Ludwig Tieck
Liebeszauber
Ludwig Tieck

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»Noch ein Wort!« rief ihm Roderich nach: »ich verreise morgen in aller Frühe mit diesem Herrn auf einige Tage über Land; ich spreche aber noch bei dir vor, um Abschied zu nehmen. Schläfst du, wie es wahrscheinlich ist, so bemühe dich nur nicht, aufzuwachen, denn in drei Tagen bin ich wieder bei dir. – Der wunderlichste aller Menschen«, fuhr er fort, gegen seinen neuen Freund gewandt, »so schwerfällig, mißlaunig, ernsthaft, daß er sich jede Freude verdirbt, oder vielmehr, daß es für ihn keine Freude gibt. Alles soll edel, groß, erhaben sein, sein Herz soll an allem Anteil nehmen, und wenn er selbst vor einem Puppenspiele stände; wenn sich dergleichen nun nicht zu seinen Prätensionen verstehen will, die wahrlich ganz unsinnig sind, so wird er tragisch gestimmt, und findet die ganze Welt roh und barbarisch; da draußen verlangt er ohne Zweifel, daß unter den Masken einem Pantalon und Policinell das Herz voll Sehnsucht und überirdischer Triebe glühe, und daß der Arlechin über die Nichtigkeit der Welt tiefsinnig philosophieren soll, und wenn diese Erwartungen nicht eintreffen, so treten ihm gewiß die Tränen in die Augen, und er wendet dem bunten Schauspiel zerknirscht und verachtend den Rücken.«

»Er ist also melancholisch?« fragte der Zuhörer.

»Das eigentlich nicht«, antwortete Roderich, »sondern nur von zu zärtlichen Eltern und sich selbst verzogen. Er hatte sich angewöhnt, regelmäßig wie Ebbe und Flut sein Herz bewegen zu lassen, und bleibt diese Rührung einmal aus, so schreit er Mirakel und möchte Prämien aussetzen, um Physiker aufzumuntern, diese Naturerscheinung genügend zu erklären. Er ist der beste Mensch unter der Sonne, aber alle meine Mühe, ihm diese Verkehrtheit abzugewöhnen, ist ganz umsonst und verloren, und wenn ich nicht für meine gute Meinung Undank davontragen will, muß ich ihn gewähren lassen.«

»Er sollte vielleicht den Arzt gebrauchen«, bemerkte jener.

»Es gehört mit zu seinen Eigenheiten«, antwortete Roderich, »die Medizin durch und durch zu verachten, denn er meint, jede Krankheit sei in jeglichem Menschen ein Individuum, und könne nicht nach ältern Wahrnehmungen, oder gar nach sogenannten Theorien geheilt werden; er würde eher alte Weiber und sympathetische Kuren gebrauchen. Ebenso verachtet er auch in andrer Hinsicht alle Vorsicht und alles was man Ordnung und Mäßigkeit nennt. Von Kindheit auf ist ein edler Mann sein Ideal gewesen, und sein höchstes Bestreben, das aus sich zu bilden, was er so nennt, das heißt hauptsächlich eine Person, die die Verachtung der Dinge mit der des Geldes anfängt; denn um nur nicht in den Verdacht zu geraten, daß er haushälterisch sei, ungern ausgebe, oder irgend Rücksicht auf Geld nehme, so wirft er es höchst töricht weg, ist bei seiner reichlichen Einnahme immer arm und in Verlegenheit, und wird der Tor von jedwedem, der nicht ganz in dem Sinne edel ist, in welchem er es sich zu sein vorgesetzt hat. Sein Freund zu sein, ist aber die Aufgabe aller Aufgaben, denn er ist so reizbar, daß man nur husten, nicht edel genug essen, oder gar die Zähne stochern darf, um ihn tödlich zu beleidigen.«

»War er nie verliebt?« fragte der Freund vom Lande.

»Wen sollte er lieben?« antwortete Roderich, »er verachtete alle Töchter der Erde, und er dürfte nur bemerken, daß sein Ideal sich gern putzte, oder gar tanzte, so würde sein Herz brechen; noch schrecklicher, wenn sie das Unglück hätte, den Schnupfen zu bekommen.«

Emil stand indessen wieder im Getümmel; aber plötzlich überfiel ihn jene Angst, der Schreck, der so oft schon in solcher erregten Menschenmenge sein Herz ergriffen hatte, und jagte ihn aus dem Saale und Hause, über die öden Gassen hinweg, und erst auf seinem einsamen Zimmer fand er sich und seine ruhige Besinnung wieder. Das Nachtlicht war schon angezündet, er hieß dem Bedienten sich niederlegen; drüben war alles still und finster, und er setzte sich, um in einem Gedichte seine Empfindungen über den Ball auszuströmen. –

Im Herzen war es stille,
Der Wahnsinn lag an Ketten;
Da regt sich böser Wille,
Vom Kerker ihn zu retten,
Den Tollen loszumachen:
Da hört man Pauken klingen,
Da bricht hervor mit Lachen
Trommetenklang und Krachen,
Dazwischen Flöten singen,
Und Pfeifentöne springen
Mit gellendem Geschrei
Zwischen dröhnenden tönenden Geigen
In rasender Wut herbei,
Das wilde Gemüt zu zeigen,
Und grimmig zu morden das stille kindliche Schweigen. –

Wohin dreht sich der Reigen?
Was sucht die springende Menge
Im windenden Gedränge? –
Vorüber! Es glänzen die Lichter,
Wir tummeln uns näher und dichter,
Es jauchzt in uns das blöde Herz;
Lauter tönet,
Grimmer dröhnet
Ihr Zimbeln, ihr Pfeifen! betäubet den Schmerz,
Er werde zum Scherz! –

Du winkst mir, holdes Angesicht?
Es lacht der Mund, der Augen Licht;
Herbei, daß ich dich fasse,
Im Schweben wieder lasse;
Ich weiß, die Schönheit bald zerbricht,
Der Mund verstummt, der lieblich spricht,
Dich faßt des Todes Arm.
Was winkst du, Schädel, freundlich mir?
Kein Kummer mir, nicht Angst und Harm,
Daß du so bald erbleichest hier,
Wohl heut, wohl morgen.
Was sollen die Sorgen?
Ich lebe und schwebe im Reigen vorüber vor dir. –

Heut lieb ich dich,
Jetzt meinst du mich;
Ach, Not und Angst sie lauern
Schon hinter diesen Mauern,
Und Seufzer schwer und tränend Leid
Stehn schon bereit,
Dich zu umstricken;
Froh laß uns blicken
Vernichtung an und grausen Tod;
Was will die Angst, was will uns Not?
Wir drücken
Im Taumel die Hand;
Mich rührt dein Gewand,
Du schwebest dahin, ich taumle zurück –
Auch Verzweiflung ist Glück.

Aus diesem Entzücken,
Und was wir heut lachten,
Entsprießt wohl Verachten
Und giftiger Neid;
O herrliche Zeit!
Wenn ich dich verhöhne,
Winkt dort mir die Schöne,
Und wird meine Braut;
Die andere schaut
Noch kühner darein;
Soll dies' es denn sein? –

So taumeln wir alle
Im Schwindel die Halle
Des Lebens hinab,
Kein Lieben, kein Leben,
Kein Sein uns gegeben,
Nur Träumen und Grab:
Da unten bedecken
Wohl Blumen und Klee
Noch grimmere Schrecken,
Noch wilderes Weh;
Drum lauter ihr Zimbeln, du Paukenklang,
Noch schreiender gellender Hörnergesang!
Ermutiget schwingt, dringt, springt ohne Ruh,
Weil Lieb uns nicht Leben
Kein Herz hat gegeben,
Mit Jauchzen dem greulichen Abgrunde zu! –

Er hatte geendigt und stand am Fenster. Da kam sie gegenüber herein, so schön, wie er sie noch nie gesehn hatte, das braune Haar aufgelöst wogte und spielte in mutwilligen Locken um den weißesten Nacken; sie war nur leicht bekleidet und schien noch vor Schlafengehn zu später Nachtzeit einige häusliche Arbeiten verrichten zu wollen, denn sie stellte zwei Lichter in zwei Ecken des Zimmers, ordnete den Teppich auf dem Tische, und entfernte sich wieder. Noch war Emil in seinen süßen Träumereien versunken, und wiederholte sich in seiner Phantasie das Bild seiner Geliebten, als zu seinem Entsetzen die fürchterliche, die rote Alte durch das Zimmer schritt; gräßlich leuchtete von ihrem Haupt und Busen das Gold im Widerschein der Lichter. Sie war wieder verschwunden. Sollte er seinen Augen trauen? War es kein Blendwerk der Nacht, welches ihm seine eigne Einbildung gespenstisch vorübergeführt hatte?

Aber nein, sie kehrte zurück, noch gräßlicher als zuvor, denn ein langes greises und schwarzes Haar flog wild und ungeordnet um Brust und Rücken; das schöne Mädchen folgte ihr, blaß, entstellt, die schönsten Brüste ohne Hülle, aber das ganze Bild einer Statue von Marmor ähnlich. Sie hatten zwischen sich das kleine liebliche Kind, welches weinte und sich an die Schöne bittend schmiegte, die nicht zu ihm herniedersah. Das Kindlein hielt flehend die Händchen empor, streichelte Hals und Wange der blassen Schönen. Sie aber hielt es fest am Haar und mit der andern Hand ein silbernes Becken; die Alte zuckte murmelnd das Messer und durchschnitt den weißen Hals der Kleinen. Da wand sich hinter ihnen etwas hervor, das beide nicht zu sehen schienen, sonst hätten sie sich wohl ebenso inniglich wie Emil entsetzt. Ein scheußlicher Drachenhals wälzte sich schuppig länger und länger aus der Dunkelheit, neigte sich über das Kind hin, das mit aufgelösten Gliedern der Alten in den Armen hing, die schwarze Zunge leckte vom sprudelnden roten Blut, und ein grün funkelndes Auge traf durch die Spalte hinüber in Emils Blick und Gehirn und Herz, daß er im selben Augenblick zu Boden stürzte.

Leblos traf ihn Roderich nach einigen Stunden.


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