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Der fünfzigste Geburtstag

Aus dem Kreise der fröhlich plaudernden Menschen, die in dem prächtigen Gregorschen Garten standen, löste sich ein etwa zehnjähriges Mädchen. Es stieg die Stufen, die zum Hause hinaufführten, empor, blieb oben stehen und schaute mit seinen großen, grauen Augen forschend zurück. Nach einer ganzen Weile winkte das Mädchen einem größeren Jungen zu:

»Komm mal her zu mir!«

Der achtzehnjährige Sohn des Hauses stellte sich neben das Kind.

»Da unten sehe ich viele Menschen; ich kenne sie nicht alle. Du bist mein Vetter Karl, der älteste Sohn von Onkel Claus, du wirst mir gewiß sagen können, wer heute zu euch gekommen ist, um deines Vaters fünfzigsten Geburtstag zu feiern.«

»Gewiß, Mabel, das will ich dir sagen! Es ist schade, daß du mit deiner Schwester Regine nicht öfter nach Rahnsburg gekommen bist, du wärest dann nicht so fremd hier bei uns.«

Das zehnjährige Mädchen zuckte die Schultern. »Wir waren im vorigen Jahre in Amerika, vor zwei Jahren habe ich mit Mary Paris angesehen, und in den Herbstferien hat uns Eberhard Neapel gezeigt.«

»Mary und Eberhard? – Das sind doch dein Vater und deine Mutter?«

»Wir nennen die Mutter immer nur Mary und unseren Vater Eberhard. Er ist doch der Bruder deines Vaters?«

»Freilich, Mabel! Da du Auskunft über die anwesenden Gäste haben willst, werde ich dir alle genau erklären. Meinen Vater, Doktor Claus Gregor, kennst du ja, aber den siehst du nicht da unten – –«

»Ich weiß, er ist drüben in seiner Klinik.«

»Ja, er hat als Arzt viel zu tun und muß sich um seine Kranken kümmern, auch wenn er morgen seinen fünfzigsten Geburtstag feiert.«

Mabel nickte, und Karl fuhr fort:

»Das dort ist meine Mutter, aber die kennst du ja auch.«

Mabel lachte ein wenig. »Natürlich, Pucki kenne ich. Sie heißt auch bei uns immer nur Pucki, wenn wir von ihr sprechen.«

»Sie ist deine – Tante Pucki.«

»Du bist ihr ältester Sohn Karl, du bist achtzehn Jahre alt. Der dort unten ist dein Bruder Peter, er ist sechzehn Jahre alt, und der dort drüben, der mir äußerlich wenig gefällt, weil er eine zu große Nase hat, ist dein jüngster Bruder Rudolf. Pucki hat drei Söhne, das weiß ich. – Jetzt sage mir, wer die anderen sind.«

»Meine Mutter hat zwei Schwestern. Eine ist Tante Waltraut, die andere Tante Agnes. Beide sind verheiratet. Tante Waltraut hat unseren Postmeister geheiratet und hat auch drei Kinder. Schau, dort drüben steht der achtjährige Oskar, neben ihm die sechsjährige Ottilie. Das Mädchen, das meine Mutter an der Hand hält, ist die vierjährige Olga.«

»Ich hätte den Kindern hübschere Namen gegeben! Ich heiße Mabel, meine Schwester heißt Regine. Diese Namen klingen besser als Olga oder Ottilie. – Und wer ist der Junge, der gerade Blätter vom Baume abreißt?«

»Das ist der älteste Sohn von Tante Agnes, der Magnus. Er ist genau so alt wie du. Er hat noch eine dreijährige Schwester mit Namen Hella. Sie steht neben ihrer Mutter.«

»So? – Die Frau in dem unmodernen Kleide ist deine Tante Agnes? Mit wem ist sie verheiratet?«

»Mit dem Gutsbesitzer Niepel. Niepels haben in der Nähe von Rahnsburg ein großes Gut.«

»Es kann kein sehr großes und schönes Gut sein, sonst würde diese Frau ein moderneres Kleid anhaben. Sind die Niepels nicht reich?«

»Tante Agnes hat nicht so viel Geld wie deine Mutter, Mabel. Das schadet aber nichts! Die Hauptsache ist doch, daß man gesund ist und zufrieden bleibt.«

»Werden wir morgen eine große Feierlichkeit haben?«

»Wir sind alle zu Vaters fünfzigsten Geburtstag zusammengekommen, um ihm Glück und Gesundheit zu wünschen.«

»Gibt es heute als Vorfeier ein Feuerwerk?«

»Nein, Mabel, Feuerwerk knallt; es würde die Kranken in der Klinik zu sehr erschrecken.«

»Es gibt auch Feuerwerk, das nicht knallt. – Schade, wir hätten aus Bremen etwas mitbringen sollen. Hier in dem kleinen Ort, in dem ihr lebt, wird natürlich derartiges nicht zu haben sein. – Bremen ist auch nur eine kleine Stadt, wenn man es mit Neuyork oder Chikago vergleicht. Das sind große Städte.«

»Aber Bremen ist eine schöne, alte, deutsche Stadt. Ich glaube übrigens, deutsche und amerikanische Städte kann man gar nicht vergleichen!«

»Mary hat in ihrer Jugend, ehe sie heiratete, aber in Neuyork gelebt. Sie bewohnte natürlich im Sommer ein herrliches Landhaus. Mit dem Auto ist sie immer gefahren. – Kannst du auch fahren, Karl?«

»Noch nicht, ich werde es aber lernen.«

Mary lachte laut auf. »Ich kann schon fahren!«

»Na, na!« sagte Karl lächelnd. »Du mit deinen zehn Jahren darfst dich noch gar nicht ans Steuer setzen.«

»Das weiß ich allein! – Ich fahre den Wagen oftmals aus der Garage hinaus, und Mary hat nichts dagegen. Ich kenne alle Handgriffe! Ich fahre daheim im Park umher, sause durch die Wege, nehme geschickt alle Ecken – –«

»Das würde ich dir nicht erlauben, Mabel! Du solltest Roller fahren oder meinetwegen ein Kinderauto. Meine Mutter würde dir niemals die Erlaubnis geben, schon jetzt Auto zu fahren.«

Das zehnjährige Mädchen zog die Oberlippe hoch. »Welch ein Glück, daß ich nicht die Tochter von Pucki bin! Mary erlaubt mir alles! Ich finde es schön und richtig, und dabei bleibt es!«

»Was ein zehnjähriges Mädchen schön findet, ist nicht immer richtig.«

»Du bist ein langweiliger Mensch, Karl! – Ich werde jetzt zu dem kleinen Magnus gehen. Der Junge macht mir mehr Spaß. Er hat schon zweimal hinter dem Rücken seiner Mutter einen Strauch abgerupft. Oh, der sieht pfiffig aus! Ich will mich mit dem kleinen Jungen ein wenig unterhalten.«

»Magnus Niepel ist genau so alt wie du, Mabel.«

»Magnus Niepel ist der Sohn von der Frau in dem altmodischen Kleid, die den Gutsbesitzer geheiratet hat. – Ich bin im Bilde.«

»Ja, er ist der Sohn von Tante Agnes.«

»Mir gefällt Magnus.«

Mit diesen Worten sprang das Kind die Stufen hinab. Karl Gregor schaute ihm sinnend nach. Er wußte, daß Onkel Eberhard, der die reiche Amerikanerin Mabel Backer geheiratet hatte, sich wenig um seine beiden Kinder kümmern konnte, da er als Oberingenieur einer Schiffswerft viel unterwegs war. Mary, seine Frau, erzog die Kinder gänzlich amerikanisch, ließ ihnen jede Freiheit, duldete jede Verschwendung und war der Meinung, daß ein Mädchen von zehn Jahren schon ein junges Mädchen sei. Mabel Gregor trieb viel Sport, besaß ein eigenes Boot, hatte ein Reitpferd, lief im Winter Ski und machte große Reisen.

Wie ganz anders hatte Karl mit seinen Geschwistern Peter und Rudolf die Jugend verlebt. Von liebenden Eltern treu behütet, waren sie alle herangewachsen. Nun stand Karl kurz vor dem Abiturientenexamen. Der einstmals schwache und kränkliche Peter hatte sich prächtig entwickelt und war ebenfalls ein guter Schüler wie sein Bruder Rudolf. Mit der größten Liebe und Verehrung schauten alle drei zu ihren Eltern auf. Der Vater besaß eine Klinik, die er aus eigener Kraft durch sein großes Können mehr und mehr erweitern konnte. Die Mutter, voller Güte, war der gute Geist des Hauses; sie hatte für jeden ein liebes Wort. Karl verehrte seine Mutter, die überall immer noch »Pucki« hieß, geradezu schwärmerisch. Er konnte sich keine bessere Frau denken, als die noch immer jugendlich aussehende Mutter mit den fröhlichen Augen und dem lachenden Munde.

Währenddessen ging Mabel Gregor durch den großen Garten, in dem die Klinik Doktor Gregors lag. Langsam trat sie an den zehnjährigen Magnus heran.

»Ich langweile mich. – Kommst du mit mir? Wollen wir uns mal den Hof und die Ställe ansehen? Oder wollen wir nach der Garage hinübergehen? Ich möchte wissen, was Onkel Claus für einen Wagen fährt.«

»Einen grauen«, erwiderte Magnus.

»Du bist ja dumm«, entgegnete Mabel, »ich meine doch, welche Marke. Wir haben zwei Wagen. – Habt ihr auch einen Wagen?«

»Viele – –«

»Viele? – Wie viele denn?«

Magnus spreizte die Finger und meinte nach kurzem Nachdenken: »Mehr als zehn Wagen.«

»Unsinn! Zehn Autos hat niemand.«

»Doch, wir haben zehn Wagen! Auf vier Wagen bin ich schon gefahren. Bist du schon einmal auf einem Leiterwagen gefahren? Du, das ist fein, das rüttelt und schuckelt furchtbar!«

»Du bist wirklich dumm!«

»Ich bin nicht dumm. – Du bist dumm!«

»Ich und dumm?« Mabel lachte spöttisch. »Ich bin schon nach Amerika gefahren, mit einem großen Luxusdampfer.«

»Ich bin auch schon auf einem Schiff gefahren, aber auf 'nem ganz kleinen. Mutti hat gerudert.«

»Na ja«, meinte Mabel wegwerfend, »du bist schließlich ein Junge vom Lande, mit dir kann man nicht reden.«

Verärgert stieß Magnus Mabel in die Seite, doch die zwickte dafür den Vetter kräftig in den Arm. Da hob der Knabe die Hand und wollte nach Mabel schlagen.

Pucki sah das, wandte sich um, drohte Magnus mit dem Finger und sagte: »Aber Magnus, ein Junge schlägt niemals ein Mädchen.«

»Dann zwickt ein Mädchen einen Jungen auch nicht in den Arm«, kam es prompt zurück.

»Ich sehe schon«, lachte Pucki, »ihr benehmt euch wie die kleinen Kinder.«

»Ich bin kein kleines Mädchen mehr, das habe ich dir schon heute früh gesagt, Pucki, und dabei bleibt es!«

»Nein, mein Kind, dabei bleibt es noch lange nicht! – Und nun vertragt euch wieder. Ihr werdet doch nicht Unfrieden stiften, da morgen eures Onkels Geburtstag ist. Bei Tante Pucki geht alles in Ruhe und Frieden ab.«

»Ja, ich habe schon von Mary gehört, daß du eine fabelhafte Frau bist, Pucki. – Du gefällst mir auch!« Mit diesen Worten ging das kleine Mädchen wieder davon.

In diesem Augenblick kamen Waltraut, Puckis Schwester, und Mary Gregor, ihre Schwägerin, aus dem Hause heraus. Die Amerikanerin wollte durchaus die Klinik des Schwagers sehen; Waltraut hatte die Führung übernommen.

»Wirklich schön«, rief Mary ihrer Schwägerin Pucki zu, »vergrößert habt ihr euch auch. Ich hätte nicht gedacht, daß in einem so kleinen Ort wie Rahnsburg eine Klinik bestehen kann. Auch mein Vater hatte damals Bedenken.«

»Wir sind deinem Vater bis auf den heutigen Tag zu großem Dank verpflichtet, liebe Mary. Er war es ja, der uns einst die Mittel zur Verfügung stellte, die Klinik sogleich neuzeitlich einzurichten.«

»Und ihr merkwürdigen Menschen habt nicht eher geruht, als bis ihr das Darlehn abgezahlt hattet. Waltraut erzählte mir, daß ihr euch persönlich manche Beschränkung auferlegen mußtet, nur um alte Verpflichtungen abzuzahlen. Meine Eltern hätten euch niemals gedrängt. Ich möchte dir heute noch einmal sagen, liebste Pucki, daß du von mir zu jeder Zeit Geld bekommen kannst. Ich bin ja so ein beklagenswertes Geschöpf, keine Verwandten zu besitzen. Mein Bruder ist tot, Vater starb im vorigen Jahr, und nun ist das ganze Vermögen auf mich übergegangen. Ich brauche es nicht. – Laßt euch doch etwas von mir schenken!«

»Nein, liebe Mary, wir brauchen wirklich nichts! Wir sind sehr glücklich in dem Bewußtsein, uns aus eigener Kraft durchbringen zu können. Wir leiden keine Not! Es reicht immer noch, um anderen etwas zu geben. Wenn du aber etwas tun willst, so schenke meinem Manne morgen zu seinem fünfzigsten Geburtstag zwei Freiplätze für die Klinik.«

»Freiplätze?«

»Ja – es gibt oft Kranke, die nicht in der Lage sind, die Mittel für ihren Aufenthalt in der Klinik oder für eine Operation zu bezahlen. Mein guter Mann tut unendlich viel Gutes; er nimmt häufig Patienten auf, von denen er nichts bekommt. Das merkt dann die Hausfrau doch recht sehr. Wenn wir also zwei Freiplätze hätten, für die du die Kosten übernimmst –«

»Schon gemacht, Pucki! Ich schenke ihm meinetwegen auch zehn Freiplätze.«

»Nein, Mary, mehr als zwei werden nicht angenommen. Das ist schon ein großzügiges Geschenk. Ich glaube, daß du mit deinem großen Vermögen an vielen Stellen Gutes stiften kannst. Auch ein Bremer Krankenhaus würde dir für zwei Freiplätze dankbar sein.«

»Pucki, du bist eine prächtige Frau, an so etwas habe ich noch nie gedacht! – Du hast recht, ich glaube, ich muß erst zu dir in die Lehre gehen, auch in bezug meiner Kindererziehung! Was hast du doch für drei prächtige Jungen! – Meine beiden Mädchen sind auch süße Dinger, aber ganz anders als deine Söhne. Kann ich dir nicht meine beiden Töchter für die nächsten zwei bis drei Jahre in Pension geben?«

»Aber Mary, wo denkst du hin! Kinder gehören ins Elternhaus!«

»Gewiß, Pucki, – nur ist es bei uns recht unruhig. Ich bin oft auf Reisen und Eberhard desgleichen. Ich habe auch wirklich kein Talent zur Kindererziehung. – Pucki, behalte meine beiden Kinder für ein Jahr in Rahnsburg! Sie sind nirgends besser aufgehoben!«

»Wenn du willst, Mary, lasse mir deine Kinder während der großen Ferien hier, doch dann müssen sie wieder zu dir zurück.«

»Eberhard sagte auch schon einmal, wenn wir unsere Kinder weiter so verschwenderisch erziehen, wird nichts Rechtes aus ihnen. – Bitte, überlege es dir, Pucki!«

»Nein, Mary, aber ich will deine beiden Kinder gern in den Ferien aufnehmen – –«

»Wenn ich einmal sterbe – unsere ganze Familie war sehr kurzlebig –, so nimmst du die Kinder. Versprich mir das! Claus wird ihr Vormund und kann Mabel und Regine hin und wieder verdreschen! Wir bringen das nicht fertig. Also abgemacht – sie bleiben hier!«

»Liebe Mary, wenn einer vom Tode spricht, dann läuft der Tod stets weit fort. Ich wünsche dir, daß du eine fröhliche Groß- und Urgroßmutter wirst und Freude an deinen Kindern, Enkeln und Urenkeln hast. Doch nun muß ich Umschau halten: es fehlen schon wieder Ottilie und Rudolf.«

»Lieber Gott, wilde Tiere gibt es hier doch nicht! Die beiden werden nicht gefressen sein.«

»Das nicht, Mary, aber ich fühle mich für die ganze Kinderschar verantwortlich.«

Bald darauf hörte man Puckis Stimme, die nach Rudolf und Ottilie rief.

Ein in den Garten fahrendes Auto erregte die Aufmerksamkeit der Kinder.

»Das ist Eberhard«, rief Regine. »Er kommt zurück, er hat noch Einkäufe für den Geburtstag von Onkel Claus gemacht.«

»Oh, bist du aber gebraust«, rief Mabel dem Vater zu. »Wieviel Kilometer hattest du drauf, Eberhard?«

»Fünfzig nur; hier im Städtchen kann ich doch nicht schneller fahren.«

Mabel wandte sich an den neben ihr stehenden Karl. »Unser Wagen hat einen besonders starken Motor. Wir können, wenn wir wollen, mit hundertunddreißig Kilometern fahren. Mary fährt gern schnell.«

»Und eines Tages bricht man sich den Hals dabei.«

»Du kannst ja wie eine Schnecke fahren, wir brausen davon!«

Inzwischen war Eberhard Gregor, der jüngere Bruder des Geburtstagskindes, aus dem eleganten Wagen gestiegen; er brachte eine Anzahl Pakete mit heraus.

»Das ist alles für deinen Vater Claus«, sagte Mabel zu Karl. »Wir haben zwar schon in Bremen vieles gekauft, aber einiges fehlte noch.«

»Du hast einen fabelhaften Wagen, Onkel Eberhard«, sagte Karl begeistert.

»Wenn er dir gefällt, laß ihn dir doch schenken«, meinte Mabel. »Wir kaufen uns dann einen neuen. – Zeige mir doch mal euren Wagen.«

»Er wird dir kaum gefallen, Mabel. Aber Vater ist sehr zufrieden mit ihm, und das genügt.«

Doch Mabel ließ sich nicht abweisen. Sie wollte durchaus in die Garage, rümpfte aber verächtlich die Nase, als ihr Karl den kleinen Viersitzer zeigte.

»Da muß man euch wirklich einen vernünftigen Wagen schenken.«

»Nein, Mabel, derartige Geschenke nehmen meine Eltern nicht an.«

»Wir schenken euch den Wagen, und dabei bleibt es. – Und jetzt will ich zu Eberhard gehen und ihn fragen, was er mitgebracht hat.«

Ingenieur Gregor hatte die Pakete ins Haus getragen; nun stand er mit Agnes und Waltraut in eifrigem Gespräch. Mabel trat hinzu.

»Zeige mir mal, was du gekauft hast.«

»Später, Mabel.«

»Ich möchte es aber gleich sehen!«

»Dein Vater unterhält sich jetzt mit uns«, sagte Waltraut bestimmt, »du mußt warten!«

Mabel warf der Tante einen erstaunten Blick zu, faßte dann aber den Vater am Arm und sagte: »Unterhalten kannst du dich später, jetzt komm doch!«

Schließlich mußte Eberhard heftige Worte sagen, ehe seine Tochter ihn in Ruhe ließ.

»Von Erziehung verstehst du recht wenig«, sagte Waltraut.

»Leider! – Ich staune wirklich über Puckis drei Jungen.«

»Ich habe Pucki gebeten, sie möchte unsere beiden Kinder in Pension nehmen«, warf Mary ein, die die letzten Worte vernommen hatte, während sie zu ihnen trat.

»Das wäre ein guter Gedanke! Puckis Heim atmet Frieden und schönste Harmonie. Das ist leider bei uns nicht immer der Fall. Nicht wahr, Mary?«

»Nein, bei uns gibt es oft Streit.«

»Bei uns auch«, seufzte Agnes.

»Das kann ich mir denken«, lachte Eberhard, »du warst von jeher eine Kratzbürste. Du hast schon im Forsthaus Birkenhain viel dummes Zeug getrieben.«

»Lange nicht so viel wie Pucki!«

»Ja, Pucki!« sagte Eberhard. »Pucki hat sich in ihrer Ehe fabelhaft gewandelt! Ich glaube, sie ist die beste Frau und Mutter, die man sich denken kann. Schade, daß sie meine beiden Kinder nicht unter ihre Fittiche nehmen kann. – Doch nun muß ich gehen: Mabel wartet. Ich muß ihr zeigen, was ich eingekauft habe.«

»Aber Eberhard«, tadelte Waltraut, »du wirst dich doch nicht zum Sklaven deines Kindes machen.«

Er lachte nur und ging ins Haus. – –

Am nächsten Morgen wurde Doktor Claus Gregor in aller Frühe aus dem Schlafe geweckt. Eberhard und Mary hatten die Stadtkapelle von Rahnsburg antreten lassen, um dem Fünfzigjährigen ein Ständchen zu bringen. Beide waren der Meinung, daß man diesen Geburtstag großartig aufziehen müsse. So hatten sie den Morgen schon mit Musik einleiten wollen und glaubten, den Verwandten dadurch eine besondere Freude zu bereiten.

Das war aber weder nach dem Geschmack des Geburtstagskindes noch nach dem Puckis. Beide waren nicht für lautes Feiern; im Kreise der Familie wollten sie das Fest begehen. Damit konnte jetzt leider nicht mehr gerechnet werden, denn in Rahnsburg war rasch bekannt geworden, daß der beliebte Arzt heute seinen fünfzigsten Geburtstag beging. In aller Frühe kamen daher schon zahlreiche Blumengrüße an.

Unten spielte die Kapelle. Als Claus aus dem Hause trat, sah er neben den Musikern zahlreiche Rahnsburger stehen, die mit zur Klinik gegangen waren, um Doktor Gregor ihre Glückwünsche zuzurufen.

Aus einem der Fenster blickten Eberhard und Mary, aus einem anderen Mabel und Regine herunter.

»Spielen Sie etwas aus einer feschen Operette«, rief Mabel, »Operetten habe ich sehr gern!«

Die Kapelle mußte nach dem Ständchen im Garten Platz nehmen, und wurde mit Wein und Kuchen bewirtet. Währenddessen war auch Eberhard mit seiner Familie heruntergekommen.

Gleich darauf ergoß sich von oben her über Doktor Gregor ein Blumenregen. Mary streute mit vollen Händen aus dem Fenster Sommerblumen aller Art herab.

Doktor Gregor konnte nur abwehren. Was ihm die Verwandten an Geschenken brachten, war so überwältigend viel, daß reine Freude in ihm nicht recht aufkommen konnte. Wieviel lieber wäre ihm eine bescheidene Gabe gewesen als alle diese kostbaren Sachen. Vielleicht hatte es Mary besonders gut gemeint, wenn sie glaubte, daß für die Klinik echte Smyrnaläufer das richtige wären. Waren die alten Kokosläufer nicht ebensogut, vielleicht sogar praktischer? Was sollte er mit der kostbaren goldenen Doppelkapseluhr, da er des Vaters goldene Uhr als liebes Andenken trug? Die beiden Freiplätze, die ihm für die Klinik geschenkt wurden, bereiteten ihm hingegen die größte Freude. Das war etwas nach seinem Geschmack! Als ihm dann die zehnjährige Mabel eine kostbare Vase überreichte, als ihm Regine einen schweren Siegelring übergab, schickte Claus einen vorwurfsvollen Blick hinüber zu Eberhard und Mary.

»Du kannst das alles ruhig annehmen«, rief Mabel vorlaut, »wir haben genug Geld!«

Viel inniger und herzlicher waren die Gratulationen seiner drei Söhne. Aus jedem ihrer Worte fühlte Claus die große Liebe seiner Kinder. Und wenn Karl dem Vater heimlich zuflüsterte, daß er ihm außer dem wissenschaftlichen Buch, das er mit den beiden Brüdern gemeinsam vom Taschengeld gekauft hatte, am heutigen Tage das feste Versprechen gebe, weiter fleißig zu lernen, um auch ein tüchtiger Mensch zu werden, da war das für Claus ein wunderschönes Geschenk. Welche Freude hatte er an seinen drei Söhnen! Da war nicht einer, der ihm Kummer bereitete. Das dankte er in der Hauptsache seiner geliebten Frau, die zwar im Anfang der Ehe so manchen Mißgriff getan, sich aber später prächtig entwickelt hatte.

»Heute wirst du fünfzig Jahre alt, lieber Claus«, sagte Pucki, »fast zwanzig Jahre sind wir nun verheiratet. Immer bist du der gütige und liebevolle Gatte gewesen, der für meine Fehler Verstehen hatte. – Weißt du noch, wie du mir das Buch schenktest, in dem alle meine Streiche niedergeschrieben waren?«

»Ja, meine geliebte Pucki! Und ich versprach dir, ich würde einmal den zweiten Band deiner Lebenserinnerungen aufschreiben. Das wird ein gar schönes und liebevolles Buch werden. – Du bist nun bald vierzig Jahre. In zehn Jahren, wenn uns der liebe Gott das Leben läßt, bekommst du den zweiten Band deiner Lebenserinnerungen.«

Eine neue Überraschung gab es beim zweiten Frühstück. Auf dem Tische standen die denkbar kostbarsten Leckereien. Wieder schüttelte Claus ein wenig unwillig den Kopf. Eberhard und Mary meinten es aber auf ihre Weise sehr gut, da durfte er kein tadelndes Wort sagen.

Dann kamen die Gratulanten. Große Freude empfand Doktor Gregor, wenn sich Patienten einstellten, die voller Dankbarkeit ihres Arztes gedachten. Pucki traten Tränen in die Augen, als sich eine alte Frau, die sich mühsam am Stock bewegte, melden ließ und ein Paar selbstgestrickte Socken überreichte.

»Ich habe lange daran gearbeitet«, sagte die Alte, »es will nicht mehr recht gehen. Aber für meinen lieben Doktor habe ich es gern getan.«

Mabel und Regine betrachteten später verächtlich lachend die derbe Strickerei. Da trat Doktor Gregor zu ihnen.

»Warum lacht ihr? Habt ihr das alte, liebe Mütterchen gesehen? Mit den müden, verarbeiteten Händen hat sie die Arbeit geleistet, und ihren großen Dank für mich hat sie in diese Socken hineingestrickt, ihre Liebe zu dem Arzt, der ihr half. – Seht ihr das nicht? Betrachtet euch einmal die Socken genauer. Das alte Mütterchen dankt für die Mühe, die ich für sie aufgewendet habe. Wie gerne habe ich ihr geholfen, und ihre Dankbarkeit rührt mich tief. Möchtet ihr immer daran denken, daß man zu danken hat, wenn man erfreut wird! Euch wird sehr vieles geboten, was Tausende von Menschen nicht besitzen; aber ich glaube nicht, daß in euren Herzen viel Dankbarkeit wohnt gegen eure Eltern, die euch so viel Gutes und Schönes bieten können. – Wenn ihr wieder einmal etwas bekommt, so denkt an diese Socken!«

Schweigend gingen die beiden Mädchen davon. Und als ihnen Pucki später zwei schöne Birnen reichte, klang zum ersten Male aus dem Munde der beiden ein »Danke!«

Am Nachmittag kamen wieder alle herbei: Waltraut mit ihrem Gatten und den drei Kindern, Agnes mit ihrem Manne und ihren beiden Kleinen, dazu fanden sich viele Rahnsburger Freunde ein, so daß die Kaffeetafel, die im Garten aufgeschlagen worden war, vierzig Personen zählte.

Kaum war das Kaffeetrinken beendet, als eine der Krankenpflegerinnen kam und Doktor Gregor bat, er möge in die Klinik kommen. Die bettlägerigen Patienten wollten ihm gratulieren und ihm danken.

Doktor Gregor blickte erstaunt auf. »Sie haben mir doch schon alle heute früh, bei meinem ersten Rundgange, gratuliert?«

»Bitte, kommen Sie, Herr Doktor«, bat die Schwester.

Er folgte ihr. Inzwischen hatten sich die Kranken Blumen besorgen lassen, die ihm jetzt am Nachmittage überreicht wurden. Blume kam zu Blume; so wurde es ein großer Strauß, den Doktor Gregor in der Hand hielt, als er wieder zu den Seinen zurückkehrte.

»Überall bringt man mir Liebe entgegen«, meinte er glücklich mit dankbarem Herzen.

»Du hast Liebe gesät, Claus. Da ist es kein Wunder, wenn du heute Liebe erntest«, entgegnete Pucki mit leuchtenden Augen. Sie empfand innigste Freude über die vielen Beweise der Verehrung, die an diesem Tage ihrem geliebten Manne gezeigt wurden.


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