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Die Fallen. – Die Füchse. – Die Bisamschweine. – Nordwestwind. – Ein Schneesturm. – Die Korbmacher. – Größte Winterkälte. – Die Krystallisation des Ahornzuckers. – Der geheimnißvolle Schacht. – Eine projectirte Nachforschung. – Das Schrotkörnchen.
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Die strenge Kälte hielt bis Mitte August an, ohne jedoch noch heftiger zu werden. Bei ruhiger Luft war diese Temperatur zwar erträglich, wenn sich aber Wind erhob, mochte sie so mangelhaft gekleideten Leuten wohl recht empfindlich werden. Pencroff bedauerte herzlich, daß die Insel nicht einige Bärenfamilien beherberge, an Stelle jener Robben und Füchse, deren Felle doch Vieles zu wünschen übrig ließen.
»Die Bären, meinte er, sind gewöhnlich gut bekleidet, und ich verlange ja nicht mehr, als den Winter über den warmen Pelz zu leihen, den sie auf dem Leibe tragen.
– Sie möchten aber wohl nicht zustimmen, erwiderte Nab lachend, Dir ihren Winterüberzieher abzutreten, Pencroff, Du weißt doch, daß sie keine Gotteskäferchen sind.
– Dazu zwängen wir sie, Nab, ja, wir zwängen sie!« sagte Pencroff, als hinge das nur von seinem Befehle ab.
Jene furchtbaren Raubthiere existirten nun aber auf der Insel nicht, oder hatten sich doch noch nicht gezeigt.
Harbert, Pencroff und der Reporter beschäftigten sich inzwischen mit Aufstellung von Fallen auf dem Plateau der Freien Umschau und an dem Rande des Waldes. Nach der Anschauung des Seemanns war jedes Stück Wild, ob Nager oder Raubthier, das sich durch jene fing, im Granithause hoch willkommen.
Die übrigens möglichst einfachen Fallen bestanden nur aus ausgehobenen Gruben im Erdboden mit einer die Oeffnung verbergenden Decke aus Zweigen und Kräutern und einer Lockspeise im Grunde, deren Geruch die Thiere herbeiziehen sollte, – das war Alles. Dazu errichtete man diese Fallen jedoch nicht an ganz beliebigen Punkten, sondern da, wo zahlreichere Fährten das häufigere Vorbeikommen von Thieren verriethen.
Alle Tage wurden diese Fallgruben untersucht, und fand man während der ersten Tage dreimal einige von den Füchsen darin, die schon früher auf dem rechten Ufer der Mercy bemerkt worden waren.
»Zum Kuckuk! rief Pencroff, hier giebt's aber auch weiter nichts als Füchse, als er zum dritten Male eines dieser Thiere aus der Grube zog, Burschen, die auch zu gar nichts gut sind.
– Und doch, sagte Gedeon Spilett, zu Etwas taugen sie doch!
– Und wozu?
– Zum Köder, um andere herbei zu locken!«
Der Reporter hatte Recht, und wurden in die Fallgruben von nun an todte Füchse als Lockspeise eingelegt.
Der Seemann hatte gleichzeitig aus langen Fasern Schlingen angefertigt, welche mehr Ausbeute lieferten als die Fallen.
Selten verging ein Tag, an dem sich nicht ein Kaninchen aus dem Gehege darin gefangen hätte. So gab es zwar immer Kaninchenbraten, Nab wußte diesen aber so verschieden zuzubereiten, daß seine Tischgäste keine Ursache hatten, sich zu beklagen.
In der zweiten Augustwoche singen sich in den Fallen jedoch ein oder zwei Mal auch andere und nutzbringendere Thiere, als die erwähnten Füchse, nämlich einige jener wilden Schweine, denen man im Norden des Sees begegnet war. Pencroff hatte es nicht nöthig, nach deren Eßbarkeit besonders zu fragen, da er diese an der Aehnlichkeit der Thiere mit den europäischen und amerikanischen Schweinen erkannte.
»Das sind aber gar keine Schweine, sagte Harbert, ich versichere es Dir, Pencroff.
– Mein Sohn, erwiderte der Seemann, als er sich über die Grube beugte und an dem kleinen, die Stelle des Schwanzes vertretenden Anhängsel eines dieser Thiere herauszog, laß mich bei dem Glauben, daß es Schweine sind.
– Und warum?
– Weil es mir Vergnügen macht!
– Du liebst also die Schweine sehr, Pencroff?
– Ich liebe die Schweine, antwortete der Seemann, vorzüglich um ihrer Füße willen, und wenn sie deren acht statt vier hätten, wäre ich ihnen noch einmal so gut!«
Die fraglichen Thiere waren Pecaris (Bisamschweine), gehörten zu einer der vier Arten der Familie, und zwar zu den sogenannten »Tajassus«, die man an ihrer dunkleren Farbe und dem Mangel an Hauerzähnen erkannte, welche alle ihre Verwandten haben. Diese Bisamschweine leben gewöhnlich in Gesellschaft und bevölkerten die Gehölze der Insel wahrscheinlich in großer Menge. Jedenfalls waren sie vom Kopf bis zu den Füßen eßbar, und mehr verlangte Pencroff nicht von ihnen.
Um die Mitte des August veränderte sich durch ein plötzliches Umschlagen des Windes nach Nordwesten die Atmosphäre auffällig. Die Temperatur stieg um mehrere Grade und die in der Luft aufgehäuften Dünste schlugen sich als Schnee nieder. Die ganze Insel bedeckte sich mit einer weißen Hülle und zeigte sich ihren Bewohnern in völlig neuer Gestalt. Der Schneefall währte einige Tage hindurch, und die Dicke der Lage erreichte wohl zwei Fuß.
Bald frischte der Wind sehr kräftig auf und hörte man von der Höhe des Granithauses das Rauschen des Meeres. Da und dort bildeten sich rasende Luftwirbel, und der zu hohen Säulen emporgedrehte Schnee ähnelte den Tromben auf der See, welche die Schiffer mit Kanonenkugeln zu zerstören suchen. Da der Sturm aus Nordwesten kam, traf er die Insel von rückwärts, und die Orientation des Granithauses schützte dasselbe vor seinem directen Angriffe. Mitten in diesem Schneewehen, das so furchtbar auftrat, als befände man sich in einer Polargegend, konnten sich weder Cyrus Smith noch seine Gefährten, trotz der größten Luft dazu, hinauswagen, und fünf Tage lang, vom 20. bis zum 25. August, blieben sie eingeschlossen. Im Jacamar-Walde hörte man den Sturmwind wüthen, der wohl so manches Unheil anrichten mochte. Ohne Zweifel fielen ihm nicht wenig Bäume zum Opfer, doch tröstete sich Pencroff damit, daß sie dann der Mühe des Fällens überhoben wären.
»Der Wind dient uns als Holzfäller, lassen wir ihn gewähren«, wiederholte er mehrmals.
Man hätte ja auch kein Mittel gehabt, ihm zu wehren.
Wie dankten die Bewohner des Granithauses dem Himmel, der ihnen ein so festes, unerschütterliches Obdach verliehen hatte! Cyrus Smith kam gewiß ein wohlverdienter Antheil dieses Dankes zu, immerhin war diese ganze Höhle aber doch ein Werk der Natur, das er ja nur entdeckte. Da fühlten sie sich Alle in Sicherheit und konnte kein Windstoß sie treffen.
Hätten sie auf dem Plateau der Freien Umschau etwa ein Haus aus Holzwerk und Ziegelsteinen erbaut, der Wuth dieses Orkans würde es schwerlich Widerstand geleistet haben. Die Kamine, an welchen sich die empörten Wellen brachen, erschienen unter solchen Verhältnissen völlig unbewohnbar. Im Granithause dagegen, das mitten in dem Gebirgsstock lag, hatten sie nichts zu befürchten.
Während der Tage ihrer unfreiwilligen Einschließung blieben die Colonisten nicht unthätig. An Holz in Form von Brettern fehlte es im Magazin nicht, und so vervollständigte man nach und nach das Mobiliar, bezüglich der Tische und Stühle, welche, da man das Rohmaterial nicht schonte, ziemlich handfest ausfielen. Diese etwas schwerfälligen Möbel machten ihrem Namen nicht so besondere Ehre, da die Beweglichkeit ein so wesentliches Erforderniß derselben ist; sie waren aber der Stolz Nab's und Pencroff's, die sie beide nicht gegen die schönsten gebogenen Möbel vertauscht hätten.
Später wurden die Tischler zu Korbmachern und erzielten in diesem neuen Zweige recht ansehnliche Resultate. An der nach Norden zu ausspringenden Seespitze hatte man nämlich schon früher ein ausgedehntes Gebüsch sogenannter Purpur-Weiden aufgefunden. Vor der Regenzeit brachten Pencroff und Harbert eine beträchtliche Menge dieser biegsamen Zweige heim, die nun, passend zubereitet, ihre Verwendung finden sollten. Die ersten Versuche fielen zwar ziemlich plump aus, doch Dank der Geschicklichkeit der Arbeiter, welche sich mit gegenseitigem Rathe unterstützten und früher gesehener Modelle erinnerten, entstanden bald, da immer Einer den Anderen übertreffen wollte, eine große Anzahl verschiedener Hand- und Lastkörbe, die das Material der Colonie vergrößerten. Nab bewahrte nun in besonderen Körben seine Vorräthe an Wurzelknollen, Pinienzapfen und Drachenbaumwurzeln.
In der letzten Hälfte des August änderte sich die Witterung noch einmal. Mit dem Nachlassen des Sturmes sank die Temperatur allmälig. Die Colonisten eilten hinaus. Auf dem Strande lag der Schnee wohl zwei Fuß tief, auf seiner erhärteten Oberfläche konnte man jedoch ohne große Mühe gehen.
Cyrus Smith und seine Begleiter bestiegen das Plateau der Freien Umschau.
Welche Veränderung! Das Gehölz, das sie zuletzt noch in grünem Gewande erblickt, vorzüglich an den Stellen, wo die Kiefern vorherrschten, erschien jetzt in gleichmäßig weißer Farbe, Alles vom Gipfel des Franklin-Berges an bis zur Küste, Wälder, Wiesen, Sec und Fluß! Das Wasser der Mercy floß unter einer Eiskruste, die bei jedem Wechsel von Ebbe und Fluth zerbarst Zahllose Vögel schwärmten über der festen Oberfläche des Sees umher. Die Felsen, zwischen denen der Wasserfall vom Plateau herabstürzte, erschienen mit Eiszapfen besetzt, so daß es den Anschein gewann, als fließe er aus einer schmucküberladenen Dachrinne, an die ein Künstler der Renaissance-Periode all seine Phantasie verschwendet habe. Der Schaden, den der Orkan im Walde angerichtet, ließ sich jetzt nicht wohl schätzen und mußte man damit warten, bis die Winterdecke hinweg geschmolzen war.
Gedeon Spilett, Pencroff und Harbert unterließen nicht, ihre Fallgruben zu untersuchen. Unter dem dicken Schnee fanden sie dieselben nicht gerade leicht und mußten sich in Acht nehmen, nicht selbst in eine solche zu fallen, was ohne den Spott der Anderen nicht abgegangen wäre. Sie vermieden das glücklicherweise und fanden die Fallen gänzlich unberührt, obgleich zahlreiche Fährten verschiedener Thiere in ihrer Umgebung zu sehen waren, unter anderen die von ganz deutlich abgedrückten Tatzen. Harbert erklärte sofort, daß hier ein zu dem Geschlechte der Katzen gehöriges Raubthier vorüber gekommen sein müsse, was die Ansicht des Ingenieurs über das Vorhandensein gefährlicher Thiere auf der Insel Lincoln nochmals bestätigte. Gewiß bewohnten jene gewöhnlich die dichten Wälder des fernen Westens, und wahrscheinlich hatte nur der Hunger sie aus diesen weg und hierher bis zum Plateau der Freien Umschau getrieben. Witterten sie vielleicht die Bewohner des Granithauses?
»Nun, und zu welcher Katzenart hätten denn diese gehört? fragte Pencroff.
– Das sind Tiger gewesen, antwortete Harbert.
– Ich war immer der Meinung, diese fänden sich nur in warmen Ländern?
– In der Neuen Welt, erwiderte der junge Mann, beobachtet man sie von Mexiko bis zu den Pampas von Buenos-Ayres. Da nun die Insel Lincoln etwa unter derselben Breite liegt, wie die La Plata-Staaten, so ist es nicht besonders zu verwundern, wenn sich auch hier einige Tiger vorfinden.
– Schön, so werden wir auf unserer Huth sein«, erwiderte Pencroff.
Am Ende verschwand der Schnee unter dem Einflusse der sich wieder hebenden Temperatur. Es fiel aufs Neue Regen, dessen auflösender Kraft die Schneedecke nicht lange widerstand. Trotz der schlechten Witterung erneuerten die Colonisten ihre Vorräthe nach allen Seiten, wie die an Pinienzapfen, Drachenbaumwurzeln, Knollen, Ahornsaft aus dem Pflanzenreiche, an Kaninchen, Agutis und Kängurus aus dem Thierreiche. Hierzu wurden einige Ausflüge in den Wald nöthig, wo man nun selbst sah, daß der letzte heftige Orkan eine ziemlich große Anzahl Bäume umgeworfen hatte. Der Seemann und Nab begaben sich sogar bis nach dem Kohlenlager, um einige Tonnen Brennmaterial anzufahren. Im Vorüberkommen bemerkten sie, daß der Töpferofen jedenfalls durch den Sturm sehr gelitten hatte, und von dem Schornstein gut sechs Fuß herunter geweht waren.
Zu derselben Zeit wurden auch die Holzvorräthe des Granithauses erneuert, und benutzte man die wie der frei gewordene Strömung der Mercy, um mehrere Flöße nach der Mündung zu tragen, da man noch nicht darüber Gewißheit hatte, ob die Periode der strengen Kälte vorüber sei.
Bei dieser Gelegenheit besuchte man auch die Kamine, und konnte sich nur herzlich Glück wünschen, dieselben während des Wintersturmes nicht bewohnt zu haben, denn überall hatte das Meer seine deutlichen Spuren zurückgelassen. Die einzelnen Abtheilungen zeigten sich nämlich halb mit Sand angefüllt, die Steine mit Varec bedeckt. Während Nab, Harbert und Pencroff jagten oder sich mit Herbeischaffung des Brennmaterials beschäftigten, reinigten Cyrus Smith und Gedeon Spilett die Kamine einigermaßen, und fanden in Folge der überall stattgefundenen Anhäufungen von Sand die Schmiede und die Oefen ziemlich unversehrt.
Es erwies sich bald als ganz zweckmäßig, daß man für das verbrauchte Material auf's Neue Holz herzugeschafft hatte, denn wirklich sollte noch einmal strengere Kälte eintreten. Bekanntlich zeichnet sich in der nördlichen Hemisphäre der Februar nicht selten durch die stärksten Temperatur-Erniedrigungen aus. Auf der südlichen Halbkugel ist das nun ebenso der Fall, nur daß hier der August jenem klimatischen Gesetze Rechnung trägt.
Am 25. August drehte sich der Wind nach mehrfacher Abwechselung von Schnee und Regen nach Südosten und trat sofort eine lebhafte Kälte ein. Nach der Abschätzung des Ingenieurs hätte ein Thermometer wenigstens zweiundzwanzig bis dreiundzwanzig Grad Celsius gezeigt, und diese heftige Kälte wurde durch einen mehrere Tage anhaltenden scharfen Wind noch empfindlicher. Von Neuem sahen sich die Colonisten auf ihr Granithaus beschränkt, und da man jetzt auch die Läden so weit schließen mußte, daß nur ein zur nothwendigen Erneuerung hinreichender Luftwechsel stattfand, so verbrauchte man in dieser Zeit ungemein viel Kerzen. Um letztere zu schonen, begnügten sich die Ansiedler nicht selten mit den Flammen des Herdes, den man reichlich mit Holz versorgte. Mehrmals wagte sich der Eine oder der Andere auf den Strand und zwischen die Eisschollen hinab, welche jede Fluth an demselben anhäufte, doch immer kehrten sie sehr bald zurück und konnten sich beim Hinaufsteigen nach der Wohnung nur mit Mühe und Schmerzen an den Stufen der Leiter, deren Berührung bei der strengen Kälte fast ein brennendes Gefühl verursachte, halten. Jetzt mußten die Bewohner des Granithauses die gezwungene Muße wieder irgendwie zu benutzen suchen, deshalb entschied sich Cyrus Smith für eine Arbeit, die auch bei verschlossenen Thüren vorgenommen werden konnte.
Wie erwähnt, besaßen die Colonisten keinen anderen Zucker, als den Saft des Ahornbaumes, den sie durch Einschnitte in die Rinde desselben gewannen.
Diesen singen sie nämlich in großen Gefäßen auf, und verwandten ihn zu verschiedenen Zwecken in der Küche, was um so eher anging, als der Saft durch das längere Stehen sich klärte und eine Syrupsconsistenz annahm.
Er sollte aber noch mehr verbessert werden, und eines Tages verkündete Cyrus Smith seinen Gefährten, daß sie nun Raffinirer werden sollten.
»Raffinirer! erwiderte Pencroff, das ist ja wohl eine sehr erwärmende Beschäftigung?
– Ja, gewiß! antwortete der Ingenieur.
– Nun, dann paßt sie zur Jahreszeit!« versetzte der Seemann.
Bei der Ausführung dieses Vorhabens denke man aber nicht etwa an die ausgebildeten Zuckerfabriken mit ihren vielen Geräthen und Maschinen. Um eine Krystallisation zu erzielen, kam hier ein sehr einfaches Verfahren in Anwendung. Der Saft wurde nämlich in weiten irdenen Pfannen über dem Feuer langsam verdampft, wobei sehr bald ein dichter Schaum auf die Oberfläche stieg. Nab war angestellt, denselben immer mit Holzspateln zu entfernen, wodurch erstens die Verdunstung beschleunigt und zweitens auch verhindert wurde, daß der Inhalt der Pfanne einen empyreumatischen Geruch annahm.
Nach einigen Stunden fortgesetzten Siedens, welches den dabei Beschäftigten ebenso wohl that, als es die behandelte Substanz veredelte, hatte sich Alles in einen sehr dicken Syrup verwandelt. Diesen schüttete man nun in verschiedene Thonformen, welche vorher am Küchenofen selbst gebrannt worden waren und fand am anderen Tage eine erkaltete Masse von Broden und Tafeln darin vor. Das war nun wirklicher, wenn auch etwas mißfarbiger Zucker, der aber doch einen recht guten Geschmack hatte.
Die Kälte hielt bis Mitte September an, und die Gefangenen des Granithauses singen an, ihre Einsperrung etwas langweilig zu finden. Fast jeden Tag versuchten sie einen Ausgang, ohne denselben jemals ausdehnen zu können. Die weitere Einrichtung der Zimmer bildete also fortwährend die Hauptbeschäftigung. Die Arbeit würzte man durch Plaudereien. Cyrus Smith unterrichtete seine Gefährten über alle Dinge, und legte ihnen vorzüglich die praktischen Anwendungen der Wissenschaften vor Augen. Eine Bibliothek besaßen die Colonisten zwar nicht; der Ingenieur ersetzte jedoch vollkommen jedes Buch, von dem immer diejenige Seite aufgeschlagen war, deren man bedurfte, ein Buch, das jede Frage löste und das man immer und immer wieder zu Rathe zog. So verging die Zeit, und die wackeren Leute schienen keine Sorge wegen der Zukunft zu spüren.
Dennoch regte sich in Allen der Wunsch, diese Gefangenschaft geendet, und wenn auch noch nicht die Wiederkehr der schönen Jahreszeit, so doch die Abnahme der Kälte zu sehen. Wären sie nur mit entsprechender Kleidung versorgt gewesen, welche Ausflüge hätten sie, entweder nach den Dünen oder nach dem Fuchsentensumpfe, unternommen! Welch' erfolgreiche Jagden hätten sie veranstaltet! Cyrus Smith legte aber einen ganz besonderen Werth darauf, daß Niemand seine Gesundheit auf's Spiel setze, da man die Arme Aller brauche, und so folgte man seinem Rathe.
Nach Pencroff zeigte sich als der Ungeduldigste Top, der Hund, dem das Granithaus viel zu eng erschien und der fortwährend von einem Raum zum andern lief und seinen Widerwillen gegen diese Einsperrung auf jede mögliche Weise kund gab.
Cyrus Smith bemerkte wohl, daß Top, wenn er sich dem dunkeln Schachte, der in Verbindung mit dem Meere stand, näherte, immer ein eigenthümliches Knurren hören ließ. Häufig trabte er um die verdeckte Oeffnung umher und suchte manchmal sogar mit den Pfoten unter die Decke zu gelangen; dann kläffte er wohl voller Wuth und Unruhe.
Der Ingenieur beobachtete dieses Verhalten zu wiederholten Malen. Was konnte wohl in dem Abgrunde stecken, das den Hund nie zur Ruhe kommen ließ? Sicherlich hatte der Schacht eine Oeffnung nach dem Meere zu. Verzweigte er sich vielleicht unter der Insel noch weiter? Stand er mit anderen Höhlen in Verbindung? Stieg in seinem Grunde vielleicht dann und wann ein Meeresungeheuer auf, um Luft zu schöpfen? Der Ingenieur konnte sich darüber niemals klar werden und verlor sich wohl in die bizarrsten Combinationen. Gewohnt, nach allen Seiten sich seinen nüchternen Blick zu bewahren, ertappte er sich hier nicht selten auf Abwegen; wie sollte er sich aber erklären, daß Top, ein viel zu gescheiter Hund, als daß er jemals den Mond angebellt hätte, immer in diesen Schlund hineinschnüffelte und horchte, wenn wirklich nichts darin gewesen wäre? Tops Verhalten beunruhigte den Ingenieur mehr, als er sich selbst zugestehen wollte. Dem Reporter gegen über sprach er sich wohl aus, hielt es aber für unnütz, auch die Andern in seine Gedanken einzuweihen, vorzüglich, da die ganze Sache ja doch vielleicht nur auf eine Schrulle Tops hinauslaufen konnte.
Endlich legte sich die Kälte. Wieder gab es Regen, Stürme und Windstöße, doch dauerte diese unbestimmte Witterung nicht allzu lange. Schnee und Eis schmolzen, und der Strand, das Plateau, die Ufer der Mercy und der Wald wurden gangbar. Die Rückkehr des Frühlings hauchte den Bewohnern des Granithauses neues Leben ein und bald verbrachten sie in jenem nur die Stunden der Ruhe und des Schlafes.
Bei den häufigen Jagden im September kam Pencroff immer wieder auf seine Forderung von Flinten zurück, indem er behauptete, daß Cyrus Smith ihm diese versprochen habe. Letzterer wußte ja recht wohl, daß Gewehre ohne sehr seine und vielfältige Werkzeuge nicht herzustellen waren, wich deshalb immer aus und verschob die Beschaffung derselben auf die Zukunft. Er wies auch darauf hin, daß Harbert und Gedeon Spilett sehr geschickte Bogenschützen geworden seien, daß sie bei dem dichten Wildstande ja Thiere aller Arten in großer Menge erlegten und man also keinen Grund zu besonderer Eile habe. Der starrköpfige Seemann schenkte aber solchen Worten kein Gehör und ließ nicht ab, den Ingenieur um die Erfüllung seines Wunsches zu quälen.
»Wenn die Insel, sagte er, woran gar nicht zu zweifeln ist, wilde Thiere beherbergt, müssen wir auch an deren Bekämpfung und Ausrottung denken. Es könnte eine Zeit kommen, die uns das zur unabweislichen Pflicht machte.«
Jetzt beschäftigte sich aber Cyrus Smith noch keineswegs mit der Beschaffung anderer Waffen, sondern weit mehr mit der neuer Kleidungsstücke. Die, welche die Colonisten trugen, hatten nun den ganzen Winter ausgehalten, konnten aber unmöglich auch bis zum nächsten dauern. Vor Allem galt es, sich Felle von Raubthieren oder Wolle von Wiederkäuern zu verschaffen, und gedachte man sich von den wilden Schafen vielleicht eine Heerde für die Bedürfnisse der Colonie zu bilden. An einer geeigneten Stelle der Insel sollten für diese ein Viehhof und ein Behälter für Geflügel angelegt werden; das erschien dem Ingenieur für die kommende schöne Jahreszeit am dringendsten.
Zu diesem Zwecke wurde es indeß nothwendig, auch die noch unerforschten Theile der Insel Lincoln kennen zu lernen, d.h. die großen Wälder, die sich von dem rechten Ufer der Mercy bis nach der Schlangen-Halbinsel ausdehnten, ebenso wie die ganze Nordküste des Landes. Da ein solcher Ausflug nur bei andauernd gutem Wetter unternommen werden konnte, mußte man denselben voraussichtlich noch um einen Monat hinausschieben.
Es versteht sich, daß man die Zeit zu jenem mit einer gewissen Ungeduld herbei wünschte; da ereignete sich aber ein Vorfall, der das Verlangen der Colonisten, ihr gesammtes Gebiet zu durchforschen, noch verdoppeln sollte.
Es war am 21. October, Pencroff war ausgegangen, die Fallgruben, die er immer bestens im Stande hielt, zu untersuchen. In einer derselben fand er drei Thiere, welche der Küche sehr willkommen sein mußten, – ein Pecari-Weibchen mit beiden Jungen.
Erfreut über seinen Fang eilte Pencroff nach Hause und rühmte sich, wie gewöhnlich, seiner Jagderfolge nach Kräften.
»Hier, das wird eine schöne Mahlzeit werden, Mr. Cyrus, rief er, und Sie, Mr. Spilett, Sie werden auch mit essen!
– Das will ich wohl, erwiderte der Reporter, aber was giebt es denn für Seltenheiten?
– Milchschweine.
– Wirklich, Pencroff? Wenn man Sie hörte, sollte man denken, Sie brächten Rebhühner mit Trüffeln nach Haus.
– Nun, rief Pencroff beleidigt, wollen Sie etwa einen Milchschweinbraten verachten?
– O nein, antwortete Gedeon Spilett, ohne jedoch einen besonderen Enthusiasmus zu zeigen, wenn er nicht gerade zu häufig kommt…
– Schon gut, schon gut, Herr Journalist, versetzte der Seemann, der seine Beute nicht gern geringschätzen hörte, Sie spielen den Feinschmecker? Vor sieben Monaten, als wir auf die Insel geworfen wurden, wären Sie wohl herzlich froh gewesen, solch' ein Stück Wild zu haben ...
– Da haben Sie es, fiel der Reporter ein, der Mensch ist eben nie vollkommen und niemals zufrieden.
– Nun, ich denke, Nab soll meine Milchschweine freudiger aufnehmen. Hier, sehen Sie nur, sie sind kaum drei Monate alt, und zart wie Wachteln. Komm, Nab, heute werde ich die Küche selbst mit besorgen!«
Der Seemann und der Neger gingen an die gewohnte Beschäftigung.
Man ließ sie nach Belieben schalten. Die Köche bereiteten auch wirklich eine vorzügliche Mahlzeit. Die beiden kleinen Pecaris, eine Kängurufleisch -Suppe, Schinken, Pinienzapfen, Drachenbaumbier, Oswego-Thee, überhaupt Alles, was es nur Leckeres gab.
Um fünf Uhr ward der Tisch im Speisesaal gedeckt. Die Kängurusuppe dampfte; man fand sie vortrefflich.
Der Suppe folgten die gedämpften Pecaris, welche Pencroff selbst vorschneiden wollte und von denen er Jedem ein riesiges Stück servirte.
Die Milchschweine wurden ausgezeichnet gefunden, und Pencroff verzehrte seinen Theil mit gerechtem Stolze, als urplötzlich ein Schrei und ein gelinder Fluch über seine Lippen kamen.
»Was giebt es denn? fragte Cyrus Smith.
– Ich habe… ich habe… mir eben einen Zahn zerbrochen, antwortete kleinlaut der Seemann.
– Aha, fiel der Reporter ein, in Ihren Pecaris stecken also Kieselsteine?
– Ich möchte es fast glauben«, erwiderte Pencroff und zog das Corpus delicti hervor, das ihm einen Backenzahn kostete ...
Ein Kiesel war das freilich nicht… wohl aber ein Schrotkorn!