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Nachdem Wassilij Andrejitsch endlich in der pechschwarzen Finsternis seinen Schlitten gefunden hatte, schwang er sich hinein, ergriff die Zügel und rief laut:
»Los, Du da vorn!«
Das war das Zeichen für Petruschka, sein Fuhrwerk in Bewegung zu setzen. Er hatte eine Stute vorgespannt, und als der Braune sie witterte, ließ er sich nicht nötigen, ihr nachzueilen.
So ging es nun zum vierten Male durch das Dorf, vorbei an der flatternden Wäsche, von der man freilich nichts mehr sah, vorbei an der Getreidedarre, die fast bis ans Dach verweht war, vorbei an den alten Weiden, in denen der Wind noch unheimlicher pfiff, als vorher. Bald waren sie wieder auf dem weiten Schneefelde, das in dem entsetzlichen Schneegestöber einem brandenden Meere glich.
Der zum Orkan angewachsene Sturm beugte, wenn er von der Seite kam, den Schlitten und das sich mächtig stemmende Pferd seitwärts. Die Stute trabte mit munterem Schritt voran, der Braune eilte ihr ebenso hastig nach, so daß sie schon nach zehn Minuten an Ort und Stelle angekommen waren. Petruschka wandte sich um und schrie etwas zurück, was aber vom Tosen des Windes verschlungen wurde.
Als nun jedoch der vordere Schlitten nach rechts abbog, merkten sie, daß sie am Scheideweg angelangt waren und von nun an ihren Weg allein finden mußten. Sie lenkten nach links und hatten nun den Wind wieder ins Gesicht.
Seitwärts ragte aus dem Schnee das hohe, schwarze Wegzeichen empor.
»Gott führe Euch!«
»Vielen Dank, Petruschka!«
»Es stürmen die Wolken am nächtlichen Himmel,« erscholl es noch durch das Tosen der Windsbraut an ihre Ohren, dann blieb alles stumm, und sie waren allein.
Es ging weiter. Nikita hatte sich tief in seinen Chalat gewickelt und die Schultern emporgezogen, so daß das Wenige, was von seinem Hals übrig blieb, durch den Bart verhüllt wurde. Er rührte sich nicht, um ja die aufgespeicherte Wärme nicht sobald zu verausgaben. Schweigend sah er geradeaus auf die beiden Wagendeichseln, die ihm wie Furchen im Schnee vorkamen und ihm so einen befahrenen Weg vorspiegelten. Dazwischen erschien der auf- und niedergehende Rücken des Pferdes, das Krummholz und Gelbmauls Kopf und Hals mit der langen, wehenden Mähne.
Die von Zeit zu Zeit auftauchenden Wegzeichen überzeugten ihn, daß sie noch Weg unter sich hatten – er somit nicht aufzupassen brauchte.
Wassilij Andrejitsch ließ das Pferd den Weg selbst suchen; es ging jedoch nur mürrisch weiter und schien mehrmals den Weg verlassen zu wollen, so daß sein Herr es zurückholen mußte. Letzterer zählte die Wegzeichen und sah auch schon vor sich etwas Dunkles, das er für den Wald hielt.
Doch es war nur Buschwerk.
Sie fuhren daran vorüber, und ungefähr noch zwanzig Faden weiter; unablässig spähte der Herr nach einem weiteren Wegzeichen aus, ohne es jedoch entdecken zu können, und auch kein Wald kam in Sicht.
»Er muß aber ganz in der Nähe sein –« dachte Wassilij Andrejitsch, dem der Branntwein guten Mut gemacht hatte, und der nun das Pferd fortwährend zu schnellerem Laufe anspornte. Gutwillig ging dasselbe bald schnell, bald langsam, bald rechts, bald links, wie es verlangt wurde, obwohl es wußte, daß es so nicht richtig war.
Nach zehn Minuten weiterer Fahrt war noch kein Wald zu sehen.
»Wir müssen wieder vom Wege abgekommen sein,« sagte Wassilij Andrejitsch mürrisch und ließ das Pferd stehen.
Stumm stieg Nikita aus dem Wagen, wickelte seinen Kaftan, den der Wind aufblähte, fest um sich und begann wieder zu suchen. Er durchforschte erst die eine, dann die andere Seite so weit, daß Wassilij Andrejitsch ihn manchmal nicht mehr sah.
Endlich kehrte er zurück, stieg auf und nahm die Zügel aus den Händen seines Herrn. Laut und entschlossen sagte er:
»Wir müssen uns rechts halten.«
»Wenn Du denkst, so fahre rechts,« erwiderte Wassilij Andrejitsch, lehnte sich zurück und steckte die ganz steif gewordenen Hände in die Pelzärmel. »Es ist gleich, wenn wir auch zum dritten Male nach Grischkino kommen.«
Nikita ließ diese Bemerkung unbeantwortet.
»Nun, mein Freundchen, greif einmal aus!« sprach er zum Braunen. Aber trotz alles Aufmunterns bewegte sich das Tier nur im Schritt. Es versank stellenweise bis an die Kniee im Schnee und brachte den Schlitten nur noch ruckweise vorwärts.
Auch die Peitsche, zu der Nikita nun seine Zuflucht nahm, fruchtete nicht viel; das gehorsame Tier, das an Schläge nicht gewöhnt war, zuckte bei der Berührung zusammen, nahm einen kurzen Anlauf, verfiel aber sofort wieder in langsamen Schritt.
So ging es etwa fünf Minuten vorwärts. Der Schnee wirbelte von oben und unten so stark, daß man kaum noch den Kopf des Tieres sah.
Manchmal kam es ihnen wieder vor, als ob der Schlitten stehen bliebe, und das Schneefeld an ihnen vorüber tanze. Plötzlich aber schien das Pferd eine Gefahr vor sich zu sehen, denn es stand nun ganz still.
Nachdem Nikita seinem Herrn die Zügel zugeworfen hatte, sprang er geschwind heraus und lief vor zum Pferde. Kaum aber that er einen Schritt vor dasselbe, so wich plötzlich der Boden unter seinen Füßen, und er rutschte ein beträchtliches Stück hinab. Seine Versuche, sich irgendwo festzuhalten, waren erfolglos: er rutschte und rutschte bis er endlich unten angekommen war und in einer tiefen Schneeschicht stecken blieb.
Sie waren offenbar an eine Schlucht geraten, und nun stürzten die durch Nikitas Fall losgerissenen Schneemassen nach und begruben ihn bis über die Hüften.
»Ach, pfui doch, du da!« redete Nikita in tadelndem Tone den Schneehaufen und die Schlucht an. Er wühlte sich mit Mühe heraus, versuchte den Schnee von sich abzuschütteln und suchte nach seiner Peitsche, die ihm beim Herabstürzen aus der Hand geglitten war. Er war so in diese verschiedenen Beschäftigungen vertieft, daß er seines Herrn ängstliche Zurufe von oben unbeantwortet ließ. Nachdem er unten fertig war, versuchte er wieder hinaufzuklettern, doch das schien an dieser Stelle wegen der Steilheit der Schlucht unmöglich. Immer fiel er wieder hinab, bis er endlich den Versuch hier aufgab und, einen bequemeren Ausgang suchend, in der Schlucht vorwärts tappte.
Endlich gelang es ihm, mühsam auf Händen und Füßen in die Höhe zu kriechen, nachdem er etwa zwei Faden weit gegangen war.
Es war keine leichte Mühe, Pferd und Schlitten wiederzufinden, da er sie in der Finsternis nicht sah, und das Unwetter auch jeden Ton verschlang. Endlich aber hörte er doch die Stimme seines Herrn und das Wiehern des Braunen, die ihn ängstlich erwarteten, und urplötzlich standen auch vor ihm der Schlitten, das Pferd und Wassilij Andrejitsch riesengroß, wie aus der Erde gewachsen.
»Wo um Himmels willen hast Du nur gesteckt? Wir müssen schnell umkehren!« rief Wassilij Andrejitsch in ärgerlichem Tone.
»Ich möchte auch gern umkehren, Wassilij Andrejitsch; aber wie sollen wir denn das machen? Hier ist eine große Schlucht, aus der man kaum wieder heraus kann, wenn man hineingefallen ist! Ich bin hinuntergefahren, daß mir Hören und Sehen verging, und es hat Mühe gemacht, ehe ich wieder oben war.«
»Meinst Du denn vielleicht, daß wir hier bleiben sollen? Irgendwohin müssen wir doch fahren!«
Nikita blieb ihm die Antwort schuldig. Er kroch wieder in den Schlitten, setzte sich den Rücken nach dem Winde gewandt, zog bedächtig beide Stiefeln aus, schüttelte den Schnee heraus und stopfte etwas Stroh in den linken Stiefel, der ein bedenkliches Loch hatte.
Wassilij Andrejitsch blickte ihm schweigend zu und wartete. Er schien entschlossen, Nikita alles andere überlassen zu wollen.
Nachdem Nikita seine Toilette beendet und die Handschuhe wieder angezogen hatte, griff er energisch nach den Zügeln und führte das Pferd am Rande der Schlucht entlang.
Nach kaum hundert Schritten abermaliger Stillstand.
Es war eine zweite Schlucht. Der gute Nikita begann seine Untersuchung von neuem; er wanderte lange im Schnee hin und her, war schließlich ganz verschwunden und kam endlich von der entgegengesetzten Seite zurück.
»Wassilij Andrejitsch, Wassilij Andrejitsch, sind Sie noch am Leben?«
»Hier bin ich!« lautete es zurück. »Nun, was hast Du gefunden?«
»Nur, daß es irgend eine Schlucht ist. Weiter kann ich nichts entdecken, denn es ist viel zu finster. Wir müssen noch einmal dem Wind entgegenfahren!«
Das thaten sie. Dann erneuter Halt, erneutes Suchen und Tappen Nikitas. Wieder rutschte er, wieder versank er im Schnee und kam endlich ganz erschöpft zum Schlitten zurück.
»Nun, wie steht's?« rief ihm sein Herr entgegen.
»Ach, wie soll's stehen! Ich bin halbtot, und das Pferd ist auch nicht mehr vorwärts zu bringen.«
»Ja, um Himmels willen, was sollen wir denn da thun?«
»Warten Sie hier.«
Nach abermaliger kurzer Abwesenheit kehrte Nikita zurück, faßte das Pferd am Zügel und hieß Wassilij Andrejitsch folgen. Der letztere war nun nicht mehr der Herr; er that gehorsam alles, was Nikita ihm befahl.
Dieser machte nun eine rasche Wendung nach rechts und führte den Braunen direkt auf eine große Schneewehe zu. Das Tier bäumte sich zuerst, machte dann einen wackeren Anlauf, um durchzukommen, blieb aber in der Mitte, fast bis ans Kumt mit Schnee bedeckt, stecken.
»So steigen Sie doch heraus!« rief Nikita seinem Herrn zu, der noch immer im Schlitten saß. Dann zog er selbst mit Leibeskräften an der einen Deichsel, um dem armen Tiere bei seiner schweren Arbeit behilflich zu sein.
»Ja, leicht geht's nicht, Brüderchen!« redete er dem Pferde zu. »Aber streng dich nur noch einmal an! Durch müssen wir, das hilft nichts. Also hü! Vorwärts!«
Das Pferd zog an, einmal und noch einmal, aber ohne Erfolg. Es blieb wieder stehen, legte die Ohren zurück, schnupperte an dem Schneehaufen und legte dann seinen Kopf darauf, als ob es eifrig über etwas nachdenken müßte.
»Nein, mein Lieber, das ist nicht richtig; so geht's nicht! Versuch noch einmal!« munterte Nikita das Tier auf.
Jetzt hatte Wassilij Andrejitsch die andere Deichselstange gefaßt; mit Macht zog er an der einen, Nikita an der anderen Seite, das Pferd spitzte die Ohren und richtete sich plötzlich auf.
»Nun, nun, denkst wohl, du könntest versinken? Komm, hü!«
Den vereinten Kräften aller drei gelang es nun, den Schlitten ein kleines Stück vorwärts zu bringen, dann folgte noch ein Ruck, ein zweiter, ein dritter – und durch waren sie.
Pustend und schnaubend den Schnee von sich schüttelnd, stand das gute Pferdchen drüben. Wassilij Andrejitsch in seinen zwei Pelzen war durch die Anstrengung so außer Atem gekommen, daß er keinen Schritt vorwärts gehen konnte, sondern sich keuchend in den Schlitten legte. Während er das Tuch lockerte, das er vorsorglich noch über den Pelzkragen gebunden hatte, stöhnte er: »Laß mich nur erst wieder Atem holen!«
»Sie können ruhig liegen und atmen!« rief ihm Nikita zu; »ich werde das Pferd weiter führen!«
Nun ging es noch etwa zehn Schritte hinab, dann wieder etwas bergauf, und endlich hielt Nikita an. Der Ort, den er gewählt hatte, lag nicht mehr in der Schlucht: das wäre zu gefährlich gewesen, weil dort der Schnee liegen blieb; er war aber doch wenigstens einigermaßen gegen den Wind geschützt.
Der Sturm ließ bisweilen auf Augenblicke etwas nach, doch kam er dann, gleichsam um sich wegen seiner Nachlässigkeit zu rächen, mit verdreifachter Stärke zurück, indem er so heulte und den Schnee aufwirbelte, daß man nichts hören und sehen konnte und glaubte ersticken zu müssen.
Gerade in dem Augenblicke, als Wassilij Andrejitsch seinen Atem wiedergefunden hatte und nun den Schlitten verließ, um mit Nikita das weitere zu besprechen, erfolgte ein derartiger wütender Anprall des Sturmes, daß sich beide unwillkürlich duckten, um ihn erst vorübergehen zu lassen.
Auch dem Braunen schien es zu mißfallen, denn er schüttelte mißmutig den Kopf und legte die Ohren zurück.
Als wieder etwas Ruhe eingetreten war, entledigte sich Nikita seiner Handschuhe, die er in den Gürtel steckte, rieb sich dann die Hände und schickte sich an, die Zügel loszuschnallen.
»Was soll denn das werden?« rief Wassilij Andrejitsch verwundert.
»Ausspannen. Was denn sonst? Ich weiß nichts besseres; ich habe alles gethan, was ich konnte,« sagte Nikita, wie um Entschuldigung bittend.
»Können wir wirklich nicht aus der Schlucht hinaus?«
»Wir können nicht hinaus und ruinieren bei dem Umherfahren nur das Pferd!« erwiderte der Knecht und deutete auf den Braunen, der mit gesenktem Kopfe ganz ergeben dastand. »Ich denke, wir übernachten hier,« fügte er in einem Tone hinzu, als ob hier ein Bahnhof wäre, und machte nun auch das Kumt los.
»Wir müssen doch aber erfrieren!« sagte Wassilij Andrejitsch entsetzt.
»Ach was, wenn Sie erfrieren wollen, so werden Sie eben erfrieren müssen!«