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*

Herr Sueßmilch fand im Wohnzimmer erhitzte Gemuether. Der Franzoesirte hatte es mit Allen verdorben. Renate fand seine Schmeicheleien laecherlich, und hier am sehr unrechten Ort. Dann machte er sich an ihre Tante und pries ihre imagnifique uenique Corpulenz, wie er es nannte. Er fuegte hinzu: »Ich habe in Paris auf dem marché des innocens eine poissarde gesehn, mit der Sie ganz extraordinaere Aehnlichkeit haben, sie hatte grade solchen émbonpoint.«

Frau Kuerbiß verstand die Unart nicht, die er da gesagt hatte, und dankte ihm wie fuer eine Verbindlichkeit.

Er hob nun wieder an: »Vous etes aimable, fort aimable, aber Eins gefaellt mir nicht an Sie, einen odioesen deutschen Namen haben Sie. Kuerbiß, wie kann man Kuerbiß heißen! Melone, das ließ ich noch passiren. Taufen Sie sich doch um, uebersetzen Sie vielmehr den haeßlichen Namen ins Franzoesische. Da heißt ein Kuerbiß citrouille, und ein dickes Weib nennt man in Paris une grosse citrouille. Bedenken Sie, wie schoen es klingt, Madame Citrouille!«

Frau Kuerbiß ward nun ziemlich ungehalten. »Ich sehe nicht ein, Musjeh Sueßmilch«, entgegnete sie, warum ich meinen ehrlichen Namen aendern sollte. Und wenn ich sagte, daß Sie mir sehr artig vorkommen, mueßte ich wahrhaftig luegen. Mit wem denken Sie denn, daß Sie sprechen?«

Das junge Maennchen wollte sich halbtodt lachen. »J'aime les quérelles, dont le beau sexe va m'honorer«, hieß die Gegenrede. »Sagen Sie mir soviel Sottisen wie Sie wollen, ich finde das amuesant. Aber sans badinage, folgen Sie meinem Rath, aendern Sie Ihren fatalen Namen!«

»Warum aendern Sie Ihren denn nicht?«

»Ventre gris, Sie fuehren mich auf eine delizioese Idee. Sueßmilch laeßt sich zwar viel huebscher anhoeren wie Kuerbiß, und wer wird nicht lieber sueße Milch trinken als einen Kuerbiß essen, der ist auch pour Messieurs les cochons. Aber was hilfts, der Name ist deutsch, und alles Deutsche ist abominabel, darum will ich ihn auch uebersetzen, will mit mon cher pere davon sprechen. Wie heißt er franzoesisch? Douxlait, o das klingt goettlich, Monsieur Douxlait. Madame, davor muß ich Ihnen embrassiren.« Er wollte zur That schreiten, Frau Kuerbiß trieb aber das Windspiel mit ihren kraeftigen Armen ab und sagte erhitzt: »Thaet ich's nicht um Ihren Herrn Papa, ich wollt' es Ihnen anders geben. In die Krausenstraße In dieser Straße befand sich vor Zeiten das Tollhaus. gehoert Einer, der sich so betraegt.«

Nun schien es doch, als waere sie Herrn Sueßmilch zu herb, denn er huepfte zur Gattin des Cantors. »Mon Dieu«, rief er, »da ist ja noch eine scharmante kleine Frau, die ich noch nicht regardirt habe.«

» Meine Frau, mit Erlaubniß«, fiel der Cantor ein, »und ich werde bitten –«

»Mais ne faitez donc pas le jaloux, Monsieur?«

»Verzeihen Sie guetigst, Herr Sueßmilch!«

»Vous etes un George Dandin, fi, fi!«

»Mit Latein kann ich die Ehre haben aufzuwarten, auch hab ich das Italienische bei der Musik ziemlich gelernt, denn ich dirigire die Choere bei der Oper, doch was die franzoesische Sprache anlangt –«

»Aber wie kann man eifersuechtig sein! Ist das in Berlin noch Mode, ist man hier noch so weit zurueck? Ich wuerde mich rejouiren, wenn ich eine huebsche Frau haette, und Jemand marquirte es mich, daß er sie auch huebsch finden thaete, es machte meinem Gout Ehre.«

»Erlauben Sie guetigst – es kann mit meiner Frau sprechen, wer da will, sie auch singen hoeren, sie hat einen guten Sopran von weitem Umfang, und ruft ihr Jemand Bravo zu, freut es mich, denn ich habe sie gebildet. Aber Sie, mein Herr Sueßmilch, belieben sich doch ein wenig zu viel Freiheiten herauszunehmen. Setzen sich so ganz dicht heran – ich bitte, guetigst ein bischen wegzuruecken.«

»Ei«, rief Herr Sueßmilch, »das schadet Ihnen ja nicht. Je suis un petit papillon, qui fait la cour a tout le monde.«

Er rueckte ohne Weiteres noch naeher und kniff die Frau Cantorin ein wenig in die Backen.

»Gehn Sie«, rief Diese, »mein Mann ist hitzig, wenn ihm der Kamm schwillt.«

»Ja, ja«, rief Dieser schon ziemlich laut, »ich bin Tenorist, im Nothfall uebernehm ich aber auch eine Baßparthie.«

Jetzt trat der alte Sueßmilch herein, gab dem Sohn heftige. Verweise, bat die Uebrigen um Nachsicht und stellte so die Ruhe wieder her.

Bald erschien nun auch Doris in ihrer Umwandlung, grueßte die Anwesenden sittsam, doch keineswegs mit einem Streben zu gefallen.

Renate ging auf sie zu, ließ sie dann Platz neben sich nehmen und sprach leise mit ihr.

Waehrenddem fluesterte Ludwig seinem Vater ins Ohr: »Elle a l'air allemand, c'ést a dire, l'air gauche. L'autre vaut mieux, c'ést a dire, la belle niece de la grosse citrouille.«

Der Vater achtete nicht darauf, sagte nur unwillig: »Da bringe Deine Galanterien an, da passen sie. Und Du bleibst sitzen, wie die Braut koemmt. Ist das nicht unmanierlich? Gleich gehe hin, und sprich mit ihr.«

»Mon eher pere«, entgegnete der Sohn leise, »wenn ich sie werde geheirathet haben, kann ich genug mit ihr sprechen.«

»Du hast sie auch noch um Verzeihung zu bitten, wegen vorhin. Allons, sei kein Esel!«

Ludwig stand nun auf, ging mit einem Schritt, als ob er eine Menuet tanzte, zu Doris, und sagte: »Eh bien, Mademoiselle, ma promise, Vous voila blanchi, et dans un instant –«

»Deutsch, Junge«, fiel ihm der Vater ins Wort, »wie oft soll ich's wiederholen.«

Der Sohn hob wieder an: »Mademoiselle, meine Braut, haben Sie sich auf eine Bleiche gelegt und sich mit Wasser begießen lassen, daß Sie mit einemmal weiß geworden sind? Aber die Sonne scheint ja nicht, es muß par un miracle geschehen sein. Nun faellt mir's bei, Sie sind ja eine Sonne, da haben Sie sich selbst beschienen.«

Der alte Sueßmilch rief: »O wie fade! Kannst Du denn niemals ein vernuenftiges Gespraech fuehren, mein Sohn? Er hat Sie auch noch um Vergebung zu bitten, Mamsell Goehl! Er hatte sich erschrocken, wie Alle –«

»Mort de ma vie – ah, ich soll das insupportable Deutsch sprechen – ah, bei dem Wort insupportable faellt mir ein Geschichtchen bei, das man sich in Paris erzaehlte, von einer Demoiselle in der Bretagne. Sie war auf einem Ball, ein Cavalier wollte mit ihr tanzen, da sagte sie: Non, Monsieur, quand je danse, je sue, quand je sue je pue, et quand je pue, je suis insupportable. Ich sagte, aber in Paris: Das waere nicht wahr, in der Bretagne waere das nicht geschehn, sondern in Pommern. Ich will es Sie uebersetzen –«

Sein Vater rief: »Laß es unuebersetzt, und bitte Deine Braut um Verzeihung!«

»Ah, je n'en hesiterois plus! Pardonniren Sie also, daß ich schreien that: c'ést un monstre! Dafuer will ich nun auch schreien: c'ést un ange!«

Herr Goehl trat nun ins Zimmer. »Es ist recht unartig von mir gewesen«, hob er an, »daß ich die wertheste Gesellschaft nicht gefragt habe: ob's gefaellig waere, eine Parthie Solo zu spielen. Freund Sueßmilch, wie waer's, soll ich das Toccatillenbrett holen? Es ist nun freilich spaet –«

»Mein Herr Goehl«, nahm der Cantor aufstehend das Wort, »sollte es der hochwerthen Gesellschaft nicht zuwider sein, wuerd' ich mich erdreisten, eine kleine musikalische Unterhaltung vorzuschlagen.«

»Ganz recht«, versetzte Herr Goehl, »warum hat man nicht frueher daran gedacht. Doertchen, geh ans Clavier, spiele meine Leibmenuet!«

Sie gehorchte, und der Lehrer setzte sich ihr zur Seite, um mit seinem Fuß den Takt zu treten.

Die Menuet war von einem Componisten, wie man ihn nicht alle Jahrhunderte sieht. Sein Bildniß, mit einem vergoldeten Rahmen, hing im Zimmer, man fand es damal beinahe in jeder Wohnung eines Berlinischen Buergers, denn sie wollten alle rechte Patrioten sein. Dieser Componist trug auf dem Gemaeide einen schwarzen Federhut mit Silber, den er eben ein wenig abnahm. Blick und Zuege waren ungemein großartig. An dem blauen Kleide sah man den Stern des schwarzen Adlerordens und ein Achselband, eine Schaerpe, schwarz mit Silber, umgab es.

Als die Menuet vollzogen war, fragte Herr Goehl: »Von wem meinen Sie, daß sie ist? Herr Cantor, sagen Sie nichts!«

Alle wußten es, so bekannt war die Menuet. »Aber sagen Sie mir«, nahm Jener abermal das Wort, »der Herr hat Kriege gemehrt, muß ein Land regieren, schreibt Buecher, blaest die Floete, und hat noch Zeit, eine Menuet zu komponiren. Ist das zu begreifen?«

Der Cantor sagte: »Man hat auch eine Symphonie von ihm, Opernarien, Floetenkonzerte. Seine Armee nennt ihn immer einen neuen Caesar, ich nenne ihn einen neuen David, um der Musik willen.«

»Und ich«, rief Sueßmilch, der Vater, »nenne ihn einen neuen Hiram. Das war ein Koenig von Tyrus, der sorgte fuer den Handel.«

Der Cantor wandte sich jetzt an die Nichte der Frau Kuerbiß, sie bittend, die Bravourarie Mi paventi vorzutragen. Renate entschuldigte sich aber und gab vor, Heute nicht bei Stimme zu sein, und anfangs April haette man schon an einen Katharr glauben duerfen. Sie forderte hingegen ihren Lehrer auf, mit seiner Gattin ein Duett zu singen.

Das ließen Beide sich nicht zweimal sagen und waehlten eins aus einer Oper von Hasse. Sie hatten es wohl eingeuebt und ernteten damit vielen Beifall.

Der aeltere Sueßmilch hoerte aber wenig darauf, nahm vielmehr waehrend desselben neben Doris Platz und hob leise an: »Sagen Sie mir aber, mein kuenftiges liebes Toechterchen, wie kam es denn, daß Sie vorhin so schwarz waren? Es ist mir doch ein Raethsel.«

Doris wurde blutroth, die Frage mußte sie wohl in peinliche Verlegenheit setzen. Die Wahrheit konnte sie nicht gestehn, schwieg erst eine gute Zeit, und brachte dann eine Nothluege hervor, der es an aller Glaubwuerdigkeit fehlte. Sie wollte nehmlich unter dem Kuechenschornstein weggegangen sein, waehrend der Ofen gefegt würde, und sie sei dergestalt mit Ruß beschuettet worden.

Herr Sueßmilch schoepfte nur um so mehr den Glauben, hier moege wohl ein Geheimniß verborgen sein, dessen Enthuellung dem Maedchen eben nicht ganz zur Ehre gereichen durfte. Er brach dies Gespraech inzwischen ab.

Dagegen setzte er sich neben Frau Kuerbiß, sprach von ihrer Nichte, lobte sie beredt und kam auf die Frage: ob sie schon einen Braeutigam fuer das liebenswuerdige Maedchen ausgewaehlt haette? Die Antwort hieß: Nur zu viele junge Maenner haetten sich schon um sie bemueht, und sie pflege sie nicht mit an oeffentliche Orte mitzunehmen, um neuen Bekanntschaften, die sich wieder anknuepfen koennten, auszuweichen. »Renate hat ja noch Zeit«, fuhr sie fort, »und es ist mein Vorsatz, sie nicht zu verheirathen, bis ich einen Mann finde, der nach ihrem Sinn ist und auch nach meinem. Er muß bei ihr dem Herzen und bei mir der Vernunft gefallen.«

Jener konnte nicht umhin, dies Vorhaben zu billigen, hatte aber mit Zufriedenheit gehoert, daß Renate noch nicht versprochen sei.

Der Zweigesang endete, und nun erbot sich Renate von selbst, ihr Mi paventi hoeren zu lassen. Vielleicht hatte die andere Musik ihre Lust dazu aufgeregt, vielleicht war es eine Art Politik, zuletzt aufzutreten.

Alles bewunderte die schoene volltoenende Stimme, worin sie die Cantorin weit uebertraf. Aber auch die Fertigkeit war glaenzend, und ob sich schon hier nicht Alle auf Musik verstanden, wetteiferten sie doch in ihren Lobeserhebungen.

Ludwig rief den Vater aber hinaus, und sagte ihm: »Mon cher pere, koennten Sie mich denn nicht von der alten Braut losmachen, die mir lange nicht so charmirt wie die couleur de feu? Die singt wie Eine in der Pariser Oper, und es mueßte den Mann doch flattiren, solche Frau zu produziren, mit ihr zu brilliren. Die moecht ich haben, und reich, sagen Sie ja, ist sie auch.«

Der Vater antwortete: »Goehl ist mein alter Freund – und viele Maedchen, wie seine Tochter, die einmal 20.000 Thaler haben wird, giebt es in Berlin auch nicht. Die Andere soll aber wohl 25.000 und mehr erben, die Tante hat auch schon einen Anfall vom Stickfluß gehabt. Der kann sich bald wiederholen, Goehl und seine Frau leben aber vielleicht noch zwanzig Jahr, wenigstens Eins davon –«

»Die citrouille stickt in ihrem eignen Fett, geben Sie Acht.«

»Unrecht hast Du nicht, mein Sohn, mir waere ihre Nichte auch lieber, und ein Ehecontrakt, worueber ich nun ganz zufrieden bin, ist nicht da. Aber wie hier loskommen und dort – das ist eine Hauptsache – wieder anbinden?«

»Loskommen? Ich sage, sie gefaellt mir nicht, ich heirathe keine botte a noir de fumée, damit gut.«

»Nein, ohne einen Grund, der sich auch hoeren laeßt, geht das nicht an. Goehl koennte am Ende uns doch einen Prozeß machen, es hieße, man haette seine Tochter in der Leute Mund gebracht, ihr geschadet – ein guter Advokat ist da im Stande, verteufelte Schikanen hervorzubringen. Aber – es ist mir so, ich vermuthe wenigstens, daß vielleicht ein Grund entdeckt werden koennte, der mich und Dich berechtigte, uns zurueckzuziehn. Wir muessen spaehn, nachforschen, auszumitteln suchen. Manches fiel mir auf, und besser kann ich mir Alles nicht zusammen reimen als wenn ich mir vorstelle: Mamachen wird sie auf ein Naschen von verbotner Frucht ertappt und sie zur Strafe in einen Kamin gesperrt haben. Wenn man jedoch was beweisen koennte, einen Liebhaber, heißt das, so waer ein Grund da. Nun, wir wollen sehn: Wir duerfen aber kein unreines Wasser ausgießen, bis wir reines haben. Koennen wir nicht gewiß sein, daß die Andere Dich nimmt, lassen wir die alte Braut nicht los, und wenn sie sich zehn andere Amanten angeschafft haette. 20.000 Thaler finden sich nicht so leicht wieder, mein Sohn!«

»Ich will die Andere im Voraus in mich verliebt machen. C'ést une bagatelle pour moi!«

»Halt, so schnell geht das auch nicht!«

»Sie ist schon in mich verliebt, le diable m'en porte! Die Arie hat sie blos gesungen, daß ich sie admiriren sollte.«

»Bilde Dir nicht zu viel ein. Zwar so ein Maedchen – Du hast nur mit Deinen Windbeuteleien, Deinen, faden, abgeschmackten Possen die Tante erzuernt.«

»Das mache ich wieder gut.«

»Wir muessen eine Abrede nehmen. Hier darfst Du Dir nichts von einer anderen Absicht merken lassen, und – vielleicht steht auch Alles da so, daß es am besten ist, wenn die Sache beim Alten bleibt. Hier freundlich, zaertlich gegen die Braut, auch ihre Eltern warm gehalten, zumal die Mutter. In diesen Tagen machst Du der Madame Kuerbiß aber eine Visite. Da siehst Du denn zu, ob Du das Maedchen fuer Dich einnehmen kannst, und setzest Dich bei der Tante wieder in Gunst. Hat es einen guten Anschein, wiederholst Du Deine Besuche, ich gehe auch hin, rede zu Deinem Vortheil. Allenfalls waere darauf zu rechnen, daß es einem Maedchen schmeichelhaft zu sein pflegt, wenn es dem andern den Braeutigam abspenstig machen kann. Waehrenddem suche ich auszuforschen, was hier vorgegangen ist. Man wird ja weiter sehn. Thue nur genau, was ich Dir befohlen habe.«

Sie gingen nun zur Gesellschaft zurueck, wo man sie bereits erwartete, denn das Essen war aufgetragen. Mit gebuehrenden Ceremonien begaben sich die Anwesenden in die Putzstube. Herr Goehl bot Frau Kuerbiß den Arm, der aeltere Sueßmilch fuehrte die Wirthin vom Hause, der juengere seine Braut, Renate mußte sich vom Cantor begleiten lassen, den ihr Reifrock ungemein verlegen machte, und Frau Schmidt allein hinterdrein gehn.

Vier Lichter brannten in Zinnleuchtern auf dem blendend weiß gedeckten Tisch und erhellten die Putzstube so gut, daß man den Anblick ihrer ganzen netten Einrichtung genießen konnte. Zwischen den Fenstern zeigte sich ein Spiegel, vierzig Zoll hoch und fuenfundzwanzig breit, mit blau angelaufenem Glase eingefaßt, ein koestliches Hausgeraeth. Darunter befand sich die Staatscommode, schwarz mit vergoldeten Leisten und Oben mit einem roethlichen Tuch ueberbreitet. Auf diesem standen saemmtliche Chokoladen- und Kaffeetassen, auch einige Pueppchen dazwischen. Eine saubre Nadelbuechse, ein niedlich Riechflaeschchen und zwei Dutzend Aepfel von ausgezeichneter Schoenheit stellten die weiteren Zierrathen dar. Von ueberaus weißem Nesseltuch hatte man die Fenstergardinen gefertigt, und das große Eckspinde starrte von einem Reichthum an Bier- und Weinglaesern. Ein großer Krug, und ein Festkelch mit Deckel glaenzten besonders, und ganz Oben auf dem pyramidenfoermigen Bau saß ein ausgestopftes Eichhoernchen, welches eine Nuß bestaendig in den Pfoten hielt. Eine Wand zeigte die Gemaeide des Ehepaars, noch in seiner Jugend dargestellt, Herr Goehl mit einer Rose in der Hand, seine Gattin mit einem großen Blumenstrauß am Busen. Unter denselben hingen vier Kupfer, blau abgedruckt, welche die vier ersten Szenen aus dem Leben des verlornen Sohnes versinnlichten. An der Wand gegenueber sah man Schleuens Grundriß von Berlin, und darunter den verlornen Sohn abermal in vier Lebensverhaeltnissen. Die Hinterwand hatte keine Schildereien, wohl aber einen breiten Kamin, auf dessen Gesimse ein Topf von Porzellan mit getrockneten Lavendel und Rosenblaettern stand, auf jeder Seite noch zwei sogenannte chinesische Pagoden, welchen man nur einen kleinen Stoß zu geben brauchte, um sie eine Viertelstunde lang mit dem Kopf nicken zu sehn. Alle Stuehle waren hier von braungebeitztem Holz, und ihre Polster mit karmoisinrothem geschornem Sammet ueberzogen. Die Tapeten schienen uralt zu sein, und man erkannte die Gestalten darauf nicht mehr, einer Sage nach hatte man einst aber Goliath und David, den schwebenden Absalom, und Judith mit dem Kopf des Holofernes, darauf erblickt. Bald haetten wir das Hauptprachtstueck im Prachtgemach vergessen. Dies war eine Floetenuhr, im großen weißen Gehaeuse. Sie schlug alle Viertel- und halbe Stunden, bei den vollen aber ließ sie eine angenehme Musik hoeren. Sechs Veraenderungen, mittelst eben so vielen Walzen, hatte sie in ihrer Gewalt. Nehmlich einen Choral, ein Praeludium von Sebastian Bach und die Arie: Ich bin eine Blume zu Saron als geistliche, den Marsch der Leibgarde in Potsdam, das Freimaurerlied: Brueder, wir sind jetzt hier, doch wer weiß, wie lange, und ein ganz neues: Ich schlief, da traeumte mir, geliebtes Kind, von Dir aber als weltliche Leistungen. Die Uhr war ein Pueppchen des Herrn Goehl, der sie stets mit eignen Haenden aufzog und saeuberte. Mochte sie an Vollkommenheit gegen spaetere aehnliche Kunstwerke auch weit genug zurueckstehn, so war sie doch i.J. 1750 sehenswuerdig. Neu duerfte sie Herr Goehl, alsdann zu theuer, schwerlich gekauft haben, doch sah er sich vermocht, sie von einem Debitor statt Schuldenzahlung anzunehmen, und, einmal es besitzend, wollte er das seltne Stueck nun auch nicht verkaufen.

Das Essen war frueher schon erwaermt gewesen, man haette seit einer halben Stunde speisen koennen, wartete indeß immer noch auf Lebrecht. Und er, um dessentwillen das Mahl, das nicht wenig kostspielige, veranstaltet worden, erschien nicht. Es wurde spaet, der Hunger war den Gaesten nachgrade am Gesicht zu lesen, und so blieb nichts uebrig als ohne den Sohn an die Tafel zu gehn. Man sah indeß wohl am Betragen der Eltern, wie sehr dieser verdrießliche und sie beschaemende Umstand ihre gute Laune verscheucht hatte. Der Vater hatte dabei weiter keine Bangigkeit. Er wird sich herumtreiben, hatte er vorhin zum Cantor gesagt, auf einem Billard, hat alte Bekannte gefunden. Dagegen empfand die Mutter unruhige Besorgniß, und aeußerte sie gegen die Muhme. »Mein Himmel«, wimmerte sie, »wenn ihm nur kein Unglueck widerfahren ist. Er hat mich sehr erzuernt, hat mit der feinen Waesche was vorgenommen, was keine Mutter ihrem Sohn vergeben kann, aber ein Unglueck wuenschte ich ihm deswegen doch nicht.« Die Muhme suchte sie zu beruhigen, was ihr indeß wenig gelang.

Man stellte sich um den Tisch, und sprach die jeden Tag hier ueblichen Gebete. Der Hausvater erhob zuerst seine Stimme, mit dem: Wir gehen zu Tisch auf Deinen Befehl, Herr Jesu Christ speis' unsre Seel' u.s.w. Dann sprach Frau Goehl das: Diese Speise segne uns Gott der Vater u.s.w., endlich Doris: Alle gute Gabe, und alle vollkommene Gabe u.s.w.

Nun ward Platz genommen. Die Oberstelle war der Frau Muhme angewiesen, und sie fuellte die eine schmale Seite des Tisches auch vollkommen mit ihrer Breite aus. Links neben ihr saß der Wirth, dann folgte Renate, hierauf der aeltere Sueßmilch, endlich die Gattin des Cantors. Drueben war Frau Goehl der Muhme Nachbarin, neben sich hatte sie den Braeutigam, und dieser Doris zur Seite, an welche sich der Cantor schloß. Die zweite schmale Seite enthielt ein fuer Lebrecht offenes Gedeck.

Zu den ersten und sehr redseligen Gespraechen lieferten die Komplimente den Stoff, als man die Fische, als erste Schuessel, austheilte. Niemand wollte den ihm gereichten Teller behalten, »ich bitte – haben Sie die Guete – es wird nicht geschehn, – er ist in guten Haenden – unmoeglich« so toente es eine lange Zeit hindurch. Ludwig sagte zuletzt aber: »Mesdames, Messieurs, ich muß Ihnen sagen, daß in Paris das Komplimentiren nicht mehr Mode ist.« Vor diesem Ausspruch zeigten sie nun einige Achtung, nahmen und aßen. Die Gaeste nehmlich, Wirth und Wirthin hatten zwar auch die gefuellten Teller vor sich stehn, konnten vor Unmuth aber die Speisen nicht anruehren. Statt es ihr Amt wuerde gewesen sein, die Gaeste zu noethigen, mußten Letztere Heute Jenen diesen Liebesdienst erweisen. Herr Sueßmilch Vater und Frau Kuerbiß empfahlen ihnen besonders, die Traurigkeit zu fliehn. Herr Goehl faltete die Haende und rief: »Ist es aber nicht zu arg? Koemmt immer noch nicht, thut das den Eltern, und an einem solchen Tage!«

»Ei nun«, sagte der im blauen Staatsrock, »er wird eine Abhaltung gefunden haben«, und Ludwig nahm das Wort: »Er wird sich gut amuesiren, wo er ist, und nicht wegwollen. Ist ihm das auch zu verdenken?«

Frau Goehl brach in helle Thraenen aus. »Mein Himmel«, rief sie, »der Waechter tutet schon! Nun gehts nicht mehr mit rechten Dingen zu. Er ist ueber eine Bruecke gegangen und in die Spree gefallen, oder ein Wagen hat ihn uebergefahren!«

Man beeiferte sich, diese Besorgniß zu zerstreuen, und Herr Goehl theilte sie selbst nicht, indem er anmerkte: »Ein Mensch von Ein- bis Zweiundzwanzig Jahren wuerde sich doch in Acht nehmen.« Der junge Sueßmilch rief: »Er kann auch eine affaire d'honneur gehabt haben, ist todt gestochen, oder hat einen Andern todt gestochen.«

Das wirkte elektrisch mit Schrecken. Frau Goehl waere bald darueber in eine Ohnmacht gefallen. Nun ward ihrem Mann selbst bange. »Auf der Universitaet«, stotterte er, »hat sich der Blitzjunge herumgeschlagen, eine Schmarre im Gesicht mitgebracht, und etliche auf dem Arm. Siehst Du, mein Kind, was hab ich immer gesagt?« Der aeltere Sueßmilch rief: »Was sprichst Du fuer dummes Zeug, mein Sohn! Auf der Universitaet fordern sich die Studenten wohl heraus, spaeter werden sie aber klueger, und es ist damit vorbei. Wenn er in Berlin Jemanden forderte, wuerde der auch so klug sein und nicht kommen, ihn auslachen. Und Soldat ist er ja nicht, da waer es ein Anderes.«

»Wie«, fragte der Sohn, »nicht kommen? Das wollte mir in Paris auch einmal Einer thun, ich hatte aber eine Stelle aus einer Komoedie behalten, die schrieb ich ihm. Sie hieß:

Vous, qui donne un lache role,
choisissez donc sans façon,
D'avoir trente croquignoles,
Ou douze coups de baton.

Er kam noch nicht. Da fand ich ihn aber auf dem Boulevard und schrie ihm die Verse so lange zu, bis er sich stellen mußte. Ich gab ihm ein Paar Stiche in Arm und Beine, es war compassion, daß ich ihm das Leben ließ.«

Doris war hoechst unzufrieden mit des Braeutigams Aeußerungen, und sein Vater tadelte ihn nicht weniger, hier solche Dinge zur Sprache gebracht zu haben. »Ich wette«, fuegte er hinzu, »dem Sohn ist nicht das geringste Ueble begegnet, und es wird sich ausweisen. Froehlich wollen wir sein!«

Herr Goehl und Frau sagten zugleich: »Ja, wenn man wueßte, daß ihm nichts Uebles begegnet waere –«

Sie bewiesen dadurch einige Lust zur Froehlichkeit. Die Muhme erinnerte auch die Eheleute, daß zwar des Sohnes Verspaetung, die gewiß nichts von Belang auf sich habe, ihnen unangenehm sein muesse, daß sie dafuer aber auch die unvermuthete Freude gehabt haetten, den Braeutigam der Tochter anlangen zu sehn.

Martin, der Hausknecht, wartete in seinem Oberrock von braunem Multon auf und hatte jedem Anwesenden ein schaeumendes Glas Ruppiner Bier dargereicht. Erst nach dem Braten sollte das Punschgefaeß, das jetzt ueber Kohlen stand, auf die Tafel gesetzt werden. Weil aber die Froehlichkeit, zu der Sueßmilch, der Aeltere aufgemahnt hatte, immer noch stockte, meinte Herr Goehl auch, der Punsch koenne sie noch am wirksamsten foerdern, und ließ ihn deshalb, sammt Glaesern, gleich bringen.

Die Veranstaltung zeigte sich bewaehrt. Herr Sueßmilch fing zur Stelle an, Gesundheiten auszubringen. Dem Wirth und der Wirthin trank er die erste zu, und zwar in den Worten: »Der kuenftige Herr Kommerzienrath Goehl und die Frau Kommerzienraethin sollen leben! Ich nehm es auf mich, die Sache in Richtigkeit zu bringen.«

Herr Goehl schuettelte den Kopf dabei, aber doch laechelnd, seine Ehegenossin konnte eine behagliche Aufwallung nicht verbergen.

Nun mußten die Geehrten danken, das Geehrtwerden kam an Andere, zuletzt die ganze Reihe herum.

Von Lebrecht vermied man, weiter zu reden, beim Fricassee, dem zweiten Gericht, kamen aber nicht blos Tagesneuigkeiten, die man auch zuvor schon abhandelte, sondern selbst aesthetische Gegenstaende zur Sprache, z. B. die Opern im vorigen Carneval, wobei der Cantor sein kritisches Licht leuchten ließ. Dann kam die belesene Renate auf die schoenen Romane aus dem Englischen, und Doris mengte sich ein, aber fuer die Schaefergedichte, die lieblichen, Parthei nehmend. Das deutsche Theater, nur damal ab und zu in Berlin, gab eben, unter Herrn Schuchs Leitung, in einer großen Bretterbude Vorstellungen. Die Goehlschen Eheleute fanden keinen Geschmack daran, nur einmal hatten sie, auf der Tochter dringende Bitte, mit ihr eine Vorstellung besucht. An diesem Abend wurde ein ganz neues Schaeferspiel gegeben, was die Eltern langweilte, Doris aber in ein hohes Entzuecken versetzte. Immer klangen seitdem in ihrem Gemueth die Anfangs- und Endzeilen nach. Jene hießen: »Was machst Du, Galathee, Du scheinst mir nicht vergnuegt. – Ich weiß es selber nicht, was mir im Sinne liegt«, und die letzten: »Kennst Du das Spiel, Myrtill? Man fraegt: was macht die Liebe? – Sie zankt sich, weil sie sonst nicht neu und sueße bliebe.« Auch jetzt, wie das Stück in Erinnerung kam, wiederholte Doris die Zeilen, und Ludwig, vom Punsch maechtig aufgeregt, sagte lachend: »Eh bien, ma chere promise, wir werden uns auch wohl oft zanken, wenn wir verheirathet sind, denn unsre Sentiments passen nicht zusammen, mais n'importe, so haben wir die Inelination immer wieder neu und sueß.« Die Braut nahm seine Anmerkung uebel auf, und entgegnete: »Sollten wir nicht zusammen passen, wuerde es am besten sein, wir heiratheten uns nicht.« Der Vater winkte dem Sohn, und dieser meinte die Unschicklichkeit gut zu machen, als er wieder anfing: »Aber nein, nicht zanken, das waere gegen alle Education. Wir wollen uns einander nicht geniren, wie man es in Paris macht, das giebt das beste comportement.«

Renate brachte nun Voltairens Trauerspiele aufs Tapet, welche die Schuchsche Gesellschaft, wie auch manche von Corneille, Crebillon u.s.w. in Uebersetzungen gab.

Frau Kuerbiß – in dramatischer Liebhaberei der Gegensatz ihrer Nichte – lobte vorzueglich etliche Possen und die extemporirten Einfaelle etlicher Schauspieler darin. Man hatte damal Stuecke, die ganz extemporirt waren, doch kamen sie allmaehlich in Abnahme, weil es die Schauspieler doch bequemer fanden, auswendig zu lernen als zugleich Mimen und Dichter zu sein, was doppelte Talente forderte. Extemporiren mußten die Lustigmacher indeß immer noch, und wer es am besten verstand, durfte auf die ansehnliche Gage zaehlen, doch hießen fuenf Thaler die Woche schon ansehnlich.

Weil man indeß hier nicht blos alte Moden schildern und auf ihr Abweichendes von den neuen hindeuten, sondern auch erinnern will, daß nicht selten die alten wiederkehren, sei eine kleine Nebenbemerkung erlaubt. Damal uebersetzte man das gute Dramatische aus dem Franzoesischen, von einheimischen Dichtern begehrte man groeßtentheils nur das Platte und Gemeine, was zahlreiche Liebhaber fand. Nachstehender Witz erhielt damal in Berlin ungemeinen Beifall. Es wurde nehmlich nach der Magd im Hause gefragt. Die Antwort hieß: sie waere unpaeßlich, denn sie haette vor neun Monaten sich unter der Treppe im Finstern an dem großen Heiducken gestoßen – –

Man bedenke, wie nahe wir zu Berlin im Jahr 1825 diesem Zustand des Geschmacks wieder kamen. Das Gute – immer ist es auch nicht einmal gut – wird aus dem Franzoesischen uebersetzt, meistens nur gemeine Possen duerfen einheimische Dichter aufgenommen zu sehn hoffen.

Woher koemmt es, und warum blieben die Plaetze, worauf Lessing, Schiller, Kotzebue, Iffland standen, unbesetzt? Braechte die Natur in einer Zeit vollkommnere Geisteskraefte hervor als in einer andern? Dies untersagt die Vernunft zu glauben; Schuld muß etwas sein, und was sonst als die deutsche Kritik?

Man denke auch an Fieldings, Richardsons, Goldsmiths Romane vor Zeiten, und nun an die von Walter Scott. Die deutsche Nation wollte einmal eine selbstschaffende werden, mit jedem Tage schwindet diese Erhebung mehr hin, sie wird eine uebersetzende, stellt sich folglich auf eine niedrigere Stufe.

Vor der Hand sieht man den Nachtheil nicht deutlich, prahlt wohl gar mit einem Reichthum an eignem und hereinverpflanzten fremden Gut. Doch gilt es einst eine allgemeine Kraftmessung mit einem eigenthuemlichen Nachbarvolk, dann – nun man denke weiter.

Unsre Tischgesellschaft wurde immer froehlicher. Martin brachte den Lammbraten, den um die Osterzeit so beliebten, der Allen vorzueglich mundete. Frau Goehl mußte sich gestehn, daß sie allein nicht vermocht haben wuerde, ein so gutes Mahl aufzutischen, wiewohl das zum Garkoch gesandte Geld auch nicht unbeseufzt blieb.

Noch hatte man emsig mit dem Vertilgen des Bratens zu thun, als es draußen stark an die Hausthuere pochte, die jeden Abend hier um neun Uhr verschlossen und verriegelt ward. Da koemmt er endlich, sagte der Wirth, billig sollte man den Nachtschwaermer nun gar nicht hereinlassen. Wie seine Gattin meinte, Lebrecht sei da, kehrte auch ihr Unwille heftig zurueck, und sie rief mit heller Betonung: »Er kann bleiben, wo er so lange gewesen ist, kann wieder hingehn, wo er die feinen Oberhemden gelassen hat!«

»Es ist nicht Ihr Ernst«, nahm der alte Sueßmilch das Wort, »auf meine Verantwortung, Martin!«

Er gab Goehl zugleich einen Wink, die Thuere zu oeffnen.

Frau Goehl rief: »Es ist mein Ernst«, stand aber doch auf, und fragte draußen das Maedchen, ob die Fische und das Fricassee auf den Kohlen staenden? Sie hatte vorhin dem Hausknecht geboten, etwas davon hier Lebrecht aufbewahren zu lassen. Es war auch geschehn, sie kam zurueck und sah, ob auch noch einiger Braten vorhanden sei.

Jetzt nahten maechtig hallende Fußtritte in der Wohnstube, und bald trat ein Grenadier draus herein, in voller Wachtruestung. Barsch fragte er, ob der Kaufmann Goehl hier wohne. Auf die Bestaetigung hob er wieder an: »Der Kapitain vom neuen Markt laeßt sagen, daß sich der Sohn besoffen hat und im Wirthshause fuer funfzehn Thaler Glaeser und Fenster zerschlagen. Er sitzt auf der Hauptwache. Wird das Geld Heute noch geschickt, kann er loskommen, sonst muß er Morgen nach Kalandshof.« Das aeltere Stadtgefaengniß in Berlin.

Alle standen bei der uebellautenden Botschaft auf, nur die Wirthin vom Hause sank in ihren Stuhl todtenbleich zurueck. Ihr Mann beschaeftigte sich stumm mit Haenderingen. Der junge Sueßmilch lachte ueberlaut. Doris sah ihn ungemein erbittert an und eilte, der Mutter Beistand zu leisten.

»Ce Monsieur Goehl me plait«, rief der junge Sueßmilch, »sans doute il ést vif, gai, plein d'ésprit –«

Der Alte verbot ihm den Mund und ging zu dem Soldaten, um sich die Umstaende genau erzaehlen zu lassen. Der wußte nicht mehr wie das schon Gesagte, zog aber noch ein Papier heraus und uebergab es.

Es war ein kleines, nur zusammen gewickeltes Billet an Herrn Goehl und lautete:

 

Liebster Papa, mir ist ein verdammter Streich begegnet, ich konnte Heute recht zum Geschick sagen: Omnia in me conglomeras mala, doch was hilft's, machen Sie nur gute Miene zum boesen Spiel und ruecken gleich funfzehn Thaler heraus, sonst muß ich die Nacht auf der Pritsche liegen, und Morgen wird turpissime prostituirt. Ihr gehorsamer Sohn. Vom Stockhause am 3. April 1750.

Lebrecht Goehl.

 

Herr Goehl hatte gelesen und begann von neuen die Haende zu ringen. Sagen konnte er nichts.

Der aeltere Sueßmilch rieb die Stirn, und sagte nach einigem Schweigen: »Hm – das ist kraenkend fuer einen Vater.«

»C'ést une bagatelle, mon pere, et j'aurgure de ce.«

»Still! – eine sehr ueble Auffuehrung!«

»Comment, une plaisanterie? C'ést un aimable débauché, un aimable libertin, ce jeune homme la!«

»Halte den Mund! – Fünfzehn Thaler wirft man auch nicht gern unnuetz weg.«

»C'ést un rien, moins qu'un rien!«

»Du sollst schweigen, Haasenfuß! – Aber, wenn man's recht bedenkt, ist es doch besser, als wenn man von einem Unglueck gehoert haette.«

»Wenn es also mit funfzehn Thalern – wie es ja scheint – abgemacht ist, bleibt doch nichts uebrig, als sie hinzuschicken. Denn noch groeßeres Aufsehn Morgen zu haben, was ihm schaden koennte, nicht wahr, Freund Goehl, das mueßt Ihr doch vermeiden.«

Herr Goehl fand endlich Worte: »Will Doktor werden, ist schon Doktor –«

»Freilich«, unterbrach ihn Jener, »es ist verdammt aergerlich, aber –«

»Was hat er denn in solchem Wirthshause zu thun, wo es so luederlich, so toll zugeht?«

Herr Sueßmilch fragte den Grenadier noch einmal, ob er nichts Naeheres angeben koenne.

Die Antwort hieß: Nein!

Herr Goehl fing wieder an: Ein Doktor, und geht in ein Wirthshaus, wo Glaeser und Fenster zerschlagen werden.

Er hatte dem Soldaten ein Glas Punsch gebracht. Es trinkend, fragte der: »Ein Doktor ist's?«

»Ja, mein Freund«, antwortete Sueßmilch.

»So kann man sich ja nicht wundern«, versetzte der Martissohn. »Kennen Sie das alte Lied nicht?«

»Welches?«

Soldaten, die nicht lustig sind,
Ein Jaeger ohne Hunde,
Ein junger Doktor ohne Wind,
Ein Fleischer ohne Pfunde,
Ein Jungfernhemdchen ohne Floeh,
Ein Degen ohne Klinge,
Ein kalter Winter ohne Schnee
Sind unerhoerte Dinge!

Die Frauenzimmer sahen bei der fuenften Zeile schnell weg, der junge Sueßmilch gab ihr hingegen durch ein tuechtiges Lachen seinen Beifall.

Sein Vater fragte den Soldaten wieder: »Er hat doch nicht auch eine Schlaegerei gehabt, Schaden gelitten?«

»Das ich nicht wueßte. Er geht im Stockhause frisch hin und her.«

»Nun – Freund Goehl –«

Dieser entgegnete: »Wie ist er denn in solch Wirthshaus gekommen?«

»Das wird man wohl noch erfahren, und es koemmt jetzt nicht darauf an. Funfzehn Thaler – es bleibt nichts uebrig.«

Herr Goehl nahm den Freund an die Hand und fuehrte ihn zu den Kupferstichen, welche den verlornen Sohn darstellten. »Da«, rief er, »seht!«

»Was hilft das jetzt!«

»Hab ich nicht auch solchen Sohn?«

»Lebrecht hat doch nicht sein ganzes Erbtheil verpraßt –«

Frau Goehl rief aus ihrem hinfaelligen Zustand: »Aber die feinen Oberhemden!«

Ohne darauf zu achten, erneute Herr Sueßmilch die vorigen Anmahnungen. Herr Goehl zeigte mit dem Finger auf den Juengling im Kupferstich: »Hab ich nicht auch solchen Sohn?«

»Trebern hat er doch nicht gegessen, und dahin wird's auch, so Gott will, nicht kommen. Macht nur Anstalt –«

»Gehts mir nicht wie dem Vater da?«

»Lange nicht so schlimm, und am Ende verzieh er doch, ließ ein Kalb schlachten. – Hier, mein Freund, ist ein kleines Trinkgeld! Herr Goehl laeßt dem Herrn Hauptmann seine große Empfehlung machen und sagen, daß er die funfzehn Thalter gleich schicken wuerde.«

»Ganz wohl«, versetzte der Grenadier und ging zur Thuere hinaus.

»Laßt meinen Sohn das Geld hintragen«, fing Sueßmilch wieder an, »es wuerde nicht rathsam gewesen sein, es dem Soldaten mitzugeben. Die Kerle haben zuweilen verteufelte Pfiffe im Kopfe. Wer weiß am Ende, ob die ganze Sache wahr ist. Koemmt Martin hin, wird es sich ausweisen. Gebt nur das Geld!«

Herr Goehl zog den Beutel, worin sich mehrere Dukaten befanden, suchte einen davon aus und reichte ihn Herrn Sueßmilch.

»Ein Dukaten? Das ist ja nicht genug –«

»Lest einmal die Schrift Oben!«

» Wohl dem, der Freude an seinen Kindern erlebt. Was soll das?«

»Paßt das auf mich?«

»Ei zum Henker –«

»Und auf meine Frau?«

»Der Aerger hat Euch ganz verwirrt gemacht. Man muß doch wieder einmal zur Besinnung kommen!«

Herr Goehl nahm seinen Dukaten zurueck, schob ihn wieder in den Beutel, diesen in die Tasche und rief: »Wenn ich nur wueßte, was er in dem luederlichen Wirthshause –«

Herr Sueßmilch ueberzeugte sich, daß mit dem um alle Fassung gekommenen Goehl heute nichts abzureden sei. »Wißt Ihr was«, hob er abermal an, »ich will selbst nach dem neuen Markt gehn. Ist der Sohn da, leg ich die Funfzehn Thaler aus, wo nicht, behaltet Ihr Euer Geld. Komm mit, Ludwig, hier wird so Allen der weitere Appetit vergangen sein.«

Ludwig nahm wie sein Vater den Hut, und Beide empfahlen sich schnell.

Die Frauenzimmer hatten sich jetzt Alle um die Wirthin vom Hause versammelt und in Trostgruenden gewetteifert. Der Cantor uebernahm das Beruhigungsgeschaeft bei Herrn Goehl, doch ohne Erfolg. Es hatte den guten Mann zu heftig angegriffen, er klagte ueber Kopfweh, Schwindel.

Der Zustand seiner Gattin wurde auch uebler. Ihre Stirn brannte, es war, als ob sie ein Fieber ergriffe. Der Hausknecht wurde zum naechsten Wundarzt gesandt. Als dieser kam, verordnete er hier einen Aderlaß, dort ein Niederschlagpulver, und empfahl vor allem Ruhe.

Dazu konnten Beide nicht gelangen, sie erwarteten mit jedem Augenblick den Sohn, um das Naehere zu hoeren. Der Cantor sagte, es wuerde zu wuenschen sein, daß kein Theil heute den Sohn noch spraeche, weil es neue Gemuethsbewegungen hervorbringen muesse, und der Wundarzt pflichtete ihm bei. Doch weil Lebrecht noch immer nicht erschien, erbot sich der Cantor, nach der Hauptwache am Neumarkt zu gehn, die eben nicht weit entfernt war, um Erkundigungen einzuziehn.

Es geschah. In der That war Lebrecht dort im Arrest gewesen, durch Herrn Sueßmilch jedoch befreit worden. Wohin er gegangen sei, wußte man nicht.

Der Cantor begab sich auf den Rueckweg und fand, als er wieder vor dem Goehlschen Hause anlangte, unvermuthet dort Lebrecht, der vor der Thuere auf und nieder ging, noch nicht schluessig, ob er sich hinein begeben sollte oder nicht. Da beide von Ehedem noch zusammen bekannt waren, entstand auch unter ihnen ein Gespraech, in welchem der junge Mann eine lebhafte Reue ueber das Geschehene aueßerte. »Ich begreife selbst nicht«, sagte er ungemein verdrießlich, »wie mir das noch begegnen konnte, doch wird es auch zum letztenmal gewesen sein. Nun scheue ich mich, vor die Eltern zu treten.«

Der Cantor haette eine Rede solcher Art nicht erwartet, sagte Jenem aber: »Die liebwerthesten Eltern sind empfindlich und traurig.«

»So weit kam es? Da will ich gleich hinein, sie um Vergebung bitten.«

»Moechte nicht dazu rathen, wuerde zu neuen Alterationen Gelegenheit geben. Morgen, wenn die Gemuether nicht mehr erhitzt sind, auf das furioso agitato der Affekte ein andante oder largo eingetreten ist, duerfte eine solche, uebrigens loebliche Intonation zu empfehlen sein, und verhoffentlich alle Mißklaenge auch in einem harmonischen Accord loesen.«

Eben kam der Wundarzt aus dem Hause, und berichtete, Frau Goehl sei ins Bett gebracht worden und eingeschlummert. Herr Goehl wolle auf sein Anrathen sich auch niederlegen, und es sei mit seinem Uebelbefinden nicht mehr von Bedeutung. Von neuem trat er auch der Meinung des Cantors bei, die Alten mueßten heute nicht mehr gestoert werden.

Der Sohn ließ es sich nun gefallen, nach seinem Stuebchen zu gehn und dort sich zur Ruhe zu begeben. Herr Cantor Schmidt brachte hingegen dem Kaufmann noch die gute Botschaft der verhaftet Gewesene sei frei, befinde sich wohl und werde Morgen reuig um Verzeihung bitten. Dann fuehrte er seine Gattin nach Hause, Frau Kuerbiß und Renate waren bereits, in dem wieder bestellten Miethswagen, heimgefahren.


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