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Was in Amerika geschah
Wir fanden rechts am Wege eine sehr gut gepflegte Wohnstätte. Es war ein niedriges, bequemes und sauberes Haus zwischen einer geräumigen Scheune und einem weiten Stallgebäude, das Ganze von einem Garten umgeben, in dem alle Früchte des Landes wuchsen. Diese Umfriedigung gehörte einem Greise, der uns einlud, an seinem Ruhesitz abzusteigen. Er sah nicht aus wie ein Engländer, und wir erkannten bald an seinem Tonfall, daß er ein Fremder war. Wir legten Anker; stiegen aus; der gute Mann empfing uns herzlich und gab uns das beste Mahl, das man in der Neuen Welt geben kann.
Wir deuteten ihm bescheiden unsern Wunsch an, zu wissen, wem wir diesen guten Empfang zu danken hatten. »Ich bin«, sagte er, »einer von denen, die Sie Wilde nennen; ich wurde auf den Blauen Bergen geboren, die die Gegend begrenzen und die Sie dort im Westen sehen. Eine große abscheuliche Klapperschlange hatte mich in meiner Kindheit auf jenen Bergen gebissen; ich war allein und nahe daran zu sterben. Der Vater des jetzigen Mylord Baltimore fand mich, gab mich in die Hände seines Arztes und rettete mein Leben. Ich konnte ihm bald meine Schuld abtragen, denn ich rettete das seine im Kampfe gegen eine benachbarte Horde. Er gab mir zur Belohnung diese Besitzung, auf der ich glücklich lebe.«
Herr Freind fragte ihn, ob er dieselbe Religion wie Lord Baltimore habe. »Ich!« sagte er; »ich habe meine eigene; warum wollen Sie, daß ich die eines andern Menschen annehme?« Diese kurze, energische Antwort ließ uns nachsinnen. »Sie haben also«, sagte ich, »Ihren eigenen Gott und Ihr eigenes Gesetz?«
»Ja,« antwortete er mit einer Sicherheit, die nichts von Überhebung hatte; »mein Gott ist dort,« und er zeigte auf den Himmel; »mein Gesetz ist hier«, und er legte seine Hand aufs Herz. Herr Freind war von Bewunderung ergriffen. Er drückte meine Hand. »Diese reine Natur weiß mehr«, sagte er, »als alle Bakkalaureusse, die mit uns in Barcelona gestritten haben.«
Es drängte ihn, wenn irgend möglich, etwas Gewisses über seinen Sohn Jenni zu erfahren. Das war die Last, die ihn drückte. Er fragte den Alten, ob er nichts von der Gesellschaft junger Leute wisse, die so viel Lärm in der Gegend gemacht habe. »Wie!« rief der Greis, »ob ich davon weiß! Ich habe sie gesehen, sie bei mir aufgenommen, und sie sind so zufrieden mit meiner Aufnahme gewesen, daß sie mit einer meiner Töchter davongegangen sind.«
Sie können sich den Zorn und den Schrecken meines Freundes bei diesem Gespräch vorstellen. Er konnte sich nicht enthalten, in der ersten Erregung zu rufen: »Wie! Ihre Tochter von meinem Sohne entführt?«
»Guter Engländer,« versetzte der Greis, »rege dich nicht auf; ich bin sehr froh, daß es dein Sohn ist, der mit meiner Tochter abgereist ist, denn er ist schön, wohlgestaltet und scheint mutig. Er hat meine teure Paruba nicht entführt: denn du mußt wissen, sie heißt Paruba, weil auch mein Name Paruba ist. Hätte er sie entführt, wäre es ein Diebstahl; und meine fünf männlichen Kinder, die zur Zeit vierzig bis fünfzig Meilen von hier auf der Jagd sind, würden diese Beleidigung nicht hingenommen haben. Es ist ein großes Verbrechen, fremdes Gut sich anzueignen. Meine Tochter ist aus freiem Willen mit jenen jungen Leuten gegangen; sie wollte das Land kennen lernen: das ist eine kleine Erholung, die man einer Person ihres Alters nicht verweigern darf. Die Reisenden werden sie mir zurückbringen, bevor ein Monat vergeht; ich bin dessen sicher, denn sie haben es mir versprochen.« Diese Worte hätten mich lachen machen, wenn der Schmerz, in den ich meinen Freund versunken sah, nicht meine Seele ergriffen hätte, die ganz damit beschäftigt war.
Am Abend, als wir im Begriff waren, den Wind zu benutzen und abzureisen, kommt ein Sohn Parubas an: außer Atem, bleich, Schrecken und Verzweiflung in seinen Mienen. »Was hast du, mein Sohn, woher kommst du? Ich glaubte dich auf der Jagd; was ist dir geschehen? Bist du von einem wilden Tiere verwundet?«
»Nein, mein Vater, ich bin nicht verwundet, aber ich sterbe.«
»Aber noch einmal: woher kommst du, lieber Sohn?«
»Vierzig Meilen von hier ohne Aufenthalt; aber ich bin am Ende.«
Zitternd läßt der Vater ihn ausruhen. Man gibt ihm Erfrischungen; wir drängen uns um ihn, seine kleinen Brüder und Schwestern, Herr Freind, ich und unsere Diener. Als er wieder bei sich war, warf er sich dem guten Greis Paruba an die Brust. »Ach!« sagte er schluchzend, »meine Schwester Paruba ist Kriegsgefangene und wird wahrscheinlich gefressen werden.«
Der gute Paruba fiel bei diesen Worten zu Boden. Herr Freind, der auch Vater war, fühlte sein Inneres sich umdrehen. Endlich teilte uns Paruba, der Sohn, mit, daß eine Truppe sehr leichtsinniger junger Engländer aus Zeitvertreib die Leute vom Blauen Berge angegriffen habe. »Sie hatten eine sehr schöne Frau und ihre Begleiterin bei sich; ich weiß nicht, wieso meine Schwester sich in dieser Gesellschaft befand. Die schöne Engländerin wurde getötet und gefressen, meine Schwester gefangen und wird ebenfalls gefressen werden. Ich komme, um Hilfe gegen die Bewohner der Blauen Berge zu holen. Ich will sie töten, sie selber fressen, meine teure Schwester wiederbringen oder sterben.«
Nun war es an Herrn Freind, ohnmächtig zu werden; aber die Gewohnheit der Selbstbeherrschung hielt ihn aufrecht. »Gott hat mir einen Sohn gegeben,« sagte er; »er wird den Sohn und den Vater zu sich nehmen, wenn der Augenblick, seine ewigen Beschlüsse auszuführen, gekommen sein wird. Mein Freund, ich bin versucht, zu glauben, daß Gott manchmal nach einer ganz besonderen Vorsehung handelt, die seinen allgemeinen Gesetzen untergeordnet ist, da er in Amerika Verbrechen straft, die in Europa begangen wurden, und weil die verbrecherische Clive-Hart gestorben ist, wie sie sterben mußte. Vielleicht hat der erhabene Schöpfer so vieler Welten die Dinge derart eingerichtet, daß die großen Missetaten, die auf einer Erde verübt wurden, zuweilen auch auf dieser selben Erde gebüßt werden müssen. Ich wage es nicht zu glauben, aber ich wünsche es; und ich würde es glauben, wenn diese Idee nicht gegen alle Regeln der guten Metaphysik ginge.«
Nach solchen traurigen Betrachtungen über das verhängnisvolle Abenteuer, das in Amerika nichts Außergewöhnliches ist, faßte Freind unbeirrt, wie es seine Gewohnheit war, seinen Entschluß. »Ich habe ein gutes Schiff,« sagte er zu seinem Wirt, »es ist gut verproviantiert; wir wollen den Golf hinauffahren, so nahe wie möglich an die Blauen Berge hin. Meine dringendste Aufgabe ist jetzt, Ihre Tochter zu retten. Wir werden zu Ihren früheren Landsleuten gehen. Sie werden ihnen sagen, daß ich ihnen die Friedenspfeife bringe, und daß ich der Enkel Penns sei: dieser Name schon wird genügen.«
Bei dem Namen Penn, den ganz Nordamerika verehrt, empfanden auch der gute Paruba und sein Sohn tiefste Ehrerbietung und größte Hoffnung. Wir schiffen uns ein, gehen unter Segel und nähern uns sechsunddreißig Stunden später Baltimore.
Kaum waren wir in Sicht dieses kleinen, damals beinahe menschenleeren Ortes, als wir von weitem eine zahlreiche Truppe von Bewohnern der Blauen Berge entdeckten, die in die Ebene herabstiegen, mit Keulen, Hacken und jenen Flinten bewaffnet, welche die Europäer so unüberlegterweise gegen Pelzwaren getauscht hatten. Schon hörte man ihr furchtbares Gebrüll. Von einer andern Seite kamen vier Reiter heran, denen einige Mann zu Fuß folgten. Diese kleine Truppe hielt uns für Leute aus Baltimore, die gegen sie kämpfen wollten. Mit verhängtem Zügel, das Schwert in der Hand, sprengen die Reiter auf uns los. Unsere Gefährten rüsteten sich zu ihrem Empfang. Herr Freind, der die Reiter scharf betrachtet hatte, erbebte einen Augenblick; aber seine gewohnte Kaltblütigkeit kam schnell zurück. »Rührt euch nicht, meine Freunde,« sagte er mit bewegter Stimme; »laßt mich allein handeln.« Er geht in der Tat allein, ohne Waffen, mit langsamen Schritten, auf die Truppe zu. Wir sehen den Führer sofort den Zügel seines Pferdes loslassen, sich zur Erde werfen und dort ausgestreckt verharren. Wir stoßen einen Schrei des Erstaunens aus; wir nähern uns; es war Jenni selbst, der die Füße seines Vaters mit Tränen benetzte und mit zitternden Händen umschlang. Keiner von beiden konnte sprechen. Birton und die beiden jungen Reiter, die ihn begleiteten, stiegen von den Pferden. Birton sagte, wie es seinem Charakter entsprach: »Bei Gott! unser teurer Freind! Ich erwartete dich nicht hier. Du und ich, wir sind beide für Abenteuer bestimmt; bei Gott! es freut mich, dich zu sehen!«
Ohne ihn einer Antwort zu würdigen, wandte sich Freind dem anrückenden Heer von den Blauen Bergen zu. Er geht ihnen mit Paruba, der als Dolmetscher diente, entgegen. »Landsleute,« rief Paruba ihnen zu, »hier ist der Nachkomme Penns, der euch die Friedenspfeife bringt.«
Hierauf antwortete der Älteste des Stammes, mit erhobenen Händen und zum Himmel gerichteten Augen: »Ein Sohn von Penn? Laß mich seine Füße, Hände und seine heiligen Zeugungsorgane küssen! Möge er eine lange Reihe von Penns erzeugen! Mögen die Penns ewig leben! Der große Penn ist unser Manitu, unser Gott. Er war beinahe der einzige Europäer, der uns nicht betrog und sich unserer Länder nicht mit Gewalt bemächtigte. Er kaufte das Land, das wir ihm abtraten; er bezahlte es reichlich; er sorgte für Eintracht; er brachte uns Heilmittel gegen die Krankheiten, die der Handel mit Europäern uns beschied; er lehrte uns Künste, die wir nicht kannten. Niemals rauchten wir gegen ihn oder seine Kinder die Kriegspfeife. Für die Penns haben wir nur die Pfeife der Verehrung!«
Nachdem er so im Namen seines Volkes gesprochen hatte, lief er wirklich herbei, um Herrn Freind Hände und Füße zu küssen; von den heiligen Zeugungsorganen stand er ab nachdem man ihm gesagt hatte, daß dies nicht Sitte in England sei und daß jedes Land seine eigenen Gebräuche habe.
Freind ließ auf der Stelle dreißig Schinken, ebensoviel große Pasteten und gewürzte Poularden, zweihundert große Flaschen Pontac-Wein aus dem Schiff herbeiholen; er setzte den Kommandanten der Blauen Berge neben sich. Jenni und seine Gefährten nahmen am Feste teil; aber Jenni wäre gern hundert Fuß unter der Erde gewesen. Sein Vater sprach kein Wort mit ihm; dies Schweigen steigerte seine Scham.
Birton, dem alles gleichgültig war, zeigte eine leichtfertige Heiterkeit. Bevor man sich zu Tisch setzte, sagte Freind zu dem guten Paruba: »Es fehlt uns hier eine sehr teure Person, Ihre Tochter.« Der Kommandant der Blauen Berge ließ sie sofort kommen; man hatte ihr nichts angetan; sie umarmte ihren Vater und ihren Bruder, als ob sie von einem Spaziergang gekommen wäre.
Ich benützte die Freiheit des Gastmahls, um zu fragen, aus welchem Grunde die Krieger der Blauen Berge Mrs. Clive-Hart getötet und gefressen und der Tochter Parubas nichts getan hatten. »Weil wir gerecht sind,« antwortete der Häuptling; »diese stolze Engländerin gehörte zu der Truppe, die uns angriff; sie tötete einen der unseren durch einen Pistolenschuß in den Rücken. Wir haben der Paruba nichts getan, seit wir wußten, daß sie die Tochter eines unserer früheren Kameraden sei, und daß sie nur hierhergekommen ist, um sich zu unterhalten; jeder muß nach seinen Taten behandelt werden.«
Freind war gerührt über diesen Grundsatz; nur meinte er, der Brauch, Frauen zu essen, sei so tapferer Leute überhaupt unwürdig; bei so viel Tugenden dürfe man kein Menschenfresser sein.
Der Häuptling der Berge fragte darauf, was wir mit unseren Feinden machten, nachdem wir sie getötet hätten. – »Wir begraben sie«, antwortete ich ihm.
»Ich verstehe,« sagte er; »ihr laßt sie von den Würmern fressen. Hier wollen wir den Vorzug haben; unsere Mägen sind ein ehrenvolleres Grab.«
Birton gefiel es, die Meinung der Bewohner der Blauen Berge zu verteidigen. Er sagte, der Brauch, seinen Nächsten in den Topf oder auf den Spieß zu stecken, sei alt und natürlich; man habe ihn auf beiden Halbkugeln angetroffen; folglich sei es bewiesen, daß es sich hier um eine angeborne Idee handle; daß man vor der Jagd auf Tiere auf der Jagd nach Menschen gewesen sei, schon aus dem Grunde, weil es sehr viel leichter sei, einen Menschen als einen Wolf zu töten. Die Juden hätten in ihren so lange unbekannt gebliebenen Büchern ausgesonnen, daß ein gewisser Kain einen gewissen Abel getötet habe; dies könne nur den Zweck gehabt haben, ihn zu fressen; dieselben Juden gäben ehrlich zu, daß sie sich mehrere Male von menschlichem Fleisch genährt hätten; nach den besten Geschichtschreibern hätten sie das blutende Fleisch der von ihnen in Ägypten, Zypern und Asien gemordeten Römer während ihres Aufstandes gegen die Kaiser Trajan und Hadrian verschlungen.
Wir ließen ihn diese grausamen Späße vortragen, deren Grund unglücklicherweise wahr sein könnte, die aber nichts von griechischem Attizismus und römischer Urbanität an sich haben.
Der gute Freind richtete, ohne ihm zu antworten, das Wort an die Bewohner des Landes. Paruba dolmetschte Satz für Satz. Nie sprach der würdige Tillotson mit solcher Energie, der einnehmende Smalridge nie mit dieser rührenden Anmut. Das große Geheimnis ist, beredt und überzeugend zu beweisen. Er legte ihnen dar, daß Feste, bei denen man das Fleisch seiner Mitmenschen verzehrt, Feste von Geiern, nicht von Menschen seien; daß dieser abscheuliche Brauch eine das Menschengeschlecht zerstörende Wildheit erzeuge; daß dies der Grund sei, warum sie weder die Freuden der Gesellschaft noch die Kultur des Bodens kennten. Schließlich schworen sie bei ihrem großen Manitu, daß sie nie mehr weder Frauen noch Männer fressen würden.
Freind wurde in einer einzigen Unterhaltung ihr Gesetzgeber; ein Orpheus, der die Tiger besänftigte. Die Jesuiten mögen sich in ihren merkwürdigen und erbauenden Schriften, die zumeist weder das eine noch das andere sind, Wunder zuschreiben, so viel sie wollen, nie werden sie unserm Freind gleichen.
Nachdem er die Herren der Blauen Berge mit Geschenken überhäuft hatte, brachte er auf seinem Schiff den guten Paruba wieder zu seinem Hause. Der junge Paruba und seine Schwester reisten mit; die anderen Brüder kehrten zu ihrer Jagd nach der Karolinenküste zurück. Jenni, Birton und ihre Gefährten schifften sich ebenfalls ein; der kluge Freind bestand immer noch auf seiner Methode, seinem Taugenichts von Sohn keinen Vorwurf zu machen, wenn er etwas Böses angestellt hatte; er ließ ihn selbst sich prüfen und sein Herz zerfleischen, wie Pythagoras sagt. Inzwischen nahm er dreimal den Brief, den man ihm aus England gesandt hatte, und betrachtete beim Lesen seinen Sohn, der die Augen gesenkt hielt. Man sah auf dem Gesicht dieses jungen Mannes nichts als Ehrerbietung und Reue.
Was Birton betrifft, so war er lustig und übermütig, als ob er aus der Komödie käme. Er war ein Charakter, ungefähr in der Art des verstorbenen Grafen Rochester, maßlos im Genuß, in der Tapferkeit, in seinen Ideen, seinen Ausdrücken, in seiner ganzen epikureischen Philosophie; an nichts hingegeben außer an ungewöhnliche Dinge, deren er auch schnell überdrüssig wurde; von jener Art des Denkens, die Wahrscheinlichkeiten für Beweise hält; klüger und beredter als irgendein junger Mann seines Alters, aber ohne jemals sich die Mühe zu geben, in die Tiefe zu dringen.
Während des Mittagessens auf dem Schiffe entfuhren Herrn Freind diese an mich gerichteten Worte: »Fürwahr, mein Freund, ich hoffe, daß Gott diesen jungen Leuten ehrbarere Sitten einflößen wird; das entsetzliche Beispiel der Clive-Hart wird sie bessern.«
Birton, der diese Worte hörte, sagte in etwas verächtlichem Tone: »Ich war seit langem mit dieser bösartigen Clive-Hart nicht zufrieden: ich rege mich über sie nicht mehr auf als über eine fette Poularde, die man am Spieß gebraten hat; aber glauben Sie wirklich, daß es irgendwo ein Wesen gibt, das sich damit beschäftigt, alle schlechten Frauen und alle niederträchtigen Männer zu bestrafen, welche die vier Teile unserer kleinen Erde bevölkern und entvölkern? Vergessen Sie, daß unsere abscheuliche Maria, die Tochter Heinrichs VIII., glücklich lebte bis zu ihrem Tode? Und doch hat sie mehr als achthundert Bürger und Bürgerinnen in den Flammen umkommen lassen, unter dem einzigen Vorwand, sie glaubten weder an die Transsubstantiation noch an den Papst. Ihr Vater, der beinahe ebenso barbarisch, und ihr Gemahl, der von noch tieferer Bosheit war, lebten beide in Freuden. Papst Alexander VI., verbrecherischer als sie alle, war ebenfalls sehr glücklich: alle seine Verbrechen gelangen ihm; er starb mit zweiundsiebzig Jahren, mächtig, reich, von allen Königen umschmeichelt. Wo ist also der gerechte und rächende Gott? Nein, bei Gott! es gibt keinen Gott!«
Herr Freind antwortete mit strenger, aber ruhiger Miene: »Mein Herr, Sie sollten, wie mir scheint, nicht bei Gott selbst schwören, daß es keinen Gott gibt. Denken Sie daran, daß Newton und Locke nie diesen heiligen Namen ausgesprochen haben ohne einen Ausdruck heimlicher Andacht und Anbetung, den jeder bemerkt hat.«
»Pah!« versetzte Birton; »ich kümmere mich wenig darum, welches Gesicht zwei Menschen geschnitten haben. Welchen Ausdruck hatte Newton, als er die Apokalypse erklärte? Und welche Grimassen schnitt Locke, als er das lange Gespräch zwischen einem Papagei und dem Prinzen Moritz erzählte?«
Da sprach Freind diese goldenen Worte, die sich meinem Herzen einprägten: »Wir wollen die Phantasien der großen Männer vergessen und uns der Wahrheiten erinnern, die sie uns gelehrt haben.« Diese Antwort rief einen regelrechten Streit hervor, der interessanter ist als die Unterhaltung mit dem Bakkalaureus von Salamanca; ich setzte mich in eine Ecke und schrieb alles nieder, was gesprochen wurde; man stellte sich um die beiden Streitenden. Der gute Paruba, sein Sohn und besonders seine Tochter, die leichtsinnigen Gefährten Jennis, alle horchten mit vorgestrecktem Kopfe und starren Augen. Jenni saß dabei mit gesenktem Kopf, die Ellbogen auf den Knien, vor den Augen die Hände. Er schien in tiefstes Nachdenken versunken. Hier folgt der Streit, Wort für Wort.