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Novelle.
Es lebte in Northumberland ein reicher Gutsbesitzer mit seiner einzigen Tochter. Da sie eine reiche Erbin war, so wurde das wohlgebildete Mädchen von vielen jungen und ältern Leuten aus der vornehmen Welt aufgesucht, die sie zur Gattin wünschten. Sie war mit Allen freundlich, so wie aber die Rede auf diesen Gegenstand kam, so wie ihr einer von Liebe sprach, wendete sie sich von ihm mit großer Strenge ab, vermied seinen Umgang und war gegen ihn so kalt und gleichgültig, daß der beschämte Freier das Schloß des Vaters nicht wieder besuchte und sich gern aus der Gegend entfernte.
Florentine war groß und schlank, die Farbe ihres Gesichtes von dem reinsten Weiß, die feinen Lippen von frischer Röthe, und das Haar, das sie in kurzen Locken um Stirn und Nacken fliegen ließ, rabenschwarz; eben so dunkel waren die feingezogenen Augenbraunen, das braune Auge blickte Jeden heiter und freundlich an, verwandelte sich aber in den finstersten Ernst, wenn Jemand die gewöhnliche Höflichkeit in den Ton der Zärtlichkeit umstimmen wollte. Sie sah sich gern zu Pferde, ritt auch oft ohne Begleitung, die Einsamkeit schien ihr überhaupt lieber, als der Umgang selbst von interessanten Menschen. Die gewöhnlichen weiblichen Arbeiten vernachlässigte sie fast ganz und schien sie zu verachten, eben so kümmerte sie sich wenig um die unterhaltenden Bücher und kannte die Poeten, selbst die ihres Vaterlandes, fast gar nicht. Astronomie beschäftigte sie am meisten, und in der Nacht war sie fleißig auf dem Observatorium, welches der Vater ihr auf einem der Thürme des Schlosses hatte bauen lassen. Sie las die wichtigsten Werke dieser Wissenschaft und stand, der Instrumente wegen, und um sich in Briefen über schwere Fragen zu unterrichten, mit den berühmtesten Astronomen, auch des Auslandes, in Korrespondenz, denen sie in lateinischer Sprache schrieb, welche sie schon seit ihrer frühen Jugend mit großem Eifer erlernt hatte. Mathematik war ihr natürlich nicht fremd, und wie andre Mädchen sich in ihren Lieblingsdichtern und den geistreichen Darstellungen der Leidenschaft vertiefen, so saß sie am liebsten, welches ihr die schönsten Stunden waren, über sehr verwickelten algebraischen Aufgaben, suchte die schwierigsten zu lösen, und vergaß dann die Welt um sich her. Von diesen Studien wußten aber nur wenige Menschen, weil sie selber nie davon redete; der Vater hielt sein Versprechen, dieser Sonderbarkeit gegen Niemand zu erwähnen, und so geschah es, daß mancher Besucher sie für einfältig, unwissend und ungebildet hielt, wenn sie von dem, was im täglichen Leben gesprochen wird, so gar Nichts wußte, kein Buch kannte, sich für kein Gedicht, für keinen Roman interessirte; so wie sie im Gegentheil manchen ihrer Bewerber, manchen feinen Mann, der für hochgebildet galt, im Stillen verachtete, wenn er so oft, ohne sich deß zu schämen, über alle jene Gegenstände, in welchen sie erfahren war, die tiefste Unwissenheit verrieth.
Dieser Charakter wurde so wenig verstanden, daß man sie in der Gegend dort nur die schöne Wilde nannte. Die Frauen fürchteten sich vor der hohen edeln Gestalt und ihren dunkeln durchdringenden Augen, und wenn es irgend möglich war, vermied Florentine die weiblichen Gesellschaften ganz, deren Gespräche sie eigentlich nicht verstand, und deren Tugenden wie Fehler ihr auch so geringfügig schienen, daß sie von beiden keine Kenntniß nehmen mochte.
Der verständige Vater, der sein einziges Kind innig liebte, hatte schon längst im Stillen vielen Kummer darüber, daß er dieses schöne Wesen so wunderbar sich entwickeln und in seinen Eigenthümlichkeiten immer fester und sicherer werden sah. Er hatte immer gehofft, daß irgend einer der schönen und liebenswürdigen Jünglinge, die sich um sie bewarben, ihr Herz rühren und den starren Sinn brechen würde, aber je reizender die jungen Männer waren, je leichter sie durch ihre Eigenschaften andre Schönheiten gewannen, um so bestimmter und kälter wendete sich Florentine von ihnen ab und erklärte einmal ihrem Vater, diese Wesen seien eben so wenig Männer als Frauen und erschienen ihr wie eine Art von Sylphen oder Feen, von denen sie in ihrer Kindheit einmal hatte reden hören, und die die Natur recht eigentlich nur auf den Putz geschaffen habe, um mit ihnen die leichte Jugend einiger Närrinnen auszuschmücken. Nachher veralte freilich dieser Putz viel schlimmer, als ein alltägliches, grob gewebtes Kleid. Was früher, im Zustand der Neuheit, reize, sei abgetragen und vernutzt, abgeschmackt; dies scheine ihr die traurigste Verirrung der Menschen.
Der Gram des Vaters war noch gesteigert worden, als ein edler Mann, von reifen Jahren, auf Reisen gebildet, ernst und gesittet, sich um die Hand der schönen Tochter bewarb. Da Lord Falmouth schon die Art und Weise Florentinens kannte, so hütete er sich, ihr den zärtlichen Liebhaber darzustellen, was seinem festen männlichen Wesen schon von selber ziemlich fern war. Indessen hoffte er, sie an sich zu gewöhnen, und sich ihr nach und nach unentbehrlich zu machen, durch seine Ergebenheit und Aufmerksamkeit ihr starres Gemüth zu zähmen, und endlich, wenn sie von seiner unwandelbaren Treue und ächten ehrfurchtsvollen Liebe überzeugt sei, ihr Herz zu rühren. Florentine hörte auch den feinen Mann von seinen Reisen gern erzählen. Lust und Neigung, auch Verhältnisse hatten ihn in alle Länder, in alle Theile der Erde weit herum geführt. Er konnte ihr von dem Zustande der Menschen auch in den entferntesten Zonen anschauliche Berichte geben, er konnte ihr die Sitten und Gebräuche der wilden und halb gebildeten Völker malen, seine Schilderungen von den verschiedenen religiösen Secten waren ihr lehrreich, mit der größten Aufmerksamkeit hörte sie diese Berichte und verglich das Sonderbare der fremden Länder gern mit dem, was ihr als einheimisch vertraut war. Ihr klarer, freier Sinn ergötzte sich an diesen Erzählungen, weil durch diesen vielseitig unterrichteten Mann, der die Gabe des Vortrages in einem hohen Grade besaß, ihre Phantasie allenthalben wie zu Hause wurde. Was sie noch inniger an ihn schloß, war, daß er ebenfalls in Mathematik, Mechanik und Astronomie für gelehrt gelten konnte, die Schiffsbaukunst hatte er mit Vorliebe studirt, Seekarten hatte er auf seinen Reisen ausgearbeitet, und Florentine hörte in diesen Gebieten, wo sie schon einheimisch zu seyn glaubte, von ihm viel Neues, was ihre Wißbegierde mit brennendem Eifer auffaßte. Noch nie war ihr ein Mann so interessant gewesen; aber was dem Vater sonderbar auffiel, noch keinem war sie mit dieser schroffen Härte begegnet, wenn das Gespräch sich nur irgend von wissenschaftlichen Gegenständen entfernte und sich dem Tone freundschaftlicher Vertraulichkeit näherte. Der Lord, der über alle Verirrungen der Jugend und des schwärmenden Herzens hinweg zu seyn glaubte, und lange nur eine zarte, innige Liebe für das wunderbare Wesen empfunden hatte, ward durch die Erfahrung überrascht, daß eine brennende, heftige Leidenschaft immer ungestümer erwachte und ihn zu zerstören drohte, und mit solcher Gewalt und Tyrannei über alle Entschlüsse und Vorsätze siegte, wie er selbst in seiner stürmischen Jugend die Kraft der Liebe nicht erfahren hatte. Es war ihm unmöglich, in allen Stunden dieses verzehrende Feuer zu verbergen; aber so wie er nur ein Wort, einen freundlichen Blick wagte, zog sich Florentine verachtend zurück und begegnete allen seinen Gesprächen noch lange nachher mit dem feindseligsten Gemüthe. In einsamen Stunden war der Lord wohl der Verzweiflung hingegeben, weil er es mit der größten Bestimmtheit fühlte, daß sein inneres Wesen schon so mit seiner Leidenschaft und dem herben hochherzigen Wesen Florentinens verwachsen sei, daß eine Trennung von ihr ihm mehr als Tod schien, und doch mußte er alle Hoffnung aufgeben, sie jemals seinen Wünschen geneigt zu machen. Kam es ihm in vielen Augenblicken doch sogar vor, als ginge in der That das Schönste und Eigentümlichste in Florentinen zu Grunde, wenn sie sich entschließen könnte, als Gattin und Mutter in die gewöhnliche Bahn des Lebens zu treten: ihm war in solchen Momenten der Betrachtung, als dürfe er es selbst nicht wünschen. Dann erwachte wieder die ganze Kraft der Leidenschaft, welche ihm sagte, daß sein Gemüth für alle Zukunft hinaus keinen andern Wunsch mehr hegen könne, als nur den, sie zu besitzen. Je klarer, ruhiger sie war, um so verwirrter und aufgeregter fühlte er sich ihr gegenüber. Eine Stimmung, die sich verfinsternd über sein ganzes Sein ausbreitete, machte ihn oft den Tod wünschen, indem er das Leben verachtete und haßte.
Der Vater, der sein zerrissenes Wesen wohl bemerkte, suchte ihn nicht selten zu trösten. In einer vertraulichen Stunde sagte er dem tiefbekümmerten Lord: Freund, ich leide mit Ihnen, wenn ich sehe, daß Sie sich so verzehren. Auch Ihr Charakter, Alles, was in Ihnen schön und edel ist, muß in dieser Verwirrung zu Grunde gehn. Wüßte ich nur ein Mittel, Sie zu erheitern und zu zerstreuen, oder meinem unglücklichen verwilderten Kinde eine menschlichere Gemüthsstimmung zu geben!
Wie nur, antwortete der Lord, aus seiner Zerstreuung auffahrend, ist dieses hohe Gemüth, dieser starke Sinn zu dieser Härte und Schroffheit gelangt, die wilder jungfräulich als Diana und Minerva sich zeigt, da diese Bilder doch den höchsten Inbegriff der unverletzten Jungfräulichkeit darstellen sollten?
Der Vater nahm das Wort: so sehr ich auch durch Jahre der Beobachtung an die Art und Weise meiner Tochter gewöhnt seyn sollte, so erstaune ich doch oft von neuem, wenn ich ihr Wesen betrachte, das ich wohl zu verstehen glaube, das mir aber dennoch immer fremd bleibt. Schon in frühester Jugend war sie sehr ernst, und konnte sich nicht mit Puppen oder anderem kindischen Spielzeug beschäftigen. Auch Bücher, Erzählungen und Gedichte interessirten sie nicht. Durch einen wackern Pfarrer gerieth sie in die mathematischen Wissenschaften. Ihr Studium war unermüdet, und ich, der ich für diese Sachen nicht sonderlich Sinn habe, mußte sie bewundern, denn bald war sie ihrem Lehrer zu gelehrt geworden. Ein Professor aus Edinburg lebte lange in unserem Hause, da er aber, noch nicht alt, zu freundschaftlich und zärtlich wurde, mußte ich ihn auf ihr dringendes Verlangen wieder entfernen. Als der Sinn der reifenden Jungfrau erwachte und sich des Geheimnisses des Lebens bewußt wurde, ward sie so melancholisch, daß ich für ihre Gesundheit oder für ihren Verstand ernsthaft besorgt werden mußte. Es kommt sehr viel darauf an, in welchem Moment, unter welchen Umständen das junge Gemüth über die Bestimmung des Daseins, der Geschlechter und von den Verhältnissen des Lebens unterrichtet wird. Wir sprechen, schreiben so viel über Erziehung, die deutsche Nation soll ganze Bibliotheken darüber besitzen, aber der soll noch geboren werden, der über den sonderbaren Punkt Auskunft giebt, auf welche Art der unwissenden Unschuld jener Witz der Natur, die Sache, die zugleich heilig und gemein ist, auf die richtigste Weise beigebracht werden kann. Ich weiß wohl, daß manche Eltern und Lehrer roh und fast frech dabei zu Werke gehn und die Phantasie auf lange vergiften; schlimmer mag es freilich seyn, dem Zufall den Unterricht zu überlassen, dessen Bosheit sich dann wohl niedriger Menschen und Domestiken bedienen kann, die gemeine Lüsternheit zu wecken. Unter unserer Obhut und den Augen meiner züchtigen Gattin war das Mädchen nun groß geworden und über seine Jahre verständig. Ein anatomisches Buch unter den lateinischen Werken hatte sich zu ihr verirrt und ihre Wißbegier hatte sich des Inhalts bemeistert; denn daß ich die lüsternen und anstößigen Dichter ihr verbarg, werden Sie mir ohne meine Versicherung glauben. Meine Gemahlin war schon gestorben, als Florentine damals von jener tödtlichen Melancholie befallen wurde. Als sie nach vielem vergeblichen Zureden endlich den Muth faßte, sich mir etwas zu vertrauen, und mehr ihre Beschämung als ihr Wort sprach, sah ich nun wohl ein, daß sich ihr auf lange das Leben verfinstert hatte und die erste und feinste Blüthe des Daseins verduftet war. Der Zauber der Kindheit war dahin und ich hoffte, daß die Liebe und ihre Sehnsucht, der Rausch des Herzens eine neue frischere Blume hervortreiben würden, daß sie den Pfad finden solle, auf welchem die jungen Gemüther von selbst, im poetischen Leichtsinn und in süßer Trunkenheit, der Bestimmung des Lebens entgegen gehn und ganz der Forderung der Natur gemäß, erst tändeln, dann lieben, im Brautstande selig und als Mütter glücklich sind. Ich erfuhr aber zu meinem Schmerz, daß keine Erziehung, keine Ermahnung, keine noch so verständige und consequente Richtung etwas vermögen, wenn eine wahre Selbstständigkeit, ein Charakter, ein eigenthümliches Wesen sich aus seinem Innern nach nothwendigen Gesetzen entwickelt. Es wurde immer deutlicher, daß das junge kräftige Wesen nicht mit jenem poetischen Leichtsinn begabt war, der vielleicht nothwendig ist, um uns in unserer sonderbaren Existenz mit Leichtigkeit zurecht zu finden, daß sie sich durchaus nicht mit den Bedingungen des menschlichen Daseins versöhnen konnte, daß diese physischen Bedingnisse, die Abhängigkeit vom Irdischen sie immerdar beschämten und diese Scham in einen Groll gegen das Leben selbst verwandelten. So ist ihre Beschäftigung, ihr Studium gleichsam eine fortwährende Zerstreuung, um sich vor sich selbst zu verbergen. Ihr Zustand ist nichts andres, als eine wahre Gemüthskrankheit; wie wir denn so Alles nennen müssen, was sich nicht in jene bewußte und unbewußte Resignation fügen will, in der wir mit Tändeln, Passivität, Beschäftigung, Leiden und Freuden die seltsame Basis unseres Lebens vergessen, wo Lust und Scherz mit der Verwesung liebäugelt. Sind doch, wenn man sich dieser Stimmung hingiebt, auch Philosophie und Religion nur Zerstreuung; die wahre einzige Beruhigung giebt es nur im Tode.
Der Lord sah den Freund mit einem langen prüfenden Blicke an. Wenn es so ist, sagte er endlich, so hat sie vieles von diesem Krankheitsstoff vom Vater geerbt. Zum Glück, daß alle unsere Gefühle stärker sind, als diese finstern Stimmungen, und je natürlicher man fühlt, um so stärker. Oder auch wohl zu unserem Unglück. Denn es ist ja gewiß, daß, wenn ich diese Unruhe der Sehnsucht, diese Ahndungen, die aus dem Himmel selbst zu stammen wähnen, dieses Feuer, in welchem alles Leben mit seinen Kräften auflodert, nicht in ihren Armen mildern und verklären kann, ich der unglückseligste der Menschen bin. Das ist ja eben die Liebe, daß das einzige Wesen ganz aufgeht in meinem Herzen, daß ich ganz in ihm bin und mich fühle, und daß ich dennoch, um nicht zu vergehn, dieses Bewußtsein des Einzigen, Nahen durch die innigste Verbindung wieder in ein Fremderes mildern und sänftigen muß. In den Kindern wächst und blüht dann das Jugendgeheimniß wieder reizend und schön um uns her, und die Liebe des Gatten und Vaters erhebt unser sehnsüchtiges Herz alsdann zu einer andern Region, wo es sich wieder verklärt und erheitert.
Wir bemühen uns, erwiederte der Vater, das auszusprechen, was man immer nur andeuten kann. Wie wir fast Nichts im Leben vorher berechnen können, so ändert ein glücklicher Zufall, ohne unser Zuthun, vielleicht Alles.
Freilich sollen wir uns über Alles trösten und beruhigen, antwortete der Lord, so spricht man uns ja immer vor, und wenn wir es nicht können, sind wir Thoren, aber auch, wenn wir es vermögen, eben nichts Besseres. Das ist das Ende alles Tiefsinns.
Die Männer schieden von einander, und bald darauf ging der bekümmerte Vater auf das Zimmer seiner Tochter. Sie hatte sich eben zum Ausreiten angekleidet und drückte den grünen Hut mit den schwankenden Federn auf die schwarzen Locken. Als der Vater eintrat, setzte sich die große Gestalt, die ihn fast überragte, wieder zu ihm. Das Gespräch nahm bald eine Wendung, die nicht ungewöhnlich war. Liebster Vater, sagte sie endlich, lassen Sie mir meine Freiheit. Warum soll ich mich an irgend einen Mann, auch wenn er mir als Freund wohlgefällt, wegwerfen? Ist denn die Ehe wirklich die Bestimmung aller weiblichen Wesen? Ich glaube es nicht. Ich bin nur in der Lage glücklich, in welcher ich mich jetzt befinde. Der Himmel erhalte Sie mir nur lange; nachher muß ich selbst für mich sorgen, und nach meinem Tode kann das Vermögen, das zurückbleibt, manchem ärmern Verwandten zu Gute kommen. Auch mögen Sie, Liebster, schon über einen Theil, oder über so viel Sie wollen, Ihre Anordnung treffen; was ich brauche, wird mir immer bleiben. Wenn Sie wüßten, welches Grauen ich vor diesem Leben empfinde, wie ich es die meisten Menschen führen sehe, Sie würden niemals, auch nur mit einem Worte noch, in mich dringen. Wenn die Menschen freier und weniger Sklaven der Leidenschaft oder der Gewohnheit wären, sich nicht von Kleinigkeiten, Tand und dem nichtigen Flitter des Lebens beherrschen ließen, so möchte ich ein Kloster für Jungfrauen von meiner Gesinnung stiften.
Nach einigen Worten nahm sie Abschied, und der Vater sah mit Kummer und Freude der Heldengestalt nach, wie sie auf dem großen Rosse rasch über den Hügel hinritt, nur allein vom Lord Falmouth begleitet. Dieser fand sie heut schöner, als jemals, aber dennoch faßte er den Entschluß, sich schon morgen zu entfernen, um zu erfahren, ob er die Trennung ertragen, oder ob sie wohl sogar seine Leiden vermindern würde. Als sie im Walde waren und langsamer neben einander ritten, ließ er einige Winke von seinem Vorsatz fallen. Florentine war befremdet. Daß seine Abreise möglich sei, war ihr noch gar nicht beigekommen, so sehr hatte sie sich an seine Gesellschaft gewöhnt. Als Lord Falmouth hiervon Gelegenheit nahm, seine Wünsche nur aus der Ferne anzudeuten, brach sie kurz ab und fing ein anderes Gespräch an. So kamen sie nach verschiedenen Wendungen der Rede auf die Herrscher, welche in der Geschichte berühmt sind. Florentine sagte, indem sie sich auf den Rückweg begaben: von allen den Sterblichen, welche jemals den Scepter geführt haben, und von denen ich in meiner beschränkten Kenntniß etwas erfahren habe, hat Keiner so ganz meine Bewunderung und Liebe, wie unsere englische hochgesinnte Königin Elisabeth. Daß sie klug und vorsichtig gegen die größten Monarchen von Europa zu kämpfen hatte, ist es nicht, was zumeist meine Bewunderung erregt, auch nicht der feste Sinn, mit dem sie unter so vielen streitenden und mächtigen Parteien den Glauben aufrecht erhielt, der ihr der rechte dünkte, oder der ihrem klugen Ueberblick am meisten zu statten kam; nein, das hat ihr mein ganzes Herz erworben, daß sie unvermählt blieb, so dringend auch mehr als einmal die Veranlassung schien, daß sie sich gefangen geben sollte. Und herrlich ist es, daß ihr Auge nicht für die Vorzüge der Männer blind war, unter denen sie manchem ausgezeichneten großen Geiste ihr Vertrauen und ihre Freundschaft schenkte. Scheint es doch, als wenn ihr Wohlwollen für mehr als einen eine Richtung genommen habe, die Mancher wohl poetisch, romantisch oder leidenschaftlich nennen möchte. Doch wenn ihr Herz sich auch ganz den Eindrücken jener edeln oder schönen Geister hingeben konnte, so blieb darum doch ihr Sinn und ihre Freiheit unbewegt. Was einige elende Lästerer von ihr haben fabeln wollen, ist so gemein, daß es selbst meiner Verachtung zu niedrig dünkt. Aber freilich ist es wohl nur einer so großen Königin gegönnt, daß sie Freunde und vertraute Freunde haben darf, mit denen sie in glücklicher Freiheit lebt. Nur auf dieser hohen Stelle kann sie, ohne zu sehr zu kränken, jeden, der ihre Zärtlichkeit in Anspruch nehmen will, in die Bahn zurückweisen, die ihm und ihr geziemt. Eben dies war Elisabeths Glück und ihr Ruhm. –
Und Sie wollen abreisen? fragte Florentine, als sie dem Schlosse schon ziemlich nahe waren. – Ich muß und will, antwortete der Lord, und werde es auch thun, obgleich ich noch nicht weiß, wie ich werde leben können. Aber besser, es entscheide sich, wie es auch sei, als so den abwechselnden Foltern Preis gegeben zu seyn.
Freilich, antwortete sie mit flammenden Augen, muß ein verständiger, edler Mann, für den ich Sie immer gehalten habe, seine Kenntnisse, Gedanken, Erfahrungen, alle seine guten Eigenschaften aufopfern, um auch jene Reden zu führen, die man so oft von den männlichen Kindern hört. Sie spielen den Beleidigten, Gekränkten: und was habe ich Ihnen gethan? Was kann ich für Ihre Wünsche, die zu bilden ich Ihnen keine Veranlassung gab? Jene Wünsche, Seufzer, Artigkeiten und allen den Tand, der aus dem Munde unerfahrner Jünglinge mir so lästig gewesen ist! Der verständige, erfahrne Mann sollte mit diesen nicht in demselben ausgetretenen Geleise der Thorheit wandeln.
Falmouth sah sie fest und mit einem sonderbaren Blick an. Er konnte seinen Zorn nicht ganz zurückhalten. Ich fürchte, rief er aus, und der Himmel wende ab, was ich ahnde, ein Laffe, ein Nichtswürdiger wird diesen wilden Falken einmal zähmen, denn auch dem stolzesten Herzen schlägt endlich seine Stunde.
Sterben eher! rief sie mit dem heftigsten Ausdruck des Widerwillens. Sie selbst wollen mir es recht leicht machen, Ihre Abwesenheit zu ertragen. So leben Sie denn wohl!
Sie trieb das Pferd an, und Beide waren im höchsten Unmuth bald vor dem Schlosse angelangt. Er stieg ab, um ihr zu helfen, sie wendete sich mit dem Ausdruck des höchsten Unwillens, sie wollte sich eilig vom Pferde schwingen, und das Reitkleid blieb fest am Sattelbogen, ein Moment, und sie stand halb nackt vor dem Erstaunten. Mit einer Schnelligkeit, die unmöglich schien, rannte sie ins Haus und der Lord gab die Pferde ab und begab sich nachdenkend träumend in den Park.
Das Seltsamste, alle gewöhnliche Sitte Aufhebende, war für einen Augenblick dem sprödesten aller Wesen begegnet. Wußte Falmouth jetzt, so wie kein Anderer, wie schön sie sei, so konnte er auch darauf rechnen, daß sie ihn von diesem Moment, der wie ein Blitz vorüber geeilt war, für ihr ganzes Leben mehr als irgend einen andern Sterblichen hassen würde. Auf die sonderbarste Weise war ihm eine Gunst widerfahren, die sein Herz trunken machte, und die er sich doch so wenig aneignen durfte, daß ihm diese Begebenheit nur um so gewisser seinen Scheidebrief schrieb.
Er wollte sein Pferd fordern, denn es schien ihm unmöglich, sie heute wenigstens zu sehn, er wollte reisen, um vielleicht nach einigen Wochen wiederzukommen, als ihm der Vater Florentinens begegnete, der gekommen war, ihn aufzusuchen. Sie dürfen heute nicht fort, sagte dieser, meine Tochter ist krank, hat sich niedergelegt, wie die Dienerin sagt, unter Vergießung unzähliger Thränen: sie soll zittern, leichenblaß seyn und wie irre sprechen, doch will sie mich nicht zu sich lassen; den Arzt, der ein Fieber befürchtet, hat sie mit Heftigkeit von sich geschickt. Alle Vorhänge, die Fensterladen sind geschlossen, so in einsamer Finsterniß liegt sie schluchzend und entzieht sich jeder Hülfe wie jedem Trost.
Der Lord wich allen Fragen aus, was vorgefallen seyn könne, er gestand nur, daß es einen kleinen Streit gegeben, wie er sich schon oft zwischen ihnen ereignet habe, behandelte aber jenes Ereigniß, so wenig es diesem auch glich, wie das heiligste Geheimniß der Liebe. – So müssen Sie mir Gesellschaft leisten, fuhr der Vater fort; wenigstens jetzt noch nicht, bis meine Tochter wieder besser ist, an Ihre Abreise denken.
Florentine erschien an diesem Tage nicht, auch am folgenden ließ sie sich vor Niemand sehn, selbst die vertraute Dienerin durfte nicht zu ihr, jede Nahrung wies sie zurück. Der Arzt ward nicht vorgelassen. Am dritten Tage durfte ihr dieser, der sie nicht krank fand, etwas verschreiben; sie genoß nur Weniges.
So verging eine Woche. Der Vater, welcher fürchtete daß sie in dieser ihm unbegreiflichen Aufregung wahnsinnig werden könne, wollte eben zu ihr gehn, um sich, wenn es nöthig seyn sollte, mit Gewalt den Eingang in ihre Zimmer zu eröffnen, als sie selbst mit ziemlich heitrer Miene in die Bibliothek zu ihm trat. Der Vater umarmte sie mit einer Herzlichkeit und Freude, als wenn sie ihm nach einer tödtlichen Krankheit wieder geschenkt wäre.
Liebes Kind, fing der Vater nach einiger Zeit an, indem er sie genauer betrachtete, was war Dir nur in dieser Woche? Wie ist es Dir ergangen? Warum hast Du Dich mir entzogen? Wie konntest Du mir diesen Kummer machen, da ich jetzt wirklich sehe, daß Du nicht krank gewesen bist?
Er, der Lord, sagte sie erröthend, hat Ihnen Nichts erzählt? Sie wissen es wirklich nicht?
Weiß er, mein Freund, erwiederte der Vater, etwas von Dir, was Du mir verschweigen konntest?
Sie erzählte ihm kurz und eilig das Ereigniß, und beschloß dann mit den Worten: und nun bitte ich Sie, lieber Vater, sagen Sie ihm, daß ich ihn heirathen werde, ihn heirathen muß.
Wie? rief der erstaunte Vater; mein Kind, so sehr Du dadurch meinen innigsten Wunsch erfüllen würdest, so bitte ich Dich, ja ich beschwöre Dich, Dein Wort wieder zurückzunehmen. Mache Dich nicht, aus einer zarten Schaam, aus einem überspannten Gefühl, zeitlebens unglücklich. Du hast es hier mit keinem unbesonnenen Jünglinge zu thun, der sich für Deine Sprödigkeit vielleicht dadurch zu rächen suchte, daß er Dich durch Erzählung dieses Unfalls lächerlich machte: ein edler, ernster Mann ist der Lord, dessen Zartgefühl ihm selbst nicht erlaubt hat, mich, den Vater, zum Vertrauten zu machen.
Und wenn er der elendeste Laffe wäre, rief Florentine heftig aus, so müßte ich sterben, oder er müßte mein Gemahl werden. Wenn auch nie ein Wort über Falmouths Lippen geht, so ist es doch in seiner Erinnerung, in seinem Wesen, was nur mein Mann wissen darf. Er ist edel, er liebt mich –
Aber, rief der Vater, noch keinem Deiner vielen Freier bist Du so schnöde begegnet, jeden andern hast Du mehr ausgezeichnet. Du machst Dich elend, Dein Widerwille, Dein Haß gegen diesen Mann, der freilich kein Jüngling mehr ist, mußte einem Jeden auffallen, der Dich auch nicht so oft, nicht so aufmerksam beobachten konnte, als Dein Vater.
Sie umarmte den Allzubesorglichen, innig von seiner Liebe gerührt, da sie wußte, was es ihn kostete, ihr abzurathen. Wie er sie zärtlich an sich drückte, weinte sie heftig und erschüttert an seiner Brust, wich dann zurück und sagte unter Thränen: Ach, Liebster, jetzt erst, seit ich meinen Entschluß gefaßt habe, weiß ich es, daß ich ihn liebte. Ich liebte ihn, so wie er zum ersten Mal unser Haus betrat. Das Gefühl ängstigte mich eben, und ich wollte ihn dafür bestrafen, daß er mich mir selbst entwendet, daß er mich den Gefühlen untreu gemacht hatte, die ich für meine besten hielt. Wie gerührt war ich oft in der Einsamkeit, wenn ich mich seiner Blicke, seiner schönen Worte, seines tiefen Gefühls und seiner Schüchternheit erinnerte. Ich nahm mir vor, milder zu seyn; so wie ich aber seiner ansichtig wurde, gewann mein wilder Sinn wieder die Oberhand. Ja, es stachelte ein Etwas, eine Bosheit in meinem Herzen, daß ich nicht ruhen konnte, bis ich ihn recht grausam gemißhandelt hatte. Geweint habe ich einige Mal des Nachts über meine eigne Schlechtigkeit. Sagen Sie ihm das Alles, lieber Vater, denn noch kann ich es ihm selbst nicht entdecken, so sehr auch mein ganzes Herz umgewendet ist. Nur wird er, wenn wir verbunden sind, nicht meine Freude an meiner Beschäftigung stören, er wird mich nicht nach den großen Städten und in das Geschwätz der Weiber hineinschleppen. Wir werden gemeinschaftlich die Bücher lesen, die ich liebe, wie er bis jetzt that, und ich werde gewiß von ihm die Poesie lieben lernen. Neulich lauschte ich im Nebenzimmer, als er Ihnen mit seiner vollen, schönen Stimme die rührende Ballade vorsang. Alles erzählen Sie ihm, Liebster, und bitten Sie ihn, daß er allen Zorn gegen mich fahren lasse und mir die Qualen vergebe, die ich ihm zufügte.
Wie erstaunte Lord Falmouth, als ihm diese Botschaft wurde, wie entzückt war er, daß ihm dieses unvermuthete Glück werden sollte. Er ging mit dem Vater zu ihr hinüber. Sie trat ihm heiter entgegen, der Vater legte ihre Hände in einander und sie umarmte den Geliebten zuerst freiwillig und drückte, das Antlitz ganz Röthe, zuerst den Kuß auf den theuren Mund, der sie so schweigsam geschont. Sie wurden das glücklichste Paar in der Provinz und sahen schöne Kinder und wohlgebildete Enkel in einem langen, stets heitern Leben.