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2.
Die rosenrote Fliege

Es waren einmal drei hübsche junge Feen, die saßen beisammen, lachten und plauderten, und die eine rief: Ich habe doch den schönsten kleinen Fuß, den es auf der Welt gibt; und ich, sagte die andere, habe den wohlgeformtesten Busen, und die dritte setzte hinzu: und ich den allerreizendsten Hintern. Wie sie das gesagt hatten, ging ein junger Bauer vorbei, der reife Kürbisse zu Markte trug, der lachte die drei übermütigen jungen Feen aus, indem er rief: Mein Mädchen Fifine hat einen viel kleinern Fuß, einen weit wohlgeformteren Busen und einen tausendmal schönern Hintern. Das muß ich wissen, denn ich bin Mistifax, ihr Geliebter.

Die Feen wurden über die Dreistigkeit des jungen Bauern wütend. Sie wollten ihn sogleich auf der Stelle umbringen oder verwandeln; allein die älteste und mithin klügste und besonnenste bemerkte: Wir wollen ihn nicht töten, auch ihm kein Leids zufügen, sonst sähe es aus, als achteten wir uns überwunden, wir wollen ihn jedoch dazu zwingen, zu beweisen, was er gesagt. Er soll uns sagen, welch einen Fehler dein Fuß besitzt, und was deinem Busen und meinem Hintern abgeht, um vollkommen schön zu sein; kann er das nicht – und beim Lilienstab unserer großen Königin! – er wird es nicht können, so wird er beim nächsten Mondwechsel hier am Baume aufgehängt; an jedem Beine ein großer Kürbis, der ihn niederzieht.

So sei es! riefen die beiden andern Feen. Wir wollen ihn lästern lehren! Und seine Braut Fifine verwandeln wir in eine häßliche, stinkende Kröte.

Und wenn ich nun meine Sach' gewinne? fragte der junge Bauer, der den Mut nicht sinken ließ.

So baue ich dir einen Palast, rief die Älteste, in welchem alle Möbel aus Seide, Gold und Sammet bestehen sollen.

Und ich, fügte die zweite hinzu, erbaue dir ein Bette, dessen Decke ganz von Perlen gestickt sein soll.

Und ich, nahm die dritte das Wort, gebe dir ein Nachtgeschirr, auf dessen Boden ein ungeheurer Diamant eingefügt sein soll, von dem Werte eines Königsreichs.

Ich bin's zufrieden! sagte der Bauer. Wenn ich gewinne, werde ich also mit meiner Geliebten sehr hübsch wohnen, werde mit ihr unter einer Decke schlafen, wie sie kein Prinz und keine Prinzessin haben, und dann werde ich ein Nachtgeschirr besitzen, auf dessen Boden ein Königreich liegt. Und das alles soll kommen in der Zeit von einer vollen Mondscheibe zur andern. Nun ich danke euch – ihr hübschen Hexen!

Denke vielmehr daran, du Unverschämter, wie du dich ausnehmen wirst, am Baume hängend, mit einem Kürbis an jedem Beine, und wie übel deiner Fifine der ekelhafte Krötenpanzer passen wird.

Aber, hub der Bauer wieder an: die Gerechtigkeit fordert, daß ich vorher die Schönheiten sehe und genau betrachte, um deren Wert es sich hier handelt. Ihr werdet mir doch nicht zumuten, die Katze im Sack zu kaufen.

Die Feen mußten sich, wohl oder übel, dazu verstehen, dem jungen Bauer die Füße, den Busen und den Hintern entblößt zu zeigen, und er fand diese Körperteile von einer so wunderbaren Schönheit, von einer solchen Zierlichkeit und einer so überirdischen Vollendung, daß ihm bange wurde um sein Versprechen. Er konnte sich an diesen Reizen nicht satt sehen und vergaß ganz den Markt und seine Kürbisse. Endlich erinnerten die Feen daran, daß es Zeit sei, sich auf den Weg zu machen. Sie ihrerseits schwangen sich auf Rosenblättern, die sie in drei Wolkenwagen verwandelten, in die Luft, nachdem sie vorher mit dem Bauer festgesetzt hatten, daß sie sich an diesem Orte nach Monatsfrist wieder treffen wollten.

Mistifax hätte nicht ein so kluger Bursche sein müssen, wie er war, wenn ihn nicht sein unvorsichtiges Versprechen im Kopfe hätte wurmen sollen. Er dachte hin und her, wie er sich aus dem Handel ziehen sollte, allein ihm wollte kein Rettungsmittel einfallen. Sie haben wirklich keinen Makel! rief er unzählige Male vor sich hin, und meinte damit den Fuß, den Busen und den Hintern; wie soll ich es machen, daß sie einen Makel bekommen, den sie nicht haben? Es ist, beim Himmel, nichts natürlicher, als daß ich mein Spiel verliere, und beim nächsten Mondwechsel mit meinen eignen Kürbissen an den Beinen am Baume hänge! O Fifine! Fifine! In welche Torheit hat mich die närrische Liebe zu dir gebracht Mit vornehmen Damen ist nicht gut Kirschen essen, und mit Feen nun ganz besonders nicht!

Diese Worte sprach er laut vor sich hin, als er schon auf dem Markte stand, und eine Anzahl Leute um ihn her, die seine Kürbisse musterten. Unter der Menge befand sich auch ein Herr, der gleichsam aus nichts als aus einer ungeheuren Nase bestand. Das Übrige an diesem Herrn war nicht der Rede wert. Seine Beine waren so fein und dünn, daß ein Spinnenfuß dagegen mehr an Schenkel und Wade vorweisen konnte, und seine Ärmchen waren so kurz geraten, daß sie mit den mageren Händchen nicht bis zum Knie, geschweige denn bis zur Nase hinanreichten. Neben der Nase hatte er zwei kleine funkelnde Augen, die wie Mäuseaugen glitzten und flimmerten. Sein Scheitel war ganz kahl, und nur ganz am Hinterhaupte hing ein Schopf dünner, grauer Haare hinab. Er war von Kopf bis zu Fuß in rotem Sammet gekleidet mit Goldborten, und ein Heer von Dienern folgte ihm nach, wie er über den Marktplatz schritt. Diese Männer waren alle mit großen Fliegenwedeln bewaffnet und unablässig bemüht, von der Nase ihres Gebieters die lästigen Insekten fern zu halten, welche eine boshafte Freude daran zu haben schienen, sich gerade an diesem verbotnen Platze zu versammeln. Mistifax bedauerte den armen kleinen Herrn von Herzen. Es lohnt sich auch, rief er, eine so prächtige große Nase zu haben, wenn man dadurch das Geschmeiß veranlaßt, sie sich zum Tummelplatz seiner Lüste zu nehmen.

Der kleine Herr hörte das und kam an Mistifax heran. Seine Nase warf einen solchen Schatten, daß alle Kürbisse davon bedeckt wurden.

Mein Sohn, hub der Herr an; du scheinst einen magern Handel zu haben. Das Geschäft wirft sicherlich nicht viel ab.

Nicht gar zu viel, ehrwürdiger Herr! entgegnete der junge Bauer, indem er seinen Strohhut lüftete und sich tief dabei verbeugte.

Warum nennst du mich ehrwürdig? fragte der Herr.

Ei, wer im Besitz einer solchen Nase, antwortete Mistifax ehrerbietig, verdient wenigstens, Papst zu sein.

Der Kleine lächelte, allein man konnte davon wenig sehen, weil die Nase den Mund überschattete, wie ein Frachtwagen einen Strohhalm überragt, der am Wege liegt.

Wärest du wohl geneigt, in meine Dienste zu treten? fragte der Kleine weiter.

Ei, warum nicht.
Du sollst guten Lohn haben.
Ich zweifle nicht.
Du gefällst mir.
O und Sie, mein Herr, gefallen mir ebenfalls.

Man sagt, daß ich nicht häßlich sei, sagte der Kleine mit einer so eitlen und zuversichtlichen Miene, daß Mistifax, der sich so viel Eitelkeit bei so viel Mißgestalt nicht zusammenreimen konnte, nahe daran war, in ein Gelächter auszuplatzen. Es gelang ihm jedoch, sich zu bezwingen, sonst hätte er ohne Zweifel sein Glück verscherzt.

Er folgte nun dem Kleinen mit den andern Dienern, nachdem er seine Kürbisse einem vertrauten Freunde einstweilen zur Aufbewahrung gegeben hatte. Der Weg, den die kleine Gesellschaft nahm, war ziemlich beschwerlich; er führte entweder über langgedehnte Ebenen, über die die Sonne ihre brennenden Strahlen Wache halten ließ, oder durch undurchdringliche Wälder, wo oft umgeworfene Baumstämme den Pfad versperrten. Endlich kam man in einer Felsschlucht an, in deren Tiefe ein kleiner Palast gebaut war, auf das köstlichste eingerichtet, doch rund umher mit einem dichten Netz umsponnen, so daß es den Anschein hatte, als hätte eine Riesenspinne den Palast wie eine Fliege eingefangen und eingesponnen. Die Säulen und Wände des Palastes waren mit einem goldglänzenden, klebrigen Safte bestrichen, so daß ein Insekt, das dennoch Mittel und Wege gefunden, durch das Netz zu dringen, sicherlich an den klebrigen Säulen und Wänden hängen blieb. Mit großer Vorsicht ging der Zug über eine Art Zugbrücke, über die schöne Marmortreppe in den Palast. Mistifax wurde von den andern Dienern ausgelacht, weil er, noch nicht an die Vorsicht gewöhnt, hier und da mit seinen Kleidern hängen blieb.

Der Kleine machte sich's bequem, setzte sich auf ein purpurrotes Seidensofa und schien willens zu sein, ein Schläfchen zu halten. Allein dazu ließ ihn sein Mißgeschick nicht komme. Er hatte kaum sein Haupt auf das Kissen gelegt, als sich ein feines Summen und Brummen in einem entfernten Winkel des Gemachs hören ließ. Das Summen und Brummen kam näher, und endlich ließ sich ein kleiner geflügelter Gast auf die Nase nieder, die wie ein großes weißes Gebirge auf dem roten Polstergrunde lag. Der Kleine fuhr auf, schrie, zappelte mit den Beinchen und Ärmchen und rief: Da ist wieder ein vermaledeiter Satan! Ihr Hunde! wartet, ich werde euch prügeln lassen, daß eure Knochen zu Staub werden; warum gebt ihr nicht besser acht!

Und damit ließ er die sechs Knechte, die gerade mit den Fliegenwedeln am Bette den Dienst hatten, auf das kläglichste peinigen und schlagen. Mistifax dachte bei sich: Ei, der Dienst ist doch nicht so ganz leicht! –

Sechs andere Diener mußten nun eintreten, und die, bevor sie ihr Amt antraten, durchspähten jeden Winkel des Gemachs, durchstöberten jede Falte und klopften jedes Polster auf, um nach Fliegen zu spüren. Als sie keine fanden, setzten sie Sich am Sofa nieder und begannen zu wedeln. Aber es nutzte ihre Vorsicht wenig; es fand sich auch hier wieder eine Fliege, und dieselbe Strafe kam auch über diese sechs.

Der Kleine warf sich hin und her und heulte vor Schmerz und Verdruß. Mistifax! rief er; sei du der erste treue Diener, den ich habe, und ich will dich mit Gold überschütten. Halte mir die Fliegen fern, und du sollst mein Sohn und Erbe sein! Mistifax! Mistifax! rette mich! O ich könnte so glücklich sein! ich besitze Schönheit, Reichtum, Macht! Nur die Fliegen, die verdammten Fliegen! Wenn die nicht wären! Ich komme um, ich gehe unter – ich tue mir ein Leids an – nur wegen der Fliegen!

So jammerte der kleine Herr, und es fehlte wenig, daß er sich nicht die spärlichen grauen Haare ausriß, die er noch besaß.

Mistifax hatte so seine Gedanken über die ganze Sache. Erstlich kam es ihm schon ganz unerklärlich vor, wo die Fliegen immer wieder herkamen, da doch alle nur erdenklichen Mittel angewendet würden, sie zu vertreiben, und dann zweitens erschienen ihm die Fliegen gar nicht wie gewöhnliche alltägliche Fliegen, sondern er dachte von ihnen, daß sie zu Zeiten etwas ganz anderes sein könnten wie Fliegen. Allein er behielt hübsch vorsichtig und klug seine Betrachtungen für sich und wartete nur auf die Zeit, wo er sein Amt antreten würde. Die Stunde kam, und in der Nacht vorher verkroch er sich im Zimmer in einem Winkel, um zu sehen, was aus der Gesellschaft würde, die alle Abend kam, um dem kleinen Herrn die Zeit zu vertreiben.

Diese Gesellschaft bestand aus einer Anzahl sehr hübscher junger Mädchen, die im Saal tanzten, sangen, spielten und eine große Portion Zuckerwerk vernaschten und dazu süßen Wein tranken. Eine zur Zeit von diesen hübschen leichtfertigen Dingern setzte sich dem kleinen Herrn auf den Schoß, streichelte ihm Kinn und Wangen und ließ die ungeheure Nase auf ihrem Busen ruhen. Dies gewährte dem kleinen Herrn ein unbeschreibliches Vergnügen. Dabei hatten die Mädchen ganz dünne Kleidchen an, von Flor und Schleiertüchelchen, wie von Spinnweb gemacht, und wenn sie durch den Saal tanzten und flatterten, gab es ein feines Geknister und Gewisper, als summten Fliegen um eine Zuckerschale. Die Gesellschaft blieb gewöhnlich bis Mitternacht, bis der kleine Herr, ganz betrunken, in sein Kabinett gebracht wurde, dann dauerte es noch eine kleine Weile, wo die Mädchen in dem verschlossenen Saale allein blieben, und dann waren sie plötzlich alle fort, und niemand wußte, wohin.

Kaum befand sich also Mistifax mit den Mädchen im Saal eingeschlossen, als er gewahrte, daß sie in einen Kreis zusammen traten, sich an den Händen faßten, rundum tanzten und dazu folgendes sangen:

Wir sind Fliegen:
Wir lieben zu naschen,
Wir lieben zu haschen,
An süßes Geschleck,
Zu rühren keck,
In verschlossene Töpfe
Zu stecken die Köpfe.
Wir sind Fliegen:
Wir tanzen gern
Mit luftigem Leibe
Auf der Fensterscheibe;
In kristallner Schale
Sitzen in Menge
Wir im Gedränge,
Wie in köstlichem Saale.
Wir sind Fliegen:
Wir lieben uns zu putzen,
Uns zuzustutzen,
Bei der Toilette die Zeit zu verlieren,
Zu musizieren,
Zu parlieren.
Wir sind Fliegen:
Wir lieben zu necken;
Sind listig, gewandt,
Mit tollkühnem Necken,
Angriffen zu schrecken,
Und wenn die Hand
Zornig nach uns schnappt,
Sind wir fort, in alle Weite,
Werden niemals ertappt.
So machten's wir gestern,
So machen's wir heute,
Zum Werk denn! ihr Schwestern!

Und nun hielten sie inne, sahen sich lachend an und tanzten dann noch ein paarmal in der Runde.

Ja, rief die eine, die Mistifax für die hübscheste erklärte, wir führen ein Leben, wie sich's lustige Fliegen nur wünschen können. Wir beschmausen einen alten reichen Narren und trillen und schrauben und necken ihn noch dazu recht tüchtig für all das Gute, das er uns erzeigt.

Es geschieht ihm recht, der häßlichen Großnase! sagte die zweite, die noch in einem Glase ein Restchen Likör fand, das sie ausnippte. Ich habe in meinem Leben viele alte häßliche verliebte Herren kennen gelernt, aber keinen von einer so grauenvollen Widerlichkeit. Hat er mir doch heute, wie er mit seiner Nase auf meinem Busen herumschnüffelte, ordentlich Krämpfe verursacht.

Ei, desto ärger mußt du jetzt als Fliege diese Nase kitzeln! rief eine dritte.

Ja, das werde ich! entgegnete die Klagende. Ihr braucht nicht zu sorgen; schonen werde ich ihn wahrlich nicht. O ich will mit wahrer Mordlust auf seiner Nase herumkrabbeln. Er soll nicht wissen, ob es eine Fliege oder ein Drache ist, der ihm plötzlich ins Gesicht gekommen.

Gut, gut! riefen die andern. Du bleibst also diesmal hier.

Ich bleibe. Macht nur, daß ihr fortkommt. Der Tag bricht an. Damit öffnete sie ein Fenster, und in Fliegen verwandelt nahmen sämtliche Mädchen, bis auf die eine, die zurückblieb, ihren Weg durchs Fenster. Die hübsche Kleine sah den Schwestern lange nach, dann schloß sie den Fensterflügel und trat in den Saal zurück.

Nun will ich auch meine Toilette machen, rief sie.

Dabei setzte sie eine Schale mit Wasser hin, goß aus einer Kristallphiole etwas Jasminessenz hinein, setzte einen großen, in Silber gefaßten Toilettenspiegel zurecht, zwei Kerzen an jede Seite, und nun streifte sie alle ihre feinen Florgewänder ab, und stand da, völlig so nackt, wie man nur nackt sein kann.

Da konnte Mistifax sich nicht halten, und rief: Sapperment! das ist die hübscheste Fliege, die ich je gesehen!

Den Schreck der armen Fliege, als die diese Worte hörte, kann niemand beschreiben. Sie lief, was sie laufen konnte, zu ihrem Schleier, wickelte sich hinein, drehte sich im Kreise, schnell und immer schneller, wobei ein sonderbarer, summender Ton gehört wurde, und dann war sie plötzlich fort und verschwunden, ohne daß Mistifax, der aus seinem Verstecke hervorsprang, entdecken konnte, wo sie geblieben. Nur der Spiegel, das Waschbecken und die Lichter gaben ihm Zeugnis, daß er nicht geträumt, denn er mußte sich schon bequemen, selbst die Sachen fortzuräumen und den Saal in Ordnung zu bringen. Er tat es, denn er sagte bei sich selbst: Ich will das Geheimnis der Fliegen nicht verraten, vielleicht kann ich's zu meinem Vorteil nutzen. Ein kluger Mann verwirft den Beistand selbst des geringsten Geschöpfes nicht, so ich auch nicht den einer Fliege.

Der Tag, der auf diese Nacht folgte, verging ruhig. Zum ersten Male konnte der kleine Herr sein Nachmittagschläfchen vollkommen ungestört hinbringen. Er schob dieses erfreuliche Ereignis auf die Wachsamkeit seines neuen Dieners und überhäufte diesen mit Liebkosungen und Danksagungen. Mistifax verbeugte sich und sagte, daß er nur seine Pflicht getan habe.

Als der Abend kam, erwartete der kleine Herr seine »Damen«, aber diese blieben aus. Es rührte sich kein Fußtritt im Saal, obgleich alle Kerzen angezündet und die Tische mit Wein und Zuckerwerk zum Brechen belastet waren. Der Hausherr ging unruhig auf und ab und rief immer: Wo bleiben meine Damen! Wo bleiben meine Damen? Aber es kam niemand.

Mistifax allein wußte um das Geheimnis dieses Ausbleibens. Zur gewohnten Stunde waren die neunzehn Fliegen angelangt und hatten zu ihrer Verwunderung das Fenster verschlossen gefunden welches sonst immer die zurückgebliebene zu öffnen pflegte. Aber die Arme hatte sich nicht hinausgetraut: sie saß in einem tief versteckten Winkel, hoch oben an der Decke, und kam den ganzen Tag von dort nicht herab. Die Fliegen, als niemand öffnete, schöpften ihrerseits Verdacht und machten, daß sie fortkamen. So ging denn die Nacht höchst trübselig für den kleinen Herrn dahin, der nicht wußte, was er in der Einsamkeit und Stille machen sollte. Um ihn zu unterhalten, erzählte ihm Mistifax die Geschichte mit den drei Feen.

Der kleine Herr belustigte sich daran und sagte dann: Wie töricht diese Weiber sind. Hat wohl eine von der Schönheit ihrer Nase gesprochen? keine. Und doch ist und bleibt eine Nase der wichtigste und bedeutendste Teil am menschlichen Leibe. Ist die Nase schön – ist alles schön. Was soll das heißen – den schönsten Fuß haben! Kinderei! Was ist ein Fuß? und nun ein Busen? und gar ein Hintern! Wie kann ein irgend anständiges Frauenzimmer auf ihren Hintern sich etwas zu Gute tun. Aber diese Feen sind preisgegebene Geschöpfe, die in den Tag hineinleben ohne Sitte und Ordnung. Es lohnt sich nicht, daß ein Mann von guter Lebensart sich mit ihnen abgibt, und ich verarge es dir, Mistifax, daß du dich in einen so leichtfertigen und abgeschmackten Handel eingelassen hast.

Gleichwohl, gnädiger Herr, stecke ich doch nun einmal in der Verlegenheit, erwiderte der junge Bauer bescheiden.

Sieh zu, wie du dich herauswickelst, sagte der Hausherr. Mich geht übrigens, wie du wohl siehst, die ganze Sache nichts an. Hiermit war die Unterhaltung zu Ende. Die Fliege aber in ihrem Winkel oben hatte alles mit angehört.

Als der kleine Herr zu Bette gegangen und Mistifax sich allein im Saale befand und, das Haupt auf beide Arme gestützt, sich eben seinen traurigen Gedanken hingab, die darin bestanden, zu untersuchen, wie es ihm wohl möglich sein werde, die Bedingungen der drei Feen zu lösen und sich und Fifine dabei reich und vornehm zu machen, und er dabei immer wieder fand, daß ihm dies unmöglich sein werde, besonders, da schon dreiviertel der Zeit vergangen war, die die Feen zur Entscheidung der Angelegenheit festgesetzt – da fühlte er plötzlich eine weiche, kleine Hand auf seiner Schulter. Er blickte auf, und die verwandelte Fliege stand vor ihm. Guten Abend, mein liebes Fräulein, sagte er.

Guten Abend, Mistifax, entgegnete sie.

Ei, mein schönes Fräulein, wie wissen Sie meinen Namen?

O, ich weiß noch mehr von dir, sagte sie lächelnd. Ich weiß, daß du eben jetzt nachdenkst, wie dir in einer mißlichen Lage geholfen werden soll.

Wahrhaftig so ist es.

Nun, Mistifax, laß uns offen reden. Ich weiß, daß du es warst, der mich und meine Schwestern gestern belauscht hat. Unser Schicksal ist in deiner Hand. Verrätst du uns dem garstigen, alten Gebieter dieses Palastes, so läßt er uns alle zur Strafe, daß wir ihn betrogen, und weil er die Fliegen wie den Tod haßt, der großen Spinne ausliefern, die hier in der Nähe wohnt und eine weitläufige Verwandte von ihm ist. Dieses Schicksal wäre schrecklich.

Aber wie könnt ihr nur glauben, daß ich so etwas tun werde? rief Mistifax.

O, ihr Menschen seid zu allem fähig, rief die Fliege, ihr bestreicht Weidenruten mit Leim, damit wir daran kleben bleiben und elend verschmachten mögen; ihr stellt unter allerlei lockenden Außenseiten Gift aus, damit unser argloses Geschlecht, das in eure Wohnungen als Gast kommt, auf das Grausamste umkommt. Am ehrlichsten seid ihr noch, wenn ihr geradezu als Mörder auftretet und mit der Fliegenklappe nach uns schlagt.

Es liegt etwas Wahres in dieser Anklage, sagte der junge Bauer nachdenklich. Aber, mein Fräulein, seid Ihr hier in der Nacht zu mir gekommen, um mit mir über Leimruten und Fliegenklatschen zu sprechen?

Nicht doch; ich habe dir einen Vorschlag zu machen.

Und der ist?

Wenn du, hub die Fliege an und stockte etwas vor innerer Angst und Beklommenheit, die Kenntnis unseres Geheimnisses nicht zu unserm Untergang benutzen, sondern im Gegenteil uns hier unser Wesen nach wie vor treiben lassen willst, so sollst du eine Gabe von uns empfangen, die dir von großem Nutzen sein soll. Wir Fliegen halten Wort.

Einen Kuß drauf, liebes Fräulein! rief Mistifax, und als er den Kuß erhalten, machte er die Bemerkung, daß er nimmer geglaubt, daß die Fliegen so gut küssen könnten.

Aber der arme kleine Herr! rief jetzt der Bauer, seine Qual wird ewig dauern.

Glaub das nicht, entgegnete die Fliege, wenn wir ihn vollkommen arm gespeist haben, so lassen wir ihn in Ruh und ziehen anderswohin. So lange er aber noch eine Flasche süßen Sekt im Keller und ein Brosamen Zuckerbrezel im Schranke hat, kommen wir und schmausen. Für soviel Lustigkeit in der Nacht ist das bißchen Gekrabbel am Tage eben auch keine so entsetzliche Sache. Mancher alte Lüstling hat ganz andere Pein und Nachweh seiner lustigen Stunden zu erdulden.

Im Grunde haben Sie ganz recht, mein Fräulein.

Nun denn, du schweigst?

Ich schweige, stumm wie das Grab.

Die Fliege war damit zufrieden, und Mistifax und das hübsche Mädchen belustigten sich mit einander ganz wohl die Nacht hindurch. Der Bauer dachte: meine teure Fifine ist fern von mir; sie erfahrt nichts – und überdies, mit einer Fliege kann man ja unmöglich sündigen.

Nun kamen in der nächsten Nacht die neunzehn Fliegen und wurden eingelassen. Die zwanzigste wußte sie zu beruhigen, ohne daß sie ihnen die Wahrheit mitteilte. Der kleine Herr war sehr erfreut, als er seine »Damen« wieder hatte. Er trank aus lauter Freude so unmäßig, daß er früher wie gewöhnlich zu Bette gebracht werden mußte.

Als er fort war, tanzten nun die hübschen Mädchen wie gewöhnlich, und sangen:

Wir sind Fliegen:
Wir lieben zu naschen
Wir lieben zu haschen, u. s. w.

Ach! rief Mistifax bei sich, wenn ich mich nur in eine Leimrute verwandeln könnte, daß alle diese lieben Geschöpfchen an mir blieben! Mein Wort gebe ich, daß ich keine verschmachten lassen wollte.

Aber sie verschwanden alle bis auf eine; und diesmal war es eine kleine Brünette mit großen schwarzen Augen; die summte noch ein paarmal im Saale herum und dann, husch, war sie oben an der Decke.

Die scheint zu schläfrig zu sein, um noch Toilette zu machen, murmelte Mistifax. Schade darum, denn gerade die würde sich, ohne Schleier, ganz allerliebst ausgenommen haben.

Er hütete sich wohl, seine Gegenwart zu verraten.

So ging es denn noch ein paar Wochen – es waren gerade die letzten, die der Bauer noch übrig hatte, da trat der Haushofmeister zu dem kleinen Herrn und sagte mit betrübter Miene: Gnädiger Herr, wir haben hier abgewirtschaftet, Küch' und Keller sind leer. Die Juden, denen Sie den Palast verpfändet haben, wollen nicht länger warten und werden uns morgen früh hinauswerfen. Wir haben nicht, wohin wir unser Haupt hinlegen sollen.

Lege Er das seine meinethalben des Teufels Großmutter in den Schoß! polterte der kleine Herr zu dem Haushofmeister. Was mich betrifft, so bin ich ein schöner junger Kavalier und werde überall mein Glück machen, wo ich mich nur zeige. Darum ist mir nicht bange. Man packe mir meine Sachen; ich werde morgen früh mich auf die Reise begeben.

Die Fliegen, wie sie es vorhergesagt, blieben weg, als sich zeigte, daß Küch' und Keller leer seien; die eine jedoch vergaß nicht, ihr Versprechen zu erfüllen. Als alle fort waren, kehrte sie allein zurück und händigte Mistifax eine kleine Schachtel von Elfenbein und Gold ein. Sie sagte dabei: Ein dienstbarer Geist ist in diesem Gehäuse verschlossen, dem du die gefahrvollsten Aufträge geben kannst, er wird sie pünktlich erfüllen. Lebe wohl, gedenke zuweilen deiner dankbaren Freundinnen, der Fliegen.

Mistifax nahm die Schachtel, legte sie zu seinem übrigen spärlichen Reisegerät und wanderte aus. Er brauchte drei Tage und drei Nächte, ehe er wieder in seine Heimat kam. Als er seine Hütte erblickte, stand grade der Mond darüber, und dieses helle Himmelsgesicht mahnte ihn an seine Schuld. Morgen, sagte er bei sich selbst, morgen erwarten mich die Feen, und ich weiß noch kein Sterbenswörtchen von dem, was ich ihnen sagen soll. O Fifine, der Tod ist mir und dir gewiß!

Bei diesem Seufzer kam die Bäuerin hervor, herzte und liebkosete ihren wiedergefundenen Schatz, tröstete ihn und brachte aus seinem Reisesacke all die Dinge hervor, die er bei sich trug. So kam sie auch an das Kästchen.

Ei, was ist das! fragte sie.

Was wird es sein! rief er verdrießlich. Eine Fliege hat's mir gegeben. Es soll einen dienstbaren Geist enthalten, der alle meine Befehle vollziehen wird. Allein ich bin kein Narr, daß ich's glaube. Was kann ein armes Insekt, das selbst nichts hat, Großes verschenken!

Wollen wir's dennoch öffnen, sagte die Bäuerin.

Tu's! entgegnete er.

Und sie schob den Deckel von der Schachtel, da kroch eine kleine rosenrote Fliege heraus, setzte sich auf den Deckel und fing an, sich Beinchen und Flügel zu putzen.

Ach, wie niedlich! wie wunderhübsch! rief das junge Weib und schlug in die Hände. Wer hat wohl je eine so köstliche Fliege gesehn!

Ich wollte, rief der Bauer, sie machte sich sogleich auf den Weg und flöge zu den drei Feen und untersuchte, ob sich wirklich kein Fehler fände auf den drei angegebenen Körperteilen.

Die Fliege, als diese Worte gesprochen wurden, setzte sich auf die Hinterbeine, gerade so als wollte sie besser hören, und als Mistifax geendet, war die Fliege auf und davon.

Sie blieb die ganze Nacht weg und kehrte erst am anderen Tage wieder. Als Mistifax aufwachte, saß sie auf seinem Kopfpfuhl, und eine feine Stimme sprach:

Die erste ist ein hübsches Schneckchen,
Doch auf dem Busen ist ein Fleckchen.

Die zweite hat – o weh!
Ein Wärzchen an dem kleinen Zeh –

Die dritte hat zur Stund,
Ein Härchen auf dem linken Rund.

Potz Tausend! rief der junge Bauer und sprang auf, das ist mir sehr lieb zu erfahren. Aber, wie zum Teufel hast du das herausgebracht? Ich, meiner Treu, hab davon nichts bemerkt.

Weil du nicht hundert Augen hast, wie ich – sagte die Fliege.

Es ist wahr, ich habe nur zwei Augen, rief Mistifax, und dazu, wenn ich gewisse Dinge so recht in der Nähe sehe, so flimmert es mir vor diesen zwei Augen, so bekommen diese zwei Augen eine gewisse Schwäche, eine gewisse Undeutlichkeit – in der Tat, ich kann es nicht erklären.

Gib dir auch keine Mühe, sagte die Fliege, sondern nutze die Mitteilung, die ich dir eben gemacht. Schon versammeln sich die Feen, um dir das Todesurteil zu sprechen.

Gemach, gemach! rief der Bauer, so weit ist es noch nicht. Also wie war es? Ich bitte noch einmal, damit ich's nicht verwechsle, und der einen, die die Warze hat, das Haar gebe, und umgekehrt.

Die Fliege wiederholte ihren Spruch:

Die erste ist ein hübsches Schneckchen,
Doch auf dem Busen ist ein Fleckchen.

Die zweite hat – o weh –
Ein Wärzchen an dem kleinen Zeh!

Die dritte hat zur Stund,
Ein Härchen an dem linken Rund.

Gut! sagte der Bauer: nun weiß ich's. Du mußt übrigens viel herumspaziert sein auf den besagten Teilen, daß du so genau Bescheid weißt.

Und nun ging er und sagte den drei hochmütigen jungen Feen die Wahrheit, die sie nicht ableugnen konnten, obgleich sie durchaus nicht begriffen, wie der Bauer das alles habe erfahren können. Sie hielten nun ihrerseits ihr Versprechen und gaben Mistifax die drei wertvollen Geschenke.

Er richtete sich im Palast herrlich ein, schlief ganz vortrefflich in dem prächtigen Bette mit seiner Fifine, und den Diamant auf dem Boden des Nachtgeschirrs verkaufte er, erhandelte sich dafür ein Königreich, in welchem er sehr weise herrschte und regierte. Die Fliege blieb bei ihm und besorgte für ihn allerlei kleine Geschäfte.

Eines Tages schickte er sie aus, um nach einem Manne zu suchen, der an einer ungeheuren Nase kenntlich sei. Sie sollte sich erkundigen, wie es ihm ginge, und ihn wo möglich gleich mitbringen, damit er im Königreich wohne und ein sorgenfreies Alter habe. Die Fliege fand den kleinen Herrn in einem ungeheuren Walde, in einer Höhle versteckt, wo er Wurzeln aß und reines klares Wasser dazu trank. So herunter war der kleine Herr gekommen. Er kam nun an den Hof des Mistifax, und dieser machte ihn zu seinem ersten Minister, gab ihm einen Palast, der wieder mit einem Netz umsponnen wurde, und einige »Damen« zur Gesellschaft, die diesmal keine Fliegen waren und wo der kleine Herr keine unangenehmen Nachempfindungen seiner Freuden spürte.


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