Christian August Vulpius
Rinaldo Rinaldini der Räuberhauptmann
Christian August Vulpius

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Zwölftes Buch

Der Nebel flieht! Nun schaust du wieder
Hinaus in das bedrohte Land.
Was schlägt des Kühnen Hoffnung nieder?
Reicht sie dem Waller nicht Hand?

Originalillustration

Drei Bewaffnete verlangten, ins Schloß gelassen zu werden. – Rinaldo gab Befehl, sie einzulassen. Sie wurden in ein Zimmer geführt, in welchem sich Rinaldo allein befand. – Sie traten ein.

»Was« – fragte Rinaldo –, »führt die Herren zu uns?«

»Vielleicht« – antwortete der eine der Bewaffneten, – »ist leichter gefunden, als wir es glaubten, was wir suchen.«

»Wieso?«

»Wir suchen einen Franziskaner –«

»So?«

»Der wenigstens wie ein Franziskaner aussieht und dem dieser Ring gehört.«

»Wer sucht den Gesuchten?«

»Der, dem der Franziskaner diesen Ring geschickt hat. Cinthio nennt sich der Suchende. – Und der, den wir suchen – – Herr Pater! Cinthio hat keine Dummköpfe abgesandt. Wir gelten etwas bei ihm, und zwei von uns – Nun? Herr Pater! wollt Ihr denn Euern Lodovico nicht mehr kennen?«

Rinaldo trat rasch auf ihn zu, nahm ihn bei der Hand und sagte: »Willkommen, Lodovico!«

»O!« – schrie dieser; – »Wär' doch unser Cinthio hier!«

Es wurde von den Dienern Wein aufgetragen.

»Hier ist Wein!« jauchzte Lodovico. – »Noch zwei Dinge, und ich erkenne meinen Hauptmann ganz wieder: Ein Mädchen und eine Guitarre.«

»Auch diese sind im Schlosse zu haben«, lächelte Rinaldo.

Sie sprachen viel zusammen, und nach geleerten Flaschen zog Lodovico mit seinen Gesellen ab. Sie nahmen Rinaldos Begehren an Cinthio schriftlich mit.

Gegen Abend kam Lodovico zurück, gab ein Paket an Rinaldo ab. Den folgenden Morgen trat dieser nicht mehr als Franziskaner, sondern so elegant, als einer der elegantesten Männer Siziliens gekleidet, in seiner wahren Gestalt, mit ungefärbtem Gesicht, ins gewöhnliche Gesellschaftszimmer.

 

Leonore sprang verwunderungsvoll vom Stuhle auf. Seufzend und errötend schlug Laura die Augen nieder.

Leonore Was ist das? – Herr Pater, welche Verwandlung?

Rinaldo Die Kutte hatte mich verwandelt. Jetzt, schönes Fräulein, sieht mich Euer holdes Augenpaar so, wie ich wirklich bin.

Leonore Schwester! Was ist vorgegangen?

Rinaldo Die schöne Leonore wünschte gestern sich, den kühnen Rinaldini zu ihren Füßen zu sehen. Ihr Wunsch ist erfüllt. Er liegt hier vor ihr und küßt ihre sanfte Hand!

Leonore Rinaldini?

Laura Ja, Schwester! Er selbst.

Leonore Ewiger Himmel! – Was soll ich sagen? – Wie kommt sie einem Traume so nahe, diese Wirklichkeit! – Rinaldini hier? Der Totgeglaubte lebend und zu meinen Füßen? – Steht auf! steht auf! Das Schrecken soll nicht vor mir liegen. Es hat mich ganz ergriffen. Meine Verlegenheit, meine Ängstlichkeit wächst mit jeder Sekunde.

Rinaldo Nicht ängstlich, nicht verlegen! – Wir sprechen uns als gute Freunde jetzt – vielleicht zum letztenmal. – Überall hin verfolgt mich mein unglückliches Schicksal. Ich lebe noch – mir selbst zur Qual und zum Verderben. Für mich blühen in der Welt keine Blumen des Glücks mehr. Zurück will ich in meine Höhlen wandern, dort – winken meines Lebens Herrlichkeiten. Es ist kein Glück, der Mann zu sein, der ich bin!

Laura Beklagenswerter, gefürchteter und doch guter Mann!

Rinaldo Lebt wohl!

Leonore Verlassen wollt Ihr uns?

Rinaldo Darf ich hier bleiben? Mich sucht ein böses Schicksal allenthalben auf. – Nur dort lebt es ruhig mit mir, wo Mord und Schrecken sich um meine Höhle lagern. – In diesen Höhlen darf ich, will ich an Euch denken. Und hört Ihr, vielleicht bald, Rinaldo ist gefallen: so schenkt mir eine Träne und wünscht mir Glück, daß ich gefallen bin.

Leonore O Gott! und Rinaldini konnte ein Räuber werden?

Rinaldo Wär' ich es nicht gewesen, ich würde nicht so sprechen, wie ich sprechen muß. – Lebt wohl!

Laura Und mein Gemahl? –

Rinaldo Ein zweites Rinaldinisches Stückchen werde Euch, damit Ihr, damit die Welt mich kennenlernt: Euer Gemahl soll frei sein. Meine Ankunft bei Cinthio gibt ihm die Freiheit. Ich gebe darauf Euch mein Wort. Man weiß, daß ich mein Wort nicht breche.

Leonore Großmütiger Mann! Ach! geht zu den Räubern nicht zurück!

Rinaldo Es bleibt mir keine Wahl.

Leonore Grausames Geschick!

Rinaldo Es fordert gebietend streng sein Opfer. Ich gebe es ihm selbst.

Da sprengte Lodovico in den Schloßhof, neben sich ein lediges, gesatteltes, schönes Pferd. – Rinaldo ergriff Leonorens Hand; er drückte sie mit einem tiefen Seufzer. Laura nahm seine Linke. Tränen standen in aller Augen. – Er machte schnell sich los, wollte seine Arme öffnen, ließ sie sinken und eilte aus dem Zimmer.

»Zu Rosse! zu Rosse!« – rief er Lodovico zu, warf sich aufs Roß und jagte schnell zum Schlosse hinaus, davon; Lodovico ihm nach.

 

»Ist es doch«, – sagte Lodovico, als endlich Rinaldo sein ermattetes Pferd anhielt, – »als wollten wir die ewige Ruhe erreiten, so jagen wir darauflos! Die armen Pferde haben es empfunden! – Hauptmann! Mir kam es vor, als flögen Euch ein paar schöne Augensterne nach, voran und zur Seite. Ein Zwillingsschein, so wie die Schiffenden ihn sehen! Nur scheinen diese Sterne immer eher vom Hafen entfernt als demselben nahe zu sein!«

Rinaldo, ohne sich auf Lodovicos Bemerkungen einzulassen, sagte: »Wie es scheint, bist du immer noch ebenso wie sonst bei guter Laune.«

»Solange es nur angehen will«, – erwiderte dieser, – »werde ich dabei bleiben. Gute Laune ist eine herrliche Freundin, eine scharmante Gebieterin, kurz, das liebenswürdigste Weib aller Weiber in der Welt; und ich – wechsle nicht gern. Was ich habe, behalte ich, solange es mich behält. Geht mir es denn mit unserem Gewerbe anders als mit der guten Laune? – Ich habe beiher schon mit mancherlei mich beschäftigt; aber – das weiß der Himmel! – das alte Wesen zieht mich doch immer wieder an sich, und mir gefällt's nirgends als da, wo es mir doch – nicht gefallen sollte, wär's auch nur um meines Leibes willen.«

»Um deines Leibes willen?«

»Nun? – Ich möchte ihn doch gern bei mir behalten. – Wie viele meiner Kameraden müssen ihre Leiber nicht auf Rädern und an dreibeinigen Obelisken zusammensuchen! – Ich weiß nicht, wie es kommt, daß man sich an etwas gewöhnen kann, das doch nie als Gewohnheit respektiert wird.«

Rinaldo schwieg. Langsam ritten sie weiter. – Gegen Mittag waren sie einem Dorfe nahe, auf welches zugeritten werden sollte. Lodovico bat, rechts feldein nach dem Forste zu zu reiten. »Dort«, – sagte er, – »treffen wir Leute von uns an. Aber im Dorfe liegen Soldaten.«

Kaum hatte er dies gesagt, als querfeldein eine Reiterpatrouille auf sie zusprengte.

»Alle Wetter!« – schrie Lodovico. – »Da kommen Dragoner!«

»Ruhig!« – sagte Rinaldo. – »Ich will schon mit den Dragonern fertig werden.«

Die Dragoner hielten an. Rinaldo ritt auf sie zu, grüßte und wollte vorüber, als der Wachtmeister ihm ein: »Haltet an!« entgegenrief.

»Was gibt es?« – fragte Rinaldo.

Wachtmeister Es gibt hier herum mancherlei, was es nicht geben sollte.

Rinaldo Wieso?

Wachtmeister Umsonst patrouillieren wir nicht herum. – Vor allen Dingen, die Pässe aufgezeigt!

Rinaldo Und wenn wir keine haben? –

Wachtmeister Zum Offizier, ins Quartier!

Rinaldo Auch das nicht! – Ihr drei Mann, wir zwei.

Wachtmeister Nun? Da meint der Herr doch nicht etwa gar –

Rinaldo Was ich meine, davon kann nicht die Rede sein, sondern davon, was ich will.

Wachtmeister So? – Und was will denn der Herr?

Rinaldo Daß man mich ungestört meines Wegs reiten lassen soll. – Wofür hält der Herr Wachtmeister mich? Bin ich ihm verdächtig?

Wachtmeister Meine Order lautet: Wer keinen Paß hat, wird angehalten und zum kommandierenden Offizier gebracht.

Rinaldo Wär' es denn nicht möglich, daß ein verdächtiger Mensch dennoch einen Paß vorzeigen könnte, indes ein ehrlicher Mann keinen hätte?

Wachtmeister Das wär' gar wohl möglich; aber – meine Order ist klar und deutlich. Der Soldat kann und darf nicht distinguieren; er pariert, befolgt seine Order und bekümmert sich um weiter nichts.

Rinaldo Liegt Graf Lentini in jenem Dorfe?

Wachtmeister Ach Gott! Unser braver Graf Lentini ist in des elementischen Cinthios Händen. – Das ganze Korps wird jetzt von seinem Nachfolger, dem Obristen Tornano, kommandiert. – Der Cinthio ist ein verfluchter Kerl!

Rinaldo Und Rinaldini ist auch wieder auf dem Platze.

Wachtmeister Rinaldini? – Wo käm' denn der her!

Rinaldo Über's Meer.

Wachtmeister Da müßte der Teufel drinnen sitzen! – Das kann ich nicht glauben.

Rinaldo Aufs Wort! – Hier, – sieht der Herr Wachtmeister? – ist eine seiner gewöhnlichen Sicherheitskarten: Viaggio seguro. Rinaldini. – Er soll dergleichen auch wohl sogar feindlichen Patrouillen geben, wenn er eben dazu aufgelegt ist.

Der Wachtmeister sah ihn mit großen Augen an und brach endlich aus:

»Wie? Was? – Patrouillen? Soldaten? Sicherheitskarten? Da müßte ja das Wetter dreinschlagen! – Wenn z. B. mir das geschäh'« –

»Könnte das nicht sein?« – fragte Rinaldo.

»Nein!« – schrie der Wachtmeister. – »Ich würde mich eher niederhauen lassen, als daß ich eine solche Erbarmungskarte annähm'. Dies könnte nie der Fall sein!«

»›Er ist es! – Will der Herr Wachtmeister die Karte behalten?‹«

»Wie? – Was?«

»›Ich bin Rinaldini.‹«

»Ja!« – schrie einer von den Dragonern, indem er ihm zusprengte – »du bist mein großer Hauptmann Rinaldini! Unter dir habe ich in Kalabrien gedient. Mit Leib und Seele eile ich dir wieder zu! – Ah! Wer einmal von einem solchen Manne, wie du einer bist, kommandiert wurde, der läßt sich nicht mehr von einem Wachtmeister kommandieren, wenn er seinen alten Chef wiederfindet.«

»Willkommen, Tolomeo!« – sagte Rinaldo. – »Ich kenne dich wohl noch. Du hast mit mir bei St. Lucito gefochten, und bei Lunaro warst du auch mit. – Willkommen!«

Der Wachtmeister wußte nicht, was er tun sollte. Rinaldo rief ihm zu:

»Behaltet die Karte, sie könnte Euch vielleicht gute Dienste tun. In wenigen Minuten wird jenes Dorf von meinen Leuten alarmiert werden.«

Damit ritt er davon. Tolomeo und Lodovico folgten ihm. – Der Wachtmeister, außer sich, griff nach den Pistolen. Lodovico schoß, ehe er gespannt hatte, und der Wachtmeister war verwundet.

 

»Mord und Wetter!« – sagte Lodovico; – »Hauptmann! Du hast eine Gegenwart des Geistes, die dir ganz allein eigen ist. Das kann Cinthio nicht, so entschlossen und brav er auch ist. – Glück hast du auch, wie keiner es hat, das ist nicht zu leugnen, aber die Augenblicke kannst du fassen, wie keiner sie faßt! Das ist es eben, was dich so groß macht!«

»Ja! Beim Teufel!« – fiel Tolomeo ein, – »Für einen solchen Mann läßt man sich mit Vergnügen totschlagen!«

»Viva Rinaldini!« – schrie Lodovico.

»Aber«, – fuhr Tolomeo fort, – »Cinthio wird sehr ins Gedränge kommen. Morgen rücken 600 Mann Soldaten und 800 Mann Miliz gegen ihn an. – Er muß Wind davon haben; denn diesen Morgen hat er sich eilig in die Berge zurückgezogen. – Und wie wollen wir nun zu ihm kommen?«

»Tolomeo«, – sagte Rinaldo, – »du mußt uns von jetzt an als eine Salvegarde gelten. – Ich bin ein Reisender; dich hat man mir zur Sicherheit mitgegeben: so sagst du, wenn wir wieder auf eine Patrouille stoßen sollten, und bleibst in deinem Dragonerornat.«

»Sieh!« – lispelte Lodovico ihm zu, – »So weiß ein kluger Kopf jeden Umstand für sich und zu seinem Vorteil zu benutzen. Auch das macht unsern valoroso Capitano groß, beliebt und bewundert.«

 

Der Forst wurde erreicht. Lodovico suchte ein ihm bekanntes Plätzchen auf und scharrte versteckten Proviant und Wein aus der Erde.

»Daß Cinthio«, – sagte er, – »hier nicht einmal einen Vorposten zurückgelassen hat, das ist ein Beweis, daß er sich sehr weit zurückgezogen haben muß und daß er Wind von dem Generalangriffe hat. Sicher ist er über den Grango gegangen und zieht sich in seine haltbarsten Plätze, in die Berge bei Rocella und S. Domenicho, zurück. Dort haben wir einmal lange gesteckt, bis uns der Mangel an Proviant endlich aus den Löchern trieb. Damals wurden uns aber die Köpfe tüchtig gewaschen, und ich bekam auch einen Zirkumflex, der mir lange genug besalbt, beölt und beschmiert wurde.«

Rinaldo sann nach. Endlich sagte er: »Gehen wir auf Rocella oder S. Domenicho zu, so sind wir in Gefahr, der Miliz in die Hände zu geraten. Rücken die Soldaten vor, so wird's uns im Rücken leer, und rückwärts gehen wir dann sicherer als vorwärts. Dennoch möchte ich gern mit Cinthio sprechen, ihn zur Loslassung des Grafen Lentini zu bewegen. Doch sehe ich auch ein, daß er jetzt, da er im Gebirge ist, ihn als Geisel recht wohl wird brauchen können. – Ich weiß also noch nicht recht, wozu ich mich entschließen soll.«

»Hauptmann!« – begann Tolomeo, – »Wie wär's, wenn du mich an Cinthio mit mündlichen Aufträgen abschicktest: denn etwas Schriftliches von dir bei mir zu haben, das möchte wohl nicht gut sein. – Ich gelte für eine Ordonnanz, und so komme ich sicher durch die Milizen. Die Gräfin Lentini will ihren Gemahl auslösen, sie handelt und schickt mich an Cinthio. Mit dieser Lüge komme ich bis zu ihm.«

»Dein Vorschlag läßt sich hören! Er ist gut, klug, und wahrscheinlich ist es, daß du deinen Zweck erreichst.«

Darüber wurde mehr gesprochen. Tolomeo wurde genau unterrichtet und machte sich auf den Weg. – Rinaldo nahm Lodovicos Rat an, im Walde zu übernachten.

»Wir haben in diesem Forste eine unterirdische Höhle«, – sagte er, – »die oft, wenn die Not groß war, unserer zwölf bis sechzehn Mann aufgenommen hat. Freilich logierten wir ein wenig eng, aber dennoch sicher.«

Diese Höhle wollten sie aufsuchen. – Sie nahmen die Pferde bei den Zügeln und wanderten darauf zu.

Lodovico trat auf die verborgene Feder der mit Rasen belegten Falltür der Höhle. Sie gab nicht nach.

»Wetter!« – rief er aus, – »die Feder gibt nicht nach. Es sind Menschen in der Höhle. – Es müssen welche von den unsrigen sein.«

Er legte sich auf die Erde, drückte das Ohr fest an den Boden und sagte:

»Ja, ja! In der Höhle stecken Menschen.«

Darauf legte er sich an eine Fichte, zog den Dolch und gab das klingende Waldsignal, auf eine unter der Bande verabredete Art. – Die Falltür wurde gelüftet und eine Stimme fragte heraus: »Wo wird getanzt, gekocht und getrunken?«

Lodovico antwortete schnell:

»Wir tanzen auf dem Schlosse, kochen auf dem Kirchplatze und trinken im Kämmerlein bei der Mutter Eva.«

Dies waren Fragen und Antworten, an denen man sich erkannte. Die Falltür hob sich. Eine Stimme rief:

»Willkommen, Lodovico!«

»Wie, zum Teufel!« fragte dieser, – »kommt ihr denn in die Spelunke, da Cinthio sich zurückgezogen hat? Wer steckt denn drunten?«

»Wir sind«, – war die Antwort, – »verwundet zurückgeblieben. Claudiano und ich. Dazu haben wir noch die beiden Mädchen Loretta und Melissa bei uns, die mit wunden Füßen den Retirierenden nicht schnell genug folgen konnten.«

»Gut!« – fiel Lodovico ein. – »So finden wir noch Platz.«

»Wieviel Köpfe?«

»Zwei Menschen- und zwei Pferdeköpfe. – Es haben einmal vier Rosse mit unten gesteckt.«

»Wer ist bei dir?«

»Cinthios bester Freund.«

Die Tür ward gehoben, die Pferde wurden den schräg hinablaufenden Weg hinuntergeführt, und die Ritter folgten.

 

Alle hatten nun in der Höhle ihre bestimmten Plätze. Die Höhlenbewohner erfuhren, wer unter ihnen war. Staunend schwiegen Sie und küßten dem vornehmen Gaste die Hände. Er streckte sich auf das beste vorhandene Lager und – machte Grillen. Alle schwiegen. – Er unterbrach diese Stille:

»Mädchen! – Ihr habt Guitarren, wie ich sehe, spielt und singt mir etwas vor.«

Die Mädchen ergriffen die Guitarren, spielten und sangen.

Wechselgesang

Loretta
Wenn die Vöglein traulich scherzen,
In dem neu begrünten Hain,
Steigt es mir so froh zu Herzen,
Wünsch' ein Vöglein ich zu sein!

Melissa
Wenn die frohen Lämmer spielen
In dem bunten Wiesenklee,
Wünsch' ich, so wie sie, zu fühlen,
Wird mir's ach! so wohl, so weh!

Loretta
O! wer sagt mir, was ich fühle?
Was mich froh und glücklich macht?

Melissa
Das sind, Liebe! die Gefühle,
Deiner sanften Zaubermacht.

Beide
Ja! das ist es, was ich fühle.
Was mich froh und traurig macht.
Es sind, Liebe! die Gefühle
Deiner sanften Zaubermacht.

»O! ihr armen Mädchen!« – sagte Rinaldo. – Werdet ihr je wirklich fühlen, wie glücklich Liebe macht? In Höhlen und Wäldern versteckt, zieht nie euch der Liebe sanfte Zaubermacht an das freundliche Tageslicht. – Wo seid ihr geboren?«

Melissa Ich bin in Kalabrien, in einer Höhle geboren worden.

Loretta Ich in Sizilien, im Walde. Wir wurden beide zu solchem Höhlenleben geboren, unter den Leuten, bei denen wir leben.

Rinaldo Und es gefällt euch unter ihnen?

Loretta O ja!

Rinaldo Dann freilich darf ich euch nicht beklagen!

Loretta War denn Rosa auch zu beklagen, als sie bei ihrem Rinaldo, in Höhlen und Forsten, liebevoll verweilte?

Rinaldo Rosa war ein gutes Mädchen! Ich beweinte ihren Tod, aber um ihr Leben konnte ich sie nie beneiden.

Loretta Liebte sie nicht?

Rinaldo Ist die Liebende beneidenswert?

Loretta Ich war es.

Rinaldo Und dein Glück hat dich verlassen?

Loretta Mein Geliebter fiel vor sechs Wochen in die Hände der Miliz, und –

Rinaldo – hängt jetzt?

Loretta Vermutlich, denn er war ein sehr verwegener Bursch und hatte schon manchem Soldaten den Rest gegeben. O! er war ein rechter Kerl!

Rinaldo Du verdienst, die Braut eines Räubers zu sein!

Loretta Rosa war doch glücklicher als ich, denn sie wurde von dem berühmtesten aller Räuber geliebt.

Rinaldo Du bist ruhmsüchtig?

Loretta Warum sollte ich es nicht sein? Da ich glaubte, Rinaldini sei tot, wünschte ich mir immer, von Cinthio geliebt zu werden. Nun aber habe ich diesen Wunsch aufgegeben.

Rinaldo Und wünschest, von mir geliebt zu werden?

Loretta Darf ich nicht wünschen, was Rosa, was, wie man erzählt, Dianora, Olimpia und andere Weiber wünschten?

Rinaldo Deine Aufrichtigkeit gefällt mir!

Loretta Sie ist das Beste an mir.

Rinaldo Und Melissa?

Loretta Denkt, darauf wette ich, ebenso, wie ich denke, – aber – sie hat noch keinen Liebeshandel gehabt, soviel man weiß.

Lodovico Ihr Stündlein wird schon auch noch schlagen!

Rinaldo Ich beklage euch, ihr guten Mädchen! Euch fiel ein so zweideutiges Los des Glücks, daß selbst die Erfüllung eurer Wünsche schwerlich ein Glück zu nennen ist.

Loretta Man sagt, – verzeihe mir, Hauptmann! es noch zu sagen –, du seist immer ein wenig gar zu düster gewesen, unzufrieden mit deiner Lage und mißmutig.

Rinaldo Wer könnte auch in Höhlen fröhlich sein?

Loretta Ich bin es oft gewesen.

Melissa Ich habe bloß der Notwendigkeit nachgegeben und habe gedacht, wie es ist, willst du es nehmen, weil du es so nehmen mußt.

Rinaldo Bei euch steht's dennoch, eurer jetzigen Lage aus dem Wege zu gehen; und dazu wollte ich euch raten. Denn gesetzt, ihr fallt der Gerechtigkeit in die Hände, so seid ihr verloren, ohne etwas getan zu haben. Genug, daß sie euch in einer Gesellschaft antrifft, die in schlechtem Kredit steht. – Ich biete euch die Hände, euerm Unglück zu entgehen. Ein Brief von mir an die Gräfinnen Lentini soll euch in Dienste bringen, und dann – könnt ihr doch wenigstens ruhig und über der Erde schlafen.

Claudiano, der indessen einen Gang vor die Höhle gemacht hatte, kam jetzt zurück und meldete, er habe Pferde wiehern und viele Menschen sprechen hören. Sicher werde der Forst durchstreift. – Sogleich wurden starke Balken unter die Falltür gerammelt, und die Gewehre wurden untersucht.

Gegen Abend schlich Lodovico sich ins Freie und brachte eine gefundene Brieftasche mit. Man fand eine Militärorder darinnen, gegen S. Domenicho vorzurücken.

»Nun halte dich gut, braver Cinthio!« – rief Lodovico aus; – »und wehre dich männlich!«

Gegen Morgen rekognoszierte Lodovico, indem Rinaldo den beiden Mädchen einen Brief an die Gräfinnen schrieb. – Als Lodovico zurückkam, wurde der Abzug aus der Höhle beschlossen. Rinaldo beschenkte die Mädchen und ritt mit Lodovico davon.

 

Im freien Felde wurde an einer Quelle unter Pappeln Mittag gehalten. Rinaldo warf sich von einer Seite auf die andere und wurde endlich laut.

»Lodovico!« – sagte er, – »ich habe mancherlei hin und her überlegt und meine Lage auf alle Seiten gewendet. Eine gute Seite will durchaus nicht zum Vorschein kommen.«

»Bei mir auch nicht!«

»Endlich – habe ich beschlossen, es darauf ankommen zu lassen, ob uns das Glück wieder in die Welt und durch die Welt helfen will.«

»Vielleicht! – Das Glück ist eine Donna, und mit den Weibern ist es Euch ja immer gutgegangen. Laßt sehen, was Donna Fortuna für uns tun wird, und laßt hören, was Ihr zu tun beschlossen habt. Wollen wir wieder in die Welt, nun gut! hier ist ein kleiner Vorrat von falschen Bärten und Nasen. Wie so manchem wird ein honestamentum faciei dieser Art angedreht oder von ihm andern angesetzt, und er geht seines Weges. Non cuique datum est, habere nasum! Wir haben welche. – In der Gesichtsmalerei habe ich etwas getan. Ein paar Striche, und der Mund sitzt mir krumm in der Larve; einige Punkte, und ein Auge steht hoch, das andere tief. Ich kann mich alt und jung malen, trotz dem geübtesten Schauspieler! – Wie soll es also werden?«

»Wir gehen nach Palermo.«

»Gut! – In dem dortigen Gedränge verlieren wir uns leicht. Die Schutzpatronin von Palermo, die heilige Rosalie, ist ja auch eine Dame, und die Rosalien – sind Euch nicht ungünstig. Dieser Umstand scheint mir schon von guter Vorbedeutung zu sein, und er bleibe es! – Also frisch nach Palermo!«

»Von dort, zu Schiffe, nach Kalabrien. – Das müssen wir wagen! – In den Gebirgen liegen meine Schätze vergraben.«

»Diese heben wir!«

»Und damit – in die Welt.«

»Ich wollte, die Schätze wären schon in unserer Gewalt. In die Welt wollten wir leicht kommen.«

»So schwer wie möglich!«

»Gut! – – Wollen wir Palermo erreiten oder erwandern? – Wir haben bis dorthin noch eine artige Tour!«

Noch sprachen sie, als aus dem naheliegenden Walde ein Trupp Reiter hervorbrach.

»O! heilige Rosalie! – rette uns«, schrie Lodovico.

»Laß dir«, – sagte Rinaldo, – »nur nicht ans Gewehr kommen und beobachte meine Mienen und Zeichen genau.«

Sie sprangen auf und warfen sich auf die Pferde. – Die Reiter hielten. Der Offizier ritt hervor. Er wollte sprechen. Rinaldo kam ihm zuvor.

»Mein Herr Offizier! Ihr befreit mich aus einer großen Verlegenheit. Diesen Morgen entging ich einem Trupp Beutelschneidern mit genauer Not, durch die Schnelligkeit meines Pferdes. Einige Kugeln flogen an mir vorbei, und meines Dieners Mantel wurde durchlöchert. – Hier ruhten wir aus und überlegten, welche Straße wir einschlagen wollten, denn der Berg vor uns scheint nicht ohne Höhlen und Schlupflöcher zu sein. Unter Eurem Schutze haben wir nichts zu fürchten. Vielleicht gehört Euch oder einem Eurer Bekannten diese Brieftasche, die verloren unter jenen Bäumen lag. Dagegen aber bitte ich, wenn einer Eurer Leute etwa die meinige auf dem Wege gefunden haben sollte, mir dieselbe aus; ich habe sie im Fliehen verloren.«

Der Offizier fragte seine Reiter, ob einer eine Brieftasche gefunden habe. Alle verneinten es.

»Wißt Ihr«, – fragte der Offizier, – »daß sich ein Rinaldini wieder sehen läßt? Es sei nun ein falscher oder der wahre Rinaldini, genug, er hat sich so genannt, wie eine Patrouille aussagt, von der der eine Reiter, als einer seiner alten Spießgesellen, zu ihm übergeritten ist und dadurch seine Übermacht über die Patrouille vermehrt hat.«

»Sonderbar genug!«

»Er hat ein grünes Kleid und einen roten Mantel getragen, wie Ihr tragt, hat einen Fuchs geritten, wie Ihr reitet, und sein Diener war der Beschreibung nach ebenso gekleidet wie der Eurige, ritt auch einen Rappen wie dieser.«

»Ein für mich sehr ungünstiger Zufall!«

»Gewiß!«

»Ich sehe ein –, daß ich Euch überzeugen muß, daß ich der Ritter de la Cintra bin. Da ich mein Portefeuille verloren habe, so muß ich Personen stellen, die mich kennen. Ich muß Euch also dringend bitten, mich auf das Schloß der Gräfin Lentini zurückzuführen, woher ich komme. Die Gräfin kennt mich.«

»Die Gräfin Lentini ist durch ihren Gemahl mir verwandt. Ich nehme keinen Anstand, ihr Zeugnis zu respektieren.«

Dahin kam es. – Den folgenden Morgen erreichten sie das Schloß. – Der Offizier ließ die Reiter zurück und ritt mit Rinaldo und Lodovico ein.

Die Gräfinnen erbebten. Leonore verschloß sich in ihr Zimmer. »Meine schöne Cousine!« – sagte der Offizier, – »Ihr werdet gebeten, uns beide aus einer Verlegenheit zu reißen.«

Rinaldo trug die Sache vor. – Laura schien sich zu fassen.

»Ich muß«, – sagte sie, – »bekennen, daß ich diesen Herrn schon längst als Ritter de la Cintra kenne.«

Der Offizier empfahl sich sehr freundlich und sprengte mit seinen Reitern davon.

Leonore kam herbei. Sie erfuhr den Vorgang und nahm schweigend auf einem Sofa Platz.

 

Laura Ich war Euch schuldig, was ich jetzt abgezahlt habe.

Rinaldo Großmütige Freundin!

Laura Ich weiß und erkenne dankbar, daß Ihr einst mir und meinem Vater das Leben gerettet habt. – Daß ich nun in Verlegenheit kommen kann, fühlt Ihr.

Rinaldo Ich fühle es!

Leonore Welche schwere Verantwortung!

Laura Unglücklicher Mann! Wie unglücklich machst du alle, die dich auch nur kennen!

Rinaldo Seht, das ist es, was meinen Entschluß bekräftigt! – Durch mich soll niemand wieder in Verlegenheit kommen. Es ist einmal Zeit zu enden!

Als er das sagte, zog er eine Pistole aus der Tasche und fuhr rasch damit nach dem Munde. Leonore sprang schnell auf, entriß ihm die Pistole, schleuderte sie in eine Ecke und fragte: »Wißt Ihr, was Ihr uns schuldig seid?«

Laura sank mit dem Ausruf: »O Rinaldo!« – auf ein Sofa.

Rinaldo hob seine Blicke, sie fielen auf Leonorens Auge, er bedeckte sein Gesicht mit den Händen, stürzte auf ein Sofa und schrie mit dumpfer Stimme:

»Unglücklicher! Wie so sehr unglücklich bist du!«

Leonore ging zu ihrer Schwägerin. Tiefaufseufzend erhob sich diese, und mit gepreßter Stimme rief sie:

»Meine Rechnung habe ich, – ach Gott! – wie redlich! glaube ich, bezahlt. – Wir dürfen und können uns nun nie wieder sehen, Herr Ritter!«

Ein Bedienter stürzte mit dem Ausrufe: »Der Herr Graf!« – ins Zimmer.

»Mein Gemahl?« – schrie Laura.

»Er selbst!« – sagte der Graf, indem er sie in seine Arme schloß. Weinend fiel sie ihm an den Busen und stammelte: »O! Heiliger Gott!«

Graf Was ist dir?

Laura Ach! mein Gemahl!

Graf Leonore! – Was ist meiner Laura?

Leonore Mich frage nicht. Von mir erwarte keine Antwort.

Graf Was ist das?

Leonore Ich stehe hier wie vernichtet, glaube zu träumen und kämpfe dennoch mit einer schrecklichen Wirklichkeit!

Graf Was ist hier vorgegangen?

Laura O! jetzt nur keine Antwort auf diese Frage!

Graf Wie verlegen macht ihr mich!

Leonore O! wie sehr sind wir es!

Graf Ich begreife nicht –

Rinaldo Ich will es lösen, das Rätsel, das sich –

Leonore Schweigt!

Graf Mein Herr!

Rinaldo Laßt mich sprechen!

Leonore Nicht jetzt!

Graf Euer Name?

Rinaldo Rinaldini.

Laura Gerechter Gott!

Leonore Ewiger Himmel!

Graf Rinaldini? –

Leonore Er ist wahnsinnig!

Rinaldo Wie edel! – O Gräfin! Ihr habt Euch verrechnet! Ihr sollt mir nicht zum zweitenmal das Leben retten. – Graf! Ich fordere Euch auf, bei Gewissen und Pflicht, mich nicht entfliehen zu lassen. Ich bin und bleibe in Eurer Gewalt.

Graf Und ich in der Eurigen.

Leonore Bruder!

Rinaldo Graf!

Laura Was sagst du?

Graf Ich war in Cinthios Gewalt. Auf 3000 Stück Dukaten war mein Lösegeld bestimmt.

Leonore Wir wußten sie nicht herbeizuschaffen!

Graf Das fürchtete ich selbst! – »Graf!« sagte Cinthio, als ich mich mit Sorgen quälte, »Ihr seid frei; frei ohne Lösegeld.« – Ich staunte. »Wer hat für mich bezahlt?« – fragte ich. »Rinaldini«, war die Antwort. – »Rinaldini?« – »Er hat auf Euerm Schlosse übernachtet und zahlt seine Zeche mit 3000 Stück Dukaten. Bald hoffe ich ihn wiederzusehen. Eure Güter sind ihm und mir empfohlen.« – Ich bin frei, hier, und – Rinaldini ist mein Retter!

Rinaldo Wehe mir! – Wehe Euch, daß ich es bin! Welcher Rechenschaft unterwerft Ihr mich und Euch!

Er stürzte, als er dieses sagte, aus dem Zimmer in die Galerie, hinweg über diese und hinab in den Garten. Leonore folgte ihm nach. Er hörte sie nicht ihm nachkommen. In einer Laube erreichte sie ihn, faßte ihn und forderte ihm sein Gewehr ab.

»O Leonore! Wie grausam seid Ihr!«

»Euer Gewehr!«

»Laßt doch den Unglücklichen sterben!«

»Ich forderte Euer Gewehr! Hier, bei uns, sollt Ihr nicht sterben.«

»Nein!« – sagte befehlend eine starke Stimme. – »Hier sollst du nicht sterben!«

Verlegen trat Leonore zurück, Rinaldo ging aus der Laube. Ein Mann warf den Mantel ab, und vor ihm stand der Alte von Fronteja.

»Wie?« – fragte Rinaldo bestürzt. – »Bist du auch hier bekannt?«

»Dem Menschen«, – antwortete jener, – »gehört die Welt, und in diesem seinem Eigentum muß er allenthalben bekannt, nirgends darf er unbekannt sein.«

Jetzt trat der Graf in den Garten. Der Alte ging ihm entgegen, ergriff seine Hand und schüttelte sie traulich, so, wie man es mit alten Bekannten tut. Sie umarmten, küßten sich und gingen Hand in Hand den Garten hinauf.

Rinaldo sah den Alten bedeutend an und fragte:

»Kennt Ihr diesen Mann auch?«

»Der Bruder kennt ihn«, – sagte Leonore. – »Ich weiß nicht, wer er ist. Wir nennen ihn nur den unbekannten Alten. Mein Bruder aber nennt ihn Nicanor. Nie hat er uns gesagt, wer er ist, was er hier will, und fragten wir darum, so gab er uns keine Antwort. – Ihr aber scheint ihn ja auch zu kennen!«

»Ich kenne ihn; dennoch aber weiß ich nicht, wer er ist.«

Der Graf verließ den Garten; der Alte kam wieder auf die Laube zu.

»Schöne Gräfin!« – sagte er sehr freundlich, – »Diesen Unglücklichen erbitte ich mir auf einige Minuten!«

Leonore verneigte sich und verließ den Garten. – Der Alte setzte sich, und das Gespräch begann.

»Ermorden also wolltest du dich?«

»O! hätte ich es doch schon längst getan!«

»Der Mensch hat freien Willen. Sein Leben steht in seiner Gewalt. Darüber kannst du im Seneca und Cicero gar viel, pro und contra lesen. Bürden legt man ab; was drückt, wirft man hinter sich. Indessen, bei dem Selbstmorde ist doch noch immer eine Art von Feigheit mit im Spiele. Wer Mut hat, seinem Schicksal die Stirn zu bieten, der erliegt im Kampf nicht so leicht als der Verzagte.«

»Wie stirbt man ehrenvoller, durch eigene oder durch Henkershand?«

»So wie in der Welt die Begriffe einmal kursieren, so ist die eigene Hand der Hand des Henkers vorzuziehen. Indessen – bis die letztere uns erreicht, hat man Zeit, zur eigenen Hand zu greifen. – Du wolltest nur in schöne Hände fallen! darum –«

»Keinen Spott!«

»Spott?«

»Keinen Scherz! – Meine Lage ist zu ernsthaft.«

»Und eben deswegen kann ein kleiner Scherz –«

»Ach! keinen Scherz!«

»Nun also, ernstlich! Wunderst du dich nicht, mich hier zu sehen?«

»Ich beneidete dich schon um das Glück, den Tod in den Wellen gefunden zu haben!«

»Ich beneide keinen Menschen um so etwas. – Den Wellen entronnen finde ich dich wieder und sehe – noch mehr als das –, alles wieder, was schön, was sehenswürdig ist.« –

»Du kennst Lentini?«

»Er ist ein Freund, auch deines Freundes, des Marchese Germano, und der meinige. Darum hatte er auch nichts von Cinthio zu fürchten.«

»Wie? – Ihr alle steht noch immer miteinander in Verbindung?«

»Wir alle.«

»Habt ihr noch immer nicht die Expedition nach Korsika aufgegeben?«

»Nicht ganz. – Vielleicht gelingt uns bald ein kühner Streich.«

»Gegen Korsika?«

»Gegen Korsika oder gegen – sonst einen Weltteil.«

»Du lebst von Plänen!«

»Für dieselben.«

»Glück zu!«

»Für mich und dich! – Jetzt einige Worte an dich. – Du bist so unbedachtsam gewesen, dich und deinen Namen selbst wieder zu promulgieren –, was ein wenig unklug war! – und man ist dir überall auf dem Nacken. – Das taugt nichts! – Du mußt wieder verschwinden, du mußt versteckt werden, bis der Sturm vorüber ist.«

»Wohin?«

»In diesem Schlosse kann man dich nicht lassen, ob du gleich vielleicht gern hier bliebst.«

»Gleichviel!«

»Hm! – Gleichviel wohl nicht, denn du hast doch einmal hier Bekanntschaft.«

»Mich darf kein rechtlicher Mensch kennen.«

»Oho!«

»Wenigstens darf er es nicht sagen.«

»Bin ich kein rechtlicher Mann?«

»Ich muß es dir verdenken, daß du dich meiner Bekanntschaft freuen kannst!«

»Ich nicht. – Doch wieder zu unserer Angelegenheit! – Gegen Abend wird ein Mann kommen, der dir diesen Ring, mit einer Maienblume, den ich hier an diesem Finger trage, übergibt. Diesem folge. Die Nacht ist schön und mondhell. Ihr reitet fort. Gegen Morgen seid ihr an Ort und Stelle.«

»Wo?«

»An einem Schlosse, wo man euch einlassen wird und wo du sicher bist.«

Rinaldo wollte sprechen. Der Alte stand auf, drückte ihm die Hand, sagte: »Wir sehen uns bald wieder!« und ging schnell davon.

 

Leonore kam in einiger Zeit in den Garten zurück und fand Rinaldo nachdenkend in der Laube. – Sie nahte sich ihm.

»Mein Bruder«, – sagte sie, – »ist mit Nicanor weggefahren. Meine Schwägerin wünscht Euch zu sprechen.«

Sie gingen ins Schloß zurück. Laura fragte nach dem Alten, konnte sich ihres Gemahls Verbindung mit ihm nicht erklären und erhielt von Rinaldo auch darüber keine Aufklärung.

Gegen Abend kam der Überbringer des Ringes von dem Alten. Rinaldo schickte sich zur Abreise an. Er nahm Abschied. Von Leonoren begehrte er ein Andenken. Sie gab ihm eine Busenschleife. Er schob ihr schnell einen Ring an den Finger, eilte die Treppe hinab und schwang sich aufs Roß. Vergebens rief Leonore ihm nach. Er sprengte zum Schloßhofe hinaus, begleitet von seinem Führer und von Lodovico. – Sie ritten bei Mondenschein die ganze Nacht hindurch, bis an den folgenden Morgen. Auf einem Felsen lag ein altes, kleines Schloß, zur Verteidigung wohl versehen. Dieses wurde erreicht. – Der Führer gab ein Signal. Die Zugbrücke fiel. Sie ritten ein. Hier nannte sich Rinaldos Führer als Kastellan des Schlosses und führte ihn herum, sich selbst Zimmer zu seinem Aufenthalt zu wählen. – Er wählte und fragte:

»Wo bin ich?«

»Auf dem Schlosse meiner gnädigen Frau«, – antwortete Toronero, der Kastellan.

»Sie heißt?«

»Wißt Ihr das nicht?«

»Ich weiß nicht, wo ich bin, warum ich hier bin, kenne die Besitzerin dieses Schlosses nicht und weiß nicht, wie sie heißt.«

»Sie aber kennt Euch. – Sie hat mit mir selbst von Euch, von dem Ritter de la Cintra –, so heißt Ihr doch?« –

»So heiße ich.«

»– gesprochen, ehe ich abreiste.«

»Sie ist hier?«

»Nein. – Als ich abreiste, reiste sie auch ab.«

»Wohin? – Hierher?« –

»Das weiß ich nicht.«

»Ist sie nicht immer hier?«

»Nur selten und nie lange.«

»Wie heißt sie also?«

»Gräfin Ventimiglia.«

»Ventimiglia? – Ich kenne sie nicht; wenigstens – nicht unter diesem Namen.«

»So weiß ich nicht, was ich denken und sagen soll. – Doch, es wird sich gewiß alles aufklären!«

Der Kastellan ging. Lodovico kam. Er brachte einen Brief von dem Alten. Rinaldo wurde von demselben gebeten, ihm Lodovico zuzuschicken, dessen er bedürfe. – Es war ein Bote da. Rinaldo befahl Lodovico, bald wiederzukommen, und dieser versprach es, indem er mit dem Boten davonritt.

 

Der Kastellan, von dem Rinaldo eine Guitarre begehrte, brachte ihm dieselbe, entschuldigte sich zugleich, daß er, überhäufter Geschäfte wegen, nicht immer bei ihm sein könne, versicherte aber zugleich, seine Schwester Margalisa werde oft zu ihm kommen und seine fleißige Gesellschafterin sein.

Margalisa, ein ganz artiges, rundes, tätiges Geschöpf, erschien bald und sagte ganz treuherzig, sie sei da, dem Herrn die Zeit zu vertreiben. – Rinaldo unterhielt sich schäkernd mit ihr. – Er pries die schöne Aussicht der Gegend.

Sie O ja! Die Aussicht ist schön, die Gegend ist reizend, aber nach und nach wird man sie auch gewohnt, so wie alles, was man täglich sieht, seinen Spiegel nicht ausgenommen.

Er Und in den Spiegel siehst du wohl gern?

Sie Täglich; da müßte ich kein Mädchen sein! Gewöhnlich zwar nur des Morgens, ich müßte mich denn etwa in der Küche schwarz gemacht haben. Sonntags aber geschieht's mehr als einmal, wenn ich in die Kirche gehe.

Er Hast du weit in die Kirche zu gehen?

Sie In einer Stunde bin ich dort. Ich bin aber eine gute Fußgängerin, mein Bruder endet den Weg in einer Stunde nicht.

Rinaldo ging im Zimmer auf und ab, klimperte auf der Guitarre. – Margalisa fragte lächelnd: »Könnt ihr auch spielen und singen?«

»Willst du etwas hören?«

»O ja! – So etwas höre ich recht gern. – Oder wollt Ihr etwas Gesungenes von mir hören?«

Er gab ihr die Guitarre und bat sie, etwas zu singen. Sie spielte und sang.

Romanze

Am Bache lag's Liebchen
Im lieblichen Traum,
Sein Schlummer war ruhig,
Er atmete kaum.

Da sah ihn das Mädchen;
Sie schlich sich herzu,
Und freute sich innig
Der friedlichen Ruh.

Sie küßte ihm leise
Das zärtliche Licht
Der zitternden Augen;
Er regte sich nicht.

Sie wand seine Locken
Um Finger und Hand,
Und küßte behaglich
Dies ringelnde Band.

Er atmete stärker,
Sein Auge ging auf;
Sie drückte, ihn grüßend,
Ein Küßchen darauf.

»Was schlummert mein Liebchen
Am rauschenden Bach?
Was küß' ich im Grünen
Den Schlafenden wach?

Im Arme der Liebe
Schläft's Liebchen so weich.
Ach! wechsle, mein Trauter!
Dein Lager doch gleich!«

Rinaldo lobte Spiel und Gesang. Sie dankte und gab ihm die Guitarre zurück. Dabei fragte sie:

»Werdet Ihr lange hier auf dem Schlosse bleiben?«

Er Noch weiß ich das selbst nicht.

Sie Es lebt sich gar zu einsam, wenn die Frau Gräfin nicht hier ist. Ich, mein Bruder, seine Frau, eine Magd, zwei Kinder, das ist die ganze Schloßgesellschaft. Da ist ein Tag wie der andere. Das bißchen Arbeit ist bald getan, und dann – hat man Langeweile. Es ist etwas Verwünschtes, in einem solchen Bergschlosse zu stecken! – Ihr werdet das erfahren. Bleibt Ihr lange hier, so werdet Ihr auch sicher viel Langeweile haben.

Er Aber – du bist ja hier.

Sie Das wird euch wenig helfen. Wie könnte ich Euch die Langeweile vertreiben?

Er Du wirst mir mancherlei erzählen.

Sie Wovon?

Er Von diesem Schlosse.

Sie Was?

Er Allerlei.

Sie Von dem Schlosse weiß ich selbst nicht viel. Mein Bruder aber mag wohl mehr davon wissen.

Er Was denn?

Sie Je nun! Dies und jenes. – Unser Schloß hat auch seine Heimlichkeiten.

Er So?

Sie Ich kenne sie aber nicht. Und – ich rede auch nicht gern davon.

Er Warum nicht?

Sie Weil ich nichts Gewisses davon zu sagen weiß.

Er Ich habe auch mancherlei davon gehört.

Sie Wirklich? – Was denn?

Er Man sagt, es sei in dem Schlosse nicht recht geheuer.

Margalisa sah sich besorgt um, trat ihm näher, legte ihre Hand auf seine Schulter, blickte ihn gutmütig an und sagte:

»Sagt nichts davon!«

Aufmerksam gemacht auf etwas, woran er vorher nicht dachte, nahm Rinaldo eine noch freundlichere Miene an, drückte Margalisen sanft die Hand und sagte in eben dem Tone, in welchem sie bat:

»Ich weiß – was ich weiß!«

Verlegen blickte sie ihn an und fragte mit gezogener Stimme:

»Was wißt Ihr denn?«

Bedeutend fuhr Rinaldo mit der Hand sich übers Gesicht und sagte: »Ich weiß gar viel und mancherlei.«

Margalisa zog ihre Hand von seiner Schulter, ergriff den Zipfel ihrer Schürze, zog ihn gegen die Brust, schlug die Augen nieder und lispelte:

»Ich habe nichts gesagt. Und« – setzte sie schnell hinzu, – »ich weiß auch nichts zu sagen. Ihr wißt also auf jeden Fall mehr als ich weiß.«

Rinaldo griff ihr unters Kinn, richtete ihr Gesicht auf und lächelte ihr zu:

»Das glaube ich selbst!«

Sie sah ihn an und fragte ganz naiv:

»Wie gefällt Euch denn die Frau Gräfin Ventimiglia?«

»Ich kenne sie gar nicht!«

»Ach! Ich dachte gar!«

»Ich habe sie nie gesehen.«

»Und seid doch auf ihrem Schlosse?«

»Ich bin auf ihrem Schlosse und kenne sie dennoch nicht.«

Sie sah ihn an, unterdrückte sichtbar ein: Sonderbar! und fuhr fort:

»Sie hat prächtige Kleider, glänzende Ringe und schönes Geschmeide. Man steht nur so neben ihr, wie ein Krokusblümchen neben einer Aloe! – Vielleicht kommt sie bald wieder, da Ihr jetzt hier seid, und da werdet ihr selbst sehen, wie wir aussehen, wenn wir nebeneinander stehen.«

Mit einem Knicks sprang sie zur Tür hinaus. Rinaldo rief ihr nach, sie war aber schon die Treppe hinab, wie hinuntergeflogen. – Er ging ins Zimmer zurück und warf nachdenkend sich auf ein Sofa. Endlich rief er laut aus:

»Sie spielen mit mir das alte Spiel!«


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