Ludwig Tieck
Die männliche Mutter
Ludwig Tieck

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Gerade in einer der besten Reden, die einer der berühmtesten Prediger von der Kanzel hielt, war es, in welcher der junge Baron von Biederfeld seine Augen auf das junge, sittsame Fräulein von Bergen warf. Die Kirchen dienen sehr oft zum Gottesdienste der Liebe, und die beiden jungen Leute sahen sich hier öfter; er ging ihr nach, wenn sie die Kirche verließ, und fand jedesmal Gelegenheit, ihr etwas Verbindliches zu sagen, oder ihr in dem Gedränge den Arm zu bieten, so daß die arme Amalie jedesmal mit einem feuerrothen Gesichte aus der Kirche in die freie Luft trat.

Ihrer Mutter, die eine sehr kluge Frau war, entgingen, trotz ihres scharfsichtigen Blickes, alle diese Kleinigkeiten, wie es denn sehr oft bei verständigen Leuten der Fall ist. Sie erhalten ihren Scharfsinn in einer ununterbrochenen Thätigkeit, und übersehen völlig eine Menge von geringfügigen Umständen, die nur gar zu oft, im Fortlaufe der Zeit, ihre klug ausgedachten Plane zertrümmern. Amaliens Mutter war eine Frau mit einer fast männlichen Gemüthsart; sie hatte in ihrer Jugend viel gelesen und gedacht, ja sich selbst mit einigen Fächern der Gelehrsamkeit bekannt gemacht; ihr Vater hatte sie früh an einen Mann verheirathet, der ihr gleichgültig war, und den sie 56 nach der Hochzeit nur aus Pflicht und Gewohnheit liebte. Ihr waren daher alle Empfindungen der Liebe, und ihre Leiden und Freuden, unbekannt geblieben. Die Liebe ist es eigentlich, die dem edlen Charakter die letzte Vollendung geben muß; bei ihr waren, bei allen Vortrefflichkeiten, die rauhen und widrigen Ecken geblieben. Sie hatte ihre Tochter nach einem eigenen Systeme erzogen, das sie aus keinem Buche gelernt hatte; sie hatte vorzüglich gestrebt, Amalien zu ihrer Vertrauten zu machen, die ihr keinen ihrer Gedanken, nicht die unbedeutendste ihrer Empfindungen verschwiege; es war ihr auch bis in das achtzehnte Jahr ihrer Tochter gelungen, so daß das Verhältniß zwischen beiden mehr wie zwischen zwei Geschwistern war, als wie man es gewöhnlich zwischen Eltern und Kindern findet.

Aber in dieses achtzehnte Jahr fiel die merkwürdige Predigt, in welcher sich Biederfeld und Amalie zum erstenmale sahen. Wer kann die magische Kraft beschreiben oder begreifen, die so oft in einem einzigen Blick eines schönen Auges liegt? Amalie konnte dem Zuge gar nicht widerstehen, der jedesmal in der Kirche ihren Kopf dahin drehte wo Biederfeld stand, und Biederfeld hatte jedesmal eine solche Stellung gewählt, daß er in der ganzen Kirche nichts weiter als seine geliebte Amalie sehn konnte.

Man traf sich von ohngefähr in Concerten und in der Komödie, man sprach mit einander, und hatte sich hunderterlei unbedeutende Sachen zu erzählen. Biederfeld hätte gern um die Hand des Mädchens angehalten, allein sein Vermögen war zu klein, um diesen verwegnen Schritt zu wagen, und da er wußte, daß 57 die Frau von Bergen zwar so viel besaß, um mit ihrer Tochter anständig leben zu können, aber nichts weniger als reich war, so verwünschte er in manchen Stunden den Zufall, seine Armuth, und die drückenden Verhältnisse unsrer Welt. Hundertmal nahm er sich vor, Amalien zu vergessen und sie nicht weiter aufzusuchen, und das Schicksal spielte ihm immer den Streich, daß er sie noch an demselben Tage irgendwo sah, und wenn er nur einen einzigen streifenden Blick ihres glänzenden Auges auffing, so hob ein Seufzer seine Brust, und alle seine Vorsätze kamen ihm so abgeschmackt vor, daß er sich selbst hätte verachten müssen, wenn er noch weiter daran gedacht hätte sie auszuführen.

Amalien ging es fast eben so. Sie konnte es selbst nicht begreifen, warum es ihr unmöglich sei, ihrer guten Mutter von Biederfeld und seiner Schönheit zu erzählen. Sie hatte schon oft seinen Namen auf der Zunge, aber wenn ihr dann der gütige aber doch ernste Blick ihrer Mutter begegnete, so schlug sie beschämt die Augen nieder, und fing irgend ein gleichgültiges Gespräch an, das ihr doch wichtiger als ihre Liebe dünkte.

Es kam aber bald eine Zeit, wo sie aus einer andern Ursache schwieg. Jetzt kamen ihr ihre Empfindungen nicht mehr kindisch und abgeschmackt vor, so daß sie sie aus Schaam verbarg, sondern sie fühlte sich nun über ihre Mutter erhaben, sie machte aus ihrer Liebe ein Geheimniß, weil sie sich einbildete, kein anderes Wesen könne die hohen und lautern Empfindungen ihres Herzens begreifen, jedes fremde Ohr dünkte ihr unheilig, um ihm den Namen Biederfeld und ihre 58 Wünsche anzuvertrauen. Sie ward jetzt nachdenkend und liebte die Einsamkeit, sie las Gedichte mit Entzücken, und saß stundenlang in Träumereien verloren, so daß sie nichts sah und hörte, was um sie her vorging, und wie aus dem Schlafe auffuhr, wenn die Mutter sie zuweilen rief. Diese aber bemerkte noch immer nichts, sondern meinte, das lustige, flüchtige Mädchen komme nun nach und nach zu Verstande.

So gewiß ist es, daß alle Menschen, die wir im gemeinen Leben klug und verständig nennen, nur bis auf eine gewisse Linie mit ihrer Klugheit reichen, und sich jedesmal verrechnen, wenn sie sich weiter wagen. Die Frau von Bergen hatte nie geliebt, sie verstand also alle Symptome der Liebe an ihrer Tochter unrecht; ihre ganze Erziehung bis dahin war sehr gut und consequent gewesen, sie hatte für alle Fälle stets die besten und wirkendsten Mittel in Bereitschaft; aber hier verließ sie ihr guter Genius völlig, so daß sie ihre Tochter ganz frei und ungehindert den Weg gehen ließ, den sie sich selber ohne alle andre Beihülfe gebahnt hatte.

Es gab freilich auch manche Stunden, worin Amalie sich das unvernünftige ihrer Leidenschaft vorwarf, und wenn nur jemand gewesen wäre, dem sie sich ganz hätte vertrauen können, so wäre auch ihre Heilung vielleicht nicht unmöglich gewesen. Aber vom ersten Augenblicke hatte ihre Liebe den Reiz des Geheimnißvollen bekommen, das bewog sie, alles was vorfiel, jeden Blick und jede unvermuthete Zusammenkunft, jedes gesprochene Wort und jede kleine Aufmerksamkeit als ein heiliges Geheimniß zu betrachten, dessen 59 Verrath ihr Unglück machen würde. – Er war so schön und liebte sie so innig, wie hätte sie so grausam sein können, ihn nicht mit aller Zärtlichkeit wieder zu lieben?

Er drückte ihr eines Tages ein Billet in die Hand, so daß es niemand bemerkte. Sie besann sich am Abend lange ob sie es lesen sollte, ja sie hatte schon angefangen sich auszuziehen, um sich schlafen zu legen, als sie es dennoch erbrach, und unter langem Herzklopfen folgende Worte las:

»Die Liebenswürdigste ihres Geschlechts verdient auch die höchste Liebe; für Sie war mein Herz geschaffen, weil es der Liebe am meisten fähig ist. Vom ersten Augenblicke, in welchem ich Sie sah, war es Ihr Eigenthum. Die Bande, die mich fesseln, sind zu süß, als daß ich jemals streben könnte, sie zu zerreißen: aber wäre es Ihnen wohl möglich, für die heftigste Liebe unempfindlich zu bleiben, wenn das höchste, das einzige Glück meines Lebens darin besteht, Ihnen nicht gleichgültig zu sein?«

Amalie las das Billet, und las es immer wieder von neuem, sie wußte es schon auswendig, als sie noch immer nicht den Inhalt ganz begriffen hatte. Sie überlegte dann lange, wie sie sich nehmen solle, sie ergriff die Feder, um in ein paar Zeilen zu antworten, und kam in zehn Briefen, ohne daß sie es bemerkte, in so weitläuftige, rührende Tiraden hinein, in denen sie von Unglück und Liebe, von Sehnsucht und Unmöglichkeit, Thränen und Verzweiflung durcheinander sprach, daß sie vor sich selber erschrak, und es nur nach einer großen Selbstüberwindung dahin brachte, daß sie ihrem Liebhaber in 60 wenigen und zweideutigen Worten Bescheid gab. Sie legte sich hierauf zu Bette, konnte aber die ganze Nacht nicht schlafen.

Die Erklärung von beiden Seiten war nun förmlich geschehen, und mit der Annahme des ersten Briefes war zugleich eine große und ununterbrochene Correspondenz eröffnet. Der Liebhaber fand fast an jedem Tage Gelegenheit, seinem Mädchen einen Brief zuzustecken oder zustecken zu lassen. Geheime Zusammenkünfte wurden veranstaltet, und alles ging den Weg, den solche Intriguen gewöhnlich nehmen, das Geheimniß wird zur Gewohnheit, und mit jedem neuen Tage werden neue Billette geschrieben, oder neue Zusammenkünfte veranstaltet.

Einige aufmerksame Beobachter, deren Geschäft es ist, alle Anekdoten und Familienvorfälle zu wissen, und die über alle Liebschaften ein förmliches Register halten, wollten nach einem halben Jahre bemerken, daß sich Biederfeld und Amalie weit seltner an öffentlichen Oertern sähen, weit weniger mit einander sprächen, und sich oft beide zu vergessen schienen. Sie schlossen auf einen Zank, auf eine Kälte, die gewöhnlicherweise irgend einmal bei solchen Begebenheiten eintritt, und oft durch die kleinsten Zufälligkeiten veranlaßt wird; ob sie sich irrten oder nicht, wird der Leser aus dem Verfolge dieser Erzählung erfahren, aber Amalie gab ihnen wenigstens zu ihren Schlüssen alle Gelegenheit, denn sie war außerdem zerstreut und traurig, man bemerkte, daß sie oft für sich seufzte, ein geheimer Kummer schien an ihrem Herzen zu nagen.

Ihrer Mutter selbst war seit einiger Zeit diese Veränderung im Wesen Amaliens aufgefallen, sie hatte aber nur wenig daraus geschlossen, weil sie überzeugt war, 61 ihre Tochter würde sich ihr schon entdecken, wenn sie irgend etwas auf dem Herzen hätte. Amalie aber entdeckte ihr nichts, sondern bat bloß um die Erlaubniß, irgend ein musikalisches Instrument lernen zu dürfen; sie wählte vor allen übrigen die Laute, und sagte, sie hätte von einem Frauenzimmer sprechen hören, das sie vorzüglich gut spiele; man schickte nach dieser, und Amalie nahm täglich eine Stunde.

Bei den ersten Stunden war die Mutter selbst zugegen, und freute sich über die schnellen Fortschritte, die ihre Tochter machte. Amalie begriff in kurzer Zeit die Anfangsgründe der Kunst, und ihre Lehrmeisterin war außerordentlich mit ihr zufrieden. Die Mutter, die oft Besuche zu geben hatte, oder durch ein andres Geschäft abgehalten wurde, ließ ihre Tochter nachher in ihren Lehrstunden allein, und schon nach einigen Wochen konnte ihr Amalie am Abende kleine Arien auf ihrer Laute vorspielen.

Plötzlich blieb die Lehrmeisterin aus, sie schien verschwunden, denn Niemand konnte von ihr Nachricht geben. Die Mutter war betrübt, daß die Lehrstunden unterbrochen wurden, und Amalie noch mehr, die gerade im Begriff gewesen war, auf der Laute eine Künstlerin zu werden. Amaliens Betrübniß kehrte wieder, und die Mutter erkundigte sich von selbst bei ihr, was ihr fehle, erhielt aber keine befriedigende Antwort.

Um diese Zeit ward eine Vermählung bei Hofe gefeiert, und die öffentlichen Lustbarkeiten, die Pracht der Residenz, zog den Adel der Provinzen nach der Hauptstadt. Unter den Fremden, welche täglich 62 ankamen, befand sich auch der Graf Holfeld, einer der reichsten Edelleute, und aus einer der angesehensten Familien; er war ein Mann, der durch seine angenehme Bildung und durch einen edlen Anstand sich jedermann empfahl, er war dreißig Jahr alt, und hatte sich auf Reisen gebildet; er besaß nicht jenes abgeschmackte, galante Wesen vieler jungen Herren, aber seine Unterhaltung war dafür auch um vieles angenehmer und verständiger, wenn nämlich der, mit dem er sprach, Verstand genug hatte, um seinen Witz zu verstehn.

Der Graf sah Amalien von ohngefähr im Theater, und vom ersten Augenblick interessirte er sich für sie; er machte die Bekanntschaft der Mutter, und war häufig und am Ende fast täglich in ihrem Hause; er versäumte nichts, um seine Aufmerksamkeit für Amalien zu beweisen, er war ihr Begleiter zu allen Concerten und Bällen, und die ganze Stadt sprach schon von ihm als dem künftigen Gatten des Fräuleins von Bergen, als Amalien dieser Gedanke noch gar nicht eingefallen war.

Die Mutter sah die Zuneigung des Grafen mit Wohlgefallen, sie hatte bis jetzt ihre Tochter in Ansehung ihrer Hand völlige Freiheit gelassen, und schon mehrere Parthien zurückgewiesen, weil die Liebhaber nicht gewußt hatten, sich Amaliens Liebe zu erwerben; sie war überzeugt, ihre Tochter würde die Verdienste des Grafen erkennen, und nichts gegen seinen Antrag einzuwenden haben. – Amalie schien auch dem Grafen entgegenzukommen, ihre Heiterkeit kehrte etwas zurück, und sie war sehr gern in seiner Gesellschaft.

63 Die Mutter irrte nicht, wenn sie einen Heirathsantrag des Grafen erwartete, denn kaum waren vierzehn Tage verflossen, als der Graf ihr seine Vermögensumstände auseinander setzte, und um die Hand ihrer Tochter bat. Sie antwortete, daß dies ganz allein von Amalien abhinge. Der Graf verließ sie, und die Mutter ließ die Tochter rufen, um sie selbst um ihre Neigung zu fragen.

Das Zimmer ward verschlossen, und die Mutter fing an: Liebe Tochter, du hast gesehn, daß es nie meine Absicht gewesen ist, dich zu irgend einer Heirath zu zwingen, wenn die Parthie auch noch so vortheilhaft war, ich habe alles immer auf deinen Ausspruch ankommen lassen: der Graf hat um dich angehalten, sage mir aufrichtig, kannst du ihn lieben?

Ich erkenne, antwortete Amalie, die Vorzüge des Grafen, ich schätze ihn so, wie ich bis jetzt noch keinen Mann geschätzt habe, ich würde an seiner Seite eine glückliche Gattin sein, aber liebste Mutter, ich kann ihn nicht heirathen!

Du achtest ihn, du würdest mit ihm glücklich sein, und kannst ihn doch nicht heirathen? Wie verstehst du das?

Amaliens Augen flossen von Thränen über, sie stand auf, und sank zu den Füßen ihrer Mutter nieder, sie schluchzte und konnte nicht sprechen. Ein gewaltiger Schmerz schien ihr Inneres zu erschüttern, einzelne Ausrufungen entfuhren ihr unwillkührlich.

Was ist dir, meine Tochter? rief die Mutter aus. Was ist dir, mein Kind? – dein Herz wird zerrissen, schütte dein Leiden aus in den Busen deiner Mutter.

64 Ach! rief Amalie, Ihre Tochter ist sehr unglücklich; darf ich Ihnen mein Unglück vertrauen? Wird sich Ihre zärtliche Liebe nicht in Haß und Abscheu verwandeln? – Ach nein, denn meine innere Quaal, meine Verzweiflung hat mich schon hinlänglich bestraft.

Nun so rede, meine Tochter! O ich unglückliche Mutter! Sollte ich mich in dir geirrt haben? – Sollte alle meine Zärtlichkeit, meine liebevolle Sorge unnütz gewesen sein? –

Ich will sie nicht hintergehn, sagte Amalie mit einem schmerzlichen Ton, ich habe Sie lange genug hintergangen, aber jetzt will ich aufrichtig sein. – Ja, Mutter, Sie sehn zu Ihren Füßen ein unglückliches, ein verführtes Mädchen, die desto unglücklicher ist, da der geliebte Verführer sie nach dem Verlust ihrer Unschuld verlassen hat.

Die Mutter erschrak. Welcher Schmerz, von ihrem einzigen, geliebten Kinde dies Bekenntniß zu hören; sie betrachtete sie lange stumm, dann hob sie sie sanft von der Erde auf, und schloß sie in ihre Arme.

Du bist doch mein Kind, meine geliebte Tochter, rief sie aus. – Laß uns jetzt daran denken, wie wir dein Unglück erleichtern, statt darüber zu klagen. Trockne deine Thränen, und vertraue dich mir ganz; dieser Fehltritt wird dir für die Zukunft die beste und lehrreichste Warnung sein.

Amalie weinte von neuem, und beschwor ihre Mutter, ihr zu verzeihen. Sie entdeckte ihr, daß sie sich seit zwei Monaten schwanger fühle, und die Mutter fing an, über ihren Zustand nachzudenken.

Meine Tochter, fing sie an, der Graf will dich heirathen, und sein Antrag ist für uns der 65 vortheilhafteste. Es wäre etwas leichtes, die Heirath jetzt zu vollziehen, und ihn zu hintergehen; man könnte ihn auch mit deiner Niederkunft betrügen, aber mein Gefühl empört sich dagegen. Das Geheimniß könnte endlich doch entdeckt werden, und du wärst dann doppelt unglücklich. Auch verheimlichen wollen wir deine Schwangerschaft nicht, um dich nach der Entbindung mit ihm zu verheirathen, sondern die ganze Welt soll sie erfahren. – Nur muß alles nach meinem Plan mit großer Behutsamkeit und Vorsicht gethan werden, besonders muß der Graf noch einige Zeit hingehalten werden. – Frage mich jetzt noch nicht, wie alles dies veranstaltet werden soll; genug, ich werde dir alles weitläuftig vorschreiben, was du thun und lassen sollst. – Aber jetzt erzähle mir umständlich deine Geschichte.

Ich soll also alle Schmerzen von neuem empfinden? sagte Amalie. – Sie bedachte sich einen Augenblick, und dann erzählte sie, was der Leser zum Theil schon weiß, ihre Liebe gegen Biederfeld, wie diese Leidenschaft entstanden und gewachsen sei, und welchen unglücklichen Ausgang sie endlich genommen habe.

Ich bat Sie so inständig, sagte sie, mir auf der Laute Unterricht geben zu lassen; ach, dies war nichts als eine Erfindung meines Liebhabers, weil er dies Instrument vorzüglich gut spielte. Er kam in Weiberkleidern, und wir waren täglich allein. – Seine Liebe, meine Schwachheit, – die Gelegenheit, – ach! ich vergaß endlich mich und die Tugend, und stürzte in den Abgrund, der mich seitdem so elend gemacht hat. – Kaum war der Fehltritt geschehn, 66 so verließ mich der Ungetreue plötzlich; er kam nicht wieder, und ich habe seitdem nicht einmal einen Brief, nicht eine einzige Nachricht von ihm erhalten, wo er sich aufhält.

Amalie weinte und seufzte von neuem. Die Mutter tröstete sie, soviel sie konnte. Wir müssen, sagte sie endlich, auf Mittel denken, deine Schande zu verhüten. – In acht Tagen sollst du verheirathet sein, aber nicht an den Grafen, ob ich dich gleich für ihn bestimmt habe.

Ich bitte Sie, liebe Mutter, sagte Amalie, erklären Sie mir das Räthsel, das mir durchaus unbegreiflich ist.

In acht Tagen, antwortete die Mutter, bist du verheirathet, in drei Monaten Wittwe, jedermann erfährt dann deine Niederkunft, und du wirst dann die Frau des Grafen.

Das alles ist mir noch immer unbegreiflich, sagte Amalie;wen soll ich denn in acht Tagen heirathen?

Laß mich nur selber den Plan ausführen, den ich entworfen habe. Der Graf muß sich auf ein paar Tage entfernen; erwiedre seine Liebe, wenn er mit dir davon spricht. –

Schon am folgenden Tage sagte die Frau von Bergen mehreren ihrer Anverwandten, daß der Graf von Silbersee sich um ihre Tochter bewürbe; sie kenne seine Familie und seine Güter, die sehr ansehnlich wären, nur von der Residenz weit entlegen. Er habe ihr geschrieben, daß er in einigen Tagen selber kommen wolle, um Amalien den Vorschlag zu thun.

67 Der Graf Holfeld besuchte indeß Amalien täglich, und sagte ihr, daß er sich jetzt genöthigt sehe, auf einige Zeit nach seinen Gütern zurückzureisen, weil ihm seine Mutter geschrieben habe, sie sei krank geworden, und wünsche ihn zu sehn.

Er reiste ab, und die Mutter freute sich darüber, daß ein Zufall sich so gut in ihren Plan fügte. – Kaum war er abgereist, so ward ein Ehekontrakt aufgesetzt, in welchem der Graf von Silbersee als ihr Eidam genannt war. Der Notarius schrieb in ihrem Zimmer den Kontrakt fertig – und der Graf von Silbersee trat in das Zimmer, ein Mann, der ziemlich alt war, eine große schwarze Perücke trug, und ein prächtiges Kleid, – Amalien umarmte und unterzeichnete. – Die Mutter, denn niemand als sie war dieser Graf, entfernte sich darauf wieder, kam in ihren weiblichen Kleidern zurück, und unterzeichnete noch einmal. Dann ging der Notarius zu einigen Verwandten, und erhielt auch ihre Unterschrift.

Es war sehr gut, daß die strenge, unerbittliche Obrigkeit nie etwas von diesem Unternehmen einer zärtlichen Mutter erfahren hat. Sie würde nur den Betrug gestraft haben, ohne die mütterliche Liebe in Anschlag zu bringen.

Man fuhr mit einigen Freunden auf ein benachbartes kleines Gut; die Mutter spielte hier die nämliche Rolle. Amalie ward mit dem Grafen getraut, und weder die Gäste noch der Prediger hatten die Mutter erkannt; denn die Mutter hatte vorgegeben, sie sei krank, und müsse also in der Stadt zurückbleiben.

Man blieb einige Tage auf dem Gute. Amalie ging und fuhr mit ihrem Gemal, dann mußte der Graf von Silbersee abreisen, um auf seinen Gütern manche Sachen, die dort vorgefallen waren, in Ordnung zu bringen. – Der Graf Holfeld war indeß zurückgekommen, seine Mutter war gestorben.

Amalie hatte schon vorher, auf Anrathen ihrer Mutter, ein paar Worte an ihn geschrieben, worin sie ihm meldete, daß sie den Bitten und Befehlen ihrer Mutter nicht habe widerstehen können, den Grafen Silbersee zu heirathen; sie bitte um seine künftige Achtung, wenn sie auch jetzt nicht mehr auf seine Liebe rechnen dürfe.

Der Graf war wirklich über diesen unerwarteten Vorfall niedergeschlagen. Er besuchte die Mutter und die Neuverheirathete; man sah, daß der Graf Amalien immer noch liebte. Er bat um die Erlaubniß, sie in der Abwesenheit ihres Mannes zuweilen besuchen zu dürfen; sie ward ihm gern zugestanden.

So vergingen zwei Monate. Amalie weinte noch zuweilen über ihren Verführer, sie war aber doch mehr getröstet. Sie zeigte zuweilen Briefe von ihrem falschen Gemal, und sagte dann, daß sie sich schwanger fühle.

Nach drei Monaten erhielt sie einen Brief, worin der Graf Silbersee schrieb, daß er krank geworden sei. Sie war darüber, wie es einer rechtschaffenen Frau geziemt, betrübt; sie wollte durchaus abreisen, aber ein unglücklicher Fall, der in ihrer Schwangerschaft gefährlich war, hielt sie zurück, und nach einigen Tagen erhielt sie die unglückliche Nachricht vom Tode ihres Gemals. Die ganze Stadt wußte sie in wenigen Stunden.

Ein lautes Jammern und Wehklagen im Hause! Vielleicht sind wenige wirklich gestorbene Ehemänner so 69 aufrichtig bedauert worden, als dieser, der nirgends existirt hatte. Alle Bedienten gingen schwarz. Amalie ließ sich vor niemand sehn; man fuhr vor, um zu condoliren, und alles was zur Trauer und den dabei üblichen Ceremonien gehört, geschah in aller Form.

Der Graf Holfeld freute sich im Herzen über diesen glücklichen Zufall. Er besuchte nach einiger Zeit die trostlose Wittwe, und glaubte zu bemerken, daß sie noch freundschaftlicher als vordem mit ihm umgehe.

Die Mutter war mit der Tochter aufs Land gereist; der Graf hatte sie begleitet. Amalie kam nieder, und der Graf war Pathe des jungen Sohns.

Der Graf erklärte sich immer deutlicher für Amalien. Sie hatte sich an seine Gesellschaft und seine Liebe gewöhnt. Das Trauerjahr war zu Ende, er hielt um Amalien an, Mutter und Tochter willigten ein, und die Verlobung ward nach wenigen Tagen gefeiert.

Ein Fremder stürzt plötzlich in den Saal, und Amalie fliegt ihm wie unwillkührlich in die Arme. Es war Biederfeld. Ein allgemeines Erstaunen! Holfeld stand versteinert da! –

O ich habe dich wieder! rief Biederfeld aus, und drückte die verlorne Geliebte fester an seine Brust.

Was wollen Sie? rief die Mutter, die jetzt die ehemalige Lehrmeisterin ihrer Tochter erkannte. – Amalie lag halb ohnmächtig in seinen Armen, und konnte nur das Wort stammeln: Treuloser! –

Nein, das bin ich nicht, rief er aus, bei Gott nicht.– Er erzählte nun weitläuftig, wie er vor einem Jahre plötzlich in ein Duell sei verwickelt worden, nach welchem er auf einige Zeit habe entfliehen müssen. Er sei hierauf gefährlich krank geworden, und habe also 70 seiner Geliebten keine Nachricht von sich geben können. Jetzt komme er zurück; sein reicher Onkel sei gestorben, und habe ihn zum Erben eingesetzt, und sein einziger Wunsch sei jetzt, durch die Hand Amaliens beglückt zu werden. –

Der Graf Holfeld sah jetzt den Zusammenhang der Geschichte, und verließ die Gesellschaft mit schwerem Herzen, aber ohne, wie ein jüngerer Liebhaber vielleicht gethan hätte, in Verzweiflung zu fallen. – Die Verlobung der lange Getrennten ward nun gefeiert, und die Mutter war vergnügt darüber, daß ihr Plan nun unnütz sei; denn, sagte sie, jedes Geheimniß kann doch endlich entdeckt werden, und setzt dann immer die Personen, die dabei interessirt sind, in ein verdächtigeres Licht, als sie eigentlich verschulden.

 


 


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