Iwan Turgenjew
Visionen und andere phantastische Erzählungen
Iwan Turgenjew

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IX.

Valeria schlief bald ein, aber Fabius konnte lange keine Ruhe finden. In der Stille der Nacht trat ihm alles, was er gesehen und empfunden hatte, noch lebendiger vor Augen; er stellte sich noch hartnäckiger die Fragen, auf die er noch immer keine Antwort finden konnte. Ob Mutius tatsächlich mit den bösen Mächten im Bunde stehe und ob er Valeria nicht vergiftet habe? – Sie war krank, doch was war ihre Krankheit? – Während er, den Kopf in die Hand gestützt und den heißen Atem anhaltend, sich den bangen Zweifeln überließ, ging am wolkenlosen Himmel wieder der Mond auf; und zugleich mit seinen Strahlen drang durch die halbdurchsichtigen Fensterscheiben, von der Seite des Pavillons her, – oder kam es Fabius nur so vor? – drang ein leichter duftender Hauch ins Zimmer . . . da hörte er ein zudringliches, leidenschaftliches Geflüster . . . und im gleichen Augenblick sah er, wie Valeria sich auf ihrem Lager leise rührte. Er fährt zusammen und sieht: sie erhebt sich, steckt erst das eine, dann das andere Bein aus dem Bett und geht wie eine Mondsüchtige, die trüben Augen leblos geradeaus gerichtet, die Arme vorgestreckt zur Gartentüre! Fabius stürzt im gleichen Augenblick durch eine andere Türe aus dem Schlafgemach, läuft, so schnell er kann, um die Ecke des Hauses herum und drückt die Türe, die nach dem Garten führt, von außen zu. Kaum hat er aber die Klinke erfaßt, als er merkt, daß jemand die Türe von innen öffnen will, sich gegen sie stemmt, – wieder und wieder – dann hört er ein schmerzvolles Aufstöhnen . . .

»Aber Mutius ist ja noch nicht zurückgekehrt,« geht es Fabius durch den Kopf, – und er stürzt zum Pavillon.

Und was sieht er?

Ihm entgegen kommt auf dem vom Mondlicht übergossenen Wege gleichfalls wie ein Mondsüchtiger, gleichfalls die Arme vorgestreckt und die Augen leblos und starr aufgerissen, Mutius . . . Fabius eilt ihm entgegen, aber jener sieht ihn nicht, schreitet langsam und gemessen, und sein unbewegliches Gesicht zeigt im Mondlichte das gleiche Lächeln, wie es Fabius beim Malaien wahrgenommen hat. Fabius will ihn beim Namen rufen . . . doch im gleichen Augenblicke hört er: hinten im Hause wird ein Fenster geöffnet . . . Er blickt zurück . . .

Und in der Tat: das Fenster im Schlafzimmer ist ganz heruntergeklappt, und im Fenster steht Valeria, einen Fuß über das Fensterbrett erhoben . . . ihre Arme scheinen Mutius zu suchen . . . sie strebt mit ihrem ganzen Leibe zu ihm hin . . .

Unbeschreibliche Wut erfüllte plötzlich Fabius. – »Verfluchter Zauberer!« schrie er rasend auf, packte Mutius mit der einen Hand an der Kehle, zog mit der anderen den Dolch aus dem Gürtel und stieß ihn bis an den Griff in Mutius' Hüfte.

Mutius schrie durchdringend auf, drückte sich die Hand auf die Wunde und lief stolpernd in seinen Pavillon zurück . . . doch im gleichen Augenblick, als Fabius ihn traf, schrie auch Valeria ebenso durchdringend auf und fiel wie vom Blitze getroffen zu Boden.

Fabius eilte zu ihr hin, hob sie auf, trug sie ins Bett und sprach auf sie ein . . .

Sie lag lange regungslos; endlich öffnete sie die Augen, holte tief Atem so freudig und tief, wie ein Mensch, der soeben einem unvermeidlichen Tode entronnen ist, erkannte den Gatten, umschlang seinen Hals mit den Armen und schmiegte ihr Haupt an seine Brust. – »Du, du, das bist du!« lallte sie. Allmählich lösten sich ihre Arme, der Kopf fiel zurück, sie flüsterte mit seligem Lächeln: »Gott sei Dank, alles ist vorbei . . . Aber ich bin so müde!« und sank in einen festen, doch nicht schweren Schlaf.


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