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Erstes Kapitel.

DDiese Erzählung ist nicht phantastisch, sie ist nur romantisch. Sollte man sie auf Grund ihrer Unwahrscheinlichkeit als unwahr bezeichnen? Das wäre ein Irrtum. Wir leben in einer Zeit, wo alles vorkommt – man kann fast mit Recht sagen, wo alles schon dagewesen ist. Wenn unsere Geschichte auch heute nichts weniger als wahrscheinlich ist – so kann sie es doch morgen schon sein dank den wissenschaftlichen Hilfsmitteln, die der Zukunft vorbehalten sind, und niemand würde es einfallen, unsere Erzählung ins Reich der Sagen zu verweisen. An der Neige dieses praktischen und positiven 19. Jahrhunderts entstehen übrigens gar keine Sagen mehr – weder in der Bretagne, der Heimat der wilden Korrigans, noch in Schottland, dem Lande der »Brownies« und Gnomen, noch in Norwegen, dem Reiche der Asen, Elfen, Sylphen und Walküren, noch selbst in Siebenbürgen, wo das Massiv der Karpathen für alle überirdischen Erscheinungen einen so naturgemäßen Boden abgibt. Immerhin darf bemerkt werden, daß dieses »transsylvanische« Land noch sehr dem Aberglauben der Urzeiten huldigt.

Diese Provinzen im äußersten Europa sind von de Gerando beschrieben, von Elisée Reclus bereist worden. Natürlich auch Deutschen und Oesterreichern. Daß Jules Verne vornehmlich die Deutschen vergißt, oder nicht nennt, ist seine (verzeihliche!) Schwäche. A. d. Ü. Beide haben die merkwürdige Geschichte, auf der dieser Roman beruht, nicht erwähnt. Es ist möglich, daß sie sie gleichwohl gekannt haben, nur haben sie ihr keinen Glauben beigemessen. Das ist zu bedauern, denn beide würden sie verschieden wiedergegeben haben: der eine mit der Genauigkeit eines Analytikers, der andere mit der unbewußten Poesie, von der seine Reiseberichte erfüllt sind.

Da nun beide dies unterlassen haben, will ich versuchen, es für sie zu tun.

Am 29. Mai dieses Jahres hütete ein Schäfer seine Herde am Rande eines grünen Plateaus am Fuße des Retjesat, der ein fruchtbares, von gradstämmigen Bäumen bestandenes und reich bebautes Tal überragt. Ueber dieses Hochplateau, das schutzlos und offen daliegt, fegen die scharfen Nordwestwinde den Winter über wie schneidende Messer hin. Es heißt dann dortzulande, der Berg schneide sich den Bart – und zwar manchmal »ratzekahl«.

Dieser Schäfer hatte in seinem Aeußern nichts, was an Arkadien erinnert hätte, auch in seiner Haltung nichts Bukolisches. Es war weder Daphnis, noch Amyntas, Tityros, Lycidas oder Meliböos. Zu seinen Füßen, die in groben Holzschuhen steckten, murmelte kein Lignon; die walachische Sil war es, deren frisches klares, in ländlicher Ruhe und Schlichtheit fließendes Wasser es wert gewesen wäre, durch das gewundene Bett des Romanes »Asträa« zu fließen.

Frik-Frik vom Dorfe Werst – hieß dieser ländliche Schäfer – selber ebenso unsauber und schmierig wie sein Vieh – ganz der Mann danach, in der dreieckigen Kabuse zu hausen, wo seine Schafe und Schweine in Schlamm und Unrat schier umkamen.

Dieses immanum pecus Unreine Herde. weidete also unter der Hut dieses Frik – immanior ipse Er selbst noch unreiner.. Ausgestreckt auf einem Bund zusammengehäuften Grases schlief er mit einem Auge, mit dem andern wachend, die grobe Tabakspfeife im Munde. Ab und zu rief er seinen Hunden zu, wenn ein Lamm sich von der Weide entfernte, oder er ließ einen lauten Pfiff ertönen, der in den Bergen vielfältiges Echo fand.

Es war vier Uhr nachmittags. Die Sonne ging zur Neige. Einige Berggipfel, deren Füße sich in wogenden Nebel hüllten, waren gen Osten beleuchtet. Gegen Südwesten fiel durch zwei Lücken der Kette ein schräges Strahlenbündel gleich einem Lichtschein, der durch eine halbgeöffnete Tür fällt.

Dieses Gebirgssystem gehörte zu dem wildesten Teile Siebenbürgens, begriffen unter der Benennung des Komitats von Klausenburg oder Kolosvar.

Ein seltsames Stück des österreichisch-ungarischen Kaiserreichs, dieses Siebenbürgerland – »Erdely« auf magyarisch, d. h. »das Land der Wälder«. Es wird begrenzt durch Ungarn im Norden, die Walachei im Süden, die Moldau im Westen. Es erstreckt sich über 60 000 Quadratkilometer, also 6 000 000 Hektare; ungefähr einem Neuntel der französischen Republik, einem Zehntel der österreichisch-ungarischen Monarchie entsprechend, kann es als eine zweite Schweiz gelten, bloß um die Hälfte größer als der helvetische »Kantönli-Bund«, aber um keinen Kopf volkreicher. Mit seinen der Kultur erschlossenen Hochflächen, seinen üppigen Hutweiden, seinen kapriziös skizzierten Tälern, seinen steil aufragenden Schroffen wird Transsylvanien von den Verästelungen der Karpathen, vulkanischen Ursprungs, streifenförmig wie ein Zebrafell und von nicht minder zahlreichen Wasserläufen durchzogen, Zuflüssen der Theiß und der majestätischen Donau, die mit ihrem Eisernen Tore wenige Meilen weiter südlich das Defilee der Balkankette an der Grenze zwischen Ungarn und dem ottomanischen Kaiserreiche bildet.

Es ist das uralte Land der Dacier, das im ersten Jahre christlicher Zeitrechnung von dem römischen Kaiser Trajanus erobert wurde. Die Unabhängigkeit, die es bis zum Jahre 1699 unter Johann Zapolyi und seinen Nachfolgern genoß, fand ihr Ende durch Kaiser Leopold I., der es zu Oesterreich schlug. Alle politischen Wandlungen haben indessen nichts daran ändern können, daß Siebenbürgen gemeinsamer Wohnsitz verschiedener Rassen blieb, die miteinander kollidieren, statt sich miteinander zu verschmelzen, nämlich von Walachen oder Rumänen, Magyaren, Zigeunern, Szeklern moldauischer Abkunft und sogenannten »Sachsen«, denen schließlich zufolge von Zeit und Umständen nichts anderes übrig bleiben wird, als zugunsten der siebenbürgischen Einheit sich »magyarisieren« zu lassen.

Welchem dieser Völkertypen Schäfer Frik angehörte und ob er ein degenerierter Abkömmling der alten Dacier war, darüber sich bestimmt zu äußern, dürfte angesichts seines wirren Buschkopfs, seines Schmutzfinkengesichts, seines struppigen Barts, seiner borstigen Brauen von rötlicher Färbung, seiner dunklen Augen mit einem Stich halb ins Grüne, halb ins Blaue, die am Rande der Hornhaut den Greisenbogen zeigten, schwer festzustellen gewesen sein, – leichter, daß er schon Mitte der Sechziger war. Er war ein großer, hagerer Mann, der sich gar straff hielt unter dem gelblichen Schaffell, an dem freilich kaum soviel Haare noch hängen mochten, wie an seiner zottigen Brust – wahrlich, kein Maler hätte sich die Mühe verdrießen lassen, den Mann auf Papier zu bringen, wie er so dastand, unbeweglich wie ein Fels, mit dem aus Binsen geflochtenen Hute auf dem Kopfe und mit der Faust auf den Stecken mit dem Krähenschnabel-Griffe gestützt.

Gerade als die Sonnenstrahlen durch die Waldlücke im Westen brachen, drehte Frik sich um, bildete sich aus der halbgeschlossenen Hand ein Fernrohr – wie er es wohl gewohnt war sie als Sprachrohr zu benutzen, wenn er sich auf Entfernungen hin vernehmbar machen wollte – und hielt nach dieser Richtung scharfen Ausblick.

An dem hellen Hintergrunde des Horizonts, eine reichliche Meile weit und infolge der Entfernung stark verjüngt, aber nichtsdestoweniger scharf profiliert, erschienen die Formen einer Burg – eines altertümlichen Schlosses, das auf einem isolierten Sattel des Vulkanbergs den obern Teil eines unter dem Namen Orgall bekannten Hochplateaus einnahm. Unter dem Spiel eines hell schimmernden Lichts hob sich sein Relief mit jener Schärfe ab, durch die sich bessere Stereoskop-Ansichten auszeichnen. Immerhin mußte das Auge des Hirten eine große Sehschärfe besitzen, um aus dieser fernliegenden Masse bestimmte Einzelheiten zu erkennen.

Plötzlich rief er, den Kopf wiegend:

»Alte Burg, alte Burg! – Stütz' dich nur fest auf deine Grundmauer! – noch drei Jahre, und mit deinem Dasein ist's vorbei, denn deine Buche hat bloß noch drei Aeste.«

Am Rande einer der Bastionen, mit denen das Schloß befestigt war, stand jene Buche, am Himmelsgrunde sichtbar wie zierlich aus Papier geschnitten, aber auf solche Weite wohl kaum für jemand anders als Frik. Die Erklärung dieser Worte des Schäfers, die mit einer alten Schloßsage zusammenhängen, wird folgen, wenn es an der Zeit ist.

»Ja, ja,« wiederholte er, »drei Aeste – gestern waren es ihrer noch vier, aber der vierte ist heute Nacht abgebrochen, und nun steht bloß noch der Stumpf! ich zähle bloß drei Aeste noch von der Gabelung ab – bloß drei noch, alte Burg! bloß drei noch!«

Wird ein Hirt von der idealen Seite aufgefaßt, so zeigt ihn uns die Phantasie gern als ein träumerisches, sinnierendes Wesen, das sich mit den Planeten unterhält, mit den Gestirnen verhandelt, am Himmel liest. In der Wirklichkeit sieht man ihn im allgemeinen als dummes, verbohrtes Subjekt. Indessen schreibt ihm der im Volke herrschende Aberglaube gern Vertrautheit mit übernatürlichen Dingen zu, er soll im Besitze von Zauber- und Hexenkünsten sein, soll Böses beschwören, Gutes fügen, Menschen und Tiere von bösen Krankheiten heilen oder mit bösen Krankheiten behaften können usw.; er treibt Handel mit Sympathie-Mitteln und Pülverchen, Trünkchen und Sprüchen, die Haß oder Liebe säen, Gewinn oder Schaden bringen; er kann fruchtbares Feld in unfruchtbares wandeln durch verhexte Steine, die er in die Furchen schleudert; er kann Schafe durch Anschielen unträchtig machen; und was von dergleichen Aberglauben noch mehr in der Welt herumspukt – überall und zu allen Zeiten. Auch Frik stand im Rufe eines Zauberers in ganz Siebenbürgen. Alle im Lande wußten, daß ihm die Vampyre gehorchten und die Stryges nicht feind waren, daß man ihn bei abnehmendem Monde in finstern Nächten verkehrt auf Mühlrädern reiten sah, gemeinhin mit Wölfen schwatzend oder mit den Sternen träumend. Er ließ die Leute reden, denn er fand seinen Nutzen dabei. Er verkaufte Zaubermittel, und Mittel, die gegen Zauber halfen. Aber er war, nicht zu vergessen, ganz ebenso abergläubisch wie seine Kundschaft, und wenn er schließlich auch nicht auf seine eigenen Zauberkräfte schwor, so doch auf die Sagen und Mären, die im Lande umliefen.

Man wird sich demnach nicht wundern, daß er aus dem Abbrechen des vierten Buchenastes zu der Prophezeiung baldigen Verschwindens der alten Burg gelangte und daß er sich nicht nötigen ließ, diese Neuigkeit in Werst fleißig zu verbreiten.

Er blies mit vollen Lungen in seine aus weißem Holz geschnitzte lange Schalmei, und bald war seine Herde um ihn versammelt, worauf er sich auf den Weg zum Dorfe machte. Die Hunde, ein paar Terrier-Bastarde, knurrig und bissig, die mehr aussahen, als wenn sie Schafe fräßen statt hüteten, gingen hinter ihm her. Seine Herde zählte an die hundert Köpfe, halb Hammel, halb Schafe, bis auf ein Dutzend Lämmer vorjährigen Wurfs. Durchweg Tiere im dritten oder vierten Jahre.

Die Herde gehörte dem Werster Ortsschulzen, dem »Biro« Koltz, der an die Gemeinde einen guten Weidegroschen abführte und auf seinen Schäfer Frik große Stücke hielt, weil es demselben kaum jemand gleichtat bei der Schafschur und in der Behandlung aller Viehkrankheit, wie Drehwurm, Leberwurm, Trommelsucht, Lungensucht, Pocken, Unträchtigkeit usw.

Frik zog mit seiner Herde, die mit dem Leithammel voran und mit dem Mutterschaf daneben mit Geblök und Geklingel in geschlossenen Gliedern trabte, einen breiten Feldweg entlang, der mit großen Feldern eingesäumt war. Dort wogte hochstehendes Getreide mit seinen prächtigen Aehren; dort dehnten sich herrliche Mais- oder, wie der Siebenbürger sagt, »Kukuruz«-Pflanzungen. Der Weg führte zu einem Fichten- und Tannenwalde mit frischem, finsterm Unterholz. Weiter zum Tale hin führte die Sil ihren glitzernden Lauf, auf deren hellen über dichtem Kieselgrund geklärten Fluten Stämme und Klötze aus den stromauf gelegenen Sägemühlen schwammen.

Hunde und Schafe machten am rechten Ufer des Flusses Halt und stillten an dem steilen mit wilden Rosenbüschen bestandenen Uferrande gierig den Durst.

Werst lag nur drei Büchsenschüsse ab hinter einem dichten Weidicht, aus Weidebäumen, nicht aus Krüppelweiden bestehend, das sich bis zu den Abhängen des Vulkan und weiter bis zum Plesa-Gebirge hinzieht, auf dessen südlichem Ausläufer das gleichnamige Dorf liegt.

Um diese Zeit herum war es draußen im Lande leer und einsam. Die Leute kehrten erst mit einbrechender Dunkelheit vom Felde heim, und Frik hatte den landesüblichen Gruß unterwegs mit niemand wechseln können. Als die Herde den Durst gestillt hatte, wollte er gerade ins Tal hinunter abbiegen, als an dem Knie, das die Sil fünfzig Schritte stromab bildet, ein Mann sichtbar wurde.

»Heda, Freund!« rief er dem Hirten zu.

Es war einer von den Händlern »von draußen«, die auf den Komitatsmärkten herumziehen und in den Städten und Flecken, bis in den bescheidensten Dorfschaften zu finden sind. Sich zu verständigen bereitet ihnen keine Schwierigkeit, denn sie reden in allen Zungen. War der Mann, der sich jetzt Frik zeigte, ein Italiener, ein Sachse, oder Walache? niemand hätte es sagen können, aber Jude war er, polnischer Jude, groß, hager, mit Hakennase, Spitzbart, vorspringender Stirn, lebhaften Augen.

Es war ein Hausierer, der mit Brillen, Thermometern, Barometern und kleinen Uhren handelte. Was nicht in dem Kasten steckte, den er an starken Achselgurten über den Schultern trug, hing an seinem Halse und seinem Gürtel. Es war ein richtiger wandelnder Kramladen.

Dem Juden mochte wohl der Respekt, vielleicht auch die heilsame Scheu fehlen, die ein Schäfer einflößt. Darum grüßte er Frik mit der Hand. Dann fragte er auf rumänisch, in jener Mischsprache aus Latein und Slavisch, mit fremdem Accent:

»Geht alles gut und nach Wunsch, Freund?«

»O ja, wie die Witterung kommt,« entgegnete Frik.

»Also war es heute recht, denn die Witterung ist ja gut.«

»Und morgen wird's unrecht sein, denn es wird Regen setzen.«

»Regnen wird's?« rief der Hausierer – »gibt's bei Euch zulande Regen ohne Wolken?«

»Die Wolken werden in der Nacht kommen, von dort unten her, aus der schlimmen Bergecke.«

»Woran seht Ihr das?«

»An der Wolle meiner Schafe, die fest und trocken ist wie gegerbtes Leder.«

»Schlimme Aussicht für Leute, die auf der Heerstraße zubringen müssen –«

»Aber gute Aussicht für Leute, die in ihren vier Pfählen geblieben sind.«

»Da muß man über vier Pfähle gebieten können, Schäfer.«

»Habt Ihr Kinder?« fragte Frik.

»Nein.«

»Seid Ihr verheiratet?«

»Nein.«

Frik stellte diese Fragen, weil das dortzulande Brauch ist, an Leute, die man trifft, diese Fragen zu stellen. Dann fragte er weiter:

»Woher, Hausierer?«

»Aus Hermannstadt.«

Hermannstadt gehört zu den Hauptplätzen Siebenbürgens. Von da aus kommt man in das Tal der ungarischen Sil, das bis zu dem Flecken Petroseny hinabreicht.

»Wohin, Hausierer?«

»Nach Klausenburg.«

Wer nach Klausenburg will, braucht bloß in der Richtung des Maros-Tals weiter zu wandern; über Karlsburg, entlang den Ausläufern des Bihar-Gebirges, erreicht er dann die Hauptstadt des Komitats. Ein Weg von etwa 20 Meilen oder 150 Kilometern.

Solche Hausierer mit optischer Ware, Thermo-, Barometern und dergleichen, wecken immer den Gedanken an Wesen besonderer Art, von einem Gepräge à laE. T. A. Hoffmann. Das liegt an ihrem Handwerk. Sie schachern mit Wetter in all seinen Formen: mit dem Wetter, das herrscht, mit dem Wetter, das vorbei ist, mit dem Wetter, das kommt, wie andere Hausierer mit Korb-, Leinen- oder Strickware schachern. Landreisende für das Haus Saturn und Kompagnie, Schutzmarke Stundenglas, könnte man sie nennen. Einen ähnlichen Eindruck mochte wohl auch der Jude auf den Schäfer machen, der nicht ohne Verwunderung auf diesen Kram von Dingen blickte, die neu für ihn waren und deren Zweck und Bestimmung er nicht kannte.

»Heda, Hausierer,« fragte er, den Arm ausstreckend, »wozu braucht man denn den Krimskrams, der an Eurem Gürtel baumelt wie die Knochen eines armen Sünders am Galgen?«

»Das sind Sachen gar teuer und von Wert,« antwortete der Fierant, »Sachen, die von Nutzen sind für jedermann.« »Für jedermann?« rief Frik, mit den Augen blinzelnd – »auch für Schäfer?«

»Auch für Schäfer.«

»Und das Ding da –?«

»Das Ding,« antwortete der Jude, indem er einen Thermometer zwischen den Fingern tanzen ließ, »sagt Euch, wenn wir warme oder kalte Witterung bekommen.«

»Ei, Freund, das weiß ich allein, wenn ich unter meinem Schaffell schwitze oder unter meinem Flauskittel friere.«

Offenbar mußte das für einen Schäfer genügen, der sich um das Warum? der Wissenschaft den Kopf nicht beschwerte.

»Und die große Knarre dort mit dem Zeiger?« fragte Frik weiter, auf ein Aneroid-Barometer zeigend.

»Das ist keine Knarre, sondern ein Instrument, das angiebt, ob es morgen schön sein wird oder regnen –«

»Wirklich?«

»Wirklich!«

»Schön,« versetzte Frik – »ich dankte aber dafür, und wenn es bloß einen Kreuzer kostet. Ich brauche doch bloß die Wolken anzusehen, ob sie im Gebirge schleichen oder über die Gipfel ziehen, wenn ich wissen will, was für Wetter wir in 24 Stunden haben werden. Ihr seht doch, z. B. den Nebel dort, der aus dem Erdboden zu steigen scheint? Nun, wie gesagt, der bedeutet, daß wir morgen Wasser bekommen.«

Frik der Schäfer, als Wetterkundiger von Geburt an, konnte sich freilich eines Barometers entschlagen.

»Ob Ihr eine Uhr braucht, darf man wohl gar nicht fragen?« fuhr der Hausierer fort.

»Eine Uhr? – ich habe eine Uhr, die ganz von selber läuft, die mir über dem Kopfe hängt: dort oben die Sonne. Wenn sie über der Spitze des Roduk steht, haben wir Mittag, und wenn sie durch das Egelt-Loch guckt, ist es um sechs. Das wissen meine Schafe so gut wie ich und meine Hunde so gut wie ich und meine Hunde so gut wie meine Schafe. Behaltet also Euren Plunder!«

»Na, das muß man sagen,« antwortete der Hausierer, »hätte ich bloß Schäfer zu Kunden, so möchte es mir schwer fallen, Geld zu machen. Ihr braucht also nichts?«

»Gar nichts.«

Was der Jude an Ware führte, war übrigens Ramsch von durchweg geringem Wert und mittelmäßigen Fabrikats; die Barometer stimmten weder wenn sie auf Schön, noch wenn sie auf Regen, sondern meist nur, wenn sie auf Veränderlich zeigten. Die Uhrenzeiger wiesen zu lange Stunden oder zu kurze Minuten usw. Der Schäfer mochte das ahnen und bezeigte keine große Lust, als Käufer zu erscheinen. Indessen griff er noch, gerade als er den Stecken zum Weitergehen hob, auf etwas, das wie eine Röhre aussah und am Hosenträger des Hausierers hing.

»Wozu wird denn die Röhre gebraucht?«

»Das ist keine Röhre.«

»Also ein Feuerrohr?«

Der Schäfer meinte damit eine von den alten Steinschloßflinten, die in der siebenbürgischen Gegend noch zu Hause sind.

»Nein,« versetzte der Jude, »ein Fernrohr.«

Es war ein gewöhnliches Fernrohr, das die Gegend um das Fünf- bis Sechsfache vergrößert oder, was auf dasselbe hinausläuft, um soviel näher rückt.

Frik hatte das Fernrohr losgemacht, beguckte es, betastete es, drehte es nach allen Seiten und von oben nach unten und schob die Zylinder übereinander. Dann wiegte er mit dem Kopfe und fragte:

»Ein Fernrohr?«

»Jawohl, Schäfer, und ein sehr gutes Fernrohr, aus einer der ersten Fabriken, das Euch den Blick verlängert ins Endlose.«

»O, ich habe gute Augen, Freund! bei hellem Wetter erkenne ich die hintersten Felsen bis zur Kuppe des Retjesat und die letzten Bäume in den Talschluchten des Vulkan.«

»Ohne Blinzeln?«

»Ohne Blinzeln. Das dank ich dem Tau, wenn ich vom Abend bis zum hellen Morgen unter freiem Himmel schlafe. Nichts macht die Augen so rein und so hell wie der Morgentau.«

»Was – der Morgentau?« fragte der Hausierer – »der muß doch blind machen –«

»Die Schäfer nicht!«

»Mag sein. Aber wenn Ihr auch gute Augen habt, so sind meine doch besser, wenn ich durch mein Fernrohr sehe.«

»Das käme auf die Probe an.«

»Guckt doch mal durch.«

»Ich?«

»Probiert's mal!«

»Kostet das auch nichts?« fragte Frik, von Natur höchst mißtrauisch.

»Gar nichts – solange Ihr mir das Ding nicht abkauft.«

In dieser Hinsicht beruhigt, nahm Frik das Fernrohr, das der Hausierer für sein Auge passend einstellte, kniff das linke Auge zu und setzte das Glas auf das rechte.

Zunächst blickte er in der Richtung des Vulkansattels, zum Plesa hinauf. Dann hielt er das Fernrohr tiefer und richtete es auf die Dorfschaft Werst.

»Hm, hm,« machte er, »das stimmt! das Ding reicht weiter als mein Auge. Dort läuft die große Straße. Ich sehe Leute. Dort kommt Nik Deck, der Waldhüter, von seinem Wege heim, mit dem Rucksack auf dem Buckel und dem Gewehr über der Schulter –«

»Ich habe es Euch doch gesagt!« rief der Jude.

»Gewiß, das dort ist Nik, leibhaftig!« fuhr der Schäfer fort – »und wer ist die Dirne, die aus Koltzens Hause tritt im roten Rock und schwarzen Mieder, als wenn sie auf ihn zulaufen wollte?«

»Seht nur durch das Rohr, Schäfer, und Ihr erkennt die Dirne so genau wie den Burschen –«

»Richtig, jetzt sehe ich sie – das ist ja Miriota, die schöne Miriota! Ach, das verliebte Volk! na, diesmal mögen sie sich vorsehen, denn jetzt habe ich sie wörtlich auf dem Rohre, und mir kann von ihrem zärtlichen Getue nicht das geringste entgehen.«

»Hm, was sagt Ihr nun zu meinem Dinge?«

»O! o! – daß es den Blick tüchtig weitet, sehr tüchtig!«

Wenn Frik noch nie vorher durch ein Fernrohr geguckt hatte, so mußte wohl das Dorf Werst verdienen, unter die weltfremdesten Menschen-Asyle des Komitats Klausenburg eingeordnet zu werden. Daß dem auch so war, und nicht anders, wird man bald merken.

»Na, Schäfer,« nahm der Fierant wieder das Wort, »visiert doch noch einmal! über Werst hinaus – das Dorf liegt viel zu nahe – visiert darüber hinaus – weit darüber hinaus, sage ich Euch!«

»Kostet das auch noch nichts?«

»Auch noch nichts!«

»Schön! also mal nach der ungrischen Sil hinüber – richtig! da ist der Kirchturm von Liwadsel – ich erkenne ihn an einem Kreuze, dem der eine Arm fehlt. Und darüber hinaus, im Tal zwischen den Tannen seh ich den Kirchturm von Petroseny mit seinem blechernen Wetterhahn, der den Schnabel aufreißt, als wollte er seinen Hühnerschwarm zu sich rufen – und dort unten der Turm, der zwischen den Bäumen vorguckt? das muß der Turm von Petrilla sein! Aber, Hausierer,« sagte der Schäfer, wärmer werdend, »wartet doch, wenn sich am Preise noch immer nichts ändert?«

»Noch immer nichts!«

Frik drehte sich nun nach dem Orgall-Plateau herum, verfolgte mit dem Fernrohr den düstern Waldvorhang, der über den Abhängen des Plesa-Gebirges hing, und nahm den in der Ferne liegenden Schattenriß der Burg in das Sehfeld seines Fernrohrs.

»Richtig,« rief er, »der vierte Zweig liegt am Boden – ich habe ganz richtig gesehen – und aufheben wird ihn keiner, um ihn zum Sankt Johannistage als Staatsfackel zu nehmen – nein, niemand! nicht einmal ich selber – das hieße Kopf und Kragen riskieren! aber setzt Euch nicht in Ungelegenheiten! einer ist da, der ihn heute nacht noch in seinen Höllenmeiler schieben wird – das ist der Schort!«

Mit »Schort« ruft oder beschwört man im Siebenbürgerlande den Teufel. Vielleicht hätte der Jude, der doch nicht aus Werst stammte, also nicht verstehen konnte, was der Schäfer mit dem Worte meinte, um Erklärung gebeten, aber plötzlich rief Frik mit einer Stimme, in der sich Schrecken und Staunen mischte:

»Was ist denn das? über dem Lugturm steigt Nebel auf? – Ist denn das Nebel? – Nein, Rauch ist's, Rauch! – Aber das kann ja nicht sein – seit Jahr und Tag raucht doch im Schlosse kein Schlot mehr!«

»Wenn Ihr da draußen Rauch seht, Schäfer, so wird's schon Rauch sein.«

»Nein, Hausierer, nein! es muß Schmutz am Glase von Eurem Rohre sein.«

»Wischt es doch ab!«

»Und wenn –?«

Frik kippte das Fernrohr von oben nach unten, rieb und putzte das Glas mit seinem Schaffell und hob es wieder vor das Auge.

Es war wirklich Rauch, der sich über dem Lugturm in die ruhige Luft emporschlängelte und seinen Schweif im Höhendunst verlor.

Frik stand, ohne ein Glied zu rühren, ohne ein Wort zu sprechen. All seine Aufmerksamkeit richtete sich auf das Schloß, über das die vom Orgall-Plateau heraufsteigende Finsternis ihre Schatten zu werfen begann.

Plötzlich ließ er das Fernrohr sinken, griff mit der Hand in den Quersack unter seinem Schaffell und fragte:

»Wieviel kostet das Ding?«

»Anderthalb Gulden,« antwortete der Hausierer.

Er hätte das Fernrohr um einen Gulden hingegeben, bei der geringen Kauflust, die Frik an den Tag gelegt hatte. Aber der Schäfer feilschte nicht. Sichtlich unter der Gewalt einer ebenso jähen wie unerklärlichen Verblüfftheit griff er mit der Hand in seinen Quersack und langte das Geld heraus.

»Kauft Ihr das Fernrohr für Euch selbst?« fragte der Hausierer.

»Nein – für meinen Dienstherrn, den Ortsschulzen –«

»Koltz?«

»Ja –«

»Na, der gibt Euch das Geld ja wieder –«

»Versteht sich – die zwei Gulden, die es mich kostet –«

»Was? zwei Gulden?«

»Na, gewiß! – aber nun, gute Nacht, Freund!«

»Gute Nacht, Schäfer!«

Frik pfiff seinen Hunden, trieb seine Herde weiter und marschierte schnellen Schrittes den Abhang hinauf, auf dem sich Werst entlang zog. Der Jude sah ihm kopfschüttelnd nach mit einer Miene, als wenn er seinen Augen nicht traute.

»Hätte ich gewußt,« murmelte er, »daß er sich bezahlen läßt zwei Gulden für das Fernrohr, so hätte ich es ihm nicht verkauft zu so billigem Preise.«

Dann rückte er Leibgurt und Achselriemen zurecht, brachte die daran hängenden Gegenstände in Ordnung und schlug den Weg rechts am Sil-Ufer hinunter nach Karlsburg ein.

Wohin? Das hat keinen Belang. Er spielt in dieser Erzählung keine Rolle mehr und wird nicht wieder auftreten.


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