Johann Heinrich Voß
Wie ward Fritz Stolberg ein Unfreier? (1)
Johann Heinrich Voß

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So sorgte man für des Landes altgläubiges Luthertum. Auf der Universität Kiel es herzustellen, berief man, als überzähligen Doktor der Theologie, den Rektor Kleuker, den »redlichen Denker« im Sinne der Gallitzin, die ihn begünstigte, und Stolbergs. Er kündigte gleich eine Vorlesung an »ad sui propria dictata« oder »ad sui proprium compendium«. Mancher schüttelte den Kopf über des Rektors Latein, bis einer »sui« als Dativ rechtfertigte. Ich habe diesen Denker einmal in Jacobis Hause denken gehört. »Der Protestantismus«, sagte er, »führt zur Demokratie, der Katholizismus zur Monarchie.« – »Sie meinen«, antwortete Jacobi, »wo die Religion nicht die Vernunft unterdrückt, da wird man vernünftigerer, für das ganze Volk heilsamerer Einrichtungen sich befleißigen als anderswo; solche aber bestehn mit jeder Verfassung, die entweder ererbt ward oder gewählt aus ganz anderen als Religionsgründen.« Er erinnerte an so viele protestantische Monarchien, wo das Volk nach Gesetzlichkeit, nicht nach Demokratie trachtet; an katholische Republiken, die nichts weniger als Monarchie verlangen. Umsonst. Kleuker konnte sich nicht herausdenken aus dem Credo: »Der Protestant will Demokratie«, welches ein protestantischer Fürst beherzigen mag; und »der Katholik wünscht Monarchie«, deren StützeDen eitelen Ruhm, der Adel sei Stütze des Throns, Schutzgürtel des Fürsten, Damm gegen das anwogende Volk, widerlegt Klüber in der »Übersicht der Wiener-Kongreß-Verhandlungen«, S. 236–243, und erklärt Montesquieus Ausspruch: »Point de monarque, point de noblesse; point de noblesse, point de monarque; mais on a un despote.« Wenn einmal der Adel dahinterkommt, was der edle Montesquieu meint – man schilt auch ihn Illuminat und Jakobiner! bekanntlich der Adel ist.

Von dieser Zeit an wurden auch die Zöglinge des Cramerschen, von Müller geleiteten Schulmeisterseminars nicht nur dünkelhafter Vielwisserei, sondern ketzerischer Religionsbegriffe verdächtig gemacht. Ehlers erzählte mir, er habe eine Schrift, die unter dem Adel herumschleiche, gelesen, aber nicht abschreiben dürfen: eine Anforderung, keinen Schulmeister aus dem Seminar zu nehmen, vielmehr den Unterricht auf Katechismus und etwas Lesen und Schreiben zu beschränken, damit der Bauer nicht zu klug würde. Auch im Münsterschen ward damals, wie die Rede ging, das verständige Schulbuch Overbergs und der Gallitzin wieder abgeschafft. Stolberg konnte hierbei weniges; das aber leistete er. Eutins edler Fürst wollte Verbesserung der Schulen auf den Gütern, heitere Schulhäuser mit zwei Lehrstuben für Geistesbildung und Handarbeit, dabei Garten und Feld und anständiges Gehalt. Den Auftrag vernachlässigte St. so, daß der Graf Holmer sich mit bitteren Klagen an mich wandte: unser Freund tauge zu keinem Geschäft, aber für dieses habe man ihm doch Begeisterung zugetraut; ob ich ihm vielleicht einen Schwung geben könnte? Ich mußte mich entschuldigen.

Die sanfte Miene der Duldsamkeit, wodurch die Fürstin Gallitzin ihren Leo ins Garn gelockt und auch heller Sehende getäuscht hatte, verschwand allmählich in das liebreiche Grinsen der Hierarchie, wann sie Ketzer dem Tode weiht, aber, um ja kein Blut zu vergießen, lebendig verbrennt. Davon ein starkes Beispiel.

Claudius, der Edle in des geadelten Schimmelmanns Wandsbek, verehrt und geliebt von der reichen Schimmelmannischen Familie und deren Sippschaft, mußte Not leiden. Not, mit Frau und vielen Kindern, beugte den hochsinnigen; kleine zufällige Geschenklein, Tropfen für den Durst, forderten jedes sein besonderes: großen Dank. Als von Not und Dankbarkeit niedergedrückt, Claudius, in der Schrift über die »Neue Politik«, die Natürlichkeit adeliger Vorrechte durch das Gleichnis, »in einem großen Hause sein goldene, silberne und irdene Gefäße, etliche zu Ehren, etliche zu Unehren«, dem Familienbunde zu vollkommener Zufriedenheit erklärt hatte, da ermahnt ich dich, Gutmütige, die diese Blätter mit Schmerz, aber ohne Zorn gegen den Urheber lesen wird: »Ihr freut euch des lieben Claudius und seiner Hingebung; bestimmt ihm doch zu der ärmlichen Einnahme ein Gewisses, wovon er notdürftig lebe; die fromme Julia, schwerreich und kinderlos, könnt es allein; ihre Schwester, ihr wohldenkender Bruder, könnten es allein; wie leicht, wenn jeder von euch sein Scherflein zusammenlegt!« – Etwas, meint ich, wäre geschehn.

Ein Sohn von Claudius kam nach Heidelberg. Eines Abends erzählt ich ihm viel von unserem alten Wandsbeker Verkehr, im Jahr 1775, als noch der Bote ging, von unserer bei Armut unverwüstbaren Lustigkeit, von den Schnurren, die wir miteinander ausgeheckt, von den arkadischen Hausfesten und den Schmausen aus dem Stegereif, wann wir gemeinsam ein paar Schillinge aufbrachten zu Karbonade und Kaltenhöfer Bier und, mit Rebekka schäferlich im Garten, auf der ungeheueren Tafelrunde gelagert, hochlebten unter dem gestirnten Himmel. – »Trinkt Ihr Vater noch Kaltenhöfer?« – »Nicht mehr.« – »Also Wein für den schwachen Magen?« – »Noch weniger; er hat nichts als Wasser!« – Dies erzählt ich in den letzten Notjahren einem unadligen Ehrenmann vom Rhein, der darauf bei einigen Schmausen, nach Absingung des Rheinweinliedes, die versammelten Kaufleute und Fabrikanten durch die Erzählung rührte und mehrere hundert Taler, ohne zu melden woher, nach Wandsbek sandte.

In den höchsten Nöten schrieb Claudius einen neuen Asmusband, die letzten zum Teil mit umwölktem Geist, mit schwermütiger Gottseligkeit, mit erzwungenem Witz, mißlaunisch und vergrämt. Weil solche Arbeit seine Gesundheit angriff und doch wenig fruchtete, so entschloß er sich, Fénelons Erbauungsschriften zu übersetzen. Er bat die Gallitzin durch ihre Tochter, den Absatz unter den Katholiken zu befördern. Die Fürstin ließ antworten: Von einem, der im fünften Teile des »Asmus« über Johann Hus so protestantisch geurteilt hätte, müßte sie eine ähnlich gesinnte Vorrede befürchten. Die treulose Verbrennung des edlen Hus nennt Claudius dort S. 75 mit seiner Milde »eine nicht großmütige Begegnung, die jeder gute Katholik mißbillige«, und fügt hinzu: »wir haben an allen Seiten zu vergeben und zu vergessen«. Ein so friedfertiges Zutraun zur Mißbilligung war empörend für die Gallitzin; und wenn Stolbergs Wunsch: »Heb, o Gesegnete des Herrn, auf deinen Schwingen mich empor!« ganz in Erfüllung ging, wie mag er seine vormalige Mißbilligung gebüßt haben? Was tat Claudius? Sein edleres Selbst loderte voll Unwillens auf, er wollte nun eine recht protestantische, gegen den heillosesten Wahnsinn protestierende Vorrede schreiben; und – guter Claudius! – er schrieb eine, womit die Fürstin zufrieden war.

Bei jenem aufwiegelnden Agendenrumor, bei den Verabredungen des Angriffs in dem geistreich schwärmenden, geistreicher berechnenden Emkendorf, bei dem hitzigen Briefwechsel mit den Verbündeten, bei der Schadenfreud am Erfolg, bei dem Ärger am Widerstand, am Mißlingen, bei dem Wechsel von Scham und Ingrimm, sooft Gewissen und guter Leumund warnte, bei allen den menschenfeindlichen Aufwallungen konnte Friedrich Leopolds von Natur weiches und edelmütiges Herz unmöglich sich wohl fühlen. Hätten Bürgerliche so gegen Gesetz und Ordnung das niedrige Volk aufgeregt, mit gerechtem Zorn hätt er sie Jakobiner und demagogische Verschwörer genannt. Wie oft in jenen stürmischen Monaten, da der schälkische Kirchspielvogt noch unenthüllt war, da mir keine Ahnung von dem Urheber des schmählichen Vergehns vorschwebte, hab ich des armen Stolbergs fliegende Röte und bedenklichen Schwindel als Freund bedauert!

Im Anfang des Junius 1798 begann Stolberg eine Reise nach Karlsbad, mit seiner Gemahlin und den zwei Agnessöhnen. Was der Vorwand war, warum die, einer fünfzehn, der andere elf Jahre alt, ohne Beschäftigung mitschlenderten, weiß ich nicht mehr. Kurz vorher hatte sein von der Gallitzin bespöttelter Hauslehrer ein Amt gefunden. Stolberg klagte mir seine Verlegenheit: Aus Münster empfehle man ihm einen französischen Geistlichen von den Ausgewanderten; aber ein Franzose sei ihm widerlich und vollends ein Pfaff ohne gründliche Kenntnis des klassischen Altertums, die dort nur Jesuiten gehabt hätten. Dergleichen ließ ich schon längst hingehn und erwartete den Pfaffen.

Gegen Ende Septembers, nachdem ich durch eine ruhige Brunnenkur mich gestärkt hatte, kam Stolberg zurück und der Pfaffe mit. Der evangelische Kirchspielvogt, der so geeifert für echt Augsburgisches Luthertum, vertrauete die Erziehung seiner evangelischen Kinder einem papistischen Geistlichen! Er, dem im Anfang des Jahrs 1798 bei der Gefahr für die Augsburgische Richtschnur des Bibelglaubens, seinen Trost im Leben und im Tode, das Herz blutete, wenn er seine evangelisch getauften und evangelisch unterrichteten Kinder vor sich sah («Kirchspielv.« S. 5.): der übergab sechs bis acht Monate darauf seine Kinder einem den Bürgergehorsam weigernden, ganz von Rom abhängigen »Priester Gottes«! Wer diesen Pfaffen aus Münster ihm zugeführt, weiß ich nicht; gewiß ein münsterscher Apostel, wenn nicht, wie ich meine, die Gallitzin selbst. Stolberg hatte von Karlsbad aus mehrere Herrnhuter Gemeinen besucht; man ließ ihm großmütig die Wahl, ob er links oder rechts aus dem argen, sich zugrunde protestierenden Gomorra entfliehn wollte; und sein Herz trieb ihn links. Nach der Heimkehr traf sein jüngerer Sohn einen Mitschüler auf der Gasse: »Wir haben«, sagte er, »einen seltenen Vogel mitgebracht, einen so großen schwarzen Kolkraben mit gelben Klauen, die er immer zusammenkrallt! Willst du ihn sehn?« Er führte den Mitschüler in die Stube, wo der geistliche Herr, sein Frongebet leistendSolches Gebetplappern beschreibt Geiler von Kaisersberg mit Laune. »Dem Häslin stond die Lefzen nimmer still, und allwegen mufflet es mit den Lefzen. Also tut auch ein Klostermensch, er mufflet allwegen, das ist, er betet.« Dieser helldenkende Katholik warnet vor unmäßigem Abbeten, Fasten und dergleichen: »Dadurch wird der Mensch ein Phantast, trurig und zornweh.« , auf den Knien lag, und winkte schelmisch nach ihm. Grade einen so düsteren Mann mit wütigem Andachtsblick, alles Welttandes entäußert, in sich gekehrt und vergeistlicht vom Herzen bis zur Haut, hatte die sinnige Gallitzin auserkoren für Stolbergs verwilderte Phantasie.

Bald folgte ein sehr ernsthafter Auftritt zwischen Stolberg und uns, den ich aus unseren Briefen an Gleim melden will.

Am 23. Sept. 1798 schrieb meine Frau: »Stolberg kam Mittwoch heim; wir merkten gleich, daß er nicht heiter war, aber wir nahmen es für das Gewöhnliche und seufzten nur. Freitag rief er mich in den Garten: Er habe schon lang etwas auf dem Herzen, was ihm das Leben verbittere; er habe deshalb schon seinen Platz in Eutin aufgeben wollen, aber das könne er nicht ausführen; nun solle ich es anbringen bei Voß. Er könne seine Kinder nicht länger in der Schule lassen, weil bei Erklärung der Alten manches vorkomme, was seinen Grundsätzen entgegen sei; so ungern er V. kränken möchte, seine Kinder müsse er retten. – Natürlich hatte V. nichts dawider; nur mußte er sicher sein vor leisem Geklätsch und einer neuen Ketzergeschichte. Was für andere Grundsätze sollte er gelehrt haben, als die, welche St. aus manchem weitläuftigen Gespräche genau kannte, da er ihm die Kinder nicht bloß anvertrauete, sondern aufdrang? Da mußte der arme V. einen großen und ernsten Kampf bestehn. Solche Freundlichkeit auf der Lippe und das Herz voll Galle! Daß die Kinder, besonders der Kleine, so viel Liebe für V. haben und so viel Freude an seinem Unterricht, dadurch, meint Stolberg, werde sein Gift noch gefährlicher.«

Dann von meiner Hand. »Und dieses Gift, mein Vater? Ich habe mit Erstaunen gehört, was für Gift ich mische. Was St. in meinen ›Mythologischen Briefen‹ als alte Behauptung, selbst der Kirchenväter, gelesen hat, das hab ich in der Schule gelehrt: daß, wie die Menschen allmählich verständiger und besser wurden, sie auch die Gottheit sich immer weniger unvollkommen gedacht. Abraham, Isaak, Jakob, Joseph, mit mancher tadelnswürdigen Eigenschaft, waren gut nach Begriffen der Zeit, wie Salomon der weiseste Fürst, weil er Rätsel zu lösen wußte; als Beispiele der Nachahmung werden sie uns nicht aufgestellt. Abraham, hab ich gesagt, meinte es gut, da er auf eine Eingebung, die ihm göttlich schien, auf eine Stimme, wie es ihm vorkam, ein Gesicht, einen Traum – den eigenen Sohn schlachten wollte. Aber die Tat selbst war nach reineren Begriffen nicht gut; und das höchstgute Wesen, welches wir Gott nennen, kann nichts anderes befehlen, als was gut ist; nur morgenländischer Sklavensinn kann wähnen, des Sultans Befehl mache das Böse gut, das Unrechte recht, weil er Herr sei. Grade wie Abraham hatte damals ein schwärmerisch frommer Mann in dem eutinischen Orte Schwartau mit guter Absicht Böses getan. Er hatte auf Gottes Ruf, wie er standhaft behauptete, seiner auch an den Ruf glaubenden Frau und Tochter, nach andächtiger Vorbereitung im Sonntagsschmuck, die Köpfe auf einem Block abgehackt und darauf durch vereitelten Selbstmord, rein mit den Reinen, in den Himmel zu gehn versucht. Unseren Rechtsbegriffen gemäß ward er als Irrsinniger behandelt. Diese Geschichte hatte der kleinere Agnessohn dem Vater entgegengestellt, als der seinen Kindern Abrahams vereitelte Tat wie erhabene Frömmigkeit einpredigte. Der Vater polterte mir vor, er habe, weil die Kinder so an mir hingen, sie nicht einmal überzeugen können, daß man für Gott, der ja Herr unsres Lebens sei, und um Gottes willen schlechterdings alles tun müsse, auch den einzigen Sohn opfern.

Mein zweites Gift ist: Ich habe, was Stolberg in meinem Kommentar zu Virgils Lb. I, 502 von Abbüßungen durch Opfer gelesen hat, auch in der Schule gelehrt. Diese unvollkommenen Begriffe der Vorwelt, sagt er, haben die Söhne auf die Lehre vom Weltopfer angewandt. – Mit Äußerungen, die der Schwache, weil er sie nicht faßt, mißdeuten kann, bin ich sehr vorsichtig. Wenn also der eifernde Vater recht gehört hat, so haben die Kinder für sich gefolgert; und der Vater hätte des kindlichen Strebens sich freun, aber das Unrichtige der Schlußfolge mit ruhiger Besonnenheit zeigen sollen.

Auf solches Gift, welches ich, wähnend, es sei Heilbalsam, in meinen Schriften niedergelegt, machte ich Stolberg aufmerksam, als er die Söhne mir durch eine vorige Verketzerung Gewarnten aufdrang. Und jenen Kommentar, dessen Gift er mir früher sehr feierlich vorgerückt hatte, gab später er selbst seinen Söhnen in die Hand, der unstete Wirbelkopf.

Aber Gift oder Heilbalsam. Nur der Beschuldigung wollte ich vorbaun, daß ich, ein heimlicher Giftmischer, das Vertraun des Vaters getäuscht habe. Was ich lehre, hat er gewußt; ich bin mir gleich geblieben, aber nicht er. Nach vielem Wortwechsel, und als er sogar auf den Inhalt des dreistündigen Gesprächs sich nicht besann, durch Stellen der »Mythologischen Briefe« und des Kommentars, und durch einen von ihm gelesenen Brief an Holmer, zum Stillschweigen gebracht, bequemte er sich endlich zu dem lauen Geständnis: nun ja, er habe alles vorher gewußt.

Die mit der römisch-katholischen eng verbundene Lavatergemeine läßt nun auch den düsteren Kleuker in Kiel dunkeln. Dunkelt ihr nur, ihr Toren! Gottes Sonne ist aufgegangen und wird leuchten und erwärmen!«

Dann wieder von meiner Frau: »Gestern, als Stolberg meinem Mann anzeigen mußte, was die Kinder denn Schädliches in der Schule gehört, sagte er noch, es wäre manches andere, worauf er sich nicht besinnen könne. Dies ›manches andre‹ weiß ich anderswoher. Voß hat zuweilen über WerkheiligkeitBei dem Tadel der übelverstandenen Werkheiligkeit hatt ich von einem Diebanführer erzählt, der zu Eutin im Verhör bekannt habe, wenn was Großes geschehn solle, ein gefährlicher Einbruch oder ein Kirchenraub, so geh er vorher mit den Genossen zu Gottes Tisch; man fühle sich leichter und sicherer des Gedeihns, wenn man den Herrgott zum Freund habe. , Bilderdienst und die verderbliche Lehre einer alleinseligmachenden Kirche gesprochen, und zwar in Beziehung auf den kleinen Andreas, dem die Fürstin und ihr Geistlicher in Gegenwart seiner Eltern zuredeten, ein Heidenbekehrer zu werden. Dann hat Voß gesagt, Geburtsadel allein gebe kein Vorrecht vor andern, man müsse sich selbst hervortunWohl tat Stolberg, daß er sich hierauf nicht besann. Er hätte sich auch auf unsere alte Erörterung der Vorrechte besinnen müssen und auf das Lied im M[usen] Alm[anach] für 1796, das die selbige Ermahnung enthält:

Der Adel unter Tieren
    Ist Klau und Zahn:
Wir gehn nicht mehr auf vieren
    Wie euer Ahn, –

Wir nahn der Menschentugend
    Mit kühnem Schritt.
O geht, ihr edle Jugend.
    O geht doch mit!

– Ach, daß unser Glück, den lieben Voß durch den Brunnen gestärkt zu sehn, so gestört wird! Er hatte wieder die alte Freude an seiner Arbeit, in und außer der Schule, er machte weite Spaziergänge ohne Entkräftung. Gott gebe, daß nicht dieser Sturm ihn zurückwerfe!«

Stolbergs laues Geständnis, daß ich nichts Heimliches, nichts ihm Unbekanntes gelehrt, ging mir im Kopf herum. Es war, als bedauerte er die entschlüpfte Gelegenheit, seiner jetzigen Religion den Ruf meiner Redlichkeit zu opfern, seinem ungöttlichen Gotte zu Gefallen den vielfältig erprobten Freund mit gleichsam zurückzuckender Hand – anzuschwärzen. Vorher hätt er mir gern eine wohlverdiente Kränkung erspart; er faßte den großmütigen Entschluß, seine Präsidentschaft, das heißt dreitausend Taler für Wenigtun, aufzugeben, wenn er nur könnte. Und jetzt, da ungekränkt mein Name sowohl wie seine Präsidentschaft, bestehn durfte, war er so lau, so verstimmt! Eine gefährliche Verstimmung! Denn wem das Andenken des dreistündigen Religionsgesprächs und des sehr umständlichen bei der Annahme seiner Kinder so erloschen war, daß es durch unableugbare Urkunden, gedruckte und geschriebene, mußte aufgefrischt werden, dem konnte nach kurzer Frist auch das letzte Gespräch, samt der kaltsinnigen Einräumung, entschwunden sein.

Meiner Rechtfertigung sicher zu sein, fragte ich Stolberg schriftlich, wir wären doch eins, daß, wenn seine Kinder bei mir etwas ihm Anstößiges gehört hätten, er nicht mich anklagen müßte, sondern sich selbst, der meine Grundsätze vorher gewußt? Seine Antwort war ausweichend. Ich bat noch einmal in den einfachsten Ausdrücken um gewissenhafte Bezeugung meiner Unschuld; dann ging ich mit meiner Frau in den Garten, des guten Erfolgs gewiß. Statt einer schriftlichen Antwort kam Stolberg selbst. Ich ging ihm mit Vertraun entgegen und erschrak, als das grimmige Gesicht mich andonnerte: »Wie verlangen Sie denn Ihr Zeugnis? Auf gestempeltem Papier? mit dem Petschaft darunter?«

Diese Anrede, die mir schon dunkel war, meld ich aus dem Munde meiner Frau, das übrige aus ihrem Brief an Gleim.

Sie schrieb ihm am 7. Okt. 1798: »Noch einen schrecklichen Sturm haben wir seit unserem letzten Briefe gehabt. Voß mußte der Nachrede wegen von Stolberg eine deutliche Versicherung haben, daß seine Kinder in der Schule nichts anderes gehört hätten, als was, nach so manchem Gesprochenen und Geschriebenen, er selbst hätte erwarten müssen. Diese erbat er sich in einem sehr sanften Billett; und da Stolbergs Antwort auswich, noch einfacher. Da kam St. in den Garten zu uns und war ganz außer sich. Weit entfernt, sein voriges Geständnis zu bekräftigen, rief er wiederholt, er klage sich keineswegs an, daß er seine Kinder zu V. in die Schule gesandt, denn er habe ihm was anderes zugetraut; sondern einzig, daß er sie ihm noch gelassen, nachdem er schon Kenntnis gehabt vom getäuschten Zutraun. V. mit der größesten Sanftmut erinnerte ihn von neuem an die Beweise, daß er ihm nie seine Grundsätze verhehlt habe. St. voll unbändiger Wut war zuweilen im Begriff zuzugeben, aber gleich sprang er wieder ab. Seine Schwester kam dazu; die war erstaunt, daß er eine so billige Foderung nicht begriffe. So gingen sie fast eine Stunde im Garten. V. war sehr tief gerührt; das rührte auch St. auf Augenblicke; dann tobte wieder die Wut, daß er die bittersten Dinge von der Welt aussprach. Mich überwältigte das Gefühl, ein solcher Stoß könnte für V. tödlich sein; er war ganz blaßMir zitterten die Knie, und ich fühlte mich schwach. »Schonen Sie mich«, sagte ich, »Sie haben mich dem Tode schon einmal nahe gebracht!« St. achtete nichts. Da trat die Retterin zwischen uns. . Rasch trat ich hinzu, faßte beide an der Hand und sagte: ›Ihr sollt und müßt euch trennen; Freude habt ihr einander lange nicht mehr gegeben; hört auf, euch das Leben zu verbittern.‹ St. stutzte und besänftigte sich; wir standen beieinander stumm und tief bewegt. Trennung wollte St. nicht gern, des Aufsehns wegen; aber wir beide bestanden darauf. Denn selbst in dem Augenblicke der Rührung vermochte er nicht, seinem alten Freunde zu sagen: Ich habe nie Ursache gehabt, eure Redlichkeit in Zweifel zu ziehn. St. ging und sprach zurückblickend: ›So sehn Sie mich denn nun als einen Abgeschiedenen an.‹

Den folgenden Tag schickte er seine Schwester zu mir, ich möchte V. sagen, er gäbe die Versicherung von Herzen; aber Trennung wäre ihm unerträglich; er wollte gleich zu V. kommen, wenn ich einwilligte. Das verbat ich für die ersten Tage. Den zweiten kam er selbst, als V. in der Schule war; er weinte und hörte alles gelassen an, was ich ihm über die Beleidigung dessen, dem er Ehre und Dank schuldig wäre, mit Wärme sagte. Er bereuete und bat: ›Nur keine Trennung!‹ –, ›Keine auffallende‹, sagte ich, ›ist alles, was wir gestatten dürfen; dem alten St. zuliebe, wollen wir uns manchmal sehn, aber äußerst selten. Sie sollten doch fühlen, daß wir bei unserer Religion ruhig und heiter sind und uns mit Ihrem stürmischen Mißmut nicht länger beunruhigen. Wie oft haben Sie den sanftmütigen Freund, selbst den schwer leidenden, ohne Schonung mißhandelt; wie oft ihm, der alle Gelegenheit zum Zanke mied und auch in der Abwehr sich mäßigte, durch die härtesten Äußerungen über Andersmeinende und durch die ungemessensten Ausdrücke zugesetzt!‹ Er weinte viel und schalt selbst auf seine Hitze. ›Auch unsre Kinder‹, sagte ich, ›müssen seltener miteinander umgehn; denn auch im häuslichen Leben können sie leicht etwas Anstößiges hören; und dieser Sturm soll und muß endlich der letzte sein.‹ Er war äußerst sanft und gerührt.

Den Tag darauf erwartete St. seine Nichte Luise Bernstorff, die wir sehr liebhaben. Er fragte bittend, da sie nur einige Stunden bliebe, ob er sie zu uns begleiten dürfte? Ich versprach Antwort auf den Abend. Bei der Antwort, V. würde ihn gern sehn, ward er sehr gerührt. Am Morgen sagte Voß: ›Wir wollen heute Mittag bei St. essen, damit er sich überzeuge, daß ich keinen Groll hege.‹ Heinrich, den ich uns zu melden gesandt hatte, war ganz verwundert: So habe er Graf St. noch nie gesehn; der habe ihn erst angekuckt und gesagt: ›Was ist das?‹ Dann habe er gerufen: ›Ach Gott! sie wollen hier essen?‹ Dann habe er ihm die Hand gedrückt und ihn in Verwirrung die Treppe hinabbegleitet bis zur Haustür. St. kam gleich, mir seinen Dank zu bringen; ich lehnte ihn ab, denn der Gedanke gehe von V. aus. Da brachte er dem seinen Dank mit Tränen; und wir aßen miteinander so unbefangen wie sonst.

Jetzt kommt er zuweilen auf eine halbe Stunde, ist aber stets in sichtbarer Bewegung. Die Welt wisse nichts von dieser Trennung; wir schreiben keiner Seele davon als unserm teuern Alten, der uns tröstet und aufrichtet. Erheiternd ist das Vorgefühl häuslicher Ruhe; wir sind nun wohl sicher vor der Angst, die Stolbergs Fußtritt uns brachte, vor dem ausgeschütteten Zorn und Eifer und den Nachwehen für den ganzen Abend. Ein Glück, daß V. seine Gesundheit durch den Brunnen gestärkt hatte für solchen Stoß! Er macht weite Spaziergänge, arbeitet mit Lust und ist am Abend, wenn wir für uns bleiben, die Heiterkeit selbst. Könnten Sie doch einmal lauschen, wie Heinrich dann mit dem Vater sich unterhält! Für mich ist es ein wahrer Genuß. Kein Lehrer hatte wohl allgemeinere Liebe bei Eltern und Schülern; und der mußte so was erfahren, von Stolberg! Ich habe V. fast nie so innig bewegt gesehn als in den drei Tagen des Sturms; Sie können sich denken, was ich gelitten habe.«

Keine Entschuldigung des weitläuftigen Auszugs für Mitfühlende! Unser schönes, einst so ruhiges und bei vieler Arbeit doch so genußreiches Eutin ward uns Jahre hindurch verleidet von dem alten Freunde, dem unwiderstehlich anziehenden und dann so schlimmen Stolberg. – Ohne dich, mein tapferes Weib, hätt ich's nicht ausgehalten. In jenem Gartengespräch erfuhr ich zuerst, daß Herzenstöne kein Gehör fanden; die Schlange hatt es betäubt.

Am 4. Nov. 1798 schrieb meine Frau unserem Gleim: »Wir leben nun, dem Himmel sei Dank, in ehemaliger Ruhe und Stille. Stolberg kömmt selten, und dann als einer, der etwas gutzumachen hat, läßt sich von mir hinaufführen und wird durch die unbefangene Art, mit der ihn Voß aufnimmt, erheitert. In der Familie sucht man alle Zerstreuungen für ihn; man bittet Gäste oder macht kleine Reisen. Nun sind sie auf einige Wochen in Emkendorf.« – In Emkendorf! Diese haßbrütende Schwüle bei jenem aus Münster herwehenden Schlangenhauch konnte dem Betäubten weder den Kopf heitern noch das Herz erfrischen. – Am 27. Jan. 1799 schrieb sie: »Stolbergs Bruder ist hier; wir leben aber in strenger Abgeschiedenheit, daß unsere Ruhe nicht gestört werde. Er selbst kömmt selten zu uns und nie heiter; etwas zu arbeiten hat er gar keine Lust.«

Während solcher Zurückziehung kam ich einmal in Stolbergs Zimmer, sah auf dem Schreibtisch ein großes elfenbeinenes Kruzifix aus Münster und betrachtete es. St. ward unruhig. »Lassen Sie«, sagte ich, »die Knochen da unter dem Kreuze wegnehmen; sie sind ja von Missetätern, von Hingerichteten der Schädelstätte.« – »Sie haben recht«, antwortete er beruhigt. Ein andermal, als ich am vollständigeren Kommentar zu Virgils »Landbau« mich müde gearbeitet, kam St. zum Abendessen. »Eben«, rief ich ihm entgegen, »haben Sie mir Ärger gemacht.« Er ward feuerrot. Ich sah Unruhe wegen des »Kirchspielvogts« und stockte selbst. »Warum«, sagte ich endlich, »kein Register bei Ihrer Reisebeschreibung? Ich habe mich blind gesucht!« St. lächelte und war für den Abend heiter.

Am 6. März 1799 ließ Stolberg eine Ode gegen die »Erwartung des Friedens« drucken, voll Zorns auf innere Feinde des Vaterlands und die Jünger der neuen Weisheit, die ohne Gott sein im Leben und im Tode! Jene »politisch-irreligiöse Propaganda von Illuminaten«, die er zu glauben vorgab. Unser Gefühl bewahrt ein Brief vom 9. Junius an Gleim, dem wir einen neuen Besuch ankündeten: »Ach, daß wir ein Friedensfest miteinander feiern könnten nach so herzzerreißenden Greueln der Westhunnen und der Osthunnen! Und dann auch ein Fest des Friedens im Innern; damit alte Freunde und Nachbarn die schönen Tage der harmlosen Ruhe, auch bei verschiedenen Meinungen, zurückrufen können und nicht mehr Krieg aller gegen alle sei!« – Im Julius reiseten wir nach Halberstadt, Halle, Berlin, Schwedt, wo unser Schulz absterbend war, und Neubrandenburg; bald darauf ging Stolberg nach dem Seebade bei Doberan. Meine Frau meldete am 15. September, Graf Holmer habe gesagt, er komme kräftiger zurück. »Auch heiterer (schrieb ich hinzu) wird St. zurückkommen, geläutert wie der fromme Aeneas oder vielmehr wie der unfromme Streiter Romulus durch die abspülenden Fluten Neptuns. Noch einmal, hoff ich, werden wir mit Gemütlichkeit über das hochmenschliche Altertum uns besprechen und die leidigen Zeitteufel der Barbarei in die Wüste bannen.«

Laut dem Briefe vom 11. Dez. 1799 war Stolbergs Schwindel und Kraftlosigkeit wieder da, und wieder suchte er Aufheiterung in – Emkendorf! Die schon beschlossene Reise dahin ward ausgesetzt, weil St. einen Sohn des Grafen von Wernigerode, Ferdinand Stolberg, erwartete, der im nächsten Februar mit nach Emkendorf ging und mit der vierzehnjährigen Agnestochter Marie-Agnes, dem Ebenbilde der Mutter, sich verlobte.

Am 8. Dez. 1799, bei des trefflichen Superintendenten Götschels Einführung, hielt Stolberg eine Anrede, würdig des »Kirchspielvogts«. Schon lang im Herzen ein römischer Katholik, und nach wenigen Monaten öffentlich, nahm er sich heraus, was nicht seines Amtes war, einen evangelischen Lehrer zu belehren. Er dachte das Seinige bei den Frevlern, »die Empörung auf Empörung häufen«, bei den Hirten, »die sich selbst Brunnen aushaun«, und bei seinem jesuitischen Wahlspruch: »Alles ist eitel, dessen Grund und Ziel nicht Gott ist«. Seine Rede kam aus Gott und führte zu Gott, dem papistischen, der Gründe und Zwecke willkürlich zu heiligen weiß. Denn welchen anderen als jesuitischen Sinn darf man dem geheim wirkenden Manne zutraun, der auf Luther um diese Zeit bei JacobiDas bezeugt Jacobi in einem Brief an Graf Holmer vom 5. August 1800. Jacobi hat den drei Bänden seiner Werke, zur Erläuterung seines geistigen Lebens, Briefe an Verschiedene beigefügt; auch solche, wo teils schärfere Bestimmung teils Berichtigung nötig war, z. B. da, wo über Stark und die Gegner, über Heyne und Voß, über Julia R. und ihre westindischen Sklaven geredet wird. Billig sollten die Briefe nachfolgen, worin er Stolbergs Abfall mit so hellem Geist als edler Empfindung tadelt. Wir erwarten sie von den Seinigen, um so mehr, da sie seit dem Jahr 1800 in vielen Abschriften verbreitet sind und, wie ich meine, gedruckt. mit unwissender Wut lästerte? Die Zuhörer indes hatten kaum mehr verstanden, als das lauthallende Wort »Posaune«! Im Druck entzifferten sie einiges dazu.

Sooft wir auch sagten, Stolberg ist katholisch oder wird's, doch täuschte er uns manchmal in die heiteren Agnestage zurück. Bei den Oden, die ich im Winter 1799–1800 dichtete, ward er zuweilen ein Göttingischer Bundesbruder. Mit Wärme pries er das Gedicht »An die Laute«; er kannte nichts Edleres, nichts Sinnvolleres und Frömmeres; er wiederholte den Schluß:

Weisheit rief aus den Wolkenhöhn
    Sanft zur Erde der mildredende Sokrates;
Durch alliebende Kindlichkeit
    Lockt aus Wahne zum Licht freundlich Marias Sohn.

Im »Winterschmaus« lud ich den Mißmutigen, dessen Anblick uns rührte, zu einem der häuslichen Feste, wodurch meine Ernestine sich auszeichnete, und zu ehemaligen Gesprächen über die Herrlichen der Vorwelt:

Manches Gesangs Nachhall aus Ionia, mancher Laut vom Tibris,
    Wo junger Frühling ewig blüht, umweht uns
Mit herzengendes Grams Aufheiterung.

Aber auch das war nur Flämmchen aus der Asche, von nicht glücklicher Vorbedeutung.

Meine Frau schrieb an Gleim am 16. Februar 1800: »Die Teilnahme, die Voß hier findet, ist nicht sehr herzerhebend. Manche Ode muß vor St. verborgen bleiben, manche, die so warm aus dem Herzen kam, wird kalt aufgenommen oder wohl gar gemißdeutet, und alles für sich behalten, wird auch nicht erlaubt. Zuweilen sind gar Stunden, wo St. alte Herzlichkeit zeigt. Solch ein Gemisch von Wärme und starrer Kälte! Lieber möchten wir Nachbarn ohne Anspruch auf Geist und zartes Gefühl als solche, bei deren Mienen, auch wenn der Mund warm spricht, das Herz einen Frostschauer empfindet! Aber so war's schon im Jahr 1794, selbst bei den herzlichsten Gedichten auf Agnes. Stolberg hat Voß nie gekannt.« Nach Stolbergs Abfall schrieb sie unserm Sohn Heinrich am 28. September 1800: »Bald werden wir wieder glücklich sein in unserer stillen Einsamkeit, wenn keiner uns stört, vor dem wir unsere edelsten Gefühle als unchristliche zu verbergen haben. Wie oft hat dein Vater noch im letzten Winter tief geseufzt, wenn St. ihn in seiner ruhigsten Stunde unterbrach und mit finsterem Gesicht und Klagen über Getümmel, welches er selbst suchte, und über Arbeit, die nicht weit her war, sich neben uns hinsetzte! Fast immer ging er erheitert weg. Diese Erinnerung, und daß dein Vater allen Gesprächen, die den Eiferer aufreizen konnten, sorgfältig auswich, wird ihm einmal rührend sein.«

Die Reise nach Emkendorf, die Stolberg im Dezember aufschob, vollführte er um die Mitte des Februars 1800, begleitet von der ganzen Familie, dem papistischen Hauslehrer und den Gästen aus Wernigerode. Wir müssen bei diesem Besuch aufmerksam sein, es war der letzte, bevor Stolberg, ein noch scheinbar lutherischer, aber auf Luther schmähender und Jesuiten zurückwünschender Protestant, sich öffentlich dem römischen Stuhl unterwarf.

An Gleim schrieb meine Frau den 2. Apr. 1800: »Der arme St. sieht elend aus und soll nach Karlsbad; also werden Sie ihn sehn und die ganze Familie. – Die Wernigeroder haben uns vorgestern verlassen; sie waren zuletzt mit Stolbergs 5 Wochen in Emkendorf; nachher haben wir sie nur flüchtig gesehn.« Sie hat in Erinnerung, daß an ihrem Geburtstage, dem 31. Januar, den die Stolbergische Familie bei uns feierte, von der nahen Reise nach Emkendorf geredet worden und daß sie nicht lange darauf erfolgt sei. In ihren Briefen an unsern Sohn Heinrich in Halle find ich: Am 4. März kam St. allein nach Eutin für eine kurze Geschäftsreise, ging dann wieder nach Emkendorf und kam gegen des Monats Ende zurück. Nach Karlsbad wollte St. mit seiner Familie in den ersten Maitagen über Wernigerode gehn und in W. einige Zeit verweilen. Meine Frau schrieb unserem Sohn den 2. April: »Wenn du Pfingsten (den 1. Jun.) nach Halberstadt reisest, so ist es wahrscheinlich, daß du noch alle in Wernigerode triffst; von da geht St. nach Karlsbad.« Ihr Brief vom 4. Mai an Gleim enthält Grüße für Stolbergs ganze Familie. Die Familie ging über Hamburg, woher Klopstock den 6. Mai der Gräfin Katharina einen Brief an Gleim mitgab.

Aber Gleims Briefe an uns melden, daß in Wernigerode am 12. Mai nur Kätchen mit Marie-Agnes ankam und Stolberg mit der übrigen Familie erst am 12. Junius. Stolberg machte indes einen uns verheimlichten Umweg, der, wie wir spät hörten, über Münster ging. Von da, scheint es, begleitete ihn die Gallitzin bis Driburg, einem Badort unweit Hannover, wo die Gallitzin im Junius war; denn laut Gleims Briefe vom 29. Junius hatte Kätchen sie dort auf der Rückreise nach Holstein zu besuchen gewünscht.

In Münster nun (also im Mai), wie die spätere Aussage war, ließ Stolberg mit seiner Sophie feierlich in die römische Kirche sich aufnehmen. Ob er die Söhne von Agnes zum Übertritt schon damals gezwungen, ward nicht klar. Gleim vermutete es zweifelnd; und der Zwang, den Stolberg in Wernigerode an Marie-Agnes versuchte, gibt der Vermutung Wahrscheinlichkeit. Als St. am 9. August nach Eutin kam, ließ er die Söhne noch für lutherisch gelten, doch behielt er sie streng in Aufsicht. Die Tat selbst und deren Zeit und Umstände wurden so sorgfältig verhehlt wie der Ursprung des tückischen »Kirchspielvogts«. Warum das und wozu?

Von Kätchen erzählt Gleim in mehreren Briefen, er habe sie zwei Tage in Wernigerode gesehn und zweimal zwei Tage bei sich; er klagt über andringliche Religionsgespräche, womit sie ihn, den Kränkelnden, gequält: ihr Gott sei der althebräische Tyrann, der katholische Gott; er hab ihr gesagt, sie sei schon halb Katholikin und werde es in kurzem ganz, wofern sie zu der Gallitzin nach Driburg gehe; sie habe sogar die Jesuiten gerühmt. Stolberg mit seiner Gemahlin, meldet er, habe ihn vor der Reise nach Karlsbad (im Junius) flüchtig und nachher (im Julius) auf der Rückreise wieder besucht.

Erst in der Mitte des August hörte Gleim von Dohm die aus Münster erhaltene Nachricht, Stolberg sei katholisch. Am 25. August schrieb er: »Graf Leopold Stolberg zu Eutin ist mit seiner Familie katholisch geworden, zieht nach Münster und erhält vom Bischof von Münster eine Präbende.« Am 31. August: »Wir wußten's seit 14 Tagen; ein Staatsminister schrieb's an unsern Dohm. Der Renegat war bei uns zweimal und war schon Renegat, ließ sich aber nichts merken. Die Söhne sahn wie Katholiken aus, waren blöde, schüchtern und sahn, ehe sie ein Wort sagten, nach dem Vater sich um. Die armen Kinder!« Am 4. September schien es ihm, meine Ode, die »Warnung«, müßte Eindruck auf den Freund machen, wenn nicht sein Wahnsinn aufs höchste gestiegen wäre. »Sorgen Sie, Herzensschwester, heitere gesunde Vernunft, daß unser Voß durch den Anteil, den seine Freundschaft an der fatalen Begebenheit nimmt, an seiner Gesundheit nicht leide. Der meinigen hat sie sehr geschadet; unser Kätchen schreibt mir zu viel, mich Quälendes, darüber; ich halt es nicht aus!« Dann fürchtet er für Claudius und schließt: »Wir müssen den Arbeiten der Unvernunft entgegenarbeiten!« Am 9. September: »Gestern las ich Jacobis Briefe an Sophie Stolberg und an den Gefallenen. Sie sind vortrefflich, lieber Voß; ich wollte, sie stünden in allen Zeitungen wie Ihre herrlichen zwei Oden. Wir müssen der guten Sache keinen Schaden zufügen lassen. Wär ich nicht ein alter kraftloser Mann, so würd ich ein Luther! Wir wollen doch sehn, ob einer unserer Theologen einer wird. Unsre Schuldigkeit ist, den Schaden zu verhüten oder doch zu mindern, der von diesem Beispiel zu befürchten ist. Der Wahnsinnige droht mit Kaisern und Königen! Es ist unglaublich, wie weit die Sucht des Dumm-machens sich ausbreitet! – Schrieb' ich eine Geschichte dieses Abfalls, sie ginge zurück auf Lavater. Stolbergs Schwärmerei war schon längst eine katholisch Lavaterische. Was haben Sie, lieber Voß, von der schon ausgestanden! Retten Sie, wenn Sie können, die Kinder. Die beiden Söhne gingen bei ihrem Hiersein mir nahe; sie sahn wie die tiefste Betrübnis aus; ich wußte die Ursache noch nicht.«

Sehr merkwürdig ist die Drohung, die dem Wahnsinnigen entfiel. Auf Kaiser und Könige soll gewirkt werden! Durch weltliche Macht die Vernunft unterjochen, das will die kaltherzige Eigensucht! Das war der Zweck des geheimen Bundes, der nicht nur in Münster und Holstein, sondern, wie nun lautbar ward, auch in Wien und Berlin arbeitete! Diesem Zwecke dünkte sich der schwarze Bund schon nahegerückt!

Gleim erzählte mir im Sommer 1799, ein Minister aus Berlin hab ihn besucht und im Gespräch über die Zeitumstände gesagt, das Volk räsoniere zu viel, man müsse die Katholiken begünstigen. – »Mögen die Exzellenzen sich wohl vorsehn«, war Gleims Antwort; »ihr bekommt euer Volk so roh, wie mein versoffener Kapuziner ist, der, da er neulich vorbeitrabte, auf meine Frage: ›Wohin, Bruder?‹ lustig erwiderte: ›Zum Kranken! will 'n Herrgott machen!‹« – Ein ähnliches Beispiel, wie sehr Ruchlosigkeit gedeihe bei unverständigem Pfaffentum, geb ich aus einem Briefe von Jung in der Beilage. – Als im Mittelalter der Ritter und der Pfaff eines rohen Wohlseins genoß, blüheten durch deren Verein die Völker in leiblichem und geistigem Gemeinwohl? waltete da Gesetz, Ordnung, Pflichtgefühl, Liebe für die glückselige Verfassung? standen die Throne fest? – Euch selbst, wenn nicht Hochmut und Sinnlichkeit euch betäubte, euch selbst, unbesonnene Exzellenzen, müßte der schreckliche Ruf eurer zertrümmerten Raubschlösser an das Herz dringen:

Lernet gewarnt recht tun und nicht mißachten die Gottheit!

Mit der winzigen Vernunftbildung, die ihr vom geistigen Bürgerstande gewannt, dünkt ihr euch schlau genug, dem Volke die Vernunft zu tilgen? Weh euch, wenn es gelingen könnte! Der vernunftlose Mensch wird Vieh; das mißhandelte Vieh wird Waldbestie!

Am 22. September schrieb Gleim: »Sie schweigen, Herzensschwester? lassen Ihren Freund in der Besorgnis, daß der Abfall eines einst hochgeschätzten Mannes von seinem bisherigen Gott und von uns, Ihnen und Ihrem Voß tödlichen Verdruß, wie mir, zugezogen haben kann? Sie wußten das schreckende Abenteuer längst schon, ohne Zweifel. Uns hat man's verhehlt. Katharina Stolberg hat mich schändlich hintergangen; ich spare mir die Erzählung. Es sind unglaublich böse Dinge vorgegangen; wir hören alle Tage traurige Nachrichten. Zu Wernigerode nichts als Seufzer! Der Sitz des Friedens ist auf dem Berge nicht mehr. Ziehn Sie, Herzensschwester, uns aus der Besorgnis! – Wir müssen, um nicht der guten Sache der Religion und der Vernunft (es ist eine doppelte Apostasie) zu schaden, uns öffentlich gegen den Apostaten erklären! Wir müssen uns selbst nicht verlassen!«

Dann wieder am 26. September: »O das Kätchen, das mit ihren Briefen mich bestürmt und nichts nun sagt, das mein Herz und meinen Verstand nur irgend befriedigen kann! Nicht eine Silbe von Wahrheit, wie ich wahr zu reden gewohnt bin, lauter Schikane schreibt sie mir. Sie will z. E. mich nicht hintergangen haben, weil das Geheimnis, das sie nicht verraten dürfen, ihres Bruders Geheimnis gewesen sei. Da soll ich Respekt haben vor ihres Bruders Intention! – und ich kann's mit der Zange des Grobschmieds aus ihr nicht herauskriegen, was ihr unseliger Bruder für eine hat. Kann er eine gute haben? Nein! sag ich; und sie geht ab auf Neckereien. Wer einmal so, wie diese Basiliskin, mich hintergeht, dem trau ich nie wieder! – Diesen Brief zeigt ihr nur nicht; doch liegt auch, wenn's geschieht, nichts daran. – Sind die Kinder von unserer Agnes katholisch? Ach, wie mag im Himmel sie trauren, wie herabsehn auf den gefallenen Sünder!«

Einen hiermit unverträglichen Grund der Verheimlichung meldet Gleims Brief vom 12. Oktober und mehr Trauriges: »Glück zu, daß Katharina St. auch Euch verlassen hat. Man ist in Sorge, sie werde mit dem Grafen von Reventlow, der nächstens nach Dresden zu seiner dort gelassenen Frau Gemahlin abreisen will, bis Wernigerode Gesellschaft machen. Könnt Ihr's verhüten, so tut's; Ihr verdient Euch einen Gotteslohn. Die gräfliche Familie hat entsetzlich ausgestanden und kaum sich erholt. Szenen, wie Schiller sie nicht erdichten könnte, sind vorgefallen. Ich konnte geduldig sie nicht hören; sie waren unausstehlich tragisch, in der simpelsten Erzählung. Fußfälle geschahn, des Bräutigams vor dem Schwiegervater, der Braut vor dem Vater. Der Vater ließ die Braut einsperren; sie sollte, katholisch zu werden, sich unüberredet entschließen. Barbarischer Vater! Seine Ankündigung: ›Ich muß, muß es sagen; ich bin katholisch geworden!‹ hätt ich nicht ausgestanden. Der Bräutigam, unser Wolfsüberwinder, hat diesen Wolf überwunden, aber ein Fieber davon getragen. Und das arme Kind, die Braut! Sie jammert mich! ›Lieben mich Vossens auch noch?‹, fragte sie so wehmütig, als sie bei uns war, und weinte, als sie vor Vossens Bilde stand. – Das Wunderbarste scheint nun, daß die Bekehrung so plötzlich gekommen sein soll. Man behauptet, keiner von Leopold Stolbergs nächsten Anverwandten habe Anwandlungen an ihm bemerkt! Katharina Stolberg habe bei ihrem ersten Hiersein von dem wirklichen Übergange noch nichts gewußt. Warum denn aber schien diese K. St. eine katholische dumme Christin schon längst gewesen zu sein? Sie quälte mich mit ihren dummen Lobreden auf die Jesuiten ja fast zu Tode! Käme sie wieder, ich stand es nicht aus. Möchte sie doch in ihr Stift gehen! und sich darein ergeben, daß sie die alte Liebe nicht wieder erlangen kann! Aber ich glaube, sie geht auch nach Münster, wird auch öffentlich katholisch, heimlich ist sie's.« – Am Rande: »Schafft mir doch eine Abschrift von Jacobis Schreiben an St. Die Stelle in St. Antwort: Jacobi habe dem Atheisten Fichte die Tür geöffnet und dem Gläubigen St. verschlossen! dünkt mich aus keinem guten Herzen geflossen zu sein.« – Allerdings ein Witzwort, dessen St. sich schämen sollte. Fichte strebte, dem Begriff des Unerforschlichen sich als Weltweiser zu nahen, ward Atheist gescholten (weil er den Adel beleidigt hatte), kam in Not, und Jacobi bot ihm eine Zuflucht an. Stolberg ergab sich dem blinden Glauben an den hebräisch-papistischen Herrgott und prunkte damit. Dort ward dem verfolgten Forscher die Tür geöffnet, hier dem stürmischen Bekenner der Verfolgungslehre der Zutritt versagt.

Noch einmal am 19. Dezember äußerte Gleim den Wunsch, daß Jacobis gediegene Worte über Stolbergs Verirrung der Welt mitgeteilt würden, ohne Rücksicht auf kleinliche Verhältnisse. »Brav, daß V. auch die fünf Fabeln von den »Lichtscheuen« will drucken lassen, sehr brav! Andere sind nicht so brav. Warum denn sieht's unser Jacobi nicht gern, daß seine Briefe bekannter werden, NB. in unserer Gegend? Sie sollten in allen bekannter werden, sollten längst schon gedruckt sein. Warum so bedachtsam? so kalt? so gleichgültig? Könnt ich ein Athlete noch sein, so stritt' ich gegen die Hottentotten, die uns das Licht des Evangeliums auslöschen wollen, wie einer der Tapfersten!«

So empfand Stolbergs Tat ein Edler wie Gleim, der Zweiundachtzigjährige; so empfanden sie Agnes' Söhne und Agnes' verlobte Tochter und ihr Ferdinand und die ehrwürdige Familie, in deren Burg er, wild vom eben getrunkenen Taumelkelch, die unmenschliche Grausamkeit ausübte. Und so nahm sie das gute Kätchen aus Not.

Wir unterdes hatten im Julius 1800 uns Lebensfreude bei unseren Dithmarschern geholt und kamen am 2. August mutig zurück. Gleich nach unserer Ankunft sagte uns Kätchen, mit ihrem Bruder Fritz sei was Unerwartetes vorgegangen, das sie nicht sagen dürfe; die zwei folgenden Tage erzählte sie von Gleim, unbefangen wie sonst, nur das Religionsgezänk umgehend. Die Gräfin Sophie, die der nahen Entbindung wegen ihrem Manne vorausgeeilt war, besuchten wir und fanden sie mit rotem Gesicht am Schreibpult. Am 5. August auf einer Spazierfahrt begann Kätchen: »Ich muß euch etwas mitteilen, das viel Aufsehen machen und, ach Gott! wieviel alte Verbindungen zerreißen wird: unser Fritz ist katholisch geworden.« – »Das erwarteten wir längst«, antwortete ich; »und wo denn?« – »In Münster«, sagte sie und freute sich meiner Gelassenheit. Auf seiner Rückreise, dachten wir natürlich.So zu denken, wurden mehrere veranlaßt. In der »Freimütigen Beleuchtung des Stolbergischen Übertritts«, Leipzig 1801, wird S. 10 gesagt: »Der Graf verließ im Julius 1800 seine bisherige Verbindung und trat zu Münster öffentlich zur katholischen Kirche über.« Agnes' Kinder, hieß es, sein noch protestantisch ; und ich bat Kätchen zu verhüten, daß ihr Bruder nicht eher zu uns käme, als bis er von Agnes' Freunden ein ruhiges Wort über die Kinder anhören könnte. In den nächsten Tagen entfiel ihr, was am 10. August meine Frau unserem Sohn Heinrich schrieb: »In Wernigerode sind heftige Szenen vorgefallen; St. hat die Heirat zu trennen gedroht, wenn man ihm die fernere Erziehung seiner Tochter weigerte, aber vergebens. Sie bleibt bei den Schwiegereltern, die sie als eigenes Kind lieben. Wie hat Gott für das treffliche Mädchen gesorgt! Gleim weiß noch nichts. Mir glüht das Gesicht, bald schreib ich wieder.«

Das Geheimnis hatte die Gräfin Sophie schon am 2. August ihrem Nachbar Jacobi schriftlich vertraut und langer Prüfung und himmlischer Ruhe sich gerühmt. Jacobis kräftige Antwort, mit der Erklärung, er wolle Stolberg nicht wiedersehn, beschäftigte sie wahrscheinlich, als wir sie am Schreibpult trafen.

Am 8. August dichtete ich die »Warnung an Stolberg«, die, nach den Umständen überreicht oder gesandt, ihn zum ernsten Gespräch über die Kinder von Agnes stimmen zu können schien. Ihn selbst umzulenken, die Hoffnung war schwach. Der Hauptgedanke der Ode ist: Den menschenfeindlichen Satz, außer der römischen Kirche sei kein Heil, wie mild man ihn dir auch gedeutet habe, mußt du künftig im wahren Sinne des Papsttums annehmen; dazu den Mönchsablaß, den du verabscheuetest; dazu die Brotverwandlung, obgleich du schon Luthers Begriff »absurd« nanntest und Zwinglis Deutung behauptetest. Meine Frau glaubte mit mir, Stolbergs Gefühl würde sein: Hätt ich den Schritt nicht schon getan, ich besönne mich noch; wenigstens will ich den evangelischen Kindern freie Wahl lassen.

Stolberg kam am 9. August mit seinem Bruder aus Tremsbüttel. Trotz Jacobis Verbot stürmte er gleich in dessen Haus, und als der durch den Garten ihm entwischt war, trotz meiner Bitte gleich in das unsrige. Er wußte, weder Jacobi noch ich würden ihn annehmen; das war ihm recht. Nun könnt er als Märtyrer mit unserer heidnischen Hartherzigkeit, mit seiner echtchristlichen Geduld und Demut einherprangen. Aus Furcht vor so zudringlichem Ungestüm, saßen wir in meinem Studierzimmer; wenn der Graf käme, sollte man uns verleugnen. Gleichwohl sucht er uns im Garten, in dem selbigen Garten, wo vor zwei Jahren dem Rasenden meine Frau allen Verkehr aufgekündiget. Darauf sandt ich ihm das Gedicht und schrieb dabei, er möchte dann kommen, wann er ruhig genug wäre, über die evangelischen Kinder ein Wort zu hören. Er schrieb zurück:

»Es wird ganz von Ihnen und von unserer lieben Ernestine abhangen, wann Sie mich sehen wollen. Stürmisch werden Sie mich nicht finden, auch nicht mich stürmen machen, selbst dann nicht, wenn Sie von dem, was ich nach langer Prüfung wählte, im Ton Ihres Gedichtes sprächen. – Sie werden bedenken, lieber Voß, daß ich meinen andersdenkenden Freunden wie der von den Seinigen angefochtene Hiob sagen könne: Irre ich, so irre ich mir. Diese Sache ist eine Sache zwischen Gott und mir; und so ist es auch meine Leitung oder Mißleitung der Kinder, welche nicht Menschen, denen ich Rechenschaft schuldig wäre, sondern Gott mir anvertraute. Gegen Sie und Ernestine bin und bleibe ich der alte und gebe Ihnen die Hand darauf. Nichts wird mich je dahin bringen, meinen alten Freunden nur Mitleid weihen zu können. – Bis wir uns sehen, lassen Sie uns nicht weiter aneinander schreiben.«

Das einzige Gespräch also, das der alten Freundschaft noch übrigblieb, ward abgeschnitten. Nach einigen Tagen schickte ihm meine Frau anvertrauete Blumen zurück und ein paar herzliche Zeilen über ehemals und jetzt. Sie zeigte mir das Blatt; und ich, aus Furcht vor dem gärenden Vulkan, riet ihr, darunterzuschreiben, er möchte nicht antworten. Hieraus ward das Gerücht, meine Frau dächte über Stolbergs Religionsänderung milder als ich, wagte sich aber nicht zu äußern.

Die Pflichten gegen die Kinder hatte der Hofmarschall von Dorgelo, ein Onkel von Agnes, ihm vorgestellt; umsonst, er geriet in Wut. Man hatte Agnes' Brüder bewegt; auch das umsonst: Sein Bruder Christian mied uns; nach mehreren Tagen kam er zu meiner Frau, als ich in der Schule war. Den Erfolg meldet ein Brief an Gleim. »Graf Chr. war von meiner Frau mürbe gemacht worden; triefend wie ein Schwamm, begegnete er mir an der Türe, stutzte vor meinem Anblick, ging mit mir ins Haus zurück und war nervenlos wie ein Schwamm. Sobald ich aber von den Kindern anfing, steifte er sich. Wenn man damit den Bruder quälte, sagte er, so würd er sich eine Pistole vor den Kopf schießen. Auf meine Antwort, bis zu solchem Wahnsinn sei der arme Bruder noch nicht gelangt, wollt er gesagt haben, er selbst, wenn er den Bruder damit quälte, schöß ihm gleichsam eine Pistole vor den Kopf; und dann schwatzt' er so wirr, so unsinnig, so beleidigend, daß ich in das Nebenzimmer ging. Intoleranz nicht nur nannte er's, daß wir den Übertritt zu der intolerantesten Religion und das gewaltsame Hinüberziehn seiner Kinder nicht billigten, nicht den Mut, nicht die Energie hochschätzten; sondern, was glauben Sie? Haß gegen die christliche Religion, ähnlich dem Hasse, sagte er, der die Religionsdiener in Frankreich unter die Guillotine gelegt.«


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