Oskar Wächter
Vehmgerichte und Hexenprozesse in Deutschland
Oskar Wächter

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Einleitung. Mittelalterliche Zustände.

Ohne Zweifel hat es seine Berechtigung, wenn man von der Herrlichkeit des Mittelalters, seinen erhabenen Werken der Kunst und seinen kraftvollen Männern und ihren Thaten mit Bewunderung spricht. Wir staunen über die Bauten, die Kirchen und Klöster, die Burgen und den Schmuck der alten Städte, welche jene Zeit hervorgebracht, während sie doch an technischen Hilfsmitteln gar arm gewesen und keine Ahnung hatte von den Maschinen und Erfindungen aller Art, womit wir heutzutage so leicht arbeiten. Wir fragen: wie ist es möglich gewesen, damals und auf jener Stufe der Bildung, auf die wir herabzusehen gewohnt sind, solche Schöpfungen zu erstellen? Der große Künstler, welcher den gotischen Dom entwarf, der Maler, welcher unvergängliche Werte schuf, der Bildhauer, sie alle wurden damals wie heutzutage mit ihren hohen Anlagen geboren und suchten die Wege, sie auszubilden. Aber wie fanden sich die Tausende emsiger Hände, mit denen auch nur diese Steinmassen, deren es bedurfte, herbeigeschafft werden mußten? Schon diese Frage führt uns in eine Nachtseite des Mittelalters: die Leibeigenschaft, die Hörigkeit, die Frohndienste, mit deren Aufgebot die stolzen Ritterburgen und manch andre Bauten unter tausendfachen Bedrückungen des armen Volkes sich erhoben.

Und doch war das nur ein kleiner Teil des Drucks, unter welchem unsre Vorfahren vielfach gehalten wurden. Da und dort werden uns alte Türme gezeigt, Foltertürme, ausgestattet mit den entsetzlichsten Werkzeugen, um den menschlichen Leib langsam zu zerfleischen. Dann wieder: Drudentürme, d. h. Hexentürme, in deren schauerlichen Verließen die unschuldigen Opfer des Aberglaubens schmachteten, Folter und Tod erwartend.

Aber verweilen wir zunächst noch bei den Ritterburgen.

Wenn heutzutage dem Reisenden von kühnen Bergesgipfeln malerische Burgruinen winken und er sich in die Romantik der Ritterzeiten zurückträumt, so hat er meist keine Ahnung von dem Jammer und Elend, womit die übermütigen Adelsgeschlechter, welche aus jenen Burgen gehaust, Land und Volk umher in den Jahrhunderten des Faustrechts und der willkürlichen Fehden gequält haben. Ein kundiger Führer zu diesen Ruinen (Usener, Beiträge zu der Geschichte der Ritterburgen und Bergschlösser in der Umgegend von Frankfurt a. M.) hat aus den Frankfurter Archiven über die Thaten und Schicksale jener Geschlechter und Gauen anschauliche Mitteilungen gemacht. Da ist z. B. die Burg Eppstein, seit dem 12. Jahrhundert der Sitz mächtiger Dynasten. Die Eppsteiner hatten im Jahr 1416 eine Fehde mit dem Grafen Adolf von Nassau. Dieser verbrannte die Dörfer Delkelnheim, Breckenheim, Oberweilbach, Niederweilbach und die Höfe Mechtelnshausen und Harzach. Die Eppsteiner vergalten es reichlich; sie verbrannten alle Orte um Wiesbaden, Kale, Mosbach, Schirstein, Bibrich, Neurade, Kloppheim, Erbenheim, Niederhaus, Michelbach, Breidhard, Strintz und andre. – Von den Schloßruinen in Vilbel (eine Meile von Frankfurt a. M.) wird berichtet, daß dort seit Anfang des 13. Jahrhunderts ein Rittergeschlecht blühte. Im Jahr 1399 hatten die Ritter von Vilbel ihre Burg befestigt und wußten von da aus Zoll und Weggeld zu erpressen und die Gegend unsicher zu machen, bis die Stadt Frankfurt mit ihren Verbündeten das Schloß eroberte und zerstörte. Doch wurde es wieder aufgebaut, und nun erscheinen die Herren von Vilbel als gefürchtete Wegelagerer, die bald da, bald dort einen wehrlosen Kaufmann berauben. Ein Bechtram von Vilbel, »ein kühner, unruhiger Mann«, wurde wegen seiner Räubereien, die er auf offner Straße verübte, von den Söldnern der Stadt Frankfurt endlich mit seinen zwei Knappen gefangen genommen und folgenden Tages, am 27. August 1420, hingerichtet. »Auf der sogenannten Schütt vor dem Bockenheimer Thore war ein schwarzes Tuch hingebreitet, ein Kruzifix, zwei Lichter, Totenbahre und Sarg standen zur Seite. Dieses betrachtend und ohne sich die Augen verbinden zu lassen, wird Bechtram enthauptet. Die beiden Knappen wurden an gewöhnlicher Richtstätte hingerichtet.« Aber die Fehden und Gewalttaten hatten ihren Fortgang. In einer solchen Fehde eines Hans Walbrunn gegen die Stadt Friedberg im Jahr 1448 wurden in dieser Stadt sechshundert Häuser niedergebrannt.

Eine andere in jener Reihe der fehdelustigen ist die Burg Reiffenberg in der Nähe des Feldbergs, des höchsten Gipfels am Höhe-Gebirg. Die Reiffenberger gehörten zu den ältesten und angesehensten Rittergeschlechtern der Gegend. Mit dreifachen Mauern war die Burg umgeben und ihr Turm ragte wohl dreißig Meter über den Fels empor. Aber was erzählen diese Ruinen? auch sie waren Zeuge von vielen Fehden, Wegelagerung und dergleichen. Namentlich haben die Ritter in ihren Fehden der Stadt Frankfurt manches Leid zugefügt. So wird berichtet: »Walther von Reiffenberg trieb am 7. Juli 1406 den Frankfurtern zweiundzwanzig Hammel weg und beraubte die Meßkaufleute; Philipp von Reiffenberg ward am 24. Oktober 1410 der Stadt Feind und überfiel im Jahr 1411 zwei Bürger aus Frankfurt, die in eignen Geschäften ritten, bei Cloppenheim und nahm ihnen das ihrige. Zu gleicher Zeit nahm er zwischen Dortelweil und Gronan zwei Einwohner aus ersterem Ort gefangen, beraubte und brandschatzte sie. In Gronau verbrannte er das Frankfurter Eigentum u. f. f.« Erst im Jahr 1419 gelang es dem Erzbischof von Mainz, diese Fehde zu begleichen. Aber bald brachen die Zwistigkeiten von neuem los. Die Ritter trieben der Stadt das Vieh weg, fingen Bürger und Knechte, plünderten, verbrannten ein Dorf. »Dies alles geschah aus dem Schloß Reiffenberg.«

Nicht weit von Reiffenberg erheben sich die Trümmer der Burg Haustein. Schon im Jahr 1379 mußte »wegen der Uebergriffe und Missethat, die aus der Festen Hatzstein und darin geschehen« die Burg von den Städten Mainz, Frankfurt, Friedberg und mehreren Reichsfürsten »von Landfriedens wegen« belagert werden. Sie wurde erobert und die Hattsteiner verpflichteten sich, ihre Erben und Nachkommen, daß »aus Hattstein oder darin, auf Straßen, auf Wasser oder auf Lande kein geistlicher Mann, Pilgrim, Kaufmannschaft, Juden noch andere unschädliche Leute nimmer sollen angegriffen oder geschädiget werden«. Wer dagegen handelt, soll »damit treulos, ehrlos, meineidig und in des Reichs Acht sein«. Allein die Ritter setzten sich über alle Verträge und Landfrieden weg, versuchten fortan in Fehden ihr Heil, und kein Jahr verging mit ihnen in Ruhe. Aus der Burg Hattstein wurden ungescheut die gewohnten Räubereien fortgetrieben. Wiederholt und im Jahr 1399 auf Befehl des Landvogts am Rhein wurde die Burg belagert. Während einer dieser Belagerungen wurde das Dorf Arnoldsheim geplündert, Kirche und Schule verbrannt. Keine Mittel, auch der Landfrieden nicht, waren hinreichend, dem Unwesen zu steuern. Besonders Frankfurt war den fortgesetzten Gewaltthätigkeiten der Ritter aussetzt, die mit ihrer Raubsucht oft die ausgesuchtesten Grausamkeiten gegen wehrlose Gefangene verbanden. Wegen der fortgesetzten »große viel und mancherlei Räuberei, Schinderei, Mord und Brände«, von den Hattsteinern begangen, schritt der Rat der Stadt Frankfurt abermals zu Fehde und Belagerung, im Jahr 1429, doch ohne Erfolg. Das Unwesen wurde immerhin fortgetrieben: Klöster, Dörfer, Land und Leute empfanden die Raubsucht der Hattsteiner. Im Jahr 1430 fing Konrad von Hattstein einen wehrlosen Mann, brandschatzte ihn und warf ihn ins Gefängnis, wo er wahnsinnig wurde und starb. Einen Bürger von Assenheim mißhandelte er auf gleiche Weise; lebenslang blieb derselbe lahm. Einen andern Mann, den Konrad der Junge fing, ließ er unter nichtigem Vorwand ermorden. »Glaube, Recht und Treue schien in dem Geschlecht erloschen.« Abermals verbündeten sich die benachbarten Fürsten und Städte im Jahr 1432 und sandten am 2. August »bei Sonnenschein und schönem lichtem Tag« die Fehdebriefe in die Feste, die sie am folgenden Morgen berennen und stürmen ließen und noch desselben Tages eroberten.

Diese Beispiele ritterlichen Treibens, welche Usener aus dem Umkreis weniger Meilen zusammenstellt, ließen sich durch zahllose ähnliche aus der Geschichte der Ritterburgen in allen deutschen Gauen vermehren, und welch unermeßliche Last von Gewaltthat und Elend ist von ihnen auf Tausende wehrloser Menschen gehäuft worden!

Während der arme Mann, wenn er auch nur einen kleinen Diebstahl verübte, am Galgen büßen mußte und seine Verbrechen mit den grausamsten Strafen verfolgt wurden, wußte sich der mächtige Räuber, der Ritter, welcher, wie man es nannte, »sich auf Reuterei verlegte« oder »vom Sattel« oder »vom Stegreif lebte«, jeder gerichtlichen Ahndung zu entziehen. Da mußte hie und da der Kaiser selbst einschreiten. So hat einst Rudolf I. auf einem Zuge nach Thüringen neunundzwanzig ritterliche Landfriedensbrecher aufknüpfen und sechsundsechzig Raubschlösser zerstören lassen und ebenso auf einem Zuge nach Schwaben bei Calw fünf Raubschlösser zerstört. Aber im ganzen wurden nur selten solche Exempel statuirt. Denn der deutsche Kaiser, sehr häufig selbst in Kriegszüge oder Fehden verflochten, fand wenig Zeit und hatte meist nicht einmal die Macht, den Frieden im Lande gegen solche Uebergriffe des Ritterwesens zu wahren.

Dazu kam, daß die Fehde im Mittelalter auf einem allgemein anerkannten Recht beruhte, dessen Grenzen nur freilich sehr vielfach weit überschritten wurden. Um dieses Fehderecht in seinem Wesen richtig aufzufassen, ist es nötig, auf die altgermanischen Rechtszustände zurückzublicken. Hier war der Staatsverband im Sinne des heutigen Staatsrechts noch gar nicht vorhanden, oder doch nur ein sehr mangelhafter. Es war zumeist dein einzelnen überlassen, sich wegen erlittener Verletzung Genugthuung zu verschaffen. Nur die Sitte, gestützt auf ihre Handhabung durch die Volksgenossen, schuf gewisse Ordnungen, welche späterhin auch dem geschriebenen Recht, den Gesetzen, einverleibt wurden.

Nach dieser altgermanischen Auffassung hatte derjenige, welcher böswillig einen andern verletzte, mit diesem den Frieden gebrochen, sich mit ihm in einen Kriegsstand gesetzt. Dabei hatte der Verletzte seine Familie und seine Freunde und Genossen zur Seite und sie hatten seiner sich anzunehmen. Sie konnten nun gegen den Friedbrecher Fehde erheben und in seinem Blute Genugthuung suchen und damit dem Verletzten wieder Frieden verschaffen. Doch galt dies Fehderecht nur bei wissentlicher Verletzung; wer bloß durch fahrlässige Handlung eines andern geschädigt war, konnte in der Regel lediglich eine »Buße« in Geld beanspruchen. Ueberdies war die Ausübung des Fehderechts noch an gewisse Schranken gebunden, so z. B. durfte in seinem Hause kein Befehdeter angegriffen oder verfolgt werden. Auch konnte der König dem Befehdeten seinen Königsfrieden erteilen und dadurch ihn gegen die Fehde schützen.

Verschieden von diesem altgermanischen ist das mittelalterliche Fehderecht, welches späterhin in seinen Ausartungen zum Faustrecht, zur Herrschaft roher Gewalt, geführt hat.

Als nämlich seit Karl dem Großen der Staatsverband überall ein festerer wurde, mußte die Staatsgewalt sich auch als Strafgewalt entschiedener ausprägen. War doch die gesamte Rechtsordnung die öffentliche Sicherheit und der allgemeine Frieden (im germanischen Sinn) durch ein schweres Verbrechen, durch Brand, Raub, Mord, offne Gewaltthat verletzt und daher nicht bloß der verletzte Einzelne, sondern der Staat selbst in der Lage, Genugthuung zu fordern, eine Genugthuung, welche in öffentlicher körperlicher Strafe an Leib oder Leben des Missethäters bestehen mußte. Daß der Staat gegen Verbrecher mit Strafe einzuschreiten habe, war zugleich eine Anforderung der Kirche, welche immer größere Macht auch in weltlichen Dingen erreichte; sie aber lehrte, daß die Obrigkeit das Schwert führen und damit Strafe gegen die Bösen vollziehen solle. Stets aber war das Einschreiten des Gerichts durch Klage von seiten des Verletzten oder seiner Angehörigen bedingt.

Nun wäre es allerdings konsequent gewesen, das Fehderecht völlig abzuschaffen und jede Selbsthilfe des Verletzten und seiner Genossen gesetzlich zu verbieten. Allein dem standen zwei Umstände entgegen. Noch war die altgermanische Anschauung im Volke mächtig, welche es zu den wichtigsten Rechten des freien Mannes zählte, sich wegen erlittner Verletzung selbst die Genugthuung zu nehmen. Sodann wäre ein Verbot der Fehde nur unter der Voraussetzung durchführbar gewesen, daß die Strafgewalt des Staats bei allen Verbrechen hätte einschreiten können. Dazu aber fühlte sich der Staat nach den damaligen Verhältnissen zu schwach. Häufig konnte der Verbrecher im Vertrauen auf seine und seiner Verbündeten Macht jeder richterlichen Ladung Trotz bieten und sich dem Vollzug des Urteils entziehen.

Es konnte sich also nur um Einschränkung und gesetzliche Regelung des Fehderechts handeln, zunächst in der Richtung, daß nur noch wegen schwerer Rechtsverletzungen Fehde erhoben werden durfte; solche Verbrechen hießen fortan Friedensbruchsachen. Die Reichsgesetze, in welchen bezüglichen Normen gegeben wurden, sind die sogenannten Landfrieden.

Aber die Gesetzgebung ging im Verlauf der Zeit noch weiter. Und damit wurde die entscheidende Wendung vollzogen, an die Stelle des altgermanischen ein ganz andrer Grundsatz gestellt. Der Verletzte sollte zunächst den ordentlichen Richter angehen und auf dem Weg der Klage die Bestrafung des Verbrechers und eben damit seine Genugthuung für die erlittne Verletzung suchen. Die Strafen, welche in Anwendung kamen, waren meist überaus hart und grausam. Aber sie konnten in vielen Fallen nicht erkannt oder nicht vollzogen werden, weil das Gericht des Angeklagten nicht habhaft zu werden vermochte. Für solche Fälle nun mußten auch Kaiser und Reich ein Recht zur Selbsthilfe anerkennen und die Fehde zulassen. Konnte der Richter dem Verletzten nicht Recht schaffen, so durfte dieser sich selbst Genugthuung nehmen und zwar auf dem Wege der Fehde. In diesem Falle, und nur in diesem Falle, war die Fehde eine rechtmäßige, ohne daß übrigens fernerhin zwischen groben und leichten Rechtsverletzungen unterschieden worden wäre. Aber auch die rechtmäßige Fehde wurde an gewisse Formen und Beschränkungen gebunden, um teils die Lage des dadurch Bedrohten zu erleichtern, teils die öffentliche Ruhe zu sichern. Es sollte dem Gegner – so forderte es ja schon der Grundsatz ritterlicher Ehre – Zeit gelassen werden, sich auf Gegenwehr zu rüsten, und Bedenkzeit, ob er nicht dem Verletzten Abfindung und anderweitige Genugthuung geben möchte. Es mußte also der wirklichen Fehde eine Ansage vorhergehen. Diese geschah in einem Fehdebrief, den ein Bote bei Tag in die Wohnung des zu Befehdenden bringt. In dem Fehdebrief benennt der Fehdelustige seinen Gegner und sich und in der Regel auch den Grund der Fehde, erklärt, daß er des andern Feind sein wolle, und verwahrt seine Ehre wegen aller Folgen durch den offnen Absagebrief.

So bestimmt schon der Reichsabschied von Nürnberg vom Jahr 1187: »Wir setzen auch und bestimmen durch dieses Edikt, daß, wer einem andern Schaden zuzufügen und ihn zu verletzen beabsichtigt, ihm mindestens drei Tage vorher durch eine sichre Botschaft absagen soll. Würde der Verletzte in Abrede ziehen, daß ihm vorher abgesagt worden sei, so soll der Bote, wenn er noch lebt, schwören, daß er von seiten seines Herrn zu bestimmter Stelle und Zeit abgesagt habe; ist der Bote tot, so soll der Herr in Verbindung mit zwei wahrhaften Männern schwören, daß er ihm abgesagt habe.«

Der kaiserliche Landfriede von 1235 sagt: »Was auch jemanden widerfahre – daß er das nicht räche! er klag es seinem Richter, es sei denn, daß er sich zur Not muß wehren seines Leibes und seines Gutes. Wer seine Klage aber anbringt: wird ihm nicht gerichtet, und muß er durch Not seinen Feinden widersagen, – das soll er thun bei Tage, und von dem Tage an bis an den vierten Tag soll er ihm keinen Schaden thun, weder an Leib, noch an Gut; so hat er drei Tage Frieden.«

Endlich schrieb der Reichsabschied von 1442 vor: »Niemand soll dem andern Schaden thun oder zufügen, er habe ihn denn zuvor zu gleichen billigen landläufigen Rechten (d. h. vor Gericht) erfordert (im Weg der Klage), und wenn ihm solches Recht vielleicht nicht so bald, als er wollte oder begehrte, gedeihen oder widerfahren möchte: so soll er dennoch seinen Gegner nicht angreifen oder beschädigen, er habe denn vorher alles das völlig und ganz gethan und vollbracht, was Kaiser Karls IV. goldne Bulle enthält und ausweist.«

Damit in Ausübung des Fehderechts nicht Ausschreitungen zum Schaden von dritten Unbeteiligten und Störungen des allgemeinen Verkehrs vorkommen möchten, hatten gewisse Personen, Orte und Gegenstände ihren besondern Frieden und durften in keiner Weise aus Anlaß einer Fehde geschädigt werden. Solchen Frieden hatten Geistliche, Pilger, schwer Kranke, Kaufleute und Fuhrleute, Weingärtner und Ackerleute, mit ihren Geräten, Kirchen und Kirchhöfe.

Eine weitere Schranke in Ausübung des Fehderechts lag in dem von der Kirche eingeführten Gottesfrieden. Kraft desselben mußte an gewissen Festtagen und in jeder Woche von Mittwoch abend bis Montag früh jede Fehde ruhen. Dieser Gottesfrieden wurde allwöchentlich besonders eingeläutet. Wer ihn verletzte, fiel in den Kirchenbann, und wenn er sich aus diesem nicht in gewisser Frist lösen konnte, in die Reichsacht.

Wer nun gegen diese gesetzlichen Normen handelte, wer Fehde begann, statt seine Sache vor Gericht zu bringen, oder in Ausübung des Fehderechts jene Schranken übertrat, der hatte den Frieden gebrochen; er war Landfriedensbrecher und mit der Strafe des Stranges bedroht.

So lautete die gesetzliche Vorschrift. Aber ganz anders sah es im wirklichen Leben aus. Den deutschen Adel des Mittelalters beseelte eine unbändige Rauflust und die vielen Kriege nährten auch in andern Kreisen die Neigung zu allerlei Gewaltthat. Sehr oft diente das Fehderecht zum Vorwand, räuberische Absichten zu verfolgen. Viele Fehdebriefe aus jener Zeit erwähnen gar nicht eines besondern Grundes der Fehde, sondern enthalten eben die nackte Erklärung, daß man des andern Feind sein wolle. Selbst gegen wohldisziplinierte Reichsstädte, in denen doch gewiß Justiz zu erlangen war, wurden noch im 15. Jahrhundert Fehden begonnen. So lautet z. B. ein Fehdebrief an die Reichsstädte Ulm und Eßlingen vom Jahr 1452 so: – »Wisset Ihr Reichsstädte, daß ich Claus Dur von Sulz und ich Waidmann von Deckenpfronn, genannt Ganser, und ich Lienhard von Bercken, genannt Spring ins Feld, Euer und aller der Eurigen Feind sein wollen, von wegen des Junker Heinrich von Isenburg. Und wie sich die Feindschaft fürder macht, es sei Raub, Brand oder Totschlag: so wollen wir unsre Ehr mit diesem unserm offnen besiegelten Brief bewahrt han.«

Selbst wenn die Fehde einen rechtmäßigen Anfang hatte, mußte sie bei der Rohheit der Zeiten leicht zu den gröbsten Gewaltthaten führen. Denn nun wurden die Güter des Gegners verwüstet, seine Gutsangehörigen und Hintersassen vergewaltigt, – und der arme Landmann mußte mit seiner Haut die Händel seines Gutsherrn bezahlen. Dieser letztre freilich nahm wieder Rache an den Besitzungen des Befehdenden – allein was gewannen dadurch seine armen Leute? Ein Markgraf rühmte sich einst, er habe in seinen Fehden 170 Dörfer verbrannt!

Besonders ein Umstand war es, wodurch die Fehden der allgemeinen Sicherheit höchst gefährlich wurden. Es galt für erlaubt, sich der rechtmäßigen Fehde eines andern anzuschließen. Da gab es nun viele Raubritter von Handwerk und viele verdorbne Leute, welche sich stets bereit finden ließen, auch die ungerechteste Fehde zu unterstützen und bei dieser Gelegenheit überall zu rauben und alle Gewaltthat zu üben.

Diese Zustände eines allem Recht Hohn sprechenden Faustrechts wurden in ganz Deutschland als eine wahre Landplage empfunden. Und doch währte solche Herrschaft roher Gewalt und kräftiger Fäuste bis gegen Ende des fünfzehnten Jahrhunderts, nur wenig gezügelt durch den ritterlichen Sinn, durch einzelne energische Kaiser, durch den Einfluß der Kirche und durch die Entwicklung der Städte.

So war es einem Verbrecher nur gar zu leicht möglich, den Gerichten sich zu entziehen und sogar auch ihnen offen zu trotzen im Vertrauen auf seine Burg und auf seine und seiner Genossen Fäuste. Der Schwache und Wehrlose wurde unterdrückt und mußte alle Unbill über sich ergehen lassen.

Inmitten dieser anscheinend unentwirrbaren Rechtlosigkeit und gegenüber der Unmacht fast aller Gerichte sehen wir in Westfalen einfache Volksgerichte, von Ungelehrten, meist Bauern besetzt, sich erheben, einen Hort des Rechts für jeden durch Verbrechen Geschädigten. Es sind dies die Vehmgerichte, welche bald mit unwiderstehlicher Macht ihrer Ladung und ihrem Richterspruch bis an die fernsten Grenzen des deutschen Reichs Geltung zu verschaffen wußten.

Immerhin aber war es ein ungesunder Zustand, wenn wegen Machtlosigkeit der einheimischen Gerichte der Freistuhl auf roter Erde auch von dem in andern Gauen des Reichs Verletzten angerufen werden mußte. Es galt daher, das entartete Fehderecht völlig zu beseitigen. Dies geschah, zunächst freilich noch auf dem Papier, auf wiederholtes Andringen der Reichsstände und Kaiser Maximilians I. im Jahre 1495 durch den sogenannten ewigen Landfrieden. Durch dieses Reichsgesetz wurde das Reichs-Kammergericht, welches für Ordnung und Frieden im Reiche sorgen sollte, neu organisiert, das Fehderecht ganz aufgehoben und jede Fehde bei Strafe des Landfriedensbruchs verboten. Aber noch lange Zeit wurde das Verbot übertreten, so daß es Sprichwort war: man traue dem Landfrieden nicht.

Die Gerichte gelangten allmählich zu größerem Ansehen und ausreichender Machtstellung. Aber im Strafverfahren selbst vollzog sich eine tief einschneidende Aenderung. An Stelle des alten Anklageverfahrens schritt man mehr und mehr von Amtswegen ein. Für diesen inquisitorischen Prozeß bildete sich ein geheimes und schriftliches Verfahren. Den Beweis der Schuld suchte man vorzugsweise durch Geständnis des Verdächtigen zu erbringen. Und hiebei geriet man auf die folgenschwerste Verirrung, nämlich darauf, das Geständnis durch die Folter zu erpressen. In ihrer grauenhaftesten Ausbildung sehen wir die Folter Jahrhunderte hindurch – in den Hexenprozessen gehandhabt.

Charakteristisch für die mittelalterlichen Zustände sind auch die schon oben berührten Strafarten in ihrer furchtbaren Mannigfaltigkeit. Auf eine sehr große Anzahl von Verbrechen war Todesstrafe gesetzt, und zwar nicht nur die einfache, durch Strang, Ertränken, Enthauptung, sondern in vielen Fällen eine geschärfte Todesstrafe: Rädern, Vierteilen, Pfählen, Verbrennen, Totsieden in Oel oder Wasser, Lebendigbegraben, Aushungern; ferner Todesstrafe mit vorhergehenden Schärfungen, wie Abhauen der Hand, Reißen mit glühenden Zangen. Vielfach fanden Anwendung verstümmelnde Strafen der grausamsten Art: Abhauen von Hand, Fuß, Abschneiden von Nase, Ohren, Lippen, Zunge; sodann Kerker in abscheulichen Löchern, mitunter lebenslang. Auf leichten Vergehen stand der sogenannte Staupenschlag d. h. Aushauen mit Ruten durch den Henker oder Züchtigung mit Stockstreichen. Als beschimpfende Strafe war der Pranger in Uebung. Dabei herrschte bei den Gerichten, in Ermanglung eingehender Gesetze, die größte Willkür in Erkennung und Vollzug der Strafen. Namentlich die Städte übten, um die öffentliche Sicherheit aufrecht zu erhalten, die grausamste Justiz, damit abschreckende Exempel statuiert würden und weil man meinte, gegen einen Verbrecher, als Feind des Gemeinwesens, sich alles erlauben zu dürfen.

Als endlich im Jahr 1532 ein Strafgesetzbuch für das deutsche Reich zustande kam, die peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karl V., die sogenannte Carolina, fanden sich zwar die Gerichte in ihrer Willkür einigermaßen beschränkt, aber die grausamen Strafen und die Folter waren, wie es der Charakter jener Zeit mit sich brachte, auch in die Carolina übergegangen. Erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts trat in dieser Beziehung eine durchgreifende Reform ein.

In welcher Weise die mittelalterliche Justiz zu verfahren pflegte, darüber geben namentlich die »schwarzen Register«, »Achtbücher« und »Blutbücher«, welche in den meisten Städten geführt wurden, Auskunft. Das »Achtbuch« bezieht sich auf die Ausgewiesnen und Flüchtlinge. Es mußte nämlich den Städten ganz besonders darum zu thun sein, schädlicher und unruhiger Leute loszuwerden. Sie wiesen sie deshalb aus, auf Zeit oder für immer; letzteres entweder geradezu oder in der Form einer Zeit, welche der Ausgewiesene nicht überleben konnte, z. B. auf 101 Jahre; und kamen Ausgewiesene vor der Zeit zurück, so wartete ihrer ohne weiteres harte Strafe, gewöhnlich die Todesstrafe. Oft begnügten sich die Gerichte selbst bei schweren Verbrechen mit der Ausweisung; man war doch des Menschen los; kam der Ausgewiesne unbefugt zurück, so konnte ihm schon deshalb wieder kurzer Prozeß gemacht werden: es ging ihm dann an den Hals. So sagt ein Statut der Stadt Köln vom Jahr 1437 von einem solchen, der aus der Stadt verwiesen wird: Kommt er wieder und ist es ein Mann, dem soll man sein Haupt abschlagen; ist es eine Frauensperson, die soll man lebendig begraben. Von einem solchen Verbrecher sagte man, er sei »auf seinen Hals verzellt«, d. h. er wurde ausgewiesen und, kam er zurück, hingerichtet. Um nun aber dem Ausgewiesenen, wenn er zurückkam, zu beweisen, daß er »verzellt« sei, legte man besondere Achtbücher an. In diese Achtbücher wurden die Ausgewiesnen, aber auch sonst Geächtete und Anrüchige eingetragen. In Koblenz wurde im Jahr 1317 ein Buch angelegt, in welches gröbere Verbrecher eingetragen werden sollten, um sie, wie es im Buche heißt, »vom guten Bürger unterscheiden und ihnen das, was sie verdienen, seinerzeit zukommen lassen zu können«. In diesem Buche wird nun der Verbrecher und sein Verbrechen kurz angeführt und bei denen, welche, wenn man sie ergreifen würde, der Todesstrafe gewärtig sein sollten, bloß ein Kreuz gemacht. –

In dem Blutbuche von Basel steht unter dem Jahre 1358: »Zöpfler soll fünf Meilen von der Stadt nimmermehr sein wegen des bösen Leumunds, der auf ihm ist, und breche er's, so soll man ihn ohne Gnade ertränken.« Ferner: »Der Salzschreiber Konrad von Ulm soll ewiglich leisten (d. h. verbannt sein), und wenn er sich dennoch betreten läßt, so soll man ihm ohne Urteil das Haupt abschlagen.« Ferner: »Niklas soll ewiglich für eine Meile leisten (d. h. eine Meile weit verbannt sein), weil er falsche Gulden in die Stadt gebracht hat; breche er das, so soll man ihn in einem Kessel sieden.«

Häufig führte man in den Blutbüchern ein fortlaufendes Verzeichnis aller vom Gerichte gefällten Urteile, ein Verzeichnis, welches man wohl das schwarze Register nannte. Selbst für diejenigen, die nur ein geringeres Verbrechen begangen hatten und mit leichter Strafe davonkamen, war es mißlich, in einem solchen Register zu stehen, weil jeden, der in dem Register stand, oder der, wie man es auch ausdrückte, »an den Brief gesetzt« war, die Nachteile des Uebelberüchtigten trafen, und es erklärt sich daraus wohl unser sprichwörtlicher Ausdruck »im schwarzen Register stehen«. Mit diesem schwarzen Register wurde nicht selten grober Mißbrauch getrieben, indem man wegen sehr geringer Vergehen leicht in dasselbe kommen konnte, und die Urkunden jener Zeit haben uns manche bittere Klagen einzelner Bürger darüber, daß sie wegen unbedeutender Veranlassung ins schwarze Register gesetzt und dadurch in Unglück gestürzt worden, aufbehalten.

In manchen Orten wurden besondre Register über besondre Verbrechen geführt, so z. B. in Basel im Jahr 1416 ein sogenanntes Totenbuch angelegt, in welcher jeder Meineidige und Eidbrüchige eingeschrieben werden sollte, »daß er ewiglich ein verworfener Mensch sei, aller Ehre und Aemter entsetzt, zu keinem Zeugen genommen und ein Jahr verwiesen sein soll.«

Jene Blutbücher nun geben über die Strafen, welche vom 13. bis zum 16. Jahrhundert in Anwendung kamen, sehr interessante Aufschlüsse. So findet sich in einem derartigen Buch, welches die Stadt Freiberg im Jahr 1423 anlegte, ein »schwarzes Register« von solchen, die »auf ihren Hals verzellt« wurden, d. h. in der Art in die Acht erklärt, daß, wenn man ihrer habhaft würde, sie unbedingt hingerichtet werden sollten, und dieses Verzellen auf den Hals kommt bei den verschiedensten Verbrechen vor, selbst bei sehr geringfügigen, bei solchen Übertretungen und Vergehen, die man heutzutage bloß polizeilich ahnden würde. So heißt es z. B. in jenem Buche: »Die Richter haben lassen verzellen Opatz Vogeler auf seinen Hals, darum, daß er freventlich Bier geschenkt hat, und da die Richter nach ihm sandten, da wollte er nicht kommen. Item die Richter lassen verzellen Himmelblau darum, daß zwei Messer bei ihm begriffen, und die doch verboten sind, auf seinen Hals.« Ferner: »Die Richter haben lassen verzellen Hans Rodenstock auf seinen Hals, darum, daß er bei Nacht auf der Gasse geschrieen: Wasser her, daß die Leute darob erschrocken sind und wollten meinen, es wäre Feuer.« Ferner: »Unsere Herren lassen verzellen Burkhardt Nickel darum, daß er ein brennendes Faß auf seinem Haupt vom Markt bis in die Weingasse getragen hat.« »Item meine Herren lassen verzellen den jungen Stroll darum, daß er am Charfreitag zu Wein gesessen und unziemliche Worte daselbst getrieben, auf seinen Hals.«

Die Blutbücher geben in schauerlicher Kürze Kunde von den erkannten und vollzogenen harten Strafen. Namentlich wurde die Todesstrafe sehr häufig mit grausamen Schärfungen in Anwendung gebracht. So finden wir die Strafe des Siedens (bei lebendigem Leibe) bald in Oel, bald in Wein, bald in Wasser nicht selten erkannt und vollzogen; ebenso eine der härtesten Strafen: das Lebendigbegraben und das Pfählen (wobei dem Verurteilten ein spitzer Pfahl ins Herz gestoßen wurde), oft noch mit Schärfungen, z. B. daß dem Gepfählten glühende Kohlen unter den Leib gelegt wurden. Besonders häufig finden sich diese Strafen, namentlich das Lebendigbegraben, gegen Frauen angewendet, (auch mit der Schärfung, daß der Delinquentin eine Dornhecke auf ihren Leib gelegt und sie nun mit Erde beschüttet werden soll) bei Verbrechen, auf welchen für Männer der Strang oder das Schwert gesetzt war. So setzt z. B. das Lübecker Recht vom Jahr 1266 fest, daß jede Frauensperson, welche einen mit dem Strang bedrohten Diebstahl begeht, lebendig begraben werde; und daß dieses Recht Jahrhunderte lang streng angewendet wurde, beweisen die Blutbücher von Lübeck. Urteile, wie folgendes, sind in denselben sehr häufig: »Anna Pipers, gebürtig von Wittenberg, hat bekannt, daß sie stahl einen Frauenrock, darum ist sie lebendig begraben unter dem Galgen.« Sogar nachdem im 16. Jahrhundert ein neues Lübecker Stadtrecht das Lebendigbegraben überging und bestimmte, daß Weibspersonen wegen Diebstahls mit dem Schwert gerichtet werden sollen, findet es sich doch noch später in dem Blutbuche aus dem Jahre 1575 bis 1592, daß Weibspersonen lebendig begraben wurden.

Aus andern Blutbüchern sieht man, wie diese Strafen allmählich abkamen. So heißt es in einem Nürnberger Blutbuche: »Als 1513 Meister Diepolt, der Henker, des Schellenklausen Tochter, eine Diebin, unter dem Galgen lebendig begraben sollte, hat sie sich so sehr gesträubet, daß sie sich die Haut an den Armen, Händen und Füßen so sehr aufgerissen, daß es den Henker sehr erbarmt und er den Rat gebeten, keine Weibsperson mehr also lebendig begraben zu lassen«; und wirklich wurde auch beschlossen, künftig die Weiber wegen Dieberei zu ertränken und ihnen etwa vorher die Ohren abzuschneiden, statt lebendig zu begraben. Bei diesem Ertränken der Weiber hat man es verschieden gehalten. Gewöhnlich wurden sie in einen leinenen Sack gebunden und in diesem ins Wasser geworfen; an manchen Orten aber warf man sie frei ins Wasser und dies gab dann nicht selten Veranlassung, sie zu begnadigen, wenn sie sich aus dem Wasser wieder herauszubringen wußten. So wurde z. B. nach dem Blutbuche von Basel im Jahre 1602 eine Kindsmörderin zum Ertränken verurteilt und in den Rhein geworfen; sie kam aber lebendig bei dem Thomasthore aus dem Wasser heraus und die Juristenfakultät erklärte nun, daß sie ihre Probe bestanden habe, und so wurde sie mit der Vermahnung, sich ehrlich zu halten, heimgeschickt. Nach demselben Blutbuche von 1634 ging es wieder ebenso bei einer Kindsmörderin, welche, als sie lebendig aus dem Wasser gezogen worden, bei Strafe des Schwerts verwiesen wurde. Allein bei diesem Anlaß gab der Rat die Verordnung, daß künftig dergleichen malefizische Weibspersonen nicht mehr mit dem Wasser, sondern mit dem Schwert hingerichtet werden sollten.

Die Blutbücher des 15. Jahrhunderts zeigen, wie man verhältnismäßig geringe Vergehen oft mit den härtesten Strafen zu ahnden pflegte. So wurden z. B. im Jahre 1456 in Nürnberg zwei Krämer, weil sie den Safran, den sie verkauften, gefälscht hatten, mit ihrer Waare lebendig verbrannt und ein Weib, das ihnen geholfen hatte, lebendig begraben.

Auch von den verstümmelnden Strafen, Handabhauen, Ohrenabschneiden u. dergl., sind die Blutbücher jener Zeit voll. Oft wurden sie in ganz besondrer Weise erkannt. So verurteilte ein Holsteinisches Gericht im Jahr 1466 einen Mann, der die Jungfrau Maria gelästert habe, dahin, daß man ihm seine Zunge auf den Block annageln soll, bis er sich selbst freimache. Ein ähnliches Urteil enthält das Blutbuch von Lübeck aus dem Jahre 1566; es wurden zwei Männer, welche auf einen andern bei Händeln das Messer gezückt hatten, verurteilt, daß »ihnen durch ihre linke Hand ein Messer geschlagen werden soll, welches sie selbst ausreißen mögen, und sie dann aus der Stadt verwiesen werden sollen, nicht wieder zu kommen, ohne der Obrigkeit Erlaubnis, bei Strafe des Strangs«.

Noch grauenvoller wird das Bild, wenn wir zugleich die »peinliche Frage« wirken sehen; z. B. eine Frau wird auf falschen Verdacht, ein Stück Silberzeug einem Kaufmann entwendet zu haben, hervorgerufen durch eine übelwollende Nachbarin und andere böse Zungen, in Haft genommen. Sie weiß nichts zu gestehn. Die Anwendung der Folter wird zulässig erkannt. Im Bewußtsein ihrer Unschuld übersteht sie die ersten Grade. Das Gericht will ein Resultat. Der Henker wird angewiesen, daß er der Verdächtigen schärfer zusetze. Endlich mit zerbrochenen Gliedern, ihrer nicht mehr mächtig, gesteht sie alles, was man von ihr wissen will: sie kann nicht mehr. Das Urteil lautet: sie soll nach drei Tagen lebendig begraben werden. Wer kann die Schrecken dieser Todesart würdigen? und welch entsetzliche Angst muß die Arme ausstehen! Es ist keine Rettung. Sie wird bei vollem Bewußtsein ohne Erbarmen lebendig begraben.

Dergleichen Beispiele von der Härte und Grausamkeit mittelalterlicher Justiz ließen sich viele anführen. Sie werden nur überboten durch die Schrecken der Hexenprozesse. Wie ganz anders, ein leuchtendes Vorbild echter Volksjustiz, erscheinen ihnen gegenüber die Vehmgerichte. Von beiden reden die folgenden Blätter.

Erste Abteilung. Die Vehmgerichte.


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