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Unter der Einrichtung der Singschulen verstehe ich die statutarischen oder herkömmlichen Bestimmungen ihrer gesellschaftlichen Organisation, unter den Satzungen die Regeln, welche für die Kunstübung selbst bestanden.
Was nun zuerst die Einrichtung betrifft, so betrachte ich hier die Singschulen als solche, als Kunstgenossenschaften. Über ihre, vielleicht ursprünglich allgemeine, wenn auch nicht wesentliche Eigenschaft als geistliche Konfraternitäten ist bereits das Nötige beigebracht worden.
Von urkundlichen Quellen sind hier wieder nur die Freiburger Urkunden durch den Druck zugänglich gemacht. Sonst gehört hieher vorzüglich das sechste Kapitel der Wagenseilschen Schrift, das von der Meistersinger Sitten und Gebräuchen usw. handelt. Der Verfasser versichert (S. 540), sein Bericht gründe sich auf die Nürnbergische und andre geschriebene Schulordnungen, wie auch die von den Meistersingern ihm mündlich geschehenen Anzeigungen und das, was er selbst bei ihnen in ihren Singschulen gesehen und gehört habe.
Die Meistersängergesellschaften bestanden, soweit wir sie in ihrer förmlichen Einrichtung verfolgen können, hauptsächlich aus Bürgern und Handwerkern. Sowie sie unter den Stiftern ihrer Kunst Gelehrte und Ritter nannten, so mochten sie sich durch den Beitritt von Männern aus diesen Ständen fortwährend geehrt finden, und die Freiburger Artikel schreiben sogar die Beiziehung von zwei geistlichen, der heiligen Schrift kundigen Merkern besonders vor. An manchen Orten scheint der Meistergesang späterhin auf bestimmten Handwerkszünften gehaftet zu haben, wie, angeführtermaßen, zu Ulm auf der Weberzunft; in dem Roman »Abenteuerlicher Simplizissimus« usw. aus der Zeit des Dreißigjährigen Kriegs (Ausgabe Mömpelgard 1669. S. 238) kommt ein hessischer Musketier vor: »derselbe war seines Handwerks ein Kürschner und dahero nicht allein ein Meister-Sänger, sondern auch ein trefflicher Fechter« usw. (Man sehe die Stelle in der Ausgabe von A. v. Keller, T. 1, S. 344, H.)
Zur Aufrichtung solcher Vereine wurde die Bestätigung der städtischen Ratsbehörde eingeholt, wie der Freiburger Stiftungsbrief und die Straßburger Erneurung von 1598 zeigen.
Die Mittel zur Bestreitung des nötigen Aufwands wurden teils aus dem Stiftungsvermögen, teils aus den Eintrittsgeldern und sonstigen Beiträgen der Mitglieder und Zuhörer geschöpft. Zu Freiburg bestand die Stiftung aus den von Peter Sprung dafür verordneten »zwen Guldin Gelds, ablösig mit vierzig Guldin Hauptguets«, auch hatten sonst »viel Personen, geistlich und weltlich, Gelt an dise Bruderschaft gegeben, in Meinung, daß die volzogen solt werden«. Die übrigen Einkünfte waren folgende: am Tage vor jedem Hauptsingen sollte dieses, wie früher erwähnt, bei der Predigt im Kloster angesagt werden
und soll damit der Prädicant die Bruderschaft verkünden und auch ein Ermanung tun, ob sich Jemans inschriben lassen wellt, und welcher sich also inschriben ließ, der soll das erstmal inzuschriben 6 Pfenning geben und darnach alle Jar 6 Pfenning richten; die mag ein Jeder alle Jar samenthaft oder getheilt zu den zweien Houptsingen bezalen (Art. 3).
Was bei den gesungenen Ämtern auf den Altar fiel, wurde, nach Artikel 6, zwischen den Predigerherrn und der Singbrüderschaft geteilt.
Wieviel die Zuhörer zu bezahlen haben, ist nicht bestimmt; es heißt Artikel 14 nur allgemein:
Item was ufgehäpt wurd von den Frömbden, die den Singern zuhören wellen, das soll in der Brüderschaft Büchsen gelegt und daruß auch die Merker bezalt (werden). Doch sollend alle die, so in diser Bruderschaft sind, desglichen Doctores, Priester und Rathsherren frigen Zugang haben, dem Singen ufzulosen, und von denselben allen nichts genommen werden.
Zu Nürnberg stand vor der offenen Kirchtür ein Meistersänger mit einer Büchse, in welche die, so zugegen sein wollten, etwas Weniges, nach ihrem Belieben, einlegten. Von diesem Gelde wurden die Unkosten wegen aufgerichteten Gemerks bezahlt und die Gewinste gemacht (Wagenseil 543). Auch Strafgelder trugen einiges ein.
Die Freiburger Brüderschaft bestand aus Singern und solchen, Brüdern oder Schwestern, die nicht sangen. Letztere hatten für ihre Einlagen freien Zutritt bei den Hauptsingen und bei den Seelämtern mußte für sie gebeten werden, »es sient Singer oder nit« (Artikel 1); ebenso kam ihnen die feierliche Bestattung zu (Artikel 5). Ob auch an andern Orten solche nichtsingende Mitglieder teilnahmen, ist nicht besonders zu ersehen. In der angeführten Renovationsurkunde von Straßburg werden »Personen beiderlei Geschlechts aus allerhand Ständen« erwähnt, und zwar als solche, welche diese christliche Kunst »geliebt und im exercitio gehabt«, was in dieser Fassung auch auf die Schwestern bezogen werden kann.
Mit dem Vorstande und den Beamten der Gesellschaft war es zu Freiburg, laut Artikel 17, so bestellt:
Und sollent die Singer in dieser Bruderschaft gemeinlich oder durch den meren Teil alle Jar einen Hauptman und Bruderschaftmeister unter ihnen erwellen, denselben sollend dann die Singer bi Trüwen an Eides Statt globen und versprechen, die Puncten und Artikel, in disem Brief begriffen, war und stät zu halten, darwider niemer zu thun noch zu handlen; desglichen ein Büchs gemacht und der Bruderschaft Gelt darin verschlossen und verrechnet werden, wie es dann in andern Bruderschaften gehalten wurdet.
Für jedes Häuptlingen werden sodann vier Merker gesetzt und belohnt:
Art. 8. Item die Prediger-Herren sollend auch allweg zu den Häuptlingen unter ihnen selbs, ob sie es gehaben mögend, oder anderswa zven gelert Mann, oder doch zum wenigsten einen, die sich der heiligen göttlichen Geschrift verstanden, zu Merker geben und darsetzen. Desglichen sol die Bruderschaft auch zwen geben und die Bruderschaft denselben Merkern nach Gebüre umb ir Arbeit lonen.
Vom Geschäft dieser Merker wird am besten bei den Hauptsingen selbst die Rede sein.
Sonst wird noch Artikel 4 des Knechts der Brüderschaft gedacht:
Und allweg zu disen zweien Emptern (in den Fronfasten), desglichen zu den obgemelten Emptern, so uf die zwei Hauptsingen gehalten, wie obstat, soll durch der Bruderschaft Knecht allen Brüdern und Schwestern, so in der Bruderschaft und anheimisch anheimisch, zu Hause befindlich. Schmeller II, 194. sind, verkünt werden.
Der besondre Hauptmann oder Bruderschaftsmeister kommt in den Nachrichten über die andern Singschulen nicht vor. Dort scheinen die Merker, der Zahl nach drei oder vier, die Leitung des Ganzen besorgt zu haben (Wagenseil 540. 544. Bragur III, 85 f.). Für die Kasse werden aus den Ältesten nach den Merkern zwei Büchsenmeister bestellt (Bragur III, 87 f.). Die Ansage der Singschule geschieht unentgeltlich durch den jüngsten Meister (Wagenseil 540 f.).
Hauptsingen oder Singschulen hießen die öffentlichen und feierlichen Kunstübungen der versammelten Meistersänger.
Sie sollten zu Freiburg jährlich zweimal, am Tage des Evangelisten Johannes, in den Weihnachtfeiertagen, und am Pfingstdienstag, je um Mittagzeit, gehalten werden. Das Lokal ist im Predigerkloster:
Art. 7. Desglichen sollend si (die Predigerherren) den Singern zu den beiden Hauptsingen Platz in irem Kloster geben, namlich im Winter in ihr Konventstuben und im Sommer im Reffental, und die Stuben oder das Reffental desselbenmals zieren mit Tüchern und andern Dingen, wie es dann darzu gehöret.
»In Nürnberg,« sagt Wagenseil S. 540, »ist denen Meister-Singern erlaubt, ihre Sing-Schulen die Sonn- und Feiertäge Nachmittag, so oft es ihnen gefällig, zu halten, welches jedoch der Zeiten [1167] gar selten und fast nur um die hohen Fest geschieht. Und ist hiezu sonderlich, von Alters, die sogenannte Catharina-Kirch, vielleicht weil selbige heilige Jungfrau und Märtererin S. hiegegen Ranisch, Leben Hans Sachsens 27. für eine Patronin der freien Künste et omnis elegantioris literaturæ, nach Art, als man vormals bei den Heiden die Minervam gehalten, in der Römischen Kirche aufgeworfen worden.«
Die Vorrichtungen in dieser Kirche und den Hergang des Singens beschreibt derselbe Schriftsteller so (S. 541 ff.):
»Immittels wird in der Katharina-Kirch, bei Anfang des Chors, ein niedriges Gerüst aufgerichtet, darauf ein Tisch mit einem großen schwarzen Pult und um den Tisch Bänke gesetzt werden, und wird solches Gerüst, welches man das Gemerke nennet, mit Fürhängen ganz umzogen, daß man außen nit sehen kan, was darinnen geschiehet. Eine kleine Kathedra, in Form einer Canzel, auf welche derjenige, so ein Meister-Lied absinget, sich setzet, und der Sing-Stul heißet, bleibt beständig unverrückt an ihrem Ort, ohnferne der großen Canzel, davon die Predigten gehalten werden.«
»Die Versammlung der Zuhörer usw. geschiehet nach dem mittägigen Gottesdienst usw., das ist umb Eins usw. Wann eine gute Anzahl Leute beisammen, geht das Freisingen an; in dem darf sich hören lassen, wer will, stehet auch denen Fremden frei, aufzutretten; und werden in dem Freisingen, außer denen Historien, so in H. Schrift verzeichnet, auch wahre und erbare weltliche Begebnüssen sampt schönen Sprüchen aus der Sitten-Lehr zu singen zugelassen. Es wird aber in dem Freisingen nit gemerkt und kan man also, außer den Ruhm, sonst nichts gewinnen, man mache es auch so gut, als man immer wolle. Wer nun singen will, setzet sich fein züchtig auf den Sing-Stul, ziehet seinen Hut oder Baret ab, und nachdem er eine Weile pausiret, fähet er an zu singen und fähret damit fort biß zum Ende.«
»Nach geendigtem Freisingen singen erstlich die gesampte Meister ein Lied, so daß einer vorsingt und die andern folglich mit einstimmen. Hernach gehet das Haupt-Singen an, in dem nichts, als was aus H. Schrift Altes und Neues Testamentes componiret, geduldet wird, und muß der Singer allezeit, bald Anfangs, das Buch und Kapitel anzeigen, woraus sein Lied getichtet. Wann in dem Haupt-Singen der Singer den Singstul bestiegen und eine Weile geruhet, schreiet der Förderste von den Merkern: Fangt an! Also macht der Singer den Anfang, und wann ein Gesätz oder Abgesang vollbracht, hält er innen, bis der Merker wiederum schreit: Fahrt fort! Nach geendigtem Gesang begibt sich der Singer von dem Stul und macht einem andern Platz.«
»Merker,« Vergl. Museum II, 21. Aretin, Beiträge IX, 1143, 22, 1147 f. 1161, 1. fährt Wagenseil fort, »werden diejenigen genennet, welche als die Vordersten und Fürsteher der Zunft in dem verhängten Gemerk an dem Tisch und vor dem großen Pult sitzen, deren gemeiniglich 4 an der Zahl sind. Der eine und älteste hat die H. Schrift, nach der Übersetzung des Herrn Lutheri, auf dem Pult liegend vor sich, schlägt den von dem Singer angegebenen Ort, woraus sein Lied genommen, auf und gibt fleißige Achtung, ob das Lied sowohl mit dem Inhalt der Schrift, als auch des Lutheri reinen Worten überein komme.«
Was hier, infolge der Reformation, seine besondre Gestaltung erhalten hat, ist doch der Hauptsache nach schon in den 1513 abgefaßten Freiburger Artikeln, und zwar in der angeführten Bestimmung des Artikel 8, vorhanden, wonach die Predigerherren »zwen gelert Mann, oder doch zum wenigsten einen, die sich der heiligen göttlichen Geschrift verstanden, zu Merker geben« sollen.
»Der andere, dem ersten entgegen sitzende Merker gibt acht, ob in dem Context des Liedes alles denen fürgeschriebenen Tabulatur-Gesetzen gemäß sei, und so was verbrochen wird, bemerkt er den Fehler und dessen Straf, das ist, wie hoch er an Silben angeschlagen werde, auf das Pult mit einer Kreide. Der dritte Merker schreibt eines jeden Verses oder Reimens End-Silbe auf und stehet, ob alles richtig gereimet worden, die Fehler ebenmäßig notirend. Und der vierte Merker trägt wegen des Tons Sorge, damit man den recht halte und nit verfälsche, auch ob in allen Stollen und Abgesängen die Gleichheit gehalten werde.«
(Auch von dieser nur umständlichern und anschaulichern Darstellung des Geschäfts der Merker ist doch das Wesentliche schon im Artikel 12 des Freiburger Briefes enthalten:
Item die geistlichen und weltlichen Merker, so gesetzt werden, sollen getrüw Ufmerken uf die Senger haben, und wo sie dieselben in ihrem Gesang irrig erfinden, es sig in welchem Stuck und wie es well, nichts vorbehalten, das sollend sie ihnen sagen und sollich Irthumb bi ihnen abstellen, auch die Singer ihrem Entscheiden und Geheiß gehorsam und gewertig sein.
»Unter währenden diesen Singen müssen sich die übrige Zunft-Genossen des Redens und Geräusches enthalten, damit der Singer nit irr gemacht werde. Es soll auch kein Singer das Gemerk überlaufen, keiner ohne Erfordern in das Gemerk gehen und sich darein setzen und also den Merkern in das Ampt fallen und eingreifen. Wann nun alle Singer mit ihrem Gesang fertig sind, so gehen die Merker zu Rath, wie ein jeder bestanden, und wann sich findet, daß es einige gleich gut gemacht und keiner mehr Silben versungen, als der ander, müssen sie umb den Preis gleichen und weiter sich hören lassen, bis so lange einem vor dem andern die Ehre des Gewinns bleibet und einer um wenigere oder gar keine Silben strafbar erfunden wird und also glatt singet.«
»Hierauf werden die Gewinnungen ausgetheilet und rufen die Merker die zween, so sich am tapfersten gehalten, einen nach dem andern für das nunmehro aufgezogene Gemerk und geben ihnen, was sie durch ihr Singen verdient. Dem Übersieger, so es am allerbesten gemacht, gebühret zu Nürnberg die Zierde des Gehängs. Solches Gehäng ist eine lange silberne Kette, von großen breiten, mit dem Namen derer, die solche machen lassen, bezeichneten Gliedern, an welcher viel, von allerlei Art, der Gesellschaft geschenkte silberne Pfenninge hangen. Nachdem aber selbige Kette wegen der Größe etwas unbrauchbar und zum Anhenken sich nicht allerdings schicken will, so ward an deren Statt dem, so den Preis davon getragen, eine Schnur, daran drei große silberne und verguldte Schilling gebunden, überreicht, mit welcher man füglicher sich schmücken und prangen kunte. Solche Schnur hat den Namen des König Davids; dann auf dem Mittlern Schilling, welcher der schönste, ist der König David auf der Harpfen spielend gebildet, und hat solchen Hans Sachs der Gesellschaft hinterlassen.«
Wagenseil bemerkt hiebei: weil die Schnur wegen Alters zerreißen wollen, der Schilling auch sehr abgenutzt gewesen, hab' er der löblichen Gesellschaft eine silberne Kette zu fernerem Gebrauch machen lassen, an die er eine vergüldete Medaille gehenkt, mit Namen und Jahrzahl, 1696, auch der Inschrift:
Pollio amat vestram, quamvis sit rustica, Musam.
»Dem Nächsten nach dem Ubersieger wird ein von seidenen Blumen gemachter schöner Kranz zu Theil, welchen er aufsetzet. Je zu Zeiten findet sich ein Liebhaber, der aus Freigebigkeit etwas zu versingen aufwirft, und wann solches auf gewisse Singer geschiehet, werden die übrigen davon ausgeschlossen. Zu merken, daß der Ubersieger, oder König-David-Gewinner, auch diesen Vortheil davon trägt, daß er in der nächsten Sing-Schul, so darauf gehalten wird, mit in dem Gemerk sitzen darf. Und so etwan die Merker etwas überhören, soll er sie dessen erinnern, auch wo irgend ein Stritt würde fürfallen und die Merker ihn fragten, ist er schuldig, dessen, was er gefragt wird, mit Bescheidenheit Antwort zu geben« usw.
(Vergl. Freiburger Art. 13: Item welcher die best Gab gewinnet, der soll darnach zu dem andern Singen ein Merker sin. Aber ein Singen mag er vor und nach wol singen, doch nit um die Gaben, es werd ihme dann von den Singern zugelassen.)
»Ein Kranz-Gewinner soll die nächste Schul an der Thür stehen und das Geld einnehmen usw. Die Merker sollen treulich und fleißig nach Inhalt der Kunst und nit nach Gunst merken, einem, wie dem andern, nachdem ein jeder singt, nicht anderst, als ob man darzu vereidet worden, ob man zwar darüber nicht schweren soll, noch kan. Wann auch eines Merkers Vatter, Sohn, Bruder, Vetter, Schwager usw. singt, soll der Merker, weil er parteiisch, sein Ampt, biß der Singer ausgesungen, einstellen und indessen der Büchsen-Meister, oder sonst ein unparteiischer Singer und Gesellschafter an des Merkers Statt merken. Eines Singers Fehler können ihm, nach Gutachten der Merker, entweder alsobald nach seinem Singen und Gleichen, oder erst nach gehaltener Sing-Schul absonderlich, damit ihn andere nicht verhöhnen, angezeigt werden. Wann einer im Singen, wie auch Tichten, sonders gut und dannenhero wenig oder gar keinen Fehler begienge, soll er darum seine Gaben nicht misbrauchen, noch andere neben sich verachten.«
Auf das Hauptsingen folgte das Mahl oder die Zeche. Darauf bezieht sich der schon angeführte Artikel 15 des Freiburger Stiftungsbriefs, vom Singen über und nach dem Mahle, sowie eine Bestimmung des Artikels 7:
Darzu (sollen die Predigerherren) in ihrs Gotshus Küchin kochen lassen und darzu Holz geben; darfür sol man ihnen, nämlich für Holz und Salz bezalen dri Plappart; Plappart, ein Grosch, 3 Kreuzer. Schmeller I, 337. kocht man aber nit, so ist man ihnen nichts pflichtig, die Singer wellen ihnen dann sonst ein Erung thun. Doch daß in disem allem dem gemeinen Guet hie zu Friburg nichts entzogen, sonder das Brot am Laden und der Win vom Zapfen gereicht werde, es wäre dann, daß man den Singern ein sundere Erung thäte, alles ungeverlich.
Wagenseil meldet, S. 555, von solchen Gelagen:
»Des Tages, wann man Schul gehalten, ist gebräuchlich, daß die Gesellschaft der Singer eine erbare, ehrliche, friedliche Zech halte. Auf solcher Zech soll ein jeder sein Gewehr von sich legen; auch soll alles Spielen, unnütze Gespräch und überflüßige Trinken verbotten sein und wird ein Zechkranz zum besten gegeben, damit, wem es beliebt, darum singen möge. Es sind aber Strafer und Reizer Vergl, S. 543 und Freiburger Einladung von 1630: »auch soll kerne Reizlied, Schmützung, Schmehung usw. gesungen werden«. zu singen verbotten, als woraus nur Uneinigkeit entstehet. Es soll auch keiner den andern auffordern, umb Geld oder Geldswehrt zu singen. Ebenmäßig soll niemand zu denen Merkern an ihren Tisch unerfordert hinsitzen. Der auf der Schul den Kranz gewonnen, soll bei der Zech aufwarten und fürtragen. Wann er es aber nicht allein bestreiten könte, soll ihm der, so auf vorhergegangener Schul den Kranz gewonnen, aufwarten helfen. Die, so auf der Schul das Kleinod oder Kranz gewonnen, oder glatt gesungen, sollen mit 20 Groschen begabt werden. Ein Merker bekommt 20 Kreuzer. Die Zech soll von dem Geld, so auf der Schul aufgehoben worden, bezahlet werden; wann aber die Schul nit so viel getragen, soll der Abgang von gemeiner Büchse ersetzt werden.«
Die Kunstfertigkeit, welche bei den öffentlichen Singen zur Schau gelegt wurde, die Kenntnis der Kunstregeln, welche hiebei beobachtet werden mußten und deren Versäumnis der Kreide der Merker anheimfiel, setzten einen förmlichen Unterricht und eine mittels dessen erlangte Meisterschaft voraus. Auch von den Einrichtungen, welche zu diesem Behufe bestanden, ist noch zu handeln.
Dieselben waren dem Lehr- und Meisterwesen bei den Handwerkszünften analog. Der Unterschied lag nur darin, daß man den Gesang, wenn auch handwerkmäßig genug, doch nicht als ausschließlichen Beruf, sondern als eine aus freier Lust und Liebe gepflegte Nebenbeschäftigung behandelte. (Vergl. Bouterwek 275.) Der Freiburger Stiftungsbrief enthält nichts über die Bildung zum Meistergesange, die Einladung von 1630 aber spricht ausdrücklich von Meistern und Gesellen:
Derowegen ist unser Bitt und Beger, wo etwan Meister oder Gesellen vorhanden weren, die Gott mit solcher Kunst begabt hett, auch Lieder könnten, die Zahl und Maß haben usw. wollen sich zu uns verfügen, alda mit uns singen usw.
Nähere Auskunft gibt Wagenseil S. 546ff.:
»Wann sich bei einer Person Lust und Lieb zu der Meister- Singer-Kunst befindet, gibt sie sich bei irgend einem Meister, zu dem sie das Vertrauen hat und der wenigst einmal das Kleinod gewonnen, an und bittet selbigen, daß er ihr wolle mit gutem Unterricht an Hand gehen. Ein solches thut der, so angesprochen wird, gar gerne und übernimmt die große Mühe, welche sonderlich die Belehrung der sehr schweren Töne verursachet, ganz umsonst, nur aus Liebe, die Kunst auf die Nachkommen zu befördern. Welcher willen auch die Meister-Singer sich selbsten um Schuler bewerben und dißfalls ihre Ruhe und Schlaf abbrechen, sintemalen sie den Tag zu ihrer Berufs-Arbeit und Gewinnung der Nahrung anwenden müssen. Wann ein Lehrling sich wol gehalten, die Lehr-Sätze und eine zimliche Anzahl von Tönen, sonderlich aber die 4 gekrönte, begriffen, wird er auf der Zech, oder in dem Wirtshaus, wo die gewöhnliche Zusammenkünften geschehen, nach abgelegter Jahr-Rechnung, so gemeiniglich an dem Thomas-Tag geschiehet, der Gesellschaft durch den Lehrmeister fürgestellet, mit Bitte, solchen in dieselbe aufzunehmen.«
Hierauf stellen die Merker eine Prüfung an und erforschen, ob der Lehrling ehrlicher Geburt, ob er nicht leichtfertig sei, sondern sich eines stillen und ehrbaren Wandels beflissen, ob er die Singschule stets besucht. Ferner wird er auf die Probe gesetzt, ob er die Kunst genugsam erlernt und wisse, was es mit den Reimen nach Zahl, Maß und Bindung für eine Beschaffenheit habe usw., ob er mit der gehörigen Anzahl von Tönen gefaßt sei usw., ob er im Fall der Not ein Lied merken könne. Man gibt ihm dabei im Singen 7 Silben bevor; wenn er darüber versingt, kann er nicht aufgenommen werden. Nach all diesem treten der Empfehlende und der Empfohlene ab, und der älteste Merker läßt die Umfrage ergehen, ob letzterer der Gesellschaft angenehm sei und für tüchtig erkannt werde. Auf erfolgte Einwilligung geschieht die Aufnahme, wobei der Aufzunehmende sich verpflichten muß:
Man hatte in früherer Zeit auch im Brauch, einen solchen Neuling mit Wasser zu begießen, was man die Taufe hieß. Solche geschah in Gegenwart von drei Merkern, deren einer der Täufer, die beiden andern die Paten waren (Bragur III, 94).
Nurch diese Prüfung und Taufe wurde der Lehrling, wie ich glaube, zu dem, was die Freiburger Urkunde Gesellen nennt. Eine weitere Stufe war das Meisterwerden.
Wenn sich nämlich ein Sänger eine Zeitlang auf den Schulen zur Zufriedenheit hören lassen und sonst untadelhaft verhalten, konnte er um die Freiung auf den Stuhl anhalten, d. h, daß er auf offener Singschule freigesprochen und für einen Meister erklärt werde. Ein etwas später Meistersang (Wagenseil 548 ff.) stellt diese Handlung dar, doch ohne Zweifel nach altem Gebrauche. Zuerst der Gruß, worin der Bewerber sein Begehren stellt. Ein Meister bewillkommt ihn mit Gesang und legt ihm Fragen vor über den Ursprung der Kunst und ihre Gesetze. Nachdem er hierauf genügend geantwortet, singen ihm die Meister zu, daß er nun zu ihnen eintrete, um die Meisterschaft und den Kranz zu empfangen. Dieser wird ihm jedoch erst aufgesetzt, nachdem er zum Meisterstück die 4 gekrönten Töne abgesungen.
So viel von der Einrichtung der Singschulen. Nun von ihren Satzungen oder Kunstregeln. Diese machten den Inhalt der Tabulatur, die den Sängern und Merkern zur Richtschnur diente und zu gewissen Zeiten auf den Zechen abgelesen wurde (Wagenseil 533).
Aus geschriebenen Tabulaturen und aus den gedruckten in Puschmanns Bericht des deutschen Meistergesangs von 1572 und in der von der Meistersängergesellschaft zu Memmingen herausgegebenen »Kurzen Entwerfung des deutschen Meister-Gesanges, Stuttgart 1660«, finden sich Auszüge in den angeführten Abhandlungen von Wagenseil, Häßlein, Büsching.
Diese Tabulaturen geben nicht eine zusammenhängende, positive Unterweisung in der Kunst. Sie verzeichnen vielmehr in einzelnen Sätzen hauptsächlich die Fehler, welche von den Sängern zu vermeiden und von den Merkern zu notieren und zu strafen sind. Das Sünden- und Strafregister bei Wagenseil 525 hat 32 Artikel. Außer denjenigen Fehlern, durch welche man sich ganz und auf einmal versingt und wegen deren man wohl ganz von der Schule ausgeschlossen werden kann, wird nach Silben gestraft. Die Sänger haben nämlich nach ihren verschiedenen Graden eine Anzahl Silben voraus; wer nun um mehr Silben gestraft wird, als er voraus hat, der hat sich versungen, d. h. er kann weder einen Preis erlangen noch den höhern Grad, um den er sich bewarb. Die Zahl der vorausgegebenen Silben richtet sich zugleich danach, ob die Gesätze eines Liedes mehr oder weniger Zeilen haben (Bragur III, 83 f.).
Man könnte die einzelnen Artikel der Tabulatur nach den vier Hauptgeschäften ordnen, welche den vier Merkern für die Beobachtung des Gesanges angewiesen sind: Schriftmäßigkeit des Inhalts, Vers, Reim, Ton. Da wir jedoch eine scharfe Abteilung nicht durchgeführt finden, so mag es genügen, das Bemerkenswertere aus der Nomenklatur dieser Artikel ohne strengere Folge aufzuzählen und am Schlusse einige allgemeine Gesichtspunkte anzugeben.
Bar heißt ein ganzes Meistersängerlied. Vergl. Aretin, Beiträge IX, 1161, 51: Ein par usw. Gesätze heißen die Strophen des Bars; deren sind entweder drei, oder fünf, oder sieben und danach nennt man den Bar ein gedrit, gefünft, gesiebent Lied (Büsching, Sammlung S. 174). Das Gesätz zerfällt in Stollen und Abgesang. Die Stollen sind zwei, den vordern Teil des Gesätzes (den Aufgesang) bildende, nach Versbau, Reimstellung und Melodie gleichartige Gliederungen. Der Abgesang, der hintere Teil des Gesätzes, ist von den Stollen verschieden und auch in sich selbst weniger gleichartig gegliedert. Es läßt sich dieses an der bekannten Form des Sonetts deutlich machen, die beiden gleichgebauten Quaträns entsprechen den Stollen, die beiden Terzinen dem Abgesang: in den letztern ist wenigstens eine ungleiche Reimstellung gestattet, z. B. die Mittelzeile der ersten Terzine reimt mit der Anfangs- und Schlußzeile der zweiten und umgekehrt die Mittelzeile der zweiten Terzine mit der Anfangs- und Schlußzeile der ersten.
Manchmal folgt nach dem Äbgesang noch ein Stollen, d. h, ein den beiden vordern Gliederungen gleichartiger Teil.
Von den verschiedenen Arten der Reime oder ihrer Gegensätze kommen vorzüglich folgende in Betracht: Stumpfe Reime, die einsilbigen, männlichen; klingende Reime, die zweisilbigen, weiblichen. Waisen, oder bloße Verse, der Gegensatz der Reime, sind einzelne reimlose Zeilen, welche weder im Gesätze selbst, noch in den folgenden gebunden werden. Körner dagegen sind diejenigen Reime, welche nicht je im Gesätze selbst, aber in allen nachfolgenden ihren Anklang finden.
Die Zahl der Silben für eine Verszeile ist bei Wagenseil 525 auf höchstens 13 angegeben. Puschmann läßt nur 11 bis 12 zu. Er sagt:
»In den längsten Reimen halte ich dafür, daß man darin nicht über zwölf und elf Silben machen soll; denn ein zwölfsilbiger Reim, der hinten und vorne oder auch in der Mitte zierliche Blumen und Koloraturen hat, gibt einem zu schaffen, wenn man ihn ohne Absatz in einem Atem aussingen will.« (Büsching, Sammlung S. 180.)
Aus dem Verzeichnis der Fehler mag folgendes ausgehoben werden.
Ein Fehler ist, wenn nicht nach der hochdeutschen Sprache gesungen wird,
»wie denn dieselbe Sprache in der Wittenbergischen, Frankfurtischen und Nürnbergischen Bibeln, auch in aller Fürsten und Herren Kanzleien üblich und gebräuchlich ist.« (Büsching 182 f. Wagenseil 525.) »Was aber das Aussprechen der Wörter betrifft, kan ein frembder Singer, wann er durch und durch seines Landes übliche Sprach gebraucht (ihr nicht wieder im einzelnen des Reimes wegen ungetreu wird, Bragur III, 69), auch in den Bundwörtern, aus Freundlichkeit, damit wol gedultet werden, auf daß man nit beschuldiget werde, daß man jemandes Sprach strafe, oder verwerfe. Doch müssen die Bundwörter von einerlei Vocalibus regiert werden.« (Wagenseil 525. Büsching 185 f.)
Es zeigt sich hierin ein lobenswertes Bestreben, eine gemeinsame Schriftsprache zu begründen, dabei aber doch besonders für die lebendige Mitteilung die mundartige Färbung nicht völlig auszuschließen.
Falsche Meinungen sind alle der reinen christlichen Lehre zuwiderlaufende Menschenlehren. Auch rechnete man dahin, was sonst den guten Sitten und der Ehrbarkeit entgegen war. Sie sind ein grober Fehler.
»Welcher derowegen dergleichen bringet oder singet, der wird nicht begabt, sondern hat gänzlich versungen. Ja es kan ihm, nachdem die Materie wichtig, scharf untersagt und hart verwiesen, er auch von der Schul weggeschafft werden.« (Wagenseil 525.) Eine blinde Meinung ist, wenn man durch Auslassungen unverständlich wird, »als: ich, du soll kommen, für: ich und du sollen kommen.« So viel nun Worte blind sind, d. h. ausgelassen werden, für so viele Silben wird man abgestraft.
Laster hießen vorzüglich unreine Vokalreime.
Eine Klebsilbe ist, wenn man Silben ungehörig zusammenzieht, z. B. keim für keinem, gsprochen für gesprochen, und selbst im für in dem, vom, zum, zur (Wagenseil 527. Vgl. Büsching 195).
Milben sind, wenn des Reimes wegen ein nicht entbehrlicher Buchstabe abgebrochen wird, als: ich kann nicht singe statt singen, um auf Dinge zu reimen, Gesetz und letzt (Wagenseil 529. Büsching 190).
Fehler des Vortrags sind unter anderem nachstehende:
Ein Stutz, auch Pause, Zucken, ist, wenn man stutzt oder stille hält, wo man nicht anhalten sollte. Dies wird für eine, zwei oder mehr Silben gestraft, so viele nämlich, als man während der Pause bedächtig aussprechen kann (Büsching 189. Wagenseil 529).
Falsche Melodei ist, wenn man einen Ton durch und durch anders singt, als ihn sein Meister gedichtet hat. Ein solcher Sänger hat sich gänzlich versungen (Wagenseil 531. Vgl. Büsching 192).
Falsche Blumen oder Koloraturen werden angebracht, »wenn man im Stollen oder Abgesange die Verse anders blümet oder colorirt (mit andern Läufen u. dergl. singt), als sie ihr Meister geblümet hat, so daß durch solches übrige oder falsche Blümlein der Ton unkenntlich wird; oder wenn man einen Vers das eine mal mehr oder weniger beblümet, als das andere mal.« (Büsching 192. Wagenseil 531.)
Sowie man, nach diesen letztern Bestimmungen, darauf achtete, daß die Töne der Meister weder in ihrem Grundbestande, noch in den Verzierungen gefälscht würden, worüber der vierte Merker eigens zu wachen hatte, so suchte man auch zu verhüten, daß nicht die neuen Tondichter sich zu viel von den Tönen andrer aneigneten:
»Wer einen Meisterton machen, oder melodiren will, der muß mit Fleiß Achtung haben, daß keine Melodei, so er tichtet, in einen andern Meisterton eingreife und denselben berühre, so weit als 4 Silben sich erstrecken, sondern daß er eine ganz neue Melodei und Blumen, so andere Töne der Meister-Singer nit haben, ersinne.« (Wagenseil 532.)
Die Wichtigkeit, welche man auf die Erfindung eines meistermäßigen Tones, einer neuen Melodie mit entsprechendem Strophenbau, legte, erweist sich auch in dem feierlichen Verfahren, mittels dessen der neue Ton geprüft, gewürdigt und dem Namen seines Erfinders gesichert wurde.
»Billich ist es und recht, daß man einen Ton von seinem Meister selbst höre, also, daß er den Ton zum ersten mal auf das nidrigste, als er vermag, für der ganzen Gesellschaft singe, zum andern mal mit vollkommener Stimm, wie man auf der Schul pflegt zu singen, zum dritten mal auf das höchste, als er ihn mit der Stimm erheben kan, es würde dann von wegen Alters, der unvermöglichen Stimm halben, zugelassen, daß ein anderer in seinem (des Tichters) Namen den Ton fürsänge, und da soll er, so es sein kan, den Ton hören fürsingen, als seinen Ton bestättigen und um das Bedenken darüber gebührend anhalten. Wann dann nun derselbe Ton bewährt und gut gesprochen wird, alldieweilen sonderlich dadurch in keines andern Tons Melodei mit 4 Silben eingegriffen wird, alsdann soll der Tichter seinem Ton, zum Unterschied anderer, einen ehrlichen und nicht verächtlichen Namen geben und zween Gevattern dazu bitten, hernach drei Gesätz, aus der ihm von den Merkern fürgegebenen Materie, in bemeldtem Ton machen und in das hierzu verordnete Meister-Singer-Buch, so ins Polpet [pulpitum] gehörig, zum Gedächtnüs einschreiben, dabei auch Jahr und Monats-Tag sampt seinem des Tichters Namen sollen gesetzt werden.« (Wagenseil 532 f.)
Wir besitzen lange Listen solcher getaufter Töne. Darunter vier gekrönte Töne Vergl. Grimm 114. von solchen Meistern, die als Stifter des Meistergesanges genannt werden, Frauenlob nämlich, Regenbogen, Marner und Müglin, aber auch mehrere unter den Namen noch älterer Sänger, Walthers von der Vogelweide, Wolframs usw. Manche Tönenamen klingen ziemlich poetisch: der blühende Ton Heinrich Frauenlobs, der frische Ton Hans Vogels, die Liljenweis ebendesselben, die Engelweis ebendesselben, die Lerchenweis Heinrich Enders usw. Andere lauten überaus seltsam, besonders von spätern Meistern, die sich im Abenteuerlichen immer mehr überboten, z. B.: die kurze Affenweis Georg Hagens, die gestreift Safranblümleinweis Hans Friedeisens, die warme Winterweis Georg Winters, die traurige Semmelweis Semmelhofers usw. Namentlich hat M. Ambrosius Metzger sich in den sonderbarsten Namen seiner Töne gefallen: die Weberkrätzenweis, die Schwarzdintenweis, die Schreibpapierweis, die verschlossene Helmweis, die Cupidinishandbogenweis, die fröhliche Studentenweis, die hochsteigend Adlerweis, die abgeschiedene Vielfraßweis, die Fettdachsweis usw. Dieses aus dem Verzeichnis bei Wagenseil 534 ff. Proben einer kritischen Tafel der Meistersängertöne von Büsching im Neuen Litterarischen Anzeiger 1808. 22 Merz, 28 Juni. Ein kleineres Verzeichnis von Docen in Aretins Litterarischen Beiträgen IX, 1177 f.
Wenn wir unter der Menge der einzelnen Bestimmungen allgemeinere Gesichtspunkte für die poetische Technik des Meistergesanges festzuhalten suchen, so zeigt sich uns, daß die eigentlichen Grundregeln des Strophenbaus, des Silbenmaßes und des Reimes, wodurch der Meistersang mit der Liederkunst der ältern Sänger zusammenhängt oder sich von dieser unterscheidet, mehr vorausgesetzt, als bestimmt ausgesprochen sind.
Für den Strophenbau ergibt schon der gesamte Minnesang den Grundsatz der Dreiteiligkeit oder, noch allgemeiner gefaßt, der Zusammensetzung der Strophe aus gleichartigen und ungleichartigen Gliedern, wodurch dieselbe einerseits Festigkeit, anderseits freie Bewegung erlangt. Was die Meistersänger Stollen und Abgesang nennen, läßt sich in der Form des einfachsten Minneliedes erkennen, z. B. (die Tanzweise Ulrichs von Lichtenstein, in der Ausgabe von Lachmann S. 97):
In dem Walde süeze doene
singent cleiniu vogellîn.
An der Heide bluomen schoene
blüejent gegen des meien schin.
Also blüet mîn hôher muot
mit gedanken gegen ir güete,
diu mir rîchet min gemüete,
sam der troum den armen tuot.
Aber die Strophenteile, welche hier kurz zusammengestellt und leicht verschlungen sind, treten in den Gesätzen des Meistergesanges, deren Ausdehnung stets im Zunehmen begriffen ist, in breiten Massen auseinander, deren gekünstelter Zusammenhang sich oft nur mühsam verfolgen läßt. Wagenseil bemerkt S. 533:
»Mit den überlangen Tönen befindet es sich nicht bei den Alten, daß einer den andern so hoch überstiegen hatte, wie jetzo geschiehet. Noch ist übrig lang und hoch hinauf gestiegen, wann ein Ton 100 Reimen oder Vers hat, und sollen die Tön, so über 100 Reimen enthalten, keinen Vorteil haben für denen, so hundert begreifen.«
Über das Silbenmaß besagen die Tabulaturen:
»Ein jedes Meister-Gesangs Bar hat sein ordentlich Gemäß in Reimen und Silben, durch des Meisters Mund ordinirt und bewährt; diß sollen alle Singer, Tichter und Merker auf den Fingern auszumessen und zu zählen wissen.« (Wagenseil 521.)
Vergleichen wir diese Regel mit ihrer Anwendung in den vorliegenden Meisterliedern, so können wir sie bestimmter so fassen: nur für die Länge der Verse Vergl. Göz II. 10: scandieri besteht ein Maß in der Anzahl der Silben, die Silben selbst aber werden nicht gemessen, sondern gezählt.
Die ältere deutsche Metrik rechnete nicht nach Silben, sondern nach Hebungen, Tonhebungcn, Akzenten (bei den Alten arsis, ictus). Die bestimmte Zahl von Hebungen in jeder Verszelle konnte mehr oder minder von schwächer betonten Silben im Vorschlag (anacrusis) oder in der Senkung (thesis) begleitet sein. Diese scheinbare Ungleichheit findet ihre Ausgleichung in der ursprünglichen Bestimmung aller Poesie zum musikalischen Vortrag. Dem Worte lag nur die unentbehrlichste Bezeichnung der Grundform durch Angabe der notwendigen Anzahl von Taktschlägen ob, die Zwischenräume konnten durch Wort oder durch bloßen Klang ausgefüllt werden. Schon im Laufe des 13. Jahrhunderts treten aber die Zwischensilben immer vollständiger und regelmäßiger ein, so jedoch, daß der Gehalt der Haupttonsilben noch immer den Grundbau des Verses bildet. Der Periode des Meistersanges war es vorbehalten, die geregelte Mannigfaltigkeit der altern Tonmessung durch eine starre Silbenzählung, ohne Rücksicht auf Gehalt und Ton der einzelnen Silben, zu ersetzen, z. B.:
Als man zelt vierzenhundert jar
Und vier und neunzig jar fürwar
Nach des herren Christi geburt,
Ich Hans Sachs gleich geboren wurd usw.
Diese leblose, unorganische Technik fand allerdings nicht bloß in den eigentlichen Meisterliedern statt, sie tritt uns auch in andern, weniger in enge Formen eingezwängten Gedichten entgegen, wie namentlich an den vielen, im ersten Abschnitt aus erzählenden Dichtungen vorgetragenen Proben zu bemerken war, mag dieses nun in dem Einflusse des Meistergesangs oder in dem allgemein verlorenen Sinne für einen lebendigern Rhythmus seinen Grund haben. Während sich bei Hermann von Sachsenheim noch einiger Sinn für die frühere Beweglichkeit äußert, geht im Teurdank die mechanische Silbenzählung noch weiter, als selbst im Meistergesange, indem sogar der Wechsel von ein- und zweisilbigen Reimen durch die Reduktion der letztern auf eine unveränderliche Silbenzahl großenteils aufgehoben wird, z. B.:
Man(i)cher über got den herrn klagt,
Wie er hab die menscheit geplagt,
Das er si habe beschaffen,
Nacket, ploß, on alle Waffen usw.
Der Reim im Meistergesange teilt sich in den stumpfen und den klingenden, was die Tabulatur als gleichbedeutend mit ein- und zweisilbigem nimmt. Dieses bedarf keiner besonderen Erläuterung, da es mit unsrer jetzigen Unterscheidung von männlichen und weiblichen Reimen zusammentrifft. Aber auch hierin verschloß sich das Ohr allmählich dem prosodischen Gefühle der mittelhochdeutschen Reimkunst, nach welchem Wörter, die nach Bildung und Schreibung zweisilbig sind, doch vermöge des kurzen Selbstlauters ihrer Tonsilbe im Reime den einsilbigen gleichgezählt werden, z. B. sãgen, trãgen, welche einsilbig gelten, während vrâgen, wâgen (audere) wirklich zweisilbige Reime sind. Eine andre hauptsächlich für die fortlaufenden Reimpaare, die gewöhnliche Form der erzählenden Gedichte, in der mittelhochdeutschen Poesie herkömmliche Regel, wonach drei Hebungen mit klingendem Reime vier Hebungen mit stumpfem gleich liefen, was eine angenehme Abwechslung herbeiführte, war gleichfalls in Abgang gekommen. Wenn z. B. eine Erzählung von Hans Sachs anfängt:
Zu Poppenreut ein pfarrherr saß,
Der voll der guten schwenke was.
Er war mit worten unverdrossen.
so hätte das zweite Reimpaar nach der altern Weise lauten müssen:
Mit worten unverdrossen,
Riß an der predig bossen usw.
Die vorerwähnte silbenzählende Behandlung der klingenden Reime im Teurdank hat damit nichts mehr gemein, so wenig als mit dem noch ältern Reimgebrauche, vermöge dessen auch die noch kräftigern Flexionsendungen die für den stumpfen Reim erforderliche Betonung hatten und darum eigentlich noch gar keine klingende Reime vorhanden waren.