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Zwölftes Capitel.

Durchforschung der Schlangenhalbinsel. – Nachtlager an der Mündung des Cascadenflusses. – 600 Schritte von der Hürde. – Recognoscirung durch Gedeon Spilett und Pencroff. – Ihre Rückkehr. – Alle vorwärts! – Eine offene Thür. – Ein erleuchtetes Fenster. – Beim Mondschein!

———

Der folgende Tag, der 18. Februar, wurde ganz und gar der Durchforschung jener bewaldeten Strecken gewidmet, die den Küstenstrich zwischen dem Schlangenvorgebirge und dem Cascadenflusse einnahmen. Die Colonisten konnten diesen nur drei bis vier Meilen breiten Wald gründlich durchsuchen. Die Bäume ließen an ihren hohen Stämmen und dem dichten Blätterwerke die vegetative Kraft der Insel erkennen, welche hier größer war, als an jedem andern Punkte. Man hätte ein Stück jungfräulichen Urwaldes, aus Amerika oder Australien in diese gemäßigte Zone verpflanzt, zu sehen geglaubt. Das führte auch zu der Annahme, daß die prächtigen Pflanzen in dem oberflächlich feuchten, im Innern aber durch vulkanische Thätigkeit erwärmten Boden eine Temperatur vorfanden, welche einem gemäßigten Klima an sich nicht zukam. Vorherrschende Species waren eben jene Kauris und Eukalypten, die so gigantische Dimensionen annehmen.

Die Colonisten verfolgten aber nicht den Zweck, pflanzliche Prachtexemplare anzustaunen. Sie wußten schon, daß die Insel nach dieser Hinsicht zu der Gruppe der Canarischen Inseln rangirte, welche zuerst den Namen »Glückliche Inseln« führten. Jetzt, ach, gehörte die Insel ihnen nicht mehr ausschließlich; noch Andere hatten von ihr Besitz genommen, Verbrecher schändeten ihren Boden, und diese mußten bis auf den letzten Mann ausgerottet werden.

An der Westküste fand man trotz aller aufgewendeten Sorgfalt keinerlei Spuren; keine Fußabdrücke, keine abgebrochenen Zweige, keine Aschenreste oder aufgelassene Lagerstätten.

»Mich verwundert das nicht, sagte Cyrus Smith zu seinen Gefährten. Die Sträflinge sind etwa bei der Seetriftspitze aus Land gekommen, und haben sich nach Ueberschreitung der Tadornesümpfe sofort in die Wälder des fernen Westens zurückgezogen. Sie mögen etwa demselben Wege gefolgt sein, wie wir von dem Granithause aus. Das erklärt die Spuren, welche wir im Walde fanden An der Küste angelangt, überzeugten sich die Sträflinge aber gewiß sehr bald, daß hier kein zuverlässiger Schlupfwinkel für sie zu finden sei; deshalb sind sie nach Norden zurückgegangen und haben auf diesem Wege die Hürde entdeckt…

– Wohin sie vielleicht auch zurückgekehrt sind, fiel Pencroff ein.

– Das glaub' ich nicht, erwiderte der Ingenieur, denn sie müssen voraussetzen, daß sich unsere Nachforschungen nach dieser Seite richten. Die Hürde stellt für Jene nur einen Ort zur frischen Verproviantirung vor, nicht aber einen dauernden Lagerplatz.

– Darin stimme ich Cyrus bei, bemerkte der Reporter; meiner Ansicht nach werden die Sträflinge einen Schlupfwinkel in den Ausläufern des Franklin-Berges gesucht haben.

– Nun, Herr Cyrus, dann direct nach der Hürde! rief Pencroff. Die Sache muß ein Ende nehmen, und bis jetzt haben wir schon zu viele Zeit verloren.

– Nein, mein Freund, entgegnete der Ingenieur. Sie vergessen, daß uns das Interesse hierher führte, zu wissen, ob sich im fernen Westen noch irgend eine Wohnung befinde. Unser Auszug verfolgt einen doppelten Zweck, Pencroff. Wenn er auf der einen Seite der Züchtigung jener Verbrecher gilt, so haben wir auf der anderen einen Act der Dankbarkeit zu erfüllen.

– Das ist zwar leicht gesagt, antwortete Pencroff; meine Meinung geht aber dahin, daß wir diesen Ehrenmann nur finden werden, wenn er selbst es will!«

Pencroff drückte hiermit wirklich die Ansicht aller Uebrigen aus, denn jedenfalls war der Zufluchtsort des Unbekannten nicht minder geheimnißvoll, als er selbst.

An diesem Abend hielt der Wagen bei der Mündung des Cascadenflusses. Das Lager ward nach gewohnter Weise hergerichtet, und für die Nacht die übliche Vorsicht im Auge behalten. Harbert, jetzt wieder ebenso kräftig und gesund, wie vor seiner Erkrankung, zog den sichtlichsten Vortheil aus diesem fortwährenden Aufenthalte in der frischen See-, und belebenden Waldluft. Sein Platz war nicht mehr im Wagen, sondern an der Spitze der kleinen Karawane.

Andern Tags, am 19. Februar, stiegen die Colonisten, indem sie die Küste, auf welcher sich jenseit des Flusses so pittoreske Basaltmassen aufthürmten, verließen, am linken Ufer desselben aufwärts. Der Weg war in Folge früherer Excursionen von der Hürde nach der Westküste zum Theil schon frei gelegt. Die Colonisten befanden sich jetzt in einer Entfernung, von etwa sechs Meilen vom Franklin-Berge.

Des Ingenieurs Absicht ging dahin, das ganze Thal, in dessen Sohle sich der Fluß hinschlängelte, sorgfältig ins Auge zu fassen, und die Gegend der Hürde unter unausgesetztem Absuchen der Umgebungen zu erreichen; sollte die Hürde selbst besetzt sein, diese mit Gewalt zu nehmen, wenn aber verlassen, sich in ihr einzurichten, und von diesem Centrum aus die Einzel-Expeditionen nach dem Franklin-Berge zu unternehmen.

Dieser Plan fand einmüthige Zustimmung, denn es drängte die Colonisten alle, sich bald wieder in unbestrittenem Besitz der ganzen Insel zu wissen.

Man zog also durch das enge Thal, welches zwei der mächtigsten Vorberge des Franklin trennte. Die längs des Flußufers erst ziemlich gedrängten Bäume wurden in den höheren Partien des Vulkanes seltener. Hier war ein unebener, wild zerrissener und zu Hinterhalten ganz geschaffener Boden, über welchen man nur mit größter Vorsicht weiter zog. Top und Jup sprangen als Plänkler voran, verschwanden links und rechts in dem Gebüsche, und suchten an Geschicklichkeit und Intelligenz zu wetteifern. Kein Anzeichen verrieth aber, daß Jemand unlängst die Flußufer betreten habe, oder daß die Sträflinge jetzt hier oder in der Nähe seien.

Gegen fünf Uhr Nachmittags hielt der Wagen etwa sechshundert Schritte vor der Palissade der Hürde; nur eine halbmondförmige Reihe von Bäumen verbarg diese noch.

Jetzt handelte es sich darum, zu erfahren, ob die Hürde besetzt sei. Sich ihr offen, bei hellem Tageslichte weiter zu nähern, hieß, für den Fall, daß die Sträflinge darin hausten, sich irgend einem verderblichen Zufalle aussetzen, wie es ja die Erfahrung mit Harbert lehrte. Es empfahl sich also von selbst, die Nacht abzuwarten. Inzwischen wollte Gedeon Spilett ohne Zögern die Nachbarschaft ausspioniren, und Pencroff, dessen Geduld zu Ende ging, erbot sich zu seiner Begleitung.

»Nein, nein, meine Freunde, mahnte der Ingenieur ab; wartet die Dunkelheit ab. Ich kann nicht zugeben, daß sich Einer oder der Andere am Tage bloßstellt…

– Aber Herr Cyrus… erwiderte der Seemann, dem das Gehorchen sauer anging.

– Ich bitte Sie darum, Pencroff, sagte der Ingenieur.

– So sei's!« antwortete der Seemann, der seiner Wuth eine andere Schleuße öffnete und die Sträflinge mit den grimmigsten Verwünschungen der Matrosensprache überschüttete.

Die Colonisten blieben demnach bei dem Gefährte und überwachten sorgfältig die bewaldete Nachbarschaft.

So vergingen drei Stunden. Der Wind hatte sich gelegt, und unter den mächtigen Bäumen herrschte tiefe Stille. Das Zerbrechen des dünnsten Zweiges, das Geräusch von Schritten auf dürren Blättern, das Schlüpfen einer Person durch die hohen Gräser wäre leicht genug zu hören gewesen. Alles blieb still. Top streckte sich, den Kopf zwischen den Vorderpfoten, nieder und verrieth keinerlei Unruhe.

Um acht Uhr schien der Abend genügend vorgeschritten, um eine Auskundschaftung unter günstigen Verhältnissen vornehmen zu können. Gedeon Spilett erklärte sich nebst Pencroff dazu bereit. Cyrus Smith erhob keinen Widerspruch. Top und Jup sollten bei den Uebrigen zurück bleiben, um nicht durch ein unzeitiges Bellen oder Schreien die Aufmerksamkeit der Feinde zu erregen.

»Lassen Sie sich nicht zu weit ein, empfahl Cyrus Smith den beiden Kundschaftern. Sie sollen die Hürde gegebenen Falls nicht einnehmen, sondern nur erspähen, ob sie besetzt ist oder nicht.

– Wir verstehen«, antwortete Pencroff.

Beide machten sich auf den Weg.

Unter den Bäumen ließ, Dank ihrem dichten Laube, die Dunkelheit Gegenstände schon auf dreißig bis vierzig Schritte nicht mehr wahrnehmen. Der Reporter und Pencroff standen still, sobald irgend ein Geräusch ihren Verdacht weckte, und drangen überhaupt nur mit größter Vorsicht weiter.

Sie gingen ein wenig von einander, um einem etwaigen Schusse ein geringeres Ziel zu bieten, und, offen gestanden, sie erwarteten auch jeden Augenblick einen Knall zu hören.

Fünf Minuten nach Verlassen des Halteplatzes waren Gedeon Spilett und Pencroff am Saume des Waldes angekommen, vor dem sich in der Lichtung die Hürdenpalissade hinzog.

Sie hielten an. Ein unbestimmter Lichtschein lag noch über dem baumlosen Wiesenplane. Dreißig Schritte von ihnen erhob sich das scheinbar gut geschlossene Hürdenthor. Diese dreißig Schritte, welche zwischen dem Walde und der Umzäunung zurückzulegen waren, bildeten, um einen Artilleristenausdruck zu gebrauchen, die gefährliche Zone. Eine oder mehrere Kugeln von dem Kamme der Palissade hätten offenbar Jeden, der sich auf diese Zone wagte, hinstrecken müssen.

Gedeon Spilett und Pencroff kannten zwar Beide keine Furcht, aber sie wußten auch, daß eine Unklugheit ihrerseits, deren erste Opfer sie selbst wären, schwer auf ihre Gefährten zurückwirken mußte. Fielen sie Beide, was sollte aus Cyrus Smith, Nab und Harbert werden?

Pencroff, der sich so nahe der Hürde nicht mehr zurückhalten konnte, wollte schon auf diese, da er sie von den Verbrechern besetzt glaubte, losstürmen, als der Reporter ihn noch mit kräftiger Hand zurückdrängte.

»Bald wird es ganz dunkel sein, sagte Gedeon Spilett leise, dann ist's auch Zeit zum Handeln.«

Pencroff faßte krampfhaft seinen Flintenkolben, und blieb unter heimlichen Verwünschungen in der gedeckten Stellung.

Jetzt erlosch der letzte Dämmerschein. Die Dunkelheit, welche aus dem dichten Walde zu kommen schien, überzog auch die Lichtung. Der Franklin-Berg strebte gleich einem riesenhaften Lichtschirme vor dem westlichen Horizonte empor, und schnell brach die Nacht herein, wie es an Orten von niedriger geographischer Breite immer der Fall ist. Jetzt galt es!

Der Reporter und Pencroff hatten, seitdem sie am Saume des Waldes saßen, die Umzäunung nicht aus den Augen verloren. Die Hürde schien vollkommen verlassen. Der Kamm der Palissade bildete eine noch etwas schwärzere Linie, als ihre Umgebung, zeigte aber keine Unterbrechung. Wären die Sträflinge hier gewesen, so hätten sie Einen von sich daselbst als Wache ausstellen müssen, um sich vor jeder Ueberrumpelung zu sichern.

Gedeon Spilett drückte die Hand seines Gefährten, und Beide krochen langsam auf der Erde vorwärts, die Gewehre immer fertig in der Hand.

So gelangten sie zum Thore der Hürde, ohne daß ein Lichtstrahl das Dunkel unterbrach.

Pencroff versuchte das Thor zu öffnen, welches aber, wie sie schon vermutheten: geschlossen war. Doch überzeugte sich der Seemann, daß die äußeren Verschlußbalken desselben fehlten.

Daraus ergab sich also, daß die Sträflinge die Hürde noch besetzt hielten, und wahrscheinlich hatten sie auch das Thor von innen verwahrt, um seine gewaltsame Oeffnung möglichst zu verhindern.

Gedeon Spilett und Pencroff drückten das Ohr an die Wand.

Kein Laut im Innern der Umzäunung. Die Mouflons und die Ziegen, die jedenfalls in ihren Ställen schliefen, unterbrachen ebenso wenig die Stille der Nacht.

Da die Lauscher nichts hörten, fragten sie sich, ob sie die Palissade erklettern und in das Innere der Hürde eindringen sollten. Freilich lief das gegen die Vorschriften des Ingenieurs.

Der Versuch konnte zwar gelingen, aber ebenso gut auch fehlschlagen. Zudem, wenn die Sträflinge sich nichts versahen, und keine Kenntniß hatten von dem Anschlage gegen sie; wenn sich jetzt gerade eine Aussicht bot, sie zu überraschen, durften sie diese Chance dadurch auf's Spiel setzen, daß sie die Palissade voreilig überstiegen?

Der Reporter verneinte diese Frage. Er hielt es für gerathener zu warten, bis sie mit vereinten Kräften in die Hürde dringen könnten. Gewiß vermochte man ungesehen bis an die Umzäunung heran zu schleichen, und war diese selbst für jetzt unbewacht. Hiernach hatten sie also nichts Anderes zu thun, als mit diesen Nachrichten nach dem Wagen zurückzukehren.

Pencroff theilte wahrscheinlich diese Ansicht, denn er machte keine Schwierigkeiten, dem Reporter zu folgen, als dieser unter den Bäumen verschwand.

Einige Minuten später war der Ingenieur von der Sachlage unterrichtet.

»Gut, sagte er nach kurzem Besinnen, jetzt habe ich Ursache zu glauben, daß die Sträflinge gar nicht in der Hürde sind.

– Das werden wir sofort wissen, antwortete Pencroff, wenn wir die Pfahlwand übersteigen.

– Also auf zur Hürde! sagte Cyrus Smith.

– Den Wagen lassen wir hier im Walde stehen? frug Nab.

– Nein, erwiderte der Ingenieur; er ist unser Munitions- und Lebensmittelmagazin, und kann uns im Nothfall als Deckung dienen.

– Vorwärts denn!« trieb Gedeon Spilett.

Der Wagen rollte geräuschlos aus dem Walde nach der Palissade zu. Es was jetzt tiefdunkel und ebenso still wie vorher, als Pencroff und der Reporter sich wieder weggeschlichen hatten. Das dichte Gras erstickte jeden Schall der Tritte.

Die Colonisten hielten sich zum Schießen bereit. Jup mußte unter Pencroff's Leitung zurückbleiben, und Nab führte Top, um diesen nicht vorausspringen zu lassen.

Die Lichtung ward sichtbar; sie war verlassen. Ohne Zögern begab sich die kleine Truppe nach der Umzäunung. In kurzer Zeit wurde die gefährliche Zone überschritten, ohne einen Schuß abzugeben. An der Palissade angelangt, ließ man den Wagen stehen. Nab blieb bei den Quaggas, um diese am Zügel zu halten. Der Ingenieur, der Reporter, Harbert und Pencroff begaben sich nach dem Thore, um zu sehen, ob dasselbe von innen verbarrikadirt wäre…

Einer der Flügel stand offen!

»Wie stimmt das zu Eurer Aussage?« fragte der Ingenieur, sich zum Seemann und Gedeon Spilett zu rück wendend.

Beide sahen erstaunt einander an.

»Bei meiner Seligkeit, sagte Pencroff, dies Thor war vorhin noch verschlossen!«

Die Colonisten wichen einen Schritt zurück. Befanden sich die Sträflinge also dennoch in der Hürde, als Pencroff und der Reporter hier auf Kundschaft aus waren? Es schien unzweifelhaft, da die vorher geschlossene Thür nur durch sie geöffnet sein konnte. Waren sie noch darin, und vielleicht nur Einer von ihnen heraus gegangen?

Alle diese Fragen tauchten wohl urplötzlich vor Jedem auf; allein wie sollten sie beantwortet werden?

In diesem Augenblick eilte Harbert nach einigen Schritten in das Innere der Hürde schnell zurück und ergriff die Hand des Ingenieurs.

»Was giebt es? fragte Cyrus Smith.

– Ein Licht!

– Im Hause?

– Ja!«

Alle Fünf drängten sich durch das Thor und sahen an den Scheiben des ihnen gegenüber liegenden Fensters einen schwachen Lichtschein zittern.

Cyrus Smith faßte einen schnellen Entschluß.

»Das ist eine günstige Chance, sagte er, die Sträflinge im Hause, und scheinbar keinen Angriff fürchtend, anzutreffen! Nun sind sie unser! Vorwärts!«

Die Colonisten schritten vorsichtig mit halb erhobenen Gewehren hinein. Der Wagen war unter Top's und Jup's Aufsicht, die man vorsorglich angebunden hatte, außerhalb stehen geblieben.

Cyrus Smith, Pencroff und Gedeon Spilett einerseits, und andererseits Harbert und Nab, drängten sich an dem Zaune hin und ließen die Blicke durch den dunkeln und völlig verlassenen Raum neben sich schweifen.

In wenigen Augenblicken erreichten sie das Haus und standen vor dessen verschlossener Thür.

Cyrus Smith bedeutete mit der Hand seine Gefährten zu schweigen und näherte sich dem Fenster, das von einem Lichte im Innern schwach erhellt war.

Sein Blick drang durch den einzigen, das Erdgeschoß bildenden Raum des Häuschens.

Auf dem Tische brannte eine Laterne; neben demselben stand das Bett, welches früher Ayrton's Lager bildete.

Auf dem Bette lag der Körper eines Mannes.

Plötzlich wich Cyrus Smith halb erschrocken zurück und rief mit gedämpfter Stimme:

»Ayrton!«

Sofort ward die Thür mehr eingedrückt als geöffnet, und stürzten die Colonisten in's Zimmer.

Ayrton schien zu schlafen. Sein Antlitz zeigte, daß er lange und schwer gelitten hatte. An den Hand- und Fußgelenken trug er blutunterlaufene Spuren von Fesseln.

Cyrus Smith neigte sich über ihn.

»Ayrton!« rief der Ingenieur und ergriff den Arm des unter so seltsamen Umständen Wiedergefundenen.

Bei diesem Weckrufe öffnete Ayrton die Augen, sah Cyrus Smith und dann die Anderen an und rief er staunt:

»Ihr, Ihr seid es?

– Ayrton! Ayrton! wiederholte Cyrus Smith.

– Wo bin ich?

– In der Hürdenwohnung.

– Allein?

– Ja wohl!

– Aber sie werden kommen, rief Ayrton. Vertheidigt Euch! Wehrt Euch!«

Erschöpft sank er auf das Lager zurück.

»Spilett, begann da der Ingenieur, wir können jeden Augenblick angegriffen werden. Schaffen Sie den Wagen in die Hürde. Verbarrikadirt dann die Thür und kommt Alle hierher zurück.«

Pencroff, Nab und der Reporter beeilten sich, die Anordnungen des Ingenieurs auszuführen. Es galt keinen Augenblick zu verlieren. Vielleicht war der Wagen den Sträflingen schon in die Hände gefallen. In einem Augenblick hatten die Drei die Hürde durchlaufen und das Thor der Palissade erreicht, hinter der man Top leise knurren hörte.

Der Ingenieur verließ Ayrton einen Augenblick, um zur Hand zu sein, wenn Hilfe nöthig wurde. Harbert hielt sich neben ihm. Beide überwachten den Kamm des Bergausläufers, der die Hürde beherrschte. Lagen die Verbrecher hier im Hinterhalte, so konnten sie die Colonisten Einen nach dem Andern abthun.

Eben stieg im Osten der Mond über den dunkeln Wald herauf und verbreitete ein weißliches Licht im Innern der Umzäunung. Die Hürde mit ihren Baumgruppen wurde bald vollkommen hell, ebenso wie der kleine Wasserlauf darin und ihr ausgedehnter Wiesenteppich. Nach der Seite des Berges hob sich das Haus und ein Theil der Palissade hell von diesem ab; nach der entgegengesetzten Seite, also nach dem Thore zu, blieb sie dunkel.

Da zeigte sich eine schwarze Masse. Der Wagen war es, der in den Lichtkreis eintrat, und Cyrus Smith konnte das Knarren des Thores hören, als seine Gefährten dasselbe wieder schlossen und dessen Flügel von innen sorgfältig verwahrten.

In diesem Augenblicke aber zerriß Top seine Leine, fing wüthend an zu bellen und stürzte rechts vom Hause weiter nach der Hürde hinein.

»Achtung, Freunde! Legt an!«… rief Cyrus Smith.

Die Colonisten hielten die Gewehre im Anschlag und warteten nur auf den Augenblick, Feuer zu geben. Top bellte noch immer, und Jup, der dem Hunde nachlief, ließ ein schrilles Pfeifen vernehmen.

Die Colonisten folgten den Thieren und gelangten nach dem Ufer des kleinen, von einigen hohen Bäumen beschatteten Baches.

Und dort, was sahen sie da beim vollen Mondeslichte?

Fünf Körper, ausgestreckt am schräg ablaufenden Ufer.

Das waren die der Sträflinge, welche vier Monate vorher an der Insel Lincoln landeten!


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