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Schon seit mehreren Wochen herrschte ein eintöniges Leben auf der Mürlenbacher Burg. Burkhardt, der Vogt von Prüm, hielt mit seinen zahlreichen, aber wenig tüchtigen Scharen in Sarbodesdorf und weiter talabwärts in Densborn. Waltram dagegen hatte sich, ohne mit Burkhardt lange Verhandlungen zu pflegen, in Wallersheim, einem Besitz des Grafen, zwischen Mürlenbach und Prüm gelegen, eingenistet, zwang den Bauern einen hohen Zins ab, vollbrachte allerhand Gewalttat und nötigte durch kühne Züge gegen Mürlenbach die Besatzung zu großer Vorsicht.
Die Mönche von Prüm aber, die sich auf seine Beihilfe bei der Niederwerfung Rotmars angewiesen sahen, drückten wegen der Vertreibung Gibbichs ein Auge zu, ließen sich auch die eine oder andere Räuberei gegen ihre eigenen Leute gefallen und hofften nach der Zerstörung der Mürlenbacher Burg auch mit ihrem ungefügigen Vasallen Waltram abrechnen zu können.
Weil aber zu jeder Stunde ein Angriff des Gegners erfolgen konnte, mußte Rotmar seine Männer möglichst in der Burg halten und konnte nur kleine Streifereien zum Schutze der nächsten Dörfer gestatten. Wirklich für seine Bauern einzutreten, das war ihm dadurch, daß er zwischen drei Feuern saß, unmöglich gemacht. Die Menge der Burgleute zehrte auch bedenklich an den Vorräten, die Kost begann schon knapp zu werden, das Bier war aufgebraucht, und an Stelle eines ganzen Kruges Wein gab es nur einen halben; aber auch in die Krippen der Streitrosse konnte nicht mehr soviel Futter wie vorher geschüttet werden.
Viele von den Bauern aus den nächsten Niederlassungen hatten, um der drohenden Brandschatzung durch Waltram zu entgehen, ihre Stalltiere und den anderen Besitz in die Wälder geflüchtet und führten mit ihren Angehörigen draußen bei den Lagern der Roß- und Schweinehirten im wilden Forst ein unstetes Leben. Da sah man an manchen Stellen des Salm- und Kyllwaldes Rauch von Lagerfeuern aufsteigen, wo sonst nur die schwarzen Keiler sich sielten und der Wolf streifte.
Wohl suchte Rotmar, durch seinen fröhlichen, alten Waffenmeister unterstützt, täglich neue Arbeiten zu erfinden für seine der Ruhe ungewohnten Kriegsleute. So wurde durch rohes, ungefüges Mauerwerk der Wall an der Bergseite verstärkt, während die drei anderen Seiten, die durch den steil abfallenden Fels, auf dem sie standen, genügend geschützt schienen, nicht beachtet wurden. Auch hielt man allerhand Werkzeug bereit, um einem Sturm entgegen zu arbeiten: Stangen mit eisernen Widerhaken, um Leitern, die an den Wall gelegt würden, zurückzustoßen, und breite, plattenförmige Schilde, die einen ganzen Mann deckten. Auch die beiden Wurfmaschinen wurden hervorgesucht, um brennende Reisigbündel und Steine in die Vorrichtungen der Stürmenden zu schleudern. Pfeile wurden mit harzgetränktem Werg umwickelt, damit sie als Brandpfeile dienen könnten.
Manch ein unwilliges Murren wurde bei den Burgmannen laut, wenn sie mit einer Last Steine, die sie zur Verteidigung oben auf die Mauergalerie an der Bergseite trugen, an der dicken, roten Steinsäule sich vorbeidrücken mußten, die dort an den Zinnen mitten im Wege stand. Eine alte Sage erzählte, daß Karl der Große einmal, todmüde von einem Jagdzuge auf Burg Mürlenbach einkehrend, vom Burgherrn, seinem Vetter, wegen seiner Erschöpfung verspottet worden sei. Da habe der große Karl, um zu beweisen, daß er noch rüstig sei, diese Säule, die noch von Römerzeiten her im Hofe lag, ergriffen und nach oben getragen. Kein anderer hatte sie von der Stelle rühren, geschweige denn fortschleppen können; so stand sie noch damals auf dem Mauergange. Etmar, der Vater, Rotmar selbst und Isenbrandt hatten sich oft an der wuchtigen Last vergeblich versucht, aber der richtige Nachfolger des starken Kaisers hatte sich noch nicht gefunden; wohl aber zerspellte manch Schimpfwort an dem störenden Stein.
In den Tauwind war schon vor einer Woche wieder Schnee gefallen, nur wenig davon war, halb geschmolzen, liegen geblieben, dann aber hatte wieder ein klares Frostwetter begonnen.
An der Zinne des Hauptturms hatte sich Dankwart, der Wächter, einen niedrigen Unterschlupf von Holz und Reisigbündeln gebaut; fast Tag und Nacht wanderte er dort auf und ab und hielt auf die Burg und ihre Umgebung ein wachsames Auge. Schon mehrmals in den letzten Tagen hatte sein Horn den Warnruf über die Burg erschallen lassen, wenn sich oben auf dem Hardtberg ein verdächtiges Waffenblitzen zeigte oder am Waldrand, dem Berge gegenüber, Männer aufzutauchen schienen. Mit ein paar Sprüngen die steile Holztreppe hinauf war dann Rotmar, der in der obersten Turmstube wohnte, bei ihm und musterte die Gefahr.
So hielt auch heute wieder Dankwart sorgfältige Umschau, während im Gemach darunter der junge Graf saß, den Kopf auf die Hand gestützt, traurig vor sich hersinnend. Er dachte an manchen schönen Tag der Gastfreundschaft, die er im Kloster Prüm genossen hatte, an manche fröhliche Jagd mit Burkhardt zusammen; er dachte daran, wie er sich auf Waltrams drängenden Rat so schnell entschlossen, ohne weiteres die vom König ihm geschenkten Güter dem Kloster wegzunehmen, alles das ging ihm durch den Kopf, aber immer wieder blieben seine Gedanken bei Hildegard. Aus einem Ledertäschchen zog er die beiden Teile des Ringes hervor, paßte sie aneinander und sann, warum das alles so gekommen sei.
Da störten ihn zwei schnelle Hornstöße Dankwarts aus seinen Betrachtungen auf.
Noch ehe er oben war, rief der Wächter ihm atemlos entgegen: »Eine Frau hält vor dem Tore, ganz allein auf einem Zelter.«
Einen Blick warf Rotmar hinunter, die Gestalt auf dem Rosse war vermummt, aber das Roß erkannte er, das war Hildegards Pferd. Mit großen Sprüngen eilte er die Holz- und Wendeltreppe hinunter, nicht schnell genug öffneten die Mannen ihm die schweren, knirschenden Torflügel, er eilte, als sie endlich offen standen, der einsamen Reiterin entgegen, ein Knecht nahm die Zügel des Pferdes, Hildegard sprang ab, und nun standen sich die beiden wortlos gegenüber.
Lange blieben ihre beiden Hände verschlungen, dann sprach Rotmar leise: »Hildegard!«
Mit Mühe nur brachte er den Namen über die Lippen. Da aber löste sich des Grafen Zunge, und er fuhr atemlos schnell fort: »Hildegard, namenlos Leid hast du mir bereitet mit dem Geschenke, das du mir durch den Blinden schicktest!«
»Wie konnte ich dir Leid bereiten, Rotmar, da ich dem Blinden, den Hug von Lothringen meinst du wohl, kein Geschenk mitgab? Eins habe ich dir geschenkt, und das ist mein Herz in dieser schweren Zeit, und das wirst du wohl nicht verachten.«
»Aber hier,« rief Rotmar dazwischen und riß die Ledertasche mit dem zerbrochenen Kleinod hervor.
»Das ist ja mein Ring,« rief Hildegard, »wer hat es gewagt, ihn zu zerbrechen?«
»Zerbrochen brachte ihn Hug der Blinde als einen letzten Gruß von dir.«
Da sprühte der helle Zorn aus Hildegards Augen, und sie schrie fast: »So ist Hug ein Ehrloser und Lügner, listig hat er mir den Ring gestohlen und lügnerische Botschaft dazu gesagt. Wie könnt ich an den Ring rühren, den Rotmar mir gab?«
Und dann erzählte sie mit schnellen Worten ihre Begegnung mit dem Blinden am Heiligenstein. Als Rotmar aber das Anerbieten des Prümer Gesandten, Hilfe zu holen, und seine seltsame Flucht von Mürlenbach berichtete, unterbrach ihn Hildegard: »Und seit jenen Tagen, Rotmar, so hörte ich gestern von den Mönchen, ist Hug verschollen, und kein Mensch weiß, wohin er sich gewandt hat; wenn er nur nicht schreckliche Kriegsnot auf uns alle herabzieht, auf dich, das Kloster und uns. Daß er etwa zum Grafen im Hennegau geht oder sonst zu einem Großen, der uns überrumpelt. Nicht umsonst hat Gibbich, der fromme Seher, Unheil verkündet.«
Und nun sprach, während Rotmar betroffen ihren Worten nachsann, mit Tränen in den Augen Hildegard von der Vertreibung Gibbichs durch Waltram, von der Nachgiebigkeit der Mönche und von der unausgesprochenen, heimlich glimmenden Feindschaft zwischen ihrem Vater und dem wilden Bundesgenossen der Mönche.
Rotmar, der sich währenddessen in stummer Freude in ihren Anblick versenkt hatte, sagte unvermittelt: »Wie blaß du aussiehst, wie müd deine Augen, wie bange dein Mund. Aber nun mag kommen, was will, da ich weiß, daß du mein bist, wird meine Burg unbezwinglich sein und ...«
Da unterbrach ihn plötzlich Hildegard: »Nicht kam ich her, um holden Gruß mit dir zu tauschen, das sei besseren Tagen aufgespart, auf die ich hoffe; ich kam, um dich zu warnen. Ich habe eine dienende Magd, die kennt einen von Waltrams Leuten. Heute nacht, ehe der Mond aufgeht, will Waltram deine Burg stürmen.«
»Wachen stehen Tag und Nacht, uns überfällt keiner im Schlaf,« sagte Rotmar lächelnd.
»Nein, nein, an der Talseite liegt in der Mauer eine kleine Tür, nicht viel breiter, als ein Mann spannen kann mit den Armen; stehen auch Wachen an dieser Tür?«
»Wohl achtet ein Mann oben auf die Mauer, an der Tür aber steht keine Wache. Mächtige Eichenbohlen bilden sie, mit handdickem Eisen beschlagen, dabei aber geht der Fels senkrecht in die Tiefe. Wozu täte dort eine Wache gut?«
»Es führt ein Pfad im Felsgebüsch hinauf, Rotmar, an einer hohlen Weide mündet er unten ins Tal.«
Da horchte Rotmar erbleichend auf, während er hastig Hildegards Hand wieder ergriff: »Sprich weiter, Hildegard, nur wenige kennen diesen Pfad.«
»Dies kleine Tor aber hat, so erfuhr ich, Waltram, da er auf Mürlenbach weilte, in den Angeln gelöst; ein leiser Druck genügt, und es schiebt sich beiseite. Da wollen eindringen heute nacht, ehe der Mond scheint, Waltram und die Seinen, nichts weiß Burkhardt, mein Vater, von diesem Sturm; hätte ich ihm Kunde gegeben, dann hätte ich die Nachricht nicht bringen können. Nun sei auf der Hut!«
Mit lauter Stimme rief Rotmar den alten Waffenmeister; Isenbrandt erschien, begrüßte Hildegard ehrerbietig, empfing geflüsterte Weisung und wandte sich schnell mit einigen Knechten auf den gefährdeten Wall zu.
Unterdessen aber war Hildegard schon wieder zu ihrem Zelter geschritten, hatte sich leicht hinaufgeschwungen, und ehe Rotmar ein Wort des Abschieds finden konnte, war sie mit dem Rufe: »Fahr wohl, Rotmar, bis zu einem glücklicheren Tag!« über die dumpftönenden Bohlen der Brücke davongesprengt.
Aber dem Grafen blieb nicht Zeit, lange über das Verschwinden Hildegards und all das, was die letzte Viertelstunde ihm Gutes und Schlimmes gebracht hatte, nachzusinnen; schon kam Isenbrandt herbeigelaufen, ein derber Fluch stob aus feinem Munde: »Wahrhaftig, die Ausfalltüre war in den Angeln gelöst, ein Kind hätte sie umstürzen können, ich will Steine dagegen schütten lassen, auf daß Waltram vergeblich ...«
»Das mit nichten, laß es, wie es ist, das Tor, in den engen Gang soll er kommen, nichts ahnend, da will ich ihn bestehen, den Meineidigen!« rief Rotmar.
Es war diese Türe vor Jahren einmal in die Mauer gebrochen worden, als der Burgbrunnen eine Zeitlang versiegte und der Umweg zum großen Tor über die Zugbrücke zu umständlich schien für die Knechte, die dreimal den Tag unten am Kyllflüßchen Wasser holen mußten. Damals hatte auch Etmar, der Vater des jetzigen Grafen, einen Pfad bahnen lassen, damit die Wasserträger ungefährdet über den Fels hinabsteigen konnten. Wohl war später, als der trockne Sommer vorbei war und der Brunnen sich wieder füllte, dafür Sorge getragen worden, daß der Abstieg vor den Augen der Burgleute zerstört und die kleine Tür vernagelt wurde. Daß der Pfad doch nicht ganz unwegsam gemacht, sondern daß es bei der Möglichkeit, daß die Wassernot sich noch einmal einstellen könnte, nur oberflächlich und auf kurze Strecken geschah, das wußten nur wenige auf der Burg. Daß aber Waltram diesen Aufstieg hatte erspähen können, daran hatte Rotmar niemals gedacht.
Der Abend dunkelte, kein Feuer in den Bergen, kein Lärm ließ ahnen, daß etwas gegen die Burg im Gange sei.
Der Abendbrei war gelöffelt, flüsternd unterhielten sich die Dienstmannen, ehe sie die ihnen von Isenbrandt angewiesene Stellung aufsuchten, über den Anschlag, von dem sie nur Ungewisses erfahren hatten.
Ortrud, die Schaffnerin, horchte auf, und als sie hörte, daß Waltram, der in so aufdringlicher Weise damals, als der Graf in Neroth war, die Burg durchschnüffelt hatte, durch das kleine Tor eindringen wolle, schimpfte sie halblaut vor sich hin, und statt wie sonst die Reste der Abendsuppe für das Vieh in den Zuber zu gießen, setzte sie den zusammengeschütteten Sud wieder auf die Flammen und schürte sie mächtig.
Isenbrandt schaute in die Küche, »welch ein Glück,« sagte die Schaffnerin zu ihm, »daß Ortrud damals Dankwart bestimmte, nur Waltram selbst und drei Kriegsleute herein zu lassen in die Burg; wären die andern dreißig mit eingedrungen, dann säß jetzt hier Waltram im Grafenschloß, dann hätte er schon damals uns niedergemacht.«
»Ja, wenn wir Ortrud nicht hätten,« lachte der Waffenmeister, »aber für wen kochst du denn den brodelnden Brei dort?«
Da glitt die weibliche Köchin wie eine Maus auf den Alten zu, zupfte ihn am Bart, daß er schmunzelte, und sagte geheimnisvoll: »Das geht alte, vorwitzige Topfgucker gar nichts an!«
Laut klang noch Isenbrandts breites, gutmütiges Lachen, als er schon über den Burghof nach der Bergseite ging, sich davon zu überzeugen, daß alle auf dem Posten seien.
Dankwart, in der Dunkelheit, die nun herrschte, oben auf dem Turm überflüssig, hielt mit einigen Kämpfern am großen Haupttor, leise schritten die Männer hin und her auf der Galerie und richteten ihre Aufmerksamkeit gespannt auf das Feld und den Buschrand jenseits des Grabens.
Zu der kleinen Türe führte vom Burghof her ein schmaler Weg zwischen zwei Scheunen; allerhand Gerümpel, zerbrochene Pflüge, zerrissenes Geschirr der Zugtiere und Bündel Brennholz waren in diesem Gange aufgestapelt gewesen, als Isenbrandt vor einer Stunde hinkam. Nun war alles fortgeschafft, und Rotmar mit den besten seiner Streiter hielt in dem Engpaß, Waltram gebührend zu empfangen.
Oben hinter dem Walle an der Talseite hatten sich die Pfeilschützen versteckt, die sollten die Nachdrängenden mit einem Pfeilhagel überschütten und sie derart abhalten, ihrem in dem Engpaß hinter der Pforte eingeklemmten Führer beizustehen.
Endlos dehnte sich eine Stunde nach der anderen, vom Gemäuer des Turmes tönte hin und wieder das unheimliche Schnarchen eines Kauzes, selten schlug im Dorfe Mürlenbach unten ein Hofhund an, die meisten waren wohl ihren Herren in den wilden Wald gefolgt. Langsam bezog sich der Himmel mit Wolken, ein Stern nach dem andern verlöschte hinter der dunklen, schweren Wand.
Zweifel schlichen sich in die Seele Rotmars. Hatte ihn Hildegard getäuscht? Nie können solche Augen lügen, sagte er zu sich, er faßte das Schwert fester und spannte den Arm, er dachte daran, daß er Hildegards Liebe habe, nie verloren habe, und sehnte sich danach, in einem heißen Zweikampf die Freude seines Herzens auszuströmen.
Aber wieder kamen Zweifel. Hatte die Magd vielleicht ihre Herrin getäuscht, absichtlich getäuscht, und drohte vielleicht ein Überfall ganz anderer Art und von anderer Seite der Burg?
Aber die Nägel und Angeln der Pforte waren doch wirklich gelöst. Da riß den Grafen ein leises, schlürfendes Geräusch draußen aus seinen Betrachtungen; herzklopfend horchte er, nun wurde vorsichtig an der Tür geschoben und gehoben, und im dichten Zwielicht konnte man nun erkennen, wie sich mehrere Gestalten hereindrückten.
Als einige eingelassen waren, erhob plötzlich Isenbrandt seinen gellenden Ruf: »Feindio!«
Und Rotmar schrie: »Nun steh, Waltram, du räudiger Hund, daß wir uns messen im Zweikampf!«
Aber mit unterdrücktem Knirschen nur antworteten die Eindringlinge, dem zuletzt Hineingekommenen aber entglitt die Türe und fiel quer vor den Ausgang, nur einen schmalen Spalt freilassend, durch den nur immer einer hinauskonnte. Keiner von den Feinden stellte sich mit der Waffe den Burgleuten entgegen, die Schilde auf den Rücken geworfen, stießen Waltram und seine Begleiter einander mit Fäusten, um den Ausgang zu gewinnen. In den Knäuel der stumm Flüchtenden hieben die Schwerter der Burgmannen ein.
Nun flammten aber auch oben schon Fackeln auf, und Pfeile schwirrten in die Schar der Angreifer, die in langer Reihe den beschwerlichen, engen Pfad hinaufgestiegen waren, jetzt aber durch die plötzliche Flucht der schon Eingedrungenen und das Licht verwirrt, kriechend und springend das Tal zu gewinnen suchten.
Kaum hatte sich der Waffenlärm erhoben, da huschte Ortrud auf den Wall, der große Eimer mit kochender Brühe schwankte in ihrer Hand. »Platz, Männer, Platz!« rief sie, dann schüttete sie den siedenden Inhalt sachverständig auf den Feind, verworrenes Gebrüll antwortete, im schwanken Schein der Fackeln aber erkannte man Waltram, der das zähe, glühende Naß sich von Händen, Armen und Rücken abzustreifen suchte. Auf allen Vieren kroch er abwärts, von Schmerz fast betäubt, gellend aber kreischte er: »Das vergeß ich euch nicht, das werdet ihr büßen!«
Nun kamen auch Männer mit brennenden Kienspänen in den Engpaß zwischen den Scheunen, da lagen drei Knechte Waltrams, zwei waren still schon, der dritte röchelte noch und streckte sich dann auch; in breiten Wunden stand das Blut, die gebrochenen Augen der wilden Gesellen schienen wie erstaunt in das Licht zu starren.
Da warfen die Burgleute die drei Toten den Geflüchteten nach, man hörte, wie die Körper dumpf von Klippe zu Klippe fielen.
In der Burg aber herrschte große Freude über den mißlungenen Angriff; ernst stand Rotmar im Hofe, er fühlte, daß sein Leben und das aller Burgbewohner in Hildegards Hand gewesen, Sorge ergriff ihn jetzt, ob sie auch heil heimgekommen sei. Um seiner Unruhe Herr zu werden, ging er zu den Wachen und überzeugte sich, daß keiner an seiner Stelle fehle.
Isenbrandt aber schritt in die Küche, gab Ortrud die Hand und sagte: »Das hast du gut gemacht, ehrwürdige Schaffnerin, darüber will ich dir den Topfgucker nicht verargen. Wie aber, wenn ich in der Dunkelheit dem Feinde nachgedrungen wäre und ich hätte die Brühe auf den Kopf bekommen?«
»Dann wäre dir ganz recht geschehen, was brauchtest du auch deine vorwitzige Nase zur Tür hinauszustecken? Aber so ist es doch besser,« lachte sie, »sei nicht unlustig, alter Schlecker, komm her, hier hast du einen Krug Würzwein, das ist dafür, daß du so anmutig ›Feindio!‹ geschrien hast, als Waltram in der Falle saß!«