.
Griseldis war in einer fürchterlichen Laune, seit die Entscheidung endgültig gefallen war. Wie ein eigensinniges Kind, das seinen Willen nicht bekommt, rächte sie sich durch größte Unliebenswürdigkeit, und indem sie ihre schlechte Laune rücksichtslos an jedem ausließ – am meisten an dem, der ihrem Willen im Wege war.
Der Fürst ertrug es mit einer Geduld, die bei einem Manne selten – bei einem Manne von seiner Leidenschaftlichkeit ein Wunder ist. Ein Wunder, wie nur Liebe es hervorzubringen vermag. Er ging ihr nach, wie er konnte, und suchte sie auf alle denkbare Weise zu versöhnen.
Sie schlug ihm mit mürrischem Gesicht all seine oft geradezu rührenden Aufmerksamkeiten aus der Hand. Aber endlich hat auch die stärkste Geduld ein Ende – und Liebe ist ein zartes Ding, mit dem man kein rohes Spiel treiben darf.
An den langen Winterabenden sah man auf der der Westernburg zugekehrten Hauptseite des Schlosses zwei Lichter brennen, das eine im rechten Flügel, im Zimmer des Fürsten. Das andere im linken, in den Gemächern der Fürstin. Sie kamen nicht zueinander, und in der Mitte blieb es dunkel.
Stundenlang saß Anna Steinhofer an ihrem Fenster, starrte in die winterliche Dunkelheit hinaus und beobachtete die Lichter drüben. Sie vergaß die Küche und den Flickkorb und den Grafen über diesen Lichtern. Sie saß und schaute, bis ihr das Herz und die Augen weh taten. Oft erlosch dann das linke Licht. Aber das andere brannte weiter und leuchtete zu ihr herüber die halbe Nacht hindurch. Und Anna löschte ihr eigenes Licht aus, daß nichts sie verraten mochte, und im Dunkeln saß sie weiter und weinte oft bittere Tränen um den Mann, von dem ihre Seele sich nicht lösen konnte. Sie wußte, daß er unglücklich war.
An einem trüben und regnerischen Frühlingstage kam der Fürst zu Pferde auf die Westernburg. Anna war nicht gleich erschienen, als er beim Grafen eintrat. Als sie nach einer Weile hereinkam, erfuhr sie, daß er sich verabschieden wolle. Griseldis sei nicht ganz wohl genug gewesen, um ihn bei dem schlechten Wetter zu begleiten. Sie rüsteten zur Abreise, und würden wohl vor Ablauf mehrerer Monate nicht wiederkommen; Anna vernahm es schweigend und dachte sich das Ihre dabei. Sie sah dem Fürsten, während er mit dem Grafen sprach, forschend in das Gesicht, und sah einen verschwiegenen, bitteren Gram in seinen verdüsterten Augen. Sie tat keine einzige Frage mehr.
Der Graf verließ das Zimmer auf eine kurze Zeit. Ein schwüles Schweigen lag über den Zurückbleibenden. Anna stickte an einem Leinentuch und der Fürst saß gebeugt in dem geschnitzten Lehnstuhl und betrachtete gedankenlos die regelmäßige Bewegung ihrer schlanken Finger.
»Anna,« sagte er plötzlich, aus seinem Grübeln auffahrend, »ich habe dem Grafen gesagt, daß wir abreisen – in ein milderes Klima – weil Griseldis' Gesundheit durch den rauhen Winter und die Runkelsteiner Stürme gelitten hat. Ich möchte, daß er es glaubt, und nicht hinter Dinge kommt, die ihn schmerzen würden. Ihr könnt dafür Sorge tragen; Frauen verstehen ja Verstecken zu spielen.« Das klang sehr bitter. Anna empfand es wie einen Vorwurf für sich, obgleich sie wußte, daß eine andere gemeint war.
»Ich« – rief der Fürst, sprang plötzlich auf und dehnte seine Brust, als wolle er einen schnürenden Panzer sprengen – »ich kann nicht länger ein solches Leben ertragen, wie wir es diesen Winter geführt haben. Wenn sie durchaus die Welt braucht zu ihrem Glück – wohlan, sie soll sie haben.«
Anna war leichenblaß und zitterte und dennoch sagte sie ruhig:
»Habt Geduld mit ihr, mein Fürst. Sie ist jung und hat noch nie die Rechte der Jugend nutzen können. Sie ist immer einsam gewesen – gönnt ihr eine Weile die Abwechselung. Sie wird auch genug bekommen und dann gern mit Euch einsam sein.« Das war Anna Steinhofers erste bewußte Lüge,
Karl Friedrich seufzte beklommen.
»Ich glaube es nicht. Es liegt auch nicht soviel daran. Was hätten wir davon! Sie hat ja nicht einmal Kinder.«
»Aber dafür kann sie doch nichts!« rief Anna erschrocken. Karl Friedrich zuckte die Achseln.
»Wer weiß!« sagte er bitter und hohnvoll. Dann wandte er sich schnell ab, als habe er eine Übereilung begangen. Anna Steinhofer war wie gelähmt und konnte nicht sprechen. »Ich möchte also auf jeden Fall vermieden haben,« sagte der Fürst vom Fenster her, »daß der Graf von alledem erfährt. Sorget dafür, Anna, versprecht es mir!«
Es klang weich und bittend, er sah sie besorgt an; er sah in diesem Augenblick tiefster Erregung unbeschreiblich gut aus.
»Ich verspreche es,« sagte Anna feierlich, mit versagender Stimme. Es fiel ihm auf, wie bleich sie aussah – er faßte sie schärfer ins Auge, da trat der Graf wieder ein und sie kehrten zu gleichgültigen Gesprächen zurück.
Sie reisten ab, ohne daß Griseldis sich noch sehen ließ.
Sie blieben den ganzen Sommer fort. Im Herbst kamen sie auf ein Paar Wochen. Griseldis sah blühend frisch aus und war sehr heiterer Laune. Aber es ging eine kühle Luft von ihr aus, und ihre Augen hatten etwas Lebloses – wie Glasaugen. Der Fürst war ernst und auffallend still.
Sie blieben nur kurze Zeit, dann rüsteten sie zur Übersiedlung in die Residenz. Anna ging einmal hinüber. Sie bewunderte die seidenen Gewänder, die blitzenden Juwelen. Griseldis war sehr aufgeräumt. Sie schenkte Anna sogar ein paar bunte Bänder und ein seidenes Kopftuch. Aber Anna hatte keine Freude daran – weder an der guten Laune noch an dem seidenen Tand.