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In diesem Augenblick öffnete ein zum Tode kranker und abgezehrter Mann die Thüre des Häuschens und schleppte sich mühsam auf dem Eise weiter.
Es war Ludwig Cornbutte.
»Mein Sohn!«
»Mein Geliebter!«
Diese beiden Rufe ertönten zu gleicher Zeit, dann sank Ludwig Cornbutte besinnungslos vor Aufregung und Freude seinem Vater in die Arme. Man trug ihn in die Hütte, und nach vielen Bemühungen kam er wieder in's Leben zurück.
»Mein Vater! Marie!« rief Ludwig Cornbutte. »So sehe ich Euch noch ein Mal wieder, bevor ich sterbe!«
»Du wirst nicht sterben!« sprach Penellan; »Deine Freunde sind gekommen, um Dich zu retten.«
André Vasling mußte einen grimmen Haß gegen den jungen Kapitän hegen; er konnte sich nicht entschließen, ihm die Hand zu reichen.
Pierre Nouquet wußte sich vor Freude nicht zu lassen, er umarmte Einen nach dem Andern, und dann warf er so viel Holz in den Ofen, daß bald eine behagliche Temperatur in der Hütte herrschte.
Hier befanden sich noch zwei Menschen, die weder Johann Cornbutte noch Penellan bekannt waren, nämlich Jocki und Henning, die beiden einzigen norwegischen Matrosen von der Mannschaft des Froöern, die noch übrig geblieben waren.
»Meine Freunde! mein Vater! Marie! wir sind also gerettet!« sagte Ludwig Cornbutte tief bewegt. »Wie vielen Gefahren habt Ihr Euch unsertwegen ausgesetzt!«
»Wir bereuen es nicht, mein lieber Sohn,« sprach Johann Cornbutte; »Deine Brigg, die Jeune-Hardie, liegt solid im Eise, sechzig Meilen von hier vor Anker, und wir Alle wollen uns dorthin begeben.«
»Wie wird sich Cortrois freuen, wenn er wiederkommt«, begann nach einer kleinen Pause Pierre Nouquet.
Auf diese Worte folgte ein trübes Schweigen, und dann theilte Penellan den Freunden mit, wie er den armen Matrosen gefunden hatte.
»Ich glaube, daß wir am Besten thun, hier so lange zu warten, bis die Kälte abnimmt; vorausgesetzt nämlich, daß Ihr mit Lebensmitteln und Holz, versehen seid?« schlug Penellan vor.
»Darum keine Sorge! außer unsern Vorräthen können wir auch noch verbrennen, was vom Froöern übrig ist!«
Der Froöern war vierzig Meilen von der Stelle, wo Ludwig Cornbutte seinen Ueberwinterungsplatz eingerichtet hatte, von den Eisschollen, die beim Thauen in Bewegung geriethen, zertrümmert, und die armen Seeleute wurden mit einem Theil der Schiffsüberreste, aus denen sie später ihre Hütte erbauten, auf das südliche Ufer der Insel Shannon getrieben.
Der Schiffbrüchigen waren damals fünf an der Zahl, nämlich Ludwig Cornbutte, Cortrois, Pierre Nouquet, Jocki und Herming. Die übrige Mannschaft des Norwegers war bei dem Schiffbruch untergegangen.
Sobald Ludwig Cornbutte sah, daß die Eisfelder, auf die er geschleudert war, sich wieder um ihn her schlossen, traf er alle Vorkehrungen, um den Winter in diesen Breiten der furchtbarsten Kälte zubringen zu können. Er war ein sehr energischer und außerordentlich muthiger Mann, aber trotz seines festen Charakters und seiner kräftigen Konstitution hatte er dem entsetzlichen Klima fast erliegen müssen und sah einem nahen Tode entgegen, als sein Vater ihn wiederfand. Er mußte übrigens nicht nur gegen die Elemente, sondern auch gegen die Böswilligkeit der norwegischen Matrosen ankämpfen, obgleich Letztere ihm doch ihr Leben verdankten. Sie waren so wild und uncultivirt, daß auch die natürlichsten Gefühle bei ihnen keine Stätte fanden. Sowie daher Ludwig Cornbutte Gelegenheit fand, unter vier Augen mit Penellan zu sprechen, warnte er ihn vor den beiden Norwegern und rieth ihm, ein wachsames Auge auf sie zu haben. Penellan dagegen theilte Ludwig mit, welch zweideutiges Benehmen sich Vasling seit Cornbutte's Verschwinden hatte zu Schulden kommen lassen, und wies auf seine Bemühungen um Marien's Hand hin. Der junge Kapitän setzte jedoch großes Vertrauen auf den Obersteuermann und wollte diesen Anklagen keinen Glauben schenken.
Der ganze nun folgende Tag wurde der Ruhe und der Freude des Wiedersehens gewidmet; Fidèle Misonne und Pierre Nouquet erlegten in nächster Nähe des Hauses, von dem sie sich nicht weit entfernen wollten, einige Seevögel, und bald hatte Marie ein so schönes kräftiges Gericht davon bereitet, daß in die Adern der ganzen Gesellschaft wieder neuer Lebensmuth und neue Kraft strömten. Auch das kräftig geschürte Feuer trug viel dazu bei, eine merkliche Besserung im Zustande der Kranken herbeizuführen. Kurz, es war dies der erste Freudentag, der den Armen zu Theil wurde, und sie feierten ihn mit voller Hingebung in dieser elenden Hütte, die sechshundert Meilen weit im nördlichen Eismeere lag, und während draußen eine Kälte von dreißig Grad herrschte.
Diese Temperatur dauerte bis zum Neumond an, so daß die Gesellschaft erst am 17. November, also acht Tage nach ihrer Vereinigung mit Ludwig Cornbutte und seinen Gefährten, aufbrechen konnte. Sie vermochten sich jetzt nur nach den Sternen zu orientiren; der Frost war weniger scharf, und es schneite sogar.
Bevor die Seeleute ihre Rückreise antraten, erfüllten sie noch die traurige Pflicht, ihren armen Kameraden Cortrois zu beerdigen, und war dies für Alle eine erschütternde Ceremonie. Ein Jeder sagte sich, daß er, wenn auch der Erste, nicht der Einzige sein würde, der die Heimat nicht wiedersähe.
Der Zimmermann Misonne hatte aus den Brettern der Hütte eine Art Schlitten zusammengestellt, der ihnen zum Transport der Vorräthe dienen sollte und von den Matrosen abwechselnd gezogen wurde. Johann Cornbutte lenkte den Marsch auf den bereits zurückgelegten Wegen, und wenn die Ruhezeit kam, wurde das Lager mit großer Schnelligkeit organisirt. Der alte Seemann hoffte zuversichtlich, daß er seine Proviant-Depots wieder antreffen würde, denn diese waren bei einem Zuwachs der Gesellschaft von vier Personen unumgänglich nöthig geworden.
Wirklich zeigte sich ihnen das Glück günstig genug, um sie wieder in Besitz ihres Schlittens zu bringen, auf dem sich noch Lebensmittel in reicher Menge befanden. Die Hunde hatten zur Stillung ihres Hungers die Riemen gefressen und sich dann an die Vorräthe auf dem Schlitten gemacht, die sie bis jetzt zurückgehalten.
Die Truppe nahm nun ihren Weg nach der Ueberwinterungsbai wieder auf, die Hunde wurden vor den Schlitten gespannt, und so kam die Expedition ohne weiteren Unfall an ihr Ziel.
Zum geheimen Schrecken Ludwig Cornbutte's und Penellan's schien es jedoch, als sei ein Keim der Zwietracht in die kleine Gesellschaft gefallen; Aupic, André Vasling und die beiden Norweger hielten sich fast immer allein, wurden jedoch ohne ihr Wissen genau beobachtet und überwacht.
Endlich, am 7. December, zwanzig Tage nach ihrer Wiedervereinigung, bemerkten sie die Bai, in der die Jeune-Hardie überwinterte; wie groß war aber ihr Erstaunen, als sie fanden, daß die Brigg vier Meter hoch in der Luft auf Eisblöcken schwebte.
In lebhafter Sorge um die zurückgebliebenen Gefährten eilten sie herzu und wurden von Gervique, Turquiette und Gradlin mit lautem Freudengeschrei empfangen. Sie Alle befanden sich bei guter Gesundheit, hatten jedoch gleichfalls schwere Gefahren bestanden.
Der furchtbare Sturm mußte das ganze Polarmeer durchwüthet und aufgewühlt haben; die Eisschollen waren zertrümmert, verschoben und, indem sie unter einander glitten, hatten sie das Eisbett, in dem die Jeune-Hardie ruhte, erfaßt; da nun ihr specifisches Gewicht sie über die Oberfläche des Wassers hinaustrieb, hatten sie eine unberechenbare Gewalt erlangt, und so fand man die Brigg plötzlich so hoch über das Meer hinausgehoben.
Mit welcher Freude begrüßten die Rückkehrenden das Schiff, die Kameraden und die in gutem Zustande befindliche Einrichtung auf der Brigg; sie konnten jetzt einem, wenn auch rauhen, so doch erträglichen Winter entgegensehen. Durch die Erhöhung hatte das Schiff nicht gelitten, es war vollkommen fest und solide und brauchte nur, wenn die Jahreszeit des Thauens gekommen war, auf einer geneigten Ebene in's Wasser hinabzugleiten.
Aber eine böse Nachricht trübte die sonst so frohe Stunde des Wiedersehens und erfüllte Johann Cornbutte und seine Gefährten mit Schrecken. Der furchtbare Orkan hatte das Schneemagazin gänzlich zerschmettert und die darin enthaltenen Lebensmittel nach allen Seiten verstreut und mit fortgerissen, so daß auch nicht der kleinste Theil davon gerettet worden war. Sobald Johann Cornbutte diese schlimme Kunde erfuhr, durchforschte er mit Hilfe seines Sohnes die Kombüse der Brigg, um sich zu vergewissern, wie viel Vorräthe noch vorhanden, und wie sie einzutheilen seien.
Das Thauen konnte erst mit dem Monat Mai eintreten, und bis dahin mußte das Schiff in der Ueberwinterungsbai verbleiben; man hatte jetzt also noch fünf Wintermonate inmitten der Eisfelder zuzubringen und während dieser Zeit vierzehn Personen zu ernähren. Nach genau angestellter Berechnung kam der alte Seemann zu dem Resultat, daß er allerhöchstens mit dem Proviant bis zum Augenblick der Abfahrt reichen konnte, und dies auch nur, wenn die Mannschaft von jetzt an auf halbe Ration gesetzt würde. Die Jagd mußte also zu Hilfe genommen werden, um reichlichere Nahrung herbeizuschaffen.
Aus Furcht, daß ein ähnliches Unglück sich wiederholen könnte, beschloß man, keine Vorräthe wieder am Lande zu deponiren, und Alles blieb an Bord der Brigg. Für die neuen Ankömmlinge wurden Betten in dem gemeinsamen Matrosenlogis aufgeschlagen. Die zurückgebliebenen Seeleute hatten die Zeit der Abwesenheit ihrer Gefährten dazu benutzt, um eine Treppe in's Eis zu hauen, auf der man bequem bis zum Schiffsverdeck hinauf gelangen konnte.