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Der Heimweg. – Ausflug nach Westen. – Trulca und Algarrobe. – Der Theebaum. – Der Dike-creek. – Weinstöcke. – Eine unruhige Nacht. – Guanakos. – Baxter's Gewandtheit im Werfen des Lasso. – Rückkehr nach French-den.
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Gegen zweihundert Schritte von der Bucht erhob sich eine gegen fünfzig Fuß hohe Düne – ein ganz erwünschter Aussichtspunkt, von dem Gordon und seine Kameraden einen weiten Umblick haben mußten.
Sogleich nach Sonnenaufgang beeilten sie sich, diese Düne bis zum Gipfel zu erklimmen.
Hier angelangt, wurde das Fernrohr sofort nach Norden zu gerichtet.
Wenn die öde Wüste sich bis zum Ufer hin fortsetzte, wie es die Karte erkennen ließ, so mußte es unmöglich sein, deren Ende zu erkennen, denn der Horizont des Meeres lag dann über zwölf Meilen nach Norden und über sieben Meilen nach Osten zu.
Es erschien also unnöthig, noch weiter nach dem nördlichen Theil der Insel Chairman vorzudringen.
»Nun,« fragte Cross, »was beginnen wir denn jetzt?«
»Wir treten den Rückweg an,« erwiderte Gordon.
»Doch nicht vor Einnahme des ersten Frühstücks!« beeilte sich Service zu bemerken.
»So decke nur den Tisch,« sagte Webb.
»Wenn wir denn zurückkehren müssen,« ließ sich Doniphan da vernehmen, »könnten wir nicht einen anderen Weg einschlagen, um nach French-den zu gelangen?«
»Das werden wir versuchen,« antwortete Gordon.
»Mir scheint unsere Nachforschung sogar,« setzte Doniphan hinzu, »nur dann vollständig zu sein, wenn wir auch noch um das rechte Ufer des Family-lake wandern.«
»Das dürfte doch etwas weit sein,« bemerkte Gordon. »Der Karte nach hätten wir dazu dreißig bis vierzig Meilen zurückzulegen, was vier bis fünf Tage erforderte, immer vorausgesetzt, daß wir auf dem Wege kein größeres Hinderniß antreffen. Da unten in French-den würden sie sich beunruhigen, und ich denke, es ist besser, das unsern Kameraden zu ersparen.«
»Früher oder später,« fuhr Doniphan fort, »wird es aber noch nöthig werden, diesen Theil der Insel zu besichtigen.«
»Gewiß,« bestätigte Gordon, »und ich denke auch einen Ausflug zu diesem Zwecke anzuordnen.«
»Im Allgemeinen hat Doniphan doch Recht,« sagte Cross. »Es wird vortheilhaft sein, nicht denselben Weg zur Heimkehr zu wählen . . .«
»Natürlich,« fiel Gordon ein, »und ich schlage vor, dem Seeufer bis zum Stop-river zu folgen und dann direct nach der hohen Uferwand zu marschiren, an deren Fuße wir hinziehen können.«
»Doch weshalb erst nach dem Ufer zurückkehren, an dem wir schon hingegangen sind?« fragte Wilcox.
»Ja freilich, Gordon,« setzte Doniphan hinzu. »Warum sollten wir nicht die kürzeste Strecke quer durch die Sandebene vorziehen, um nach den ersten Bäumen der Traps-woods zu kommen, welche ja nur drei bis vier Meilen südwestlich von hier liegen?«
»Weil wir doch immer gezwungen sind, über den Stop-river zu setzen,« erklärte Gordon. »Da, wo wir denselben überschritten, wissen wir, daß wir darüber hinwegkommen, während wir weiter unten in Verlegenheit kämen, wenn er da vielleicht eine zu starke Strömung hätte. In den Wald dürfen wir also nicht eher eindringen, als bis wir den Fuß auf das linke Ufer des Stop-river gesetzt haben; das scheint mir unerläßlich.«
»Immer klug und weise!« rief Doniphan mit einem Anklang von Ironie.
»Das kann man niemals genug sein!« antwortete Gordon.
Alle ließen sich nun die Böschung der Düne hinabgleiten, begaben sich dann nach dem Halteplatze, verzehrten ein Stück Schiffszwieback und kalten Wildbraten, rollten ihre Decken zusammen, hingen sich die Waffen über die Schultern und schlugen schnellen Schrittes den gestern eingehaltenen Weg wieder ein.
Der Himmel war prächtig, eine leichte Brise kräuselte kaum das Gewässer des Sees, so daß ein schöner Tag zu erwarten war. Gordon wünschte nichts mehr, als daß die heutige Witterung noch sechsunddreißig Stunden anhalten möchte, da er French-den vor dem Abend des nächsten Tages wieder zu erreichen hoffte.
Von sechs Uhr Morgens bis gegen elf Uhr legte man ohne Schwierigkeiten die neun Meilen zurück, welche das Ende des Sees vom Stop-river trennten. Unterwegs ereignete sich nichts Bemerkenswertes, außer daß Doniphan noch in der Nachbarschaft des Rio zwei schön behaubte Trappen mit schwarzem Gefieder erlegte, welch' letzteres oben mit fuchsrothen und mit weißen Federn durchsetzt war. Das brachte ihn ebenso in gute Laune wie Service, der stets gern bei der Hand war, jedes beliebige Stück Federwild zu rupfen, auszunehmen und zu braten.
Das geschah denn auch eine Stunde später, als seine Kameraden und er den Wasserlauf mittels des Halkett-boat in derselben Weise wie früher überschritten hatten.
»Da sind wir nun unter dem Gehölz,« sagte Gordon, »und ich hoffe, Baxter wird Gelegenheit finden, seinen Lasso oder seine Bolas zu gebrauchen.«
»Thatsache ist, daß sie bis jetzt gerade noch keine Wunder gethan haben,« antwortete Doniphan, der eine nur sehr geringe Achtung für jedes Hilfsmittel der Jagd mit Ausnahme der Flinte und der Büchse hegte.
»Und was hätten sie gegen Vögel auszurichten vermocht?« fragte Baxter.
»Vögel oder Vierfüßler, Baxter, ich habe nicht viel Vertrauen dazu.«
»Ich auch nicht,« ließ Cross sich vernehmen, der stets zur Unterstützung seines Vetters bereit war.
»Wartet wenigstens, bis Baxter Gelegenheit gehabt hat, sich ihrer zu bedienen, ehe ihr darüber urtheilt,« ermahnte Gordon. »Ich bin überzeugt, daß er seine Sache schon gut machen wird. Wenn uns die Munition eines Tages fehlt, werden doch Lasso und Bolas niemals fehlen!«
»Dagegen fehlen sie das Wild!« entgegnete der unverbesserliche Knabe.
»Das werden wir ja sehen,« erwiderte Gordon; »inzwischen wollen wir aber frühstücken.«
Die Vorbereitungen erforderten jedoch einige Zeit, da Service seine Trappen ordentlich durchbraten lassen wollte. Wenn dieser Vogel den Hunger der jungen Leute zu stillen vermochte, kam es daher, daß er von ziemlich bedeutender Größe war. In der That gehören diese Trappen, die bei einem Gewicht von dreißig Pfund fast drei Fuß vom Schnabel bis zum Schwanz messen zu den größten Mitgliedern der Familie der Gallinaceen (Hühnervögel). Freilich wurde dieser hier bis zum letzten Stück aufgezehrt, selbst bis zum letzten Knochen, denn Phann, der das Gerippe desselben bekam, ließ nicht mehr als seine Herren davon übrig.
Nach vollendetem Frühstück drangen die Knaben nun in den bis jetzt unbekannten Theil der Traps-woods ein, welchen der Stop-river durchströmte, ehe er sich in den Stillen Ocean ergoß. Die Karte ließ erkennen, daß sein Lauf sich nach Norden zu wendete und daß seine Mündung jenseits des Vorgebirges False-sea-point lag. Gordon beschloß nun, das Ufer des Stop-river zu verlassen, da er beim weiteren Verfolgen desselben nach einer von French-den entgegengesetzten Richtung geführt worden wäre. Ihm lag vor Allem daran, auf kürzestem Wege nach den Ausläufern des Auckland-hill zu gelangen, um an deren Fuße nach Süden hinabzuziehen.
Nachdem er sich mittels des Compasses orientirt, wandte sich Gordon geraden Wegs nach Westen. Die im südlichen Theile der Traps-woods etwas dünn stehenden Bäume boten einen ziemlich freien Pfad, der von Gras und Gebüsch weniger bedeckt war.
Zwischen den Birken und den Buchen öffneten sich da und dort kleine Lichtungen, wo die Sonne ungehinderten Zutritt hatte. Hier vermischten wilde Blumen ihre leuchtenden Farben mit dem Grün der Gesträuche und des Grasteppichs. An einigen Stellen schaukelte das prächtige Kreuzkraut auf zwei bis drei Fuß hohen Stengeln. Sie pflückten auch einige dieser Blätter, mit denen Service, Wilcox und Webb ihre Westen schmückten.
Da machte Gordon, dessen Kenntnisse in der Botanik bei so mancher Gelegenheit sich für die kleine Colonie nützlich erwiesen, eine recht werthvolle Entdeckung. Seine Aufmerksamkeit wurde durch einen dichtverzweigten Busch mit wenig entwickelten Blättern erregt, dessen mit Dornen besetzte Zweige eine röthliche Frucht von der Größe einer Erbse trugen.
»Das sind Trulcabeeren, wenn ich nicht irre,« rief er, »eine Frucht, welche die Indianer vielfach verwenden.«
»Wenn sie eßbar ist,« antwortete Service, »so lassen wir sie uns schmecken, da sie nichts kostet!«
Und ehe Gordon ihn daran zu hindern vermochte, zerdrückte Service schon einige Beeren zwischen den Zähnen.
Doch wie verzog er da das Gesicht und wie lachten darüber seine Kameraden auf, während er den reichlichen Speichel auswarf, den die Säure der Frucht durch Reizung seiner Zungenpapillen hervorgerufen hatte.
»Und Du, Du sagst auch noch, daß man das essen könne, Gordon!« rief Service.
»Ich habe keineswegs gesagt, daß diese Beeren im Naturzustande eßbar seien,« verwahrte sich Gordon. »Wenn die Indianer diese Früchte verwenden, so erzeugen sie aus denselben durch Gährung eine Art Liqueur. Ich meine auch, daß ein solcher Liqueur uns recht wünschenswerthen Ersatz bieten würde, wenn unser Brandy einmal zu Ende gegangen ist, freilich unter der Bedingung sehr mäßigen Gebrauchs, da er stark nach dem Kopfe steigt. Wir wollen einen Sack voll solcher Trulcabeeren mitnehmen und werden in French-den einen Versuch mit denselben anstellen.«
Inmitten der Tausende sie umgebenden Stacheln waren die Früchte nicht gerade leicht zu pflücken; schlug man aber mäßig kräftig an die betreffenden Zweige, wie Baxter und Webb es bald lernten, so fielen eine große Menge Beeren davon ab. Mit diesen wurde einer der Reisesäcke gefüllt, und dann ging der kleine Zug weiter.
Auf dem ferneren Wege wurden auch einige Schoten eines anderen, den benachbarten Ländern Südamerikas eigenthümlichen Strauches gepflückt. Es waren das Schoten der Algarrobe, deren Früchte durch Gährung ebenfalls einen sehr starken Liqueur liefern. Diesmal hielt Service aber den Mund davon weg, und er that sehr klug daran. Wenn die Algarrobe anfänglich auch ziemlich süß schmeckt, so erzeugt sie hinterher doch eine fast schmerzhafte Trockenheit des Mundes und nur nach längerer Gewöhnung ist man im Stande, deren Körner ungestraft zu kauen.
Im Laufe des Nachmittags gelang noch, kaum eine Viertelmeile von dem Fuße des Auckland-hill, eine andere nicht minder wichtige Entdeckung. Der Wald zeigte hier ein verändertes Aussehen. Mit der den Lichtungen reichlicher zuströmenden Luft und der gleichzeitig höheren Wärme, erreichte die Pflanzenwelt eine vorzügliche Entwicklung. Sechzig bis achtzig Fuß weit streckten die Bäume ihr Geäst hinaus, unter dem eine ganze Welt geschwätziger Vögel lärmte. Zu den schönsten Baumarten gehörten hier die antarktische Buche, welche das zarte Grün ihres Laubwerkes das ganze Jahr hindurch bewahrt. Daneben wuchsen, wenn auch minder hoch, doch sehr schön anzusehen, gruppenweise verschiedene jener »Winters«, deren Rinde den Zimmet zu ersetzen vermag, für den Küchenmeister von French-den gewiß eine willkommene Würze.
Unter den Vegetabilien erkannte Gordon ferner die »Pernettia« oder den Theebaum aus der Familie der Vaccineen, der auch noch unter höheren Breiten vorkommt und dessen aromatische Blätter als Aufguß ein sehr wohlthuendes Getränk liefern.
»Das könnte unsere Theevorräthe ergänzen,« sagte Gordon. »Nehmen wir vorläufig von diesen Blättern ein paar Hände voll mit; später versorgen wir uns damit für den ganzen Winter.«
Etwa um vier Uhr war es, als der Auckland-hill fast an seinem nördlichen Ende erreicht wurde. Obwohl der Hügelzug hier etwas niedriger erschien als in der Nähe von French-den, wäre es doch unmöglich gewesen, dessen lothrecht aufstrebende Wand zu erklimmen. Das verschlug jedoch nichts, da es nur darauf ankam, derselben rückwärts bis zum Rio Sealand zu folgen.
Zwei Meilen weiter hin, hörte man das Murmeln einer Strömung, welche nachher eine enge Schlucht des Steilufers schäumend durchbrach, und die man ein wenig stromaufwärts bequem durchwaten konnte.
»Das muß der Rio sein, den wir bei unserem ersten Zuge nach dem See antrafen,« bemerkte Doniphan.
»Also wohl derselbe, über den der kleine Weg aus flachen Steinen gelegt ist?« fragte Gordon.
»Ganz wohl,« antwortete Doniphan; »eben deshalb haben wir ihn Dike-creek getauft.«
»Nun gut; rasten wir einmal an seinem rechten Ufer,« fuhr Gordon fort. »Es ist schon fünf Uhr, und da wir noch eine Nacht unter freiem Himmel zubringen müssen, so kann es auch neben diesem Creek und unter dem Schutze der hohen Bäume hier geschehen. Morgen Abend hoffe ich, werden wir Alle, wenn uns nichts Besonderes aufhält, auf unseren Lagerstätten in French-den schlafen können.«
Service beschäftigte sich nun mit dem Abendbrote, für welches er die zweite Trappe aufgehoben hatte. Es gab also Geflügelbraten, immer wieder Braten, doch wär' es unrecht gewesen, Service, der seine Speisekarte unmöglich abändern konnte, daraus einen Vorwurf zu machen.
Inzwischen waren Gordon und Baxter etwas tiefer in den Wald hineingegangen, der Eine nach neuen Gebüschen und Nutzpflanzen, der Andere mit der Absicht, Lasso und Bolas zur Anwendung zu bringen – geschah es auch nur, um Doniphan's Spötteleien ein Ende zu machen.
Beide mochten gegen hundert Schritte durch das Dickicht zurückgelegt haben, als Gordon, der Baxter zu sich heranwinkte, diesem ein Rudel von Thieren zeigte, welche im hohen Grase ihr Spiel trieben.
»Wie? . . . Ziegen?« fragte Baxter leise.
»Oder wenigstens Thiere, welche einigermaßen Ziegen ähneln,« antwortete Gordon. »Versuchen wir eines oder das andere zu fangen . . .«
»Lebend zu fangen? . . .«
»Ja, Baxter; es ist ein Glück, daß Doniphan nicht bei uns ist, er hätte schon eines mit der Flinte erlegt und die anderen in die Flucht getrieben. Schleichen wir uns sorgsam gedeckt näher heran.«
Die graziösen Thiere – es mochten ihrer ein halbes Dutzend sein – hatten noch keine Witterung bekommen. Wie eine Vorahnung der Gefahr schnüffelte jedoch eine dieser Ziegen, wahrscheinlich ein Mutterthier, in der Luft umher und hielt sich auf der Lauer, bereit mit der kleinen Heerde zu flüchten.
Plötzlich sauste etwas pfeifend durch die Luft. Die Bolas flogen aus den Händen Baxter's, der sich nur einige zwanzig Schritte von den Thieren befand. Geschickt und kraftvoll geschleudert, schlangen sie sich um eine der Ziegen, während die anderen eiligst im dichteren Gehölz verschwanden.
Gordon und Baxter sprangen auf die Ziege zu, welche sich vergeblich den Bolas zu entwinden suchte. Sie wurde ergriffen, ihr jedes Entfliehen unmöglich gemacht, und dabei wurden auch noch zwei junge Thiere gefangen, welche der Instinct bei ihrer Mutter zurückgehalten hatte.
»Hurrah!« rief Baxter, der seiner Freude lauten Ausdruck geben mußte. »Hurrah! . . . Sind denn das auch wirklich Ziegen? . . .«
»Nein,« antwortete Gordon, »ich halte sie vielmehr für peruanische (sog. Vigogne-)Schafe.«
»Und geben diese Thiere Milch?«
»Natürlich, ganz wie Ziegen.«
»Nun gut, dann mögen es auch Schafe sein!«
Gordon täuschte sich nicht. In der That ähneln die Vigogne-Schafe den Ziegen, doch sind ihre Pfoten oder Klauen länger, das Vließ aber kurz und fein wie Seide, der Kopf klein und mit Hörnern versehen. Diese Thiere bewohnen hauptsächlich die Pampas von Amerika und selbst die Nachbargebiete der Magellanstraße.
Man begreift leicht, welcher Empfang Gordon und Baxter zutheil wurde, als sie, der Eine das Vigogne-Schaf an der Leine der Bolas nach sich ziehend, der Andere mit den beiden Lämmern desselben unter den Armen, nach dem Halteplatz zurückkamen. Da die Mutter die jungen Thiere noch ernährte, durfte man hoffen, diese ohne besondere Mühe aufziehen zu können. Vielleicht besaß man hiermit den Kern einer zukünftigen Heerde, welche der kleinen Colonie sehr nützlich zu werden versprach. Natürlich bedauerte Doniphan die ihm entgangene Gelegenheit, einen guten Schuß abzugeben; da es aber darauf ankam, diese Thiere lebend einzufangen, nicht sie zu tödten, mußte er zugeben, daß die Bolas dazu besser geeignet waren, als die Feuerwaffe.
Alle verzehrten vergnügt ihr Mittag- oder vielmehr ihr Abendbrod. Das an einem Baume festgebundene Vigogne-Schaf ließ sich nicht abhalten zu weiden und die kleinen Thiere sprangen munter um dasselbe herum.
Die Nacht verlief jedoch nicht so friedlich wie die in den Ebenen der Sandy-desert. Dieser Theil des Waldes erhielt den Besuch von gefährlicheren Thieren als Schakals, welche leicht zu erkennen sind, weil ihr Geschrei gleichzeitig wie ein Heulen und ein Bellen klingt. Gegen drei Uhr Morgens kam es denn auch zu einer Alarmirung, diesmal aber durch ein bedrohliches Gebrüll, das sich in der Nachbarschaft vernehmen ließ.
Doniphan, der beim Feuer mit dem Gewehre nahe zur Hand Wache hielt, glaubte zuerst, seine Kameraden davon nicht unterrichten zu sollen. Das Gebrüll wurde indeß nach und nach so laut, daß Gordon und die Anderen davon allein aufwachten.
»Was gibt es denn?« fragte Wilcox.
»Es muß wohl eine Rotte größerer Raubthiere sein, welche in der Umgebung umherschweifen,« antwortete Doniphan.
»Das sind wahrscheinlich Jaguars oder Cuguars!« meinte Gordon.
»Die Einen sind gerade so viel werth, wie die Anderen!«
»O, keineswegs, Doniphan, der Cuguar ist entschieden minder zu fürchten als der Jaguar. In größerer Zahl sind aber auch letztere ein gefährliches Raubgesindel.«
»Wir sind darauf vorbereitet, sie warm zu empfangen!« versicherte Doniphan.
Er stellte sich zur Abwehr bereit, während seine Kameraden ihre Revolver zur Hand nahmen.
»Schießt nur, wenn Ihr sicher seid zu treffen!« mahnte Gordon. »Uebrigens denk' ich, das lodernde Feuer wird die Thiere selbst abhalten, zu nahe heranzukommen.«
»Sie sind schon nicht mehr fern!« rief Cross.
In der That mußte die Bande nahe dem Lagerplatze sein, wenigstens nach der Wuth Phanns zu urtheilen, den Gordon nur mit Mühe zurückhalten konnte. Es war jedoch unmöglich, durch die tiefe Finsterniß des Waldes irgend eine Gestalt zu erkennen.
Offenbar waren jene Raubthiere gewöhnt, in der Nacht ihren Durst an dieser Stelle zu löschen, und da sie dieselbe besetzt fanden, bezeugten sie ihren Unmuth durch ein entsetzliches Gebrüll. Doch würden sie sich darauf beschränken, oder sollten die Knaben in die Lage kommen, sich eines Angriffes zu erwehren, der ja die schlimmsten Folgen haben konnte? . . .
Plötzlich erschienen, kaum zwanzig Schritte entfernt, leuchtende und sich bewegende Punkte im Schatten. Fast gleichzeitig krachte ein Schuß.
Doniphan hatte denselben abgegeben. Noch furchtbareres Geheul gab darauf Antwort. Den Revolver gespannt, hielten er und seine Kameraden sich bereit Feuer zu geben, wenn die Raubthiere sich auf den Lagerplatz stürzen sollten.
Ein flammendes Holzstück ergreifend, drang Baxter muthig nach der Seite vor, wo die wie Feuerfunken leuchtenden Augen sichtbar geworden waren.
Im nächsten Augenblicke hatten die Raubthiere, von denen die Kugel Doniphan's eines getroffen haben mußte, sich zurückgezogen und waren in den Tiefen der Traps-woods verschwunden.
»Sie haben Fersengeld gezahlt!« rief Cross.
»Glückliche Reise!« setzte Service hinzu.
»Sollten sie nicht wiederkommen können? . . .« fragte Cross.
»Wahrscheinlich ist das nicht,« antwortete Gordon, »doch wollen wir bis zum Hellwerden scharf aufpassen.«
Sie legten nun frisches Holz auf das Feuer, dessen Schein bis zu den ersten Frührothstrahlen lebhaft erhalten blieb. Dann wurde das Lager aufgehoben, und die Knaben drangen unter das Dickicht ein, um zu sehen, ob nicht eines von den Thieren durch den Schuß niedergestreckt worden sei.
Zwanzig Schritte weiterhin zeigte sich ein großer Blutfleck an der Erde. Das getroffene Thier hatte noch zu entfliehen vermocht, doch wäre es gewiß leicht aufzufinden gewesen, wenn man Phann dessen Fährte hätte nachspüren lassen; Gordon hielt es aber für nutzlos, noch tiefer in den Wald einzudringen.
Die Frage, ob man es hier mit Jaguars, Cuguars oder mit noch anderen, nicht minder gefährlichen Raubthieren zu thun gehabt habe, blieb also ungelöst; die Hauptsache war ja, daß es Gordon und seinen Kameraden gelang, heil und gesund davongekommen zu sein.
Um sechs Uhr Morgens brach man schon wieder auf, denn es war keine Zeit zu verlieren, wenn die neun Meilen, welche diese Stelle des Dike-creek von French-den trennten, im Laufe des Tages zurückgelegt werden sollten.
Service und Webb hatten die beiden Lämmer in die Arme genommen, und so ließ sich deren Mutter nicht bitten, dem sie an einer Leine führenden Baxter zu folgen.
Der Weg längs des Auckland-hill bot wenig Abwechslung. Zur Linken hin erstreckte sich der Vorhang von Bäumen, welche bald undurchdringliche Dickichte bildeten, bald nur gruppenweise an den Rändern der Waldblößen standen. Zur Rechten erhob sich die senkrecht abfallende, durch Geschiebe anderer Gesteinsarten gestreifte Kalksteinwand, deren Höhe nach Süden hin langsam zunahm.
Gegen elf Uhr wurde der erste Halt gemacht, um zu frühstücken, diesmal aber zehrte man der Zeitersparniß wegen gleich von dem Mundvorrath aus den Reisesäcken und brach dann schnell wieder auf.
Rasch ging es des Weges dahin; es schien nichts die Wanderer aufhalten zu sollen, als plötzlich, etwa um drei Uhr Nachmittags, noch einmal ein Flintenschuß unter den Bäumen krachte.
Doniphan, Webb und Cross, mit denen auch Phann dahintrabte, waren ihren Kameraden eben vielleicht um hundert Schritte voraus, so daß diese sie nicht sehen konnten, als sie laut riefen:
»Achtung! . . . Aufpassen!«
Sollten diese Zurufe Gordon, Wilcox, Baxter und Service auffordern, auf ihrer Hut zu sein?
Plötzlich brach ein ziemlich großes Thier durch das Gestrüpp. Baxter, der den Lasso schon bereit gehalten hatte, schleuderte die lange Leine, nachdem er sie mehrmals über dem Kopfe geschwungen, nach demselben.
Das geschah so rechtzeitig, daß der Laufknoten des langen Lederstreifens über den Hals des Thieres fiel, welches sich vergeblich daraus zu entwinden suchte. Da dasselbe sehr kräftig war, hätte es Baxter gewiß mit sich fortgezogen, wenn Gordon, Wilcox und Service nicht noch das freie Ende des Lasso erfaßten und es um den Stamm eines Baumes schlangen.
Fast gleichzeitig kamen Webb und Cross zwischen dem Gestrüpp hervor, und auf dem Fuße folgte ihnen Doniphan, der in recht mißmuthiger Laune laut rief:
»Verwünschtes Thier! . . . Wie konnte ich es nur fehlen!«
»Baxter hat es aber nicht gefehlt,« antwortete Service, »wir haben es und zwar lebend!«
»Was nützt das? Wir müssen das Thier doch tödten,« erwiderte Doniphan.
»Es tödten,« fiel Gordon ein, »es tödten, wo es uns so passend in die Hände läuft, um als Zugthier zu dienen?«
»Das da? . . .« rief Service.
»Es ist ein Guanako (eine Art Lama),« erklärte Gordon, »und die Guanakos spielen in den Stallungen Südamerikas eine recht wichtige Rolle.«
So nützlich sich dieses Guanako aber auch zu erweisen versprach, wurmte es Doniphan doch, es nicht zu Boden gestreckt zu haben. Freilich hütete er sich, das auszusprechen, sondern betrachtete mit Aufmerksamkeit den schönen Vertreter der Fauna der Insel Chairman.
Obwohl das Guanako in der Naturbeschreibung der Familie der Kameele zugezählt wird, gleicht es doch keineswegs diesem in Nordafrika so verbreiteten Thiere. Das hier gefangene Exemplar mit schlankem Halse, feinem Kopfe und langen, verhältnißmäßig dünnen Beinen – den Kennzeichen eines besonders flüchtigen Thieres – sowie mit seinem braunrothen, weißgefleckten Felle, hätte den schönsten Pferden der amerikanischen Rasse nichts nachgegeben. Auf jeden Fall konnte es zum Schnellfahren benützt werden, wenn es gelang, dasselbe zu zähmen und abzurichten, was in den Haciendas der argentinischen Pampas keine besonderen Schwierigkeiten zu machen scheint.
Das Thier zeigte sich übrigens ziemlich furchtsam und versuchte es gar nicht, sich zu sträuben. Sobald Baxter den seinen Hals einschnürenden Laufknoten gelöst, ließ es sich am Lasso so leicht wie an einem Halftergurte führen.
Ganz entschieden verlief dieser Ausflug nach Norden zum großen Vortheil der Colonie. Das Guanako, das peruanische Schaf mit seinen Lämmern, die Trulcas wie die Algarroben, das sicherte Gordon gewiß einen guten Empfang, vorzüglich aber auch Baxter, dem es ohne den abstoßenden Hochmuth Doniphan's, gar nicht einfiel, sich wegen seiner Erfolge vor Stolz aufzublähen.
Gordon schätzte sich jedenfalls sehr glücklich, zu sehen, daß die Bolas und der Lasso recht greifbare Dienste zu leisten versprachen. Gewiß war Doniphan ein geschickter Schütze, auf dessen sichere Hand man im gegebenen Fall rechnen durfte; seine Geschicklichkeit kostete aber allemal eine Ladung Pulver und Blei. Gordon nahm sich deshalb vor, alle seine Gefährten aufzufordern, sich mit dem Gebrauche jener Fanggeräthe vertraut zu machen, welche die Indianer so häufig mit großem Vortheil anzuwenden verstehen.
Der Karte nach waren jetzt noch vier Meilen bis nach French-den zu überwinden, und man beeilte sich, um daselbst vor Anbruch der Nacht einzutreffen.
Service spürte zwar schon eine gewaltige Lust, sich auf das Guanako zu schwingen und seinen feierlichen Einzug auf dem Rücken dieses »flotten Renners« zu halten, Gordon wollte das aber nicht gestatten. Es war wohl auch vernünftiger, damit zu warten, bis das Thier abgerichtet war, einen Reiter zu tragen.
»Ich denke nicht, daß es sich dagegen allzu ernstlich auflehnt,« sagte er. »In dem wenig wahrscheinlichen Falle jedoch, daß es sich wirklich nicht reiten ließe, wird es sich mindestens gewöhnen müssen, unseren Wagen zu ziehen. Geduld also, Service, und vergiß den Denkzettel nicht, den Du von Deinem Strauße bekommen hast.«
Gegen sechs Uhr gelangte die kleine Gesellschaft in Sicht von French-den an.
Der kleine Costar, der auf der Sport-terrace spielte, meldete die Annäherung Gordon's. Sofort liefen Briant und die Uebrigen herzu, und freudige Hurrahs begrüßten die Rückkehr der mehrere Tage abwesend gewesenen Wanderer.
Ende des ersten Bandes.