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Dickicht im Walde.
Der Wolf. Muß nun hier in den dichtesten Gesträuchen
Wie ein Vertriebener auf und nieder schleichen,
Und bin verstoßen und ausgetrieben.
Da ist kein Wesen, das mich möchte lieben;
Keiner kömmt mir nah, keiner mag mir traun,
Sie alle mit Abscheu auf mich schaun.
Und warum wird mir dies alles gethan?
Weil ich nicht heucheln und schmeicheln kann.
Weil ich mich nicht erniedern will zum Knecht,
So denkt ein jeder von mir schlecht. –
Wie oft bin ich gekränkt und verkannt,
Und umgetrieben von Land zu Land,
Vergeblich suchend die Sympathie,
Wohl Schläge fand ich, doch nimmermehr die;
Nach mir geworfen, mit Pulver geschossen,
Und Fallen gestellt, und dergleichen Possen;
Man schrie, wo ich mich ließ sehn bei Tageshelle;
Da geht der Wolf! den nehmt beim Felle!
Und dennoch reden sie von Toleranz,
Und dünkt sich duldend jeder Alfanz,
Wenn er des Sonntags im ordinären Rocke geht,
Bei Aermern auch Gevatter steht.
Und menschlicher als der Mensch ist der Hund,
Mein Geschwisterkind, und doch im Bund
Mit unserm gemeinschaftlichen Tyrannen.
Da kommt ja Spitz, mein Freund! von wannen
Des Weges, guter, edler Spitz?
Der Hund tritt auf.
Hund. Sieh da! ist hier dein Sommersitz?
Ich geh ein wenig rum spazieren,
Ein Kaninchen oder Hasen zu attrappiren,
Nur fürcht' ich mich vor des Jägers Büchsenschuß,
Denn so ein Kerl versteht über Jagd keinen Spaß.
Wolf. Bist du noch bei Rothkäppchens Vater in Dienst?
Hund. O ja, ich habe da guten Gewinnst,
Die Wirthschaft ist groß, und manches bleibt über,
Was sie mir als andern gönnen lieber,
Das Kind im Hause ist mir auch gut
Und steckt mir heimlich manches zu,
Wofür ich denn die Katze vexire,
Auch Stöckchen aus dem Wasser apportire,
Lege mich auf den Rücken und stelle mich todt.
Gottlob! ich leide jezt keine Noth.
Wolf. Das sind die Künste, die finden ihr Brod!
Hund. Jezt ist seit vierzehn oder zwanzig Tagen
Im Wald mit Essen ein vieles Tragen,
Die Großmutter ist krank und wird gepflegt,
Für mich mancher Knochen beiseit gelegt.
Die Alte stirbt vielleicht, zum Lohn
Erbt ihr Vermögen der Schwiegersohn;
Der kann es brauchen, er säuft gern viel,
Verliert auch sein Geld im Kartenspiel.
Nur ein gewisser philosophscher Trieb
Ist mir in meinem Wesen nicht lieb:
Letzt schleppt das Kind einen Stein herbei,
Der wiegt wohl mehr als ihrer drei,
Und wirft mir den vor meine Füße,
Mir wars, als ob ich ihn apportiren müsse,
Ich konnt' ihn nicht regen und nirgend fassen,
Und mußt' ihn auf der Erde liegen lassen;
Doch immer wieder, geh ich dort vorbei,
Ist mirs, als ob es möglich sei,
Ich will ihn tragen, ich will ihn heben,
Ich knurr', es verkümmert mir mein Leben;
Bald muß ich hier, bald dort probiren,
Ich kanns schon in den Zähnen spüren.
Der Alte lacht mich aus; ja von Natur versteht er
Wohl nichts, er spricht: seht doch den dummen Köter!
Wolf. Ich möchte nicht sein in deiner Lage,
Du lebst doch nur erbärmliche Tage,
Hast keinen eignen Willen, bist nicht frei,
Kriegst auch Schläg' ohn' Ursach. Verzeih,
Daß ich dir alle deine Freude
Und deinen edlen Stand verleide!
Hund. Sprich immer, denn ich kenne dich schon,
Weiß auch, daß man die Spekulation,
Selbst die beste, und alle Theorie,
Muß mengen ins praktische Leben nie.
Wolf. Ei sieh, du bist über alles getröstet,
Wie ein Braten von beiden Seiten geröstet.
Du gehst am Ende und giebst mich an.
Hund. Nein, wisse, ich bin ein ehrlicher Mann,
Du bist von vordem mein lieber Kumpan,
Wärst du ein klein wenig human
Und ließest die wilde Gesinnung fahren,
So würde was aus dir mit den Jahren.
Wolf. Nein, Freund, wir wollen uns so was ersparen,
In der Kindheit, ich denke noch immer mit Thränen
An jene Tage der Unschuldzeit,
Wie hatt' ich da ein inniges Sehnen,
Wie trug ich von Wirken und Nützen ein Wähnen,
Wie war ich zu herrlichen Thaten bereit!
Es kann sich keiner in Idealen
So weit versteigen, so prächtig sie malen,
Wie ich alle Talente und alle Kräfte
Nur widmen wollte dem Menschheitsgeschäfte,
Dem herrlichen Fortrücken des Jahrhunderts,
Versprach von meinem Wirken mir viel Wunders,
Und alles lief gar lustig ab,
Wie ich dir schon sonst erzählet hab.
Hund. Erzähle noch einmal, ich höre dir zu,
Es sitzt sich hier gut in der stillen Ruh.
Wolf. Du weißt, wie damals, als ich dich kennen lernte
Beim Bauer Hans, wo du dientest als Knecht,
Ich mich aus meinem Wald entfernte
Und alle Künste des Hundes lernte,
Verläugnete ganz mein eigen Geschlecht,
Um nur dem Staate zu werden recht.
Ich verscheuchte die Diebe, bewachte den Hof,
Im Regen lag ich, daß der Pelz mir troff,
Erlitt oft Hunger, der Prügel nicht wenig,
Doch war ich in meinen Gedanken ein König;
Ich nutzte, und war mit meiner Bestimmung zufrieden,
Mir schien ein herrliches Loos beschieden.
Hund. Still! mir ist, als ob ich Hasen spüre.
Wolf. Sei ruhig, du Narr, hör zu und verstöre
Mir meine tragische Leidensgeschicht
Durch derlei platten Egoismus nicht.
Vernimm denn, wie es ein Ende nahm,
Und wie ich durch Erfahrung dazu kam,
Die Menschen zu hassen, die ich wie Brüder
Geliebt, die ich meine Freunde geheißen;
Jezt sind sie mir in den Tod zuwider,
Ich möchte sie alle mit den Zähnen zerreißen! –
Meine Phantasie stand damals in ihrer Blüte
Und jugendlich schön war mein Gemüthe,
Ich ging im Walde zuweilen spazieren,
Mußt mir das Glück eine Wölfin zuführen.
O Freund! was lernt ich da erst kennen,
Einen Leib, so unbeschreiblich hold,
Einen Geist, mit keinen Worten zu nennen,
Verstand, nicht zu bezahlen mit Gold,
Man hätte von ihr ein Buch schreiben können,
Elisa, oder die Wölfin wie sie sein sollt!
Hund. Erspare dir das Entzücken, mein Freund,
Du hältst mich auch für verliebt, wie's scheint.
Wolf. Was soll ich dir sagen? Ich liebte sie, sie mich,
Unsre Wonnemonde waren so wonniglich;
Ich sah sie im Wald, sie besuchte mich heimlich,
Wir wünschten, wir wären unzertrennlich.
Eines Morgens verspätet sich die Theure,
Die Bauern kommen zum Dreschen in die Scheure,
Finden da das unvergleichliche Weib,
Drauf mit den Dreschflegeln über den zarten Leib,
Und hast du nicht gesehn, von Wuth gezügelt,
Die Geliebte vom Hofe herunter geprügelt!
Hund. Da war dir wohl die Petersilie verregnet?
Wolf. Ist es so, daß ihr der Liebe begegnet,
Ihr Menschen? dacht ich in meinem Sinn,
Doch unterdrückt ich meinen Grimm,
Ich lernte mich unter der Noth bequemen,
Die Leidenschaft meines Herzens zähmen.
Es währte nicht lange, so merkten's im Dorf
Ich sei kein Hund nicht, sondern ein Wolf.
Was liegt am Namen? da sie mich kannten,
Da ich so treue Dienste gethan?
Doch war ich seitdem ein verlorner Mann,
Weil sie dies Vorurtheil nicht verbannten.
Man traut mir nicht, man legt mich an die Kette,
Als wenn ich ein Verbrechen begangen hätte.
Ich fügte mich mit O! und Ach!
Auch wieder in die neue Schmach;
Doch Nachts vernahm ich einen Plan,
Vor dem mein ganzes Blut gerann:
Man beschloß, mich so in Fesseln zu legen,
Daß ich nicht Hand, nicht Fuß könnte regen;
Hernach, so hört' ich sie sich besprechen,
Wollten sie mir ungesäumt die Zähne ausbrechen,
So könnten sie mit mir machen, was sie wollten,
Und wenn sie mich auch schinden sollten;
Könnten mich auch an Bärenführer verkaufen,
So müßt' ich als Narr die Märkte durchlaufen,
Und wäre man meiner satt, könnte man ohne Gefahr
Mich augenblicklich todtschlagen gar.
O Spitz, wie das mein Herz durchschnitt!
Hund. Sie spielen einem kuriose mit.
Wolf. Meiner Wuth riß die Kette bald,
So rannte ich in den nächsten Wald.
Ich will schweigen, was ich seitdem erfuhr,
Denn es empört die geduldigste Natur;
Kugeln summten oft dicht um die Ohren,
Eisen waren mir mörderlich gestellt,
Hunde hatten mich oft beim Fell;
O Freund, nirgends ist eine Kreatur
So schlimm in aller weiten Welt
Als wie ein armer Wolf geschoren.
Seitdem ist aber auch mein Plan,
Unheil zu stiften, so viel ich nur kann;
Seitdem thut mir nichts gut,
Als nur der Anblick von Blut.
Ich will alles Glück ruiniren,
Dem Bräutigam seine Braut massakriren,
Die Kinder von den Eltern trennen,
Und was man Unglück nur kann nennen,
Darauf soll dieser Kopf auch sinnen.
Man hat mich so weit endlich getrieben,
Ich will sie fressen, da sie mich nicht lieben,
Und wärst du nicht mein Vertrauter eben,
Ich hätte dir schon den Rest gegeben.
Hund. Gehorsamer Diener, für die gütige Ausnahm!
Doch hast du denn keine Schand' noch Schaam,
Daß dich nicht dein böser Vorsatz gereut?
Glaubst du denn nicht an Unsterblichkeit?
An Bestrafung nach dieser Zeitlichkeit?
Wolf. Nein, Kerl, ich halte alles für Aberglauben!
Die Freuden dort sind gewiß nur Trauben,
Die uns zu hoch hängen, mein dummer Freund,
In gar zu weitem Felde das scheint:
Was ich fresse in meinen Leib hinein,
Das ist gewiß und wahrhaftig mein!
Kann mich zu keiner andern Lehr bequemen.
Hund. Ei pfui! ich muß mich für euch schämen,
Will auch nicht mit euch Umgang weiter pflegen,
Ich geh, aus Furcht der Ansteckung wegen. Ab.
Wolf. Das sind die Köpfe, so dumm und seicht,
Die jede Furcht und Beklemmung erreicht,
Die nichts von Kraft und Selbstständigkeit wissen;
Hätt' ich ihn doch lieber in Stücke zerrissen!
Doch will ich sein liebes Rothkäppchen fangen,
Das ist seit lange schon mein Verlangen;
Ihr Vater ist überdies ein Mann,
Der mir schon tausend Drangsal angethan.
Will mich auf den Weg gleich machen,
Hungert mich recht nach ihr in meinem Rachen. Geht ab.
Fußpfad im Wald.
Rothkäppchen. Hanne.
Hanne. Es wird schon finster, ich gehe nicht weiter.
Rothkäppchen. Nicht doch, die Sonne scheint noch so heiter.
Hanne. Es wird dunkle und finstre Nacht,
Eh' ich den Weg zurück gemacht.
Peter tritt mit seiner Braut auf.
Braut. Ei Rothkäppchen? gehst du auch noch spazieren?
Peter. Ich muß die Kleine immer vexiren,
Es ist ein allerliebstes Kind. –
Nun, Rothkäppchen, wie bist du denn gesinnt,
Willst du noch mein Bräutchen sein?
Rothkäppchen. Schweig still, du hast ja schon die dein.
Peter. Das nehmen wir nicht so genau,
Du wirst dann meine zweite Frau.
Braut. Glaubs nicht, er spricht nur wie ein Tropf!
Peter, setz dem Kinde nichts in den Kopf.
Rothkäppchen. Laß ihn nur reden, Anne Marie,
Ich nähme doch den Peter nie,
Er gefällt mir schon jezt nicht sonderlich,
Dann wär er gar alt und krüppelich;
Wird mich schon, ohne mich an ihn zu hangen,
Ein beßrer Bräutigam zur Braut verlangen.
Braut. Siehst du, das kommt von deinem Vexiren,
Die weiß die Leute abzuführen,
Die ist so klug wie wir jezt wohl sind
Und ist noch ein kleines buttiges Kind.
Gehn beide.
Hanne. Sie sagte, du wärst ein buttiges Kind.
Rothkäppchen. O laß sie nur, denn beide sind
So er wie sie etwas dümmerlich,
Drum antworten sie so kümmerlich.
Er hätte keine andre Braut getroffen,
Sie durfte auf keinen andern Bräutigam hoffen,
Drum halten sie viel von einander mit Recht,
Und meinen nun jezt, sie wären nicht schlecht.
Hanne. Hier steht eine Butterblume, die will ich blasen,
Zu sehn wie lang ich noch soll leben.
Ein Bauer geht vorbei.
Bauer. Mich wundert, daß man die Kinder läßt so rum rasen,
Die kämen dem Wolf gerade gelegen.
Geht nach Hause, Kinder, das ist gescheidt,
Es wird schon Abend, da ist es Zeit.
Rothkäppchen. Ich geh zu Großmutter, bring ihr Abenbrod,
Mit eurem Wolf hats keine Noth.
Bauer. Wenn er dich erst wird massakriren,
Wirst du wohl 'ne andre Sprache führen.
Das ist jezt bei Kindern 'ne dumme Weis,
Sie werden gar zu naseweis. Geht ab.
Hanne. Sieh da, ich lebe wohl noch hundert Jahr.
Kuckuck, hinter der Scene.
Kuckuck! Kuckuck! Kuckuck!
Rothkäppchen. Das wäre doch ein bischen gar zu lang.
Hanne. Ne, ne, es trifft dir auf ein Haar.
Nun ist mir nicht vor dem Wolfe bang.
Rothkäppchen. So will ich doch auch mein Glück erproben.
Sie bläst auf die Blume.
Sieh, da ist alles rein weg gestoben.
Hanne. Ach, armes Kind! So bald zu sterben!
Rothkäppchen. So sollst du mein roth Käppchen erben.
Doch leb ich wohl länger wie du mit Lust,
Denn man sieht, ich hab' eine bessere Brust,
Drum sind die Haare so weg geflogen.
Meine Mutter hat mich zu gut erzogen,
Als daß ich an so was glauben sollte,
Ich wüßte auch nicht, wie es die Blume wissen wollte;
Erst ist sie gelb, und wird dann greis,
Wie ein kindischer Mann, der von sich nicht weiß,
Da steht sie am Wege und kömmt ein Wind,
Ihr alle Haare ausgerissen sind.
Kuckuck. Kuckuck! Kuckuck! Kuckuck!
Hanne. Das glaubst du nicht? So weiß ich noch was:
Frag den Kuckuck, wie lang du zu leben hast;
Wenn ders nicht weiß, so weiß es keiner.
Rothkäppchen. Ja solchen Vögeln trau nur einer,
Der sitzt in seiner Dunkelheit,
Wo er aus Langeweile schreit.
Kuckuck! wie lange hab ich zu leben? – –
Hanne. Siehst du! er will keine Antwort geben.
Ach, armes Kind! so lebe wohl,
Und wenn ich dich nicht wieder sehen soll,
So gedenke im Tode zuweilen meiner,
Dafür gedenk' ich im Leben deiner. Geht ab.
Rothkäppchen. Das kleine Mädchen ist nicht recht klug
Und für ihr Alter noch dumm genug.
Kuckuck kommt auf die Scene.
Rothkäppchen. Was will der Vogel von mir haben?
Kuckuck. Kuck um dich! Kuck! Kuck! sollst Vorsicht haben!
Kuck! Kann nicht sprechen, wie ich wollt;
Kuck! Kuck! Kuck um dich, der Wolf, –
Kuck! Kuck! Fliegt ab.
Rothkäppchen. Kuck! kuck! der hats im Reden nicht weit gebracht,
Ich hätte beinah über den Narren gelacht.
Der Hund kommt.
Rothkäppchen. Ei, Hund! Wo kommst du her? Wie er schmeichelt,
Wie er sich an der Seite streichelt,
Wo er merkt, daß ich das Essen trage.
Hund. Bau, bau nicht zu sehr auf Sicherheit.
Rothkäppchen. Wenn ich nach Hause komme, dann frage
Nur nach, dann ist deine Essenszeit.
Hund. Bau, bau auf deinen Muth nicht zu sehr,
Ich komm, bau, bau, und knie vor dir her,
Kann nicht recht sprechen;
Bau, bau, trau, bau nicht zu sehr,
Der Wolf kann dich fressen.
Rothkäppchen. Geh, alberner Hund, nun ist es Zeit,
Du bist im Kopf nicht recht gescheidt! Geht ab.
Hund. Bau, bau und trau nicht zu sehr!
Kuckuck. Kuck, kuck, kuck um dich mehr!
Nachtigall, hinter der Scene.
Tirili! von allen
Vögeln hoch und tief Gesänge schallen, schallen,
Sie lallen
In tausend Zungen,
Wird von allen gesungen,
Doch ist es keinem als mir gelungen,
Honetten, netten Leuten zu gefallen, allen, schallen.
Kuckuck. Kuck, kuck den Hochmuth!