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16.

Eine junonische Frauengestalt in lichtem Feen-Gewande, von einigen jungen Damen in Weiß umgeben, empfing die Beiden, ihnen von weitem lächelnd mit dem Finger drohend – Helmine von Auer, zu der Fürth mit unwillkürlicher, respectvoller Bewunderung hinauf schaute, wie sie auf der von wilder Rebe umrankten Terrasse stand.

Stella's Antlitz erglühte verlegen, denn auch die anderen jungen Mädchen machten ihre Glossen, als die Beiden heraufschritten.

Die Tochter des alten Auer, der mit seiner Riesengestalt und dem mächtigen Stiernacken durch seinen Namen schon an den bos primigenius erinnerte, war durch Gemüthsveranlagung und Schicksal ein eigenthümliches Geschöpf.

Der gelblich angehauchte Marmor ihres Gesichts, ihres Halses mit dem die Schläfe überquellenden, von einem rothen Bande gehaltenen rabenschwarzen Haar, das ernste, echt griechische Profil mit der hohen Stirn, den beherrschenden verstandleuchtenden Augen, dem Zug der Weltverachtung um die fein geschnittenen Lippen, der so stolz aufgebaute Nacken, die stark vorspringende Büste, die Haltung, Alles war Majestät an ihr, vor der selbst Fürth's Uebermuth sich unwillkürlich beugte.

Ueberfrüh geistig und körperlich entwickelt, hatte sie im achtzehnten Jahre bereits eine Ehe aus reiner, wahrer Liebe geschlossen, die sie nach einem Jahre bereits aus Abscheu auflöste, um wieder unter ihrem Familien-Namen beim Vater zu erscheinen.

Mit einem Herzen, das nur Wohlwollen und Hingebung für die ganze Menschheit gekannt, hatte sie sich diesem Manne hingegeben und mit einer Minderachtung für die Männer, die sie aus der rohesten Behandlung des Einen, eines unwürdigen Gatten, geschöpft, mit dem Vorsatz, für die Zukunft sich und Alles, was von ihrem Geschlecht ihr nahe stehe, vor gleichem Loose zu warnen und zu hüten, war sie heimgekehrt – das gegen die Liebe so gefeite Herz noch immer voll derselben Wärme, die sie namentlich mit besonderer Sympathie der kleinen, vom Schicksal hinsichts der Familie so stiefmütterlich behandelten Stella zuwandte.

»Die Männer,« hatte sie eben noch den jungen Mädchen warnend gesagt, »sind ein egoistisches Geschlecht. Kaum einer von ihnen will unser Herz und unsern Verstand, unser Talent, nur unser Geld, und bekommen sie Schönheit in den Kauf, so genießen sie dieselbe, bis sie verbraucht ist. Dann erkaufen sie sich mit unserem Gelde die der Anderen. Und womit fangen sie uns? Seht und hört sie auf den Bällen. Was erzählen sie uns? Immer dasselbe! Kein Quentchen Geist oder Witz preßt man aus dem heraus, was sie den ganzen Abend mit so viel Bewußtsein gesprochen haben. Die von ihnen, die wirklich Geist haben, sind anmaßend und halten uns für Gänse, an die es nicht lohnt, diesen hohen Geist zu verschwenden.«

Und Helmine, die Einsame, stand doch eben erst im zweiundzwanzigsten Jahre. Sie hatte der großen Gesellschaft entsagt, bewegte sich nur in einem kleineren Kreise, den sie am liebsten zu Hause um sich sah. Bei ihrer Minderachtung für die Männer verkehrte sie gern mit jungen Mädchen und Frauen, die ihre geistige Ueberlegenheit anerkannten. Ihre Abgeschlossenheit gegen die Welt hatte sie zum Malen und Dichten verleitet, doch belästigte sie niemanden damit; was sie schuf, war ihr stilles Eigenthum, ohne Werth darauf nach außen zu legen.

Seltsamen Kontrast übte die an ihrem Arm hangende Elfengestalt, ihre weit jüngere Cousine Johanna von Frohberg, von ihrer Familie nur Hanna genannt, ein Kind fast, dem die Rundung der Conturen noch fehlte, mit noch unentwickelter Brust, auffallend schmaler Taille und seltsamem, aschfarbenem, von goldigem Schein beglänzten Haar, das über dem weißen Nacken und den halbentblößten unfertigen Schultern durch ein blaues Bändchen gehalten ward.

Hanna's Stirn war eckig, ihre wasserfarbig blauen Augen schauten trotzig, als sie Stella anschaute, ihre Schläfe waren von sich abtönenden Adern durchzogen, das ebenso trotzig aufgeworfene Näschen blähte die fast durchsichtigen Nüstern wie die eines weiß geborenen Füllens; ihr Mund, frisch wie eine Kirsche, war gerundet, klein, ihr Kinn war ein wenig zu spitz. Ihre bis zum Ellenbogen entblößten Arme, ihre Hände waren lang und schön geformt, weiß und zierlich, aber mager, ihre Füße ein Modell an Kleinheit. Sie war nicht schön, aber auffallend, namentlich durch die Weiße ihrer Haut.

Sie schien den Nacken gern zu zeigen, ihr Kleid schloß zu lose über der noch flachen Büste. Alles vibrirte an der wie eine Möve leichten Gestalt; ihr Arm zuckte auf dem Herminens.

Hanna von Frohberg war eine Waise, aber eine der reichsten Erbinnen der Nachbarschaft; drei der schönsten Güter wurden für sie von der Vormundschaft verwaltet; sie lebte unter Aufsicht einer Tante in der Stadt, kam aber oft zu ihrem Oheim heraus.

Eine Schaar von jungen Frauen und Mädchen, alle in Weiß, begleitet von einigen Herren, eilte jetzt von dem hinter dem Gehöfte liegenden Garten herbei. Major von Auer kam aus dem Hause mit einem anderen älteren Herrn. Helmine führte Stella, ihren Liebling, sie mütterlich schützend, am anderen Arm in den Park.

Hanna schien verstimmt, als sie so neben Helmine hinter den übrigen schritt; Stella's Ankunft war ihr ein Dorn im Fleisch. Sie hätte mit Fürth so gern gesprochen, aber Helmine hielt sie fest. Sie schaute ihm verlangend nach, als er den andern Damen Artigkeiten sagte.

Fürth war nämlich der Gegenstand der Schwärmerei dieses unreifen Mädchens; um seinetwillen war sie der Tante schon einmal durchgegangen, zu Helmine gekommen und hatte erklärt, sie lasse sich nur an Händen und Füßen gebunden zurückbringen. Um ihm zu begegnen, hatte die kränkliche Tante sie schon vor der Zeit in die Gesellschaft einführen müssen.

»Du sollst diesen Fürth und seine unverschämten Augen nicht immer so anblicken!« rief Helmine auf dem Wege in den Park, als dieser zu ihnen zurückschaute. »Dieser Mensch wird furchtbar verwöhnt von den Frauen!«

Hanna's Arm erzitterte heftig auf dem ihrigen. Der Gedanke, daß diese Beiden sich unterwegs getroffen, ließ ihr keine Ruh. Darum hatte Stella sich heute so lange erwarten lassen! Und jetzt plötzlich hing Stella's Arm in dem Fürth's, als die ganze Gesellschaft sich über den Hof nach der Tenne bewegte, um dem Tanz der Knechte und Mägde zuzuschauen.

Helmine ließ sie nicht von sich. Die Gäste reihten sich um die Tenne; die Musikanten, auf Fässern sitzend, bliesen und geigten, die Dorfbevölkerung schwang sich jubelnd auf dem hart gestampften Boden herum.

Major von Auer freute sich über seine Festlichkeit; er hatte am Mittag schon stark dem Wein zugesprochen.

Hanna sah immer nur Fürth und Stella, sah, wie er nicht von der letzteren Seite wich. Und das schmerzte. Sie hätte laut weinen mögen; die Thränen schwammen zwischen den Wimpern, sie biß die Zähne zusammen.

Da stand sie drüben, die sie seit heute wirklich hassen mußte. Und Stella war schön; Hanna selbst mußte es gestehen. Sie beneidete sie um das herrliche jungfräuliche Ebenmaß ihrer Gestalt, um den graziösen Gliederbau, um die natürliche Anmuth ihrer Bewegungen.

Aber Stella war heute ausnahmsweise so still, so in sich gekehrt. Stella, die sonst so ausgelassen und in den Mädchenspielen tonangebend gewesen, blickte so traumumfangen, und das verrieth, was in ihr vorgehen mußte, während er, wenn er Stella's Blick begegnete, mit empörender Offenheit sein Interesse für sie zeigte, wie jetzt eben, wo er ...

»Hanna, sei vernünftig!« flüsterte ihr Helmine zu, den mageren Arm des Kindes fester an sich drückend, der sich eben dem ihrigen so hastig entziehen wollte.

Fürth und Stella waren gerade aus dem Kreise getreten. Die Musik machte eine Pause. Die Landleute trockneten sich den Schweiß von der Stirn und zogen zu dem Büffet, wo Bier gereicht wurde. Hanna mußte den Beiden folgen; sie konnte sie nicht aus dem Auge lassen.

Helmine hielt sie fest an ihrer Seite. Sie wußte längst, was in dem wilden Mädchen vorging und fürchtete heute einen Ausbruch.

»Du weißt, er macht Allen den Hof!« flüsterte sie beruhigend und zog sie fort, den anderen Damen nach.

»Aber ihr ... ihr!« knirschte Hanna. »Gerade ihr! Ich könnte sie vergiften!« setzte sie leiser hinzu.

Helmine sammelte die Gesellschaft um sich. Sie blickte zur Sonne auf, die sich bereits hinter dem fernen Waldsaum neigte. Zu ihrem Trost sah sie, wie auch Stella an ihre Seite getreten, während Fürth mit einigen anderen Damen scherzte.

Ein forschender Blick fiel auf das Mädchen.

»Du wirst heute heiterer sein, Stella!« flüsterte sie ihr zu. »Ich kenne Dich nicht wieder!«

Stella erschrak. Sie faßte sich. Lächelnd, mit dem Uebermuth in den Augen, der ihr sonst eigen, legte sie den Arm um Helminens Leib.

»Es war vorübergehend,« sagte sie schelmisch. »Es ist wahr, ich bin den ganzen Tag hindurch melancholisch gewesen. Komm', laß uns auf die Wiese gehen; es ist so heiß hier. Die Musik macht mich nervös!«

»Die Herren erwarten uns schon zum Ballspiel drunten im Thal!« Helmine gab den Damen einen Wink und die ganze weiße Engelsschaar folgte ihr von der Tenne auf den von hohen Weißdornbäumen umfaßten Rasenplatz, wo die Herren bereits das Ballspiel arrangirten.

Hanna schien einigermaßen beruhigt, aber argwöhnisch hielt sie sich hinter den Uebrigen zurück, Stella mit den Augen verfolgend, die jetzt eben, von Helminen gewarnt – denn sie hatte diese verstanden – sich ganz ihrer Laune wieder hingab und den Anderen voran auf die Wiese hinabeilte.

»Es gäbe ein Unglück, wenn es wahr wäre!« Hanna's kleine Hände krampften sich zusammen. Dieser Mann war der Inhalt ihres Lebens, er gehörte ihr, durfte nur ihr gehören.

Sie vergaß, den Andern zu folgen, blieb zerstreut auf der Halde stehen, deren Fuß eben die Andern erreichten. Ihre Augen blitzten noch immer auf Stella hinab, als berechne sie, wessen diese fähig sein könne.

Dann suchte sie Fürth. Der bereitete eben ahnungslos das Bowling. Ihre Augen blieben unverwandt auf ihn gerichtet. Ihre Brust hob und senkte sich.

Helminens Stimme rief sie. In elastischen Sprüngen flog sie die Halde hinab, so wild, so sinnlos, daß sie auf dem Abhang ihrer Bewegungen nicht mehr Meister blieb und hinzustürzen drohte.

Fürth sah das und fing sie in seinen Armen auf.

Helminens Stirn verfinsterte sich. Es war Berechnung des tollen Mädchens, was so zufällig erschien. Hanna hing mit geschlossenen Augen, das Haupt auf den Nacken zurück gesenkt, in des jungen Mannes Armen, der sie, die leicht wie eine Feder, vom Boden hob und sie mit übermüthigem Bedauern der zürnend herzutretenden Helmine in den Arm legte.

Carl Holstein erschien in dem Moment an der Seite seines von Helmine eingeladenen Freundes, des Nachbarsohnes. Major von Auer, der die Scene lachend angesehen, empfing die beiden jungen Leute mit biederem Handdruck. Helmine hieß sie zerstreut willkommen. Sie war verstimmt.

Stella lächelte ihren Kindheitsgespielen ziemlich empfindungslos an. Sie nannte ihn »Herr Holstein« und forderte ihn und seinen Kameraden auf, an dem Spiel Theil zu nehmen.

Carl that der gleichgültige Empfang weh. Er war gewachsen, kräftiger geworden; das Bärtchen wuchs auf seiner Lippe. Er hatte sich auch geformt; das Knabenhafte war in seinem Wesen längst überwunden. Als dereinstiger Chef des großen Fabrikhauses führte er anstatt des Pony-Wagens jetzt sein Gig über die Promenaden, gewissenhaft an dem Institut vorüber; er lebte wie der erwachsene Sohn reicher Eltern, aber wenn seine gleichalterigen oder älteren Freunde auf verliebte Abenteuer Jagd machten, war er entweder passiver Theilnehmer oder suchte andere Zerstreuung.

Die Neigung für Stella war in demselben Maße zur Leidenschaft gewachsen, in welchem das Mädchen ihre körperlichen Vorzüge entwickelte; sie saß unausrottbar in dem jungen Herzen. Er verheimlichte sie seinen Kameraden; nur dieser eine wußte davon, und dann Blume, der sich vergeblich bemühte, ihn auf andere Gedanken zu bringen, wenn er mit ihm allein im Bureau am Pulte saß, um ihn in alle Interessen des Geschäftes einzuweihen und ihn zum Kaufmann heranzubilden.

Stella war wohl liebenswürdig gegen ihn während des Spiels; sie lächelte ihn zuweilen auch an, sprach zu ihm, aber das waren doch nur Brosamen, die auf seinen Theil fielen; er sah mit bald wild jagendem, bald stockendem Herzen, wie ihre und Fürth's Blicke sich oft begegneten, und zum ersten Mal tagte es in ihm, daß er einen Nebenbuhler haben könne.

Trauernd und tief verletzt entfernte er sich aus dem Croquet-Spiel. Er konnt's nicht mit ansehen. Sein Freund fand ihn an der Lisière des Parks. Er weinte und gestand diesem, das werde sein Unglück sein, wenn sie »diesen Menschen« ihm vorziehe.

»Ja, die Weiber; lerne erst die Weiber kennen!« tröstete ihn der Freund mit seinen einundzwanzig Jahren. »Ein je größerer Lump ein Mann in seinem Charakter gegen die Frauen, desto mehr laufen sie ihm nach. Du versiehst es auch mit ihr, Carl! Du zeigst ihr viel zu sehr, wie lieb sie Dir ist, und da weiß sie, daß Du ihr sicher bist. Ich glaube, ich habe einmal irgendwo gelesen: kein Weib kann zu viel Liebe vom Mann ertragen, denn sie selbst hat immer einen Ueberschuß davon in sich. Komm also zurück zu den Damen; es sind ja so viel andere passable Mädchen darunter.«

Carl ließ sich mit fortziehen, und bald tröstete ihn die Wahrnehmung, daß die aschfarbene Hanna ganz rasend in diesen Fürth verliebt sei. Er machte anderen Mädchen den Hof nach dem Recept des Freundes, der ihm auch die Tröstung brachte, Stella habe ihm gesagt, er sei ein lieber, guter Mensch.

Major v. Auer hatte das Souper in dem großen Pavillon seines Parkes arrangiren lassen, einem leichten, zierlichen Gebäude, dessen Holz-Veranda sich fast unmittelbar über dem von Wasserlilien und Nymphäen übergrünten Teich erhob und von dem sich ein reizender Blick auf das am anderen Ende des Weihers gelegene Halb-Inselchen mit seiner in blendendem Lichtglanz strahlenden Doppel-Statue, Amor und Psyche, bot.

Der Abend sank herab. Der Salon des Pavillons war glänzend erhellt und warf sein Licht durch die große dreitheilige Thür auf die Wasserfläche, die schwimmenden Lotosblätter mit Gold überziehend, die Seerosen durchschimmernd, die so träumerisch auf der stillen Wasserfläche sich schaukelten, und in dem leise vom Abendwinde bewegten Schilfrohr blitzend.

Die Rohrdommel war aus ihrem Nest gescheucht und schaute bange, in den Zweigen versteckt, auf die wunderbaren Vorgänge in dem sonst so einsamen Gartenhause, die Frösche hatten beim ersten Lichtstrahl in langen Sätzen die Flucht ergriffen und scheu verkroch sich die Unke in das feuchte, modernde Laub, als auch die Ufer mit kleinen Blechlämpchen übersäet wurden, deren Lichter wie Glühwürmchen aus dem Grase des Ufers rings umher leuchteten.

Major v. Auer wollte durch diese besondere Festlichkeit den Göttern ein Dankopfer für die Ernte bringen und feierte zugleich seinen Geburtstag.

Die Musik war aus dem Dorfe herbestellt, um zur Tafel aufzuspielen, mochte sie noch so elend sein. Er wollte heute Alles froh sehen.

Auch Helmine hatte ihre Besorgniß um Erwin. Dieser unterhielt die Damen, als sie sich in den Park begaben, auf dem Wege durch die hohe Ulmen-Allee mit den originellsten Einfällen. Er war, wie immer, der interessanteste Plauderer. Die Damen drängten sich gern in seine Nähe. Hanna und Carl hatten die Genugthuung, daß er Stella vergessen zu haben schien, während er den Anderen seine Aufmerksamkeit widmete.

* * *


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