Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Mutterliebe

Der Platz neben Hedi Sandler blieb heute leer – Thusnelda Reichert war nicht zur Schule gekommen.

»Weiß einer von euch, ob Thusnelda krank ist?« fragte die Lehrerin.

Niemand konnte die Frage beantworten.

»Ich weiß, wo sie wohnt«, sagte Pucki, »ich gehe zu ihr und frage sie.«

»Aber Hedi du kannst doch nicht aus dem Unterricht fortlaufen. Vielleicht kommt Thusnelda noch.«

Die Stunden vergingen, die Klassenkameradin kam nicht. Pucki mußte immer auf den leeren Platz sehen. Die Freundin fehlte ihr. Ob Thusnelda vielleicht auch die Masern hatte? Gestern sah sie aber noch so frisch und vergnügt aus.

Das Försterskind nahm sich vor, sogleich nach Schulschluß in die Nebenstraße zu laufen, in der Thusnelda wohnte. Es konnte den Schluß des Unterrichts kaum erwarten. Heute trödelte es nicht auf dem Schulhof. Es verließ als eines der ersten das Schulgebäude, um zu Thusnelda zu eilen.

Pucki war schon oft in der dürftigen Hinterwohnung gewesen, die Thusneldas Mutter mit ihren fünf Kindern bewohnte. Sie wußte auch, daß Frau Reichert tagsüber selten daheim war, weil sie in fremden Häusern Wäsche wusch. Die Flurtür war nur angelehnt, Pucki schlüpfte in den dunklen Gang. Thusnelda, die die Schritte hörte, kam ihr entgegen.

»Oh«, sagte Pucki erstaunt, »du bist gar nicht krank und kommst nicht in die Schule?« Erst jetzt bemerkte die Kleine das verweinte Gesicht der Freundin. »Bist du vielleicht doch krank?« fragte Pucki mitleidig und streichelte Thusneldas Hand.

»Die Mutter – die Mutter«, rief Thusnelda, in Tränen ausbrechend. »Heute nacht ist sie plötzlich krank geworden. Wir wissen nicht, was ihr fehlt. Sie liegt da, und bald wird sie sterben.«

Puckis Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Wenn eine Mutter starb, das war das Schrecklichste, was es auf der Erde gab.

»Warum muß sie denn sterben?« fragte sie angstvoll.

»Weil die Käthe und die Emma das Fest mitmachen wollten. Nun hat die Mutter noch in der Nacht für sie genäht, und dann ist sie umgefallen. So hat Frau Huber gesagt.«

Daß Frau Huber die Nachbarin war, wußte Pucki. Daß die um zwei Jahre älteren Schwestern Thusneldas bei einer Aufführung in der Schule mitwirken sollten, war ihr auch bekannt. Warum aber deswegen eine Mutter sterben sollte, begriff sie nicht. Eine unerklärliche Angst erfaßte sie.

»So sag doch, warum deine Mutter sterben muß?«

Aber Thusnelda lief davon, hinein ins Krankenzimmer. Pucki zögerte ein Weilchen, dann steckte auch sie den Kopf durch den Türspalt. Im Bett lag die fleißige Frau Reichert mit geschlossenen Augen. Sie sah weiß aus. Am Tisch stand Frau Huber und kochte irgend etwas auf dem Spirituskocher.

Aus der Küche tönte jetzt wieder leises Weinen. Pucki ging sofort hinein. Dort saß die Älteste der Reichertschen Kinder, die dreizehnjährige Marie. Pucki setzte sich schweigend zu ihr und wartete betrübt, ob Marie nicht etwas sagen würde. Als sie aber schwieg, sagte Pucki leise:

»Warum muß deine Mutter sterben?«

»Frau Huber sagt, sie hätte zu viel gearbeitet. Den ganzen Tag hat sie Wäsche gewaschen, abends kam sie sehr müde nach Hause. Wir haben gedacht, sie legt sich ins Bett und schläft, weil sie so zeitig wieder fortgeht. Aber sie hat sich nicht ins Bett gelegt, sie hat für Käthe und Emma die neuen Kleider genäht, weil beide für die Aufführung weiße Kleider haben mußten. Da hat sie noch in der Nacht fleißig gearbeitet und nicht geschlafen.«

»Weil sie der Käthe und der Emma Kleider machen wollte – –?«

»Ja, meine Schwestern wollten doch so gern das Schulfest mitmachen. Sie haben in der Schule gesagt, sie könnten nur in weißen Kleidern kommen. Mutter hat doch aber kein Geld, um neue Kleider zu kaufen. Da hat sie eben selbst die Kleider genäht und nicht geschlafen. – Heute nacht höre ich auf einmal, wie etwas fällt. Ich war so erschrocken, und als ich in die Stube komme, liegt die Mutter steif auf dem Boden. Das weiße Kleid hielt sie noch in den Händen.«

»Weißt du was, Marie, ich nehme meiner Mutter die weißen Kleider mit, damit sie sie fertig näht. Oh, das macht sie. Meine Mutti hat schon viel für andere genäht. Dann kann deine Mutter schlafen.«

»Sie macht die Augen nicht mehr auf und sagt auch nichts.«

»Habt ihr schon den Onkel Doktor gerufen?«

»Frau Huber meint, es wird schon wieder besser werden.«

Pucki war jedoch anderer Meinung. Wenn im Forsthaus jemand krank war, wurde sofort der Onkel Doktor gerufen, und der half. Sie wußte genau, wo der Onkel Doktor wohnte. Da wollte sie sogleich einmal hinlaufen und ihn zu der kranken Frau Reichert schicken, damit Thusneldas Mutti nicht zu sterben brauchte.

Kaum war dieser Gedanke in dem Kinderköpfchen entstanden, als Pucki auch schon fortlief, um den guten Onkel Doktor zu holen. Der Arzt war daheim und versprach sogleich mitzukommen.

»Mach sie doch wieder gesund«, bat Pucki, »es sind so viele Kinder dort, da darf die Mutti nicht sterben. – Ach, ich habe so große Angst.«

Der Arzt kam. Er stellte Erschöpfung fest. Die tiefe Ohnmacht, in die Frau Reichert gefallen war, wiederholte sich noch mehrfach. Aber direkte Lebensgefahr bestand nicht. Die Kinder hatten nur einen furchtbaren Schreck bekommen, als sie die Mutter blaß und leblos auf dem Fußboden liegen sahen.

Pucki atmete auf. Sie tröstete rasch Thusnelda noch ein wenig und versprach ihr, daß ihre Mutter die Kleider für die beiden Schwestern nähen würde. Dann verließ sie mit dem guten Onkel Doktor das Haus. Doktor Kolbe hatte sich inzwischen durch Frau Huber über die Verhältnisse orientiert.

»Weil sie die Kleider nähen wollte, ist sie krank geworden«, sagte Pucki.

»Aus übergroßer Liebe zu ihren Kindern hat sich die gute Frau überanstrengt, kleine Pucki. Hier kannst du wieder einmal sehen, was eine Mutter tut, um ihren Kindern eine Freude zu machen.«

»Ja, meine Mutti näht mir auch immer die Kleider.«

»Die gute Frau Reichert hat den ganzen Tag über zu arbeiten. Was sie verdient, braucht sie fürs Leben. Nun wollten ihre beiden Mädchen gern eine Freude haben, doch das Geld für weiße neue Kleider war nicht vorhanden. So hat die brave Frau Reichert außer ihrer schweren Tagesarbeit noch allerlei Näharbeit angenommen, um etwas extra zu verdienen. Von diesen ersparten Pfennigen kaufte sie den Stoff für die Kleider. Sie hat die halben Nächte hindurch gesessen und emsig genäht.«

»Da wird sie wohl oft sehr müde gewesen sein?«

»Zum Umfallen müde, mein Kind, doch daran hat sie nicht gedacht, nur immer daran, daß sie ihren Kindern eine Freude machen wollte. Siehst du, Pucki, solche Opfer bringt die Mutterliebe.«

»Die halbe Nacht genäht – –« sagte Pucki erstaunt.

»Darum kann ein Kind seiner Mutter gar nicht dankbar genug sein. Jede Mutter bringt an jedem Tage viele Opfer für ihre Kinder.«

»Onkel Doktor, meine Mutti ist auch sehr gut, sie näht jetzt für die Reichertschen Mädchen die Kleider fertig.«

An der Straßenkreuzung verabschiedete sich Pucki artig von dem Arzt und eilte beschleunigt dem Elternhause zu. Es war heute ohnehin schon eine halbe Stunde später als sonst. Die Eltern würden bereits mit dem Mittagessen warten.

»Du Bummler!« empfing Minna sie. »Wo steckst du denn? Oder mußtest du nachsitzen?«

»Aber Minna, was denkst du! Ich war bei der kranken Mutter von der Thusnelda. Das muß ich der Mutti erzählen.«

Man saß bereits beim Essen, als Pucki ins Zimmer trat. Ehe Frau Sandler etwas sagen konnte, hing Pucki an ihrem Halse und drückte die Mutter stürmisch.

»Ich weiß, Mutti, daß eine Mutti jeden Tag für ihre Kinder aus großer Liebe Opfer bringt. Darum habe ich dich so schrecklich lieb, Mutti.« Dann eilte sie zum Vater. »Ach, ich habe euch ja so lieb! Immerfort muß ich an Frau Reichert denken. Sie ist auf den Boden gefallen, weil sie aus Mutterliebe die ganze Nacht genäht hat. Da habe ich schnell den Onkel Doktor geholt. Und morgen bringe ich dir die Kleider von der Käthe und der Emma. Bitte, bitte, liebe Mutti, nähe die Kleider fertig! Du bist doch immer so gut und nähst für viele, nun hilfst du sicher auch der kranken Frau Reichert.«

Es dauerte eine ganze Weile, ehe Sandlers aus dem Geplauder ihrer kleinen Tochter klug wurden.

»Und nun seid ihr auch nicht böse, daß ich heute so spät heimgekommen bin?«

»Nein, mein liebes Kind, wir sind dir nicht böse«, sagte der Vater, »im Gegenteil, du hast sehr klug und überlegt gehandelt. Jetzt legt der Vati eine weiße Bohne in das Kästchen, das bei der Mutti steht.«

Pucki sprang jubelnd im Zimmer umher und mußte erst energisch zum Stillsitzen aufgefordert werden.

»Du hast dich ohnehin mit dem Essen verspätet, mein Kind, nun beeile dich.«

»Nur vier schlimme Taten und drei gute Taten«, stellte Pucki fest. »Da wird der liebe Gott und der große Claus seine Freude haben!«

»Und die schlimmen Taten, die der Harras gefressen hat?«

»Die sind weg, Vati! Die Rose hat auch gesagt, manchmal macht der liebe Gott einen dicken Strich durch alle schlimmen Taten, die der Mensch begangen hat. Das hat der Harras auch so gemacht.«

Die Förstersleute lächelten verstohlen. Ihr Kind wußte immer eine Ausrede. Selbstverständlich machte sich Frau Sandler noch am selben Tag auf den Weg nach Rahnsburg, um sich nach dem Befinden der fleißigen Wäscherin zu erkundigen. Es war für die Förstersfrau selbstverständlich, daß sie die Kleider für die beiden Mädchen fertig nähte. Pucki saß indessen in der Küche und erzählte Minna, dem Harras, dem Peter, dem Rehlein Plüschli und den beiden Ziegen, was Mutterliebe für eine schöne Sache sei, und daß eine Mutter für ihre Kinder alles täte. – –

Der Herbst war ins Land gekommen. Er riß von den Bäumen die letzten Blätter. An manchem Morgen war der Garten des Forsthauses damit wie besät. Besonders die Kastanienbäume schüttelten ihre gelben Blätter ab und ließen sie zur Erde fallen. An jedem Morgen ging Minna hinaus in den Garten und harkte die Blätter zusammen. Große Haufen lagen bereits da, und Pucki freute sich schon auf den Tag, an dem der Vater solch einen Haufen in Brand stecken würde. Es sah gar zu lustig aus, wenn der Haufen rauchte, wenn der Vati auch noch das alte Kartoffelkraut und dürre Äste herbeitrug, um alles von den Flammen verzehren zu lassen.

»Vati, brennste den Haufen bald an?« quälte das Kind tagtäglich. »Aber zünde ihn ja nicht an, wenn ich in der Schule bin. Ich freue mich schon so darauf.«

»Wenn du mir versprichst, nicht immer in den dicken Rauch zu laufen, will ich es tun. Der Haufen muß nun endlich weg, er liegt schon recht lange an seinem Platz.«

»Und wird immer größer, er ist schon wie ein richtiger Berg.«

Eines Tages, als Pucki aus der Schule gekommen war, sagte der Vater: »Heute ist es ganz besonders windstill, heute zünde ich den großen Haufen an.«

In aller Eile wurden die Schularbeiten gemacht. Dann stand das kleine Mädchen neben dem Vater und wartete darauf, daß der Haufen zu rauchen anfange. Minna hatte ihn hoch aufgetürmt. Nun kamen schon die ersten Rauchwolken oben heraus.

Pucki stand artig an der Seite des Vaters, der von Zeit zu Zeit mit einer Stange in dem Haufen stocherte. Jedesmal wurde dann der Rauch noch dicker, und kleine Flämmchen tauchten hier und dort auf.

Ganz plötzlich vernahm Pucki dicht neben ihren Füßen ein Geräusch. Das war nicht das Knistern der Flammen. Die dürren Zweige, die an der einen Seite des Haufens lagen, bewegten sich, und schon kam ein rüsselförmiger kleiner Kopf zum Vorschein. Es war ein Tier mit graubraunem, stacheligem Fell.

»Ein Igel«, rief Pucki jauchzend. »Guck mal, Vati, er kommt aus dem brennenden Haufen heraus. Es ist gut, daß er fortläuft. – Sieh doch, wie schnell er rennt.«

»Ein kluges Tier«, sagte der Förster. »Er will nicht verbrennen.«

»Wir wollen ihm nichts tun, Vati.«

»O nein, Pucki, du weißt doch, der Igel ist ein sehr nützliches Tier, das allerlei Ungeziefer vertilgt.«

»Sieh doch, Vati, jetzt rennt der Igel um den Haufen herum. – Sieh doch, wie fix er läuft! – Guck, immer weiter und weiter. Er soll doch rasch vom Feuer weggehen.«

Interessiert schaute Förster Sandler auf das Tier, das wie besessen um den Haufen lief. Einmal hatte es schon den Haufen umlaufen, nun schoß es wieder an dem Förster vorbei. Es schien in größter Aufregung zu sein.

»Ach«, sagte Pucki, »der ist vor Schreck ganz drieselig. – So lauf doch weg, lieber kleiner Igel, der Haufen wird ja immer heißer! – Nicht wahr, Vati, er hat unter dem Haufen gesessen?«

»Jawohl, Pucki, und nun ist es ihm zu warm geworden. Aber – –«

Förster Sandler schaute nachdenklich auf das Tier. So aufgeregt und närrisch gebärdete sich doch sonst ein Igel nicht. Jetzt lief er schon zum dritten Male um den Haufen herum.

Der Förster eilte nach dem Schuppen, holte eine eiserne Harke und begann, den brennenden Haufen schnell, aber mit allergrößter Vorsicht auseinander zu reißen.

»Vati, du machst ja das Feuer kaputt!«

»Im Haufen ist ein Igelbau, Pucki.«

»Was will der Igel in dem Haufen?«

Förster Sandler hatte keine Zeit, auf seine Tochter zu achten. Immer vorsichtiger arbeitete er. – Richtig, mitten im Gestrüpphaufen, vom Feuer noch nicht erfaßt, weil ganz dicht am Erdboden, wurde der Igelbau gefunden. Wie stachelige kleine Bälle, fest zusammengerollt, lagen drei junge Igel dicht nebeneinander. Schon stürzte die Igelmutter hinzu und rollte eines der Tierchen ein wenig herum, daß es auf dem Rücken lag. Das hatte den kleinen Kopf mit den noch blinden Augen herausgestreckt und sich aufgerollt, so daß die Alte es am Bauche fassen und forttragen konnte. Sehr bald kehrte die Igelmutter zurück und holte auf dieselbe Weise das zweite und dann das dritte Igelkind. Sie lief mit ihnen davon, um ihnen ein neues und sicheres Nest zu bereiten.

»Wie er rennt!« sagte Pucki staunend.

»Hast du bemerkt, mein Kind, wie die arme Igelmutter in Angst war? Wie sie verzweiflungsvoll um den brennenden Haufen eilte, als sie sah, daß ihren Kindern Gefahr drohte?«

»Eine Mutter?«

»Ja, Pucki! Es ging um das Leben ihrer Kinder. – Da opfert sich jede Mutter auf.«

»Wenn du nun nicht gemerkt hättest, Vati, daß die Kleinen im Haufen lagen?«

»Dann wären sie verbrannt und vielleicht die Igelmutter mit, denn wenn sie gemerkt hätte, daß die Gefahr immer größer wurde, wäre sie wahrscheinlich in den brennenden Haufen hineingelaufen.«

Minutenlang sagte Pucki nichts mehr. Schweigend sah sie zu, wie der Vater das Reisig wieder zusammenwarf, damit der Haufen weiterbrennen konnte.

Plötzlich fühlte Förster Sandler, wie Pucki seine Hand erfaßte. »So viel Mutterliebe hat sie gehabt, daß sie lieber mit verbrannt wäre, als allein zu leben. – Du, Vati, wenn ich einmal in einer Hütte sitze, und sie fängt an, fürchterlich zu brennen, kommst du oder die Mutti dann auch, mich herauszuholen?«

»Jawohl, mein liebes Kind, dann kommen wir auch. Oder meinst du, daß Eltern ihre Kinder verbrennen lassen und sich selber retten?«

»Nein, Vati, das glaube ich nicht. Ich weiß nun schon seit einer ganzen Weile, was Mutterliebe bedeutet, und heute habe ich es bei dem lieben kleinen Tier wieder gesehen. – Ach, Vati, der arme Igel, wie mag er gezittert haben!«

»Siehst du, genau so zittert jede Mutter um das Leben ihres Kindes, wenn ihm Gefahr droht.«

Da lief Pucki davon. Frau Sandler stand in der Küche und rührte Apfelmus durch ein Sieb. Pucki schoß wie ein Pfeil auf sie zu und hing ihr am Halse. Sie achtete nicht darauf, daß sie dadurch der Mutter das Sieb aus den Händen riß und der Apfelbrei zu Boden fiel. Aufgeregt rief das Kind:

»Mutti – Mutti – Mutti, ich bin dir so gut! Ach, was bist du für eine liebe Mutter! – Mutti, gib mir einen Kuß! – Wenn ich in Gefahr bin, holst du mich dann auch aus der brennenden Hütte heraus? Mutti, ach Mutti – ich will aber nicht, daß du verbrennst! Du sollst nicht sterben, Mutti, du sollst – du sollst –« Pucki begann heftig zu weinen.

Frau Sandler, die anfangs ärgerlich über die stürmische Art ihres Töchterchens war, begriff nicht, was in ihr kleines Mädchen gefahren war.

»Was ist denn geschehen?«

»Ich möchte dir Dank sagen für deine Liebe – immerfort, immerfort!«

Und wieder drückte das Kind das tränenüberströmte Gesicht in die Schürze der Mutter.

»Komm mit mir ins Wohnzimmer, mein liebes Kind. Dort erzählst du mir, was vorgefallen ist.«

Frau Sandler trocknete dem Kind die feuchten Wangen.

Schließlich erfuhr Frau Sandler von ihrem Töchterchen, was sich draußen im Garten ereignet hatte. Sie schloß Pucki fest in ihre Arme und küßte sie herzlich. –

Seit diesem Vorfall war Pucki etwas stiller geworden als früher. Wenn die Mutter etwas für sie arbeitete, saß das Kind schweigsam daneben und schaute auf die Hände, die so emsig schafften. Mitunter kam es dann leise und zärtlich von Puckis Lippen:

»Immerfort arbeitest du für deine Kinder. – Du hast uns doch furchtbar lieb, Mutti.«

So hatte Pucki nun erfahren, wie gut Kinder beschützt und behütet sind, wenn Mutterliebe sie bewacht.


 << zurück weiter >>