Wilhelm Heinrich Wackenroder
Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders
Wilhelm Heinrich Wackenroder

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Der merkwürde Tod des zu seiner Zeit weit berühmten alten Malers Francesco Francia, des Ersten aus der Lombardischen Schule

So wie die Epoche des Wiederauflebens der Wissenschaften und der Gelehrsamkeit die vielumfassendsten, als Menschen merkwürdigsten, und am Geiste kräftigsten gelehrten Männer hervorbrachte; so ward auch die Periode, da die Kunst der Malerei aus ihrer lange ruhenden Asche, wie ein Phönix, hervorging, durch die erhabensten und edelsten Männer in der Kunst bezeichnet. Sie ist als das wahre Heldenalter der Kunst anzusehen, und man möchte (wie Ossian) seufzen, daß die Kraft und Größe dieser Heldenzeit nun von der Erde entflohen ist. Viele standen an vielen Orten auf, und erhoben sich ganz durch eigene Stärke: ihr Leben und ihre Arbeiten hatten Gewicht, und waren der Mühe wert, in ausführlichen Chroniken, wie wir sie noch von den Händen damaliger Verehrer der Kunst besitzen, der Nachwelt aufbewahrt zu werden; und ihr Geist war so ehrwürdig, als es uns noch ihre bärtigen Häupter sind, die wir in den schätzbaren Sammlungen ihrer Bildnisse mit Ehrfurcht betrachten. Es geschahen unter ihnen ungewöhnliche, und vielen jetzt unglaubliche Dinge, weil Enthusiasmus, der itzt nur in wenigen einzelnen Herzen, wie ein schwaches Lämpchen flimmert, in jener goldenen Zeit alle Welt entflammte. Die entartete Nachkommenschaft bezweifelt oder belacht so manche bewährte Geschichte aus diesen Zeiten als Märchen, weil der göttliche Funken ganz aus ihrer Seele gewichen ist.

Eine der merkwürdigsten Geschichten dieser Art, die ich nie ohne Staunen habe lesen können, und bei der mein Herz doch nie in Versuchung zu zweifeln geführt ward, ist die Geschichte von dem Tode des uralten Malers Francesco Francia, welcher der Ahnherr und Stammvater der Schule war, die sich in Bologna und der Lombardei bildete.

Dieser Francesco war von geringen Handwerksleuten geboren, hatte sich aber durch seinen unermüdeten Fleiß und seinen immer hinaufstrebenden Geist, zu dem höchsten Gipfel des Ruhmes aufgeschwungen. In seiner Jugend war er zuerst bei einem Goldarbeiter, und er bildete so künstliche Sachen in Gold und Silber, dass sie jeden, der sie sah, in Erstaunen setzten. Auch grub er lange Zeit die Stempel zu allen Denkmünzen, und alle Fürsten und Herzoge der Lombardei setzten eine Ehre darin, sich von seinem Griffel auf ihren Münzen abbilden zu lassen. Denn es war damals noch die Zeit, da alle Vornehmen des Landes und alle Mitbürger den vaterländischen Künstler durch ihren ewigen, lautschallenden Beifall stolz zu machen vermochten. Unendlich viele fürstliche Personen kamen durch Bologna und versäumten nicht, ihr Bildnis von Francesco zeichnen, und nachher in Metall schneiden und prägen zu lassen.

Aber Francescos ewig beweglicher, feuriger Geist strebte nach einem neuen Felde der Arbeit, und je mehr seine heiße Ehrbegier gesättigt ward, desto ungeduldiger ward er, sich eine ganz neue, noch unbetretene Bahn zum Ruhme aufzuschließen. Schon vierzig Jahre alt, trat er in die Schranken einer neuen Kunst; er übte sich mit unbezwinglicher Geduld im Pinsel, und richtete sein ganzes Nachdenken auf das Studium der Komposition im Großen, und des Effektes der Farben. Und es war außerordentlich, wie schnell es ihm gelang, Werke hervorzubringen, die ganz Bologna in Verwunderung setzten. Er ward in der Tat ein vorzüglicher Maler; denn wenn er auch mehrere Mitstreiter hatte, und selbst der göttliche Raffael zu der Zeit in Rom arbeitete, so konnte man immer mit Recht auch seine Werke zu den vornehmsten rechnen. Denn allerdings ist die Schönheit in der Kunst nicht etwas so Armes und Dürftiges, daß Eines Menschen Leben sie erschöpfen könnte; und ihr Preis ist kein Los, das nur allein auf Einen Auserwählten fällt: ihr Licht zerspaltet sich vielmehr in tausend Strahlen, deren Widerschein auf mannigfache Weise von den großen Künstlern, die der Himmel auf die Welt gesetzt hat, in unser entzücktes Auge zurückgeworfen wird.

Francesco lebte grade unter der ersten Generation der edlen italienischen Künstler, welche um so größere und allgemeinere Achtung genossen, da sie auf den Trümmern der Barbarei ein ganz neues, glänzendes Reich stifteten; und in der Lombardei war grade er der Stifter, und gleichsam der erste Fürst dieser neugegründeten Herrschaft. Seine geschickte Hand vollendete eine unzählbare Menge von herrlichen Gemälden, die nicht nur durch die ganze Lombardei (in welcher keine Stadt von sich nachsagen lassen wollte, daß sie nicht wenigstens Eine Probe seiner Arbeit besäße), sondern auch in die andern Gegenden von Italien gingen, und allen Augen, die so glücklich waren sie zu betrachten, seinen Ruhm laut verkündigten. Die italienischen Fürsten und Herzoge waren eifersüchtig, Bilder von ihm zu besitzen; und von allen Seiten strömten ihm Lobsprüche zu. Reisende verpflanzten seinen Namen aller Orten, wo sie hingelangten, und der schmeichelhafte Widerhall ihrer Reden tönte in sein Ohr zurück. Bologneser, die Rom besuchten, priesen ihren vaterländischen Künstler dem Raffael, und dieser, der auch einiges von seinem Pinsel gesehen und bewundert hatte, bezeugte ihm in Briefen, mit der ihm eigentümlichen sanften Leutseligkeit, seine Achtung und Zuneigung. Die Schriftsteller der Zeit konnten sich nicht enthalten, sein Lob in alle ihre Werke einzuflechten; sie richten die Augen der Nachwelt auf ihn, und erzählen mit wichtiger Miene, daß er wie ein Gott verehrt sei. Einer von ihnen[Cavazzone] sogar ist kühn genug, zu schreiben, daß Raffael, auf den Anblick seiner Madonnen die Trockenheit, die ihm noch von der Schule von Perugia angeklebt, verlassen, und einen größeren Stil angenommen habe.

Was konnten diese wiederholten Schläge anders für eine Wirkung auf das Gemüt unseres Francesco haben, als daß sein lebhafter Geist sich zu dem edelsten Künstlerstolze emporhob und er an einen himmlischen Genius in seinem Inneren zu glauben anfing Wo findet man jetzt diesen erhabenen Stolz? Vergebens sucht man ihn unter den Künstlern unsrer Zeiten, welche wohl auf sich eitel, aber nicht stolz auf ihre Kunst sind.

Raffael war der einzige, den er von allen ihm gleichzeitigen Malern allenfalls für seinen Nebenbuhler gelten ließ. Er war indes nie so glücklich gewesen, ein Bild von seiner Hand zu sehen, denn er war in seinem Leben nie weit von Bologna gekommen. Doch hatte er, nach vielen Beschreibungen, sich in der Idee von der Manier des Raffaels ein festes Bild gemacht, und sich, besonders auch durch dessen bescheidenen und sehr gefälligen Ton gegen ihn in seinen Briefen, fest überzeugt, daß er selber ihm in den meisten gleichkomme, und es in manchen wohl noch weiter gebracht habe. Seinem hohen Alter war es vorbehalten, mit seinen eigenen Augen ein Bild von Raffael zu sehen.

Ganz unerwartet empfing er einen Brief von ihm, worin jener ihm die Nachricht erteilte, er habe eben ein Altargemälde von der heiligen Cäcilia vollendet, welches für die Kirche des heiligen Johannes zu Bologna bestimmt sei; und dabei schrieb er, er werde das Stück an ihn, als seinen Freund, senden, und bat, daß er ihm den Gefallen erzeigen möchte, es auf seiner Stelle gehörig aufrichten zu lassen, auch, wenn es auf der Reise irgendwo beschädigt sei, oder er sonst im Bilde selbst irgendein Versehen oder einen Fehler wahrnähme, überall als Freund zu bessern und nachzuhelfen. Dieser Brief, worin ein Raffael demütig ihm den Pinsel in die Hände gab, setzte ihn außer sich selbst, und er konnte die Ankunft des Bildes nicht erwarten. Er wußte nicht, was ihm bevorstand!

Einst, als er von einem Ausgange nach Hause kam, eilten seine Schüler ihm entgegen, und erzählten ihm mit großer Freude, das Gemälde vom Raffael sei indes angekommen, und sie hätten es in seinem Arbeitszimmer schon in das schönste Licht gestellt. Francesco stürzte, außer sich, hinein. –

Aber wie soll ich der heutigen Welt die Empfindungen schildern, die der außerordentliche Mann beim Anblick dieses Bildes sein Inneres zerreißen fühlte. Es war ihm, wie einem sein müßte, der voll Entzücken seinen von Kindheit an von ihm entfernten Bruder umarmen wollte, und statt dessen auf einmal einen Engel des Lichts vor seinen Augen erblickte. Sein Inneres war durchbohrt; es war ihm, als sänke er in voller Zerknirschung des Herzens vor einem höheren Wesen in die Kniee.

Vom Donner gerührt stand er da; und seine Schüler drängten sich um den alten Mann herum, und hielten ihn, fragten ihn, was ihn befallen habe? und wußten nicht, was sie denken sollten.

Er hatte sich etwas erholt, und starrte immerfort das über alles göttliche Bild an. Wie war er auf einmal von seiner Höhe gefallen! Wie schwer mußte er die Sünde büßen, sich allzu vermessen bis an die Sterne erhoben, und sich ehrsüchtig über ihn, den unnachahmlichen Raffael, gesetzt zu haben. Er schlug sich vor seinen grauen Kopf und weinte bittere, schmerzende Tränen, daß er sein Leben mit eitelm, ehrgeizigem Schweiße verbracht, und sich dabei nur immer törichter gemacht habe, und nun endlich, dem Tode nahe, mit geöffneten Augen auf sein ganzes Leben als auf ein elendes, unvollendetes Stümperwerk zurücksehen müsse. Er hob mit dem erhobenen Antlitz der heiligen Cäcilia auch seine Blicke empor, zeigte dem Himmel sein wundes, reuiges Herz, und betete gedemütigt um Vergebung.

Er fühlte sich so schwach, daß seine Schüler ihn ins Bett bringen mußten. Beim Herausgehen aus dem Zimmer fielen ihm einige seiner Gemälde, und besonders seine sterbende Cäcilia, welche noch dort hing, in die Augen; und er verging fast vor Schmerz.

Von der Zeit an war sein Gemüt in beständiger Verwirrung, und man bemerkte fast immer eine gewisse Abwesenheit des Geistes bei ihm. Die Schwächen des Alters und die Ermattung des Geistes, welcher so lange in immer angestrengter Tätigkeit bei der Schöpfung von so tausenderlei Gestalten gewesen war, traten hinzu, um das Haus seiner Seele von Grund aus zu erschüttern. Alle die unendlich mannigfaltigen Bildungen, die sich von jeher in seinem malerischen Sinn bewegt hatten, und in Farben und Linien auf der Leinwand zur Wirklichkeit übergegangen waren, fuhren jetzt, mit verzerrten Zügen, durch seine Seele, und waren die Plagegeister, die ihn in seiner Fieberhitze ängstigten. Ehe seine Schüler es sich versahen, fanden sie ihn tot im Bette liegen. –

So ward dieser Mann erst dadurch recht groß, daß er sich so klein gegen den himmlischen Raffael fühlte. Auch hat ihn der Genius der Kunst, in den Augen der Eingeweihten, längst heilig gesprochen, und sein Haupt mit dem Strahlenkreise umgeben, der ihm als einem echten Märtyrer des Kunstenthusiasmus gebührt. –

Die obige Erzählung von dem Tode des Francesco Francia hat uns der alte Vasari überliefert, in welchem der Geist der Urväter der Kunst noch wehte.

Diejenigen kritischen Köpfe, welche an alle außerordentliche Geister, als an übernatürliche Wunderwerke, nicht glauben wollen noch können, und die ganze Welt gern in Prosa auflösen möchten, spotten über die Märchen des alten ehrwürdigen Chronisten der Kunst, und erzählen dreist, Francesco Francia sei an Gift gestorben.


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