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Sonntagsheiligung in Deutschland

Der schönste Tag auf dem Festland ist der Sonntag, ein freier, ein glücklicher Tag. Man kann dort den Sonntag auf hunderterlei Weise entheiligen, ohne eine Sünde zu begehen.

Wir arbeiten am Sonntag nicht, weil es gegen Gottes Gebot ist, die Deutschen ebensowenig. Wir ruhen am Sonntag, weil das Gebot es befiehlt. Die Deutschen ruhen auch. Aber in der Erklärung des Wortes ruhen liegt der ganze Unterschied. Bei den Deutschen bedeutet es am Sonntag genau dasselbe wie am Wochentag, nämlich: gieb dem Teil des Körpers Ruhe, der sie braucht und laß den übrigen Menschen thun, was er will. Der ermüdete Teil soll ausruhen – das muß durch alle Mittel gefördert werden. Wen also seine Pflichten die ganze Woche über ans Haus gefesselt haben, der ruht aus, wenn er am Sonntag spazieren geht; wer in der Woche nur ernste, inhaltschwere Dinge studiert hat, der erholt sich am Sonntag bei einer leichten Lektüre; wer sich in seinem Alltagsberuf meist mit Tod und Grab beschäftigen muß, der ruht am Sonntag, wenn er ins Theater geht und ein Paar Stunden lang über eine Komödie lacht; wer die Woche hindurch Bäume gefällt oder Gräben gezogen hat, der legt sich am Sonntag zu Hause ruhig hin. Ist deine Hand, dein Arm, dein Hirn, deine Zunge oder irgend ein anderes Glied unthätig gewesen, so ist es für dasselbe keine Erholung noch einen Tag länger nichts zu thun; war dagegen ein Glied durch Arbeit besonders angestrengt, so ist Ruhe seine rechte Feier.

Bei den Deutschen bedeutet also die Ruhe eine Erholung, Erneuerung, Wiederbelebung der erschöpften Kräfte. Wir schränken den Begriff viel zu sehr ein, indem wir allesamt auf gleiche Weise ruhen, nämlich uns still verhalten und zurückziehen, einerlei, ob das für die meisten eine Erholung ist oder nicht. Bei den Deutschen müssen Schauspieler, Pfarrer, und manche andere Leute am Sonntag arbeiten. Auch wir lassen unsere Prediger, Journalisten, Drucker etc. am Sonntag nicht ruhen und glauben, daß uns kein Teil der Schuld trifft. Ist es aber für den Drucker eine Sünde am Sonntag zu arbeiten, warum sollte es keine für den Pfarrer sein? Ich habe wenigstens nirgends gefunden, daß das Gebot zu seinen Gunsten eine Ausnahme macht. Wir kaufen und lesen die Morgenzeitung am Montag, die doch Sonntags gedruckt werden muß, und unterstützen dadurch die Sonntagsarbeit. Ich werde das aber nie mehr thun.

Die Deutschen heiligen den Sonntag damit, daß sie sich der Arbeit enthalten, wie das Gebot es befiehlt; wir thun das auch, aber wir enthalten uns zugleich des Vergnügens, was nicht geboten ist. Vielleicht übertreten wir das Gebot der Sonntagsruhe im eigentlichen Sinn, weil wir in den meisten Fällen nicht in Wahrheit ausruhen, sondern nur dem Namen nach.


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