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Gefängniszelle.
Kleiner Tisch, Bank und Eisenbett in Mauer eingelassen. Vergittertes Lichtloch durch Milchglas undurchsichtig. Am Tisch sitzt die Frau.
Die Frau O Weg durch reifes Weizenfeld
In Tagen des August...
Vormorgenwanderung in winterlichen Bergen...
O kleines Käferchen im Hauch des Mittags...
Du Welt...
(Stille breitet sich sanft um die Frau.)
Die Frau Sehnt ich ein Kind?
(Stille schwingt.)
Die Frau O Zwiespalt alles Lebens,
An Mann geschmiedet und an Werk.
An Mann... an Feind...
An Feind?
An Feind geschmiedet?
An mich geschmiedet?
Daß er käme... ich will Bestätigung.
(Die Zelle wird aufgeschlossen. Herein kommt der Mann.)
Der Mann Frau... ich komme.
Komm, weil Du mich riefst.
Die Frau Mann...!
Mann...
Der Mann Ich bringe frohe Kunde dir,
Nicht weiter dürfen Gossen ihren Sud
Auf deinen... meinen Namen willkürlich entleeren.
Die Untersuchung gegen jene Mörder
Ergab, daß schuldlos du am Frevel der Erschießung.
Sei mutig, noch ist Todesurteil nicht bestätigt.
Trotz Staatsverbrechen achtet rechtlich Denkender
Motive, edel, ehrenhaft.
Die Frau
(weint leise auf). Ich bin schuldlos...
Ich bin schuldlos schuldig...
Der Mann Du bist schuldlos.
Dem rechtlich Denkenden ist es Gewißheit.
Die Frau Dem rechtlich Denkenden...
Ich bin so wund...
Und froh, daß ohne Schmach dein Name...
Der Mann Ich wußte, daß du schuldlos.
Die Frau Ja... du wußtest...
Achtung vor Motiven... so wohlanständig bist du...
Ich seh dich jetzt so... klar...
Und bist doch schuldig... Mann,
Du... Schuldiger am Mord!
Der Mann Frau, ich kam zu dir...
Frau... dein Wort ist Haß.
Die Frau Haß? nicht Haß,
Ich liebe dich... ich liebe dich aus meinem Blut.
Der Mann Ich warnte dich vor Masse.
Wer Masse aufwühlt, wühlt die Hölle auf.
Die Frau Die Hölle? Wer schuf jene Hölle?
Wer fand die Folter eurer goldnen Mühlen,
Die mahlen, mahlen Tag um Tag Profit?
Wer baute Zuchthaus... wer sprach »heilger Krieg«?
Wer opferte Millionen Menschenleiber
Dem Altar lügnerischen Spiels der Zahl?
Wer stieß die Massen in verweste Höhlen,
Daß heute sie beladen mit dem Sud des Gestern,
Wer raubte Brüdern menschlich Antlitz,
Wer zwang sie in Mechanik,
Erniedrigt sie zu Kolben an Maschinen?
Der Staat!... Du!...
Der Mann Mein Leben Pflicht.
Die Frau O ja... Pflicht... Pflicht am Staat.
Du bist... wohlanständig...
Ich sagte ja, ich sehe dich so klar.
Du bist wohlanständig.
Du, sag den rechtlich Denkenden,
Sie hätten niemals Recht...
Schuldig sind sie...
Schuldig wir alle...
Ja, ich bin schuldig... schuldig vor mir,
Schuldig vorm Menschen.
Der Mann Ich kam zu dir.
Ist hier ein Tribunal?
Die Frau Hier wächst ein Tribunal.
Ich Angeklagte bin der Richter.
Ich klage an... und spreche schuldig,
Spreche frei...
Denn letzte Schuld...?
Ahnst du... wer letzte Schuld trägt?
Menschen müssen Werk wollen,
Und Werk wird rot von Menschenblut.
Menschen müssen Leben wollen,
Und um sie wächst ein Meer von Menschenblut.
Ahnst du... wer letzte Schuld trägt?...
Komm gib mir deine Hand,
Geliebter meines Blutes.
Ich hab mich überwunden...
Mich und dich.
(Zittern bricht aus dem Mann. Ein jäh aufquellender Gedanke zerwühlt sein Gesicht. Er taumelt hinaus.)
Die Frau Gib deine Hand mir...
Gib deine Hand mir, Bruder,
Auch du mir Bruder. --
Du bist gegangen... mußtest gehn...
Letzter Weg führt über Schneefeld.
Letzter Weg kennt nicht Begleiter.
Letzter Weg ist ohne Mutter.
Letzter Weg ist Einsamkeit.
(Die Tür wird geöffnet. Eintritt der Namenlose.)
Der Namenlose Vom Wahn geheilt? Zerstäubt die Illusion?
Drang Einsicht spitzer Dolch ins Herz?
Sprach Richter »Mensch« und »Ich vergebe dir«?
Heilsam war dir die Lehre.
Ich gratuliere zur Bekehrung. Jetzt wieder unser.
Die Frau Du? Wer schickt dich?
Der Namenlose Die Masse.
Die Frau Man hat mich nicht vergessen?
Die Botschaft... Die Botschaft...
Der Namenlose Mein Auftrag ist dich zu befrein.
Die Frau Befreien!
Leben!
Wir fliehn? Ist alles vorbereitet?
Der Namenlose Zwei Wärter sind bestochen.
Den Dritten, den am Tore, schlag ich nieder.
Die Frau Schlägst nieder... meinetwillen...?
Der Namenlose Der Sache willen.
Die Frau Ich hab kein Recht,
Durch Tod des Wächters Leben zu gewinnen.
Der Namenlose Die Masse hat ein Recht auf dich.
Die Frau Und Recht des Wächters?
Wächter ist Mensch.
Der Namenlose Noch gibt es nicht »den Menschen«
Massenmenschen hie!
Staatsmenschen dort!
Die Frau Mensch ist nackt.
Der Namenlose Masse ist heilig.
Die Frau Masse ist nicht heilig.
Gewalt schuf Masse.
Besitzunrecht schuf Masse.
Masse ist Trieb aus Not,
Ist gläubige Demut...
Ist grausame Rache --
Ist blinder Sklave...
Ist frommer Wille...
Masse ist zerstampfter Acker,
Masse ist verschüttet Volk.
Der Namenlose Und Tat?
Die Frau Tat! Und mehr als Tat!
Mensch in Masse befrein,
Gemeinschaft in Masse befreien.
Der Namenlose Der rauhe Wind vorm Tore
Wird dich heilen.
Eil dich,
Minuten bleiben uns.
Die Frau Du bist nicht Befreiung,
Du bist nicht Erlösung.
Doch weiß ich, wer du bist.
»Schlägst nieder!« Immer schlägst du nieder!
Dein Vater der hieß: Krieg.
Du bist sein Bastard.
Du armer neuer Henkermarschall,
Dein einzger Heilweg: »Tod!« und »Rottet aus!«
Wirf ab den Mantel hoher Worte,
Er wird papierenes Gespinst.
Der Namenlose
Die Mördergenerale kämpften für den Staat!
Die Frau Sie mordeten, doch nicht in Lust.
Sie glaubten gleich wie du an ihre Sendung.
Der Namenlose Sie kämpften für den Unterdrücker Staat,
Wir kämpfen für die Menschheit.
Die Frau Ihr mordet für die Menschheit,
Wie sie Verblendete für ihren Staat gemordet.
Und einige glaubten gar
Durch ihren Staat, ihr Vaterland,
Die Erde zu erlösen.
Ich sehe keine Unterscheidung:
Die einen morden für ein Land,
Die andern für die Länder alle.
Die einen morden für tausend Menschen,
Die andern für Millionen.
Wer für den Staat gemordet,
Nennt Ihr Henker.
Wer für die Menschheit mordet,
Den bekränzt ihr, nennt ihn gütig,
Sittlich, edel, groß.
Ja, sprecht von guter, heiliger Gewalt.
Der Namenlose Klag andre, klag das Leben an!
soll ich Millionen ferner unterjochen lassen,
Weil ihre Unterjocher ehrlich glauben?
Und wirst du weniger schuldig,
Wenn du schweigst?
Die Frau Nicht Fackel düsterer Gewalt weist uns den Weg.
Du führst in seltsam neues Land,
Ins Land der alten Menschensklaverei.
Wenn Schicksal dich in diese Zeit gestoßen,
Und dir die Macht verheißt:
Zu vergewaltigen, die verzweifelt
Dich ersehnen wie den neuen Heiland,
So weiß ich: dieses Schicksal haßt den Menschen.
Der Namenlose Die Masse gilt und nicht der Mensch.
Du bist nicht unsre Heldin, unsre Führerin.
Ein jeder trägt die Krankheit seiner Herkunft,
Du die bürgerlichen Male:
Selbstbetrug und Schwäche.
Die Frau Du liebst die Menschen nicht.
Der Namenlose Die Lehre über alles!
Ich liebe die Künftigen!
Die Frau Der Mensch über alles!
Der Lehre willen
Opferst du
Die Gegenwärtigen.
Der Namenlose Der Lehre willen muß ich sie opfern.
Du aber verrätst die Masse, du verrätst die Sache.
Denn heute gilts sich zu entscheiden.
Wer schwankt, sich nicht entscheiden kann,
Stützt die Herren, die uns unterdrücken,
Stützt die Herren, die uns hungern lassen,
Ist Feind.
Die Frau Ich verriete die Massen,
Forderte ich Leben eines Menschen.
Nur selbst sich opfern darf der Täter.
Höre: kein Mensch darf Menschen töten
Um einer Sache willen.
Unheilig jede Sache, dies verlangt.
Wer Menschenblut um seinetwillen fordert,
Ist Moloch:
Gott war Moloch.
Staat war Moloch.
Masse war Moloch.
Der Namenlose Und wer heilig?
Die Frau Einst...
Gemeinschaft...
Werkverbundne freie Menschheit...
Werk -- Volk.
Der Namenlose Dir fehlt der Mut, die Tat, die harte Tat
Auf dich zu nehmen.
Durch harte Tat erst wird das freie Volk.
Sühne durch den Tod.
Vielleicht dein Tod von Nutzen uns.
Die Frau Ich lebe ewig.
Der Namenlose Du lebst zu früh.
( Der Namenlose verläßt die Zelle.)
Die Frau Du lebtest gestern.
Du lebst heute.
Und bist morgen tot.
Ich aber werde ewig,
Von Kreis zu Kreis,
Von Wende zu Wende,
Und einst werde ich
Reiner,
Schuldloser,
Menschheit
Sein.
Der Priester Ich komme, letzten Beistand dir zu geben,
Auch dem Verbrecher wird der Schutz der Kirche nicht versagt.
Die Frau In wessen Auftrag?
Der Priester Die Staatsbehörde hat mich unterrichtet.
Die Frau Wo waren Sie am Tage des Gerichts?
Gehen Sie!...
Der Priester Gott vergibt auch dir. Ich weiß um dich.
Der Mensch ist gut -- so träumtest du
Und sätest namenlosen Frevel
Wider heilgen Staat und heilge Ordnung.
Der Mensch ist böse von Anbeginn.
Die Frau Der Mensch will gut sein.
Der Priester Die Lüge fallender Zeiten,
Geboren aus Verfall, Verzweiflung, Flucht,
Geschützt durch wächserne Hülle,
Erbettelten, ersehnten Glaubens,
Bedroht vom schlechten Gewissen.
Glaub mir, er
will nicht einmal gut sein.
Die Frau Er
will gut sein. Auch wo er Böses tut,
Hüllt er sich in die Maske Guttun.
Der Priester Völker werden, Völker verfallen,
Nie sah die Erde Paradies.
Die Frau Ich glaube.
Der Priester Erinnere dich:
Machtgier! Lustgier! Der irdische Rhythmus.
Die Frau Ich glaube!!
Der Priester Alles Irdische ewiger Wechsel von Formen.
Menschheit bleibt hilflos. In Gott ruht Erlösung.
Die Frau Ich glaube!!!
Mich friert... Gehen Sie!
Gehen Sie!
(Der Priester verläßt die Zelle. Eintritt der Offizier.)
Offizier Hier das Urteil.
Mildernder Umstand anerkannt.
Trotzdem. Staatsverbrechen heischt Sühne.
Die Frau Sie werden mich erschießen lassen?
Der Offizier Befehl Befehl. Gehorchen gehorchen.
Staatsinteresse Ruhe Ordnung.
Offizierspflicht.
Die Frau Und der Mensch?
Der Offizier Jede Unterhaltung mir verboten.
Befehl Befehl.
Die Frau Ich bin bereit.
(Offizier und Frau gehen hinaus. Einige Sekunden die Zelle leer. Zwei weibliche Gefangene in Sträflingskitteln huschen hinein. Bleiben an der Tür stehen.)
Erste Gefangene
Sahst du den Offizier? So goldne Uniform?
Zweite Gefangene
Ich sah den Sarg. Im Waschraum. Gelbe Bretterkiste.
( Die erste Gefangene sieht auf dem Tisch Brot liegen, stürzt sich darauf.)
Erste Gefangene Da Brot! Hunger! Hunger! Hunger!
Zweite Gefangene Mir Brot! Mir Brot! Mir Brot!
Erste Gefangene Da Spiegel. Ei, wie schön.
Verstecken. Abends. Zelle.
Zweite Gefangene Da seidnes Tuch.
Nackte Brust, seidnes Tuch.
Verstecken. Abends. Zelle.
( Von draußen dringt der harte Knall einer Salve in die Zelle. Die Gefangenen werfen erschreckt gespreizte Hände von sich. Erste Gefangene sucht aus ihren Röcken den versteckten Spiegel. Legt ihn hastig auf den Tisch zurück. Weint auf, sinkt in die Knie.)
Erste Gefangene Schwester, warum tun wir das?
(In einer großen Hilflosigkeit taumeln ihre Arme in die Luft. Zweite Gefangene sucht aus ihren Röcken das versteckte seidne Tuch. Legt es hastig auf das Bett zurück.)
Zweite Gefangene Schwester, warum tun wir das?
(Zweite Gefangene bricht zusammen. Birgt den Kopf im Schoß.)
(Die Bühne schließt sich.)