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Es war nicht so gar viele Zeit verlaufen, als sich im Palast des Prinzen die innern Verhältnisse anders gestalten 287 wollten, denn die Fürstin war außer sich, als ihr Maria erklärte, daß sie ihr Haus binnen kurzer Zeit verlassen würde. Jetzt empfand Adelaide erst, wie tief das Freundesgefühl in ihrem Herzen eingewurzelt war, als die Aussicht ihr nahe trat, die Herzensfreundin vielleicht in wenigen Wochen für immer zu verlieren. Außer diesem Schmerz, der die Fürstin durchdrang, war sie aber zugleich gekränkt, oder beleidigt, wenigstens empfindlich aufgereizt (sie wußte diese Verstimmung nicht zu benennen), daß trotz ihrer gegenseitigen Vertraulichkeit Maria dringend bat und flehte, daß sie nicht nach dem Namen und Stand ihres Geliebten forschen solle; sie behalte sich vor, so sagte sie, die erlauchte Freundin plötzlich mit ihrem Bräutigam zu überraschen, und sie sei überzeugt, daß sie ihre Wahl billigen würde.
Das Portrait war so gut wie vollendet und alle Freunde des Hauses fanden es vortrefflich und lobten die Kunst des Malers nicht minder als die Schönheit des Gegenstandes. Nur der feindselige Graf, der Bruder der Fürstin, vermied es zu sehen, wie er denn überhaupt seit der neulichen Scene die Familie nur selten besucht hatte.
Maria hatte dem Maler Reishelm die letzte Sitzung gegeben, bei welcher die Fürstin, die an ihrer Migraine litt, nicht hatte zugegen seyn können. Xaver war noch am Schluß der Sitzung hereingetreten, um die große Kunst des Malers zu loben, und als sich dieser entfernt hatte, bat Maria um die Erlaubniß, den Fürsten zu einer Unterredung in sein Kabinet begleiten zu dürfen.
Setzen Sie sich, Freundin, sagte der feierliche Mann, und tragen Sie mir vor, was Sie mir zu sagen haben.
Gnädiger Herr, begann Maria, Sie wissen, daß mein Schicksal mich bald von Ihnen entfernt. Ich war Ihre Dienerin und glaube mich so betragen zu haben, daß mich 288 kein Tadel treffen und keine Verleumdung in Zukunft einholen kann. Aber dennoch wünschte ich, wie ich dies Verlangen schon öfter ausgedrückt habe, von Ihnen, mein Prinz, ein eigenhändiges Zeugniß meines Wohlverhaltens. Dies ist meine unterthänigste Bitte, um deren Erfüllung ich Sie innigst ersuche.
Das Gesicht des Prinzen nahm einen Ausdruck an, daß man fast hätte vermuthen können, er lächle. Meine liebe Maria, sagte er dann, Sie wissen es selbst am besten, daß Sie wie Freundin, wie vertraute Freundin in unserm Hause gehalten wurden. Meine Gemahlin hat nie durch das leiseste Zeichen, durch die kleinste Aeußerung auf irgend ein Dienstverhältniß hingewiesen, und, so weit ich mich selber kenne, möchte ich mir auch dasselbe Zeugniß geben. Darum habe ich Ihren Wunsch, so ein gewöhnliches Attestat von meiner Hand zu besitzen, immer nur für einen Scherz gehalten; da ich aber sehe, daß es Ihr wirklicher Ernst ist, so bin ich gern bereit, Ihnen auch hierin zu willfahren. Denn, nicht wahr, auch Grillen muß man in seinen Freunden respectiren?
Er setzte sich an den Schreibtisch, nahm bedächtig eine Feder, hielt sie gegen das Licht und sagte dann: Die Sache kommt mir aber doch in der That gar zu kindisch vor. Wissen Sie, wie ich dies Certifikat oder Attest einrichten werde? Ich schreibe einen Brief, an einen Freund, den Oberpostdirector der Provinz, dessen Hülfe und Bekanntschaft Ihnen jedenfalls auf Ihrer Reise sehr nützlich seyn kann, und melde diesem, wie leid es mir und noch mehr meiner Gemahlin thut, daß eine so vortreffliche Person, wie unsre Marie, mit den und den Tugenden überflüssig ausgestattet, und so weiter, deren Betragen und Wandel als Muster gelten konnte, die uns das Leben erheiterte und so weiter, uns 289 verlassen wolle. Sie haben nicht nöthig, diesen eigenhändigen Brief abzugeben, so dient er, von außen mit meinem Siegel petschirt, Ihnen allenthalben, oder wo Sie es nöthig finden, als das vollgültigste Zeugniß.
Er schrieb und Maria beobachtete sein blasses sonderbares Gesicht aus der Ferne. Dieser Ausdruck von Gutmüthigkeit und Adel in der Vermischung mit Melancholie und Beschränktheit erregte, wie ein altes, fleißig gemaltes Bild, der Betrachtenden vielfache Gedanken. Indem Marie sich dieser Beobachtung überließ, zuckte es plötzlich, wie ein Blitz, durch ihr ganzes Wesen; sie stand schnell auf, ging zum Prinzen und sagte freundlich bittend: Verehrter Fürst, da Sie sich einmal für mich bemühen, so haben Sie die Gnade, auch Das noch einzufügen, daß wegen jenes Raubes der Juwelen niemals der kleinste Verdacht mich gestreift habe. – Wunderliches Kind, sagte der Prinz mit seiner leisen Stimme, davon hat sich ja auch nie ein Gedanke gemeldet; indessen es sei, wie Sie es wünschen. – Indem sich Marie jetzt über ihn hinbeugte, sah sie, wie die Ader an der Schläfe angeschwollen war und sich blau von dem dürren weißen Schädel abhob. So langsam er anfangs geschrieben hatte, so schnell endigte er jetzt, nahm ein Couvert, legte das Blatt ein und drückte, ohne die Umhüllung zu schließen, sein großes Siegel darauf. Nun können Sie es selbst siegeln oder offen lassen, wie Sie wollen. Lesen Sie, ob Sie zufrieden sind. – Maria las, beugte sich dann und küßte die Hand, die in der ihrigen zitterte.
Eine Bitte für die Ihrige, sagte der Fürst: verlassen Sie doch heut und morgen meine arme Gemahlin nicht, die so schwer leidet. Sie schlagen es mir nicht ab. – Maria versprach, und verließ gerührt das Zimmer.
Als sie sich entfernt hatte, stand der Prinz eine Weile 290 still, dann öffnete er das Vorzimmer und machte seinen Leuten das bekannte Zeichen. Alle entfernten sich hierauf von dort und verschlossen das Vorgemach, weil sie wußten, daß der Prinz jetzt auf eine Stunde ganz ungestört seyn wollte. Viele glaubten, daß er in diesen Zeiträumen geistliche Uebungen vornehme und Gebete recitire, Andere hielten ihn für eine Art von Geisterseher. Xaver aber, der seit vielen Jahren seine Heftigkeit in seinem Innern verschlossen hatte und der Welt immer als kalt, gefühllos und phlegmatisch erschien, war einer der reizbarsten, aufwallendsten und jähzornigsten Menschen. Früh hatte er es gelernt, Alles in sich zu verbergen, seine Gefühle nicht zu äußern und jede Aufwallung zu bezähmen. In Augenblicken, wo er sich aber gar nicht mehr bezwingen konnte, versperrte er sich vor allen Menschen, damit sie seinen gestörten Gleichmuth nicht wahrnehmen sollten, und er, der in Gesellschaft nur wenig und leise sprach, ließ dann in lauten Ausrufungen und oft langen Selbstgesprächen seiner Leidenschaft den Zügel schießen. Ein solcher Moment, wo er sich nicht mehr bezähmen konnte, war jetzt eingetreten, und deshalb verschloß er auch noch zum Ueberfluß die Thür seines Kabinets, ging in seinem Zimmer heftig auf und ab, indem er mit lauter Stimme rief. Himmel! – Was hab' ich jetzt erleben müssen! Wie war es nur möglich, daß ich in diesen entsetzlichen Minuten meine Fassung behalten konnte? – Sie also, sie, Marie, die wir wie ein Kind, wie eine Schwester hegten und pflegten, – sie also ist die Diebin! – O Adelheid, welch ein ungeheurer Schlag droht Deinem sanften, weichen Herzen.
Seine kleinen Augen leuchteten von einem wilden Feuer, die Wangen und selbst die Stirn waren geröthet. Er stand still und stampfte heftig mit dem Fuße. – Und auf welche Weise ihr diese schreckliche Entdeckung, diese verzweifelnde 291 Enttäuschung mittheilen? – Seit drei Jahren – ist diese Marie – alle unsre Gedanken kennt sie – Adelheid fühlt ihr eignes Herz fast nur in dem dieser verworfnen Heuchlerin.
Er warf sich in den Sessel und eine Thräne rann über die erhitzte Wange. – Also doch – doch ist es wahr, was mir der Schwager immer im Zorn vorhergesagt hat. – O wir Erbarmenswürdigen! Mit unsers Gleichen – Langeweile, Neid, Medisance, Herzenskälte – mit dieser Klasse – Betrug, Raub, Lüge.
Er fühlte, daß er weinte. Gewaltsam unterbrach er sich und rief: Nein! so sind sie nicht, so sind sie nicht Alle! – Aber freilich, scheint es doch ein Naturgesetz, daß man sich zu seines Gleichen halten soll. – Und ein Wink des Himmels, ein Befehl von ihm ist es, daß ich diese ergreifen und strafen soll, daß ich nun jene Untersuchung wieder aufnehme, die ich damals aus Seelenschwäche fallen ließ.
Doch sie – sie – Adelheid? – Sie muß einwilligen – sie muß fühlen, was sie sich selber und ihrem Stande schuldig ist. – Wenn sie nur nicht darüber zu Grunde geht. – O die Verruchte! die sich mit nichtswürdigen Künsten diese feste Wohnung in diesem schönen Herzen aufgebaut hat! Mit diesen Händen könnt' ich sie zerreißen.
Vorbereiten muß ich sie, – und bald. – Wie hat mich diese Entdeckung erschüttert, – und was ist sie mir? – Und die Freundin soll sich nun gestehen, daß sie an eine Verworfene ihre Liebe vergeudet hat! – Es ist, als wenn der Erdball nicht mehr feststünde und der leichte Bau eines Sommerhauses bis in das Centrum sinken müßte. – Soll uns dergleichen nicht erschüttern, so müßten wir gar keinen Funken von Liebe in uns haben. – Bis zum Wahnsinn könnte man kommen, wollte man dieser Sache recht 292 nachfühlen und recht nachdenken. Wer aber handeln will, darf sich von seinen Empfindungen nicht zerstören lassen.
Er riegelte aus, schellte und sein ältester Kammerdiener erschien. Er befahl die Equipage anzuspannen. Er fuhr zu seinem Freunde, dem Herzoge, schickte seine Leute zurück, und ersuchte denselben, den Präsidenten des Tribunals zu sich zu bescheiden. Diesem verständigen Manne eröffnete er sich, bedang sich aber aus, daß Alles ein Geheimniß bleiben solle. Im Wagen des Herzoges fuhr er nach seinem Palast und allen seinen Dienern erschien er wieder der ruhige, kalte Mann, der er immer war.
Marie war in einer sonderbaren Stimmung. Es war wie eine plötzliche Eingebung über sie gekommen, daß sie dem Prinzen jene zweite Bitte vortrug. Bei Menschen, die sich seit lange kennen, waltet ein geheimnißvoller feiner Instinkt, der sie nicht täuscht. Sie hatte es gefühlt, wie bei diesem Ansuchen Prinz Xaver erschrocken sei, die Ader an der Stirn, das Zittern der Hand war ihr aufgefallen; ihr Geist sagte ihr, wie von diesem Moment sich der seinige ihr abgewendet habe. Wie wunderbar fühlte sie sich jetzt in der Nähe der kranken Freundin. Es ward ihr schwerer wie sonst, dieser Trost einzusprechen, und ihr feines Gefühl ahndete, daß sie der Prinzeß auch anders als ehemals erscheinen müsse. Alles, was ihr heut so schwer ward, was sie wie eine mühsame Rolle ausführte, war ihr bis dahin so leicht geworden, war ihr so natürlich gewesen. Von diesem drückenden Zustande fühlte sie sich erlöst, als Prinz Xaver in das Zimmer trat. Dieser hatte jetzt seine Wallung, jenen moralischen Schreck völlig überwunden und war wieder Meister seiner selbst. Die vieljährige Uebung, sich selbst zu überwinden, hatte es ihm möglich gemacht, so völlig Herr seiner Geberden, Blicke und seines Tones zu seyn. Marie, die ihn 293 unbemerkt scharf beobachtete, ließ sich so sehr täuschen, daß sie keine Veränderung in seinem Wesen wahrnahm, sondern ihn ganz so sah, wie er immer gewesen war. Dadurch ward die Unterhaltung wieder heiter und ungezwungen und der Fürst zeigte sich für seine Gemahlin liebevoll besorgt und sehr freundlich und zuvorkommend gegen Marie, die er in den zartesten Worten und Wendungen ersuchte, heut und morgen die Kranke nicht zu verlassen. Als man ungefähr eine Stunde so mit leisen Reden, liebevoller Aufmerksamkeit und Sorgfalt zugebracht hatte, verließ der Prinz die Kranke wieder, indem er ihr eine beruhigende Schlafstunde wünschte. Als die beiden Frauen jetzt allein waren, setzten sie mit mehr Leichtigkeit ihre Unterhaltung fort, und Marie richtete sich ein, diese Tage ganz und unbedingt der kranken Freundin zu opfern. Sie las und schrieb im Krankenzimmer, sprach mit der Leidenden, wenn diese sie zu sich winkte, und erzählte ihr Geschichtchen, die sie erlebt hatte, oder was sich in der Stadt zugetragen, denn Adelheid hatte es sich ausdrücklich verbeten, so lange sie unwohl sei, der nahe bevorstehenden Trennung zu erwähnen.
Der Fürst aber sorgte im Stillen und ohne daß es einer seiner Leute bemerkte, dafür, daß Marie nicht unbeobachtet blieb. Ein greiser Haushofmeister, welcher schon lange alle seine eigentlichen Geschäfte aufgegeben hatte und sorglos und behaglich im Hause lebte, besaß des Fürsten unbeschränktes Vertrauen. Dieser Mann war ein Erbstück des Hauses und als Kind war Xaver ihm einige Jahre unbedingt übergeben gewesen, als die Eltern sich auf Reisen befanden, wodurch der ehrwürdige greise Melchior noch etwas vom Charakter eines väterlichen Hofmeisters behalten hatte. Mit diesem verschloß sich Prinz Xaver und vertraute sich ihm ganz, wie er die Ueberzeugung hege, daß Marie die Diebin 294 der Juwelen sei, und wie nun Alles darauf ankomme, den Schmuck wieder herbeizuschaffen, das ganze Komplott zu entdecken und die Verbrecherin zu bestrafen. Am wichtigsten aber sei es, ihr die Flucht unmöglich zu machen; doch müsse man in diesen ersten Tagen, bevor die Prinzessin um die Sache wisse, Alles so einrichten, daß Marie nicht fühle und merke, daß sie bewacht werde. Melchior war so alt geworden, hatte so Vieles erfahren und beobachtet, daß ihn keine Begebenheit in Erstaunen versetzte; daher erschrak er auch über diese unvermuthete Entdeckung seines Herrn nicht, sondern übernahm ruhig und mit Sicherheit den schwierigen Auftrag. Weil er keine Geschäfte hatte, konnte er eben überall seyn, mit allen Leuten sprechen, alle Fremden beobachten und, da er so viel Autorität hatte, Vieles im Namen des Herrn anordnen. Melchior war jetzt viel in den Zimmern des Hofes, von wo er Alles beobachten konnte, er war in der Nähe der fürstlichen Schlafzimmer, um es unmöglich zu machen, daß Marie durch diese unbemerkt gehen und so das Thor erreichen könne: er nahm sich vor, sie, falls sie ausfahren würde, wie oft geschah, unter einem anscheinlichen Vorwande zu begleiten und es so auf jede Weise zu verhindern, daß die Verdächtige irgend einmal aus dem Hause schlüpfen könne.
Marie aber, ob sie gleich ihre Befürchtung so ziemlich überwunden hatte, wünschte dennoch die Stunde herbei, in welcher sie auf immer den Palast verlassen dürfe.
Der Gras Liançon war indessen mit seinem Secretair, Martin Mühlen, und seinen Leuten auf der Reise nach Martins Geburtsstadt begriffen, wo der Secretair von seiner Familie Abschied nehmen und der Graf einige dringende 295 Geschäfte abmachen wollte, bevor er sich nach Lissabon einschiffte.
In einer ziemlich großen Stadt angekommen, traf der Graf, indem er ausging, einen Obersten, mit welchem er ehemals umgegangen war. Die Freude, sich so unvermuthet wiederzusehen, war groß. Sie müssen mit auf den Ball gehen, rief der Offizier, den die Gräfin, die erste Dame der Stadt, heute giebt, wo sich Alles versammelt, was von Adel hier befindlich ist. Ich übernehme es, Sie vorzustellen, und ich bin überzeugt, Sie werden willkommen seyn. Man kleidete sich um, und der junge Secretair begleitete seinen Gesandten, der sich in seine besten Kleider geworfen und die kostbarsten Ringe an seine Finger gesteckt hatte. Als er die Säle betrat, erregte seine Figur und sein Wesen sogleich die allgemeine Aufmerksamkeit. Der Oberst machte ihn mit der schönen Gebieterin des Hauses, so wie mit vielen andern Damen bekannt, und der Secretair bewunderte, wozu er schon oft Gelegenheit gefunden hatte, die Gewandtheit, Geistesgegenwart und den Witz des feinen Weltmannes. Unter Gelächter und Scherz trat jetzt ein großer Mann näher, an dessen Brust ein großer Stern glänzte. Er war von hohem Adel und gab sich die Miene, die Dame des Hauses zu beschützen. Gewohnt, sich immer als den Ersten in diesen Cirkeln behandelt zu sehen, mochte es ihm empfindlich werden, daß ein Fremder auf so lange die Aufmerksamkeit der ganzen Gesellschaft fesselte. Er trat, im vollen Gefühl seiner Würde, näher und musterte mit kritischem Blick den Reisenden. Er mischte sich hierauf in die Gespräche und zeigte sich als ein Mann von Erfahrung und Kenntniß, nur war seine Manier ernst, beinah feierlich, und es schien ihn fast zu verdrießen, daß die Scherze des Fremden immer wieder die Umstehenden zu heitrem Gelächter aufforderten. Wenn 296 ich recht gehört habe, fing er endlich an, so nennen Sie sich Graf Liançon? – So ist es, antwortete der Gesandte. – Das ist eins der ältesten Geschlechter, fuhr jener fort: eine Gräfin des Namens ist in der nahen Residenz dem Prinzen Xaver vermählt, und den Bruder der Fürstin bin ich so glücklich zu meinen Freunden rechnen zu dürfen. Von diesem Hause sind Sie aber nicht. – Doch, Herr Graf! es giebt keinen Nebenzweig dieses Stammes, wie Sie auch vielleicht wissen werden.
Der Graf betrachtete den Redenden mit großen Augen und sagte dann nach einer Pause: Sonderbar, daß der Graf, so oft ich ihn auch in früheren Zeiten gesehen habe, nie, niemals von Ihnen gesprochen hat.
Sehr natürlich, erwiederte der Fremde. Sie wissen es ja, wie es die ältern Brüder so oft machen, sie nehmen ungern von den jüngeren Notiz, besonders wenn sie den Argwohn fassen, daß diese vielleicht auf die Erbschaft hoffen. Er sitzt im Majorat und ist sehr reich; er ist aber Witwer, hat keine Kinder, und darf vielleicht auch keine erwarten, wenn er wieder heirathen sollte. So sieht er mich denn natürlich mit sehr mißgünstigen Augen an.
Der Graf wurde nun um Vieles höflicher, in seiner freundlichen Stimmung behandelte er den Gesandten mit großer Freundlichkeit und Beide ergingen sich in Familiengeschichten und Erinnerungen der Vorzeit. Sie schieden als herzliche Freunde, und der Gesandte war so übermüthig geworden, daß er seinen jungen Secretair, um zu Abend zu essen, in eine Restauration zog, wo er sich ein besonderes Zimmer geben ließ.
Vom Wein noch mehr erheitert, sagte er zu diesem: Siehst Du, mein kleiner Martin, wie man es in der Welt machen muß? Der große breite Mann, mit dem Orden 297 und den Sternen, die bis zum Bauch hinuntergingen, wollte mir imponiren, und das Ende vom Liede ist, daß er mein Freund wird und sich von mir tausend Albernheiten aufheften läßt, die er auf geraume Zeit in aller Treuherzigkeit glauben wird. Denn, Freundchen, ich bin nichts weniger als ein wirklicher Graf von Liançon. Nach der Strenge führe ich nur einen bürgerlichen Namen, ob ich gleich ein Viertels- oder Achtelsrecht auf den gräflichen Titel habe. Denn allerdings war der Vater der Prinzessin Xaver und ihres gräflichen Bruders auch mein Vater – aber, verstehst Du? aus einer wilden Ehe. Der Graf war ausgelassen, meine Mutter bürgerlich, aber schön, und mein Erzeuger hat dieser auch eine ansehnliche Summe übermacht. Du siehst nun, wie ich meinen Weg in der großen Welt mache, wie ich mich benehme, mit Allen wie mit meines Gleichen umgehe, und jetzt, diese feste Anstellung, dieses bedeutende Amt des Repräsentanten einer großen Monarchie wird mich noch höher heben. Mögen sie späterhin muthmaßen, oder auch erfahren, wer ich eigentlich bin, so habe ich doch festen Fuß gefaßt, so geht das in der großen verwirrten Welt, vollends im Auslande, weit entfernt, so mit auf und das Illegitime legitimirt sich unmerklich. Und das Geld ist es doch eigentlich, vor dem sich diese Großen am meisten neigen, und darum habe ich es so eingerichtet, daß mir immer große Summen zu Gebote stehen und mich eine Ausgabe niemals in Verlegenheit setzt. – Und Portugal! da, Freundchen, mußt Du auch auf irgend eine Weise Dein Glück machen, Dich verheirathen, oder ein Vermögen erwerben: – nur – imponiren mußt Du lernen, Dir die Leichtigkeit des Umganges zu eigen machen, dreist schwatzen, erzählen, niemals in Verlegenheit kommen, mit allen Leuten, wenn sie nicht allzuhoch stehen, vertraut und bekannt thun; Dich hindert aber immer noch 298 die verdammte theologische Aengstlichkeit; Du bist verlegen, gegen die Vornehmen, besonders die Weiber, allzu demüthig. Der Räuber, der dem Wanderer seine Börse abfordert, wäre wohl sehr lächerlich, wenn er schüchtern sich anstellte. Und, so viel wirst Du doch wohl schon gelernt und eingesehen haben, daß das ganze Getreibe, Markten, Drängen und Stoßen auf dieser Bühne der sogenannten großen Welt ein feineres, anständigeres Raubsystem ist. Haben, erringen will Jeder, festhalten und vermehren, was er besitzt. Wer sich aus dem Wege stoßen, wer sich unter die Füße treten läßt, der ist eben darum verloren, weil er was Reelles, wohl gar Tugendhaftes und Edles erwartet.
Martin, dem ängstlich zu Sinne wurde, merkte wohl, daß der starke Wein auf den Redenden wirke, dessen er auch schon unter Scherzen und Lachen in der Ballgesellschaft leichtsinnig genossen hatte. Ihm fielen Gil Blas, Guzman Alfarache, der Gras Fathom und alle jene Studien wieder bei, und er mußte es sich gestehen, daß sein Gebieter nichts weiter als ein glücklicher Abentheurer sei. Ihm schwindelte vor dem Gedanken, daß man ihm anmuthen könne, auch eine solche Rolle zu übernehmen. Ihm graute vor der Vorstellung, daß das Leben dergleichen oder ähnliche Grundsätze vielleicht nothwendig machen dürfte, und er sah mit Reue nach seiner aufgegebenen Theologie und der stillen Landpfarre zurück. Der Gesandte merkte auch wohl an dem stillen Nachsinnen seines Zöglinges, daß er zu weit gegangen sei, er lenkte allgemach wieder in tugendlichere Gespräche ein und suchte die vorige Ansicht wenigstens in ein milderes und mehr komisches Licht zu stellen.
Es war schon spät geworden, als sie zum Gasthofe zurückkehrten. Der Graf hatte Anstalten getroffen, fünf oder sechs Tage an diesem Orte zu verweilen, weil er hier, wie 299 er gegen Martin geäußert hatte, Briefe erwarten wolle. Der Wirth lief ihm beim Eintritt mit der Meldung entgegen, daß eine Staffette mit Schriften für ihn eingetroffen sei. Er nahm den Brief und begab sich eilig auf sein Zimmer, und indem ihm Martin schnell die Kerzen anzündete, erbrach der Gesandte das Schreiben. Kaum hatte er die ersten Worte gelesen, als der Brief seinen Händen entfiel und er selbst leichenblaß in einen Sessel sank. Martin war erstaunt, wollte reden, fragen, mußte sich aber auf einen stummen Wink und eine leidenschaftliche Geberde seines Gebieters aus dem Zimmer entfernen. Der erschrockene Martin hörte, wie der Gesandte nach einiger Zeit das Zimmer verriegelte, heftig auf und nieder ging, und bald die Hände an einander schlug, bald einzelne, unverständliche Töne und Worte ausstieß. Martin begab sich bald auf sein Zimmer, damit sein Beschützer nicht, wenn er die Thür öffne, auf den Gedanken gerathe, er habe ihn behorchen wollen. Eben wollte er sich nach einer halben Stunde entkleiden, um sich zum Schlaf niederzulegen, als der Graf ganz heiter und mit lachendem Angesicht in sein Zimmer trat. Bist Du nicht vielleicht vor mir erschrocken, liebes Kind? fing er an; ich habe mich heut in Deiner Gegenwart wie ein Thor betragen. So geht es! wenn man des starken Weines zu viel genießt. Hätte ich mir nur die Ruhe gegeben, die Briefe zu Ende zu lesen, so würde ich sogleich gesehen haben, daß Das, was mir zuerst Verdruß erregte, gar nichts zu bedeuten hat. Jeder Mensch, vorzüglich aber ein Gesandter, müßte jeden Brief, welcher fatal anfängt, erst ruhig zu Ende lesen, um zu wissen, ob er Ursach hat, auf die gehörige Art zu wüthen und zu toben. Mein Söhnchen, wir werden nun, statt länger zu verweilen, morgen früh von hier reisen. Nimm nur das Nöthigste, Geld, Kostbarkeiten, etwas Wäsche mit, denn wir kehren sehr bald nach dieser 300 Stadt zurück, um von hier dann nach Wien zu gehen. Du wirst Deine Familie sehen, mir aber auch dort einen kleinen Dienst leisten können.
Am Morgen war Martin erstaunt, daß der Graf ohne Bedienten fuhr, daß er ein gewöhnliches Kleid trug und am nächsten Städtchen, als er befragt wurde, einen fremden, bürgerlichen Namen abgab. Ich habe einen Spaß vor, sagte er zu Martin, der Alles dies mit Erstaunen bemerkte. Wir ziehen ganz incognito in Deine Vaterstadt ein, ich bereite Dir und einigen meiner Verwandten eine fröhliche Ueberraschung. Es ist wirklich eine kleine Komödie, die wir aufführen wollen, und ich rechne dabei auf Dein Talent und Deinen Witz. Ist der Spaß zu Ende gespielt, so magst Du dann auf einen oder zwei Tage Deiner Familie ganz angehören.
So kamen sie an, und Martin war sehr bewegt, die Thürme und wohlbekannten Gebäude wieder zu sehen. Man wird eben nicht älter, bemerkte er; ist mir doch, als hätte ich erst gestern diese Mauern verlassen. Und dann fühle ich wieder, als wenn die wenigen Monate meiner Abwesenheit eine unendliche Kluft von Zeit ausmachten.
Ja, mein Sohn, sagte der ältere Freund, so geht es uns immerdar im Leben. Unsere Erlebnisse, Gefühle und Gedanken sind ein Maß, an welchem die Zeit sich gestaltet; an sich selbst ist sie nichts.
Im Thore gab sich der Graf für einen bürgerlichen Einwohner der Stadt, der von einer Spazierfahrt zurückkomme. Man ließ den Wagen im Gasthof und Martin begab sich, von seinem Beschützer begleitet, zu seiner Mutter. Die Freude dieser und der Schwestern war groß und im Anfange wurde der fremde vornehme Mann ganz vergessen.
Nach und nach machten die freudigen Ergießungen 301 gewöhnlicheren Gesprächen Platz. Der Gesandte hatte so viele Gewandtheit und wußte so gutmüthig und ohne Affektation freundlich zu seyn, daß sich die Verlegenheit der bürgerlichen Familie bald verlor. Von der Zukunft ward gesprochen, vielfache Entwürfe wurden erbaut, von Lissabon und Wien war die Rede, die Möglichkeit lag ganz nahe, daß der Sohn seine Familie mit bedeutenden Summen würde unterstützen können.
Meine Freunde, sagte endlich der Gesandte, eines Familienspaßes wegen, der Alle dort erfreuen wird, ist es nöthig, daß unser Freund Martin heut noch auf eine Viertelstunde im Palast des Fürsten Xaver die Gesellschafterin, Fräulein Marie, spreche. Weil aber die Ueberraschung wegfiele, wenn er sich öffentlich melden ließe, so muß er zu ihr eingeführt werden, ohne daß es die Herrschaften erfahren. Diese müssen erst hernach, wenn es an der Zeit ist, herbeigerufen werden. Er muß also dorthin gehen und sehen, wie er durch Hülfe des Portiers unbemerkt in das Zimmer der Dame eingelassen wird.
Friederike machte sich sogleich etwas vorlaut herbei, indem sie sagte: Ich will den Bruder begleiten, und so wird, wenn ich ihn darum bitte, Eduard, der jetzt dort gleichsam den Portier vorstellt, keine Umstände machen, unsern Martin in das Zimmer der Dame einzulassen.
Vortrefflich! sagte der Gesandte, helfen Sie zu unserm Scherz, mein schönes Kind; der Prinz und seine Gemahlin werden Ihnen dankbar seyn, und der Geliebte (denn ich merke, daß dieser Eduard es ist) wird um so früher zum glücklichen Bräutigam.
Sie ging mit Martin und der Graf begleitete sie durch einige Straßen. Mein Freund, sagte dieser unterwegs, es hängt mehr davon ab, als Du denkst, daß Du mir meinen 302 gut ersonnenen Scherz auch gut und richtig ausführen hilfst. Du kannst Dir denken, daß ich mit dem Prinzen immer auf einem freundlichen Fuß gestanden habe, noch mehr mit der Fürstin, obgleich mich Beide nicht öffentlich als ihren Bruder anerkennen möchten. Bist Du also eingeführt, so mache ein Zeichen, daß die Dame sich nicht verrathen soll und kein Geräusch erregen; dann gieb ihr stillschweigend dieses Billet und thue und richte dann ganz buchstäblich aus, was sie von Dir verlangt. Martin versprach, sich pünktlich nach diesen Vorschriften zu richten, worauf sich der Gesandte entfernte und die beiden Geschwister nach dem Palast gingen.
Dort war der Prinz eben in einem freundschaftlichen Streit mit dem alten Melchior begriffen. Nein, alter lieber Vater, sagte er mit bestimmtem Ton, ich verlange jetzt von Ihnen, daß Sie wieder ruhen. Sie haben in diesen Tagen genug gethan, um mir beizustehen. In einer halben Stunde etwa kommen die Herren des Gerichts, Marie ist in ihren Gemächern eingeschlossen und wagt es nicht, herauszugehen, da sie gesehen hat, wie jeder Versuch, sich zu entfernen, unmöglich war. Ich benutze diese halbe Stunde, meine Gemahlin auf Alles vorzubereiten, und kommt das Gericht, so ist es überhaupt nicht mehr möglich, die Sache zu verschweigen.
So ging der Greis zur Ruhe und Xaver zu den Gemächern Adelheids. Indessen kamen die Geschwister, Martin und Friederike, vor den Palast, und Eduard öffnete den Beiden das Thor. Er verwunderte sich erst über die Anmuthung Martins; da er ihn aber kannte und Friederike bat und ihm versprach, so lange, bis Martin wieder käme, ihm in seinem Zimmer Gesellschaft zu leisten, so kam er herab, öffnete im Flügel des Hofes eine Thür und ließ Martin ein.
Also auf solche Art, fing nachher Eduard an, kann ich 303 Ihren Besuch erhalten? Und was haben denn die Menschenkinder vor? Ist denn Ihr Brüderchen etwa ein Liebhaber von dem sogenannten Fräulein dort?
Friederike wollte ihn schelten, daß er wahrscheinlich von der Gemäldegallerie der Mutter irgendwo geschwatzt habe, Eduard aber spielte so wenig den Reuigen oder den Bekenner, daß er vielmehr zum Ankläger wurde und Friederiken beschuldigte, daß sie ihn verleumde. Als diese von den pasquillantischen Figuren anfing, die er durch den Kupferstecher wollte verbreiten lassen und in welchen selbst ihre eigene Mutter figurirte, lachte der ungezogene Mensch nur und sagte: Kann es denn wohl etwas Unschuldigeres als eine Kaffeekanne geben? Ist sie nicht das ächte Bild aller Legitimität? das Symbol der Treue? Ist denn nicht selbst eine Kaffeeschwester schon viel verdächtiger?
So stritten sie hin und her und vergaßen ganz, daß Martin zu Marie gegangen war. Die Mutter so wie Lucie hatten sich jetzt in die Nähe des Palastes begeben, auch den Gesandten sah man dort wandeln. Martin trat nun endlich aus Mariens Zimmer; Friederike, die ihn sah, eilte aus der Loge, das Thor ward geöffnet, und der Sohn, der an Zahnschmerzen leiden mochte, winkte nur seinen Angehörigen einen Gruß mit der Hand, indem er das Tuch vor das Gesicht hielt. Ein Wagen stand dort mit zwei muthigen Rennern bespannt; der Gesandte hob seinen Secretair in die Kutsche, rief der Mutter und den Schwestern aus dem Schlage zu: Morgen! und fort rannten die Pferde in der schnellsten Eil.
Mit schwerem Herzen ging der Prinz Xaver jetzt zu seiner Gemahlin, um ihr seinen Verdacht, ja seine Ueberzeugung, daß ihre Freundin eine Verbrecherin sei, mitzutheilen, 304 und wie die Gerichte noch in dieser Stunde ihre Untersuchung beginnen würden.
Er traf die Fürstin heitrer als gewöhnlich und sie kam ihm mit den Worten entgegen: Lieber, ich mache die seltsame Erfahrung, daß wir uns an Alles gewöhnen können. Ich erschrak früher vor dem Gedanken, mich von Marie trennen, sie mir wohl gar in fremden, entlegenen Landen denken zu müssen; jetzt, nach manchen Kämpfen, ist mir diese Aussicht nicht mehr so betrübend. Es erheitert mich, daß sie nun eine feste, bestimmte Stellung in der Welt gewinnen wird, daß ihr eignes Glück auch das meinige seyn muß, daß ich Briefe von ihr empfange, die mir Heiteres berichten, und daß ich auf diese Weise auch immer noch gemeinschaftlich mit ihr leben kann.
Ja wohl muß man sich an Alles gewöhnen, antwortete der Fürst: das ist ja der tragische Inhalt unsers Lebens. Sind wir nicht eine Harfe, auf der zarte Geisterhände die wundersamen Melodien mit sanftem Anstrich ertönen lassen? Aber auch irdische Finger greifen plumper hinein, Mißton aller Art erklingt, und so kann das edle Instrument auch in tölpelhafte Fäuste gerathen, daß Unsinn, Schreckenslaute reißend herausgeschlagen werden, und selbst die Saiten springen und später nie wieder ertönen können. So verfährt das Schicksal oft mit uns, und Keiner kann sagen. dies und das werde ich nicht erleben.
Die Fürstin betrachtete ihren Gemahl verwundert und mit einer gewissen Scheu, denn es war sonst niemals seine Art, sich so poetisch auszudrücken; sie rief daher schon erschreckt aus: Sie haben mir gewiß etwas ganz Besonderes anzukündigen.
So ist es, sagte Xaver, und ich muß bitten, mir Ihre ganze Aufmerksamkeit zu schenken, so wie sich mit der ganzen 305 Stärke Ihrer Seele zu waffnen. – Er erzählte ihr nun, wie sich Marie so seltsam vergessen habe, wie er aus dieser wundersamen Uebereilung die Ueberzeugung ihres Verbrechens gewonnen, wie er die Gerichte angerufen und das erste Verhör jetzt sogleich in seinem Hause vorgehen solle.
Die Fürstin war einer Ohnmacht nahe. Wenn ich mich davon überzeugen soll, sagte sie nach einiger Zeit, so wär' es mir erwünschter, jetzt gleich, in diesem Augenblick, wo noch ein Zweifel in meiner Seele schwebt, zu sterben. – Aber, wie ist es möglich, Theurer, Verehrter, daß Sie aus diesem einzigen Wort diese furchtbare Folgerung ziehen?
Bedenken Sie es selbst, sagte der Fürst eifernd, setzen Sie sich ganz in das Verhältniß und die Seele Ihrer vormaligen Freundin hinein, und jeder Zweifel wird auch Ihnen schwinden. Fiel wol der fernste Gedanke, eine Ahndung, das Atom eines Argwohns damals, als die That entdeckt wurde, auf diese Marie? Selbst der roheste der Domestiken, Leute, die sonst ohne Schonung urtheilen, war auch im Fernsten nicht aus Bosheit oder Gemeinheit auf diesen Argwohn gerathen. Die Freunde und Juristen, mit denen ich mich berieth und die die ganze Einrichtung unsers Hauses kennen, die alle Diener damals, sogar bis auf meinen lieben alten Melchior ausfragen wollten, fielen niemals auf den Vorschlag, die schwesterliche Hausfreundin nur zu vernehmen. Der Bruder, der die Person haßt, der sie verfolgt, hat sich im Zorn nie die Silbe eines Argwohns verlauten lassen. So stark wirken auch auf die stärksten, auf feindselige Seelen, Verblendung und Vorurtheil. Denn, überlegen Sie Alles jetzt mit kaltem Blut, ist der Raub wohl anders begreiflich, als nur dadurch, daß sie ihn begangen haben muß? Und nun nennen Sie diese unmittelbare Regung ihres Gewissens, die sie, indem sie sich nicht bewachte, zu jener Bitte trieb, 306 ein Wort, ein unbedeutendes, gewöhnliches Wort? Das Geständniß war es, Liebe, nur in einer andern Form. Und warum schlug denn nun dieses Ersuchen wie ein Blitz durch mein ganzes Wesen? Weil ich so urplötzlich meine Verblendung abschüttelte und diese Marie mir in ihrer ganzen Verworfenheit in einem Seelenaufblick vor meinem innern Auge stand. O hier war in ihr, wie mir, mehr als Wort, – es war eine plötzliche, unmittelbare Offenbarung. Und das sind jene sonderbaren Zustände, in welchen sich schon oft dem Kundigen Räuber und Mörder gegen ihren Willen offenbart haben.
Jetzt brachen die Thränen aus den Augen der Fürstin, unter Schluchzen sagte sie: Ach! was ist der Mensch, wenn diese Anklage Grund hat? Der Gedanke, Xaver, will mir das Herz abstoßen. Hat sie es gethan, sie, die ich so lieben mußte, deren Gemüth und Seele ich so ganz zu verstehen glaubte, so bin auch ich einer solchen Schändlichkeit fähig.
Sie kämpfen jetzt mit sich, meine edle Adelheid, sagte Xaver, Sie thun sich selbst Unrecht, um das Unrecht der feindseligen Freundin zu mindern. Sie werden sich wiederfinden und dann sehen, daß nur ein freier, verworfener Wille, der niedrige Entschluß eines verweseten Gemüths solcher Thaten fähig ist, nicht die klare, lautere Unschuld.
Und wenn sie es gesteht? fragte die Fürstin furchtsam; was haben Sie in diesem Fall beschlossen? Nicht wahr, Sie lassen Gnade für Recht ergehen und verschweigen –
Nein! rief Xaver erzürnt, zu dieser feigen Schwäche ließ ich mich damals verleiten, und das hat die Folge gehabt, daß der Pöbel allerdings flüstert, meine Gemahlin müsse wohl selbst um diesen Raub gewußt haben. Nicht der Werth der Diamanten ist hier das Wichtigste, nicht ihre Wiedererstattung die Hauptsache, sondern daß der Giftmischer, der die heiligen 307 Bande der Gesellschaft zerstören, Vertrauen, Redlichkeit, die fromme Scheu vernichten will, dem Gesetze anheimfalle, damit alle Schwachen, Unsichern, halb Verführten vor sich selber erschrecken und in religiöser Furcht, mit neugekräftigtem Willen, zum Altar des Rechtes und der Treue flüchten, um sich vor sich selber zu retten. Diese Feigheit, das Schlechte, weil es uns Höheren nahe tritt, weil wir vielleicht Beschämung erleiden, zu verhehlen und zu verschweigen, ist ein wahrer Meuchelmord, an der Tugend begangen. Diese Schwachheit untergräbt die Pfeiler des Staates und der Gesellschaft eben so sehr wie Verrath, Lüge und Bestechlichkeit, und um so schlimmer, weil wir unsre dürftige Unentschlossenheit wohl gar noch Großmuth und christliche Milde taufen, die niedrige Menge es auch oft so betrachtet und Das verehrt und lobpreiset, was in uns Laster ist.
Bedenken Sie aber, sagte die Fürstin mit schwacher Stimme, die starke, nahe Versuchung.
Hier erscheint sie, sagte Xaver strenge, eben am abscheulichsten. Wenn ein roher, gemeiner Mensch dieser Versuchung unterliegt, wenn der Habgierige, Geizige zugreift, der Dürftige, von Noth Gepeitschte die lüsterne Hand ausstreckt, so liegt noch vielleicht eine Art von Entschuldigung in der Versuchung. Aber sie, die Vertraute, die Tochter des Hauses, Diejenige, in welcher die Seele einer Adelheid gleichsam wohnte – fühlen Sie nicht, daß hier eine Abscheulichkeit obwaltet, die schlimmer ist, als Worte es auszudrücken vermögen?
Und Sie haben also beschlossen?
Ja, rief Xaver, dem Recht und Gesetz seinen Lauf zu lassen. Meinem bloßen Verdacht nach, habe ich sie noch nicht dem Gefängniß übergeben; so wie sie heut aber vor den Richtern nicht besteht, wird sie dem Gericht überliefert. 308 Gewiß ist ihr sogenannter Bräutigam, dessen Namen sie nie hat entdecken wollen, ihr verbündeter Gehülfe. Sie, Geliebte, müssen sich fassen und diesen Irrthum, diesen Mißverstand Ihrer Liebe aus Ihrem Herzen reißen. Der Himmel wird Ihnen helfen.
Er reichte ihr die Hand und entfernte sich. Adelheid kannte ihren Gemahl genug, um zu wissen, daß jede Bitte jetzt vergeblich sei, denn so schwach der Prinz im gewöhnlichen Leben erscheinen konnte, so fest und unerschütterlich war er, wenn er Das, was er für nothwendig hielt, beschlossen hatte.
Eine todte Traurigkeit, eine dumpfe Resignation hatte sich jetzt der Fürstin bemächtigt. Sie dachte, wünschte und fühlte in diesen Augenblicken nichts. Früh dem älteren Manne vermählt, ohne um ihren Willen gefragt zu werden, hatte sie ihr Herz und die Liebe nicht kennen lernen, ihre Ehe war nicht durch Kinder gesegnet, ihre Sittlichkeit und das Schicksal hatte sie bewahrt, irgend ein lockendes Verhältniß mit einem jüngern Manne anzuknüpfen, der Stolz und die Rohheit des Bruders hatten diesen von ihr entfernt, und so war es begreiflich, daß sie eine übertriebene, glühende Liebe und Freundschaft fast willkürlich in ihrem Herzen für diese Marie entzündet hatte, die sie verachten sollte, von der sich plötzlich ihr Gemüth mit Abscheu abwenden mußte.
Der Fürst hatte sich jetzt seinem Secretair eröffnet und dieser machte es der Dienerschaft bekannt, daß Marie, die Gesellschafterin der Prinzeß, in ihrem Zimmer als Arrestantin verschlossen sei. Ein allgemeiner Schreck bemächtigte sich des ganzen Haushaltes, weil die Gefangene, durch die Gunst der Herrin, fast mehr Gewalt als die Fürstin selbst über alle Diener ausgeübt hatte. Waren Alle bestürzt, so erschrak doch Eduard am meisten, der eben noch seinen 309 zukünftigen Schwager in Hoffnung so im Geheim zu dieser Marie gelassen hatte, von den Liebkosungen Friederikens dazu verleitet.
Jetzt erschien der Wagen, welcher die Richter und den Schreiber des Gerichts in den Palast führte. Sie waren in der Amtskleidung und Eduard und ein Diener öffneten ihnen die Zimmer, in welchen sich Marie aufhielt, und entfernten sich dann wieder.
Die Richter nahmen feierlich Platz, der Schreiber entfaltete seine Blätter und der ältere Mann, welcher die weibliche Gestalt, die sich in einen Winkel des Saales zurückgezogen, mit seinen Blicken geprüft hatte, sagte zu seinen Collegen heimlich: Ich kann die vielgepriesene Schönheit an ihr nicht bewundern, sie sieht vielmehr fade und unbedeutend aus; der Wuchs ist auch nicht sonderlich. Und sehen Sie nur, wie linkisch sie dort kauert, halb sitzt, halb steht.
Das böse Gewissen, Herr College, antwortete der Zweite, entstellt den Menschen ganz gewaltig. Ist ein Verbrecher auch eigentlich von Hause aus hübsch und wohlgebildet, so wird er doch nach und nach, durch das Bewußtsein seines Frevels, durch die Angst, die ihn immerdar foltert, zu einer häßlichen Larve. Der Fall ist schon oft vorgekommen.
Warum treten Sie nicht näher, Mademoiselle? fragte jetzt der oberste Richter.
Weil man es mir noch nicht befohlen hat, war die Antwort.
Nun wohl, so wird es Ihnen jetzt befohlen!
Das Frauenzimmer trat lächelnd näher, kam an den Tisch und betrachtete die Richter mit prüfenden Blicken, dann sagte sie lachend: Das Costum ist recht hübsch und täuschend.
310 Wie meinen Sie das? fragte der Jüngere.
Recht artiges Komödienspiel wird das geben, sagte sie: und wann kommen die Zuschauer?
Wer sind die?
Nun der Prinz, die Fürstin, der Gesandte, der Graf und wer sonst noch an dem Spaße Theil nehmen will.
Die Richter sahen sich ungewiß einander an und der Schreiber wußte nicht, ob er alles das protokolliren sollte. Endlich sagte der alte Mann im feierlichen Ton: Mein Kind, hier Spaß machen wollen, ist völlig am unrechten Ort. Es handelt sich hier um gar ernsthafte Dinge. Unter Anderm ist hier die Rede von Auspeitschen, an den Pranger stellen, Brandmarken und vieljährigem Einsperren in das gemeine Zuchthaus. Dies kann vielleicht um etwas gemildert werden, wenn Sie freiwillig und gütlich Alles bekennen, uns die Mittel angeben, wie der Raub wiedergefunden werde, uns Ihre Complicen nennen und, wie gesagt, uns den Prozeß leicht machen und die Entscheidung beschleunigen.
Sonderbare Menschen! rief sie laut lachend aus; Alles das paßt ja zu der Maskerade durchaus nicht, welche wir vorhaben; dazu will sich die Rolle, die ich übernommen habe, nicht eignen. Kommen denn die andern Spieler bald?
O ja! die Büttel und der Kerkermeister mit den Ketten! rief unwillig der alte Mann.
Menschenkinder, sagte das Frauenzimmer, sprecht nicht so dummes Zeug! Ihr wißt euch ja gar nicht in eure Rollen zu finden. Statt einen gutmüthigen komischen Pantalon zu agiren, wie euer Anzug doch verkündigt, komischen Spaß zu machen und euch zur Ergötzlichkeit vorzubereiten, sprecht ihr lauter Unsinn. Wenn es nicht anders kommt und ihr nicht einlenken wollt, werde ich gar nichts mehr sagen, bis die Herrschaften selber 311 eintreten, die zu ihrer Verkleidung aber auch sehr lange Zeit brauchen.
Himmel! rief der Alte, sie ist aberwitzig! Sie hat den Verstand völlig verloren.
Wahrscheinlich, sagte der Jüngere, fingirt sie nur diesen Wahnsinn, um das Gericht irre zu führen. Oder sie schmeichelt sich wohl gar, daß sie uns überreden will, sie sei von jeher unklug gewesen und daher nicht zurechnungsfähig. Das kommt in neueren Zeiten auch oft vor, seitdem man das psychologische Mitleiden gegen die Verbrecher erfunden hat, von denen in manchen Staaten viele unter dem Galgen wegschlüpfen, weil die Herren Richter selbst eine krankhafte Vorliebe für rare Narrheiten und Aberwitzigkeiten haben.
Also für unsinnig wollen Sie mich halten? rief die Angeklagte jetzt, nun der Spaß mag fürs Erste so mit hingehen. – Sie sang laut, tanzte im Saal und faßte endlich die Hand des Schreibers, mit dem sie unter lautem Lachen im Saale herumwalzte. Dann warf sie sich ermüdet in ihre Ecke und lachte wieder.
Herr Secretair! sagte hierauf der alte, verdrüßliche Mann, gehen Sie unverzüglich zu Seiner Durchlaucht und melden dem Herrn, was sich hier zuträgt und daß wir unmöglich mit einer unklugen Person ein Verhör anstellen können.
Der Schreiber verließ das Zimmer, indem er sich den Schweiß von der Stirn trocknete. Sollen wir uns hier mit der tollen Creatur aufhalten und unsere Zeit verderben? sagte der ältere Richter; stellt sie sich nur verrückt an, so wird man strengere Maßregeln ergreifen müssen, um ihr ihren Verstand wiederzuschaffen.
Jetzt trat der Prinz Xaver, dem der Secretair folgte, in den Saal. Wie? rief er, verrückt? Unmöglich! und was 312 könnte ihr auch die Verstellung nützen? – Jetzt trat er näher und rief in der größten Bestürzung, indem er des Frauenzimmers ansichtig ward: Himmel! was ist das für eine Creatur?
Die Richter hatten sich erhoben und Alles umgab jetzt die Unbekannte, die, da sie erst in ein lautes Lachen ausgebrochen war, jetzt in Verlegenheit gerieth und die Blicke niederschlug. Wo ist Marie? rief der Prinz entrüstet. – Sie wird sogleich zurückkommen, sagte die Fremde; mich wundert, daß sie nicht schon da ist, denn mit der Verkleidung ist sie längst fertig, die ihr auch recht hübsch steht.
Verkleidung? rief Xaver: wozu? Was hat das zu bedeuten?
Nun, zur komischen Maskerade, sagte Jene, zu der Komödie ex tempore die wir spielen sollten und mit der wir den Prinzen und seine Gemahlin überraschen wollten.
Mich überraschen? rief Xaver; nun ich bin jetzt überrascht genug.
Wenn Sie der durchlauchtige Herr sind, sagte die fremde Person, so ist freilich unser Endzweck verfehlt, und mich verdrießt, daß Fräulein Marie immer noch nicht zurückkommt, um mir meine Kleider wiederzugeben; denn, da die Komödie nicht vor sich geht, so schäme ich mich, vor Leuten, die nicht mitspielen, mich in diesem unziemenden Costum zu zeigen.
Setzen wir uns, meine Herren, sagte der Fürst, indem er einen Sessel einnahm, wir wollen wenigstens von dieser Creatur erfahren, wie die Sache zusammenhängt; also: wer seid Ihr?
Ich habe gar nicht nöthig, sagte die Unbekannte, meinen Stand und Namen zu verleugnen: ich heiße Martin Mühlen und bin Gesandtschaftssecretair beim Grafen Liançon, welcher nach Lissabon als Gesandter vom Kaiser Joseph bestimmt ist.
O über die unerhörte Lüge! rief der Prinz aus, mein Schwager lebt jetzt auf seinen Gütern und es giebt keinen andern Grafen Liançon.
Er ist, sagte Martin, eigentlich der natürliche Sohn des Herrn Grafen, hat aber jenen Titel angenommen.
Der? sagte der Prinz mit gedehntem Ton; dieser unselige Abentheurer? Jetzt fängt mir Alles an klar zu werden. Unglücklicher! wie sind Sie in seine Gesellschaft gerathen?
Ich habe ihn in Brüssel kennen lernen und er wurde dort mein Wohlthäter und Beschützer. Er war dort mit allen Vornehmen in Verbindung, und durch sie hat er auch jene Beförderung erlangt. Er ist in der Stadt und wird mich bei meinen Eltern erwarten, wenn er nicht, wie er versprach, hieher kommen sollte.
Und Sie merken noch immer nicht, sagte der Prinz, daß man Sie hintergangen und gemißbraucht, daß er, der Lügner und Räuber, längst mit seiner verruchten Gesellin, dieser Marie, die Thore der Stadt hinter sich hat? – Wie kommen Sie in diese Kleider?
Martin erzählte: In der nächsten Stadt erhielt mein Beschützer durch eine Staffette einen wichtigen Brief, der ihn erst außer sich versetzte, dann sammelte er sich wieder und reiste incognito hieher. – Als wir angekommen waren, gab er mir ein Billet, setzte es durch, mich heimlich hier in dies Haus zu schaffen, und sagte mir, ich solle buchstäblich alles Das thun, was mir eine Dame hier anbefehlen würde, denn es sei auf ein häusliches Fest, eine Maskerade, eine Art Komödienspiel abgesehen, um den Prinzen Xaver und seine Gemahlin angenehm zu überraschen. Als man mich eingeführt hatte, traf ich eine schöne große Dame, die mir erst sehr betrübt schien, dann aber, als sie das Billet des 314 Gesandten gelesen hatte, sich erheiterte. Sie begrüßte mich nun freundlich und sagte mir, daß wir künftig viel mit einander leben würden, heute aber müßte ich noch schnell zu einer kleinen Familienfête beitragen. Es sei nöthig, daß ich mich als Frauenzimmer ankleide und daß sie schnell meinen männlichen Anzug anlege. Sie ließ mir keine Zeit, zu überlegen oder mich zu verwundern, denn sie rannte schnell in das Cabinet, legte mir in zwei Secunden diesen Habit, den ich jetzt trage, zurecht, stieß mich hinein, wo ich mich so schnell umkleiden mußte, daß ich kaum diese kostbare Busennadel retten konnte. Nun ergriff sie meine Sachen, und wie durch einen Zauber trat sie nach zwei Minuten angekleidet aus dem Cabinet, sah sehr hübsch aus, umarmte mich und sagte, sie würde gleich wiederkommen, wo dann die Komödie oder der Maskenspaß seinen Anfang nehmen würde.
Junger Mann, fing jetzt der ältere Richter an, Sie haben keine Anlage zu einem Diplomaten, denn als solcher haben Sie eine miserable Rolle gespielt. Wozu hatten Sie sich vorher bestimmt, ehe Sie diesem Abentheurer in die Hände geriethen?
Eigentlich, sagte Martin verlegen, bin ich ein Candidat der Theologie.
Ein schöner Anzug, sagte der Richter, für einen jungen Geistlichen und angehenden Priester. Sie sehen in dem Habit aus wie eine jener unglückseligen Fräulein oder Curtisanen, die sich im Dunkeln auf unsern Gassen umtreiben. – Verzeihung, Durchlaucht, wenn ich etwas Ungeziemendes ausgesprochen habe.
Martin war jetzt so beschämt, daß er es nicht wagte, die Augen aufzuheben. Ihm wurde es nach und nach ganz deutlich, daß er sich als ein einfältiger Mensch betragen habe und wohl zur Theilnahme an einem Verbrechen verleitet worden sei.
315 Der Fürst hatte schon längst ein festes Auge auf die Tuchnadel Martins geheftet, die seine Halsverhüllung zusammenhielt. Zeigen Sie mir einmal das Juwel, sagte er jetzt. Martin überreichte es ihm. Kein Zweifel! rief Xaver, man hat sich nicht einmal die Mühe gegeben, das Kästchen wegzunehmen, und bloß die Nadel ist angeheftet worden. Sehen Sie, meine Herren, sagte er jetzt, indem er sich an die Richter wendete, ich habe diese Nadel eben nur berührt, ich bitte aber auf diesen Punkt zu drücken, und Sie werden unten, indem die feine Goldplatte sich aufthut, meinen und meiner Gemahlin Namenszug inwendig erblicken.
So wies es sich aus. Diese Nadel, fuhr der Prinz fort, war nehmlich vormals ein Ring; sie gehört zu jenem Schmuck, der uns im vorigen Jahre geraubt wurde. Es ist jetzt klar, daß Marie ihn entwendete, was ihr bei dem unbedingten Vertrauen meiner Gemahlin nicht schwer wurde, und daß sie diese unschätzbaren Juwelen dann jenem Abentheurer auslieferte, der sie verkaufte, oder umfassen ließ, um durch die Summen, die er löste, im Auslande den großen reichen Herrn zu spielen und sich mit dem gestohlnen Gut Freunde zu machen, ist deutlich genug.
Die letzten Schleier fielen jetzt von den Augen des unglücklichen Martin herunter. Er sah sein ganzes Elend ein und erschien sich verächtlich. Der Fürst schien ihn fast zu beklagen, und die Sache hätte sich vielleicht jetzt schon beschlossen, wenn der junge Eduard Winter nicht mit einer neuen Klage hervorgetreten wäre. Man hatte ihn vorgeladen, um sich über den Punkt zu verantworten, daß er gegen den Befehl den fremden Martin zur verdächtigen Marie gelassen hatte.
Gnädiger Herr, fing er an, ich bitte um Gnade, wenn ich gewissermaßen widerspreche. Der Befehl war nicht so 316 gar klar und deutlich, und die Anweisungen, die ich von dem ehrwürdigen Herrn Melchior erhielt, dienten mehr dazu, mich confus zu machen, als mich aufzuklären. Er wollte selbst Alles besorgen, selber nach Allem sehen, und so erfuhr ich ungefähr nur, daß die Gesellschaftsdame nicht ausgehen würde, weil sie unpaß sei. Die klare, deutliche Nachricht, daß die bemeldete Dame sich in eine Arrestantin und Verbrecherin umgesetzt habe, wurde erst späterhin deutlich ausgesprochen, als sie schon in ihrer künstlichen Verkleidung, als ein Herr Martin, entwichen war. Jetzt, nach der Entwickelung sehe ich wohl ein, daß ich einen großen Fehler begangen habe, meinen Schwager in Hoffnung, den dummen Menschen, hier heimlich in dies Gemach einzuschwärzen. Aber, durchlauchtigster Herr, was vermag die Liebe über uns arme Sterblich nicht? Diese göttliche Naturkraft hat mich so über den Tölpel gestoßen, daß ich mich dieses schweren Vergehens schuldig gemacht habe. Eine gewisse Friederike, die Schwester jener so lächerlich verkleideten Personnage, wußte mir so zu schmeicheln, sagte mir so viele schöne und artige Sachen vor, daß ich in diesen bethörten Augenblicken meinen Verstand aufgab. Ich sehe es aber wohl ein, gegenwärtig, daß es mit dieser Liebe und Zärtlichkeit nicht ernsthaft gemeint war, und daß man mich nur hinterging, ungefähr so wie jenen verkleideten Einfaltspinsel dort. Habe ich mich nun vergangen, so kann ich mein Versehen durch eine große, eine höchst bedeutende Entdeckung wieder gut machen. Ich glaube nehmlich jetzt, daß die Mutter des Patrons da tief in das Complott verwickelt ist, daß sie um den Raub der Juwelen und Alles genau gewußt hat, daß sie Hehlerin war und ihr ein sehr bedeutender Gewinn von diesem ungeheuern Diebstahl nicht kann entgangen seyn.
Martin erhob sich entrüstet und der Fürst sah den 317 Redenden scharf an. Wie beweisen Sie Ihre Anklage? fragte der Richter.
Sogleich, meine verehrten Herren, antwortete Eduard. Wenn ich aber nicht Unrecht habe, so wird es sich auch wohl ausweisen, daß jener flachsköpfige Bursche nicht ein solcher Gimpel ist, wie er einer zu seyn ziemlich künstlich vorgiebt und ihn auch natürlich genug darstellt.
Faßt Euch kurz, sagte der Fürst, und laßt das unanständige Schelten.
Durchlaucht, fuhr Eduard fort, ohne sich stören zu lassen, wenn es sich zeigt, daß er ein ausgemachter Spitzbube ist, so ist es ja noch viel schlimmer, als wenn er nur ein Dummkopf wäre. Ich meine aber jetzt, die ganze Familie dieses zu blonden Lissaboner Gesandtschafts-Secretairs ist, Weiber und Kinder, Mannsen und Weibsen, nichts als ein einziges großes Gaunernest.
Und der Beweis? fragte der Fürst.
Kein strenger Beweis, fuhr Eduard fort, aber die allergrößte Wahrscheinlichkeit. Schon lange munkelt man davon, und seit einigen Tagen weiß ich es auch aus der sichersten Quelle, aus dem Munde meiner so scheinbar zärtlichen Friederike, der Schwester des Delinquenten da, daß die Mutter des armen Sünders, die Frau Mühlen, eine unschätzbare Gemäldegallerie besitzt, in der sich Meisterwerke der Caracci, des Domenichino, Correggio, Titian, Julio Romano, nebst vielen der herrlichsten Niederländer, unter andern ein ganz einziger Van Eyck befinden, die Landschaften des Claude und Poussin, die Rembrands, die ausgeführten Bildchen eines Gerard Dow gar nicht einmal mitgerechnet. Woher kommt nun, fragt sich jeder Verstand, eine arme Bürgersfrau, die sich und ihre Familie von einer Pension erhalten soll, die etwa nur vierhundert Thaler beträgt, zu einer 318 Gemäldegallerie, wenn sie nicht zu den natürlich hohen Preisen von gestohlnem Gelde eingekauft ist? Ist dies Geld nun gestohlen, und unser Martinchen ist ein Hauptfreund des Spitzbuben, und der Spitzbube ein Bräutigam der Räuberin, und Martin hat Juwelen von ihm, und die Mama Martins hat eine ungeheuer kostbare Bildergallerie, so möchte man doch darauf schwören, daß der gestohlene Schmuck zum Theil in Bilder umgesetzt sei, und daß, wenn der Frau Mühlen vielleicht die Bilder nicht so ganz eigenthümlich gehören, sie doch die Hehlerin ist und ihren Theil vom Raube bekommen hat. – Meine verehrte Herren, ich liebe die schelmische Friederike immer noch herzinnigst, obgleich sie zu dieser Natterbrut gehört, aber die Tugend steht in meinem Herzen höher als die Liebe, diese opfere ich jenem allerhöchsten Gut, wenn auch mit blutendem Herzen, denn, wie die Weltweisen sagen –
Genug! rief der Prinz und Eduard verbeugte sich verstummend. Er sah die Richter an und der ältere sagte: So sonderbar dieser Handel auch aussieht, so mährchenhaft der Bericht auch von dieser merkwürdigen Bildergallerie klingt, so ist es doch wohl unsre Pflicht, Erkundigungen über diese Sache einzuziehen, denn die Frau Mühlen, wenn es sich nach der Aussage des jungen Mannes irgend so verhält, kann wohl im Verhör von dem entflohenen Räuber oder den Juwelen Nachricht geben.
Er schickte den Secretair fort, um heimlich die Arrestation der Frau Mühlen zu verfügen. Jetzt weinte Martin laut, daß seine Mutter zugleich mit ihm so beschimpft werden sollte. Der Fürst betrachtete ihn aufmerksam und sagte dann: Geben Sie Ihrem Schmerze nicht so nach, junger Mann, es soll nur so viel geschehen, als unumgänglich nothwendig ist. Es ist möglich, daß Sie unschuldig sind und 319 daß die Vermuthungen meines geschwätzigen Portiers sich als ungegründet erweisen.
Bei dem Worte »Portier« fuhr Eduard Winter hastig mit dem Kopfe auf, als wenn er heftig antworten wollte, vor dem strengen Blicke des Fürsten aber senkte sich sein übermüthiges Auge. Der Fürst fuhr fort: Es trifft sich, daß der Professor Reishelm eben mit einigen andern Künstlern bei meiner Gemahlin, die Zerstreuung bedarf, sich befindet; sie zeichnet und betrachtet Bilder. Diese Herren aber werden am besten geeignet seyn, die sogenannte Gallerie zu besichtigen und ihren ungefähren Werth zu bestimmen. Die Herren Richter haben wohl auch die Güte, sich dorthin zu verfügen, um dort vorläufig, wie sie die Umstände finden, eine Untersuchung anzustellen.
Der Prinz, welcher den jungen Martin die Zeit über nicht ohne Rührung betrachtet hatte, hatte den Haushofmeister herbeigerufen und dieser führte den trauernden Candidaten in ein Nebengemach, wohin er einen saubern und vollständigen männlichen Anzug schaffte, damit Martin nicht so lächerlich vor seiner Familie erscheinen dürfe.
Es wäre der alten Frau Mühlen vor einigen Tagen noch nicht eingefallen, daß sie dazu geeignet sei, eine Beschützerin vorzustellen. Sie erstaunte daher nicht wenig, als ein ganzer Zug von Menschen sich bei ihr einstellte, die sich ihrer Gnade und ihrem Einfluß empfahlen. Durch Eduards Geschwätz, durch Friederikens Leichtsinn und der Mutter Gutmüthigkeit war es in mehreren Familien der ärmeren Classe bekannt geworden, daß der junge Martin Mühlen, ein vormals unbedeutender Mensch, jetzt der Liebling eines einflußreichen Gesandten, eines höchst vornehmen Mannes 320 sei, eines Millionairs, der Tausende so wegwarf, wie Andere den Groschen ausgeben. Seit der alte Simon seine ganz verarmte Schwägerin und deren Tochter Henriette in einen gewissen Wohlstand versetzt hatte, waren diese beiden Frauenzimmer mit Eifer darauf bedacht, ihre Lage noch mehr zu verbessern. Eduard hatte ihnen erzählt, in welchen Erwartungen und Aussichten Martin Mühlen lebe, und nun meinten sie, und der alte Simon ließ sich endlich von ihrem Geschwätz auch zu diesem Glauben überreden, es hange nur von der Vorsprache dieser Frau ab, den mißrathenen Eduard auch als Secretair oder Rendanten oder Freund des Grafen Liançon nach Lissabon zu verpflanzen und ihm, der doch gewiß klüger als Martin sei, eine glänzende Laufbahn zu eröffnen. Simon, der mehr die Welt kannte, ging auf diese Ansicht deswegen ein, weil er meinte, nichts sei so wirksam, einen schon verlornen Windbeutel zu curiren, als eine Entfernung aus seinem Vaterlande. Der alte Großvater Emmrich war nur darüber erfreut, daß es wieder einmal ein Thema gab, über welches er unermüdet schwatzen konnte. Er sah, nach seinen Reden, wenn der Gesandte nur die ersten Schritte für Eduard gethan hätte, diesen schon als Staatsmann, General oder Minister in den allerhöchsten Stellungen wirksam und regierend.
Der ganze Zug dieser Familie machte sich also auf, um die bescheidene Wohnung der Frau Mühlen aufzusuchen, sich ihr zu empfehlen und um ihren Schutz zu bitten. Die alte Mühlen erstaunte über diese Anmuthung, aber man verwunderte sich noch mehr, als man sich gegenseitig erkannte. Jene Mutter und Henriette empfahlen sich dem Schutze der Frau, welche den Verarmten jenes Bild neulich abgekauft hatte, das die Kennerin mit ihrem sichern Auge für eins der vorzüglichsten des Van Eyck erkannte. Simon machte diesen 321 Gesprächen ein Ende, indem er mit kurzen Worten das Gesuch vortrug, wie Frau Mühlen und Friederike und Lucie, vor Allen aber der edelste Sohn, Herr Martin, höflichst gebeten würden, sich für den verwilderten, aber darum doch nicht verlornen Eduard bei dem mächtigen Gesandten zu verwenden. Am meisten, nachdem die Andern vollendet hatten, verbreitete sich der alte Großvater über dieses Thema, der immer noch, so viel er es vermochte, die Partei dieses Eduard genommen hatte. Wir, sagte er zum Schluß, die ganze Familie hier, haben ihm zwar vor einiger Zeit unsern feierlichen und einstimmigen Fluch gegeben. Ich wollte anfangs nicht mit in diesen Strängen ziehen, da ich aber überstimmt wurde, so fügte ich mich denn auch dem allgemeinen Wunsche. Unsern Segen geben konnten wir ihm nicht, so wie er sich bis dahin aufgeführt hatte: und so ist denn freilich Etwas besser als Nichts, und darum bekam er den Fluch; was ich freilich einigermaßen übelnehmen konnte, denn es geschah hauptsächlich deswegen, weil er sich nun ganz und unbedingt der Malerei widmen wollte. Das war unserm Simon fatal. Ich bin aber selbst in meiner Jugend ein großer Maler gewesen, und es ist gewiß nur mein Blut und verkanntes Genie, was jetzt so in dem jungen Menschen arbeitet und drängt. Kurz, mit dem Fluche läuft er jetzt herum. Und diesen müssen wir ihm auch bei Gelegenheit wieder abnehmen, weil ihn das sonst incommodirt. Am besten, daß Sie und der Gesandte und Kaiser Joseph ihn zu etwas machen.
Als Frau Mühlen ihr Erstaunen überwunden hatte, erklärte sie, daß sie in dieser Hinsicht gewiß nichts vermöchte und nur dankbar sei, daß ihren Sohn so ganz unverhofft ein so großes Glück betroffen habe. Eduard sei sich aber selbst am meisten hinderlich, denn wenn er die pasquillantischen 322 Kupferstiche, wie er sich vorgesetzt habe, noch herausgeben wolle, so sei er gewiß der schwersten Verantwortung ausgesetzt.
Ein Pasquillant! rief Emmrich, der Großvater; worin bestehen die Pasquille?
Frau Mühlen erzählte ihm Einiges, und in welcher Gestalt sie selber in jener saubern Sammlung vorkomme. Ach was! rief Emmrich, Windspiele, Seehunde, Kaffeekannen, das sind ganz unschuldige Geschöpfe. Kein Mensch kann es übelnehmen, denen verglichen zu werden; ja, wenn es Esel, Affen, oder gar Schweine wären, das sind einmal die hergebrachten Thiergestalten, mit denen man eine Beleidigung ausdrückt; aber die Vergleichung mit den edleren soll sich kein Mensch zu Gemüthe ziehn.
So schwatzte er fort, bis ihm Friederike sagte: Sie kommen auch in der Sammlung vor. – Und wie? fragte Jener. – Als Brunnen. – Wie hat er das angestellt? – Es steht ein Pfeiler da mit einem alten Kopf, ganz der Ihrige, auf dem ist eine Schellenkappe und zwei Eselsohren. Aus dem Munde der kenntlichen Figur läuft ein Wasserstrahl, in dem geschrieben steht, was Sie so am liebsten an Redensarten gebrauchen. Das unermüdliche Wasser fließt in ein großes Becken, in dem plätschert eine Ente und eine Gans. Die Ente ist Henriette dort und die Gans die verehrenswerthe Mutter. Außerhalb grunzt ein großes Schwein, das einen breiten Hut auf hat und murrt: Fluch! Fluch ihm! Fluch! Und drunter steht mit deutlichen Worten geschrieben: der Großvater Emmrich, nicht als Jungbrunnen, sondern als unerschöpflicher Narrenbrunnen, Jettchen als Ente, Mama als Gans und Onkel Simon als Eber. Was sagen Sie dazu?
323 Daß ich wenigstens nun meinen obigen Fluch verdopple! schrie der Großvater ergrimmt und lief fort, ohne Abschied zu nehmen. Simon stampfte mit den Füßen und brummte: Ein ungerathener Bube! Jettchen aber trocknete sich die Augen und sagte: Er ist mehr als das, er ist undankbar; wie oft hat ihn die Mutter mit dem Letzten, was sie nur in ihrer kleinen Wirthschaft hatte, erquickt.
Die Fremden wollten sich entfernen, als der Großvater zitternd wieder in das Zimmer stürzte. Es ist aus! rief er bleich und athemlos; wir sind Alle verloren! das ist nichts weniger draußen als eine Pulververschwörung wie die damals in London. Das Haus und die ganze Straße hier wird in die Luft gesprengt werden.
Warum nicht gar! rief Simon; schwatzt der Alte nicht immer unsinniges Zeug?
Die Ausgänge sind versperrt, rief der Greis, zwei Compagnien mit geladenen Flinten halten Wache, und zwei Feldstücke voll Kartätschen sind auf dem Flur.
Unsinn! sagte Simon, setzte seinen breiten Hut auf und ging hinaus. Er kam aber gleich wieder zurück und sagte verwirrt: So viel ist wahr, das Haus ist von Wache umzingelt; was es zu bedeuten hat, mag der Himmel wissen.
Alle erstaunten, es blieb ihnen aber keine Zeit, zu fragen und zu erzählen; denn in der schwarzen Amtstracht und mit feierlichem Gesicht traten die beiden Richter herein, vom Secretair begleitet. Ihnen folgte, von Dienern des Gerichts eingefaßt, der ganz niedergeschlagene Martin, und zum Beschluß trat Reishelm, der Director der Akademie, mit zwei andern Malern herein, an die sich mit naseweisem Anstande der Verräther Eduard drängte.
Die Frauen waren beängstigt, und Keiner wußte, wie 324 er sich diese unvermuthete Erscheinung auslegen sollte. – Wer ist hier die Frau Mühlen? fragte der alte Richter. – Ich, sagte die alte, verwirrte Frau. – Sind Sie die Tochter Friederike, fragte der Director Reishelm schnell, sich zu Henriette wendend. – Nein, sagte diese schüchtern erröthend, ich bin hier im Hause fremd, dort steht meine Mutter. Reishelm betrachtete sie noch eine Weile und schien von dem lieblichen Ausdruck des unschuldigen Gesichtes gerührt.
Hier ist, fing der Richter wieder an, ein berühmter Maler, ein großer Künstler mit uns gekommen, der Herr Director Reishelm. Antworten Sie, Frau Mühlen, diesem Herrn kurz und bündig, was er Sie fragen wird, ohne Zögerung und ganz der Wahrheit gemäß.
Reishelm betrachtete nun auch die übrigen Figuren, die im kleinen Zimmer gedrängt an einander standen. Er ging zur Alten, sah ihr scharf in die Augen und sagte schnell: Sie besitzen eine Bildergallerie.
Wie sollte ich arme Frau zu so etwas kommen? antwortete sie geängstigt.
Keine Ausrede! rief Reishelm, das Haus ist mit Wache umstellt, wenn Sie nicht die Wahrheit sagen, folgen Sie diesen Herren sogleich von hier in das Gefängniß.
In diesem Augenblick sprang die behende Friederike hervor und in den letzten Winkel des Zimmers hinein. Man hörte laut eine Ohrfeige schallen. Eduard war es, welcher sie empfangen hatte. Verräther! sagte das Mädchen dann, und ging, nicht sonderlich erregt, auf ihre erste Stelle zurück.
Nun ja, sagte zögernd und mit Pausen Frau Mühlen: ich habe – wenn Sie es so nennen wollen – eine Bildergallerie.
Und wie viel Stück ungefähr? fragte Reishelm.
325 An dreihundert, einige mehr oder weniger, sagte die alte Frau, jetzt schon weinend.
Und Sachen von Werth darunter? Poussin? Claude Lorrain? Selbst Tizians? Domenichinos und so weiter?
Ach ja! und Julio Romano, und Berghem, und Correggio, und Rubbens, und Salvator Rosa.
Und wer gab Ihnen das Geld? Doch wohl der sogenannte Graf Liançon? Oder Ihr Sohn, der es von diesem erhielt? Oder Marie, die Gesellschafterin der Prinzessin Xaver?
Ei, bewahre! meinen Sohn abgerechnet, habe ich niemals eins von diesen genannten Leuten gekannt.
Haben Sie diese Gallerie denn geerbt?
Nein.
Gekauft also?
Ja, nach und nach, in einer Reihe von Jahren.
Sind Sie denn so reich?
Bewahre, ich habe nur ein sehr mäßiges Einkommen.
Wie haben Sie also so kostbare Bilder zusammenkaufen können?
Durch Prophezeiung.
Was verstehen Sie darunter?
Sehen Sie, Herr Director, sagte die Mühlen, ich habe die wunderbare Gabe, daß ich es weiß, wo es gute, seltene Bilder giebt. Sei es auf dem Trödel, in einer schlechten Boutike, oder irgendwo in einem unansehnlichen Hause. Diese alle habe ich billig erhalten, und so ist meine Gallerie entstanden. Diese Frau kann mir bezeugen, wie ich vor einiger Zeit von ihr einen unschätzbaren Van Eyck für drei Goldstücke erstand, der wohl zweitausend werth ist. Sie hätte ihn mir für Einen Thaler gelassen.
326 Reishelm sah die andern Maler mit einem forschenden Blicke an und diese erwiederten ihm mit Achselzucken. So geben Sie mir, sagte er dann, den Schlüssel zu dieser Ihrer Gallerie. Die Frau zögerte, doch der Richter fügte mit strengem Tone hinzu: Es ist unmgänglich nöthig, und ich ersuche, keine Umstände zu machen, sonst werden Sie doch zu Dem gezwungen, was Sie jetzt noch freiwillig thun können. Die Alte fand sich in die Nothwendigkeit, sie ging seufzend und mit schwerem Herzen voran, um gegenüber des Wohnzimmers das größere aufzuschließen, in welchem alle Bilder enthalten waren. Alle waren gespannt, vorzüglich drückten die Gesichter der Maler die größte Erwartung aus. Mit Zittern steckte die Besitzerin den Schlüssel in die Thür, sie drehte den Riegel zurück, das Gemach that sich auf und Alle traten mit weit geöffneten Augen in den bunten Raum, wo Bild an Bild hing und Rahmen den Rahmen drängte. Wie es zu geschehen pflegt, daß nach gespannter Erwartung ein stummes Staunen, ein wortloses stumpfes Verwundern die Sinne hinhält und das Bewußtsein, welches sich noch nicht wiederfinden kann, fast auflöset: so geschah es auch hier. Die Maler sahen sich um, waren ganz ruhig, beschauten wieder die Wände, und indem jetzt Reishelm den prüfenden Blick von den Bildern zurückzog und seine Kunstgenossen mit einer wunderbarlichen Miene ansah, brachen Alle in ein so lautes und unauslöschliches Gelächter aus, daß der älteste dieser Maler sich auf das dort stehende Bett fallen ließ, um in der angreifenden Erschütterung nicht auf den Boden zu stürzen. Eine Pause trat ein und nach dieser wieder ein schallendes Lachen, ein kleiner Ruhepunkt, und zum dritten Male ertönte in den mannigfaltigsten Tönen das seltsame Chor dieses Gelächters. Die Frau Mühlen stand als eine 327 Bildsäule der Verwunderung da, weil sie sich diese unerschöpfliche Ergießung der Lust durchaus nicht erklären konnte, und Martin, der die Ursache dieser Explosion zu begreifen schien, versank noch tiefer in Demuth und Beschämung.
Jetzt sagte der Director Reishelm, indem er die Thränen von den Augen trocknete: Verzeihen Sie, liebe Frau, diesen Ausbruch, welchen uns die getäuschte Erwartung erregte. Sein Sie nicht gekränkt, denn über den ersten Affekt hat man niemals hinreichende Gewalt. In dem ruhigen, ungestörten Besitz dieser Gallerie werden Sie immerdar verbleiben können. Wir glauben Ihnen gern, daß Sie für diese Bilder nur weniges Geld gegeben haben, und ich fürchte sogar, daß Sie zu den allergeringsten Preisen noch viel zu theuer bezahlten. Macht es Ihnen Vergnügen, diese Dinge da für wirkliche Gemälde zu halten, so lassen Sie sie ruhig hängen, sonst rathe ich Ihnen, sie wieder auf den Trödel hinzuschaffen und sich zu freuen, wenn Sie für den ganzen Kram nur wenige Groschen wiederbekommen.
Die alte Frau war vernichtet. Der alte Emmrich, der sich indessen umgesehen hatte, trat jetzt hervor und sagte: Sacht! sacht, Herr College! wer wollte doch so absprechend und übereilt urtheilen. Zu meinem freudigen Erstaunen finde ich hier so manche meiner Jugendarbeiten wieder, die schon längst meinem Gedächtniß entschwunden waren. Und wie gut ist Alles an diesen Sachen von mir gedacht, wie wacker ausgeführt, die Conception poetisch und die Arbeit liebevoll und fleißig, die Zeichnung richtig, die Gewandung großartig und das Colorit ganz der alten Meister würdig. Die Zeit und der Staub haben nun noch die gehörige Bräune hinzugefügt, so daß diese Werke meiner Phantasie allerdings wohl für Galleriebilder gelten können. So ist hier diese 328 treffliche Kreuztragung, mein allererster Versuch, als ich es noch nicht einmal verstand, die Farben auf die Palette zu setzen. Kann man von einem jungen Genie mehr verlangen?
Friederike trat hinzu. Dieses? fragte sie. – Allerdings, antwortete der Alte. – Das ist dasselbe, versetzte sie mit ihrem lebhaften, aufdringlichen Ton, welches wir neulich von der fremden Frau für drei Goldstücke kauften und für einen ganz vorzüglichen Van Eyck hielten. – Der greise Emmrich bückte sich sehr höflich vor der Frau Mühlen und sagte: Hat Aehnlichkeit, nur ist es in der Zeichnung correcter. Sie, liebe Frau, scheinen bei alle dem einen feinen Sinn für die Kunst zu besitzen.
Nach wenigen Fragen des Richters, welcher jetzt Alles aus einem andern Gesichtspunkt ansah, ergab sich die völlige Unschuld der Familie Mühlen, den Sohn Martin mit eingerechnet, welcher gestraft genug wurde, indem er von allen Staffeln seiner Hoffnungsleiter, die ihn so hoch zu tragen schien und die unter ihm zerbrochen war, bis tief auf den Boden hinuntergestürzt war.
Man verabschiedete sich von der Witwe, und der Richter sowohl wie der Professor Reishelm begaben sich zum Fürsten Xaver, um diesem die Resultate ihrer Untersuchung mitzutheilen.