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Ein Brief Joseph Berglingers

Ach! mein innigst geliebter, mein ehrwürdiger Pater! ich schreibe Euch diesmal mit einem hochbetrübten Gemüt, und in der Angst einer zweifelvollen Stunde, wie sie mich, wie Ihr wohl wißt, schon öfter angefallen hat, und jetzt nicht von mir lassen will. Mein Herz ist von einem schmerzhaften Krampfe zusammengezogen, meine Phantasien zittern zerrüttet durcheinander, und alle meine Gefühle zerrinnen in Tränen. Meine lüsternen Kunstfreuden sind tief im Keime vergiftet; ich gehe mit siecher Seele umher, und von Zeit zu Zeit ergießt sich das Gift durch meine Adern.

Was bin ich? Was soll ich, was tu' ich auf der Welt? Was ein böser Genius hat mich so von allen Menschen weit weg verschlagen, daß ich nicht weiß, wofür ich mich halten soll? daß meinem Auge ganz der Maßstab fehlt, für die Welt, für das Leben und das menschliche Gemüt? daß ich nur immer auf dem Meere meiner inneren Zweifel mich herumwälze, und bald auf hoher Welle hoch über die andern Menschen hinausgehoben werde, bald tief in den tiefsten Abgrund hinuntergestürzt? –

Aus dem festesten Grunde meiner Seele preßt sich der Ausruf hervor: Es ist ein so göttlich Streben des Menschen, zu schaffen, was von keinem gemeinen Zweck und Nutzen verschlungen wird – was, unabhängig von der Welt, in eignem Glanze ewig prangt – was von keinem Rade des großen Räderwerks getrieben wird, und keines wieder treibt. Keine Flamme des menschlichen Busens steigt höher und gerader zum Himmel auf, als die Kunst! Kein Wesen verdichtet so die Geistes- und Herzenskraft des Menschen in sich selber, und macht ihn so zum selbständigen menschlichen Gott!

Aber ach! wenn ich auf dieser verwegenen Höhe stehe und mein böser Geist mich mit übermütigem Stolz auf mein Kunstgefühl und mit frecher Erhebung über andre Menschen heimsucht – dann, dann öffnen sich auf einmal, rings um mich her, auf allen Seiten, so gefährliche, schlüpfrige Abgründe, – alle die heiligen, hohen Bilder springen ab von meiner Kunst, und flüchten sich in die Welt der andern, bessern Menschen zurück, – und ich liege hingestreckt, verstoßen, und komme mir im Dienste meiner Göttin, ich weiß nicht wie, – wie ein törichter, eitler Götzendiener vor.

Die Kunst ist eine verführerische, verbotene Frucht; wer einmal ihren innersten, süßesten Saft geschmeckt hat, der ist unwiederbringlich verloren für die tätige, lebendige Welt. Immer enger kriecht er in seinen selbsteignen Genuß hinein, und seine Hand verliert ganz die Kraft, sich einem Nebenmenschen wirkend entgegenzustrecken. – Die Kunst ist ein täuschender, trüglicher Aberglaube, wir meinen in ihr die letzte, innerste Menschheit selbst vor uns zu haben, und doch schiebt sie uns immer nur ein schönes Werk des Menschen unter, worin alle die eigensüchtigen, sich selber genügenden Gedanken und Empfindungen abgesetzt sind, die in der tätigen Welt unfruchtbar und unwirksam bleiben. Und ich Blöder achte dies Werk höher, als den Menschen selber, den Gott gemacht hat.

Es ist entsetzlich, wenn ich's bedenke! Das ganze Leben hindurch sitz' ich nun da, ein lüsterner Einsiedler, und sauge täglich nur innerlich an schönen Harmonien, und strebe den letzten Leckerbissen der Schönheit und Süßigkeit herauszukosten. – Und wenn ich nun die Botschaften höre: wie unermüdet sich dicht um mich her die Geschichte der Menschenwelt mit tausend wichtigen, großen Dingen lebendig fortwälzt, – wie da ein rastloses Wirken der Menschen gegen einander arbeitet, und jeder kleinen Tat in dem gedrängten Gewühl, die Folgen, gut und böse, wie große Gespenster nachtreten, – ach! und dann, das Erschütterndste –, wie die erfindungsreichen Heerscharen des Elends dicht um mich herum, Tausende mit tausend verschiedenen Qualen in Krankheit, in Kummer und Not, zerpeinigen, wie, auch außer den entsetzlichen Kriegen der Völker, der blutige Krieg des Unglücks überall auf dem ganzen Erdenrund wütet, und jeder Sekundenschlag ein scharfes Schwert ist, das hier und dort blindlings Wunden haut und nicht müde wird, daß tausend Wesen erbarmungswürdig um Hülfe schreien! – – Und mitten in diesem Getümmel bleib' ich ruhig sitzen, wie ein Kind auf seinem Kinderstuhle, und blase Tonstücke wie Seifenblasen in die Luft – obwohl mein Leben eben so ernsthaft mit dem Tode schließt.

Ach! diese unbarmherzigen Gefühle schleifen mein Gemüt durch eine verzweiflungsvolle Angst, und ich vergehe vor bitterer Scham vor mir selbst. Ich fühl', ich fühl' es bitterlich, daß ich nicht verstehe, nicht vermag, ein wohltätiges, Gott gefälliges Leben zu führen, – daß Menschen, die sehr unedel von der Kunst denken, und ihre besten Werke verachtend mit Füßen treten, unendlich mehr Gutes wirken, und gottgefälliger leben als ich!

In solcher Angst begreif' ich es, wie jenen frommen asketischen Märtyrern zumute war, die, von dem Anblicke der unsäglichen Leiden der Welt zerknirscht, wie verzweifelnde Kinder, ihren Körper lebenslang den ausgesuchtesten Kasteiungen und Pönitenzen preisgaben, um nur mit dem fürchterlichen Übermaße der leidenden Welt ins Gleichgewicht zu kommen.

Und wenn mir nun der Anblick des Jammers in den Weg tritt, und Hülfe fordert, wenn leidende Menschen, Väter, Mütter und Kinder, dicht vor mir stehen, die zusammen weinen und die Hände ringen, und heftiglich schreien vor Schmerz, – das sind freilich keine lüsternen schönen Akkorde, das ist nicht der schöne, wollüstige Scherz der Musik, das sind herzzerreißende Töne, und das verweichlichte Künstlergemüt gerät in Angst, weiß nicht zu antworten, schämt sich zu fliehn, und hat zu retten keine Kraft. Er quält sich mit Mitleid, – er betrachtet unwillkürlich die ganze Gruppe als ein lebendig gewordenes Werk seiner Phantasie, und kann's nicht lassen, wenn er sich auch in demselben Momente vor sich selber schämt, aus dem elenden Jammer irgend etwas Schönes und kunstartigen Stoff herauszuzwingen.

Das ist das tödliche Gift, was im unschuldigen Keime des Kunstgefühls innerlich verborgen liegt. – Das ist's, daß die Kunst die menschlichen Gefühle, die fest auf der Seele gewachsen sind, verwegen aus den heiligsten Tiefen dem mütterlichen Boden entreißt und mit den entrissenen, künstlich zugerichteten Gefühlen frevelhaften Handel und Gewerbe treibt, und die ursprüngliche Natur des Menschen frevelhaft verscherzt. Das ist's, daß der Künstler ein Schauspieler wird, der jedes Leben als Rolle betrachtet, der seine Bühne für die echte Muster- und Normalwelt, für den dichten Kern der Welt, und das gemeine wirkliche Leben nur für eine elende, zusammengeflickte Nachahmung, für die schlechte umschließende Schale ansieht. –

Was hilft's aber, wenn ich mitten in diesen entsetzlichen ZweifeIn an der Kunst und an mir selber krank liege, – und es erhebt sich eine herrliche Musik, – ha! da flüchten alle diese Gedanken in Tumulte davon, da hebt das lüsterne Ziehen der Sehnsucht sein altes Spiel wieder an; da ruft und ruft es unwiderstehlich zurück, und die ganze kindische Seligkeit tut sich von neuem vor meinen Augen auf. Ich erschrecke, wenn ich bedenke, zu welchen tollen Gedanken mich die frevelhaften Töne hinschleudern können, mit ihren lockenden Sirenenstimmen, und mit ihrem tobenden Rauschen und Trompetenklang. –

Ich komme ewig mit mir selber nicht auf festes Land. Meine Gedanken überwälzen und überkugeln sich unaufhörlich, und ich schwindle, wenn ich Anfang und Ende und bestimmte Ruhe erstreben will. Schon manchesmal hat mein Herz diesen Krampf gehabt, und er hat sich willkürlich, wie er kam, wieder gelöst, und es war am Ende nichts als eine Ausweichung meiner Seele in eine schmerzliche Molltonart, die am gehörigen Orte stand.

So spott' ich über mich selbst, – und auch dies Spotten ist nur elendes Spielwerk.

Ein Unglück ist's, daß der Mensch, der in Kunstgefühl ganz zerschmolzen ist, die Vernunft und Weltweisheit, die dem Menschen so festen Frieden geben soll, so tief verachtet, und sich sogar nicht hineinfinden kann. Die Weltweise betrachtet seine Seele wie ein systematisches Buch, und findet Anfang und Ende, und Wahrheit und Unwahrheit getrennt in bestimmten Worten. Der Künstler betrachtet sie wie ein Gemälde oder Tonstück, kennt keine feste Überzeugung, und findet alles schön, was an gehörigem Orte steht.

Es ist, als wenn die Schöpfung alle Menschen, so wie die vierfüßigen Tiere oder Vögel, in bestimmte Geschlechter und Klassen der geistigen Naturgeschichte gefangen hielte; jeder sieht alles aus seinem Kerker, und keiner kann aus seinem Geschlechte heraus. –

Und so wird meine Seele wohl lebenslang der schwebenden Äolsharfe gleichen, in deren Saiten ein fremder, unbekannter Hauch weht, und wechselnde Lüfte nach Gefallen herumwühlen.


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