Ludwig Tieck
Tod des Dichters
Ludwig Tieck

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Der alte Neger, welcher hier gern gesehn war, weil er die Sprache der Portugiesen nur unbeholfen sprach, antwortete: »Was sagen? Was kann Mensch von Erde sagen, wenn Zungen von Metall sprechen tun? Rührt sich ein Geist im Erz, gut, begreiflich; wird das Metallding selber Zunge, spricht, schreit, wehklagt, wieder begreiflich, wenn's nur nicht Wort, Spruch, vernünftige Red von sich gibt: Baum nickt, Meerwoge schreit, Brandung schilt und flucht, und Luftgeister musizier oben in Pinien, Zeder und Zypreß. Spricht alles, weissagt, macht Betrachtlichkeit und will zu Vernunft hinausfahren. Kann ein Klock so hantier und ist eiserner Prophet, so braucht kein Mensch sich verwunder und schelte, daß meine Landsleut Furcht und Schreck vor alle Klock hab, und kein Moslem und Türk will solch Propheteneisen in seiner Stadt und Kirche leiden.«

»Ungläubiger«, fuhr ihn der Wirt zornig an, »lästere nicht unsre heilige Kirche, am wenigsten diese Wunderglocke!«

»Halt!« rief der Neger. »Mann von Wirthaus, reiß nicht dicke Augen auf gegen mir! Bin Christ, wenn auch kein alter, bin getauft als Antonio, fromm geworden, bekehrt, drauß auf Molukken. Und besser so getauft als wie die unverständigen Kind, die nichts davon begreife und nur greine und schnarre und um sich sprudele.«

»Also«, sagte ein Neugeworbener, »du bist mit Verstand getauft, du hast damals die Sache begriffen? Wie war dir, Gespenst, denn damals zumute?«

»Seht, Herr«, antwortete der Neger, »konnte mir schon lang mit meine Götzenbilder nicht vertrage: Hatte das Kerl nicht ein Schnauz, als wenn er mir auffressen wollt, wenn ich ihm mein Reverenz macht. Hat mir auch nichts geholfe, wenn ich den Granzhans um was höflich ersucht hab, sitzt immer stumm und grob, als wenn das Tier von Holz wär, war auch als Holz gebaut, konnte nit anders. Lang schon hatte ein fromm Christenpriester sich mein erbarmt und auf meine gläubige Seel herumgepredigt und hantiert; legte mir alles aus und gab meinem dummen Geist so rechten Stoß und Ruck in das Unbegreifliche 'nein, daß ich's in Brust und Herz und Rippen fühlte. Nun tauft mir der Mann in seiner schönen Kirch, wie meine Lebensgeister darauf präpariert war. Ach! Ach wie das allerheiligst Wasser und Wort mir Gebein und Verstand naß macht, anrührt, durchdringt oder penetriert, seht, wertachtungswürdige Christenherren, da brummt, summt, flammt und grollt es mich so im Herzen, als wenn drei Bienenschwärme darin herumsuselten. Kam in mich Feuerbrand und Zorn, und wieder sanft, sanft, wie weiße Täublein durch blauen Morgenhimmel ziehn in erster Frühe, wenn Tau noch an Blumen weint. Fühlte, daß meine Seele neu war geworden, fühlte, wie gütige lieber Heiland mich in seine zarte Arme nahm und sagte: Arme schwarze Kreatur, Mensche habe dich geschlage und gefoltert und mit Füße getrete, bleib du bei mich, sieh mir in mein Auge, wenn du wieder traurig bist, will dir wie Kind, wie Bruder liebhabe, denn du hast nicht Eltern, nicht Schwester und Bruder. – Ja, meine Gönner, meine Eltern hatten mir ja selbst nach der Fremde hinaus für bißchen Geld verkauft. – So bin ich Christ und glücklich geworden, bin nicht weiß, nicht Portugiese, bin Bettler, schwarz Sklave, kann aber selig werden und bin's schon, wenn an schöne liebe Jesus denke.«

»Ich wußte nicht, daß du so fromm warst, Jao«, sagte der Wirt.

»Was ist fromm?« erwiderte der Neger. »Als in allerheiligster Taufe mir Wasser mein Gemüt rührte und umtrieb, da brudelten die großen Mühlenräder in mir und mahlten brausend und sausend das feine Getreid für meine ganze Lebenszeit; denn seitdem ist Schwung der Räder in mir still und arbeitet kein Getriebe mehr. Die Speise aber ist da für Winter und Sommer und soll, hoff ich, keine Darbung und Hungersnot einfallen. Wächst in mir still wie ein Lilienbaum die Pflanze von Glauben und gibt seinen Duft und weißen Glanz durch den ganzen Garten am stillen Abend. Und wenn mir mal Welt nicht gefallen will, ich überdrüssig, hinzuhinken und zu wackeln, so richte meine müden Augen auf meinen anmutiglichen Heiland, der als braver Mann sein Wort hält und halten wird.«

»Der Kerl«, sagte der Maultiertreiber, »hätte ein Priester werden können, um andre seiner schwarzen Glaubensgenossen zu bekehren.«

»Wollte erst«, antwortete der Sklave, »auch meine Herren Geistlichen dachten dasselbe, da kam aber wieder Demut über mir und hörte wie eine Stimme: Knecht sollst du sein, draußen bleiben, Gatter zu und Schloß vor, denn bist nicht würdig, im Weinberg selber zu arbeiten.«

»So dächt ich wohl auch«, antwortete der Kesselflicker. »Da hinein gehören keine Narren, und die Herren Geistlichen, wenn die Sache anders wahr ist, liefen auf einem sehr falschen Wege.«

»Und was er von der Mühle gesagt hat«, fiel der Wasserträger ein, »ist ganz dumm, denn wie kann einer sich wohl für seine ganze Lebenszeit Korn mahlen lassen? Das Mehl würde auch verderben, und die Würmer dürften wohl hineingeraten. Der Mensch schwatzt immer Zeug durcheinander, nicht gehauen nicht gestochen, ohne Hand und Fuß.«

»Hinkend«, sagte der Maultiertreiber, »sind alle seine Gedanken, so wie er selber es ist.«

»Weil er so hübsch hinkt«, rief die Tochter aus, »muß uns der Alte wieder einmal etwas tanzen, das hat er schon seit lange nicht getan!«

»Ja! Ja! Tanzen soll er«, riefen alle.

»Meine Herren«, sagte der Mohr, »Ihr habt vorher alle gemeint, wir dürften nicht mehr so gar lustig sein, weil die Klocke von Vilela so schlimm geklungen hat. Wir sein gesetzt und nachdenklich. Mein Tanz, den ich noch aus Heidentum mitgebracht, ist unchristlich.«

»Eben darum«, sagte der Kesselflicker, »weil es kein christlicher Tanz ist, sollst du deine gottlosen Sprünge machen, denn die schaden unserm Glauben und unsrer Trauer nichts. Es braucht ja auch keiner mit dir zu tanzen, wir schauen nur zu, und wenn du uns deine schwarzen Kunststücke vormachst, so tut das unserm Gewissen keinen Eintrag.«

Sogleich nahm das Mädchen das Tamburin und schüttelte die Schellen, sie ließ jene einförmige Musik erschallen, die für Tanz und Gesang gemeinhin paßt, und der lahme Schwarze hinkte herbei und drehte sich bald schnell und dann wieder langsamer in possierlichen Stellungen herum. Er wackelte mit dem Kopf, riß die Augen und sperrte den Mund auf, so daß die weißen Zähne in der schwarzen Masse des Gesichtes lächerlich und furchtbar glänzten. Nun ward der Takt schneller, und er sprang hin und her, schleuderte sich mit dem Körper in allen Richtungen, schlug sich über und ging auf den Händen, den Kopf unten und die Beine oben. Alles jubelte und lachte, und als die Freude am lautesten war, konnten erst die jüngeren und dann die älteren Männer nicht widerstehn, sich ebenfalls abgemessen im Kreise zu drehen und mit hüpfenden und springenden Bewegungen abzuwechseln. Auch das Mädchen sprang mit der kleinen Trommel zwischen die Tanzenden, und alles jubelte, sang und stampfte, indem die wohlbeleibte Wirtin eine alte Romanze zum Takte keuchend sang und der Wirt seine Mandoline ergriffen hatte, um mit einem reißenden Federkiel helle und schrillende Töne aus dem gewölbten Instrumente zu ziehn. Das Geklimper und Gesinge brach aber plötzlich durch einen heftigen Schreck ab, welcher alle durchfuhr, denn ein vornehmer Kriegesmann stand im glänzenden Schmucke vor ihnen und beschaute, behaglich lächelnd, die schwärmende Gruppe.

 

Als alles so plötzlich still geworden war, sagte er: »Meine Herren, Ihr solltet Euch nicht so ungeziemlich stören lassen, denn mich freut es, diese unschuldige Lust mit anzusehn, die mich an die Maienspiele meines Vaterlandes erinnert. Der Mohr dort, ob er gleich lahm scheint, ist von besondrer Spring- und Federkraft, das Mädchen hat sich gar anmutig umgeschwungen, und meine jungen Rekruten erfreuen mich durch ihre gewandte Behendigkeit.«

Alle verbeugten sich in Ehrfurcht, und die Rekruten drängten sich herbei, dem vornehmen Manne die Schärpe zu küssen. »Ich erwarte hier nur«, fuhr der Anführer fort, »zwei von meinen Offizieren, die mich abholen sollen, weil mein Weg mich hier vorbeiführte. Gebt nun, Herr Wirt, meinen jungen Soldaten und auch diesen andern Herren Wein und Erfrischung.«

Er reichte dem Manne ein Goldstück, und als die beiden Offiziere jetzt, jener Italiener und Deutsche, eintraten, wandte sich der Engländer Stuckley, denn dieser war der geschmückte Mann, mit freundlicher Miene zu diesen und sprach heimlich mit ihnen, im Begriff, sich zu entfernen.

Der Neger aber rief plötzlich mit heller Stimme: »Nein, nein! Bascha, Kapitän, Admiral nicht weggehn muß! Hat mir tanzen und springen, hat mir Spaß machen sehn, hat gelacht und sich gefreut, muß nun auch bißchen von seiner Wohltätigkeit, von seinem blanken Silberchen zu sehn kriegen«.

Stuckley stand still, betrachtete den Neger, der in einer gebückten und possierlichen Stellung vor ihm kauerte, und sah dann den Wirt an.

»Ja«, sagte dieser erläuternd, »der Schwarze kommt oft zu uns und bettelt, er ist lahm, es mag ihn wohl kein Herr mehr brauchen können und ihn der letzte weggejagt haben, so ist er denn oft der Narr und Spaßmacher, um meinen Gästen kleine Geschenke abzulocken, die der Gauner so zu kirren weiß, daß ihm auch der Ärmste etwas mitteilt.«

»Kein Gauner«, rief Antonio, »armer Sklav – kein Spaßmacher und Narr, bedürftiger Mensch! Aber die großmütigen Herren Portugiesen wollen lieber einem Toren, Gaukler was mitteilen, als wenn mich für ihren Menschenbruder ausgeben täte.«

Stuckley reichte ihm die Hand und sagte: »Steh auf!«

Antonio richtete sich empor und legte dann die Hände ineinander, indem er mit dem rührendsten Tone, in der Art der Kinder sagte: »Bitte, bitte, was schenken! nur en bissel!«

Der Anführer zog seinen Beutel, nahm zwei Goldstücke heraus und legte sie in die ausgestreckte schwarze Hand. Sowie der Neger das Gold in seiner Hand glänzen sah und die Schwere der Münzen fühlte, warf er sich wieder auf die Knie und küßte den Fuß seines Wohltäters.

»Sei nicht so sklavisch, so hündisch«, sagte Stuckley, »bedenke, daß du ein Mensch bist wie ich.«

Der Neger ließ sich aber durch diese Ermahnung nicht irremachen, sondern blieb in seiner knienden Stellung und drückte die Goldstücke an den Mund. »O Gold! Gold!« rief er im Entzücken und weinend aus. »Wie lange, wie lange ist es schon, daß ich dein Glanzgesicht nicht gesehn habe! Und mein bist du, mein! Mein Diener, mein Sklave! Mußt mit deiner Glanzseele in meiner schwarzen Hand leuchtend herumspringen. Mußt mir gehorchen, wie ich dir kommandier! Bist Herr der Welt und doch jetzt mein Knecht!«

Nun sprang er auf und wendete sich bittend an den Italiener und den Deutschen. »Auch schenken«, flehte er, «auch etwas schenken zum Angedenken: Steckens die lieben weißen Hände, o große Kriegsmänner, da in den Beutel, suchen etwas heraus für armen schwarzen Schelm, der für Eure beiden Schwerter beten wird.«

Die beiden Krieger sahen sich mit einiger Verlegenheit an, da aber Stuckley, ihr Anführer, stille schwieg, so konnten sie es nicht unterlassen, so unwillkommen es ihnen auch sein mochte, der Gelegenheit und dem Ungestüm des schwarzen Mahners etwas zu opfern. Jeder, der Italiener sowohl wie der Deutsche drückten dem Schwarzen ein Goldstück in die Hand, welcher sie mit seinen brennenden Augen anschaute. Als er die Gabe empfangen hatte, küßte er fast weinend die Münzen und dann die Hände der Gebenden.

»Haben die Engel heut«, sagte er dann, »ein allerliebsten Tag wie große seidene Purpurdecke aus ihrem lichten warmen Himmel heruntergelassen. Mein Ohren vernehmen Beckenklang und Trummelmusik und güldne Schellen von Paradies herüber, und schöne Wohlruch strömen süßlich und anmutig durch Sommerluft. – Nun aber«, indem er sich zur übrigen Gesellschaft wendete, »auch Ihr, geehrte Herren, etwas Kleines ausbeuteln, daß die goldne große Münz Umgang hat und nicht wie fromme Einsiedler in die dunkle Tasch ohne Gesellschaft und Unterhaltung sitze. Lassen sich gern herab, die Goldherrn, spreche und amüsier sich in niedriger Sozietät von klein Silbermünz, allerkleinst Kupferreis, gut und angenehm. Klingelt dann alles so recht hübsch durcheinander und rührt und tanzt gemütiglich und lustig. Helfens zu dem Umtanz und Umschwung, liebe, vortreffliche Christenleut.«

»Hast du noch nicht genug?« fragte Stuckley, der sich an dieser Szene zu belustigen schien.

»Dieser?« erwiderte der Wirt. »O Exzellenz, niemals, er ist so unersättlich wie die See. Und so milde und ruhig, gewissermaßen fromm der schwarze Mensch ist, so ist er doch ein Tiger und Löwe, wenn sein Geiz, diese furchtbare Leidenschaft, in ihm erwacht. Haben, Besitzen, Sammeln, und immer mehr und mehr, das ist es, was sein Blut in Wallung setzt.«

»Haben! Haben!« schrie der Neger auf. »Ja, das ist die Seligkeit dieser Erde, das ist Himmelreich! Und Bettler wie ich, die nichts, gar nichts haben, wir wissen, ja, wir, was Haben bedeutet. In jedes Nachbarn, Menschen Tasche wohnt und klingt unser Besitz, nun kommt die Hand, nimmt, faßt, noch eben war ich, hatt ich nichts, nun ist das Kupferstück, Silbermünzchen mein: So von dir, von dir und dem, und Saat kann in jedem Vorbeiwandler nachwachsen. Ach, die zarten lieben Pfennige, die weißen Metallblättchen, und nun kommen s' zu mir wie Lämmer zum Hirten. Heut nun gar Gold, vier große regierende Sultans. Fehlen noch Untertanchen; beutelns aus, schüttelns her, großmütigste Portugiesen, sein nicht geizig, unmenschlich, werden's mit Segen wiederum empfangen. Will jeden kleinen unansehnlichen Zwerg, alle ohne Unterschied, mit Gebet und Vorbitte empfangen.«

Stuckley sagte: »Der Kerl gefällt mir aus der Maßen, weil er eigentlich so ganz rein den Menschen darstellt, der durch Erziehung angelernt noch keine Großmut und Resignation oder Genügsamkeit affektiert.« Er nahm den Wirt beseit und gab ihm lachend noch eine Summe, indem er ihm zugleich auftrug, die ganze Gesellschaft dieser Armen noch reichlicher, als jenes Goldstück es bereiten konnte, heut und morgen zu bewirten, sie aber so zu stimmen, daß sie, wenn auch jeder nur wenig opferte, dem geizigen Neger steuerten.

Der fröhliche Wirt ging lachend herum und eröffnete seinen Gästen, was ihnen bevorstände. Alle sahen zum abenteuerlichen Engländer wie zu einem Wunder empor, dessen verschwenderische Großmut ihnen als ein unverständliches Rätsel erschien. Jeder von ihnen, die Rekruten, der Wasserträger, Kesselflicker und alle übrigen suchten größere und kleinere Münzen hervor, und alle beschenkten den jauchzenden Neger nicht ungern, da sie den Schmaus auf heut abend und morgen mittag, und zwar einen reichlichen, vor sich sahen.

Als Antonio alles eingesammelt hatte, sagte der Wirt zu ihm: »Nun also, Schwarzer, setze dich, wir wollen gleich auftragen lassen, iß dich einmal recht satt – und morgen mittag, Freund, komm wieder, und du sollst es noch besser finden.«

Der Mohr sprang mit beiden Beinen in die Höhe und sagte dann: »Nichts essen, Freude zu groß, komm auch morgen nicht, bin satt, ganz satt.«

Der Wirt sah ihn verwundert an, nahm dann aus einer Felsengrotte eine Flasche und sagte: »So nimm denn wenigstens von mir von meinem besten Wein zum Geschenk, wenn du nicht mit den andern Herren hier an der Großmut des Herrn Generals teilnehmen willst.«

Noch einmal dankte der Neger halb lachend und halb gerührt allen, vorzüglich dem Engländer, und lief dann mit der Flasche unter dem Arm eiligst davon.

Die Nacht hatte indessen die kurze Dämmerung überwunden, und Stuckley ging mit seinen Offizieren und Rekruten nach der Stadt zu, indem sich dieser und die Zurückgebliebenen auf verschiedene Weise über den Neger unterredeten. Alle verwunderten sich, daß der Geizige die Mahlzeiten verschmäht hatte, und die Gesellschaft in der Schenke suchte sich dieses Unerwartete zu erklären, indessen die Soldaten mit ihrem Anführer das Haus der Villa bald erreichten, wo dieser in einem großen, schön geordneten Garten wohnte.

 

Es war eine stille Nacht herabgesunken und hatte sich auf der kühlen Erde gelagert. Die Luft war abgekühlt, ein linder Tau hatte die Bäume und Gesträuche erfrischt. Kein Wind regte sich, das Meer lag still, und leise flüsterte die Woge, anmutig am Ufer spielend. Die Sterne glühten vom dunkeln Himmel, und das erste Viertel des Mondes stand über dem grauen Gebirge Cintra.

Einsam wandelte Luis am Ufer hin und her. Er sah nach der Stadt hin, in welcher von Palästen und den großen Häusern die Lichter herüberglänzten und im Widerschein des Meeres spiegelten. Feuerwürmer flogen in lichten Wolken auf, und die tausend leuchtenden Tropfen regneten spielend in die grünen Gebüsche hinein. Ein Fisch sprang von Zeit zu Zeit im Wasser empor und unterbrach die feierliche Stille. Auch kam wohl von fern ein Klang langsam vertönend vom Meere herüber. Luis sah heiter umher, und der Duft vom Meer, die erfrischte Luft, die Lichter, die zitternden, der Glanz der festen Sterne, das Echo des Windes, das sich lispelnd in den Baumblättern meldete, erhob seinen Geist und führte ihm die verlebten Jahre seinem Gedächtnisse wieder vor. Gern wandelte er so wie jetzt in den Sommernächten umher, das Lager und enge Zimmer ängstigte ihn; das Gespräch seines Geistes mit der Natur tröstete und erhob ihn über die Drangsale des Lebens.

Ein dunkler Schatten bewegte sich schnell auf ihn zu, und als er näher gekommen, sagte Luis: »Bist du schon da, Antonio? Ich hatte dich nicht so früh erwartet.«

»O Glückstag! Glückstag heute!« rief der Neger erfreut. »Mehr heut bekommen als sonst in Monaten! Schaut, Herr, lieber Herr, vier große, schwere Goldmünze und hier noch Silber und kupferne Münzen.«

»Treuer Mann«, sagte Luis, »das Glück hat dir wirklich beigestanden.« Er wägte das Geld, welches der Mohr in seine Hand hatte fallen lassen, und sagte dann ruhig: »So kann ich mir endlich ein anständigeres Gewand und einen Mantel anschaffen, und ich darf mich nicht mehr von so vielen Augen als einen Verdächtigen mustern lassen. – Hast du dir genommen, Freund, was du brauchst?«

»Weißt ja«, sagte der Neger, »lieber, verehrter, großer Herr, daß Antonio nichts braucht, daß ihm, dem Schwarzen, nichts abgeht. Dir Freude machen, dir alles geben, was ihm Menschen schenken, das sein Glück, sein Lust. – Hier, guter Wein, großer, lieber Herr, hier, eingekauft gute Speisen und Brot.«

»Das ist also«, antwortete jener, »eine unerwartete Festnacht, in welcher sich mir alle Güter der Erde entgegendrängen. So wollen wir uns denn nach jenem Gebüsche begeben und unsre späte Mahlzeit halten. – Welchen Tag haben wir heute?«

»Donnerstag und den vierten Julius.«

Der Sklave legte ein Tuch auf den Rasensitz und stellte auf dieses zwei Becher und die Weinflasche, welche er aus seinem Korbe nahm. Dann legte er auf kleinen Tellern die Fische, das Geflügel und Gebackne aus, das weiße Brot und einige Früchte. Er sah bedenklich nach seinem Herren aus, der indessen nachsinnend auf und nieder wandelte und sich schwermütig vom Mahl entfernte.

Kommen denn, sagte Luis zu sich selbst, immer wieder Tränen an diesem Tage? Wohin seid ihr entflohn, ihr schönen Stunden, als ich so glücklich war, an ihrer Seite, beim Glanz der Lichter, ihres lächelnden süßen Mundes diesen Tag zu feiern? Wie viele Jahre liegen zwischen jetzt und ihrem letzten, leuchtenden, tränenvollen Blick! Also heut war sie geboren, heut vor fünfzig Jahren! Wo ruht nun ihr Staub im fernen Gebirge? Und ist meine Form auch zerbrochen, so ist auch das Andenken ihrer Schöne und Hoheit unter den Menschen erloschen. Ich aber fühle sie und ihre Herrlichkeit im Hauch der Nacht, im Glanz der Gestirne, die Erinnerung an sie durchdringt alle meine Lebenskräfte, und so ist es, als wäre es gestern, wie ich sie sprach und liebte. Und welche Kluft dazwischen! Und in dieser wieviel Leiden und Tränen und Kampf! Nur diese Erinnerung an sie ist die Wahrheit meines Lebens, alles andre nur wie Märchen und Lüge. Traum des Lebens, o du herzdurchdringende Wehmut: Wird denn eine Zeit kommen, wo auch das Vergangene wieder Gegenwart wird? Wir streifen nur wie in einem flüchtigen Tanze allen Gegenständen vorüber und berühren sie kaum mit den Händen; was wir anfassen, schwindet und welkt wie die Blume des Feldes; indem wir dem teuern Wesen Auge in Auge sehn, wandelt es wie die helle Wolke, die über dem Meer dahinzieht – und so sind wir plötzlich einsam und fragen uns in träumerischer Angst: War es denn da, was ich lieben und halten wollte? Doch ruhig, du ungeduldiges Herz, mein Freund dort wartet und betrübt sich um mich. Wir wollen ihr Angedenken im Genuß des Irdischen feiern.

Er ging schnell zurück und setzte sich neben den Sklaven. Dieser schenkte Wein in einen Becher und reichte ihm diesen, indem er sagte: »Der gute Wirt dort unten hat mir den Wein gegeben.«

»Er ist gut«, erwiderte Luis, indem er langsam trank, »er stärkt und löset die ängstlichen Fesseln der Gedanken.« Er blickte in den Himmel und die weite Landschaft hinaus.

»Ach, was ich glücklich bin«, fing der Sklave wieder an, »daß ich dir, großer, lieber Herr, einmal Freude habe machen können. Wo ist in ganzer Welt der Knecht, der Schwarze, der so neben seinem Herrn sitzen darf und mit ihm essen und trinken? So mit ihm schwatzen? Und doch nennen dumme Leute dich stolz und hochmütig, weil nicht ihr Narr sein willst.«

»Ja, Antonio«, sagte Luis, indem er ihm die Hand reichte, »du bist mein Freund, mein Ernährer, mein Beschützer, der einzige auf Erden, vor dem ich mich nicht scheue, der mir ein Bruder ist und dessen Wohltaten mich nicht quälen.«

»Sprich nicht so, großer, göttlicher Mensch«, rief der Sklave, »sonst schnürt so an meinen Hals, daß ich nichts schlucken kann! Hast du mir nicht damals in Ormuz von Tod und Folter loskauft? Und mit deinem ganzen Vermögen? Hast nicht damals mit dem großen Statthalter gezankt, daß er dir auch wollte ins Kerker schmeißen? Sagten nicht Kapitäns, du wärst Rebell, verdientest totgemacht zu werden? Ja, großer Mann, hast mir beigestanden wie Christ und Bruder, wie Heiland – und was bin ich Wurm dir? Leidest mich um dich, liebst den Schwarzen – und du, so klug, gelehrt – und ich dumm, schwarz, nur Vieh gegen dir.«

»Nein, mein Antonio«, sagte der edle Portugiese, »wir wollen uns nicht erweichen, wir wollen heiter diese schöne Nacht, dieses ungehoffte Mahl und ich das schönste Andenken aus meinem Leben genießen. Deine Treue macht dich der Freundschaft der Edelsten wert, du hast mich, ich habe dich erkoren.«

»Könnt ich dir Reichtum«, rief der Neger, »Haus und Palast schaffen! Dir zum großen Admiral machen! König müßtest sein! Papst!«

Luis lachte herzlich. »Du begreifst nicht«, sprach er dann, »wie wohl mir ist in dieser Armut, seit sie eine frei gewählte, nicht mehr eine aufgedrungene ist. O Freund, seit ich mich und die Menschen erkannt habe, ist diese Armut mein Trost und meine Beruhigung. Abgeschieden von aller Welt erwarte und hoffe ich nichts mehr, ruhig sehe ich Vornehme und Geringe mir vorübergehn, in der Nacht empfängt mich meine einsame Zelle, das wenige, welches mein hinfälliger Körper bedarf, verschaffst du mir. Du selbst hast es erfahren, wie wenig der Mensch bedarf, um sein Leben zu fristen. So wohne ich in der Vergangenheit und Erinnerung, es gibt für mich keine Zukunft mehr als jene unsichtbare, unfaßliche, von welcher Glaube und Offenbarung zu uns reden. Als ich noch auf die irdischen Güter hoffen wollte, mit wie törichten Erwartungen gaukelten die Stunden des Tages vor mir hin, wie unzufrieden, bekümmert und zornig war ich in stiller Nacht, daß sich nichts erfüllen wollte. Wie verdunkelte ich selbst nach und nach meine glänzenden Erwartungen, wie nahm ich Kuppel, Gesims, alle hohen Mauern und Fenster von meinem Gebäude ab und meinte nun, die letzte kleine Unscheinbarkeit müsse mir doch gewährt werden, und wie nahe war ich der Verzweiflung, als mir auch dieses befangene, düster eingekerkerte Leben nicht werden sollte. Ging ich zu den Beschützern oder sogenannten Freunden, so kam mir in ihren Blicken schon die Angst entgegen, daß ich fordern, drängen würde. Sie kamen mir mit unverdienten Vorwürfen zuvor, nur damit ich sie ihnen nicht machen dürfte. Der Große erniedrigte mich mit seinen Stirnrunzeln, um meine Bitte und Ansprache schon vor ihrer Geburt zu erwürgen. Wollte ich im Spazierengehn mich einem Befreundeten anschließen, nur um heiter mit ihm zu plaudern, so floh er vor mir wie vor dem Aussätzigen, weil er wähnte, ich spräche ihn um Hülfe und Schutz an oder wollte mich doch mindestens in Klagen ergehn. Jene Minister sprachen nur, wenn ich ihnen meine Ehrerbietung zeigen wollte, von dem Mutwillen, den Unarten meiner Jugend; alle diese Geschichtchen nebst längst widerlegten Verleumdungen hatten sie auswendig gelernt, um mich zu belehren, wie ich teils jedes Lohnes unwürdig oder selbst der Schmied meines Unglücks sei. Nun bin ich vergessen: Wenn ich unter ihnen wandle, erkennen sie mich nicht, so haben die Jahre, Krankheit und Gram mich entstellt. Nun bin ich irdisch so glücklich, als ich es noch werden kann, denn ein Tag geht nach dem andern hin, eine stille Nacht folgt der andern. Mit vernünftigen Bekannten verkehre ich in ruhigen Gesprächen, sie achten mich, sie lieben mich vielleicht sogar. Diese Empfindung kann ich ihnen aber nicht erwidern, ich schenke ihnen weder Vertrauen, noch suche ich Hülfe bei ihnen, um nicht wiederum mich in jene Netze der menschlichen Verhältnisse zu verwickeln, um mich nicht auch von diesen guten Bürgersleuten zurückziehn zu müssen, denn ihre Hülfe, die sie mir jetzt manchmal verdeckt anbieten, würde doch ebenso in nichts zerrinnen wie alles, was ich vormals hoffte, und ich eroberte dann nur jene bittern Empfindungen wieder, die meiner Seele in jenen Tagen so unerträglich fielen.«

Antonio hatte essend und schweigend zugehört und sagte nach einer Pause: »Immer schlecht, daß deine Landsleute, großer Herr, dich vergessen haben. So viel reich Volk, so viel Verschwendung, und doch du, der Beste von allen, arm. Und wer ist gut? Der Arme. Das lernt sich im Betteln. Wann ich komm, wird vom Handwerker, kleinen, schmächtigen Herren, Auge schon voraus trübe, sieht mein Hinken mit Bedauern, merkt, worauf Hand hinauswill, wenn sich so ausstreckt, greift und sucht in seiner Tasch. Nicht so der große, blanke, starke Mann, dem Bediente in Gold nachlaufe: sieht mir mit Verachtung an, lacht wohl noch; ebenso dicke, großmächtige Priester, lacht nicht, aber schlägt gleich, wenn ich bitte, sein Auge aus rundem Gesicht nach Himmel hinauf. Ja, wenn der himmlische Herr auch so von alle Bettler und Priester und Grande und Generale wegsehn täte, da käm dürres Elend und Hungersnot auf unsre Erde herab. Nicht um mir, nein, um dir möcht ich oft tausend salzige Trän vergieße, daß Menschenkind so hartherzig ist, der Reiche und Vornehme grausam wie Tiger und Schlange. Begreif, wie zornge Menschen nach Messer und Degen greife und den Leuten Klinge in die Wanst stoße, daß krepier muß, wer kein guter Mensch sein will, oder Haus anstecke, daß sie mit Frau und Kind drin abbrenne, weil kein Mitleid mit dir und keine Verehrung haben.«

»Antonio!« rief Luis im Unwillen aus.

Sogleich fiel der Sklave auf die Knie und küßte die Hand seines Herrn. »Nicht böse, nicht böse, Don Luis«, flehte er, »bin kein böser, kein rachgieriger Mensch, werde zeitlebens kein ungezogener Mordbrenner werden, bin ja dein Sklav, habe von dir Gutsein gelernt, bist ja milde wie der göttliche Apostel. Rede ja nur so, verstehst, was wohl ein andrer, der mehr Courage als ich hätt, im Ingrimm deintweg tun könnt. Ich ja glücklich bei dir, selig, daß du mein Herr; weiß auch, daß du so was nie willst und nicht kannst haben wollen.«

»Also«, sagte Luis freundlich, »weil du mein Freund, mein einziger wahrer Freund bist, muß dir auch nicht einmal ein solcher Gedanke kommen. Laß uns die Flasche dieses angenehmen Weines leeren, dann geh zu Hause in deine Zelle und überlaß mich meiner Wandrung hier und meinen Gedanken!«

So geschah es, und als Luis allein war, ging er sinnend weiter und stand wieder nach kurzer Zeit vor jenem Gattertor des Hauses, in welchem die Gräfin Catharina wohnte. Er sah, ob es gleich noch finster war, durch die Eisenstäbe in den Garten und sagte zu sich: Was ist es denn, was mich immer und immer wieder hierher zieht? Bin ich denn ein Kind, das zum ersten Male Blumen und einen Springbrunnen sieht? Die Leute, die hier wohnen, sind mir unbekannt, sie kümmern mich nicht, und doch treff ich mich seit einigen Tagen immer in dieser Gegend und vor diesem Gebäude! Als wenn mir ein großes Leid oder große Freude hier begegnen müßte.

Er klinkte an das Schloß des Tores, es gab nach, die Tür war offen. Er konnte nicht widerstehn, er ging hinein. Die schattenden Bäume umgaben ihn, er fühlte den Duft der Blumen, ihn erfreute das Geräusch des Brunnens. Er sah nach dem Hause hinauf, alles war finster, alles war still. Er atmete tief auf und wollte sich eben auf eine Bank niedersetzen, um sich seiner Träumerei hinzugeben, als er Geräusch vernahm. Schnell entfernte er sich. Der Sand knisterte unter seinen Füßen, er stand wieder auf der Landstraße, und das Herz schlug ihm, als wenn er ein Verbrechen begangen hätte.

Eine Tür vom Hause her öffnete sich. Domingo, der greise Diener, welchem sein hohes Alter nur wenig Schlaf gönnte, kam in den Garten. Er murrte still vor sich hin: »War mir doch, als wenn ich Geräusch vernahm.« Er näherte sich der Tür und untersuchte das Schloß. »Heiliger Gott! Offen!« rief er bestürzt. »Welche Nachlässigkeit! Wenn sich nun ein Bösewicht hereingeschlichen hätte!« Er verschloß heftig das große Gattertor, wandelte durch den Garten, wie umspähend, und zog sich dann wieder in das Haus zurück.

 

Im Hause, welches Ferdinand, der Neffe Catharinens, bewohnte, war viel Tätigkeit und Unruhe. Zwei dem jungen Manne nah verwandte Vettern waren ausgerüstet, um mit dem Könige Sebastian nach Afrika hinüberzuschiffen. Die Waffen waren herbeigeschafft, die Diener bestimmt, man kam und ging, einiges Gerät wurde schon in die Schiffe getragen, Bestellungen wurden besorgt, und der Eifer der Jünglinge zeigte sich in der Heftigkeit und Unruhe, mit welcher sie dies Geschäft betrieben.

Ferdinand saß indessen in seinem großen abgelegenen Zimmer und hörte nur von ferne das Getöse, welches ihn von Zeit zu Zeit im Lesen einiger Blätter störte, denen er die größte Aufmerksamkeit widmete. Als der Lärmen lauter wurde und sich näher wälzte, stand er verdrießlich auf, um zu sehn, was sich ergeben hatte, indem er aber die Tür öffnen wollte, trat ihm schon die edle, hohe Gestalt eines Mannes entgegen, dem die jungen Vettern folgten. »Don Antonio, der Herr Prior, will Euch seinen Besuch machen!« rief ihm der jüngste entgegen.

Ferdinand wich bescheiden zurück und stellte selbst dem edlen Manne den Armsessel hin, indem er in Ehrfurcht vor ihm stehenblieb. »Die Gnade und Gunst«, sagte er, »ist mir unerwartet, der Tag soll mir ein Feiertag sein, an welchem mein Haus so hoch gewürdiget wird.«

Don Antonio gab ihm die Hand und sagte: »Junger Freund, Eure ungestümen Vettern da klagen über Euch, daß Ihr uns nicht nach Afrika begleiten wollt. Der König, mein Neffe, würde sich freuen, Euch, wackrer Graf, in seinem Gefolge zu sehn. Die Jugend des Landes beeifert sich, diesen Feldzug zu verherrlichen; warum wollt Ihr Euch dem Ruhme entziehn?«

»Gnädiger Herr«, antwortete Fernando errötend, »es war vor Wochen mein eifrigster Wunsch, meinem König und Euch in dieses Feld der Ehre folgen zu dürfen, alle meine Anstalten waren schon getroffen, als mein Ohm, der Marques de Castro, dem ich alles verdanke, der nach dem Absterben meiner Eltern mir Vater ist, mich abhielt, indem er mir manche Schwierigkeiten zeigte, die er Unmöglichkeiten nennt. Er ist alt, wie Ihr wißt, er hat seine Kinder verloren, und ich bin sein Erbe. Die Verwaltung seiner Güter und seines Vermögens fällt ihm schwer, er fürchtet zu erkranken, er nennt mich seine einzige Stütze. Zu seinen verwickelten Geschäften hat er seit einem Jahre, als Don Rodrigo starb, noch die Übersicht über das Vermögen und die Güter der Gräfin Catharina übernommen, wobei ich ihm ebenfalls behülflich sein muß, der Aufbau des Palastes ist ganz in meine Hände gelegt. Ich sehe den Marques täglich, und er gesteht, daß er ohne meine Hülfe, da ich alle Rechnungen, Schulden und Lehns- und Dienstverhältnisse der Güter und Untertanen kenne, er ohne meine tätige Beihülfe ohnmächtig und unfähig sein würde. Sofern ein so väterlicher Freund, als dieser Greis mir ist, seine Gewalt ausdehnen mag, hat er mir in der Form von Bitten und Vorstellungen diesen Feldzug eigentlich verboten, und ich würde mich als einen Undankbaren schelten müssen, wenn ich nun eigenmächtig auf seine Wünsche und Befehle keine Rücksicht nehmen wollte.«

»Eure Gründe«, sagte Don Antonio, »lassen sich hören, und ich kenne Euch und achte Euch darum, weil Ihr den Umständen nachgebt, nicht weniger.« Er erhob sich freundlich und sagte: »So muß ich mich also mit der Kampflust dieser Wildfänge genügen, die in diesen Krieg wie zu einem Balle hinspringen.«

Die Vettern lachten laut, und Don Antonio fuhr fort: »So leichtsinnig, wie Ihr es Euch denkt, Ihr jungen Herrn, wird der Kampf nicht geendet werden können, obgleich ich des Sieges gewiß bin. Aber die ganze Barbarei steht auf, um dem Usurpator beizustehn und unserm Schützling, der bei uns Hülfe gesucht hat, zu widerstreben.«

Ferdinand küßte die dargebotne Hand des Priors von Crato, und als dieser sich jetzt zum Weggehn wendete, sagte er zögernd und mit furchtsamem Ton: »Ich wage es, mein gnädiger Prinz, Euch einige Worte zu sagen, wenn Ihr meiner Dreistigkeit, die sich dergleichen unterfängt, nicht zürnen wollt.«

»Sprecht, lieber Graf«, sagte Don Antonio mit der größten Freundlichkeit.

»Wenn mich dringende Geschäfte in Euren Augen entschuldigen, daß ich diesen Feldzug versäume«, fuhr Fernando fort, »so wäre es vielleicht für Euch, mein Prinz, Pflicht, nicht dem Könige nach Afrika hin zu folgen.«

»Wie meint Ihr das?« fragte Don Antonio.

»Unser junger König«, sprach Ferdinand, »ist noch unvermählt und ohne Erben. Wenn ein hartes Schicksal über ihn geböte, daß Krankheit oder Krieg ihn dahinrafften, so führt, wie jetzt schon, die Regentschaft der Kardinal Heinrich, der uralte Greis. Ihr, Prinz, einer der Erben, der Rechte auf den Thron hat, seid dann nicht zugegen, und Euer Anrecht wird bestritten, vorzüglich von Spanien, dessen Partei, wie Ihr es selber wißt, sich schon in Portugal und Lissabon vernehmen läßt. Wäret Ihr aber zugegen, wenn das Ungeheure dieses arme Reich treffen sollte, wie stünde dann alles anders. Ihr faßtet in jugendlich kräftiger Hand die Zügel des Staates, die Patrioten versammelten sich in Liebe um Euch, der Besitzende hat den Vorteil vor dem Angreifenden, das Vaterland wäre gestärkt und . . .«

Der Prior unterbrach den Redenden: »Eure Meinung ist gut, die ich aber nicht hören will und soll, denn« – hier sah er auf die Vettern Fernandos, die einige Bilder im Saal betrachteten – »solche Fälle und Möglichkeiten muß man sich selber nicht, viel weniger andern einräumen. Mein Recht an Portugal ist nach dem Anspruch des Kardinals das beste und gültigste, wenn Philipp gleich nähere Anrechte vorgeben dürfte. Aber unser großer König Johann war ebenfalls ein unechter Sohn der Ahnen, und auf diesen darf ich mich berufen. Doch aller dieser voreiligen und unnützen Sorgen wollen wir uns entschlagen. Unser König Sebastian ist ein Alexander in Heldenmut und Kraft, seine hohe Begeisterung für Religion und Christentum zieht die Besten seines Landes ihm nach und wird den Sieg an seine Fahnen fesseln. Was unsre Könige Duarte, Johann, Alfons und Manuel taten, wird herrlicher und glänzender durch ihn erweckt werden und Portugals Glorie alle Länder überstrahlen und verdunkeln. Und das weiß Spaniens kluger Philipp. Darum widerriet er unserm erlauchten Könige so dringend und mit so vielen scheinbaren Gründen diesen Heldenzug, darum mußte der Krieger Alba seine ganze Redekunst aufbieten, um den jugendkräftigen Sebastian durch alle seine Erfahrungen und trüben Ahndungen zurückzuschrecken. Freilich seid Ihr noch zu jung, um zu wissen, daß man den Rat eines klugen, hinterlistigen Feindes immer im entgegengesetzten Sinne nehmen muß. Nur der Neid sprach aus König Philipp und seinem Feldherrn.«

Mit raschen Schritten entfernte sich der Prinz, Ferdinand begleitete ihn, und die jungen Vettern folgten unter frohem Geschwätz und Lachen. Auf der Straße traf Antonio nebst andern Anführern den Engländer Stuckley, welcher kam, um Befehle von ihm einzuholen. Alle Anführer mit ihren Offizieren, unter denen sich Deutsche, Italiener, Engländer und Irländer außer der großen Zahl der Portugiesen befanden, begaben sich zum Palaste des Königes, weil heut der Tag und die Stunde der Einschiffung endlich fest bestimmt werden sollte.

Ferdinand kehrte in sein Zimmer zurück und ging sinnend auf und ab, indem er zu sich sagte: Was ist es nur, das meine Brust so sonderbar beengt, daß ich an das Gelingen dieses Ritterzuges nicht glauben kann? Trübe Wolken umlagern mein Gemüt und hemmen alle Aussicht auf Glück und Freude. So war es vor Monaten, noch vor einigen Wochen nicht. Sieht unsre Seele in die Zukunft, oder kann ein Genius, unser Schutzgeist, uns Warnungen zuflüstern? Seit Donna Catharina zurückgekommen ist, liebe ich meinen alten Oheim viel inniger, ich besorge seine Geschäfte mit mehr Fleiß und Aufmerksamkeit: Mir schwebt es vor, als wenn seine Gesellschaft, verbunden mit dem Vertrauen jener edlen Frau dort im schönen Gartenhause, neben dem Geschwätz des holdseligen Kindes, alles dies mir bald unentbehrlich sein würde. Der Alte ist in ihrer Nähe liebenswürdiger, sie regt tausend neue Gedanken in meinem Innern an, meine Bücher, die Wissenschaften, die Natur, alles tritt mir näher und wird mir befreundeter. Ich fühle es, daß es Vertrauen und Freundschaft geben kann von weit höherer Art, als ich bis jetzt suchte und fand. Was kann uns der Umgang mit wilder Jugend bieten, die ohne Gemüt und Erfahrung nur dem Augenblick vertraut und diesen genießen will. – Ja, es ist kein furchtsamer Zweifel, keine bequeme Unlust, die mich vom blutigen Abenteuer zurückhält, es ist tugendhaft, hier bei meinem väterlichen Oheim zu verweilen und sein Schicksal zu teilen, ihm zu helfen und sein Alter zu erheitern. Er darf dies und weit mehr von mir fordern. Auch bringe ich ihm kein Opfer, sondern befriedige nur meine eigne Neigung. – Sonderbar, daß ich es fühle und weiß, wie jetzt eine neue Periode meines Lebens beginnt, und doch weiß ich nicht zu sagen, wodurch diese Umwandlung hervorgebracht ist. Sonst ist es wohl ein neuer Beruf, ein mächtiger, eindringlicher Lehrer, eine religiöse Entzückung, eine tiefe, herzdurchdringende Schmach oder die Verklärung der Liebe, welche den Menschen neu schaffen – mir ist seit kurzem in ungestörter Einsamkeit, unter allen meinen alten Gewohnheiten und Geschäften, ohne alle Begebenheit, die meine Kreise störte, ein andres Herz aufgegangen. Es ist die Sehnsucht nach Wahrheit und Erkenntnis, nach dem Verständnis der Welt und des Menschen, die mich ergriffen hat, und so vernehme ich aus der Natur und vom Meer herüber Laute, die ich zu verstehen meine, die Bücher reden mit einer andern Zunge zu mir, und oft höre ich Weisheit von den Lippen der Menschen, wo ich sonst nur ein gleichgültiges, nüchternes Gespräch vernahm.

Er setzte sich wieder an den Tisch und nahm die Blätter wieder vor, welche er eilig beim Eintritte des Priors von Crato unter andere Papiere und Bücher verborgen hatte. Diese Blätter waren alt, gelb geworden, die Schrift darauf war erblaßt; die Zeilen waren zuweilen deutlich und fest, dann wieder waren die Lettern flüchtig gezeichnet: Es mochte lange her sein, als diese Worte geschrieben wurden, die Blätter mochten auch ein Jahr, vielleicht mehr in ihrem Inhalt umfassen. Das wenige, was der Jüngling entziffert hatte, machte ihn auf das übrige begierig, und er strengte sich an, die Papiere ganz zu enträtseln. Sie hatten in einem alten Rechnungsbuche gelegen, welches zu jenem unscheinbaren Hausrate gehörte, den er vor zwei Jahren aus dem brennenden Palaste der Donna Catharina gerettet hatte. Er las Folgendes:


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