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2.

So verliebt Karl in seine reizende Braut war, so entging es ihm doch nicht, daß sie ein wenig an dem Erbfehler ihrer Mutter litt – einem Fehler, der seinem ganzen Wesen zuwider war – dieser Fehler hieß Hochmuth. Er wurde ihn zuerst gewahr, als er ihr und ihrem Vater (die Mutter war noch in der Kirche) am zweiten Sonntage nach seiner Verlobung den Vorschlag machte, mit ihm nach Hüttenfeld zum Laubtanz zu gehen. Da rümpfte sie die schöne griechische Nase und sagte, es sei doch wohl nur sein Scherz, daß er ihr zumuthe, in die Gesellschaft der Holzmacher und Bergleute zu gehen. Aber der Kammerrath entschied kurz für die Partie und Diana mußte, ob auch später die Kammerräthin dagegen protestirte, es sich wirklich einige Stunden in der Gesellschaft der Hüttenfelder »Proletarier« gefallen lassen.

Diese Gesellschaft betrug sich auch weit anständiger, als Diana es erwartet hatte. Doch konnte sie sich nicht entschließen, am Tanz Theil zu nehmen, so sehr der mit grünem Laub und Blumen verkleidete Saal und die gute Bergmusik auch dazu einlud. Karl suchte ihr umsonst einleuchtend zu machen, daß, wenn die Vergnügungen der niederen Klassen oft roh, selbst ausgelassen wären, die meiste Schuld auf die Gebildeten fiele, welche sich vornehm von jenen absonderten und sie sich selbst überließen, statt sich unter sie zu mischen und veredelnd auf sie einzuwirken. Kein Volksschriftenverein könne durch seine Bücher bewirken, was wenige gebildete Menschen, die ein Herz für das Volk haben, in kurzer Zeit unter den rohesten Leuten erzielen können, wenn sie Theil an ihren Freuden nehmen. Diana schützte Migräne vor und ging nicht in den Saal; sie schien es selbst ungern zu sehen, als Karl der Bitte eines jungen Burschen, mit seiner »Jungfer« einen Reihen zu tanzen, bereitwillig nachkam. Verstimmt über Dianens Benehmen, verließ er bald darauf das Haus; da sie indeß auf dem Heimwege all' ihre Liebenswürdigkeit gegen ihn entfaltete, so tröstete er sich über ihren Fehler damit, daß ja auch die Sonne ihre Flecken habe, zugleich meinte er, daß kein Fehler an einem Menschen unverbesserlich wäre und das sei ja mit die Sendung der Liebe, die Menschen zu läutern und zu veredeln – so werde auch seine Liebe Dianen nach und nach von jenem Flecken reinigen, wie ihre Liebe schon auf ihn bessernd und erhebend einwirke.

In das Huthaus kam Karl lange Zeit nicht; seine freie Zeit widmete er meist seiner Verlobten, und seine Geschäfte führten ihn nicht in die Nähe des Huthauses, da der schwierige und kunstreiche Wegebau durch den Höllengrund all seine Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Hier hatte er den Hutmann, als Leiter der Sprengarbeiten, allezeit um sich und blieb so immer von den Umständen und Verhältnissen der ihm werthen Familie unterrichtet.

Der Wegebau zog sich bis in den späten Herbst hinein – ein Glück für die armen Bewohner von Hüttenfeld, denn mit diesem Bau hörte eine bedeutende Verdienstquelle für sie – für viele die einzige – auf. Unter diesen war der Hutmann, wenn nicht, wie er hoffte, die Gewerken seiner Grube sich entschlossen, neue »Zubuße« zu zahlen und den eben deßhalb, weil sich die Grube nicht »höflich« erweisen wollte, niedergeschriebenen Bau wieder aufnahmen.

Eines Tages ging Karl früher als gewöhnlich von dem Wegebau fort, weil Diana ihn gebeten hatte, sie zu einem Spazierritt abzuholen. Er verließ das Werk nicht gern, weil er bei den Sprengarbeiten in den harten Felsen, die beseitigt werden mußten, gern selbst zugegen war. Nicht ohne die Arbeiter zur größten Behutsamkeit ermahnt zu haben, ging er von ihnen und zu seiner schönen Braut. Die Rosse standen schon bereit, Reiter und Reiterin hinauszutragen in den frischen, rosigen Novemberabend. Wie sie jetzt an seiner Seite dahin ritt durch den Thalgrund, welcher das Revier ihres Verlobten von den väterlichen Waldungen trennte, glich sie der Göttin, deren Namen sie trug. Karl, der den Stolz als des Teufels ersten Gesellen haßte und von ihm das meiste Weh ableitete, an dem die arme Menschheit blutet, fühlte an ihrer Seite fast eine Regung dieses Dämons in der eigenen Brust – es war zu wonnig schön, dünkte ihm fast göttlich groß, ein solches Wesen sein zu nennen. Sie ritten langsam zwischen den Wäldern dahin, bis sie auf die Hauptstraße kamen, welche die nächsten Städte mit einander verbindet. Da setzten sie ihre Rosse in Galopp und flogen wie der Sturm durch die Dämmerung dahin, daß Dianens weißer Schleier bald nur noch wie ein losgerissenes Wölkchen in den Lüften zu schweben schien. So jagten sie weit, weit fort, als wollten sie das All durchstürmen – bis eine steile Anhöhe ihre Eile hemmte.

»Bis hierher und nicht weiter!« sagte Diana dicht an den Geliebten gedrängt.

»Und doch geht unsere Zeit eigentlich erst an,« erwiederte er. »Sieh, da kommt Dein Sinnbild hinter dem Berge herauf, seinen Lauf über diese Erdhälfte zu vollenden, wollen wir nicht mit ihm reiten?«

Der Mond stieg empor in seiner vollen Glorie und sein Glanz schmiegte sich schmeichelnd um das schöne, von der Aufregung des Rittes glühende Menschenbild, dessen Namen er einst selbst getragen.

»Dir zu Liebe,« sagte Diana, »möchte ich wohl eine Nachtschwärmerin wie mein Urbild werden, und wären die Wälder noch belaubt, so schlüge ich vor, wir suchten eine Stelle darin, nicht zum Anstand gegen schuldloses Gethier, sondern eine heimlich traute zum Kosen.«

»Ja,« stimmte Karl trunken bei, »wir vergäßen da der Welt mit all ihrem Jammer und fühlten uns als Götter, wie jene hohen Menschen, die der griechischen Götterwelt die Urbilder gaben, aber nicht um, wie diese, uns selbst zu leben, sondern um im nächsten Augenblick göttliches Ahnen, göttliches Wollen, göttliches Vollbringen auszugießen über unsere Brüder um uns her.«

»Küsse mich, geliebter Schwärmer!« sprach sie und reichte ihm den schwellenden Mund. Er beugte sich, schlang seinen Arm um sie und erfüllte nur zu gern ihr Begehren. Fromm wie Lämmer trugen die Rosse das so verschlungene Paar langsam zurück, bis sich Diana plötzlich seinem Arm entwand und flüsterte:

»Ich sehe eine weibliche Gestalt daher kommen; lassen wir diese erst vorüber; dann nimmst Du mich mit auf Dein Roß und Betsy läuft nebenher. Ich weiß eigentlich nicht, was meiner Mutter eingefallen ist, daß sie mir den kalten Namen Diana gegeben; viel lieber möcht' ich Sulanith, oder wenn es denn doch ein mythologischer sein müßte, Isis heißen; denn ich kann nicht kalt sein wie Diana, wohl aber innig, zärtlich liebend wie jene.«

Karl wollte sie küssen, aber sie wehrte ihn ab und deutete auf die nahende Gestalt.

»Guten Abend!« grüßte diese, wie sie herankam.

»Ei, das ist ja das Minchen vom Huthause rief Karl. »Wo willst Du so spät noch hin, mein Kind?«

»In die Stadt, den Doctor holen – dem Vater hat ein Felsstück beim Sprengen das Bein zerschmettert.«

»O Gott! meine Ahnung!« klagte Karl. »Kehr' wieder um, Kleine! Es ist ein weiter Weg in die Stadt – sieh, wie Du schon hustest und keinen Athem mehr hast! Ich will hinreiten und den Doctor holen.«

»Und was wird aus mir?« sagte Diana.

»Du reitest ruhig heim, Liebe,« erwiederte Karl bestimmt.

»Begleiten Sie nur das Fräulein nach Hause,« bat Minchen, »ich kann schon so weit gehen – ich muß auch einen Brief an mein Käthchen auf die Post tragen.«

»Um so mehr muß ich hin,« entschied Karl, »der Brief würde von Dir heute nicht mehr angenommen werden; mir thut's der Postmeister zu Gefallen. Gute Nacht, Liebchen! – Liebe Deinen Nächsten, wie Dich selbst, gebietet Gott! – Schlaf wohl und grüß mir die Eltern!«

Er nahm Minchen den Brief ab und sprengte davon.

»Er liebt mich nicht, wie ich ihn!« seufzte Diana ihm nach. Dann wandte sie ihr Roß und sagte zu Minchen: »Mußtest Du auch gerade jetzt daher kommen, dummes Ding! Konntest Du nicht ruhig vorbeigehen? Wir brauchten Dein »guten Abend« nicht.« Sie setzte ihr Roß in Galopp und sprengte nach Hause.

Den zweiten Tag nach diesem Abend ging Karl am späten Nachmittag vor dem Forsthause auf und ab und spähete nach Schönthal hinauf, von woher er seine Braut erwartete. Diese hatte ihm gestern versprochen, ihn heute abzuholen, um mit ihm nach dem Huthause zu gehen und den hülfebedürftigen Bewohnern desselben einen Besuch abzustatten. Sie wollte allerlei Erfrischungen mitbringen, und Karl freute sich wie ein Kind darauf, seine Geliebte als barmherzige Schwester im edelsten Sinne des Wortes walten zu sehen. Er ging manchmal in das Haus, kam dann wieder und spähte von Neuem; aber vergebens. Endlich kam eine Magd, beladen mit einem Korb, vom Lehnhofe herab. Er ging ihr entgegen und fragte verwundert, wo ihre Herrin bliebe.«

»Es wäre ihr nicht ganz wohl, soll ich sagen,« war die Antwort, »deshalb schickt sie mich mit dem Korbe allein.«

»Was fehlt ihr denn?« fragte Karl besorgt.

»O ängstigen Sie sich nur nicht, Herr Oberförster!« gab die Magd zur Antwort, »es ist weiter gar nichts – Sie wissen wohl, wie es bei vornehmen Fräuleins ist. Wenn ihnen ein Finger weh thut, wollen sie gleich krank sein.«

»So!« sagte Karl verstimmt. »Also um einer Geringfügigkeit willen beraubt sie sich der Götterfreude, mit eigener Hand Leidenden eine Erquickung zu reichen? Das ist mir zu vornehm!«

Voll Unmuth setzte er sich mit der Magd nach dem Huthause in Bewegung. Hier war sein Erscheinen heute wie immer eine Quelle des Trostes und der Ermunterung. Das Elend, das über die arme Familie hereingebrochen war, verlor seinen Stachel, sobald er sich unter dem niedrigen Dache zeigte. Die Kinder drängten sich um ihn und streckten ihm ihre Händchen entgegen, und jubelten harmlos, weil sie das Unglück ihrer Eltern noch nicht verstanden. Diese, Beide auf das Krankenbett gestreckt und mit der Sorge für neun Kinder – das zehnte sorgte für sich selbst – und einem alten »bergfertigen« Vater beladen, wären eine Beute namenlosen Jammers gewesen, hätte der Oberförster ihnen nicht so hülfreich beigestanden. Von ihnen daher mit Thränen heißen Dankes bewillkommt, ließ er seine Begleiterin auspacken, und die reichliche Spende, die sich da vorfand, söhnte ihn wieder mit der Geliebten aus. Da waren eingemachte Früchte, Weißbrod, Fleisch, Gemüse, Gewürz in wahrhaft freigebiger Weise geboten. Mit hoher Freude händigte er Minchen diese für eine Krankenküche so nothwendigen Dinge ein und schickte die Magd mit den dankbarsten Grüßen heim. Er selbst wollte in einigen Stunden folgen.

Als er sich aus dem Huthause verabschiedete, sagte ihm Minchen unter der Hausthür:

»Herr Oberförster! ich denke, mein Käthchen kommt heute – ich weiß es nicht – aber mir sagt es mein Herz.«

»Hast Du ihr geschrieben, daß sie kommen soll?« fragte er.

»Nein,« erwiederte sie, »nur von dem Unglück des Vaters hab' ich ihr Nachricht gegeben – aber wie ich sie kenne, läßt es ihr nun keine Ruhe – sie muß kommen.«

»Das ist mir sehr lieb um deinetwillen. Du armes, gutes Kind!« sagte Karl, »Du hast für Deine zarte Gesundheit der Anstrengung zu viel!« Er streichelte ihre Wange – sie drückte seine Hand an ihre Lippen – eine Thräne fiel darauf – das Kind eilte ins Haus zurück.

Es war nur ein leichtes Kopfweh gewesen, das Diana abgehalten hatte, in Person ihr Liebeswerk zu vollenden. Karl fand sie ein wenig blaß, aber ganz munter. »Nun ist mir wieder wohl, da ich Dich habe!« mit diesen Worten schloß sie ihn in ihre Arme.

Die Kammerräthin hatte Besuch, und es war den Verlobten nicht gegönnt, einander lange anzugehören, sie mußten der Gesellschaft den ganzen Abend widmen.

Diana, wie immer mit ausnehmender Eleganz gekleidet, überstrahlte die fremden Damen ebenso durch Geist, als durch Körperreiz, ja sie allein war es, die der Unterhaltung Würze verlieh, da Karl in Damengesellschaft immer zurückhaltend war. Desto mehr weidete er sich an dem Schimmer, den seine Braut um sich verbreitete, und er konnte es der Kammerräthin nicht verargen, daß sie über ihre Tochter sichtbar entzückt war. Als aber die Gesellschaft spät sich entfernt hatte, verletzte es ihn, wie diese Mutter über die Gäste herfiel und auch Diana ihren Witz durch liebloses Bekritteln derselben schändete. »Habt ihr der Liebe so wenig?« dachte Karl und ein eiskaltes Gefühl zog durch sein Herz. Er gab auch sein Mißfallen an dieser Unterhaltung offen zu erkennen und entfernte sich sehr verstimmt. Als aber Diana ihn bis an die Treppe begleitete, wand sie wieder alle Blumenschlingen ihres Liebreizes um ihn, bat ihn für den Fehler, in den sie der Mutter zu Lieb' verfallen sei, um Verzeihung und zwang ihn, völlig ausgesöhnt von ihr zu scheiden.

Wie er eine Zeitlang in der klaren Sternennacht gewandelt war und dem persönlichen Zauber der schönen Braut sich mehr und mehr entrückt fühlte, kam ihm der Gedanke wieder: »Habt ihr der Liebe so wenig?« Und dieser Gedanke wurde ihm zur brennenden Folter. Er erreichte seine Wohnung, aber statt hineinzugehen, setzte er sich ungeachtet der herrschenden Kälte auf die Bank vor dem Hause. In dem Huthause drüben schimmerte noch Licht – sein mitleidsvolles Herz flog zu den armen Bewohnern desselben hinüber. Er gedachte der letzten Worte Minchens. – »Sollte die Erwartete gekommen sein?« fragte er sich selbst. Er stand auf – er konnte noch nicht schlafen, obschon der Wächter in Schönthal bereits die elfte Stunde abrief – ein unruhiges Gefühl trieb ihn ins Freie – ohne Wahl schlug er den Weg ein, den er neulich in Dianens Begleitung zu Roß gemacht hatte. Er versetzte sich zurück in jene Stunde, wo sie Seit' an Seite dahin geritten waren, erst langsam, dann im fliegenden Galopp und zuletzt wieder ganz langsam, still, in seliger Umschlingung. Wie war sie da ganz Hingebung gewesen! Schwelgend in dieser Erinnerung erreichte er die Mündung des Thalweges in die Landstraße – da weckte ihn ein Geräusch aus seinen Träumen. Er blickte auf und sah jenseit der Straße im Chausseegraben eine menschliche Gestalt sich regen. Er schritt darauf zu und fand ein Frauenzimmer beschäftigt, eine anscheinend leblos daliegende Mannsperson zu beleben. Ihr zur Seite stand ein großer Handkorb. Bei Karls nicht eben geräuschloser Annäherung fuhr das Frauenzimmer empor, sah zu dem Kommenden auf und rief:

»Gott sei Dank, da kommt Jemand, der mir helfen kann!«

Soweit es das Mondlicht und das den Kopf einhüllende Tuch erkennen ließ, gehörte das Gesicht, das Karl vor sich sah, einem jungen Mädchen an, auch ihre Stimme klang mädchenhaft zart und rein.

»Was giebt's da zu helfen?« fragte der junge Forstmann, in den Graben hinabsteigend.

»Es mögen ungefähr zehn Minuten sein,« gab das Mädchen zur Antwort, »daß ich hier vorüberging und diesen armen Mann am Straßengraben liegen sah. Anfangs dachte ich, es wäre ein Betrunkener, und da es so kalt ist, so fürchtete ich, er möchte erfrieren, wenn er da liegen bliebe. Ich versuchte ihn daher zu wecken, bemerkte aber bald, daß er entweder ohnmächtig oder gar schon todt sei. Jetzt glaub' ich, er ist bloß ohnmächtig. Wenn Sie mir doch helfen wollten, ihn ins Leben zurückzurufen. Ist er nur erst auf, dann können wir ihn in meine väterliche Wohnung, die nur eine Viertelstunde von hier entfernt ist, bringen, und dort wird sich das Weitere finden.«

»Es versteht sich,« sagte Karl, »daß ich thue, was die Pflicht gebietet; aber sagen Sie mir, braves Mädchen, wo ist denn Ihre väterliche Wohnung? Ihrer Sprache nach sind Sie nicht aus der nächsten Umgegend.«

»Doch bin ich gar nicht weit von hier, nur seit drei Jahren nicht mehr daheim. Wenn Ihnen das Huthaus St. Lazarus bekannt ist, da stamme ich her.«

»So sind Sie wohl Käthchen Walter?« fragte Karl überrascht.

»So heiß ich, der Hutmann ist mein Vater,« erwiederte sie unbefangen. »Jetzt seien Sie so gut, mir beizustehen. Sie riechen schon, daß ich ein wenig gedoktort habe, aber obgleich ich weder meinen Salmiakgeist, noch meine hoffmännischen Tropfen gespart, so bin ich doch nicht glücklich gewesen. Ich weiß nun wahrlich nicht, was weiter beginnen.«

»Wir wollen einen Versuch mit Frottiren machen,« sagte Karl. Er entledigte sich rasch eines Stiefels, zog den wollenen Strumpf darunter aus und begann damit das genannte Geschäft. Da er zu diesem Zweck den Oberleib des Mannes entblößen mußte, so trat Käthchen auf die Seite und machte sich mit ihrem Korbe zu thun. »Es ist doch gut,« sagte sie dabei, »daß ich von meinen Sachen gleich selbst etwas mitgenommen habe; ich habe hier in meinem Handkorb Erfrischungen, welche mir meine gute Herrschaft für die Eltern mitgab; davon kann ich dem Patienten hier gleich reichen, wenn er zu sich kommt, wie ich doch hoffe.«

Ihre Hoffnung ging in Erfüllung, Karls Operation rief den Erstarrten binnen zehn Minuten ins Leben zurück. Schnell war Käthchen mit einer Flasche Portwein bei der Hand, wovon sie dem Erwachten ein wenig einflößte. Das gab ihm Leben, er dankte und bat um einen Bissen Brod. Käthchen hatte Zwieback bei sich, sie tauchte ein Stück in den Wein und reichte es ihm. Und so wurde weiter verfahren, bis der arme Mann sich stark genug fühlte, mit Hilfe seiner Samariter nach dem Huthause zu gehen. Gern hätte Karl ihn mit sich ins Forsthaus genommen, allein dieses war Dreiviertelstunden entlegen, für den Erschöpften eine zu weite Entfernung. Dieser sollte daher für die Nacht im Huthause untergebracht, morgen aber ins Forsthaus geschafft und dort weiter verpflegt werden.

Da Käthchen an ihrem Korbe genug zu tragen hatte, so duldete Karl nicht, daß sie auch den Kranken noch mit stützte, wie sie wollte; aber er hatte viel Mühe, ihn an Ort und Stelle zu bringen, denn er mußte ihn mehr tragen als führen. »Was würde wohl Diana gethan haben, wenn sie an Käthchens Stelle gewesen wäre?« Diese Frage drängte sich unserm Freunde unterweges aus. »Wenn sie auf hohem Rosse die Straße daher gekommen wäre, würde sie nicht vielleicht vorübergeritten sein und höchstens in Schönthal Hilfe aufgeboten haben, wenn es vielleicht zu spät gewesen wäre?« Wie hehr wandelte das Hutmannskind vor ihm, das mitten in der Nacht nach einer weiten Postfahrt sich keine Rast gönnte, sondern mit dem schweren Korbe noch meilenweit durch die Wälder nach der väterlichen Hütte eilte, um Trost und Erquickung dahin zu bringen, und doch noch seine heiße Kindesliebe bezwang, als ein Fremdling ihrer Hilfe dringender bedurfte! – »Ach diese heilige, schöne, sich selbst verleugnende Liebe war es ja, die ich immer bei Deinem Geschlechte gesucht habe, Diana! die ich in Deiner himmlischen Gestalt in höchster Mächtigkeit verborgen glaubte! O nein – es kann doch nicht sein, daß Gott ein so herrliches Gefäß ohne diesen köstlichen Inhalt schuf! Gewiß, Diana, gewiß bist Du so gut, als Du schön bist! Aber das edle Metall Deines Wesens ruht noch wie rohes Erz in der Tiefe, des Bergmanns harrend, der es vom tauben Gestein löse und zu Tage fördere – und ich werde der Bergmann sein!« So dachte Karl, indeß er sich mit seiner Begleitung dem Huthause näherte.

Minchen, das nun schon die dritte Nacht bei den kranken Eltern wachte, erblickte die Kommenden durch's Fenster schon von Weitem und sprang ihnen bis an die Auffahrt der Halde entgegen. Mit dem Ausrufe: Käthchen! mein Käthchen! umhalste sie die geliebte Schwester und bewillkommte dann den Oberförster. Aus ihrem schönen Gesichte leuchtete eine unbeschreibliche Wonne, als sie mit den späten Gästen in das Zimmer trat, wo die kranken Eltern beide schlaflos lagen. Ihre Freude war nicht minder groß, als die des Kindes, aber sie war natürlich durch ihr Leiden getrübt. Minchen sprang unaufgefordert nach Stroh, für den fremden armen Mann ein Lager zu bereiten, das dieser sogleich einnahm.

Erst jetzt, als Käthchen ihren Korb abgesetzt und sich des Kopftuches entledigt hatte, konnte Karl ihre Gestalt betrachten. Diese war freilich nicht so üppig schön, wie jene seiner Braut, aber von einer Zartheit, Anmuth und Reinheit der Verhältnisse, die eben so dem Geiste wohlthat, wie jene reizenden Formen die Phantasie bezauberten. Es lag in ihrem ganzen Wesen eine Weihe frommer Demuth, ein Adel hoher Gesinnung, eine Würde opferbereiter Weiblichkeit, die Karl, so vorurtheilsfrei er war, in einem armen Dienstmädchen nicht gesucht hatte. Freilich hatte sie auch das Glück, seit drei Jahren eine Herrschaft zu haben, wie es ihrer wenig giebt, eine Herrschaft, welche die Dienerin als Familienglied betrachtete, und die, sobald sie Käthchens edlere Anlagen erkannte, alle Sorgfalt darauf verwendete, sie zu pflegen und zu entwickeln. Das hatte Karl schon aus Minchens gelegentlichen Erzählungen erfahren, aber daß das fromme Werk jener unbekannten und edlen Frauen – einer Bergräthin und ihrer Töchter – zu solcher Vollendung gediehen, hatte er sich nicht vorgestellt. Ihre Kleidung war einfach, aber nicht ärmlich. Mit Vergnügen sah Karl, wie Minchens Augen von Zeit zu Zeit voll Entzücken an der Gestalt der Schwester hingen, und wer weiß, ob er der Kleinen nicht beigestimmt hätte, wenn er gehört, wie sie leise zu jener sagte: »Wie bist Du so schön, Käthchen!« – eine Aeußerung, worauf Käthchen mit einem »Pfui, Minel!« antwortete.

Karl verweilte diesmal lange in dem Kreise, in welchem ein so mildes Gestirn wie Käthchen aufgegangen war. Stundenlang beobachtete er ihr stilles, frommes, heiteres Walten, und als er sich endlich losriß, war es ihm, als geschähe es auf lange, lange Zeit, als dürfe er diesem Kreise so bald nicht wieder nahe treten. Und zum Bewußtsein wurde ihm dieses Gefühl am folgenden Morgen, als er, den fremden Mann abzuholen, wieder hinüber fuhr und Käthchen im netten züchtigen Morgenanzuge schon mitten in allen Sorgen der Hauswirthschaft, Familien- und Krankenpflege fand, die sie jetzt mit Minchen theilte. Als er mit seinem Pflegebefohlenen von dem Huthause schied, legte er still das feierliche Gelübde ab, seine Schwelle nicht mehr zu betreten, so lange Käthchen da war.


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