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Er war wirklich gut! Alle Welt sagte es. In ganz Italien gab es keinen besseren Kapuzinerfrater als ihn, den »guten Fra Checco«. Man nannte ihn so hinter seinem Rücken und ihm ins Gesicht hinein, darin jede Miene sagte: »Seht mich an, ihr lieben Leute. Seht mich recht genau an. Ich bitte euch herzlich. Ihr müßt mir's ja doch vom Gesicht ablesen, wie gut ich bin. Keinem Würmlein am Wege könnte ich ein Leides zufügen. Wahr und wahrhaftig nicht! Für diese sündige Welt bin ich ein viel zu guter Mensch. Ihr dürft mir's glauben.«
Als wir ihn kennen lernten, war der gute Fra Checco überdies noch ein recht stattlicher Mann. Die dunkelbraune Kutte des großen Heiligen von Assisi kleidete den wackeren Bruder vortrefflich. Er hielt sein grobes Gewand der Demut äußerst reinlich, ängstlich darauf achtend, daß sein äußerer Mensch dem inneren gleichkam. Seine Sorgfalt dehnte sich sogar auf den Strick aus, womit er sein braunes Kleid gürtete: niemals zu hoch! Der Strick war stets von tadelloser Weiße und geradezu mit Grazie geknotet. Selbstredend steckten seine nackten wohlgeformten Füße – sie leuchteten in schönster Bronzefarbe – in den saubersten Sandalen. Diese bestanden freilich aus harter Rindshaut und waren von dem guten Bruder selbst verfertigt. Trotzdem mußten sie für wahre Wunder von Mönchsschuhen gelten, und so zierlich, als sollten sie die Füßlein einer reizenden jungen Dame bekleiden.
Als wir den Würdigen kennen lernten, stand er gerade im besten Mannesalter. Sein dichter, kohlschwarzer Bart umrahmte ein hübsches braunes Gesicht, das, trotz der Armut seines Bergklösterleins, recht wohl genährt war, und darin die dunklen südlichen Augen je nach Bedarf bald reinste Nächstenliebe, höchste Gottesfurcht und tiefste Demut, bald lustige Laune oder ehrenfeste Biedermännigkeit ausdrückten.
Der gute Fra Checco sammelte jahraus jahrein für sein Kloster Almosen ein. Weniger infolge dieses Gott wohlgefälligen Amtes, als vielmehr seiner menschenfreundlichen, achtbaren und herzgewinnenden Persönlichkeit willen war er weit und breit bekannt. Er besaß zur Popularität ein Genie, um das ihn ein Monarch von Gottes- und ein Reichstagsabgeordneter durch Volkesgnaden beneiden konnte. Dabei stand er so himmelhoch über allen Parteien, von denen sein schönes Vaterland, das einige Italien, zerrissen wird, daß sein reines Gemüt den liberalsten, also gottlosesten katholischen Christen mit derselben Nächstenliebe umfaßte, wie das gläubigste Mitglied seiner großen Gemeinde. Er heischte demnach sein Scherflein ebensogut von der frommsten Witib, wie von dem fanatisiertesten Antiklerikalen – und von beiden ward ihm gegeben! Von dem einen allerdings häufig unter greulichen Gotteslästerungen; aber gegeben ward ihm, und er, der wahrhaft Gute, steckte die Verwünschungen und wütenden Ausfälle gegen sein Kleid und seinen Gott mit derselben echt christlichen Demut und Bonhomie ein, wie die Soldi.
Jeden frühen Morgen, den Gott schuf, besuchte Fra Checco, nachdem er mit größter Inbrunst der ersten Messe beigewohnt hatte, die große Klosterküche – darin leider gar selten etwas Gutes gebraten oder gebacken ward, holte sich daselbst die von ganz Frascati gekannte dickbauchige, glänzende Blechkapsel, begab sich damit in den »Orto«, den klösterlichen Gemüsegarten, und ließ sich vom Bruder Gärtner sein umfangreiches Gefäß bis zum Rand mit Salat füllen; denn er, Fra Checco, nahm kein christliches Almosen umsonst.
Dieser Salat, den Fra Checco an alle, die ihm gaben, mit vollen Händen austeilte, war so berühmt, so populär, wie er selbst. Es war aber auch ein Salätlein! Auf Gottes weiter, schöner Welt konnte nur Klostersalat so zart, so aromatisch, mit einem Wort, so köstlich sein! Aus neunerlei Kräutern war er gemischt, in einer Zusammenstellung, einer Komposition der verschiedensten Qualitäten, die einem Lucius Lucullus Ehre gemacht hätte.
Seinen kühlen schimmernden Behälter wohlgefüllt, sein fleckenloses geistliches Gewand wohlgeschürzt, sein hübsches würdiges Antlitz förmlich leuchtend vor Gottesfurcht und Menschenliebe, wandelte Fra Checco gelassenen Schrittes, fromm-vergnügt durch den frühen Morgen den hohen Berg hinab, auf dessen Gipfel sein liebes Kloster inmitten ausgedehnter prächtiger Oelwälder thronte. Es mochte ein strahlender Tag sein, oder der Regen in Strömen fließen, mochte Frühlingsluft wehen, oder die Tramontana heulen, sengender Sommerbrand oder eisige Winterkälte sein – jeden frühen Morgen wandelte der Gute den Berg hinab; denn der Klostergarten gedieh zu jedweder Jahreszeit. Er kam, und wo die schokoladenfarbene Kutte erschien, das Blechgefäß leuchtete, das Antlitz des Würdigen sich zeigte – überall hieß es freudig: »Der gute Fra Checco ist da!«
Aber er gab nicht allein von seinem wundersamen Salat, sammelte nicht allein christliche Spenden – die er nur in bar annahm, er erteilte auch in allen weltlichen und geistlichen Angelegenheiten dieser Erde klug-frommen Rat. Mit besonders inniger Vorliebe und besonders starkem Erfolg übte er seine geistliche Thätigkeit auf irdischem Gebiet aus. Er versöhnte hadernde Ehegatten und schmollende Liebesleute; er vereinte streitende Parteien, ganz gleich welcher Richtung; er vermittelte Käufe von Wein, Oel und allen sonstigen Dingen, die überhaupt zu kaufen und zu verkaufen waren; er deutete Träume, prophezeite das Wetter, sagte Zahlen aus, die im Lotto und bei der Tombola unfehlbar gewinnen mußten – wenn die Seelen der Spielenden frei von jeglicher Schuld und Sünde waren. Er wußte alles, wußte, was niemand sonst wußte. Er kannte tausend Mittel und Mittelchen, erzählte die rührendsten heiligen Legenden, die schaurigsten Geistergeschichten, die lustigsten Schwänke und wurde dafür geliebt, verehrt, überall mit lautem Jubel willkommen geheißen, erhielt dafür Almosen, wie weit und breit kein andrer Kapuziner, der seinen Beruf auf Erden doch auch recht wacker erfüllte.
Jeden Sonnabendvormittag erschien er bei uns in der Villa Falconieri, und jeden Sonnabend freuten wir uns auf seine Ankunft. Brachte er uns doch nicht allein den köstlichsten aller Salate, der in einem römischen Klostergarten gediehen war, sondern zugleich mit den würzigen Kräutern seine ganze prächtige Person, die in unserm Hause längst eine zu diesem gehörende Gestalt geworden war.
Häufig stand ich, ihn erwartend, am Fenster meines Arbeitszimmers; denn es gewährte mir immer großes Vergnügen, den stattlichen Mönch aus den strahlenden Lichtfluten des freien Vorhofs durch das hohe Portal in die tiefen Schatten der Steineichen treten und die breite Allee langsam dahinwandeln zu sehen, von den Weibern und Kindern der in der Villa beschäftigten Arbeiter und unsern Dienstleuten mit Fanatismus begrüßt.
Da ich mich gern mit ihm unterhielt, so mußte er mir stets gemeldet und – hatte ich nicht gerade ungewöhnlich viel zu thun, zu mir geführt werden. Es hieß dann jedesmal: »Ecco Fra Checco!« Und ich setzte jedesmal ergänzend hinzu: »Il buono Fra Checco!« Denn – man kann mir aufs Wort glauben, es gab keinen Besseren!
Wenn ich den Guten sprechen konnte, so kam er in mein Arbeitszimmer, nahm behaglich Platz, schlürfte gemütlich ein Glas besten Frascataners – er liebte nur süßen Wein, und schmauchte dazu schmunzelnd eine »Cavour«. Dann plauderten wir gar gemütlich.
Was erfuhr ich nicht alles von ihm! Ganze Novellenbände, die für mich nur den einen Fehler besaßen, daß es ihrer zu viele waren, um sie samt und sonders aufschreiben zu können. Da jedoch die ungeschriebenen Gedichte die schönsten sein sollen, so sind meine ungeschriebenen »römischen Dorfgeschichten« sicher meine besten.
Und wie Fra Checco erzählte! Man muß ihn gehört und – gesehen haben. Der gute Fra Checco erzählte, wie der geniale Ermete Zacconi spielt. Ich erlebte sein Erzähltes, sah es vor mir sich gestalten, vor mir sich ereignen. Meine armselige Schreiberkunst kam gegen sein Meistererzählen gar nicht in Betracht. Er war im Erzählen ein Wilhelm Shakespeare. Das war er, mein guter Fra Checco!
Einen seiner Besuche werde ich niemals vergessen. Es war eines Frühlingstags, und er kam in Begleitung eines blutjungen Priesters, des Padre Generoso da Tivoli.
Dieser junge Gottesdiener war ein Mensch mit schönem, ernsthaftem, etwas zu ernsthaftem Gesicht und von stillem, strengem, etwas zu strengem Wesen. Ich hatte den Jüngling gern, und in meiner Freude über seinen Besuch ließ ich von unserm Allerbesten auftragen: einen Marinesen von fast schwärzlichem Purpur, süß und schwer, den Trinker wie ein Feuerstrom durchglühend.
Wir tranken und plauderten. Der ernste Pater Generoso kostete nur aus Höflichkeit, redete nur aus Freundlichkeit; der gute Fra Checco leerte Glas auf Glas, erzählte Geschichte auf Geschichte. Darauf entspann sich zwischen ihm und mir folgendes Gespräch: »Hört, Sor Riccardo!«
»Ich höre, Fra Checco.«
»Ihr reitet jetzt oft ins Molarathal?«
»Sehr oft.«
»Ihr solltet Euch aber doch etwas in acht nehmen.«
»Wieso?«
»Denn Ihr reitet immer allein.«
»Immer.«
»Seht Euch vor.«
»Weshalb?«
»Die Gegend ist nämlich wieder einmal gar nicht recht sicher.«
»Ich fürchte mich nicht.«
»Immerhin solltet Ihr Euch vorsehen,«
»Das kann ich freilich.«
»Ihr nehmt hoffentlich keinen Revolver mit?«
»Nein.«
»Das ist recht.«
»Es ist etwas leichtsinnig.«
»Die Waffe würde Euch nämlich nichts nutzen.«
»Gar nichts?«
»Nicht das Geringste.«
»O, wirklich?«
»Sie würde euch im Gegenteil schaden. Denn bevor Ihr mit Eurer Pistole anlegen, zielen und schießen könntet, wäret Ihr bereits ein toter Mann.«
»Freilich! Eure braven Landsleute nehmen es mit einem Menschenleben nicht allzu genau.«
»Ganz und gar nicht. Aber was wollt Ihr? Es ist nun einmal so.«
»Ja, so ist es. Ihr und ich ändern nichts daran.«
»Gar nichts.«
»Da hier zu Lande ein Totschläger nur in den Buschwald zu gehen braucht –«
»Freilich.« »Und da die Polizei mit Suchen sich überhaupt nicht sehr anstrengen würde –«
»Nicht sehr.«
»Und da schließlich auch die Kirche dem Verbrecher seine Sünden vergibt –«
»Nun ja: schließlich.«
»Trotzdem werde ich dabei bleiben, auf meinen einsamen Ritten keine Waffe mit mir zu nehmen.«
»Es dürfte für Euch entschieden das Beste sein.«
»Möglich, daß Ihr recht habt.«
»Und hört, Sor Riccardo.«
»Ich höre, guter Fra Checco.«
»Führt immer Geld bei Euch.«
»Wieviel?«
»Nicht zu viel. Fünfzig Lire genügen.«
»Glaubt Ihr?«
»Mit fünfzig Lire werden sie zufrieden sein.«
»Die Briganten?«
»Wenn Ihr sie sonst als Galantuomini behandelt.«
»Die Schufte?«
Ein unbeschreibliches Lächeln glitt über das hübsche Gesicht des Guten, der mit diesem glanzvollen Leuchten auf seinem Antlitz einen geradezu liebenswerten Anblick bot. Mit der heitersten Gelassenheit und zugleich tiefsten Ueberzeugung wiederholte er seine Meinung über die Art, wie ich – für den Fall einer Begegnung, mit jenen angenehmen Herren umgehen sollte: »Behandelt sie als Ehrenmänner, und sie werden sich mit fünfzig Lire begnügen. Auch mit dreißig, wenn Ihr ausnehmend höflich seid.«
»Ich werde mir, Eurem Rat zufolge, die erdenklichste Mühe geben, die verdammten Ohrenabschneider durch ein rücksichtsvolles Benehmen zufrieden zu stellen.«
Wiederum das Lächeln, womöglich noch menschenfreundlicher, noch heiterer, noch strahlender.
»Thut das, Sor Riccardo, und Ihr werdet wohl thun. Ja! Und folgt meinem Rat, unausgesetzt scharf achtzugeben, wenn Ihr ausreitet. Auf der geraden Landstraße, und wenn Ihr über ein weites Feld reitet, werdet Ihr sicher sein. Aber die Hohlwege! Teurer Sor Riccardo, hütet Euch vor den Hohlwegen! Zumal wenn die Straße in diesen Engpässen eine Biegung macht. Da ist ein Felsenpaß bei Zagarola, ich sage Euch, ein wahres Paradies für die römischen Briganten! Rechts kirchturmhohe Wände, links kirchturmhohe Wände, die Straße schmal und immerfort in Windungen führend. Einfach prachtvoll für einen römischen Briganten, sage ich Euch.«
Ich kannte die Stelle. Sie zu passieren, galt noch Mitte dieses Jahrhunderts für geradezu lebensgefährlich. Dabei ist es die große Landstraße, die von Rom über Palestrina nach Neapel führt. Täglich Ueberfälle, täglich Greuelthaten und – die päpstliche Regierung ließ es geschehen!
Allerdings wurde an dem bedenklichsten Punkt der Passage der rettenden Gottesmutter ein Heiligtum erbaut; aber die holde Himmelskönigin, die im Bildnis über der bangen Stelle schwebte, hielt ihre Arme vergeblich zum Schutz ausgestreckt. Nur, daß mancher Ueberfallene seinen letzten Seufzer auf der Schwelle des Kirchleins aushauchen konnte. So war es damals – so kann es auch heute noch sein.
Mein guter Fra Checco schlürfte den süßen blutroten Marineser, der vor ihm glühte, den seltenen Wein mit Kennermiene genießend, zog sein mächtiges, dunkelblaues Taschentuch aus dem linken Aermel seiner Kutte, wischte sich umständlich die feuchten Lippen, nahm – um das Glück des Augenblicks vollkommen zu machen, aus seiner großen hübschen Olivenholzdose eine Prise und fuhr in seinen freundschaftlichen Ratschlägen fort: »Also, die Straßenbiegungen im Hohlweg! Passiert sie langsam und vorsichtig. Wenn dann plötzlich bei einer Wendung zwei oder drei Männer vor Euch stehen, die Gesichter entweder mit Ruß geschwärzt oder bis zu den Augen hinauf mit Tüchern verbunden, den Hut tief in die Stirn gedrückt, die Büchse mit gespanntem Hahn vorhaltend, dann – dann, teuerster Sor Riccardo, behandelt sie im Namen der Madonna als Galantuomini.«
Ich mußte lachen. Und lachend sagte ich: »Mein guter Fra Checco, Ihr wißt ja mit der Sache so trefflich Bescheid, als ob Ihr in Eurem Leben einmal selbst ein Brigant – ein Galantuomo, gewesen wäret.«
Ich sagte das, wie ich nochmals bemerke, lachend; aber da geschah etwas Seltsames! Fra Checco, der gute Fra Checco, der prächtige Fra Checco, mein alter lieber Hausfreund, der menschenfreundlichste Kapuzinermönch unter der Sonne Italiens, die populärste Persönlichkeit in der ganzen Provincia romana – nur Vater Garibaldi und Francesco Crispi nahmen es in dieser Hinsicht mit ihm auf, faßte meinen schlechten Witz vollkommen ernsthaft auf; denn vollkommen ernsthaft antwortete er mir: »Freilich war ich Brigant! Im Volskergebirge! Fünfzehn Jahre!«
Fünfzehn Jahre Brigant im Volskergebirge unser alter Hausfreund, der beste und frömmste aller Kapuzinerbrüder, mein guter Fra Checco!
Und das träumte ich nicht? Das war Wirklichkeit?
Es war's!
Und Wirklichkeit war das heitere harmlose Antlitz! Nämlich sein, des ehemaligen volskischen Briganten, Angesicht! Ja, und nicht allein, daß der gute Fra Checco lächelte, es lächelte auch sein Gefährte, der sonst so ernsthafte, fast strenge junge Priester Padre Generoso da Tivoli.
War das möglich?
Ich lebte doch wahrhaftig lange genug in der Villa Falconieri bei Frascati, verkehrte dort in der That lange und intim genug mit diesem Volk, hatte doch gewißlich Gelegenheit genug gehabt, das Sichwundern zu verlernen – aber dennoch und dennoch: diesmal wunderte ich mich.
Geradezu verblüfft war ich über das so überaus heitere, so ungemein harmlose, so wahrhaft leuchtende Lächeln meiner beiden Gäste, die in ihren dekorativen geistlichen Gewändern vor mir saßen und von denen der eine behaglich meinen prachtvollen blutroten Marineser schlürfte, soeben eine frische »Cavour« sich ansteckte und mit seinem Gott sowohl, wie mit der ganzen Welt – am meisten jedoch mit sich selbst, ungeheuer zufrieden zu sein schien.
Nachdem ich mich von meinem Staunen einigermaßen erholt hatte, begann ich den guten Fra Checco über seine langjährige Brigantencarriere – über seine Laufbahn als »Ehrenmann«, auszufragen: und ich fragte mit einem Gesicht, das auch möglichst heiter, möglichst harmlos, möglichst lächelnd war: »Also, mein lieber, guter Fra Checco, Ihr wart fünfzehn Jahre dort drüben im Volskergebirge Brigant?« »Nun ja, Sor Riccardo.«
»Es war wohl recht angenehm?«
»So, so.«
»Ihr scheint aber doch – nach Eurem heutigen Wohlbefinden zu schließen, auch schon damals ein ziemlich vergnügtes Leben geführt zu haben?«
»Gerade kein schlechtes.«
»Wie kamt Ihr eigentlich dazu, Brigant zu werden?«
»Ich ward es eben.«
»Ach so!«
»Ihr versteht –«
»Nun ja, ich verstehe! Wie einer Schneider, ein zweiter Schuster, ein dritter Zimmermann oder Maurer wird, so wurdet Ihr eben Brigant?«
»So wurde ich eben Brigant.«
»Ihr nahmt das Ding in Gottes Namen für ein Handwerk?«
»Seht Ihr!«
»Ihr meint: ich verstünde Euch?«
»Freilich.«
»Und weil das Banditenhandwerk damals seinen Mann am besten – wenigstens am leichtesten, ernährte, so wurdet Ihr eben Bandit, hättet aber genau so gut Schuster, Schneider, Zimmermann oder Maurer werden können. Stimmt's?«
»Altro!« (Das Wort ist für mich unübersetzbar.)
»Ich verstehe immer besser.«
»Ausgezeichnet, Sor Riccardo.«
»Was ich fragen wollte –«
»Fragt nur.«
»Und das Handwerk ernährte Euch wirklich gut?«
»Danke. Ich war zufrieden. Der Mensch muß eben zufrieden sein.«
»Standen die guten Heiligen Euch denn nicht zur Genüge bei?«
»Es hätte zu Zeiten besser sein können.«
»Bedaure.«
»Manchmal freilich standen uns die Heiligen bei.«
»Freut mich.«
»Wir ließen aber auch genug Messen lesen, beteten eifrig unsre Rosenkränze ab, thaten Wallfahrten und leisteten Gelübde.«
»Darum, daß Ihr Euren lieben christlichen Nächsten mit des Himmels Segen glücklich berauben und abstechen konntet?«
»Eh! Che volete?«
Auch das kann ich nicht in mein geliebtes Deutsch übertragen. Und zu diesem Ausruf die Gebärde, der Blick, das Spiel der Hände – man mußte es von meinem guten Fra Checco gehört, mußte ihn gesehen haben!
Er sagte es noch einmal: » Che volete, Sor Riccardo?«
Nach einer kleinen Pause innerlicher Erholung bat ich ihn: »Thut mir einen Gefallen.«
»Von Herzen gern.«
»Ihr habt doch noch etwas Zeit?«
»Ein Weilchen könnte ich heute noch bleiben.«
»Auch Padre Generoso?«
Auch Padre Generoso brauchte noch nicht zu gehen.
Ich stand auf, ging, zog die Klingel, eine unsrer Donnen erschien und fragte nach meinem Begehr.
»Einen frischen Fiasko! Aber von demselben süßen Roten. Und hört! Ich bin für niemand zu Hause.«
Der Fiasko wurde gebracht und ward vor uns auf den Tisch gestellt. Ich füllte die Gläser, trank meinen Gästen zu, zündete mir eine Cigarette an und forderte Fra Checco nochmals auf, mir aus seinem – etwas sehr bewegten Weltleben zu erzählen.
So recht behaglich im Armsessel zurückgelehnt, erzählte er. Und – ich kann es nicht oft genug staunend, bewundernd sagen, wie erzählte er! Vom Scheitel bis zur Sohle ein großer Komödiant, Zoll für Zoll ein König seiner Kunst, ein zweiter Zacconi.
Wiederum erlebte ich, was ich hörte; und ich erlebte es mit stockendem Atem, mit stark pochendem Herzen, fiebernden Pulsen – schaudernder Seele. Aber so tragisch der Inhalt seiner Erzählungen war, so dramatisch er diese vortrug, stand doch der Meister hoch über seinem Stoff, geradezu himmelhoch. Eine olympische Ruhe, eine selige Heiterkeit schwebte über allem, daß sogar der heiße feuchte Blutdunst, der seinen Geschichten entstieg, sich in die leuchtenden Lüfte des Südens verlor und die goldene Sonne Roms auch das Haupt dieses – Gerechten bestrahlte. Denn dem Erzähler kam nicht in den Sinn für etwas andres, als für einen ehrlichen Handwerker sich zu halten, der sein tägliches Brot im Schweiße seines Angesichts redlich verdiente, gerade so gut, als wäre er Schuster, Schneider, Zimmermann oder Maurer geworden.
Er fühlte sich durchaus als nützliches Mitglied der menschlichen Gesellschaft, als guter Staatsbürger, frommer Christ und ehrenwerter Mann, überdies Zoll für Zoll als Galantuomo.
Von Fra Checco, des guten Fra Checco Räubergeschichten seien in folgendem zwei seiner Abenteuer mitgeteilt, nur zwei! Ich denke jedoch, sie werden genügen.
Der gute Fra Checco erzählte:
»Wir lagen also dort drüben im Volskergebirge und waren unser wohl zwanzig Mann. Eher einer mehr als weniger.
Für einen ehrlichen Briganten, der ein ›Galantuomo‹ sein will, waren die Zeiten nicht gerade günstig. Unser heiliger Vater war in Rom der Gefangene von Banditen geworden, die keine ›Galantuomini‹ waren. Pius IX. saß im Vatikan, Viktor Emanuel occupierte den Quirinal, und die guten Heiligen ließen die beiden auch ruhig sitzen: den einen drüben, den andern hüben.
Sie hätten wahrlich wieder einmal ein Wunder thun und unsern heiligen Vater befreien können.
Aber es sollte ja wohl eine neue Zeit kommen? Nicht allein für Rom, sondern auch für die Volskerberge.
Was wohl diese mit der neuen Zeit zu thun hatten? Es war jedoch so. Selbst die Briganten sollten aus dem Volskergebirge fortgeschafft werden. Als ob sie nicht noch heute drinnen wären? Ebenso gut könnte die neue Zeit die Berge aus dem Volskergebirge wegbringen.
Indessen, neue Besen kehren bekanntlich gut. Das neue einige Königreich Italien kehrte ganz Italien aus. Nachdem es den Kirchenstaat rein aus der Welt gefegt hatte, kamen die Klöster an die Reihe. Wie die flogen! Hinaus damit! Fort mit dem Gerümpel, dem Kehricht, dem Unrat! Als gäbe es heute nicht Klöster und Mönche wieder genug im einigen Königreich Italien? Also: auch wir ehrlichen Banditen sollten an den neuen Gott im Quirinal glauben müssen. Trotzdem wir genau das Nämliche wollten und thaten, was jener wollte und that: auf der Welt etwas mehr Ordnung schaffen, damit es darin etwas weniger Hungrige und mehr Satte, etwas weniger Arme und mehr Reiche, mit einem Wort, mehr Gleichheit und Gerechtigkeit auf Erden gab, sollten wir dennoch unser ehrliches Handwerk aufgeben.
So kam denn nach den frommen Vätern und Brüdern unwiderruflich die Reihe an uns.
Jagd machten sie auf uns, als wenn wir keine guten katholischen Christen, sondern Hasen wären. Eine ganze Koppel der bunten Bluthunde von Karabinieri ließen sie auf uns los.
Hei, wie die uns hetzten!
Ich war ein blutjunges Bürschlein, gerade Zwanzig geworden. Aber schon seit drei Jahren betrieb ich das Handwerk. Seit drei Jahren hatte ich unter keinem andern Dach als dem Gewölbe des Himmels geschlafen, hatte ich an keinem andern Tisch gesessen, als an dem, der uns von der Natur gedeckt wurde. Mein Schutzpatron, der heilige Rocco, hatte mich stets beschützt. So war ich denn auch jetzt ohne Furcht, als die verdammten Karabinieri Jagd auf uns anstellten.
Aus den Felsenbergen, in denen wir uns so sicher wähnten, als lägen wir in Vater Abrahams Schoß, trieben sie uns in den Buschwald unterhalb der kleinen Stadt Sermoneta. Nun, auch dort waren wir gut aufgehoben! Denn es war bisher noch nicht vorgekommen, daß ein wackerer Brigant in der Monarchie nicht zu jeder Tageszeit ungestört sein Schläfchen hätte halten können.
Aber diese Häscher des Herrn Viktor Emanuel drangen selbst in die Wildnisse unsrer Wälder, spürten uns selbst dort auf, jagten uns aus den schützenden Dickichten hinaus in die offenen pontinischen Sümpfe. Es war, als hätten sie den Teufel im Leibe, der ja auch freilich ihren Savoyer König auf den Thron gebracht hatte.
Einige von uns entwischten. Auch mich bekamen sie nicht. Es stand mir daher frei, den glücklich Entkommenen nachzulaufen und mich vor den Sbirren zu retten. Das wäre jedoch feig gewesen, und ein guter Brigant ist und bleibt ein wahrer Galantuomo. Den Kameraden, die die bunten Hunde des Königs aus dem Buschwald vertrieben hatten, wollte ich nach; ihr Schicksal wollte ich teilen – bei St. Rocco, das wollte ich!
Bereits war ich bis an den Saum der Macchie gelangt, und noch befand ich mich in den Dickichten sicher geborgen.
Vor mir lag ein weites, freies Feld. Kein Baum und kein Strauch darauf! In der Mitte erhob sich eine Hirtenhütte aus trockenen Ginsterstauden. In diese hatten sich meine Kameraden geflüchtet, und die Karabinieri hatten die Kapanna umzingelt. Ich sah es auf den ersten Blick: die Briganten waren verloren! Nach meiner Schätzung mußten es ihrer zwölf Mann sein, darunter unser tapferer Hauptmann Pier' Leone.
Nun hätte ich hinlaufen und mich mit den andern verloren geben können; aber – ohne letzte Beichte, ohne letztes Sakrament wie ein Heide aus dem Leben zu gehen. Ja, würden die Teufel mich als guten Christen sterben lassen? Sie hätten mich ja niedergeschossen, wie einen tollen Hund. Und das durfte ich weder meinem lieben heiligen Schutzpatron, noch meiner armen sündigen Seele anthun. Ich durfte nicht!
Also blieb ich denn in Gottes Namen am Rande des Buschwalds unter einem dichten Myrtengebüsch. Von diesem Versteck aus sah ich alles. Ich sah zu, wie meine Kameraden als Galantuomini starben, als Helden, als Märtyrer!
Und sie hätten am Leben bleiben, hätten zum mindesten vor ihrem ruhmvollen, aber unchristlichen Tode das letzte Sakrament empfangen können –
Sie sollten sich ergeben, rief der Hauptmann von den Karabinieri ihnen zu. Auf Gnade und Ungnade sollten sie sich ergeben! Verloren wären sie ja doch auf dem freien Felde, in der einsamen Hirtenhütte, von der ganzen königlichen Blutbande umzingelt.
Aber sie wollten sich nicht ergeben; sie wollten fallen, den Heldentod sterben.
›Nehmt Vernunft an und ergebt euch! Es bleibt euch ja doch nichts andres übrig.‹
Aber sie wollten nicht. Daraufhin ließen sich die Königlichen herbei, mit den Briganten zu verhandeln. ›Wenn ihr euch ergebt, sollt ihr am Leben bleiben.‹
Ja, wohl blieben sie da am Leben: bis an ihr Lebensende im Bagno! Zeit ihres Lebens in Ketten geschmiedet! Ein freier Brigant, ein König der Felsenberge und Vollstrecker göttlicher Gerechtigkeit auf Erden, von der irdischen Gerechtigkeit dem schändlichsten Verbrecher gleichgestellt!
Sie wollten und wollten nicht am Leben bleiben! Als tapfere Briganten wollten sie sterben, als Helden und Märtyrer. Ihre Antwort auf die schmachvolle Aufforderung der Königlichen war, daß sie aus der Hütte auf die Bluthunde schossen. Der Hauptmann der Römer fiel. Er ward mitten ins Herz getroffen.
Jetzt wurden die Sbirren wild. Sie schossen wieder; sie schossen die Hütte in Brand.
Eine Flammensäule stieg auf.
Nun jubelten die bunten Bestien: ›Jetzt haben wir sie! Jetzt müssen sie heraus! Jetzt räuchern wir sie aus!‹
Aber ich kannte sie besser. Gleich wußte ich: heraus kommen die nicht! Lebendig nicht! Eher lassen sie lebendigen Leibes sich verbrennen, als daß sie lebendigen Leibes sich ergeben! Noch dazu diesen Königlichen! Ja, wären es noch aus der alten guten Zeit die Päpstlichen gewesen. –
Es war ganz stille geworden. Nur das Prasseln der Flammen wurde gehört bei dem großen Mittagschweigen. Stumm standen die Karabinieri um die brennende Hütte. Jeden Augenblick erwarteten sie, die Briganten aus den Flammen hervorsteigen zu sehen. Sie warteten, warteten. –
Und immer noch das Prasseln der Flammen!
Sonst kein Laut.
Die Königlichen standen immer noch stumm, und – immer noch warteten sie.
Dann aber warteten sie nicht mehr – –
Die brennende Hütte war zusammengestürzt. Ein hoher, glühender Haufen, dem dichter, grauer Qualm entstieg, lag auf dem weiten, freien Feld: das feurige Grab von einem Dutzend tapferer Briganten.
Doch was geschah nun?
Einige von den Königlichen begaben sich eilends fort, die übrigen gingen in die Macchie, hieben mit ihren Dolchmessern junge Steineichen ab, entlaubten sie, kehrten zu der Brandhütte zurück, warfen mit den Stangen die rauchenden Reste der Kapanna auseinander, zogen die verkohlten Leichname der Helden aus ihrem glühenden Grabe heraus.
Ich hatte richtig gerechnet: zwölf Leichname waren es!
›Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs –‹ Fast laut zählte ich, bis das Dutzend voll war.
Gegen Abend kamen die Karabinieri, die vom Feld sich entfernt hatten, wieder zurück. Auf Ochsenkarren führten sie Holzwerk mit sich. Es schienen Balken zu sein; aber es waren hohe Kreuze, welche die Henker des Königs Viktor Emanuel in Sermoneta gezimmert hatten.
Wozu bedurften sie der Kreuze? So vieler? Jesus Christus war ja doch schon auf Golgatha ans Kreuz geheftet worden.
Inzwischen zählte ich diese Kreuze: ›Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs –‹ Fast laut zählte ich, bis das Dutzend voll war; denn es waren zwölf Kreuze.
Doch wozu die zwölf Kreuze?
Ich sah es!
Sie nahmen die Leichname der Verbrannten und schlugen die verkohlten Leiber ans Kreuz. Ein volles Dutzend toter Helden wurde auf dem Feld von Sermoneta von den königlichen Knechten gekreuzigt!
Ich sah es! Mit diesen meinen Augen –
Und was weiter?
Man wird es mir nicht glauben, und doch war's so. Wahr und wahrhaftig, so war es! Sie luden die zwölf Gekreuzigten auf den Ochsenkarren, fuhren damit fort, fuhren nach Sermoneta. Dort, auf dem Marktplatz vor dem Dom, richteten sie die zwölf Kreuze auf: nachdem sie damit den ganzen Ort wie in einer Prozession durchzogen hatten. ›Zum abschreckenden Beispiel‹.
Ich stand am Weg, den die Prozession nahm, sah es also mit diesen meinen eigenen Augen.«
So erzählte mir der gute Fra Checco, und so war es geschehen auf öffentlichem Markt von Sermoneta im Jahre des Herrn 1873.
Sei der Gekreuzigte den Gekreuzigten gnädig!
Und jenen andern desgleichen!
»Nach diesem« – so erzählte Fra Checco, der Gute, weiter – »trieben wir es, nach Ansicht der Unverständigen, ein wenig arg. Aber die Ungerechtigkeit auf Erden war eine zu große! In den römischen, ehemals päpstlichen und christlichen Landen schrie sie gen Himmel. Doch dieser hörte nicht darauf. Also mußten wir Briganten Gerechtigkeit schaffen.
Wir hatten uns wieder gesammelt: um volle zwölf Mann weniger! Und was für Männer das gewesen waren, die uns fehlten! Ihr Geist jedoch beseelte uns, und ihr Geist mahnte uns beständig zur Rache. Der inneren Stimme folgend, begingen wir Thaten, die die besagten Urteilslosen und Unverständigen eben Greuelthaten nannten. Es waren jedoch nur Handlungen einer vergeltenden göttlichen Justiz.
Aber nicht allein, daß die Knechte des neuen römischweltlichen Staates fortan beständig Jagd auf uns anstellten – sogar unsre eigenen lieben Landsleute beteiligten sich an der Verfolgung: alle jene, die uns in der glücklichen päpstlichen Zeit in ihren eigenen Häusern Unterkunft gewährt, vor den Häschern des heiligen Vaters uns gewarnt und geschützt, uns oft genug gespeist und getränkt hatten.
Was begingen wir denn Arges, daß selbst diese guten, treuen Freunde gegen uns waren?
Wenn einer der Ihren durch eine übermäßig reiche Wein- und Oelernte die Taschen allzu voll hatte, daß er anfing, unchristlich stolz auf seine irdische Habe zu werden, so lauerten wir dem Mann an geeigneter Stelle auf, hielten ihm mit gespanntem Hahn eine Büchse vor und forderten ihn höflich auf, uns in die Felsenberge oder in den Buschwald zu folgen. Weswegen sollte der Mann nicht auch die gute Luft der Höhen und die kühlen Schatten der Wälder genießen? Uebrigens kam es lediglich auf ihn an, wie lange er bei uns bleiben wollte. Wir gaben sogar seiner Familie Nachricht über sein Ergehen, es dieser überlassend, den Grad von Höflichkeit zu bestimmen, mit der wir ihrem Vater oder ihrem Gatten oder dem Sohn, dem Bruder bei uns begegnen sollten.
War die Familie knauserig – um so schlimmer für unsern Gast! Und um so schlimmer für diesen, wenn seine lieben Angehörigen uns zu lange warten ließen, bis wir uns zur bestimmten Stunde an einen bestimmten Ort begeben konnten, um daselbst eine festgesetzte Summe in Empfang zu nehmen. Bekümmerte sich die liebe Familie nicht angelegentlich um den Mann, so sahen wir uns zu unserm Bedauern genötigt, gegen unsern eigenen werten Gast unhöflich zu sein. Wir mußten unsre freimütige Bitte um das Verpflegungsgeld mit einem Nachdruck thun, der – je nach dem Zaudern der guten Leute – immer stärker und stärker ward. Zunächst war es nur das eine, später allerdings auch das zweite Ohr unsers geschätzten Pensionärs. Bisweilen mußten wir diesen beiden kleinen, aber nicht ganz überflüssigen Körperteilen einen dritten hinzufügen: die Nase. Letzteres thaten wir höchst ungern, thaten es nur gezwungen; denn schließlich war es nicht gerade höflich, dem Gast auf solche Weise unter die Augen zu gehen. Aber was sollten wir thun? Die liebe Familie des wackeren Mannes schien nach den Ohren und der Nase ihres Vaters oder Gatten, ihres Sohnes oder Bruders gar zu heftiges Verlangen zu hegen und diese Teile des teuren Angehörigen absolut besitzen zu wollen – und zwar ohne den ganzen übrigen Menschen.
Wie wunderlich doch die Leute sind! Sie nötigten uns dazu, ziemlich viele Ohren abzuschneiden, und nahmen uns die Sache schließlich dermaßen übel, daß sie auszogen, um uns zu fangen, nicht anders, als wenn wir Wachteln wären. Sogar Fallen stellten sie uns, lockten uns in Hinterhalte, also gewissermaßen in Netze, und schlugen einige von uns mit Knütteln tot. Das war von unsern lieben Landsleuten herzlos gehandelt! Ueberdies war es nicht kavaliermäßig; denn man erschlägt keinen Galantuomo wie eine Katze. Und seht, Sor Riccardo – ein solches Benehmen konnten wir unsern lieben Landsleuten nicht verzeihen.
So beschlossen wir denn, uns an ihnen zu rächen: auch nicht allzu christlich und etwas weniger chevaleresk, als es sonst bei uns der Brauch war.
Die Leute von Norba im Volskergebirge waren es gewesen, die einige der Unsern gefangen und erschlagen hatten; daher wollten wir an ihnen Vergeltung üben. Aber Galantuomini, die wir nun einmal waren, ließen wir ihnen Vendetta ansagen, ließen wir sie warnen. Ich selbst war der Bote, der ihnen die Ankündigung unsrer Rache überbringen sollte.
Eines Sonntags war's, mitten am Tage, als die Leute von Norba aus dem Dom von der Predigt kamen. Geradeswegs begab ich mich in die Stadt, und geradeswegs ging ich zum Hause des Sindakus. Ueber den ganzen Domplatz ging ich, wo die Leute von Norba so dicht standen, als wenn Tombola wäre. Auch von den bunten Bluthunden lungerten etliche umher. Da ich indessen ganz als Galantuomo kam und nicht einmal eine Waffe bei mir führte, so fürchtete ich mich nicht, obgleich ich wußte, daß sie mich sehr bald erkennen würden. So war es denn auch; aber – sie rührten mich nicht an! Es wäre zu sehr gegen allen Anstand gewesen.
Auch die königlichen Spürnasen witterten das Wild und machten Miene, es zu jagen, zu fangen.
Da hättet Ihr die Leute von Norba sehen sollen! Nicht anrühren ließen sie mich. Geschützt hätten sie mich vor den bunten Bestien; eher sich selbst von ihnen zerreißen, als mir ein Härlein krümmen lassen. Sie wußten eben, daß ich als Kavalier kam.
Geradeswegs begab ich mich zum Hause des Sindakus, von einem Gefolge begleitet, als käme ein Gesandter des Savoyerkönigs daher. Ich war – das muß ich selbst von mir sagen – ein hübscher Junge, warf mich bei dieser Gelegenheit nicht wenig in die Brust, trug meinen Kopf hoch und sah steif über die Weiber und Dirnen hinweg, von denen eine jede stolz gewesen wäre, wenn ich sie nur angeschaut hätte.
Der Sindakus war nicht zu Hause; aber vor der Thüre saß seine Frau. Das war ein blutjunges Ding, zart und zierlich, mit einem Gesichtlein wie eine Madonna. Auch sonst glich sie der süßen Gottesmutter Maria; denn sie säugte gerade ihr Kind, einen prächtigen, kleinen Bengel mit Pausbacken wie ein Posaunenengel. Eine alte Frau rief ihr zu: ›Eh, Marietta! Da ist einer aus den Bergen, du weißt schon. Er will zu deinem Mann.‹
Wurde doch das hübsche Frauchen so weiß im Gesicht, als wäre ich ein Ungetüm, das ihren derben Säugling verschlingen wollte, und zwar gleich frisch vom Herzen der Mutter fort. Sie zitterte an ihrem ganzen feinen Leibe, drückte ihr Kind so heftig an sich, daß das Knäbchen laut zu schreien begann, und stammelte: ›Was wollt Ihr von meinem Mann? Er ist nicht zu Hause. Ach, geht doch! Ihr seht ja, der Knabe fürchtet sich vor Euch.‹
Ich antwortete: ›Wenn Euer Mann nicht zu Hause ist, so kann ich ja meine Botschaft Euch ausrichten.‹
›Welche Botschaft?‹
›Daß Euer Mann sich hüten soll.‹
›Wollt Ihr ihm ein Leids anthun?‹ ›Ihm und allen Euern Leuten, die wir in die Hände bekommen – ihr alle könnt es hören!‹
Das sagte ich zu den Leuten, die mir das Geleit gegeben hatten und die jetzt umherstanden. Und ich sagte es mit lauter Stimme, obgleich mir dabei das Herz nicht wenig schlug. Sie blieben jedoch ganz still. Nur die junge Frau des Sindakus that einen Laut wie einen erstickten Aufschrei. ›Ihr wollt meinem Giusé ein Leids anthun? Wollt Ihr ihn etwa gar töten?‹
›Wenn wir ihn bekommen, so muß er sterben: er und alle die andern! Denn er und alle die andern haben drei von den Unsern mit ihren Flintenkolben erschlagen.‹
Die zitternde Frau rief: ›Mein Mann hat es nicht zulassen wollen!‹
Drauf ich: ›Es geschah aber doch, und er ist der Sindakus. Sagt daher Eurem Mann: er solle sich vor unsrer Rache in acht nehmen! Er und alle die andern!‹
Damit hatte ich meine Botschaft ausgerichtet und konnte wieder gehen – wenn sie mich lebend davonließen.
Aber sie regten sich nicht. So viele ihrer auch umherstanden, regten sie sich nicht.
Ganz still war's auf der Gasse.
Schon wollte ich gehen, als die junge Mutter aufstand, mit dem Säugling an der Brust zu mir trat, auf das Kind niedersah und mit leiser, sanfter Stimme sagte: ›Seht Euch den Knaben an! Er schreit nicht mehr, fürchtet sich nicht mehr vor Euch. Seht, o seht Euch doch nur seinen kleinen Sohn an! Ihr werdet dem Vater meines lieben Kindes gewißlich kein Leids zufügen, wenn ich Euch im Namen seines Sohnes darum bitte.‹
Sie schaute zu mir auf und lächelte mich an. Da beugte ich mich zu dem Kind herab, das seine Händchen nach mir ausstreckte und dabei etwas lallte.
›Er hält Euch für seinen Vater. Geht und erzählt Euren Freunden, daß das Kind seine Aermchen nach Euch ausgestreckt hat. Ganz gewiß werdet Ihr seinen Vater jetzt nicht mehr töten, weil dieser nicht verhindern konnte, daß sie Eure Freunde erschlugen. Geht und seid gesegnet: denn mein süßes Kind streckte seine unschuldigen Händlein nach Euch aus.‹
Mir war seltsam zu Mute geworden, wie noch niemals, seitdem ich zu den Königen der Felsenberge gehörte. Weil ich aber mein Herz schwach werden fühlte bei dem sanften Weibe und dem holden Lächeln der jungen Mutter, rief ich mit möglichst rauher Stimme: ›Euer Mann ist der Sindakus dieser Stadt, und der Sindakus ließ den Totschlag der Unsern geschehen – Vendetta bleibt über ihm und seinem ganzen Haus! Also auch über seinem Sohn. Darum soll der Vater dieses Knaben sich hüten, er und alle von euch! Denn allen, allen haben wir Blutrache geschworen.‹
Jetzt ging ich. Ich hörte, wie das Weib des Sindakus einen leisen Wehelaut that und der Säugling von neuem zu weinen anhub. Die andern blieben stumm.
Ich ging mitten durch sie, die mir gerade so viel Platz machten, daß ich nicht einen von ihnen auch nur mit meinem Mantel berührte. Ich ging über den Domplatz. An den Karabinieri ging ich vorüber und weiter. Ich ging zum Thor hinaus.
Als ich bereits draußen war, pfiff über mir eine Kugel hinweg. Sie riß mir den Hut vom Kopf.
Ich hob meinen Hut auf, wandte mich, schwenkte den durchschossenen Hut und rief zurück: ›Vendetta über euch!‹
Ein kalter Winter kam. Bis in die Thäler herab fiel Schnee. Wir hatten harte Zeit.
Dem ersten besten einsamen Mann auf Landstraßen und Saumpfaden auflauern, ihn anfallen und ausplündern, mochten wir nicht; und einen großen Fang bekamen wir nicht. Den Sommer vorher hatten wir es, wie gesagt, nach der Meinung unsrer lieben Landsleute, etwas arg getrieben, so daß die ganze Gegend auf der Hut vor uns war. Vollends die Leute von Norba rührten sich nicht aus ihrem hohen Ort, woran sie wohlthaten. Denn wenn ein volskischer Brigant über ein Haupt Blutrache verhängt, so ist diese bereits so gut wie vollstreckt. Das wußten die Leute von Norba.
Wir wohnten in einer Höhle, darin wir uns für die Dauer des Winters häuslich einrichteten. Nur mit dem Feuer mußten wir vorsichtig sein, damit der Rauch uns nicht verrate. Wir wußten, daß die Königlichen uns scharf nachstellten, und hatten keine Lust, unser freies Herrenleben mit der Galeere zu vertauschen oder uns von den Monarchisten niederschießen zu lassen. Ja, wären es noch die Päpstlichen in den schönen alten Zeiten gewesen!
Das Feuer, das wir nur des Nachts anzünden durften, wäre nun zwar gut gewesen, um daran zu braten und zu kochen, hätten wir nur etwas zum Braten und zum Kochen gehabt. Knapp ging es uns! Mit dem Wild war's in jenen Gegenden schlecht bestellt, und die Herden, die sonst den ganzen Winter über in den Thälern fast hirtenlos weideten, wurden der Kälte und des Schnees wegen in die pontinischen Sümpfe und an den Meeresstrand hinabgetrieben.
In den gesegneten päpstlichen Zeiten kam es nie vor, daß ein ehrlicher Brigant Hunger leiden mußte. In jenen früheren besseren Jahren, wenn wir kein Wild jagten, kein Vieh nahmen, wenn wir keinen guten Wein zu trinken und keine neapolitanischen Maccaroni zu verzehren hatten – damals ließen die Briganten diesen oder jenen, der von den Gottesgaben reichlich besaß, einfach wissen: er habe dann und dann, dort und dort, so und so viel von dem und dem für uns zu hinterlegen. Und immer bekamen wir! Oft genug mehr, als wir in unsrer Bescheidenheit erbeten hatten. Oft genug zu dem fetten Huhn auch die Eier, die es gelegt hatte; zu dem Stück Wild auch das Pulver und Blei, womit es erlegt worden war; zu den Maccaroni auch das Oel und den Käse, wodurch sie erst zur Festspeise wurden.
So war es sonst gewesen!
Weil nun der Hunger nicht allein weh thut, sondern obenein eines ehrlichen Mannes unwürdig ist, und weil unsre lieben Landsleute auf unsre höflichen Bitten nicht hörten, so mußten wir schließlich in Gottes Namen unhöflich sein. Denn seinem Nächsten mitten in der Nacht einen Besuch abzustatten, ihn aus tiefstem und süßestem Schlummer zu wecken – überdies mit Revolver und Dolchmesser in der Hand, ein solches Benehmen kann man nicht gerade freundschaftlich nennen. Leider zwangen sie uns dazu, und leider verargten sie es uns sehr. Auch daß wir uns so viel nahmen, als uns satt machte, ihnen genug lassend, sehr zum Ueberfluß sogar das Leben selbst, das machte sie wild gegen uns; und sie wendeten ihr durch unsre Großmut ihnen geschenktes Dasein dazu an, um uns unchristlicherweise Uebles zuzufügen. Es gibt doch recht schlechte Menschen auf Erden!
Einmal sandten sie wiederum mich aus, um für die leere Küche etwas Proviant zu holen: denn es glückte mir stets besser als den andern, uns ein Huhn in den Topf zu beschaffen. Mit diesem Eigenlob möchte ich mich jedoch nicht voll unchristlichen Hochmuts überheben, indem auch das eine Gottesgabe ist, die dem einen fehlt und die der andre besitzt.
So gelang es mir denn auch diesmal, uns mit Mehl und Oel, mit Speck und Wein zu versorgen, ohne dafür einen Heller auszugeben, ohne darum einem Kind ein Härlein zu krümmen. Die wackere Bäuerin, von der ich jene guten Dinge erhielt, buk mir sogar einen Eierkuchen, bei dem sie das Schmalz nicht sparte. Darüber hatte ich mich verspätet, so daß ich mich erst am hellen lichten Tag auf den Heimweg machte. Noch dazu mußte ich einen Teil des Weges auf der breiten Landstraße zurücklegen und ging schwerbeladen. Kaum, daß ich alle die Himmelsgaben tragen konnte.
Steht da am Weg ein Kapellein. ›Ei,‹ so denke ich, ›das steht für dich gerade am rechten Platz!‹ Denn ein frommer Christ war ich von Kindesbeinen an. Die Thür ist offen. Ich schaue mich um: weit und breit kein Mensch! Also thue ich meinen Reichtum gemütlich ab, will eintreten – sehe aber plötzlich beim Eingang eine Büchse an der Wand lehnen!
Jemand muß die Flinte dorthin abgelegt haben, wohl weil er ihrer an dem heiligen Ort nicht bedurfte. Zugleich erblickte ich auch einen Mann, dem sie gehörte. Er kniete am Altar, vor dem Bildnis der Himmelskönigin, der heiligen Jungfrau ›Erretterin‹, denn dieser war das hübsche Kirchlein geweiht.
Ein junger Mann ist's. Er sieht und hört nicht. Er betet. So inbrünstig und so laut betet er, daß ich mit anhören muß, um was er die rettende Gottesmutter bittet.
Er hat zu Hause ein junges Weib und ein kleines krankes Kind. Das Weib ist in Todesangst, denn das Kind schwebt in Todesgefahr. Da ist der Mann in aller Frühe ausgegangen, um bei der Himmelskönigin, die ja auch eine Mutter in Nöten und Aengsten gewesen, für das todkranke Kind ein Gebet zu thun. Maria, die heiligste Retterin, ruft der Vater an.
Und wie er sie anruft! Mir armem Schächer – denn Sünder sind wir allzumal! traten bei dem Gebet des jungen Vaters die hellen Thränen in die Augen.
Ganz still stehe ich da, ganz andächtig höre ich zu.
Als ich dann merke, daß er bald fertig ist, trete ich leise zurück, nehme leise, leise sein Gewehr, gehe leise, leise hinaus. Denn besser ist besser; und vorbedacht hat noch keinem Schaden gebracht.
Draußen stelle ich mich auf, werfe des andern Büchse über die Schulter, fasse die meine, mache sie schußbereit, richte sie auf die offene Thür und warte.
Nicht lange, so kommt er heraus; und da erst erkenne ich ihn.
Der Sindakus von Norba ist's!
Er sieht mich, erkennt mich, erbleicht.
Mit todblassem Gesicht steht er mir gegenüber; denn seine Büchse ist fort, und er weiß, daß er wegen der Vendetta ein Mann des Todes ist.
Ich brauche nur loszudrücken –
Das Gewehr immerfort auf ihn gerichtet, sage ich: ›Eure junge Frau hat mir Euer Kind gezeigt; und Euer Kind hat seine Händlein nach mir ausgestreckt. Jetzt hält es sie schützend über Eurem Haupt. Also nehmt hier Euer Gewehr und geht eilends nach Hause zu Eurer jungen Frau und Eurem kranken Knaben, und möge Maria, die Retterin, Euer Gebet erhört haben.‹
Darauf erwiderte der so wunderbar Gerettete: ›Meines armen Weibes und lieben Sohnes willen nehme ich von Euch mein Leben an und danke Euch dafür. Herzlich danke ich Euch.‹
Er nahm aus meiner Hand seine Büchse und ging.
Ich rief ihm nach: ›Gedenkt der Blutrache! Hütet Euch, hütet Euch! Denn ein zweites Mal möchte Euch selbst die rettende Gottesmutter nicht retten.‹
In der nächsten Nacht begab ich mich nach Norba. Ich schlich mich in die Stadt, schlich vor das Haus des Sindakus. Dort war alles dunkel und ruhig. Des Vaters Gebet war erhört worden.
Tausend-, ach tausendmal besser, die rettende Himmelskönigin wäre für die Bitten des armen Vaters taub gewesen! Ja, hätte ich ihn vor der Kapelle niedergeschossen, auch das wäre für ihn und sein Weib besser gewesen. Doch der Himmel hatte es nun einmal anders beschlossen.
Weil es uns in unsrer feuchten Höhle herzlich schlecht ging und weil wir darin hausen mußten, solange der Winter heftige Kälte und starken Schneefall brachte, beteten wir eifrig um das Frühjahr. Wir zündeten darum sogar jede Nacht unserm Schutzheiligen eine prächtige Wachskerze an. Aber weil das Licht nicht geweiht und weil es ungeweiht nicht wirksam sein konnte, nahm ich in einer dunklen Nacht die Kerze und trug sie zum nächsten geistlichen Herrn, den ich etwas unsanft weckte, alsdann aber demutsvoll bat, die prächtige Kerze zu segnen. Daß ich ihm mit der einen Hand das hohe dicke Wachslicht und mit der andern das geladene Pistol vorhielt, war nun einmal nicht anders. Der Hochwürdige sah es selbst ein, segnete zuerst die Kerze und darauf mich, wonach ich ihm inbrünstig die Hand küßte, mich davonmachte und er wieder zu Bette ging.
Nun brannten wir nachts unsre geweihte Kerze: und es dauerte denn auch nicht lange, bis es warm wurde, der Schnee schmolz und der Frühling kam.
Zugleich mit dem Frühling erschienen in den Felsenbergen die Hirten und die Herden, so daß wir wieder jeden Tag unsern frischen Braten hatten. Des strengen Winters wegen waren jedoch die Zicklein und Lämmlein nicht sonderlich fett, was uns mitunter die Laune verdarb.
Um unsern mageren Spießbraten mit möglichst gutem Humor zu verzehren, beschlossen wir endlich, Vendetta zu üben und die von uns über die Leute von Norba verhängte Blutrache zu vollziehen. Da sie immer noch äußerst vorsichtig waren, so mußten wir sie zuerst mittels einer List sicher machen. Also fingierten wir einen Aufbruch, als würfen wir uns in eine andere Gegend.
Einige von uns begaben sich auch wirklich hinüber nach Anagni, wo sie verschiedene Akte der Gerechtigkeit verübten, die in der ganzen Provinz laut von sich reden machten. Die meisten, darunter meine unbedeutende Person, blieben an Ort und Stelle, verhielten sich indessen vollkommen ruhig. Sogar den Herden statteten wir keine Besuche mehr ab, also, daß wir eine Zeitlang selbst um unsern mageren Spießbraten kamen. Während wir uns so gar kümmerlich nährten, wachten wir um so besser.
Anfangs Mai kamen die ersten Wachteln von Afrika her über das Meer. Massenhaft fielen die müden Tierlein ins Land. Sie sanken auf den Boden nur so herab, daß man sie gar nicht erst zu jagen brauchte, sondern sie förmlich auflesen konnte. Wir speisten Wachteln des Morgens, des Mittags, des Abends; speisten sie gesotten, gedämpft und gebraten. Leider hatten sie auf dem weiten Seewege ihr würziges Fett abgesetzt. Trotz aller Frömmigkeit sollte es für uns ein mageres Frühjahr bleiben.
Auf die Wachteln hatten wir bei unserm Vendettaplane gerechnet; und die Folge sollte zeigen, daß wir uns nicht verrechnet hatten. Denn welcher von unsern lieben Landsleuten, sei er nun Herzog oder Bauer, widerstünde im Frühling den Lockungen der Wachteljagd? Es dauerte denn auch gar nicht lange, daß ich eines schönen Morgens – denn mich hatten die Kameraden ausersehen, den Norbanesen aufzulauern, denen im Lager melden konnte: ›Heute gehen sie auf die Wachteljagd! Der geistliche Herr und der Advokat, der Arzt und Apotheker, der Prätor und – ja, und der Sindakus!‹
Es that mir leid, daß der Gatte des hübschen jungen Frauchens, der Vater des prächtigen Buben mit dabei war. Von ganzem Herzen that es mir leid! Ich konnte jedoch dem Mann nicht helfen; mochte sein kleiner Sohn auch noch so flehend nach mir seine Händlein ausstrecken. Noch ehe heute die Sonne sank, würde das Kind ohne Vater sein. ...
Meine Meldung hatte ich gethan, so mußte denn schleunigst für das Uebrige gesorgt werden. Das war nicht schwer. Wir brauchten den Wachteljägern, die uns drüben in den Abruzzen wähnten, nur auf der Spur zu bleiben und sie im geeigneten Augenblick mit unsrer Gegenwart bekannt zu machen.
Der geeignete Augenblick war der, wenn sie nach erfolgter Jagd behaglich versammelt waren und es sich bei abgelegten Waffen wohl sein ließen. Ich bat die Kameraden: ›Laßt sie wenigstens in Ruhe und Freude ihren Wein trinken und dazu ihren Schinken verzehren. Es ist ja so wie so ihre Henkersmahlzeit.‹
Ich bin eben ein guter Kerl.
Also: wir hatten sie! Nachdem sie den letzten Schluck getrunken, den letzten Bissen verzehrt, hatten wir sie.
Was sollten sie machen? Sich ergeben. Ein Zweites gab's nicht.
Nun mochten sie aber denken: ›Dies eine Mal kommen wir schon noch mit dem Leben davon. Sie werden wohl mit sich reden lassen. Es wird wohl nicht sehr billig sein; indessen – nun, wir werden ja sehen.‹
Sie begannen, uns für ihr Leben Lösegeld zu bieten. Als ob wir keine Galantuomini wären!
›Laßt uns frei.‹
›Das geht nicht.‹
›Wieviel wollt ihr auf den Kopf?‹
›Es geht nicht, Signori.‹
›Macht keine Umstände.‹
›Durchaus nicht.‹
›Wir geben euch auf den Kopf fünfhundert Skudi.‹
›Viel Geld.‹
›Nun also!‹
›Aber es geht nicht.‹
›Tausend Skudi für den Mann! Ihr habt niemals ein besseres Geschäft gemacht.‹
›Das ist wahr.‹
›Also abgemacht!‹
›Wir bedauern.‹
›Ihr werdet doch nicht dumm sein! Tausend Skudi per Kopf, und sechs Köpfe sind wir, das macht bare sechstausend Skudi. Bedenkt: bare sechstausend Skudi! Ein fürstliches Einkommen, das ihr von unsern sechs Köpfen bezieht. Sechzig Bauernkopfe brächten euch nicht die Hälfte ein.‹
›Freilich, freilich.‹
›Also gebt ihr uns frei?‹
›Geht nicht, geht nicht.‹
›Nehmt Vernunft an. Was habt ihr davon, wenn ihr uns die Köpfe abschlagt? Nicht einen roten Heller! Und andernfalls bare sechstausend Skudi. Ihr werdet doch keine Narren sein und an uns nicht sechstausend Skudi verdienen wollen, der bißchen Blutrache wegen.‹
›Geht nicht, geht nicht, geht nicht.‹ ›Zehntausend Skudi also, alle sechs Köpfe zusammen – der Arciprete wird hier bleiben. Wir andern gehen und beschaffen das Geld. Seine Hochwürden kann euch inzwischen beichten lassen und Absolution erteilen. Macht schnell, damit wir bis Abend wieder zu Haus sind und zur Cena unsre Wachteln essen können. Ihr seid höflichst eingeladen.‹
Der Advokat war für alle sechs der Sprecher gewesen. Und er sprach gut. Er war ein junger, bildhübscher Mann. So lustig!
›Also zum ersten, zum zweiten und drittenmal: bare zehntausend für unsre sechs Köpfe! Man muß ja mit euch schachern, als hätte man Kohlköpfe zu verkaufen. Zehntausend Skudi zum letztenmal!‹
Unser Hauptmann zuckte die Achseln, trat etwas vor, sprach: › È difficile.‹
(Diesen Ausspruch des ehrlichen Fra Checco lasse ich unübersetzt. Kein deutsches Wort würde seinen Sinn gut wiedergeben. Wenn mir an irgend etwas sehr gelegen ist, wenn ich alles versuche, es durchzusetzen, und wenn man mir endlich erwidert: › È difficile.‹, so weiß ich, daß die Sache für mich hoffnungslos ist.)
So wußten denn auch die Leute von Norba, daß wir Galantuomini waren, die nicht mit sich handeln ließen. Sie wußten, daß wir unsre Vendetta um jeden Preis halten würden, wußten, daß sie sterben müßten – heute noch! Sie sagten kein Wort mehr.
Ueberhaupt kein Wort während der ganzen Verhandlung hatte der Sindakus gesprochen. Er mochte wohl unsern Mienen ansehen, daß hier Worte nichts halfen. Und immerfort, immerfort mochte er an sein Haus denken: an sein junges Weib, an seinen kleinen Knaben. Einmal sah er mich an. Mir war's, als sagte sein Blick: ›Du weißt, woran ich denke. Du weißt Bescheid mit mir, du allein.‹
Aber sprechen that er nicht ein einziges Wort. Die Leute von Norba hatten damals unsre Kameraden wie Maulwürfe gefangen und abgethan. Darum sollten auch die Herren ein unrühmliches Ende nehmen. Dagegen half kein Reden und Bitten. Sie baten auch nicht.
Die Stelle, wo wir sie gefangen hatten, lag unmittelbar zu Füßen eines Felsens, der auf seiner andern Seite in einer wilden Wand jäh in die Tiefe abstürzte. Es war ein furchtbarer Abgrund.
Jene Wand sollten sie hinunter, in den Abgrund hinab. Es wurde ihnen von unserm Hauptmann mitgeteilt.
Keiner sprach ein Wort, Auch der junge, hübsche, lustige Advokat sagte nichts; obgleich er noch immer eine Miene machte, als ob alles nur ein Spaß sei, sogar der schreckliche Todessprung.
Brave Bursche waren es! Ein tapferer Brigant konnte nicht anständiger sterben. Und das will etwas heißen. Der geistliche Herr brauchte keinem Trost und Mut einzusprechen. Er bereitete alle zu einem christlichen, bußfertigen Tod vor. Zuletzt vergab er uns, ihren Feinden. Alsdann sprachen alle die Sterbegebete, wobei sie ihre Häupter entblößten und niederknieten.
Wir Briganten knieten auch, beteten auch – und das recht inbrünstig, für die armen Seelen, die so bald im Fegfeuer sein würden.
Aber – was konnten wir thun?
Alsdann führten wir sie den steilen Berg hinauf. Einer ging hinter dem andern. Droben angelangt, schritt einer nach dem andern vor und zum Abgrund.
Jeder wollte der erste sein.
Der junge, hübsche, lustige Advokat that's allen andern voraus. Der geistliche Herr war der letzte, weil er bis zuletzt für die andern beten mußte.
Brave Burschen waren es, brave Burschen!
Bevor der Sindakus hinabsprang, trat er etwas zur Seite, zog einen feinen Goldreif vom Finger und ließ ihn auf den Rasen fallen. Dabei sah er mich an.
Ich wußte, wem ich den goldenen Ring als letzten Gruß bringen sollte.
Also waren die sechse tot, war unsre Vendetta glücklich erfüllt.
Wir sprachen am Rand des großen Grabes noch ein letztes Gebetlein, machten es jedoch kurz. Dann hob ich den goldenen Ring auf, mit dem ich die Witwe des Sindakus noch einmal von ihrem Mann grüßen sollte.
Was ich sagen wollte – nun ja! Wir waren zwar ›Galantuomini‹; aber mitunter trieben wir es wohl ein wenig arg. Ein wenig zu arg, wie ich selbst eingestehen muß. Und etwas gar zu arg trieben es damals meine Kameraden, gleich nachdem sie an den sechsen jenes gerechte Gericht vollzogen hatten.
Ich sagte: ›Meine Kameraden trieben.‹ Denn ich selbst war, als die Sache, von der ich nun erzählen will, sich begab, nicht mit dabei, sondern befand mich auf dem Weg zu dem guten geistlichen Herrn, der im Winter unsre Wachskerze geweiht hatte. Da wir nun einmal fromme Christen waren, wollten wir für die Seelen der sechse eine Messe lesen lassen. Darum suchte ich den Hochwürdigen auf: und ich danke meinem Schutzpatron noch heute dafür, daß er meine Kameraden damals veranlaßte, mich fortzusenden. Denn während ich unterwegs war, geschah das Traurige, wovon ich noch berichten muß.
Ich kam nachts an, fand den geistlichen Herrn wiederum in seinem Bett, mußte ihn wiederum in bestem Schlummer stören, stellte ihm die Sache nachdrücklichst vor, nötigte ihn, sogleich aufzustehen, mit mir in die Kirche zu gehen und die Seelenmesse zu lesen, wobei ich administrierte. Dann zahlte ich dem Hochwürdigen für seine Mühe – denn wir wollten die Sache nicht umsonst haben, küßte ihm ehrerbietig die Hand und empfahl mich. Als ich gegen Mittag des andern Tags bei den Kameraden wieder eintraf, war es gerade geschehen.
Kurzum: ich war nicht dabei, kann daher nur erzählen, wie es während meiner Abwesenheit sich zutrug.
Wer kam an dem Morgen, an dem ich mich auf dem Rückweg von dem geistlichen Herrn zum Lager befand, zu meinen Kameraden? Wer anders, als die Marietta, das junge hübsche Frauchen des gerichteten Sindakus. Und wen brachte die Marietta mit sich? Wen anders, als den herzigen Säugling, das wiedergenesene Söhnlein des Toten.
›Ihr habt meinen Giusè gefangen?‹
›Wenn du die Frau von einem der sechs Wachteljäger bist, so haben wir deinen Giuseppe gefangen.‹ (Denn sie kannten die Marietta nicht.)
›Der Sindakus ist mein Mann.‹ ›So, so! Der Sindakus ist dein Mann? Ja, wenn der Sindakus von Norba dein Mann ist, so haben wir, wie gesagt, deinen Mann gestern beim Wachteljagen gefangen.‹
›Gebt ihn frei!‹
›Das wird nicht gehen.‹
›Ihr müßt ihn freigeben!‹
›Ja, wenn wir müssen –‹
›Wir sind noch so jung, wir lieben uns so zärtlich, wir sind so glücklich. Ihr glaubt nicht, wie wir uns lieben und wie glücklich wir sind!‹
›Was können wir thun?‹
Das Frauchen rief: ›Meinen Giusè freigeben! Sogleich! Ich brachte Lösegeld mit! Hier, hier, hier! Und meinen Schmuck dazu! Es ist mein Hochzeitsschmuck, meines lieben Giusès Geschenk als Bräutigam! Nehmt, nehmt, nehmt! Aber, so nehmt doch!‹
›Wir können nicht.‹
›Ihr müßt das Geld und den Schmuck nehmen, denn ihr müßt meinen Mann freilassen.‹
›Wenn es nun doch nicht geht?‹ (Denn sie verrieten dem reizenden Frauchen nicht, daß der Mann bereits gerichtet und tot sei.)
›Weshalb solltet ihr meinen guten Giusè nicht freigeben können? Ihr werdet doch zwei Menschen, die sich so zärtlich lieben und die miteinander so glücklich sind, nicht unglücklich machen wollen?‹
›Es thut uns leid: indessen –‹
›Hier ist sein Sohn. Schon seines Sohnes willen müßt ihr meinen Mann freilassen. Das werdet ihr doch einsehen?‹
›Geht nicht.‹
›Aber mein Mann ist doch bei euch?‹
›Gestern fingen wir ihn.‹
›Wo ist er?‹
›Dort oben.‹
Und unser Hauptmann wies gen Himmel.
Meine Kameraden lagerten noch immer auf dem Platz, wo sie die Wachteljäger gefangen hatten und wo auf der andern Seite der Höhe die wilde Wand und der tiefe Abgrund waren.
Das Mariettlein hatte die Antwort mißverstanden und fragte, ob der Gefangene sich dort oben auf dem Berg befinde? Meine Kameraden erwiderten darauf nichts, ließen also das feine Frauchen bei dem Glauben.
›Wenn mein Mann dort oben ist, so darf ich gewiß zu ihm hinauf?‹
›Geht nicht.‹
›Laßt mich zu ihm hinauf! Laßt mich ihn sehen, laßt mich ihm beistehen, ich bitte euch!‹
›Wir können Euch nicht zu Eurem Mann lassen. Unmöglich.‹
›Seid gütig! Wir lieben uns so zärtlich, wir sind so glücklich! Laßt mich zu meinem Mann.‹
›Nein.‹
›Ihr müßt mich zu ihm lassen!‹
›Nein, nein!‹
›Wenn ihr denn gar kein Erbarmen habt – gut! Ich will hier unten bleiben, will hier unten warten. Aber das Kind werdet ihr doch zu seinem Vater lassen?‹
›Das Kind?‹
›Seinen kleinen Sohn. Er wird gestärkt und getröstet sein, wenn er seinen lieben Sohn wiedersieht. Bringt den Knaben zu seinem Vater. Ich bitte euch, flehentlich bitte ich euch.‹
Das Frauchen bat, flehte, weinte. Und da – da sagte einer meiner Kameraden: ›Wenn du es denn durchaus willst.‹
›Ja! Ach ja, ja!‹
›So gib mir den Bengel. Ich werde den kleinen Schlingel zu seinem Vater bringen.‹
Und er lachte. Aber das Mariettlein rief: ›Dank, Dank! Die süße Gottesmutter segne Euch! Wie gut Ihr doch seid! Dank, Dank!‹
Und sie gab meinem Kameraden den Säugling, der sich vor dem fremden Mann gar nicht fürchtete und ihn lustig anlachte. Mein Kamerad nahm das Kind auf die Arme, ging mit dem Kinde fort, stieg damit den wilden Berg hinauf.
Die andern wußten nicht, was er im Sinn hatte: die andern glaubten, er würde sogleich wieder umkehren und der Mutter das Kind zurückbringen.
Geduldig wartete des Kindes Mutter unten am Fuß des Berges, glücklich, daß ihr gefangener Giusé dort oben seinen kleinen lieben Sohn sah.
Auch meine Kameraden warteten. Da kam der Mann zurück – ohne den Knaben.
Das Mariettlein fragte: ›Wo ist das Kind?‹
›Dort oben.‹
›Bei seinem Vater?‹
›Ja.‹
›Er behält seinen Sohn bei sich?‹
›Ja.‹
Ja, ja, ach ja! das Kind war freilich bei seinem Vater; denn mein Kamerad hatte es, diesem nach, in den Abgrund geworfen!«
So erzählte Fra Checco und – ich muß es zum drittenmal sagen – wie er erzählte!
Ich vernahm keinen Bericht, sondern ich hatte ein Erlebnis.
Zunächst gehörte ich zu den sechs zu Tode verurteilten Männern; alsdann war ich einer von denen, die sich mit der süßen armen Marietta zu Füßen des Berges befanden und auf die Rückkehr der menschlichen Bestie warteten, die den Knaben des jungen Sindakus von Norba »zu seinem Vater« brachte.
Ich mußte sehr bleich geworden sein und ein ganz verstörtes Gesicht gemacht haben, denn Fra Checco, der gute Fra Checco, sah mich erschreckt an. Es war ja wahr: sie hatten es damals ein wenig »arg« getrieben, und die Sache mit dem Säugling war nicht schön gewesen, das mußte er selbst zugeben.
Aber deswegen gleich tödlich zu erbleichen und so verstört auszusehen – diese Deutschen waren doch wirklich seltsame Leute!
Nachdem ich eine Weile schweigend dagesessen, begann ich, denn ich mußte noch mehr wissen, den guten Bruder zu fragen: »Brachtet Ihr denn Marietta den Ring?«
»Die Arme.«
»Sprecht doch!«
»Ich brachte ihr den Ring, aber sie nahm ihn nicht.«
»Sie nahm nicht den letzten Gruß ihres von euch gemordeten jungen Gatten?« Fra Checco, der Gute, machte nicht etwa ein tief beleidigtes, sondern ein höchst erstauntes Gesicht. Ganz verblüfft sah er mich an. Dann fragte er: »Wie sagtet Ihr?«
Ich wiederholte ihm meine letzten Worte. »– des von euch gemordeten Gatten.«
Aber er verstand mich nicht; er verstand mich wirklich ganz und gar nicht. Also begnügte ich mich, meine Frage einfacher und für ihn verständlicher zu stellen: »Weswegen nahm die unselige Mutter den Ring ihres von euch – gerichteten Gatten nicht in Empfang?«
»Sie wußte nicht, was ich mit dem Ring bei ihr wollte.«
Jetzt verstand ich ihn. »Sie war verrückt geworden?«
»Nun ja. So etwas Aehnliches.«
»Als sie erfuhr, daß ihr Kind ›bei seinem Vater war‹, kam sie um den Verstand?«
»Erfahren mußte sie es doch einmal. Was sollten wir thun?«
»Was ihr thun solltet? Sagt einmal: schoß keiner von euch die Bestie nieder?«
»Wie?«
»Wilde Bestien, die kleine Kinder anfallen und lebendigen Leibes zerfleischen, pflegt man niederzuschießen oder auf sonst eine Weise aus der Welt zu schaffen. Und ihr wart nicht nur tapfere Briganten, sondern überdies ›Galantuomini‹, Kavalieri! Also hat einer von euch dem Schändlichen gewiß zu seinem Recht verholfen? Und dieser eine wart sicher Ihr!«
»Ich? Was hätte ich thun sollen?«
»Das Kind an dem Ungeheuer von Mörder rächen.«
» Ma che!«
Wiederum für mich ein unübersetzbarer Ausruf. Ich schreibe ihn daher in der Ursprache nieder. Aber jeder, der den Ausdruck kennt, wird begreifen, daß ich den guten Fra Checco nicht ein zweites Mal fragte.
Ohne zu fragen, erfuhr ich in der nämlichen Stunde aus dem Munde des Wackeren eine andre Sache, die man für das der Tragödie folgende Satyrspiel nehmen kann.
Sie betraf die spezielle Beschäftigung, der Fra Checco, als er noch ein Kind der Welt war, bei seinem Beruf oblag.
Wenn jene Ehrenmänner, zu denen Fra Checco damals gehörte, einen wohlhabenden Bürger, Herdenbesitzer, Weinhändler oder sonst einen mit Glücksgütern reichlich gesegneten lieben Landsmann in den Felsenbergen bei sich beherbergten, und wenn dessen besorgte Angehörigen zauderten, so und so viel Lösegeld dann und dann, dort und dort zu hinterlegen, so erging an die liebe Familie bekanntlich eine erste leichte Mahnung in Gestalt des ersten, eine zweite ernstere in Gestalt des zweiten Ohres des teuren Vaters oder Gatten oder Bruders.
Nun wohl! Diese Warnung besorgte kein andrer als – der gute Fra Checco; denn keiner von allen verstand sich auf das Ohrenabschneiden so ausgezeichnet wie er.
Und wie, wie er diese kleine Episode aus seinem Leben erzählte! Mit einem stillen Behagen, einer schmunzelnden Freude, einem wahren Hochgenuß, als wäre jedes Wort ein Schluck auserlesenen Frascatiweins. Ich mußte dabei an einen liebenswürdigen alten Herrn denken, der in seiner Jugend ein etwas – sagen wir: flottes Leben geführt hatte, auf das er nun im Schlafrock, mit gestickten Pantoffeln, behaglich sein Pfeifchen schmauchend, aus den Polstern seines Sorgenstuhles zurückblickte: so recht freundlich und friedlich! Und wenn der gute alte Herr einmal, vielleicht seinen jungen Neffen gegenüber, ins Plaudern gerät, so erzählt er diesen aus seiner flotten Jugendzeit mit einem Gesicht, in dem jede Miene sagt: »Nicht wahr? Ich bin ein Kerl gewesen, ich! Solche flotte Kerle, wie ich einer war, gibt es jetzt gar nicht mehr. Das soll mir einer von euch Gelbschnäbeln einmal nachmachen! Ihr würdet euch wundern. Es waren damals freilich andre Zeiten.«
Fra Checco hatte den Fiasko süßen blutroten Marinesers noch nicht geleert – hatte seine Erlebnisse aus seinem Weltleben noch nicht zu Ende erzählt, als sein Gefährte, der Padre Generoso da Tivoli, aufbrach.
Ich hatte mit solchem leidenschaftlichen Mitgefühl, in solcher zitternder Erregung den Räubergeschichten des besten aller Kapuzinermönche gelauscht, daß ich die Gegenwart des zweiten Zuhörers gar nicht mehr beachtete, sie kaum noch bemerkte.
Jetzt fiel mir die hastige Art, der unsichere Blick, die stockende Stimme auf, womit der junge Priester sich von mir verabschiedete, während Fra Checco von mir ging, lächelnd und freundlich, voll Behagen und Wohlwollen, ganz christliche Nächstenliebe und Brüderlichkeit – eben der gute Fra Checco,
Ich befahl unsern Leuten: »Wenn Fra Checco das nächste Mal Salat bringt, so führt ihn gleich in mein Arbeitszimmer! Und gleich bringt Wein! Vom besten, der im Hause ist, bringt gleich einen ganzen Fiasko!«
Der Sonnabend kam – bekanntlich der Tag, an dem wir seit Jahren Woche für Woche in der Villa Falconieri köstlichen Kapuzinersalat speisten, aber kein Fra Checco erschien.
Auch nicht der nächste, nicht der übernächste letzte Wochentag brachte den Vielbegehrten. Dieses Ausbleiben der wohlbekannten Gestalt war etwas derartig Unerhörtes, erschien als etwas so Unmögliches, daß ich ernstlich besorgt wurde, dem Guten könne ein Unglück zugestoßen sein. Gewiß war er krank!
Unsre Leute berichteten: auch in Frascati sei Fra Checco seit drei vollen Wochen nicht gesehen worden, ein Ereignis, wodurch ganz Frascati in Aufregung versetzt ward.
Boten, die die geängstigte Stadt den hohen Berg hinauf nach dem Kloster abschickte, erhielten auf ihre dringliche Anfrage, warum drunten kein Fra Checco mehr zu sehen sei, vom Bruder Pförtner den lakonischen Bescheid: Fra Checco befände sich nicht »ganz wohl«.
Nicht ganz wohl? Darum keinen köstlichen Kapuzinersalat, darum keine Traumdeutungen und Lottozahlenaussagen? Und darum keinen Geschichtenerzähler und Spaßmacher, keinen von guter Laune und allgemeiner Menschenliebe förmlich strahlenden Fra Checco?
Sämtliche alte Weiber Frascatis pilgerten den hohen Berg hinauf und gaben dem Bruder Pförtner Heilmittel an, die samt und sonders bezwecken sollten, den guten Fra Checco baldmöglichst wieder auf die Beine und hinab nach Frascati zu bringen, auf daß daselbst die natürliche Ordnung der Dinge wieder hergestellt ward, die Frascatiner Feinschmecker wieder zarten Klostersalat speisen und die Frascatinerinnen glückbringende Träume haben konnten.
Mir begann das leichte Unwohlsein und lange Ausbleiben des guten Bruders ein seltsames Unbehagen zu verursachen. Also pilgerte ich eines schönen Tags selbst den hohen Berg hinauf, um bei dem Pater Superior in eigener Person nach dem Befinden des allgemeinen Lieblings Erkundigungen einzuziehen.
Unterwegs begegnete mir derselbe: der gute Fra Checco leibhaftig! Ich war ganz glücklich, als ich die große inhaltliche Blechkapsel durch die dunklen Lorbeerbüsche leuchten sah, die den vom Kloster zur Villa herabführenden Pfad säumten.
Schon von weitem rief ich dem schmerzlich Vermißten entgegen: »Ja, aber Fra Checco! Was ist denn das mit Euch? Wie könnt denn Ihr krank werden? Welche Rücksichtslosigkeit gegen Eure Freunde!«
Er sah wirklich schlimm aus: hager, bleich, hohläugig; mit einem Worte: miserabel. Aber in seinem Wesen war er womöglich noch nachdrücklicher derselbe, der er immer gewesen: vom Scheitel bis zur Sohle der beste aller lebenden Kapuziner und innigste aller Menschenfreunde, der aus seinem schimmernden Blechgefäß, anstatt der zarten grünen Salatblätter, am liebsten alle Gaben der großen Göttin Fortuna über die Menschlichkeit ausgestreut hätte – über die ganze Menschheit!
Ich wiederholte: »Also, Fra Checco, was war denn mit Euch?«
»Mit mir, Sor Riccardo?«
»Natürlich mit Euch!«
»Was soll mit mir gewesen sein?«
»Das müßt Ihr am besten wissen. – Hattet Ihr starkes Fieber?«
»Etwas Fieber.«
»Wohl Malaria?«
»Malaria.«
»Und wie fühlt Ihr Euch jetzt?«
»Danke.«
»Noch ein wenig schwach?«
»So, so.«
»Ich gehe mit Euch zur Villa. Ihr müßt bei mir ausruhen, Euch etwas stärken.«
»Danke, Sor Riccardo.«
Ich nahm ihn mit mir, ich führte ihn in mein Allerheiligstes: ich rückte ihm den bequemsten Lehnsessel zurecht; ich ließ für ihn vom Allerbesten kommen; ich schenkte ihm eigenhändig ein: ich stellte den vollen Fiasko vor ihn hin, ihm so nahe, daß er nur die Hand auszustrecken brauchte. Er lächelte mich an, er trank mir zu. Es schmeckte sichtlich – dem Himmel sei Dank!
Er hatte bereits eine gute Weile getrunken und es sich prächtig schmecken lassen, als ich mit aller Vorsicht das Gespräch auf einen gewissen Gegenstand lenkte, der mich fieberhaft interessierte.
»Mein guter Fra Checco! Wie war das doch damals? Ihr wißt schon! In jenen alten schönen Zeiten, wo Ihr solchen angenehmen Beruf hattet und Euch dabei in einer gewissen delikaten Hantierung solche erstaunliche Geschicklichkeit erwarbt! Mein lieber, bester Fra Checco, ach, erzählt mir doch etwas aus Eurem lustigen Brigantenleben.«
Fra Checco, der Beste, schmunzelte, Fra Checco, der Sachverständige, trank meinen ausgezeichneten Wein, leerte wahrhaftig die ganze Fogliette, ließ es sich also prächtig schmecken – Fra Checco, der große Weise, sagte von seinen hübschen, heiteren, harmlosen Erlebnissen jener Tage kein Wort.
Wahr und wahrhaftig, nicht ein einziges Wort!
Aber schlecht von dem Guten war, daß er mir nie wieder auch nur ein einziges Wort von alledem sagte, was er in jenen Tagen sonst noch erlebt hatte. Im Laufe der Jahre leerte er bei mir noch manche volle Flasche, aber er redete dabei von andern, ach, von ganz andern Dingen, als solchen, die ich für mein Leben gern aus seinem Mund gehört hätte.
Alles, was ich später, viel später noch einmal über die Sache von ihm vernahm, war die Antwort auf die Frage: »Mein guter Fra Checco, sagt mir doch wenigstens das eine: wie wurdet Ihr aus einem tapferen Briganten ein frommer Kapuzinermönch?«
Der Gefragte faltete seine Hände, neigte sein Haupt, that einen Blick gen oben und sprach, ergeben in den Willen des Himmels, die kurzen, aber bedeutsamen Worte: » È stato destino – es war Schicksal.« – –
Eins vergaß ich ganz zu berichten.
Als Fra Checco zum erstenmal nach seinem glücklich überstandenen »leichten Unwohlsein« uns wieder salatspendend besuchte und dann sich entfernte, bemerkte ich bei seinem Fortgehen unter seiner ihm viel zu weit gewordenen Kutte oben am Hals breite blutrünstige Streifen, die sich den ganzen Rücken hinabzuziehen schienen. Jetzt wußte ich's plötzlich, und – ich wußte genug.
Padre Generoso da Tivoli betrat nie wieder unser Haus. Begegnete er mir einmal zufällig, so wandte er sich sogleich ab.
Zum Schluß muß ich auch das noch berichten: im Winter war's gewesen, daß der gute Fra Checco mich gewarnt hatte, bei meinen häufigen einsamen Ritten durch das wilde Land auf meiner Hut zu sein, daß er mir aus dem Schatze seiner Erfahrungen den Vorgang geschildert, wie dieser bei einem Ueberfall ungefähr sich abspielen würde.
Im Januar war's gewesen! Im Frühling besuchte uns auf der Villa Falconieri der Herzog von Meiningen mit seiner Gemahlin, und – im Frühling trug es sich dann zu.
Ganz genau so trug es sich zu, wie Fra Checco es vorausgesagt hatte! Nämlich, daß der Herzog mit uns im wunderschönen Albanergebirge angefallen ward.
Es waren auch recht höfliche Herren, echte »Galantuomini«. Bis zum Ohrenabschneiden kam es allerdings nicht, weil sie bei der Ausübung ihres hübschen Handwerks – gestört wurden.
Wir speisen noch heute in Frascati jede Woche köstlichen Kapuzinersalat, den uns heute noch stets der gute Fra Checco zuträgt.
In letzter Zeit sogar zweimal wöchentlich! teils aus christlicher Nächstenliebe, teils unsers reichlichen Almosens willen. Das Geld bekommt der Gute von uns; aber meine Frau gibt unserm alten Hausfreund nicht mehr die Hand.
»Seine einst so geschickte und jetzt so fromme Rechte hat denn doch gar zu viele Ohren abgeschnitten« – meint meine Frau.