Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Phileas Fogg vermuthete wohl bei seiner Abreise von London nicht, welch' großes Aufsehen sein Vorhaben erregen würde. Die Neuigkeit von der Wette verbreitete sich zuerst im Reformclub und erregte unter den Mitgliedern dieser ehrenwerthen Gesellschaft eine arge Aufregung, welche sich durch die Berichterstatter von da in die Journale verbreitete und durch diese das Publicum von London und im ganzen Vereinigten Königreiche durchdrang.
Diese Frage der Reise um die Erde wurde mit ebensoviel Leidenschaft und Hitze erläutert, besprochen, zergliedert, als handle sich's um eine neue Alabama-Frage. Die einen ergriffen Partei für Phileas Fogg, die anderen – und sie bildeten bald eine ansehnliche Majorität – sprachen sich gegen ihn aus. Diese Reise um die Erde, innerhalb der geringen Frist, mit den jetzt im Gebrauch befindlichen Verkehrsmitteln anders als in der Theorie und auf dem Papier fertig zu bringen, war nicht allein unmöglich, sondern unsinnig!
»Times«, »Standard«, »Evening-Star«, »Morning Chronicle« und zwanzig andere Journale ersten Ranges erklärten sich gegen Fogg. Nur »Daily Telegraph« unterstützte ihn einigermaßen. Im Allgemeinen behandelte man Phileas Fogg als Wahnsinnigen, als Narren; und seine Collegen vom Reformclub wurden getadelt, daß sie sich auf so eine Wette eingelassen, welche eine Geistesschwäche ihres Urhebers beurkunde.
Es erschienen äußerst leidenschaftliche, aber logisch scharfe Artikel über die Frage. Bekanntlich hat man in England viel Interesse an allem, was Geographie betrifft. Darum gab's auch keinen einzigen Leser, zu welcher Klasse er auch gehörte, der nicht die Phileas Fogg gewidmeten Spalten verschlang.
Während der ersten Tage waren einige kühne Geister – besonders Frauen – auf seiner Seite, zumal als »Illustrated London News« sein Portrait nach seiner im Archiv des Reformclubs niedergelegten Photographie publicirte. Manche Gentlemen sagten dreist: »Ei! ei! Warum nicht gar? Man hat außerordentlichere Dinge gesehen!« Es waren besonders Leser des »Daily Telegraph«. Aber man merkte bald, daß dies Journal selbst anfing seine Zuversicht zu verlieren.
Wirklich erschien am 7. October im Bulletin der königlichen Geographischen Gesellschaft ein langer Artikel, welcher die Frage von allen Gesichtspunkten aus betrachtete und das Unsinnige des Unternehmens klar auseinander setzte. Nach diesem Artikel war Alles dem Reisenden entgegen, Hindernisse, die in der Person und in der Natur begründet waren. Sollte das Project gelingen, mußte ein wunderbares Zusammenstimmen der Ankunft- und Abfahrtsstunden stattfinden; aber dieses Zusammenstimmen existirte nicht, konnte nicht statthaben. Strenge genommen kann man in Europa, wo verhältnißmäßig kleine Bahnstrecken vorhanden sind, auf die Ankunft der Züge zu fest bestimmter Zeit rechnen; aber wenn sie in drei Tagen quer durch Indien zu fahren haben, sieben Tage durch die Vereinigten Staaten: konnte man wohl die Elemente eines solchen Problems auf ihre Genauigkeit gründen? Und sprachen nicht die Unfälle der Maschine, Entgleisungen, Zusammenstöße, üble Witterung, Schneeanhäufung – sprach nicht dies alles gegen Phileas Fogg? War er nicht auf den Packetbooten während der Winterzeit den Windstößen oder Nebeln preisgegeben? Ist's denn so selten, daß die besten Segler der überseeischen Fahrtlinien um zwei bis drei Tage sich verspäten? Nun konnte schon eine Verspätung, eine einzige, hinreichen, um die Kette der Verbindungen unverbesserlich zu zerreißen. Wenn Phileas Fogg auch nur um einige Stunden für die Abfahrt eines Packetbootes zu spät kam, mußte er das nächstabgehende abwarten, und durch diesen einzigen Umstand gerieth seine Reise unwiderruflich in Gefahr.
Der Artikel erregte großes Aufsehen. Fast alle Journale druckten ihn ab, und die Actien Phileas Fogg's sanken außerordentlich.
Während der ersten Tage nach der Abreise des Gentleman wurden über das Wagniß seines Unternehmens bedeutende Wetten veranstaltet. Bekanntlich spielen die Wetter in England eine bedeutende Rolle: Wetter sind gescheitere und angesehenere Leute als die Spieler. Wetten liegt den Engländern im Blute. So stellten auch nicht allein die verschiedenen Glieder des Reformclubs bedeutende Wetten für oder wider Phileas Fogg an, sondern auch die Masse des Publicums wurde von der Bewegung fortgerissen. Phileas Fogg wurde gleich einem Renner in eine Art studbook eingetragen. Man machte auch ein Börsenpapier daraus, und es ward sogleich auf den Platz London eingetragen. Man verlangte, man offerirte »Phileas Fogg«, fest oder auf Prämie, und es wurden enorme Geschäfte gemacht. Aber fünf Tage nach seiner Abreise, nach dem Artikel im Bulletin der Geographischen Gesellschaft, fingen die Angebote an häufiger zu werden. Phileas Fogg sank. Man bot Packetweise. Nahm man's anfangs zu fünf, später zu zehn, so nahm man's jetzt schon nur noch um zwanzig, um fünfzig, um hundert.
Ein einziger Anhänger blieb ihm treu, der alte, gichtbrüchige Lord Albermale. Der ehrenwerthe Gentleman, der an seinen Fauteuil gefesselt war, hätte sein Vermögen hingegeben, um die Reise um die Erde machen zu können, sei's auch in zehn Jahren! und er wettete fünftausend Pfund zu Gunsten des Phileas Fogg. Und wenn man ihm, zugleich mit der Thorheit des Projects, dessen Unnützlichkeit nachwies, beschränkte er sich gewöhnlich auf die Antwort: »Ist die Sache ausführbar, so ist's gut, daß ein Engländer sie zuerst unternommen hat!«
Nun war es dahin gekommen, daß die Anhänger des Phileas Fogg immer seltener wurden; Jedermann trat, und nicht ohne Grund, seinen Gegnern bei; man nahm das Papier nur noch um hundertundfünfzig, um zweihundert gegen eins, als sieben Tage nach seiner Abreise ein völlig unerwartetes Ereigniß zur Folge hatte, daß man's gar nicht mehr nahm.
An diesem Tage, um neun Uhr Abends, erhielt der Polizeidirector der Hauptstadt folgende telegraphische Depesche:
»Suez nach London.«
»Rowan, Polizeidirector, Centralverwaltung, Schottlandplatz.«
Ich bin dem Bankdieb Phileas Fogg auf der Ferse. Schicken Sie unverzüglich Verhaftbefehl nach Bombay.
»Fix, geh. Agent.«
Diese Depesche wirkte unverzüglich. Der ehrenwerthe Gentleman trat von der Bühne, und an seine Stelle ein Bankdieb. Seine in dem Reformclub bewahrte Photographie wurde untersucht. Sie entsprach Zug für Zug dem gerichtlich aufgenommenen Signalement. Man brachte die geheimnißvolle Existenz des Phileas Fogg, sein abgesondertes Leben, seine plötzliche Abreise in Anschlag, und es schien offenbar, daß dieser Mann unter dem Vorwand einer Reise um die Erde und gestützt auf eine unsinnige Wette keinen andern Zweck verfolgte, als den Agenten der englischen Polizei zu entwischen.