Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Nur die, die erkannt haben, daß die Freude im Gesetz ihren Ausdruck findet, haben es gelernt, über das Gesetz hinauszukommen. Nicht daß die Bande des Gesetzes aufgehört hätten, für sie zu existieren, sondern das Gesetz ist ihnen die Verkörperung der Freiheit geworden. Die befreite Seele nimmt mit Freuden Bindungen auf sich, sie sucht nicht, sich ihnen zu entziehen, denn sie empfindet sie als die Offenbarung einer unendlichen Kraft, die ihre Freude im Schaffen hat. Tatsächlich ist es so, daß da, wo es keine Bindungen gibt, wo der Rausch der Gesetzlosigkeit herrscht, die Seele aufhört, frei zu sein. Da beginnt für sie das Übel, da ist sie vom Unendlichen getrennt, da ist die Todesangst der Sünde. Allemal, wenn auf den Ruf der Versuchung die Seele sich von den Banden des Gesetzes löst, ruft sie geängstet wie ein Kind, das die stützenden Mutterarme nicht mehr fühlt: »Laß mich nicht fallen!« »Binde mich«, fleht sie, »binde mich mit den Fesseln des Gesetzes, binde mich innen und außen, halte mich fest, laß mich durch die Bande deines Gesetzes mit deiner Freude zusammengeschlossen werden, schütze mich vor der tödlichen Laxheit der Sünde!«
Wie manche, in dem Wahn, daß das Gesetz das Gegenteil von Freude sei, Rausch für Freude halten, so gibt es auch viele bei uns, die glauben, Tätigkeit sei das Gegenteil von Freiheit. Sie meinen, da die Tätigkeit auf materiellem Gebiet liegt, so sei sie eine Beschränkung der Freiheit der Seele. Aber wir müssen bedenken: wie die Freude in dem Gesetz ihren Ausdruck findet, so findet die Seele ihre Freiheit im Handeln. Weil die Freude nicht in sich selbst allein ihren Ausdruck finden kann, bedarf sie des Gesetzes außerhalb ihrer. Und ebenso: weil die Seele nicht ihre Freiheit in sich selbst finden kann, braucht sie Tätigkeit nach außen. Die Seele des Menschen befreit sich beständig aus ihrer Umhüllung, indem sie handelt; wäre es anders, so würde sie kein Werk freiwillig verrichten.
Je mehr der Mensch handelt und das, was als Möglichkeit in ihm schlummert, zur Wirklichkeit macht, je näher kommt er seinem Ziel. In dieser Verwirklichung findet der Mensch immer mehr und mehr seinen wahren Ausdruck und erkennt sein eigentliches Wesen unter immer neuen Gestalten in seiner mannigfachen Wirksamkeit im Staate und in der Gesellschaft. Diese Erkenntnis führt ihn zur Freiheit.
Die Freiheit liegt nicht im Dunkel und nicht im Unbestimmten. Es gibt keine so furchtbare Knechtschaft wie die des Dunkels. Um dem Dunkel zu entfliehen, müht der Same sich ab, zum Keim, die Knospe zur Blüte zu werden. Um sich aus der Hülle des Unbestimmten zu befreien, suchen die Gedanken und Vorstellungen in uns beständig Gelegenheit, äußere Gestalt anzunehmen. So schafft sich auch unsre Seele, um aus dem Nebel der Unklarheit ins Freie zu gelangen, beständig neue Tätigkeitsgebiete und neue Formen des Wirkens, selbst solche, die nicht den Zwecken ihres irdischen Lebens dienen. Und warum? Weil sie nach Freiheit strebt. Sie will sich erkennen, sich verwirklichen.
Wenn der Mensch das pestbringende Sumpfdickicht niederhaut und es in einen Garten für sich umwandelt, so ist die Schönheit, die er so aus der Hülle der Häßlichkeit befreit, die Schönheit seiner eigenen Seele: ohne ihr draußen diese Freiheit zu geben, kann er sie in seinem Innern nicht befreien. Wenn er in der Gesellschaft an Stelle von Gesetzlosigkeit Gesetz und Ordnung aufrichtet, so ist das Gute, das er aus der Gewalt des Bösen befreit, das Gute seiner eigenen Seele; ohne draußen befreit zu werden kann sie auch drinnen nicht ihre Freiheit finden. So ist der Mensch unaufhörlich damit beschäftigt, seine Kräfte, seine Schönheit, seine Güte, ja, seine Seele selbst durch Handeln in Freiheit zu setzen. Und je mehr ihm dies gelingt, um so größer sieht er sich werden, umso weiter wird das Feld seines Bewußtseins.
In der Upanischad heißt es: Nur mitten im Wirken und Schaffen wirst du wünschen hundert Jahre zu leben Kurvann eveha karmāṇi jijīviṣec chataṃ samāḥ. [Īśā-Up. 2.]. So sagten jene, die die Freude der Seele in vollem Maße gekostet hatten. Die, welche das wahre Wesen der Seele erkannt haben, haben nie in klagenden Tönen von dem Elend des Lebens und von der Sklaverei der Arbeit geredet. Sie gleichen nicht der schwächlichen Blüte, die so lose am Stengel sitzt, daß sie abfällt, bevor sie Frucht ansetzen kann. Sie klammern sich mit aller Kraft an das Leben und sagen: »wir lassen nicht los, bis die Frucht reif ist.« Sie suchen in ihrer Freude unermüdlich nach immer neuem Ausdruck ihres Wesens, in ihrem Leben und in ihrer Arbeit. Leid und Sorge schrecken sie nicht, sie lassen sich nicht durch die Last ihres eigenen Herzens in den Staub beugen. Erhobenes Hauptes wie ein siegreicher Held schreiten sie durch das Leben, während ihre Seele durch Freude und Leid hindurch ihnen selbst und allen, die sie umgeben, in immer zunehmendem Glanze leuchtet. Die Freude ihres Lebens hält Schritt mit der Freude jener Kraft, die durch das ganze Weltall das ewige Spiel von Aufbauen und Zerstören spielt. Die Freude des Sonnenlichts, die Freude der frischen Luft, die sich mit der Freude ihres Lebens mischt, schafft in ihnen und um sie süße Harmonie. Sie sind es, die da sagen: Nur mitten im Wirken und Schaffen wirst du wünschen hundert Jahre zu leben.
Diese Lebensfreude, diese Schaffensfreude des Menschen gehört zu seinem wahren Wesen. Es hat keinen Sinn zu sagen, sie sei Täuschung; wenn wir sie nicht abwürfen, so könnten wir nie zur Selbstverwirklichung gelangen. Wenn wir die Verwirklichung des Unendlichen abseits von der Welt des Handelns suchen, so werden wir nie das Geringste erreichen.
Es ist nicht wahr, daß der Mensch nur unter Zwang handelt. Wenn auf der einen Seite Zwang ist, so ist auf der andern Freude; wenn die Tat auf der einen Seite vom Bedürfnis angespornt wird, so strebt sie auf der andern freiwillig ihrer Erfüllung zu. Daher kommt es, daß der Mensch in dem Maße, wie die Kultur fortschreitet, seine Pflichten vermehrt und sich freiwillig immer neue Arbeit schafft. Man sollte meinen, daß die Natur ihm ganz genug zu tun gäbe, um ihn fortwährend in Tätigkeit zu halten, ja, daß sie ihn mit der Hungerpeitsche zu Tode hetzte, – aber nein. Dem Menschen genügt das noch nicht. Er kann sich nicht mit der Arbeit zufrieden geben, die die Natur auch den Tieren vorschreibt; er muß alle übertreffen, auch in der Arbeit. Kein Geschöpf muß so schwer arbeiten wie der Mensch, er ist durch seine Natur gezwungen, sich in der Gesellschaft ein weites Feld für seine Tätigkeit zu schaffen, und auf diesem Felde ist er beständig tätig: er baut und reißt nieder, macht Gesetze und schafft sie wieder ab, häuft Massen von Stoff auf, und sinnt und sucht und leidet unablässig. Auf diesem Felde hat er seine gewaltigsten Schlachten geschlagen, hat immerwährendes neues Leben gewonnen, den Tod ruhmvoll gemacht und, weit davon entfernt, Mühen aus dem Wege zu gehen, hat er immer wieder freiwillig die Last neuer Mühen auf sich genommen. Er hat die Wahrheit entdeckt, daß in dem Käfig seiner unmittelbaren Umgebung nicht sein ganzes Sein eingeschlossen ist, daß er größer ist als seine Gegenwart, und daß, so einladend es auch sein mag, an demselben Platze stillzustehen, der Stillstand doch sein Leben und den wahren Zweck seines Daseins zerstört.
Diese mahatī vinaṣṭi, diese große Zerstörung, kann er nicht ertragen, und darum nimmt er Mühen und Leiden auf sich, um über seine Gegenwart hinauszuwachsen und das zu werden, was er noch nicht ist. In dieser mühevollen Arbeit liegt des Menschen Ruhm und Größe, und weil er dies weiß, hat er nicht versucht, das Feld seiner Tätigkeit abzugrenzen, sondern ist beständig damit beschäftigt, die Grenzen desselben auszudehnen. Bisweilen schweift er so weit, daß seine Arbeit in Gefahr ist, ihren Sinn zu verlieren, und indem er hin und her stürzt, schafft er furchtbare Strudel von Eigennutz und Machtstolz. Doch so lange der Strom seines Lebens nicht seine Kraft verliert, ist keine Gefahr; so lange werden die Trümmer und nutzlosen Anhäufungen seiner Tätigkeit immer wieder auseinandergetrieben und hinweggetragen; die Kraft der Strömung macht selbst ihre Fehler wieder gut. Nur wenn die Strömung stockt und die Seele einschläft, gewinnen ihre Feinde die Übermacht, so daß sie sich nicht mehr durch die sich stauenden Hindernisse hindurchkämpfen kann. Daher haben unsre Lehrer uns ermahnt, daß wir leben müssen, um zu arbeiten, und arbeiten, um zu leben, daß Leben und Arbeit untrennbar verbunden sind.
Es ist die Natur des Lebens, daß es in sich nicht vollkommen ist; es muß aus sich hinaustreten. In der Wechselbeziehung zwischen innen und außen besteht sein wahres Wesen. Um zu leben, muß der Körper seine mannigfachen Beziehungen zu Licht und Luft aufrechterhalten, nicht nur um Lebenskraft zu gewinnen, sondern auch um sie zu äußern. Man bedenke einmal, wie vollbeschäftigt der Körper durch seine innere Tätigkeit ist; sein Herzschlag darf keine Sekunde aussetzen, sein Magen, sein Hirn müssen unaufhörlich arbeiten. Doch dies ist nicht genug; der Körper ist auch die ganze Zeit nach außen hin tätig. Sein Leben führt ihn draußen zu einem endlosen Tanz von Arbeit und Spiel; er kann sich nicht mit dem Kreislauf seines innern Systems zufriedengeben, seine Freude wird erst vollkommen, wenn er sich nach außen auswirken kann.
So ist es auch mit der Seele. Sie kann nicht von ihren eigenen innern Gefühlen und Vorstellungen leben. Sie bedarf fortwährend äußerer Dinge, nicht nur um ihr inneres Bewußtsein zu nähren, sondern auch, um sich zu betätigen; nicht nur, um zu empfangen, sondern auch um zu geben.
Wir können nicht leben, wenn wir Ihn, der die Fülle des Lebens ist, nur von einer Seite seines Wesens erfassen. Innen und außen müssen wir in ihm weilen. In welcher Gestalt wir ihn auch verleugnen, da betrügen wir uns und erleiden Verlust. Brahma hat mich nicht verlassen, so will auch ich Brahma nicht verlassen māham brahma nirākuryām, mā mā brahma nirākarot..
Wenn wir sagen, wir wollen ihn nur durch Innenschau in uns verwirklichen und ihm keinen Raum geben in unsrer äußeren Tätigkeit, wir wollen ihn durch unsre Liebe im Herzen genießen, aber ihn nicht durch äußern Dienst ehren; oder, wenn wir es umgekehrt machen – immer wenn wir uns auf der Wanderung nach unserm Lebensziel auf der einen Seite zu stark belasten, so schwanken wir unserm Zusammenbruch zu.
Wir sehen, wie im Abendlande der Mensch hauptsächlich darauf bedacht ist, sich nach außen hin auszudehnen. Das freie Feld der Macht ist sein Gebiet. Er hat nur Sinn für die Welt der räumlichen Ausdehnung und mag mit der Welt des innern Bewußtseins, der Welt, wo seine Vollendung liegt, nichts zu tun haben, ja, er glaubt nicht einmal daran. Er ist so weit gekommen, daß es für ihn nirgends Vollendung zu geben scheint. Seine Naturwissenschaft redet immer von der nie endenden Entwicklung der Welt. Seine Philosophie hat jetzt angefangen von der Entwicklung Gottes zu reden. Sie wollen nicht zugeben, daß er ist; sie behaupten, daß auch er ewig werdend ist. Sie erkennen nicht, daß das Unendliche, wenn es auch über jegliche bestimmbare Grenze hinausgeht, doch zugleich vollständig ist; daß Brahma auf der einen Seite in ewiger Entwicklung und auf der andern die Vollendung ist; daß er sowohl Wesen wie Offenbarung ist, beides zu gleicher Zeit, wie das Lied und das Singen dasselbe ist. Es ist, als ob sie weder von dem Sänger noch von dem Liede etwas wissen wollten, sondern nur an das Singen glaubten. Ohne Zweifel ist das, was wir unmittelbar wahrnehmen, nur das Singen und in keinem einzigen Augenblick das Lied als Ganzes, aber wissen wir nicht die ganze Zeit hindurch, daß das Lied in seiner Vollendung in der Seele des Sängers ist?
Diese ausschließliche Betonung des Tuns und Werdens ist es, was im Abendlande den Machtrausch erzeugt. Es ist, als ob diese Menschen entschlossen wären, alles mit Gewalt zu ergreifen und auszuplündern. Sie wollen nur immer tun und nie sein, sie wollen dem Tode nicht seinen natürlichen Platz in der Ordnung der Dinge lassen, – sie kennen nicht die Schönheit der Vollendung.
In unserm Lande kommt die Gefahr von der entgegengesetzten Seite. Unser Sinn ist einseitig auf die innere Welt gerichtet. Wir wenden uns mit Geringschätzung ab von dem Felde der Macht und Ausdehnung. Wir wollen Brahma durch inneres Anschauen nur in seiner Vollendung erkennen, wir wollen ihn nicht im Leben und Treiben der Welt in seiner Entwicklung sehen. Darum finden wir bei unsern Gottsuchern so oft den Rausch des Geistes und den daraus folgenden Verfall. Ihr Glaube erkennt keine Schranken des Gesetzes an; ihre Phantasie schweift ins Unbegrenzte, ihr Verhalten entzieht sich jeder vernünftigen Erklärung. Ihr Geist zermürbt sich in dem Versuch, Brahma getrennt von seiner Schöpfung zu sehen, und ihr Herz, das ihn in seinen Ergüssen ganz zu umfassen sucht, verliert sich in trunkener Begeisterung. Sie haben jegliches Maß verloren für die Einbuße an Kraft und Charakter, die die Menschheit erleidet, wenn sie die Bindungen des Gesetzes und die Ansprüche, die die äußere Welt an ihre Tatkraft stellt, mißachtet.
Aber wahre Frömmigkeit, wie sie unsre heilige Überlieferung lehrt, hat ihr ruhiges Gleichgewicht in der Wechselbeziehung zwischen der innern und äußern Welt. Die Wahrheit hat ihr Gesetz und hat ihre Freude. Auf der einen Seite ertönt das Lied: bhayād asyāgnıs tapati »Aus Furcht vor ihm brennt das Feuer« usw., auf der andern das ānandād dhy eva khalv imāni bhūtāni jāyante »Aus der Freude sind alle Wesen geboren« usw. [S. S. 109]..
Ohne Unterwerfung unter das Gesetz ist es unmöglich, zur Freiheit zu gelangen, denn Brahma ist sowohl gebunden durch seine Wahrheit, wie frei in seiner Freude.
Was nun uns betrifft, so können wir nur, wenn wir uns ganz dem Gesetz der Sittlichkeit unterwerfen, zur vollkommenen Freude der Freiheit gelangen. Und wie geschieht dies? Es ist wie mit der Harfensaite. Nur wenn die Harfe richtig gestimmt ist, wenn in ihrer Spannung nicht die geringste Schlaffheit ist, nur dann ertönt sie in Musik, und indem die Saite mit ihrer Melodie über sich hinausgeht, findet sie in jedem Akkord ihre wahre Freiheit. Nur weil sie auf der einen Seite durch so feste und strenge Regeln gebunden ist, kann sie auf der andern diesen Spielraum der Freiheit in der Musik finden. Solange die Saite noch nicht richtig gestimmt war, war sie in der Tat nur gebunden; aber ein Lockern ihrer Spannung wäre nicht der Weg zur Freiheit für sie gewesen; diese konnte sie nur dadurch erlangen, daß sie noch fester und fester gespannt wurde, bis sie ihre richtige Tonhöhe erreicht hatte.
Die Baß- und Diskantsaiten unsrer Pflicht sind uns nur ein Zwang, solange wir sie nicht nach dem Gesetz der Sittlichkeit abgestimmt und dauernd mit ihm in Einklang gebracht haben; wenn wir sie lockern und sie damit in das Nichts der Untätigkeit versetzen, so können wir diesen Zustand nicht Freiheit nennen. Darum möchte ich sagen, daß das wahre Streben nach Sittlichkeit, nach dharma, nicht in der Unterlassung des Handelns besteht, sondern in dem Bemühen, es immer mehr und mehr auf die ewige Harmonie einzustimmen. Der Leitsatz dieses Strebens sollte sein: Welche Arbeit du auch tust, weihe sie Brahma! yad yat karma prakurvīta tad brahmaṇi samarpayet. Das heißt, die Seele soll sich bei und in allem, was sie tut, Brahma hingeben. Diese Hingabe ist der Gesang der Seele, darin liegt ihre Freiheit. Dann herrscht Freude, wenn alle Arbeit der Weg zur Vereinigung mit Brahma wird, wenn die Seele sich nicht beständig um ihre eigenen Wünsche dreht, wenn unsre Selbsthingabe immer inbrünstiger wird. Dann ist die Vollendung, dann ist die Freiheit da, dann haben wir das Reich Gottes auf dieser Welt.
Gibt es irgend jemand, der, in seiner Ecke sitzend, diese großartige Selbstverwirklichung der Menschheit im Handeln, diese unaufhörliche Selbsthingabe verhöhnen möchte? Gibt es jemand, der da glaubt, die Vereinigung zwischen Gott und dem Menschen sei möglich im heimlichen Genuß seiner eigenen Phantasie, weitab von dem himmelanstrebenden Tempel menschlicher Größe, an dessen Bau die ganze Menschheit Jahrtausende hindurch in Sturm und Sonnenschein sich abmüht? Gibt es jemand, der da glaubt, solche abgeschlossene Gemeinschaft mit Gott sei die höchste Form der Religion?
O du törichter Wanderer, du Sannyāsin, trunken vom Wein der Selbstberauschung, hörst du nicht schon das Rollen des Fortschritts der menschlichen Seele auf der Heerstraße, die über die weiten Gefilde der Menschheit führt – das donnernde Rollen ihres Triumphwagens, der bestimmt ist, sie hinauszutragen über die Grenzen, die ihre Ausdehnung ins All hindern wollten? Selbst die Berge klaffen auseinander und geben Raum dem Zuge ihrer Fahnen, die triumphierend in den Lüften flattern; wie Nebel vor der aufgehenden Sonne schwinden die wirren Dunkelheiten der Erdenwelt bei ihrem unwiderstehlichen Nahen. Schmerz, Krankheit und Verwirrung weichen ihrem Angriff bei jedem Schritt, die Hemmnisse der Unwissenheit werden beiseite geworfen, das Dunkel der Blindheit wird durchbrochen, und siehe da! das verheißene Land des Reichtums und der Gesundheit, der Kunst und Dichtung, der Weisheit und Gerechtigkeit enthüllt sich allmählich unsren Blicken. Willst du in deiner Stumpfheit sagen, daß dieser Siegeswagen der Menschheit, von dessen triumphierendem Lauf die Erde erzittert, wenn er auf der mächtigen Heerstraße der Geschichte dahinrollt, keinen Lenker habe, der ihn zu seiner Bestimmung führt? Wer ist da, der sich seinem Ruf, sich seiner Siegesfahrt anzuschließen, weigern wollte? Wer ist so töricht, hinwegzueilen von dem fröhlichen Gedränge und ihn im Lande der teilnahmlosen Untätigkeit zu suchen? Wer ist selbst so in Lüge versunken, daß er wagt, alles dies Lüge zu nennen – diese große Menschenwelt, diese sich immer weiter ausbreitende Kultur der Menschlichkeit, dieses unablässige Bestreben des Menschen, durch Tiefen des Leids und über Höhen der Lust, durch unzählige äußere und innere Hemmnisse hindurch seine Kräfte zum Siege zu führen? Wer solche ungeheuren Leistungen Betrug nennen kann, kann der wirklich an Gott glauben, der die Wahrheit ist? Wer da glaubt, zu Gott zu gelangen, indem er die Welt flieht, wann und wo hofft er ihn denn zu finden? Wie weit will er fliehen? Will er fliehen, bis er beim Nichts angelangt ist? Nein, wer feige entflieht, kann ihn nirgends finden. Wir müssen tapfer genug sein, um sagen zu können: Hier an dieser Stelle, jetzt, in diesem Augenblick finden wir ihn. Wir müssen die Gewißheit haben: wie wir in unserm Handeln uns selbst verwirklichen, so verwirklichen wir in uns selbst ihn, der das höchste Selbst ist. Wir müssen uns das Recht erwerben, dies ohne Zögern zu sagen, indem wir durch eigenes Bemühen alle Hemmnisse, alle Unordnung und Zwietracht auf unserm Wege hinwegräumen; wir müssen sagen können: »In meiner Arbeit ist meine Freude, und in dieser Freude ist die höchste Freude beschlossen.«
Wen nennen die Upanischaden den Ersten unter denen, die Brahma erkannt haben? brahmavidāṃ variṣṭaḥ. [Muṇḍaka-Up. 3, 1, 4.] Sie bezeichnen ihn als den, dessen Freude in Brahma ist, dessen Spiel in Brahma ist, den immer Tätigen ātmakrīḍa ātmaratiḥ kriyāvān. [ebenda, also: »dessen Spiel das Selbst ist« usw.. Freude ohne das Spiel der Freude ist keine Freude, Spiel ohne Tätigkeit ist kein Spiel. Tätigkeit ist das Spiel der Freude. Wie kann der, dessen Freude in Brahma ist, in Untätigkeit leben? Muß er nicht durch seine Tätigkeit das schaffen, worin die Freude Brahmas Gestalt annehmen und sich offenbaren soll? Darum muß der, der Brahma kennt und in ihm seine Freude hat, auch all sein Tun in ihm haben: sein Essen und Trinken, seinen Lebenserwerb und sein Wohltun. Wie die Freude des Dichters an seinem Gedicht, des Künstlers an seiner Kunst, des Tapferen an dem Erfolg seines Mutes, des Weisen an seiner Erkenntnis der Wahrheit immer in ihren verschiedenen Tätigkeiten Ausdruck sucht, so sucht auch die Freude dessen, der Brahma kennt, in all seiner täglichen Arbeit, im großen und im kleinen, durch Schönheit, Ordnung und Wohltun den Unendlichen zum Ausdruck bringen.
Brahma selbst gibt in derselben Weise seiner Freude Ausdruck.
Durch seine mannigfache Tätigkeit, die nach allen Richtungen ausstrahlt, stillt er das eingeborne Verlangen seiner verschiedenen Geschöpfe
bahudhā śaktiyogād varṇān anekān nihitārtho dadhāti. [Śvetāśvatara-Up.4, 1: Deussen S. 300:
Er, der, selbst farblos, vielfach versehn mit Kräften,
Die vielen Farben verleiht zu bestimmten Zwecken.. Dies eingeborne Verlangen ist er selbst, und also gibt er sich selbst in ebensovielen Arten und Formen. Er wirkt, denn wie könnte er ohne Wirken sich geben? Seine Schöpfung ist die unaufhörliche Selbsthingabe seiner Freude.
Dies eben ist es, worin der Sinn unsres Daseins liegt und unsre Ähnlichkeit mit dem Vater. Auch wir müssen uns hingeben in vielseitiger und auf mannigfache Ziele gerichteter Tätigkeit. Die Veden nennen ihn den Geber seiner selbst, den Geber von Kraft ātmadā baladāh. [Ṛgveda 10, 121, 2.]. Er begnügt sich nicht damit, uns sich selbst zu geben; er gibt uns Kraft, damit auch wir uns hingeben können. Darum betet der Seher der Upanischaden zu ihm, der so unser Verlangen stillt: Gib uns den wohltätigen Sinn sa no buddhyā śubhayā saṃyunaktu. [Śvetāśvatara-Up. 3, 4, auch 4, 1; 4, 12; Deussen S. 297: Der Gott begabe uns mit edler Einsicht.], gib uns mit ihm das, was uns am dringendsten nottut. Das heißt: es ist nicht genug, daß er allein schafft, um unserm Bedürfnis abzuhelfen, sondern er möge uns das Verlangen und die Kraft geben, gemeinsam mit ihm zu schaffen und das Gute zu üben. Nur dann wird unsre Vereinigung mit ihm vollkommen sein. Der wohltätige Sinn ist das, was uns das Bedürfnis ( svārtha) eines andern Selbst als unser eigenstes Bedürfnis ( nihitārtha) erscheinen läßt; das, was uns zeigt, daß unsre Freude in der Übung all unsrer vielseitigen Kräfte im Dienst der Menschheit besteht. Wenn wir von diesem wohltätigen Sinn geleitet arbeiten, dann wird unsre Tätigkeit geregelt, ohne mechanisch zu werden; es ist ein Handeln, das nicht vom Bedürfnis getrieben, sondern von der Freudigkeit der Seele angespornt wird. Solch Handeln wird nicht mehr ein blindes Nachahmen der Menge sein, ein feiges Sichunterordnen unter die Mode. Uns geht dabei die Erkenntnis auf, daß er Anfang und Ende aller Dinge ist vi caiti cānte viśvam ādau. [Śvetāśvatara-Up. 4, 1; Deussen S. 300: Bis endlich das All zergeht in ihm, dem Anfang.], und wir sehen, daß er auch der Urquell und Antrieb unsres Handelns und die Vollendung desselben ist, und daß daher all unser Tun von Frieden und Freude durchdrungen ist.
In den Upanischaden heißt es: Weisheit, Macht und Handeln sind seine Natur svābhāvikī jñāna-bala-kriyā ca. [ebenda 6, 8, s. S. 109.]. Weil diese Natur uns noch nicht eingeboren ist, sind wir geneigt, Freude und Arbeit zu trennen. Unser Werktag ist nicht unser Freudentag, dazu bedürfen wir eines Feiertages; denn elend, wie wir sind, können wir unsern Feiertag nicht in unsrer Arbeit finden. Der Fluß findet seinen Feiertag in seinem fortschreitenden Lauf, das Feuer in seinem Flammenausbruch, der Duft der Blume in seiner Durchdringung der Atmosphäre, aber für uns ist kein Feiertag in unsrer Alltagsarbeit. Weil wir nicht von uns selbst loskönnen, weil wir uns nicht freudig und ganz ihr hingeben, überwältigt uns unsre Arbeit.
O du, der du dich unaufhörlich selbst hingibst! Wenn du dich uns als Freude offenbarst, laß unsre Seelen zu dir emporflammen wie das Feuer, dir zuströmen wie der Fluß, dein Wesen durchdringen wie der Duft der Blume! Gib uns Kraft, unser Leben zu lieben, ganz zu bejahen und zu lieben, mit seinen Freuden und Leiden, seinem Gewinn und Verlust, seinem Auf- und Abstieg! Gib uns Kraft, Augen und Ohren deinem Weltall offen zu halten und mit voller Freudigkeit darin zu wirken! Laß uns das Leben, das du uns gegeben hast, voll und ganz leben, laß uns tapfer sein im Nehmen und im Geben! Dies ist unser Gebet an Dich. Laß uns ein für allemal aus unserm Geiste den schwächlichen Aberglauben bannen, deine Freude sei etwas, was abseits stehe vom Handeln, etwas Wesenloses, Formloses, Haltloses. Wo der Landmann die harte Erde gräbt, da bricht deine Freude hervor im Grün des Korns; wo der Mensch das Urwalddickicht umhaut, den steinigen Boden ebnet und sich eine Heimstätte schafft, da entfaltet sich deine Freude in Ordnung und Frieden.
O du, der du durch das ganze Weltall wirkst und schaffst! Wir beten zu dir, laß den unwiderstehlichen Strom deiner Weltkraft wie den ungestümen Südwind des Frühlings kommen, laß ihn über das weite Feld des Menschenlebens dahinfahren, laß ihn den Duft vieler Blumen, das Rauschen vieler Wälder mit sich bringen, laß ihn die Dürre unsres Seelenlebens mit Süße und Musik tränken! Laß unsre neu erwachten Kräfte nach unbegrenzter Erfüllung rufen, in Blatt, Blüte und Frucht!