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Sechstes Bild

 

Ein ärmlich eingerichtetes Zimmer, ein Bett, ein Schreibtisch, ein Diwan, Fedja allein am Schreibtisch. Es klopft an der Tür. Eine weibliche Stimme hinter der Tür: »Warum hast du dich eingeschlossen, Feodor Wasijewitsch? So mach doch auf, Fedja ...«

 

Fedja öffnet die Tür: Wie nett, daß du gekommen bist! Ich langweile mich ganz entsetzlich.

Mascha: Warum bist du nicht bei uns gewesen? Du trinkst wohl wieder einmal? Ach, du! Und dabei hast du versprochen, es zu lassen!

Fedja: Du weißt, daß ich kein Geld habe.

Mascha: Warum habe ich mich nun in dich verliebt?

Fedja: Mascha!

Mascha: Ach was, Mascha, Mascha! Wenn du mich wirklich liebtest, hättest du dich längst scheiden lassen. Auch jene drängen dich. Du sagst, daß du sie nicht liebst, und hängst doch immer noch an ihr fest. Du willst eben nicht …

Fedja: Du weißt doch, warum ich es nicht will.

Mascha: Ach, das ist alles Unsinn. Die Leute haben schon recht, wenn sie dich einen Schwätzer nennen.

Fedja: Was soll ich dir darauf antworten? Soll ich dir sagen, daß deine Worte mich schmerzen? Das kannst du dir selbst sagen.

Mascha: Gar nichts schmerzt dich …

Fedja: Du weißt selbst, daß mir einzig deine Liebe auf dieser Welt noch Freude macht.

Mascha: An meiner Liebe fehlt's nicht – aber du liebst mich nicht!

Fedja: Ich brauche dir nicht erst das Gegenteil zu versichern. Es hat keinen Zweck – du weißt selbst, wie es damit steht.

Mascha: Warum quälst du mich nur so, Fedja?

Fedja: Wie – ich soll dich quälen?

Mascha weint: Du bist nicht gut.

Fedja tritt auf sie zu und umarmt sie: Mascha! Warum weinst du? Hör doch auf! Leben muß man und nicht jammern! Du hast am wenigsten Ursache dazu, mein herziges, schönes Kind.

Mascha: Liebst du mich?

Fedja: Wen sollte ich sonst noch lieben?

Mascha: Keine außer mir … Nun lies, was du geschrieben hast.

Fedja: Es wird dich langweilen.

Mascha: Wenn du es geschrieben hast, wird's schon gut sein.

Fedja: Hör also. Er liest. »Ich hatte mich im Spätherbst mit einem Freunde verabredet, daß wir uns am Muryga-Plateau treffen wollten. Dieses Plateau war mit kräftigem Wald bestanden, der reiche Beute versprach. Der Nebel ...«

In der Tür erscheinen Maschas Eltern, der alte Zigeuner Iwan Makarowitsch und die Zigeunerin Nastasja Iwanowna.

Nastasja Iwanowna tritt auf ihre Tochter zu: Hierher läufst du also, du Frauenzimmer, du Herumtreiberin! Habe die Ehre, gnädiger Herr! zur Tochter: Was fällt dir eigentlich ein – he?

Iwan Nakarowitsch zu Fedja: Nicht schön ist's, was du tust, Herr! Machst das Mädel nur unglücklich. Nein, gar nicht schön ist's von dir!

Nastasja Iwanowna: Nimm dein Tuch um, und marsch nach Hause! Weggelaufen ist sie uns. Was soll ich dem Chor sagen? Läßt sich mit solchem Habenichts ein! Was hast du von dem?

Mascha: Ich habe mich mit niemandem eingelassen. Ich liebe den Herrn, weiter nichts. Ich will auch im Chor bleiben und singen, aber daß ...

Iwan Nakarowitsch: Red noch ein Wort, dann reiß ich dir den Zopf aus. Du Dirne! Von wem hast du das gelernt? Von deinen Eltern und Verwandten gewiß nicht. Und von dir, Herr, ist's schlecht gehandelt. Wir haben dich gern gehabt, haben dir so manches Mal umsonst was vorgesungen, weil du uns leid getan hast. Und wie hast du's uns vergolten?

Nastasja Iwanowna: Um nichts hast du unsere Tochter zugrunde gerichtet, unser Goldkind, unsere Einzige, unsern Augapfel, unsere Herrliche, Unschätzbare! In den Schmutz hast du sie getreten – so hast du's uns vergolten! Du hast keinen Gott im Herzen!

Fedja: Du hast mich in falschem Verdacht, Nastasja Iwanowna – deine Tochter ist mir wie eine Schwester. Ihre Ehre ist mir heilig, denke nichts Schlimmes von uns. Und daß ich sie liebhabe – dafür kann ich nicht.

Iwan Nakarowitsch: Als Sie noch Geld hatten, haben Sie sie nicht geliebt. Hätten Sie damals zehntausend Rubel für den Chor gespendet, dann hätten Sie sie in Ehren bekommen. Jetzt, wo Sie alles durchgebracht haben, entführen Sie sie heimlich. Eine Schande ist's, Herr, eine Schande!

Mascha: Er hat mich nicht entführt, ich bin selbst zu ihm gekommen. Und wenn ihr mich jetzt wegbringt, geh' ich doch wieder zu ihm. Ich liebe ihn, abgemacht, und meine Liebe ist stärker als alle eure Schlösser. Ich will ihn eben lieben.

Nastasja Iwanowna: Nun, meine Maschenka, mein Herzblättchen, sei nicht trotzig. Es war nicht recht von dir – nun, komm schon!

Iwan Nakarowitsch: Rede nicht erst lange. Marsch! Nimmt Mascha bei der Hand. Leben Sie wohl, Herr!

Alle drei ab. Fürst Abreskow tritt ein.

Fürst Abreskow: Verzeihen Sie – ich bin wider Willen Zeuge einer peinlichen Szene geworden.

Fedja: Mit wem habe ich die Ehre? … Erkennt ihn. Ah, Fürst Sergej Dmitrijewitsch! Begrüßt ihn.

Fürst Abreskow: Einer unangenehmen Szene, ja – ich wünschte wohl, daß ich nichts gehört hätte. Doch da ich es einmal gehört habe, halte ich es für meine Pflicht, zu sagen, daß ich es gehört habe. Man hatte mich hierher gewiesen, und ich mußte an der Tür warten, bis diese Herrschaften gegangen waren, umso mehr, als mein Klopfen wohl über den sehr lauten Stimmen nicht gehört wurde.

Fedja: Ja, ja. Bitte näher zu treten. Ich danke Ihnen, daß Sie mir das mitgeteilt haben, das gibt mir ein Recht, Ihnen diese Szene zu erklären. Was Sie dabei über mich denken, ist mir gleich. Ich möchte Ihnen jedoch von vornherein bemerken, daß die Vorwürfe, die, wie Sie hörten, dem jungen Mädchen gemacht wurden, ganz ungerecht sind. Sie ist eine Zigeunerin, die im Chor mitsingt. Sie ist in sittlicher Beziehung ohne Makel. Meine Beziehungen zu ihr sind rein freundschaftliche, und wenn vielleicht ein gewisser poetischer Hauch darauf ruht, so kann dies der weiblichen Ehre dieses Mädchens nichts anhaben. Das ist's, was ich Ihnen sagen wollte … Womit kann ich Ihnen sonst dienen? Was verschafft mir die Ehre?

Fürst Abreskow: Ich wollte mir zunächst gestatten …

Fedja: Verzeihen Sie, Fürst – meine gesellschaftliche Stellung ist eine solche und meine Bekanntschaft mit Ihnen eine so oberflächliche, daß ich nur annehmen kann, Ihr Besuch gelte irgendeiner geschäftlichen Angelegenheit. Um was handelt es sich also?

Fürst Abreskow: Sie haben es erraten: ich habe allerdings ein Anliegen an Sie. Aber ich bitte Sie, überzeugt zu sein, daß die Veränderung Ihrer gesellschaftlichen Stellung in keiner Weise mein Verhalten gegen Sie beeinflussen kann.

Fedja: Ich bin vollkommen überzeugt davon.

Fürst Abreskow: Es handelt sich darum, daß meine alte Freundin Anna Dmitrijewna Karenina und ihr Sohn mich gebeten haben, von Ihnen persönlich in Erfahrung zu bringen, in welchem Verhältnis – Sie gestatten mir wohl, diesen Ausdruck anzuwenden – Sie zu Ihrer Gattin Elisaweta Andrejewna Protasowa stehen.

Fedja: Mein Verhältnis zu meiner Gattin – ich kann wohl sagen: zu meiner früheren Gattin – ist vollkommen gelöst.

Fürst Abreskow: Das hatte ich auch angenommen. Und nur unter dieser Voraussetzung habe ich diese schwierige Mission übernommen.

Fedja: Ich beeile mich, zu erklären, daß nicht sie die Schuld daran trägt, sondern ich allein, daß ich schuldig bin im weitesten Sinne des Wortes. Sie bleibt eine makellose Frau, wie sie es immer gewesen ist.

Fürst Abreskow: Und nun bin ich von Viktor Karenin, besonders aber von seiner Mutter ersucht worden, mich bei Ihnen nach Ihren weiteren Absichten zu erkundigen.

Fedja hitzig: Was für Absichten? Ich habe gar keine Absichten. Ich habe sie ganz freigegeben. Und noch mehr: ich werde ihre Ruhe niemals stören. Ich weiß, daß sie Viktor Karenin liebt – mir ist's recht. Ich halte ihn für einen sehr langweilen, doch dabei sehr guten und ehrenhaften Menschen, und ich glaube, daß sie mit ihm, wie man zu sagen pflegt, glücklich sein wird. Que le bon Die les bénisse – das ist alles, was ich sagen kann.

Fürst Abreskow: Ja, aber wir möchten …

Fedja fällt ihm ins Wort: Glaube Sie ja nicht, daß ich auch nur eine Spur von Eifersucht empfinde. Wenn ich Viktor langweilig nannte, so nehme ich das Wort zurück. Er ist ein vortrefflicher, ehrenhafter, durch und durch moralischer Mensch, fast das gerade Gegenteil von mir. Er liebt sie seit ihrer Kindheit, und vielleicht liebte auch sie ihn schon, als sie mich heiratete. Solch eine Liebe, von der niemand etwas weiß, hat oft den allergrößten Reiz. Sie hat ihn nach meiner Ansicht stets geliebt, aber als anständige Frau wagte sie das nicht einmal sich selber einzugestehen. Doch es lag wie ein Schatten über unserem Eheleben … übrigens, ich mache Ihnen da Geständnisse …

Fürst Abreskow: Ich bitte Sie, weiterzusprechen. Glaube Sie mir, daß der Wunsch, in diesen Dingen ganz klarzusehen, für mich in erster Linie bestimmend war, als ich mich zu diesem Besuch bei Ihnen entschloß. Ich verstehe Sie. Ich begreife, daß ein solcher Schatten, wie Sie es zutreffend nannten, vorhanden sein konnte.

Fedja: Ja, er war vorhanden; vielleicht war das der Grund, daß das Glück, welches sie mir gab, mich nicht befriedigte und daß ich auf der Suche nach dem Glück auf Abwege geriet. Doch das klingt fast, als wollte ich mich rechtfertigen. Das will ich nicht, und das kann ich auch nicht. Ich war ein schlechter Ehemann – war es, kann ich getrost sagen, denn in meinem Bewußtsein bin ich längst nicht mehr ihr Gatte. Sie ist nach meiner Auffassung in jeder Beziehung frei. Das ist die Antwort, die ich Ihnen, soweit Ihre Mission in Betracht kommt, zu geben vermag.

Fürst Abreskow: Ja, aber Sie kennen Viktors Familie und ihn selbst. Seine Beziehungen zu Jelisaweta Andrejewna waren stets die allerehrbarsten und werden es stets bleiben. Er hat ihr beigestanden, als sie in schwieriger Lage war.

Fedja: Ja, ich habe durch mein Lotterleben ihre Annäherung gefördert. Was ist da schon zu machen, es hat wohl so sein sollen.

Fürst Abreskow: Sie wissen, daß er sowohl wie seine Familie sich zu streng rechtgläubigen Ansichten bekennen. Ich teile diese Ansichten nicht. Ich sehe die Dinge von einem weniger engen Gesichtspunkt an, doch achte und begreife ich ihren Standpunkt. Ich begreife, daß für ihn, und namentlich für seine Mutter, eine Verbindung zwischen Mann und Frau ohne den Segen der Kirche undenkbar ist.

Fedja: Ich kenne seine … primitiv konservative Auffassung dieser Dinge. Was wünschen die Herrschaften also? Die Scheidung! Ich habe ihnen längst erklärt, daß ich bereit bin, mich scheiden zu lassen, aber die Bedingung, daß ich formell und feierlich alle Schuld auf mich nehmen soll, samt all der Lüge, die damit verbunden ist, erscheint mir doch gar zu drückend.

Fürst Abreskow: Ich verstehe Sie vollkommen und teile Ihre Auffassung. Aber was soll geschehen? Ich meine, es wird sich doch irgendwie arrangieren lassen. Aber, wie gesagt: Sie haben vollkommen recht. Es ist eine starke Zumutung, und ich begreife Sie.

Fedja drückt ihm die Hand: Ich danke Ihnen, lieber Fürst. Ich kannte Sie stets als einen Mann von ehrenwerter, edler Gesinnung. Sagen Sie also – was soll ich tun? Wozu raten Sie mir? Versetzen Sie sich einmal in meine Lage! Ich will nicht besser erscheinen, als ich bin. Ich bin ein Taugenichts, gewiß. Aber es gibt Dinge, die ich nicht so ohne weiteres fertigbekomme. Ich bekomme es zum Beispiel nicht fertig, zu lügen.

Fürst Abreskow: Ich muß mich über Sie wundern. Sie sind ein Mann von Fähigkeiten, ein guter Kopf und besitzen ein so feines Gefühl für das, was gut und recht ist. Wie konnten Sie so auf Abwege geraten und vergessen, was Sie sich selbst schuldig sind? Wie war es möglich, daß Sie sich selbst so zugrunde gerichtet haben?

Fedja bewegt, sucht seine Tränen zurückzuhalten: Zehn Jahre schon führe ich dieses lasterhafte Leben, und zum erstenmal in dieser ganzen langen Zeit hat ein Mann wie Sie mir seine Teilnahme gezeigt. Nur meine Zechkumpane – und die Weiber – haben mich sonst bedauert, aber daß ein verständiger, guter Mensch wie Sie so mit mir spricht … Ich danke Ihnen! … Wie ich so weit sinken konnte? Da ist zunächst mal der Branntwein … Nicht, als ob er mir besonders schmeckte – aber wenn ich so über mich und mein Leben nachdenke, dann fühle ich jedesmal, daß alles verfehlt ist, und dann schäme ich mich so. Auch jetzt, da ich mit Ihnen rede, schäme ich mich. Den Adelsmarschall zu spielen, im Aufsichtsrat einer Bank zu sitzen – das alles scheint mir ein Anlaß, sich zu schämen. Trinkt man, dann verliert sich dieses Schamgefühl. Na, und die Musik – nicht die hohe Oper oder Beethoven, sondern die Zigeunermusik –, die belebt einen so, flößt einem solches Kraftgefühl ein. Und dazu kommen noch ein Paar liebe schwarze Augen und ein holdes Lächeln. Und je tiefer einen das packt, je mehr es einen anzieht – desto mehr schämt man sich dann nachträglich.

Fürst Abreskow: Nun, und die Arbeit?

Fedja: auch damit hab' ich's versucht. Aber ich taugte nicht dazu, fand keine Befriedigung darin. Doch was erzähl' ich Ihnen da von mir – ich danke Ihnen!

Fürst Abreskow: Was soll ich also sagen?

Fedja: Sagen Sie, ich würde ihren Wunsch erfüllen. Sie wollen heiraten, wollen, daß jedes Ehehindernis beseitigt würde?

Fürst Abreskow: So ist's …

Fedja: Ich werde das Meinige dazu tun. Sagen Sie, ich würde es bestimmt tun.

Fürst Abreskow: Wann?

Fedja: Warten Sie mal: sagen wir, innerhalb vierzehn Tagen. Genügt das?

Fürst Abreskow erhebt sich: Darf ich das ausrichten?

Fedja: Ja, Sie dürfen es. Leben Sie wohl, Fürst – nochmals meinen Dank.

Fürst Abreskow ab.

Fedja sitzt eine ganze Weile schweigend da, lächelt: Vortrefflich, ganz vortrefflich! Es muß sein, es muß sein, es muß sein! Ganz famos!

Vorhang

 


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