Franz Treller
Der Letzte vom »Admiral«
Franz Treller

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Ein indischer Fürstenhof

Der Pik von Lombok, der sich bis zu viertausendzweihundert Meter erhebt, stieg höher und höher aus dem Meer empor, den Scheitel umwallt von Dampfwolken, Zeichen seiner vulkanischen Tätigkeit. Bald lag die felsige Südküste vor ihnen, und zwischen Bali und Lombok, in die nach letzterm benannte Straße einlaufend, trafen sie noch vor Sonnenuntergang auf der Reede von Ampanan ein.

Da die Einfahrt bei Nacht gefährlich war, ging der »Arang« vor Anker. Der Prinz blieb an Bord, und nur zwei der Offiziere begaben sich im Boot nach der Stadt, von denen der eine den Fürsten von dem auf seinen Sohn gerichteten Angriff unterrichten sollte, während dem andern befohlen war, sofort Vorbereitungen für eine kriegerische Expedition nach der Insel zu treffen, um sich der dort befindlichen Malaien zu versichern.

Den Abend verbrachten unsere Freunde in der Gesellschaft des liebenswürdigen und gastfreien balinesischen Fürstensohnes. Nach Sonnenaufgang segelte der Schoner nach Ampanan. Der Hafen der malerisch an Höhenzügen gelegenen Stadt zeigte, als sie näherkamen, trotz der frühen Stunde reges Leben; indische und chinesische Fahrzeuge ankerten dort in großer Zahl, und auch am Ufer ward lebhafte Tätigkeit entfaltet.

Mr. Blake ließ die Flagge des Prinzen aufziehen und die Kanonen donnern. Alsbald flogen auf allen Schiffen bunte Wimpel empor, und zwei Batterien, welche, gut mit Geschützen besetzt, die Hafeneinfahrt deckten, erwiderten den Gruß. Mit frischem Wind kam der »Arang« ein.

Henrik und Fritz standen an Deck und blickten auf die im Sonnenschein glänzende Stadt mit ihren niedrigen Häusern, auf das bunte Gewirr der ostasiatischen Fahrzeuge und Boote mit ihrer farbigen Bemannung. Zu ihrem Leid sahen sie kein europäisches Schiff.

Vorn stand der Einsiedler Karl Steffen und schaute mit einem Ausdruck fast des Schreckens auf das rege Treiben.

Bald legte der »Arang« an einem gutgebauten Quai an.

Am Ufer hielten einige mit schönen Pferden bespannte Wagen, unter denen eine elegante Equipage auffiel.

Soldaten, wohl in der Stärke eines unserer Bataillone, waren erschienen, um den Prinzen zu empfangen. Mit Erstaunen sah Henrik sie in gut ausgerichteten Reihen aufgestellt und einheitlich uniformiert. Rote Jacke, weißes Kopftuch und die Sarong, das blaue weite Beinkleid, gaben ihnen im Verein mit den dunkeln, bärtigen Gesichtern ein orientalisch malerisches Gepräge. Bewaffnet waren sie mit krummen Seitengewehren und schönen englischen Büchsen; sie zeigten eine Haltung, die fast an europäischen Drill erinnerte.

Jetzt erschien auch Anak Madé an Deck, begleitet von den noch an Bord anwesenden Offizieren. Er war in prachtvolle seidene Gewänder gekleidet, im Schnitt ähnlich der militärischen Tracht. Sein weißes Kopftuch zierte eine glänzende Diamantagraffe. An der Seite trug er einen mit Gold und Edelsteinen reich gezierten Säbel in rotsamtener Scheide. Er war eine fürstliche Erscheinung.

»Du, Hamburger«, flüsterte Fritz, »unser gelber Prinz hat sich aber gehörig rausgemausert.«

»Still!«

Henrik begrüßte ihn mit einer Verbeugung, und Anak Madé sagte freundlich: »Ihr werdet mir folgen, meine Diener werden für euch Sorge tragen.«

Henrik ging zu Steffen und sagte: »Wirst du mit uns an Land kommen, Steffen?«

Dieser, der von dem Treiben ringsum wie betäubt schien, entgegnete, den Kopf schüttelnd: »Besser, Bord – viele Menschen.«

Da Henrik es gleichfalls für das beste hielt, daß Steffen auf dem Schiff blieb, folgte er ohne diesen mit Fritz dem Prinzen, der bereits mit seinen vornehmsten Begleitern in der Equipage Platz genommen hatte.

Diener führten sie zu einem der andern Wagen von indischer Bauart, und in diesem folgten sie dem Prinzen, während die Soldaten die Gewehre präsentierten und eine Musikbande mit Pfeifen, Trommeln und Becken einen ohrenbetäubenden Lärm erhob. Sassaker, Chinesen, Malaien, Balinesen waren herbeigeströmt, um den Prinzen zu sehen und begrüßten ihn in der sklavischen Weise der Asiaten.

Die Wagen brachten sie auf guter Straße rasch nach einem kleinen, in indischem Stil errichteten Lustschloß, einem Holzbau mit reichem Bildwerk, welcher inmitten eines schön gepflegten Gartens lag.

Henrik und Fritz wurden in die untern Gemächer geführt und dann eingeladen, in besonders dazu hergerichteten Räumen zu baden. Dies geschah in der luxuriösen Weise des Orients. Hernach kleidete man sie in prachtvollere Gewänder als ihre bisherigen und brachte ihnen Frühstück, ähnlich den Mahlzeiten, welche sie an Bord eingenommen hatten.

»Wie kommst du dir denn nu ejentlich vor, Hamburger?« fragte Fritz, als er seinen nicht unerheblichen Appetit befriedigt hatte. »Mir ist det Janze so wie'n Traum, weeßte.«

»Ja, du hast recht; die Begebenheiten der letzten Woche sind märchenhaft, traumartig.«

»Wenn sie mir man nur nich uff ne unanjenehme Weise uffwecken.«

»Fürchte das nicht, wir sind Gäste eines vornehmen Mannes.«

»Ja, det muß wahr sind, der Prinz Exzellenz is 'n janz feiner Kunde, so uff seine Art. Jloobst du denn nu, dat so wat vor't Knopploch vor mir abfallen wird, Hamburger?«

Henrik lachte über das wiederholt sich äußernde Ordensbedürfnis des Schneiders.

»Na, wat is denn da zu lachen?« sagte Fritz verdrießlich. »Ick habe doch den wilden Mörder jefangen, un bei uns kriegt manch eener 'n Orden vor weniger.«

»Nur ruhig, Fritz, es wird schon eine Belohnung für deine Tapferkeit kommen.«

»Na, ick bin bejierig.« – Nach einiger Zeit sagte er: »Uff welchen Erdteil sin wir denn nu hingeraten, weeßt du da wat von?«

»Ich weiß nur, daß wir auf Lombok sind, einer der kleinern Sundainseln.«

»Hab ick noch nie von jehört.«

»Glaube ich wohl, diese Gebiete sind den Europäern überhaupt wenig bekannt.«

»Dann jebe ick, wenn ick wieder nach Haus komme, eene Reisebeschreibung heraus: ›Fritze Fischer uff de wilden Inseln‹, da jibt et aber Moos vor.«

»Ja, das tue, das wird Aufsehen machen, ich nehme die ersten zwanzig Exemplare.«

»Un unser juter, armer Robinson, der wird sich uff det olle Schiff aber mopsen.«

»Es ist besser, er bleibt dort und gewöhnt sich erst nach und nach wieder an Menschen.«

»Der kann ooch 'n Buch schreiben von wilde Inseln.«

»Ich glaube auch«, erwiderte Henrik und dachte an den entsetzlichen Zustand, in welchem sie Steffen aufgefunden hatten, an die noch so dunkle Begebenheit, welche ihn in jene Wildnis geschleudert.

Mr. Blake ließ sich einführen und berichtete, daß er den jungen Leuten als Dolmetscher beigegeben sei, da der Prinz sich nicht mehr in bisheriger Weise um sie bekümmern könne. Auch forderte er sie auf, sich zum Ritt nach der Hauptstadt Mataram bereit zu machen, da Anak Madé aufbrechen wolle.

»Wat is det? Reiten? Na nu is aber det Ende von weg. Det tu ick nich, uff so 'n Beest setze ick mir nich; eenmal hat mir eens abgefeuert, aber feste! Mir tun noch die Knochen weh, wenn ick an denke. Ne, det tu ick nich«, äußerte Fritz nachdenklich, als er von dieser Art der ihm zugemuteten Fortbewegung erfuhr. »Warum können wir denn nich in de Equipage fahren? Daran bin ick jewöhnt.«

Mr. Blake erklärte, daß der Gebrauch eines Wagens untunlich sei und die Reise zu Pferd gemacht werden müsse, da verschiedene unüberbrückte Gewässer den Weg kreuzten.

Henrik, der auch sehr gut im Sattel zu Haus war, freute sich des bevorstehenden Rittes und sagte ermunternd zu Fritz: »Aber, Sohn der Metropole, Kind der Stadt der Intelligenz, du wirst doch das bißchen Reiten fertigbringen? Wenn du das nicht kannst, dann, so leid es mir tut, sinkt meine Hochachtung vor dir erheblich!« Henrik begleitete diese Aufmunterung mit so bedeutsamen Blicken, daß der so bei seinem Selbstbewußtsein, seinem Stolz auf die Berliner Abkunft gefaßte Schneider schwankend zwischen der Erinnerung an unliebsame Erfahrungen und dem Drang, seine angeborene Würde aufrechtzuerhalten, zögernd entgegnete: »Ja, ick könnte 't ja woll riskieren – det heeßt – dat muß denn aber ooch 'n jutes Pferd sind – wat 'n sanftmütigen Charakter hat, so mit tückische Beesters lasse ick mir nich in.«

»Es ist doch selbstverständlich, daß unser Prinz nicht nur die besten und ruhigsten Pferde besitzt, sondern daß man dir auch ein lammfrommes Roß geben wird; das Tier, dem es gelungen ist, dich abzuwerfen, war gewiß nur ein gemeiner Karrengaul.«

»Det stimmt.«

»Nun, siehst du? Und was würde Seine Durchlaucht denken, wenn du dich weigern wolltest zu reiten, nachdem du so hervorragende Heldenwerke verübt hast – und – was einen möglichenfalls in Aussicht stehenden Orden anbelangt – ja – man kann nicht wissen – wie – ja, wie das alles noch wird.«

»Ick reite mit, Hamburger«, erwiderte Fritz sehr lebhaft, »ick werde mir schon festklammern, wenn det Tier eklich wird – ick reite mit.«

»Ich wußte ja, daß dein angeborener Mannesstolz dir nicht erlaubt, zurückzubleiben.«

Sie gingen mit Mr. Blake hinaus und fanden eine große Reiterschar vor, wie es schien, Soldaten. Eine stattliche Anzahl der kleinen, aber dauerhaften Pferde wurde von diesen gehalten.

Gleich nach ihrem Erscheinen führte man den drei Europäern Rosse vor, die nach indischer Art gesattelt waren. Diese hat Ähnlichkeit mit der arabischen.

Fritze betrachtete sich den ihm zugedachten Braunen mit Mißtrauen.

»Wenn det Vieh die Ohren spitzt, denn setz ick mir nich uff – det kenn ick schon.«

Aber der Braune spitzte die Ohren nicht, und Henrik half dem Schneider in den Sattel, der Diener übergab ihm die Zügel, und Fritz Fischer war beritten.

Henrik schwang sich leicht auf den Rücken seines schönen Grauschimmels.

»Wenn der Racker sich man nur anständig ufführt!« äußerte Fritz nicht ohne Besorgnis.

»Nur Mut, ihr Berliner seid ja die geborenen Reiter.«

»Det woll, det hat schonst der olle Ziethen jesagt – aber –«

Anak Madé erschien mit einigen Begleitern, alle Indier verneigten sich tief, die Stirn mit der Hand berührend. Er bestieg sein Tier und gab das Zeichen zum Aufbruch, es bildete sich ein Zug von orientalischem Gepräge.

Eine Schar bewaffneter Reiter eröffnete ihn, dann folgte der Prinz, hinter sich ein Gefolge von vornehmen Balinesen und Offizieren, in deren letzten Reihen Mr. Blake und unsere jungen Freunde ritten. Dienerschaft folgte, und eine zweite bewaffnete Reiterschar schloß den Zug, der wohl hundertfünfzig Pferde zählen mochte. Ampanan ward umritten, und bald befanden sie sich auf einer breiten, gut gebauten und von wilden Feigenbäumen eingefaßten Landstraße, welche in gerader Linie nach dem etwa eine Stunde entfernt liegenden Mataram führte.

Wohlbebaute Reis- und Maisfelder zeigten sich rechts und links auf der weit ausgedehnten, hie und da von kleinen Hainen durchsetzten Ebene, dazwischen anmutig gelegene Dörfer im Schatten von Palmen. Fernhin erhob sich das Gebirge, gekrönt von dem himmelanstrebenden Pik, den die Eingeborenen Gunung Rindjani nennen. Mataram selbst war eines niedern Hügelzuges wegen nicht zu gewahren.

Die Kavalkade bewegte sich im Schritt, und Fritz Fischer befand sich ganz behaglich im Sattel, wenngleich er dem Tier etwas mit dem Zaumzeug zusetzte.

»Wie nehm ick mir denn aus, Hamburger, als reitender Kavallerist?« fragte er.

»Als wenn du im Sattel aufgewachsen wärest.«

»Ick jloobe ooch, ick kann et, der Jaul kriegt mir nich runter.«

Und mit viel Selbstgefälligkeit reckte er sich im Sattel.

Nach einiger Zeit fragte er, auf den Gipfel des Pik deutend: »Wat is denn det vor'n Rauch uff den Berg, jibt et da Fabriken?«

»Das ist ein gewaltiger Vulkan, ein feuerspeiender Berg, der Schwefeldämpfe in die Höhe sendet.«

»Een feuerspeiender Berg? Willst du mir uzen?«

»Du kannst dich ja von seiner Tätigkeit überzeugen, wenn wir die Erlaubnis erhalten, ihn zu ersteigen.«

»Ick werde mir hüten un uff so een Ding ruffklettern, nee – vor so Sachen bin ick nich.«

Sie hatten einen kleinen Fluß, welcher den Weg kreuzte, durchritten, und dem Beispiel des Prinzen folgend, setzte sich alles in Galopp.

»Ach Jotte doch, Hamburger, det Beest jeht durch!« schrie Fritz und klammerte sich an den Sattelknopf.

»Sitze nur ruhig, das Pferd ist sanft.«

»Wenn er mir absetzt, reiten mir die andern tot. Brr! Brr! Hü! Hott! Brr!«

»Sei still und blamiere uns nicht.«

»Du hast jut reden. Ach, du lieber Jott!«

»Nimm ihn fest zwischen die Knie.«

»Ja woll – o brr! Is det ne tückische Canaille.«

Henrik, der sich über ihn ärgerte, gab ihm einen Puff in die Seite: »Halt den Mund und sitz ruhig, es kann dir nichts geschehen.«

»Oh, du meine Jüte – det jeht noch über de Menschenfresser –«

Blaß vor Angst klammerte sich Fritz ohne Rücksicht auf den Zügel an Mähne und Sattelknopf, obgleich das Pferd in der Tat einen so sanften Galopp ging, daß er wie in einer Wiege saß und nur seine Furcht ihn Gefahren sehen ließ, die gar nicht vorhanden waren. Ein neuer Flußübergang gebot Schritt, und Fritz kam wieder zu sich.

Als sie langsam weiter ritten, sagte er: »Ick habe mir aber jut jehalten, nich wahr, Hamburger?«

»Und wie! Wenn dein Ritt in Berlin bekannt wird, stecken sie dich sofort unter die Gardedragoner.«

»Da jeh ick ooch bei, jetzt hab ick et schon so ziemlich weg.«

Die Reiter hatten eben einen dünnen Waldsaum durchmessen, als sie die Stadt Mataram nahe vor sich sahen.

Von einem gewaltigen Bambuszaun umgeben, in welchem eine breite Toröffnung sichtbar war, zeigten sich die niedrigen, mit Atap oder Alang-Alang gedeckten Tonhäuser der Stadt, zwischen denen sich Gebangpalmen erhoben. Einige tempelartige Gebäude fielen auf, alles aber wurde von des Radscha Palast überragt, auf welchen die breite Straße gerade zuführte.

Sie ritten durch das Tor, an welchem einige Kanonen standen. Die Stadt machte einen überaus seltsamen Eindruck. Rechtwinklig sich durchschneidende Straßen – die durch dieselben gebildeten Vierecke von Tonmauern umgeben – die Häuser ohne Fensteröffnungen – das Ganze nur verschönt durch blühende Pflanzen und einzelne Palmen, das war es, was ihr Auge erblickte. Dennoch mußte die Bevölkerung Matarams nicht unbeträchtlich sein, denn an den Zug Anak Madés drängten sich zahlreiche Scharen von Männern, Frauen und Kindern, die sehr verwundert auf die weißen Gesichter Henriks und Fritzens starrten.

Sie kamen am Palast, einem stattlichen, in indisch-arabischem Stil gehaltenen, aus Backsteinen errichteten Bauwerk, das inmitten Matarams auf einem freien Platz lag, vorbei und verließen die Stadt auf der entgegengesetzten Seite. Anak Madé wurde von der Bevölkerung, welche vorwiegend aus Balinesen bestand, freundlich und ehrfurchtsvoll begrüßt.

Der Eindruck, welchen Mataram machte, war so fremdartig, so von allem verschieden, was europäische oder auch orientalische Städte kennzeichnet, daß selbst der Berliner erstaunt war und sich zu der Bemerkung aufraffte: »Det is aber ne putzige Jegend.«

Dicht vor dem andern Tor umfing die Reiter ein herrlicher Wald, der bald in künstliche Anlagen auslief, in deren Mitte Gunung Sari, das Lustschloß des Radscha und seine eigentliche Residenz, ein in indischem Stil errichtetes Prachtgebäude sich erhob. Während Anak Madé sich zum Hauptgebäude wandte, um seinen Vater zu begrüßen, wurden Mr. Blake, Henrik und Fritz zu einer der weiter zurückliegenden Behausungen geführt und dort einquartiert. In der Anlage des Parkes, mit seinen von Wasservögeln belebten Teichen, den Wohnungen, Stallungen und Wirtschaftsgebäuden, den Scharen von Dienern zeigte sich die ganze Pracht eines indischen Fürstenhofes.

»Det is aber fein hier«, meinte Fritz in einer aufrichtigen Bewunderung, welche Henrik vollkommen teilte.

Sie verbrachten den Tag, die heißen Stunden der Mittagszeit ausgenommen, damit, sich unter Mr. Blakes Leitung alle Herrlichkeiten Gunung Saris anzusehen, soweit das möglich war, ohne den Fürsten zu belästigen. Das prächtige Schloß enthielt in seinen Zimmern und Sälen nicht nur große Kostbarkeiten an indischen Geweben, Porzellanen, Schnitzereien aus Elfenbein und edeln Holzarten, schön verzierten Waffen und künstlerisch geformten Gefäßen aus Gold und Silber, sondern die große Vorhalle zeigte auch eine Reihe kostbarer Gemälde, welche Szenen aus dem altindischen Epos, dem Mahabharata, darstellten. Hierüber erstaunte Henrik am meisten.

Überraschend waren die künstlichen Wasserwerke des Parkes; Kaskaden, Fontänen, Wasserfälle, alles umrahmt von herrlicher tropischer Vegetation, boten reiche malerische Abwechslung.

»Det is noch scheener als unser Tierjarten«, gestand Fritz unter der Fülle von Eindrücken.

»Ja«, sagte Henrik, »das ist orientalische Pracht, von der wir zu Hause nur träumen.«

Nach Dunkelwerden waren Schloß und Park feenhaft durch bunte Laternen beleuchtet, dazwischen brannten in Kandelabern wohlriechende Hölzer.

Der Prinz sandte jetzt einen Diener und ließ seine jungen Gastfreunde zu sich bitten, um sie seinem Vater vorzustellen. Er entschuldigte sich, daß er sich nicht habe um sie bekümmern können, doch hätten ernste Geschäfte ihn davon abgehalten. Dann führte er sie zu einem Saal im Erdgeschoß des Schlosses, dessen weite Fensteröffnungen auf den Park hinausgingen.

In der gedämpften Beleuchtung sahen sie einen stattlichen, etwas beleibten Herrn vor sich, der im Kleid des vornehmen Inders in einem Lehnsessel ruhte. Das gut geformte, obwohl fleischige Gesicht, in welchem große dunkle Augen funkelten, drückte bedächtige Klugheit und zugleich Wohlwollen aus. Das war Ratu Nghura Agung Asem, der Radscha von Bali und Lombok.

Anak Madé nahte sich ihm mit tiefer Ehrfurcht.

Henrik verbeugte sich sehr respektvoll, und Fritze wäre beinahe hingefallen, so tief bückte er sich vor der vornehmen Person des Fürsten.

Der Prinz stellte die Jünglinge vor, und des Radschas Auge ruhte mit Wohlgefallen auf Henriks edler Erscheinung. Er sprach zu ihnen freundliche Worte, welche Anak dahin übersetzte: »Mein Vater dankt euch für den Beistand, den ihr mir geleistet habt, und heißt euch willkommen. Ihr seid seine gerngesehenen Gäste, so lang es euch gefallen wird, hier zu weilen.«

Der Fürst ließ an die jungen Leute noch einige Fragen über ihre Stammesangehörigkeit, heimischen Verhältnisse und nächste Absichten richten, die Henrik bescheiden beantwortete.

Ratu Asem entließ sie, indem er sich verabschiedend neigte, mit der Zusage, daß sie, um einen Hafenplatz zu erreichen, der ihrer Heimkehr förderlich sei, sich seines Beistandes versichert halten könnten.

Draußen fragte Fritz, der erst jetzt wieder zu sich kam: »Det war wohl 'ne Audienz, wie man det nennt?«

»Ja, so ungefähr.«

»Sehr nobel war die jelbbraune Durchlaucht, janz wie 'n Sekretar uff det Bureau, det muß ick sagen. Hat er nischt fallen lassen von so 'n Bändchen oder 'n kleenen Papagei; hier werden et ja woll Papageis statt Adler sind, in det Knopfloch vor mir?«

Henrik mußte verneinen, was Fritz sehr verstimmte.

Sie wurden in den Park geführt, wo sich schon zahlreiche, zum Hofstaat gehörige Personen eingefunden hatten, und wohnten der Aufführung von Waffentänzen junger Balinesen und den überaus geschickten und überraschenden Produktionen von privilegierten Gauklern bei, welche ihnen die höchste Bewunderung abnötigten. Mr. Blake geleitete sie dann nach Beendigung der Aufführungen zu ihrem Schlafgemach.

Als Fritz Fischer am andern Morgen erwachte und die noch verschlafenen Augen auf seine nächste Umgebung richtete, malte sich ein nicht geringes Erstaunen in seinen Zügen, welches erst mit dem aufdämmernden Bewußtsein, das ihm die Gegenwart zurückrief, wich.

»Ick habe et bloß geträumt«, murmelte er vor sich hin, »jetzt weeß ich et, aber et war zu natürlich. Die liebe Olle mit's Kaffeebrett un de Schrippen, un de Line ans Klavier, ick sah ihnen vor mir. Ick bin aber noch in die indische Jegend, un wie et nu weiter jehen wird, det weeß der liebe Jott. Mein juter Hamburger liegt noch in Morpheusens Armen, wie man sich jebildet ausdrückt.« Er warf einen Blick auf den unweit ruhenden und noch fest schlafenden Henrik. »Et is man jut, det wir von die olle Insel weg sind, ick halte et doch mit eene halbwegs jebildete Jegend. Et is hier janz propper, det muß man sagen, wenn't ooch 'n bißchen türkisch is oder so.«

Er ließ seinen Blick über das luftige Gemach streifen, das den beiden jungen Leuten als Schlafraum angewiesen war. Die großen Fensteröffnungen waren durch Gehänge von dünnen Bambusstäben geschlossen, die aber doch Luft und ein behagliches Dämmerlicht einließen. Außer den niedrigen Ruhestätten zeigte das geräumige Zimmer indische Rohrsessel und Diwans. Wo nicht Holzschnitzereien die Wände zierten, waren sie mit farbigem Musselin bekleidet. Teppiche von köstlicher Arbeit deckten den Fußboden. Einige Gefäße aus Metall und Porzellan waren in geschmackvoller Anordnung an den Wänden aufgestellt, und auf einem niedrigen runden Tisch stand ein Becken mit einem kleinen Metallstab daneben. »Ja, et is recht hübsch, wenn ick nur allens mitnehmen könnte.« Er betrachtete dann die Kleider, die vor seinem Bett lagen und des Gebrauchs harrten, und nahm das weiße Obergewand und die Sarong, die als Beinkleid diente, in die Hand, unwillkürlich die Beine kreuzend und unterschlagend und sich so in die Stellung bringend, in der die Schneider zu nähen pflegen.

»Der Stoff is jut«, murmelte er, »da is nischt jejen zu sagen, vier Mark fünfzig der Meter bei siebzig Zentimeter Breite. Is ooch jut jenäht, vor Handarbeit sehr jut; der braune Kollege hier versteht et ooch, det seh ick schonst. Aber ick jloobe, die haben hier von die freie Arbeit un von Handwerkerstolz keene Ahnung un am Ende ästimieren sie mir nich mehr, wenn sie wissen, det ick Schneider bin.«

Er versank, immer in seiner Stellung verharrend, in Nachdenken. »Nun, Fritz, willst du dich hier als Marchand tailleur niederlassen?« erklang Henriks Stimme, der halbaufgerichtet auf seinem Ruhebett lag und mit muntern Augen zu Fritz herüberschaute. Flink streckte Fritz seine gekreuzten Beine aus und ließ die Kleider, die er in der Hand hielt, fallen.

»Bist du schon bei der Hand, Hamburger?«

»Jawohl, mein lieber Schneidermeister in spe, ich bewundere den Kennerblick, mit dem du deine orientalische Kleidung betrachtest.«

»Als Maskeradenjarderobe mag det Zeug ja anjehn, aber et is ne janz unvernünftige Tracht.«

»Landessitte, Landesart; unser schwarzer Schwalbenschwanz und wunderlicher Zylinder würden einen seltsamen Gegensatz zu Palmen und indischen Häusern bilden. Mir will es scheinen, als ob du mit deiner Haltung und deinem ausdrucksvollen Angesicht für diese malerische Tracht geboren wärest.«

Fritze warf ihm einen Blick zu, der nicht ganz frei von Mißtrauen war, sagte aber doch: »Meenste?«

»Unzweifelhaft.«

Nach einer Weile sagte Fritz: »Du, Hamburger, ick will dir mal wat sagen.«

»Nun?«

»Siehste, et is ja natürlich, daß die jelben Menschen hier uns für etwas Reputierliches halten –«

»Selbstverständlich, besonders dich als geborenen Berliner.«

Ohne der Unterbrechung zu achten, fuhr Fritz fort: »Und et könnten sich ja noch allerlei Folgen dran knüpfen.«

»Hoffentlich«, erwiderte Henrik, der nur mit Mühe den Ausbruch heiterster Laune zügelte.

»Wenn die Leute hier nu erfahren, det ick man bloß von die Schneiderakademie bin, nich als ob ick mir etwa schäme, det brauchst du nich zu jlooben, ick bin stolz uff mein Metier, aber so 'n richtigen Handwerkerstand haben sie hier doch nich mit Zunft und Lade und Fahne – dann –« Fritz hielt zögernd inne.

»Nun, schieß nur los.«

»Ick meene, weil sie doch hier keenen richtigen Verstand von haben, wat unsereins bedeutet.«

»Nun ja, nur weiter.«

»Wenn sie nu erst wissen, det ick Schneider bin, am Ende könnten mir die Exzellenzen un Durchlauchten nich mehr jehörig ästimieren, un –«

»Weiter – weiter – ?«

»Deshalb brauchst du den Prinzen det nich gerade auf die Nase zu binden, det könnte meine jejenwärtige Stellung gefährden.«

»Das ist richtig. Der Fürst schien dich mit großem Wohlgefallen zu betrachten und wird dich wohl nächstens zum Geheimrat ernennen, vorausgesetzt, daß du dich gelb anstreichen lässest.«

»Mit dir is gar kein vernünftiges Wort zu reden«, sagte Fritz sehr verstimmt.

»Nein, sei nur ruhig – ich sage kein Wort von deiner akademischen Würde«, lachte Henrik, »mögen sie dich für einen abendländischen Prinzen halten.«

»Brauchst dich gar nich lustig zu machen, man hat doch seinen Pli un feines Benehmen –«

»Ja, ja.«

»Un ick habe mir doch ooch in die Schlachten honorig aufgeführt.«

»Der alte Derfflinger ist ein Hase gegen dich –«

»Der war ooch Schneider«, sagte Fritz sehr nachdrücklich.

»Darum erwähne ich ihn ja.«

»Und hat den Schweden det Maß mit eiserner Elle bei Fehrbellin genommen.«

»Richtig.«

»Un Napolium ooch –«

»Was?«

»Der war ooch Schneider.«

»Wer?« schrie Henrik auf.

»Na, der jroße Napolium mit Leipzig un Waterloo.«

Mit grenzenlosem Erstaunen starrte ihn Henrik an.

»Der war – ?«

»Ick sag et dir ja – der war ooch Schneider.«

»Hahaha!« Das Gemach dröhnte von dem Ausbruch von Henriks Heiterkeit. »Hahaha! Fritze, Schneiderseele, Marchand tailleur, willst du mich denn durch Lachkrämpfe umbringen: Napoleon, Schneider? Hahaha!«

»Ja, in die Bücher steht da nischt von, det hat er alles wegstreichen lassen, weil er sich später der Profession geschämt hat, aber Schneider war er.«

»Junge, woher hast du denn diese überraschende historische Kunde?«

»Det hat uns der Altgeselle mehr als einmal auf der Werkstatt erzählt. Napolium oder Bonaparte, wie er eigentlich hieß, war Geselle in Marseille und ein sehr feiner junger Mensch. Da sagte eines Tages ein General, der ihm jut leiden mochte, zu ihm: ›Hören Sie mal, kleiner Bonaparte, Sie sollten auch lieber Offizier werden, als sich mit der Nadel zu quälen, Sie haben so was Militärisches an sich.‹ Da sagte Napoleon: ›Wenn Sie meinen, kann ick ooch Offizier werden, det sagt mir sehr zu‹, und da wurde er Offizier und ein Jahr drauf war er schon General und gewann janz alleene die jrößten Schlachten.«

»Fritz, wenn du die Geschichte durch diese überraschende Neuigkeit bereicherst, wirst du schon allein dadurch berühmt.«

»Ach, ick erzähle et ja man nur, damit de weeßt, daß aus 'n richtigen Schneider allens werden kann.«

»Ich zweifle nicht, ich zweifle nicht und werde mich auch nicht verwundern, wenn du nach deiner bisherigen kriegerischen Tätigkeit auch schließlich noch Heere kommandierst und mindestens Feldmarschall wirst.«

»Meenste nich? Wenn ick mir man nur ordentlich uff det Geschäft lege, ick bringe et ooch fertig, so jut wie der Derfflinger.«

»Fritz, seitdem ich erfahren habe, daß Napoleon Schneider war, ehe er sich aufs Kriegshandwerk legte, halte ich alles für möglich. Aber diese Morgenunterhaltung hat mir einen Appetit verursacht, der dringend nach Befriedigung verlangt.«

»Jeht mir ooch so. Aber ick habe dir det allens nur jesagt, damit du mir nich unnötig in der Achtung dieser Menschen herabsetzest, die vor Gesellen von die Schneiderakademie von Pietsch nich den jehörigen Respekt haben könnten.«

»Nein, künftiger Generalissimus, von mir erfährt es kein Mensch, daß du statt des Schlachtschwertes bisher die Nadel geführt hast. Deine kriegerischen Neigungen gaben sich übrigens auch darin kund, denn es war immerhin Stahl, was du in der Hand führtest.«

»Mach dir nur lustig«, entgegnete Fritz, der von der Zusicherung Henriks sehr befriedigt war, »auf dem ollen Schiff habe ick die Menschenfresser doch jehörig zugesetzt.«

»Ja, das ist für alle Zeit aufgezeichnet.«

»Ohne von die jelben Mörder, die ick uff der Robinsoninsel injefangen habe, zu reden.«

»Ja, Fritz, in dir stecken mehrere Derfflinger, mindestens ein Napoleon und nebenher noch ein Freiherr von Münchhausen.«

»Wie meenst du det?«

»Ah, daß du einer der wahrheitsliebenden Menschen bist.«

Fritz wollte etwas entgegnen, aber Henrik unterbrach ihn mit einem »Genug, ich habe Hunger«.

»Is denn hier keen Kammerdiener nich oder so, der einem 'n bißchen uffwartet?«

»Warte, wollen mal sehen, ob wir deinen Kammerdiener nicht herbeizaubern können, ich bemerke doch, daß du etwas vom Grandseigneur in dir hast.«

»Von wat?«

»Das will ich dir später erklären, zukünftiger Napoleon.«

Henrik nahm das Stäbchen und schlug damit auf das metallene Becken, dem er dadurch einen hellen, lang anhaltenden Ton entlockte.

Wie er vermutete, rief dieser Laut Dienerschaft herbei, denn gleich darauf traten zwei braune Burschen ein, die sich tief verbeugten.

Henrik und Fritz Fischer wurden durch Gebärden eingeladen, zu folgen.

Man hing ihnen Mäntel von Baumwollenstoff um und führte sie in ein nahegelegenes Badezimmer, kleidete sie nach erfrischendem Bad an und geleitete sie in einen andern luftigen Raum, dessen großes offenes Fenster den Blick in einen Teil des Parkes freigab, wo ein nach indischer Sitte angerichtetes reiches Frühstück ihrer harrte.

Mit dem besten Appetit sprachen die jungen Leute den schmackhaft bereiteten Speisen, dem trefflichen Tee zu.

Nach beendetem Mahl ließen sie die aufwartenden Diener abtreten und setzten sich an das Fenster, mit tiefem Behagen die köstliche duftgeschwängerte Luft einatmend und sich an dem zwar beschränkten, aber lieblichen Anblick, den das kleine Stück Park dem Auge bot, erfreuend.

»Det is recht hübsch hier«, meinte Fritz, »det is so wie in't Palmenhaus bei uns.«

Henrik war in Gedanken versunken und achtete deshalb der kühnen Behauptung des Spreeatheners nicht.

Nach einiger Zeit äußerte der Schneider, der vom Schweigen kein Freund war: »Worüber jrübelste denn, Hamburger?«

»Ich sinne über die wunderbaren Fügungen nach, die uns aus tiefem Elend hierhergeführt an den Hof eines gastfreien Fürsten.«

»Ja, Hamburger, et is wunderbar jenug, und der liebe Jott muß et doch jut mit uns meinen. Wenn et man nur so bleibt.«

»Du hast recht, noch sind wir weit vom Heimatland, doch ich würde mich der Gegenwart mit ungetrübter Freude hingeben, wenn ich über das Schicksal des ›Roland‹ beruhigt wäre.«

»Ja, der jute Herr Findling; aber sei man ruhig, Hamburger, dem wird der liebe Jott ooch aus die Patsche helfen.«

»Mögest du wahr sagen.«

»Meene liebe Olle, die wird sich ooch schon um mir ängstigen, un et is schade, det hier keen Postbureau is mit Briefmarken, ick würde ihr schonst allens schreiben, und der Jule würde eine unbändige Freude über die wilden Marken haben.«

»Das müssen wir noch aufschieben, bis wir in eine Hafenstadt kommen, die regelmäßige Verbindung mit Europa hat.«

»Wenn sie in der Reezenjasse wüßten, wie ick hier in die fremde Kledasche rumgehe un von Hoheiten und Durchlauchten ästimiert werde, die würden sich aber wundern. Recht nobel jeht et hier zu, det muß ick sagen. Von so 'ne Jegend hab' ick doch keene Ahnung jehabt.«

»Diese Insel ist auch wohl kaum je von Europäern, die Häfen ausgenommen, betreten worden, es ist eine unbekannte, eigenartige Welt.«

»So?« meinte Fritz nachdenklich, »dann werden sie hier am Ende gar keenen Orden haben.«

Es zuckte um Henriks Mundwinkel, und seine Augen drückten das Vergnügen aus, das er bei dieser hingeworfenen Äußerung des Schneiders, die da ankündete, womit sich seine Gedanken vorwiegend beschäftigten, empfand.

»Aber warum nicht?« erwiderte er mit drolligem Ernst. »Haben wir Elefanten- und Schaffellorden –«

»Wat haben wir?«

»Nun, Dänemark hat den Elefantenorden, und Spaniens Goldenes Vlies ist nichts weiter als ein Widderfell.«

»Na, da is doch det Ende von weg«, sagte erstaunt der Schneider.

Ernsthaft aber fuhr Henrik fort: »Warum sollten die Leute hier nicht einen Tiger-, Panther-, Rhinozerosorden haben?«

»Hm, möglich wäre et ja. Ick habe nur jar nischt jesehen an die Leute, nich emal 'ne Dienstschnalle oder so wat.«

»Nun, wir werden darüber noch ins klare kommen, der Prinz ist ein sehr gebildeter Mann, hat unter Engländern gelebt und weiß, was sich ziemt.«

»Diamanten oder so soll et in diese Länder doch recht viele jeben.«

»Das glaube ich auch, und deshalb werden wahrscheinlich alle Orden nur in Brillanten verliehen werden.«

»Meenste?« Fritze versank wieder in Nachdenken, sagte aber nach einiger Zeit: »So 'n Rhinozerosorden möchte ick aber doch nich jerne haben.«

»Unsinn! Du brichst die Brillanten 'raus und trägst den Orden versteckt.«

Mr. Blake, der ebenfalls die Nacht in Gunung Sari zugebracht hatte, ließ sich melden und begrüßte die jungen Leute freundlich.

In der zwischen ihm und Henrik in englischer Sprache geführten Unterhaltung teilte der Kapitän des »Arang« mit, daß der Prinz schon vor Tagesanbruch mit einer Schar Reiter ins Land geritten sei.

Zur Erklärung fügte er hinzu: »Die Balinesen, als der herrschende Stamm auf dieser Insel, werden von den Eingeborenen des Landes, den Saffakern, gefürchtet und gehaßt, und blutige Aufstände gehören nicht zu den Seltenheiten. Anak Madé fürchtet, daß der Anschlag auf ihn nicht nur von raublustigen Malaien ausgegangen sei, sondern daß die Saffaker nach seinem Leben strebten. Der Prinz, der vor vier Jahren einen Aufstand mit großer Tapferkeit niederwarf, ist sehr gefürchtet von den Eingeborenen, und er ist mit der ihm eigenen Kühnheit ins Land geritten, um sich von der Haltung der Saffaker und ihrer Häupter zu überzeugen. Er läßt seinen jungen Gastfreunden seine Grüße vermelden und sie bitten, alles, was ihm gehöre, als ihr Eigentum zu betrachten.«

Trotzdem Henrik von dem Sohn des Radscha bereits Andeutungen erhalten hatte, welche einiges Licht auf die innern Verhältnisse des Landes warfen, überraschte es ihn doch, daß Anak Madé sich so rasch auf eine Expedition begeben hatte, die kriegerische Gefahren in sich barg, und er äußerte dies Mr. Blake gegenüber.

»Ich glaube nicht«, entgegnete dieser, »daß die Gefahr eines Aufstandes droht, denn die Entschlossenheit und Tapferkeit Anak Madés sind bekannt genug, sein Ritt ins Land wird, immer vorausgesetzt, daß die Saffaker sich überhaupt zu rühren gedächten, überaus einschüchternd wirken.«

»Sie leben schon längere Zeit hier, Mr. Blake?«

»Vier Jahre. Anak Madé lernte mich auf seiner Reise nach Kalkutta – ich diente als Steuermann auf dem Dampfer, der ihn trug – kennen und fand Gefallen an mir. Auch in Kalkutta sah ich ihn wiederholt, während er dort studierte. Als er mir schließlich den Vorschlag machte, als Schiffsführer in die Dienste seines Vaters zu treten, nahm ich an und befinde mich hier ganz wohl, der Radscha sowohl als der Prinz sind vornehme, fürstliche Naturen.«

»Und Sie denken hier zu bleiben?«

»Doch nicht. Ich werde recht hoch besoldet und führe ein bequemes Leben, doch hoffe ich, in einem oder zwei Jahren mit meinen nicht unerheblichen Ersparnissen mein Vaterland wieder aufsuchen zu können.«

»Sie kennen gewiß auch das Innere des Landes?«

»Ich bin nie weiter als Mataram und Gunung Sari gekommen, doch habe ich in diesen Jahren sorgfältige Küstenvermessungen vorgenommen. Das Innere der Insel ist unbekannt, es existiert auch keine Karte davon; die Fürsten scheuen sich, fremde Gelehrte ins Land zu lassen, sie fürchten ungemein, daß die Holländer Gelüste nach Lombok verspüren und ihnen ihre Macht nehmen könnten.«

»Das Innere des Landes und besonders der riesenhafte Vulkan müssen sehr Interessantes bieten.«

»Mag sein, doch ich habe als Seemann kein Verlangen, dort Studien zu machen.«

»Für mich wäre es die Befriedigung eines heißen Wunsches, das Innere dieses seltsamen Landes sehen und den feuerspeienden Berg besteigen zu dürfen.«

»Ich fürchte, Sir, daß dieser Wunsch ohne Erfüllung bleiben wird.«

»Schade. Welche Aussicht bietet sich uns denn, von hier aus nach einem besuchten Hafen gelangen zu können?«

»Der Verkehr europäischer Schiffe in Ampanan ist ein sehr unregelmäßiger. Einem der chinesischen oder malaiischen Küstenfahrer sich anzuvertrauen, ist untunlich, wir müssen deshalb warten, bis ein Dampfer oder Kauffahrer anlegt, doch fürchte ich, daß da noch einige Zeit vergehen wird.«

»So müssen wir uns in Geduld fassen; unsere gegenwärtige Lage läßt ja nichts zu wünschen übrig.«

»Soweit es mein Dienst erlaubt, stelle ich mich gern zur Verfügung«, sagte Mr. Blake höflich, »doch muß ich jeden Augenblick des Befehls gewärtig sein, Soldaten nach irgendeinem Punkt der Küste zu führen, so daß ich mich bald an Bord begeben muß. Der Prinz hat indessen einen jungen Offizier, der mit ihm in Kalkutta war und trefflich Englisch spricht, zu Ihrem Adjutanten ernannt. Ara Labung, der im Land weilt, wird sich noch heute bei Ihnen melden.«

Henrik drückte sein Bedauern aus, daß er die Gesellschaft Mr. Blakes entbehren solle.

»Sie werden in diesem köstlichen Landaufenthalt des Radscha nicht nur Erholung, sondern auch Unterhaltung finden. Wenn es Ihnen beliebt, machen wir einen Spaziergang durch den Park, den Sie gestern doch nur flüchtig gesehen haben.«

Henrik und Fritz folgten gern der Einladung des gefälligen Mannes. Durch schattige Alleen, deren Bäume reich von buntfarbigen Papageien der verschiedensten Gattungen und den schönen grünen Tauben belebt waren, die den kleinen Sundainseln eigentümlich sind und sehr wenig Scheu vor Menschen haben, führte er sie nach einem Teil des Parkes, den sie gestern nicht betreten hatten.

Hier befand sich die Tiersammlung des Radscha. In geschmackvoller Anordnung waren die Tiere in einzelnen Häuschen, die als Käfig dienten, oder auf umfriedigten Plätzen untergebracht. Da auf den kleinen Sundainseln schon längst die größern wilden Tiergattungen ausgestorben sind, stammten die Bewohner der fürstlichen Menagerie größtenteils aus Indien.

Der bengalische Tiger war in mehreren prächtigen Exemplaren vertreten, die das Staunen und Grausen Fritz Fischers hervorriefen.

»Det sind jrade solche Canaillen, wie du eene jeschossen hast, Hamburger.«

Nicht ohne innern Schauder dachte Henrik an seine Begegnung mit der gefährlichen Bestie, und Mr. Blake vernahm davon wie von dem Keulenschlag, mit dem der Waldmensch sie abgetan, mit Staunen und Bewunderung.

»Det is 'ne jefährliche Sorte«, meinte Fritz.

Auch der schwarze Panther war vorhanden, dessen Anblick Henrik lebhaft die Erinnerung an seines Vaters einsames Grab zurückrief.

Zahme indische Elefanten, Hirsche und Rehe, der nur den Sundainseln angehörende Hirscheber, Büffel, einige riesige Exemplare des Gangeskrokodils zogen ihre Aufmerksamkeit an.

Die Schlangen waren zahlreich in starken Glaskästen vertreten. Vogelhäuser, welche schöne Exemplare sämtlicher Vogelarten der Sundainseln bargen, gewährten überraschende und anmutige Bilder.

Die Bewohner eines großen Affenhauses entzückten vor allem Fritz Fischer.

»Det is 'n Zoologischer«, äußerte er. »Der kann sich beinah mit unserm messen, vor 'ne wilde Insel is det janz hübsch.«

Das Ganze war zwischen Bäumen und Büschen angebracht und hatte malerische Wirkung.

Während sie dahinschritten, ehrfurchtsvoll von einigen der Wärter begleitet, begegnete ihnen ein junger Hindu, der, zum Hof des Radscha gehörend, sich durch große Gewandtheit in indischen Zauberkunststücken auszeichnete und auch gestern abend schon vor den entzückten Zuschauern einige seiner Künste gezeigt hatte.

»Da kommt Sundara, der indische Magier«, sagte Mr. Blake, »vielleicht ist er in der Laune, uns einige seiner geheimnisvollen Produktionen vorzuführen. Ich will ihn darum bitten.«

Er rief den höflich grüßenden Hindu an, stellte ihn den jungen Leuten vor und trug ihm dann seine Bitte – Sundara verstand und sprach Englisch – ihnen einige Beweise seiner ungewöhnlichen Kunstfertigkeit zu geben, vor.

Der Hindu, ein junger Mann mit klugem Gesicht, der Mr. Blake als eine am Hof des Radscha angesehene Person kannte und wußte, daß er in den beiden Weißen Gäste des fürstlichen Hofes vor sich hatte, nickte lächelnd Gewährung.

Sie waren an einem freien Platz angekommen, der, von schattigen Bäumen umgeben, eine gleichmäßige, von äußerst kurz gehaltenem Rasen bedeckte Fläche bildete.

Der Hindu rief einem der Menageriewärter etwas zu, worauf dieser rasch einen aus Bambusstreifen geflochtenen länglichen Korb herbeiholte, wie man sie überall sah. Sundara, der Hindu, übergab diesen leeren, durchsichtigen Korb Fritz und ersuchte ihn in englischer Sprache, diesen irgendwo auf dem Rasenplatz mit der Öffnung nach unten aufzustellen.

»Wat soll ick machen, Hamburger? Uff Zauberjeschichten laß ick mir nich in, det sag ick jleich.«

»Du sollst nur den Korb irgendwo hinstellen.«

»Jut, det will ick machen.«

Er trat vor, setzte den Korb, den Boden nach oben, nieder und ging dann wieder zurück.

Die Europäer standen etwa zwölf Schritte von dem Korb, der, leicht und durchsichtig gearbeitet, absolut nichts in sich verbergen konnte. Die Menageriediener standen weiter ab. Der Hindu schritt um den Korb herum, leise murmelnd, machte einige Gebärden nach dem Korb zu, blieb stehen, hob den Korb empor und – sechs Schlangen reckten züngelnd ihre Häupter hoch aus dem Gras.

Es war staunenswert, denn auch das ganz kurze Gras konnte die Tiere nicht verborgen haben.

»Det is kolossal«, murmelte Fritz. »Sind sie jiftig?«

Der Hindu, den Korb in der Hand, umschritt im Kreis die Schlangenhäupter, die, sich zu ihm neigend, ihm folgten, deckte dann den Korb wieder darüber, und nach einigen beschwörenden Gebärden hob er ihn wieder empor, lächelnd einladend, sich zu überzeugen, daß die Schlangen verschwunden seien. Alle traten hinzu, betrachteten den ganz gewöhnlichen Korb und den unberührten, festen Erdboden. Die Schlangen waren verschwunden, wie sie gekommen waren.

»Da is aber det Ende von weg«, erklärte Fritz.

»Die Künste dieser indischen Jongleure«, sagte Mr. Blake, »sind staunenswert.«

Er und Henrik überhäuften Sundara mit Lobsprüchen, die dieser wohlgefällig entgegennahm.

»Was meinst du«, sagte Mr. Blake dann zu ihm, »wenn du uns das bewundernswerteste deiner Kunststücke vorführtest, das mit den Pfeilen; du würdest uns allen eine große Freude damit bereiten.«

Der Inder sah nach dem Himmel und den Baumkronen, prüfte den Luftzug, sagte dann, er sei bereit, und gab einem der Diener einen Befehl, worauf sich dieser flink entfernte.

»Jetzt werden Sie etwas zu sehen bekommen«, äußerte Blake, »was ein Europäer niemals fertig bringt.«

»Glauben Sie, daß ein Europäer das Schlangenkunststück nachahmen kann?«

»Das wäre möglich.«

»Wie erklären Sie es sich?«

»Diese Leute haben ein wunderbares Talent, Schlangen zu zähmen und abzurichten. Ich zweifle nicht, daß er die Schlangen bei sich trug, sie, ungesehen von uns, ins Gras unter den Korb schlüpfen ließ und dann, unsere Aufmerksamkeit durch seine Gebärden ablenkend, wieder an sich rief. In der Dressur dieser Tiere liegt hier das Wunderbare.«

Schon kam der Diener zurück und überreichte dem Hindu einen Bogen und ein Bündel Pfeile.

Dieser wählte sorgfältig acht Pfeile aus und steckte sie nebeneinander in den Gürtel.

»Ich muß einen Schuß tun, Sahib, um den Luftzug zu erproben.« Er legte einen neunten Pfeil auf die Sehne und schoß ihn senkrecht in die Höhe. Der Pfeil kam herab und sauste einige Schritte von der Gruppe entfernt bis fast zu dem befiederten Ende in den Boden. Der Indier wechselte hiernach seine Stellung und bat die andern, zu seiner Seite zu treten. Als dies geschehen war, schnellte er mit einer fabelhaften Schnelligkeit alle acht Pfeile, die er im Gürtel trug, einen nach dem andern in die Höhe – und alle acht Pfeile fielen, einen Kreis bildend, gleichzeitig wieder hernieder.

»Wonderful!« rief der Engländer, »herrlich! prächtig!« Henrik. Auch Fritz, der freilich die außerordentliche Geschicklichkeit, welche das Abwägen der größern oder geringern Kraft erforderte, mit der die Pfeile in blitzschneller Folge emporgeschnellt wurden, nicht zu würdigen vermochte, stimmte ein. Henrik aber, der recht gut erkannte, worin die wunderbare Kunst des Hindu bestand, staunte sie deshalb um so mehr an. Blake und er drückten Sundara lebhaft ihre Anerkennung aus und sagten ihm Dank.

»Sie haben recht, Mr. Blake«, sagte Henrik dann, »das wird nie ein Europäer nachahmen, das ist staunenswert.«

Der Jongleur sammelte seine Pfeile, grüßte und entfernte sich, während die Jünglinge unter des Kapitäns Führung weitergingen.

Sie erreichten durch einen schattigen Laubgang einen freien grünen Platz, an dessen Ende sich ein Tempel erhob, vor dem einige prächtige Kühe weideten.

»Das ist ein den indischen Gottheiten geweihtes Haus, in dem die Balinesen ihre Andacht verrichten.«

Es war ein mit reichster indischer Ornamentik geschmücktes Gebäude, das sie vor sich sahen, dessen unterer Teil aus rötlichem Sandstein, dessen oberer aus kostbaren geschnitzten Hölzern errichtet war. Zwei riesenhafte, aus Stein gemeißelte Figuren, in den grotesken, doch bedeutungsvollen Formen der indischen Symbolik ausgeführt, flankierten den Eingang, zu dem einige Stufen hinaufführten. Der von hohen Bäumen umstandene Platz, das still und einsam daliegende Gebäude machten einen feierlichen Eindruck.

»Wat is denn det?« fragte leise Fritz.

»Ein Hindutempel.«

»Ach, du meenst so 'ne Kirche vor die braunen Menschen?«

»So ist es.«

»Jotte doch, wat haben die aber vor Fratzen vor die Tür, die haben ja acht Arme.«

»Still, diese Figuren sind den Leuten heilig.«

Ein weißgekleideter Priester erschien im Eingang und schritt dann auf sie zu.

»Müssen wir uns entfernen, Mr. Blake?«

»O nein, die Leute sind nicht fanatisch.«

Der Priester kam heran und betrachtete mit großer Aufmerksamkeit Henrik und Fritz. Er grüßte höflich, und sich an den Engländer wendend, fragte er in balinesischer Sprache: »Sind das die jungen Europäer, die Anak Madé vor dem Kris der Malaien gerettet haben?«

Als Mr. Blake bejahte, wandte er sich an Henrik und Fritz. »Ihr waret das Werkzeug der Gottheit, Freunde, um dieses Land vor unendlichem Weh zu bewahren. Wir sind euch dankbar und haben Wischnu, dem Erhalter, Opfer für euch dargebracht.«

Mr. Blake übertrug Henrik diese Worte.

»Du sagst recht, Priester, wir waren Werkzeuge in Gottes Hand.«

»Gefällt es euch, Freunde, in das Haus der Ewigen zu treten, ihr seid willkommen.«

Henrik, der gern die Gelegenheit benutzte, das Innere eines Hindutempels zu sehen, nahm die Einladung dankbar an.

Fritze sagte, als ihm die Aufforderung, den Tempel zu betreten, verdeutscht wurde: »Ick jehe mit, Hamburger, ick werde dir in die Jötzengegend nich allein lassen.«

Der Priester geleitete sie durch den Haupteingang und eine Vorhalle in das Innere des Tempels. Die vor dem Eingang emporragenden massigen Götterbilder sahen in der Nähe noch abschreckender aus als aus der Ferne, wie auch die reiche, phantastische Ornamentik der Front etwas Sinnverwirrendes hatte, was dem Herrn aus der »Reezengasse« Unbehagen verursachte.

In das Innere geführt, befanden sie sich in einem hohen und umfangreichen Raum, den geheimnisvolle Dämmerung einhüllte. Die Wände waren bedeckt mit symbolischen Figuren in für den Nichteingeweihten unverständlicher wirrer Zeichnung. Auf steinernen Altären lohten kleine Feuer, und betäubender Geruch verbrannten Räucherwerks füllte den ganzen Raum. Rechts und links erhoben sich Götterbilder, die in dem Dämmerlicht der großen Halle unheimlichen Eindruck machten.

Das mächtigste dieser, die göttlichen Gewalten darstellenden Bildwerke erhob sich dem Eingang gegenüber und ragte hoch auf. Die verzerrten Gesichtszüge, die unförmlichen Leiber, die vervielfachten Glieder der nur entfernt an Menschen erinnernden Figuren, auf denen der Schein der Altarflammen unruhig hin und her zuckte, waren eher geeignet, Grausen zu erwecken, als Ehrfurcht oder Bewunderung hervorzurufen.

»Hamburger«, flüsterte Fritz, »ick verziehe mir, ick halt et nich aus, et jruselt mir. Et riecht hier nach Menschenblut.«

»Still!«

Der Priester, der sie langsam und schweigend einherführte, geleitete sie jetzt zu einem andern Ausgang, der in einen freundlichen Hofraum auslief, den die Wohnungen der Priester einfaßten.

Hier sagte er: »Wir gestatten selten Fremden, die nicht zu Brahma beten, Eingang in den Tempel, aber jeder gute Mensch ist der Gottheit angenehm, und daß ihr gute Menschen seid, habt ihr bewiesen.«

Andere Priester erschienen, begrüßten die Fremden, überreichten ihnen Blumen und jedem ein Täfelchen aus Bambusrinde, auf denen Sprüche aus den heiligen Schriften der Inder eingekratzt waren.

Die drei Europäer dankten und verabschiedeten sich. Gleich darauf umfing sie der hochstämmige Wald, der an die Tempelmauer grenzte. So groß Henriks Interesse an dieser Stätte eines fremden Kultus war, so teilte der Schneider es durchaus nicht, ihm waren Tempel, Priester und Götterbilder höchst unheimlich erschienen.

»Zu die ollen Zauberer mit's Räucherwerk in die dunkle Bude und die steinernen Fratzen jeh' ick nich wieder hin; det is ne scheene Jesellschaft.«

Henrik wollte ihn über die Religion Brahmas belehren, aber Fritz unterbrach ihn: »Laß jut sein, Hamburger, ick will nischt von wissen, det is allens fauler Zauber. Ick habe Jeschichten von so Sachen jelesen, die murksen hier Menschen ab, det kenn ick schonst.«

Alle Bemühungen Henriks, ihm diesen törichten Glauben zu nehmen und ihn zu überzeugen, daß der Gottesdienst der Hindu keine blutigen Opfer bedinge, blieben fruchtlos.

»Det kenn' ick allens, Hamburger«, erwiderte er, »ick habe von jelesen mit Ferdinand Cortez un so, ne det is ne jrausliche Mörderbande, ick will nischt mit zu tun haben. Ick verlasse mir nur uff unsere Durchlaucht, der ick doch schließlich det Leben gerettet habe, der Prinz wird mir nischt tun lassen.«

»Tu hast dem Prinzen das Leben gerettet?« fragte Henrik, über diese neueste Münchhauseniade des Berliners doch verblüfft.

»Meenste nich? Der Mordbube mit det krumme Messer, den ick jefangen jenommen habe, hatte et doch sicher auf die Durchlaucht Exzellenz abjesehen, det is doch mal klar, und et wär' ooch 'n scheenes Malör passiert, wenn ick ihm nich zahm jemacht hätte. Det war 'n schwerer Junge, sag' ich dir.«

»Diese Auffassung ist zwar sehr eigenartig«, sagte Henrik hoch belustigt, »aber sie hat viel für sich.«

»Ich jloobe ooch«, meinte Fritz und murmelte in sich hinein: »Ich bin nur neugierig, wie die hier sich löffeln werden.«

Henrik wandte sich von dem mit so beneidenswerter Phantasie begabten ehrgeizigen Schneider zu Mr. Blake, dessen Schilderungen feierlicher Handlungen in und vor dem Tempel, denen er wiederholt mit angewohnt hatte, er mit Interesse lauschte.

Fritz Fischer gab hierauf den Wunsch zu erkennen, etwas »zu mangscheen«, da die »Tempelangelegenheit ihm alteriert habe«, und Mr. Blake, hiervon verständigt, schlug den Heimweg ein.

In der den beiden angewiesenen Wohnung angelangt, fanden sie, ganz nach dem Wunsch Fritzens, dessen Appetit, seiner Phantasie darin gleich, etwas Ungeheuerliches an sich hatte, ein reiches Mahl bereit, dem sie mit Behagen zusprachen.

Als Mr. Blake nach beendetem Mahl seine Absicht ankündigte, nach Ampanan zu reiten, um nach dem Schoner zu sehen, erklärte Henrik, der den Waldmenschen nicht so lange allein lassen wollte, ihn begleiten zu wollen. Fritz lehnte eine Aufforderung hierzu ab, da er eine »Schlafung« zu machen gedenke, und Henrik, der herzlich wünschte, seinen Leidensgefährten bald wieder in aller Kraft vor sich zu sehen, drang nicht weiter in ihn.

Auf den herbeibeorderten Pferden ritt er mit Mr. Blake in Begleitung einiger Diener davon, während Fritz sich zum Mittagsschläfchen auf einem weichen Polster niederließ.

Als der junge Schneidergeselle sich nach einiger Zeit »aus Morpheusens Armen«, wie er gern sagte, erhob, setzte er sich an das offene Fenster und schaute sinnend hinaus.

»Es jeht mir recht jut hier in die fremde Jegend, allens wat wahr is, und die Leute essen janz jut hier; ick wollte, det jute Mutterchen und die andern hätten ooch wat von.« Er eilte in Gedanken nach der fernen Heimat und suchte die Wohnstätte seiner Lieben auf.

»Ob sie wohl an mir jetzt denken?« sagte er leise vor sich hin.

»Döskopp!« klang es ganz deutlich in einem etwas krächzenden Ton an sein Ohr.

Hoch horchte er auf, er kannte den plattdeutschen Ausdruck sehr gut. »Nanu? Wat is 'n det? Hamburger, bist du et?«

»Schafskopp!« sagte dieselbe Stimme.

»Du, das verbitt' ich mir aber«, fuhr er jetzt empor. »Mach deine Witze mit andern Leuten.«

Er blickte zornig zu der Fensteröffnung hinaus, gewahrte aber niemand. Auf den Bäumen spielten die grünen Tauben, Kakadus und kleine bunte Papageien, wie sie den ganzen Park belebten; sonst lag alles still und einsam da. »Hamburger, uze mir nich und komm hervor«, rief er nach den Büschen hin.

»Hahaha!« erklang ein schrilles Lachen, und zwar kam der Ton von oben.

Er erschrak doch in der Tiefe seiner Seele bei dem ungewohnten höhnischen Ton. Er blickte empor, gewahrte aber nichts als die Ausladungen des hölzernen Baues, in dem er sich befand.

»Na, da is doch det Ende von weg? Wer is denn det?«

Dem Schneider wurde unheimlich zumute.

Aus den Büschen vor ihm klang es jetzt recht deutlich herüber: »Good morning.«

»Ja, good morning, hol dich der Kuckuck; wenn du mich zum besten haben willst, werde ick dir wat zeigen. Ick bin noch mit janz andere Leut fertig jeworden.«

Während der Schneider auf Antwort harrte und seine Augen anstrengte, um das Gebüsch zu durchdringen, klang es über seinem Haupt: »Döskopp!« ein Ausruf, dem wieder das höhnische, unheimliche Lachen folgte.

Fritz wurde sehr bleich.

»Det jeht nich mit rechten Dingen zu.«

»Hahaha!« ertönt es wieder, diesmal etwas entfernter.

Fritz sank in seinen Rohrstuhl zurück, er bebte an allen Gliedern.

Plötzlich wurde in einem scharfen Ton die Melodie von »Heil dir im Siegerkranz« gepfiffen, doch immer sich wiederholend nur die ersten Teile des Liedes.

»Det is«, murmelte Fritz, »det is 'n Landsmann.«

»Hahaha!« Von neuem das entsetzliche Lachen.

»Jott erbarm sich«, stöhnte Fritz, »hier jeht eener am hellen Tag um«, und er vergrub sein Gesicht in den Polstern.

Nach geraumer Zeit, während er in nicht geringer Aufregung lauschend verharrte, ohne daß sich die verdächtigen Laute wiederholten, hörte er das Geräusch eiliger Hufschläge, und gleich darauf trat raschen Schrittes Henrik ein.

»Nun, tapferster aller marchand tailleurs», wo steckst du?« fragte er heiter, verstummte aber, als er das verstörte Wesen des Schneiders gewahrte.

»Was fehlt dir, Mensch? Bist du wieder krank?«

»Hamburger, bring mir weg von hier, ick halte et nich mehr aus.«

»Warum denn nicht? Was ist denn geschehen?«

»Hamburger, et spukt hier, hier jibt et Jeister.«

»Das wäre.«

»Ick bleibe nich vor 'n Dorf hier, in det verzauberte Nest. Hamburger, rette mir.«

Die Verzweiflung des Berliners sprach so deutlich aus seinem ganzen Wesen, daß Henrik wirklich besorgt fragte: »Aber so sprich doch nur, Mensch, was ist denn vorgefallen?«

Und nun erzählte der zitternde Schneider in fliegender Eile, was ihm begegnet war.

Verdutzt hörte Henrik zu.

»Aber, lieber Freund, das wird ein Papagei gewesen sein.«

»Papagei? So? Ick habe wohl jehört, det et sprechende Papageien jeben soll, un habe ooch daran jedacht in meiner Angst, aber, Hamburger, die werden doch hier auf die türkische Insel nich deutsch sprechen. Det is 'n verzauberter Jeist, sage ich dir, der mir Schafskopf geschimpft hat. Un ick bin et ja ooch, wat habe ick in die fremden Weltteile zu suchen? Hamburger, in det verzauberte Schloß bleibe ick nich.«

Henrik beruhigte ihn so gut es gehen wollte. Die Anwesenheit eines Papageien, der deutsche Worte wiederholte, hier auf der Europäern unzugänglichen Sundainsel, wollte ihm auch nicht recht wahrscheinlich dünken. Hatte der immer noch nervös erregte Schneider geträumt?

Um ihn von seinen Gedanken abzubringen, erzählte er ihm von dem Waldmenschen, der große Freude gezeigt habe, als er Henrik vor sich gesehen, sonst aber still in einer Ecke oder auf den Rahen seine Zeit verbrachte.

»Is denn keen Schiff da, det mir von die jrausliche Insel wegbringt?«

»Nein, noch nicht.«

»Laß uns auskneifen, Hamburger, sonst werden wir auch massakriert.«

»Wie denn massakriert?«

»Det sin Jeister hier von Leuten, die die ollen Zauberer in dem Tempel abgemurkst haben.«

»Laß dich doch nicht auslachen, Schneiderseele. Das wird sich ganz natürlich erklären.«

»Ja, det wird 'ne scheene Erklärung werden«, erwiderte kläglich der Schneider, »ick habe so Geschichten jelesen von Zauberinseln.«

»Komm, wir wollen hinausgehen und uns dort in den Schatten der Feigenbäume setzen, da werden dir die abergläubischen Gedanken vergehen.«

»Mir is et recht. Aber bleib nur bei mir. Uff mir haben sie et abgesehen.«

Henrik führte den ganz gebrochenen Berliner Jüngling hinaus und zu einer im Schatten angebrachten Ruhebank.

»Ich begreife gar nicht, daß du, ein Spreeathener, ein Kind der Metropole der Intelligenz, dich so ins Bockshorn jagen läßt.«

»Du hast noch nich mit Jeistern zu tun jehabt.«

»Döskopp!« sprach eine krächzende Stimme über ihren Häuptern.

Der Schneider wäre beinahe von der Bank gefallen, selbst Henrik zuckte unwillkürlich bei dem Laut zusammen, der so überraschend aus der Höhe herabklang. Er richtete die Augen nach oben und erblickte einen der grauen Papageien, wie sie so oft auch in Deutschland im Käfig gehalten werden und sich vorzugsweise durch Intelligenz und Nachahmungsgabe von Tönen auszeichnen.

» Good morning«, sagte der Vogel und neigte den Kopf, freundlich mit dem einen Auge auf die beiden jungen Leute herunterlugend.

» Good morning«, erwiderte Henrik höchst vergnügt, so die Ursache des Entsetzens des Schneiders ergründet zu sehen. » Good morning, Sir. How are you?«

»Döskopp!« antwortete der Vogel und ließ dann das eigentümliche Lachen hören, das Fritz so viel Schrecken eingejagt hatte.

Der Berliner starrte wie versteinert auf den Vogel, der wenige Fuß über ihnen ganz zutraulich saß. »Da is aber doch det Ende von weg«, stammelte er. »Det Vogelvieh hat mir zum besten jehabt.«

»Es scheint so, obgleich man sich mit einem Berliner keinen Scherz erlauben sollte.«

»Kann det nich 'n verzauberter Jeist sein?«

»Wenn du nun jetzt deinen Unsinn nicht laßt, Napoleon mit der Nadel, dann sollst du etwas erleben, Bursche.«

Fritz fuhr erschreckt zusammen bei dem barschen Ton Henriks und schwieg.

»Komm, Papchen, komm«, lockte Henrik, indem er dem Vogel die Hand hinhielt.

»Koppchen kratzen«, brachte dieser hervor.

»Natürlich, komm nur, komm, wollen Koppchen kratzen.«

Der, wie es schien, sehr zahme Vogel kam nach einigem Zögern auf Henriks Hand herab und schaute ihn zutraulich an. Dann neigte er den Kopf, und Henrik, der die Gewohnheiten dieser gezähmten Tiere kannte, kraulte ihn sanft, was dem Tier zu behagen schien.

»Bist du nun ein Engländer oder ein Deutscher, Papchen?«

» Good morning«, sagte der Vogel.

»Also ein Engländer, auch gut.«

»Döskopp!«

»Ah, das geht auf dich, Fritz. Nun, was fehlt dir denn? Bist du nicht froh, daß dein Geisterspuk sich so hübsch aufgeklärt hat?«

Der Schneider sah finster zu Boden.

»Ah, der Herr aus der ›Reezengasse‹ sind ungnädig? Na, komm, junger Derfflinger ›mit die Jeistererscheinungen‹, wir wollen gehen und etwas ›mangscheen‹. – Auch jetzt heitert sich dein geistvolles Angesicht nicht auf?«

»Döskopp!« krächzte der Papagei.

»Verwünschtes Beest!« murrte Fritz.

»Komm nur, Held der kleinen Sundainseln, ick heww ook so 'n lütten Appetit, wi wolld enn beten eeten.«

Er ging mit dem Vogel, der traulich auf seiner Schulter saß, langsam dem Haus zu, und mürrisch und schweigend folgte Fritz.

»Was fehlt dir denn eigentlich, Mensch?« fragte Henrik. »Rück doch heraus damit.«

Als der Schneider immer noch verstockt schwieg, fuhr Henrik fort: »Jetzt schieß aber los, oder ich lasse dich auf ›die verzauberte Insel‹ hier sitzen.

»Ich bin jiftig auf dir.«

»Warum denn?«

»Du willst mir verhauen.«

»Ich dich verhauen?« fragte Henrik erstaunt.

»Hast doch jesagt, ick sollte wat erleben.«

»Nun ja, ich wollte dich von den Malaien auslachen lassen wegen deiner Geisterfurcht.«

»Wenn unser Meester sagte, ›ick sollte wat erleben‹, dann jing die Keilerei aber ooch jleich los.«

»Mein lieber Junge, so war's nicht gemeint«, erwiderte Henrik lächelnd.

»Ick hätt' et ooch nich um dich verdient, seitdem ick dir det Leben jerettet habe.«

»Du hast mir das Leben gerettet?« fragte höchst erstaunt Henrik.

»Na, woll nich?«

»Wie denn? Wie denn, Fritze?«

»Wenn ick det Wasser nich ausjeschöpft hätte aus die Jondel bei die jrausliche Fahrt nach die Tigerinsel, wo wärst du denn jeblieben, Hamburger?«

»Ja, Napoleon, das ist aber auch wahr«, erwiderte der entzückte Henrik, »und diese Tat aufopfernder Menschenliebe vermehrt das Register deiner Heldenwerke wesentlich. Schade, daß wir in Hamburg keine Orden haben, sonst würde ich einen beim Senat für dich beantragen.«

»Ach, hör uff, da wird nich einmal hier wat aus werden«, erwiderte traurig Fritz.

»Nun, komm nur, wasserschöpfender Lebensretter, noch ist nicht aller Tage Abend, jetzt laß uns friedlich zu Nacht essen und von der Heimat plaudern.«

»Na, wenn du mir wieder ästimierst, Hamburger«, sagte der gutmütige Berliner, »denn is et ja jut.«

Und vergnügt schritten beide ihrer Behausung zu, sich bald angelegentlich in eine gründliche Untersuchung des ihnen vorgesetzten reichlichen Mahles vertiefend.

Am andern Morgen meldete sich bei den beiden jungen Leuten Ara Labung, den Anak Madé ihnen zugewiesen hatte, um ihnen als Führer zu dienen. Der junge Balinese, den die malerische Uniform sehr gut kleidete, sprach fließend englisch und zeigte sich als ein Mann von feinen Umgangsformen. Er brachte Grüße des Prinzen und kündigte dessen baldige Rückkehr an.

Durch seinen mehrjährigen Aufenthalt in Kalkutta war ihm europäische Art nicht fremd, und er hatte sogar eine nicht üble Kenntnis der politischen Verhältnisse Europas, obgleich auch ihm im inselindischen Staatsleben die Holländer als der wichtigste Faktor erschienen, mit dem die eingeborenen Fürsten rechnen müßten.

In seiner Gesellschaft besuchten sie Mataram, die eigenartige Stadt mit ihrer so gemischten Bevölkerung, besichtigten den großen Palast des Radscha, der eine Fülle indischer Kunstwerke und einen unvergleichlichen Reichtum barg.

Einige Ausflüge in die Umgebung lehrten sie das anmutige und schöne Land kennen. Die Hitze wurde durch den Monsun, die zu bestimmten Jahreszeiten einsetzende, bald nach Ost, bald nach West sich richtende Luftströmung, erheblich vermindert. Für den Schneider hatte man ein ruhiges Pferd ausgewählt, und Fritze Fischer begann sich im Sattel behaglich zu fühlen.

Wiederholt besuchte man auch Apanam und den »Arang«, um Mr. Blake zu begrüßen und Karl Steffen zu erfreuen. Nach des Kapitäns Aussage war bei dem herrschenden Wind noch für längere Zeit keine Aussicht, ein zur Heimkehr der beiden Deutschen geeignetes Fahrzeug einlaufen zu sehen.

So waren einige Tage in anmutigem und anregendem Wechsel verbracht, als Anak Madé wieder eintraf.

Er machte den jungen Gastfreunden seinen Besuch und war erfreut zu hören, daß sie sich äußerst wohl fühlten.

»Ihr sollt eine freundliche Erinnerung an Lombok und mich mitnehmen und bewahren«, sagte er herzlich.

Wie aus seinen Mitteilungen hervorging, war das Land ruhig, keine Gefahr eines Aufstandes vorhanden und so der Anschlag auf sein Leben wohl nur ein Ausfluß persönlicher Rache gewesen. Obgleich eine strenge Untersuchung im Gang war, hatte sie bis jetzt kein Ergebnis geliefert, da der junge gefangene Malaie wenig auszusagen vermochte und der mit Mannschaft ausgesandte Offizier es sicher sehr schwierig fand, die noch auf der Insel vorhandenen Piraten einzufangen, denn er war noch nicht zurückgekehrt.

Mit Vergnügen vernahm Anak Madé, daß Henrik sein Heimatland schön fand.

»Gern würde ich mir auch einmal Ihre ferne Welt ansehen«, äußerte er, »doch darf ich zunächst nicht daran denken, mich auf längere Zeit zu entfernen. Mein Vater ist alt und kränklich, und ich bin seine rechte Hand.«

Henrik konnte es nicht unterlassen, den deutsch und englisch sprechenden Papagei zu erwähnen.

»O ja«, sagte der Prinz, »den hat mir Mr. Blake zum Geschenk gemacht, der ihn von einem Matrosen kaufte. Er soll auch deutsche Worte sprechen. Hat er Sie damit überrascht?«

Anak Madé lächelte, als ihm Henrik Fritzens Abenteuer erzählte.

Als der Prinz dann im Lauf des Gesprächs nach besondern Wünschen Henriks fragte und dieser zu erkennen gab, daß es ihn überaus beglücken würde, den aus der Ferne so oft angestaunten, hoch zum Himmel ragenden Vulkan besteigen zu dürfen, entgegnete der Sohn des Radscha ernst: »Es ist dies schwieriger, als Sie glauben; ich habe den Versuch gemacht und bin gescheitert. Der Gunung Rindjani ist ein feuerspeiender Riese von geheimnisvoller Tücke. In seinem Innern glüht und zuckt es, und um seinen Scheitel weht eisige Luft. Ich gestehe, daß die Kälte mich wieder hinabgetrieben hat, ehe ich den Gipfel erreichte.«

Aber Kälte konnte Henrik, dem Sohn aus dem Norden, bestimmt nichts anhaben. »Ich würde es als ein großes Glück betrachten, jenen Bergriesen besteigen zu dürfen, vielleicht als erster Europäer, der seinen Krater erreicht.«

»Ich finde Ihren Wunsch begreiflich, Mr. Henrik, und es wird Ihnen leichter werden als mir, die kalten Luftströme dort oben zu ertragen. Ich weiß, was die nordischen Länder bringen, ich habe in Kalkutta sogar gefrorenes Wasser gesehen und seine Temperatur kennengelernt.«

Henrik, der vor Begierde brannte, die abenteuerliche Fahrt auf den interessanten und eine außerordentliche Rundsicht versprechenden Berg zu wagen, wiederholte seine Bitte, worauf der Prinz erwiderte: »Wenn Ihnen das so viel Freude macht, will ich Sie gern hinaufgeleiten lassen. Es ist sehr mühevoll, sogar nicht ungefährlich, doch habe ich Leute zur Verfügung, die den Berg kennen und dafür sorgen werden, daß Sie ungefährdet zurückkommen. Ich werde sogleich die nötigen Befehle erteilen.«

Hocherfreut dankte Henrik, und der Sohn des Radscha entfernte sich. Als Henrik jetzt Fritz Fischer, der stumm und in ehrfurchtsvoller Haltung der Unterredung mit angewohnt hatte, jubelnd mitteilte, daß Anak Madé die Ersteigung des Vulkans guthieß, machte der Schneider ein sehr langes Gesicht.

»Nimm mir's nicht übel, Hamburger«, sagte er dann, »aber du bist ein janz verdrehtes Huhn. Wat hast du denn nu uff den ollen rauchenden Berg zu suchen?«

»Denke doch, Fritz, wenn wir als die ersten Besteiger des Rindjani, des höchsten Berges der Sundainseln, in der ganzen Welt ausposaunt werden.«

»Is mir ejal. Laß dir nur ausposaunen, ick jeh' uff solche Berge nich.«

»Aber der Prinz sagt, daß es ganz ungefährlich ist.«

»Det hat der jut sagen, ick jeh' nich. Det kann keen Mensch von mir verlangen, det ick uff so feuerspeiende Berge jehen soll.«

»Du wirst dich doch jetzt, wo du ganz wiederhergestellt bist, von dieser herrlichen Fahrt, die uns nie im Leben wieder geboten wird, nicht ausschließen?«

»Det werd' ick janz jewiß.«

»Fritz, was werden die Reezengasse und die Nachwelt sagen, wenn du diese Gelegenheit ausschlägst, berühmt zu werden?«

»Det ick mir nich so leicht vor was fürchte, det weeßt du, Hamburger, aber uff so hohle Berge mit Feuer drin jeh' ick nu partutemang nich, und da kannst du dir uff 'n Kobb stellen.«

»Welche Ehre für uns, wenn es durch alle Zeitungen läuft, Fritz Fischer aus Berlin und Henrik Horsa aus Hamburg bestiegen mit unvergleichlicher Kühnheit den Gunung Rindjani, dessen Gipfel bisher noch kein Europäer erreicht hatte.«

»Ick bin jar nich eitel, Hamburger; tu mir die einzige Liebe und bleib von den ollen Berg weg. Wenn du in det Feuerloch da oben reinfällst, wat hast du dann davon?«

»Na, so nahe werde ich nicht herangehen.«

Alle Überredungskünste, um den Schneider willfährig zu machen, die Vulkanbesteigung zu versuchen, scheiterten an dessen unbezwinglichem Widerwillen gegen feuerspeiende Berge.

Sie nahmen ihr Abendmahl in Gesellschaft Ara Labungs ein, der sich gleich Henrik einen hohen Genuß von der Besteigung des Rindjani versprach.


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