Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Die Ankunft des Postdampfers war immer ein Freudenfest für die jüngeren und selbst für die älteren Leute. Sanders aber haßte die Posttage, weil sie ihm einen ganzen Berg von Regierungskorrespondenzen brachten. Und die Regierung setzte sich nicht mit der Feder in der Hand hin, um ihm auf zartfarbenen Briefbogen Grüße zu schicken oder ihm nette Skandalgeschichten von seinen verschiedenen Freunden zu berichten.
Die Regierung erzählte ihm nur allerhand haarsträubende Dinge, die sich aber immer auf seine eigene Person oder auf seine Arbeit bezogen, die noch zu tun war, um Downing Street zufriedenzustellen.
Hamilton hatte eine Schwester, die ihm jede Woche schrieb. Dann gab es noch eine andere junge Dame ... Aber seine Briefe waren ein bescheidener Anteil im Vergleich zu der großen Post, die Leutnant Tibbetts bekam.
Bones erhielt immer ein dickes Paket Briefe und unzählige Pakete und konnte dann stundenlang an dem großen Tisch sitzen. Dabei pfiff er eine kleine Melodie vor sich hin und murmelte unzusammenhängende Worte. Es war geradezu unerhört, wie er es verstand, seine Briefe mit lauten Randbemerkungen zu versehen. Das ärgerte Hamilton natürlich. Kaum hatte Bones seine Briefe geöffnet und war halb mit der Lektüre fertig, als er auch schon anfing, sich mit dem Schreiber zu unterhalten.
»... arme Seele ... o meine Liebe ... was für ein verrückter alter Esel ... ach, sieh mal an ... das würde ich nicht tun, Billy ...«
Hamilton stellte fest, daß die Post seines Leutnants eher zu- als abnahm.
»Sie müssen eine Masse Schulden haben!« sagte er eines Tages zu ihm.
»Wie?«
»All diese Briefe!« Hamilton zeigte auf den Boden, der mit leeren Kuverts übersät war. »Vermutlich mahnt man Sie wegen Rückzahlung ...«
»Mein lieber Freund«, sagte Bones strahlend, »diese Briefe sind nur ein Zeichen dafür, wie beliebt und populär ich bin – unglaublich populär, Sir!« Er schluckte ein wenig, als er zwei elegante Kuverts aus dem Haufen von Briefen herausfischte. »Sie haben wahrscheinlich dieses Hochgefühl noch nicht gekostet, aber ich versichere Ihnen, es belebt, es erfrischt, es tut wohl!«
»Ganz verrückt!« sagte Hamilton und wandte sich wieder seiner eigenen Korrespondenz zu.
Bones arbeitete seine Post systematisch durch. Hin und wieder schlug er ein kleines Notizbuch auf, das in Maroquinleder eingebunden war. (Man sah daraus, daß er sorgfältig über jeden Brief Buch führte, den er nach Hause schrieb, und daß er sich über den Inhalt, das Abgangsdatum und die Antwort Bemerkungen machte.) Briefeschreiben war eine Leidenschaft von ihm geworden. Fast jeden Abend schrieb er lange Briefe an seine Freunde – meistens junge Mädchen –, und er war plötzlich in seiner Heimat berühmt geworden wegen seiner eindrucksvollen und bildhaften Erzählungsgabe.
Hamilton kam durch Zufall dahinter. Er erhielt einen Brief von seiner Schwester, der ihm die Augen öffnete. Sie erwähnte darin, daß sie gerade bei guten Freunden von Bones zu Besuch gewesen sei. Natürlich nannte sie ihn nicht Bones, sondern Mr. Tibbetts.
»Ich würde ihn gar zu gern kennenlernen«, schrieb sie. »Er muß ein sehr interessanter Mann sein. Aggie Vernon bekam gestern einen Brief von ihm, worin er seine schrecklichen Erlebnisse auf einer Löwenjagd schildert. Von einem Löwen verfolgt zu werden, der einen fängt und in sein Lager schleppt, muß doch fürchterlich sein! Mr. Tibbetts spricht aber sehr bescheiden darüber. Dann schrieb er Aggie noch, daß er nur dadurch entkommen konnte, daß er dem Löwen mit seinen Fingern die Augen ausstach. Aber von seinen späteren Erlebnissen berichtete er nichts mehr. Übrigens hat mir Aggie gesagt, daß du einen schweren Fieberanfall hattest und Mr. Tibbetts dich einige Meilen weit bis zum nächsten Doktor schleppte. Ich wünschte, du würdest mir diese Dinge nicht verheimlichen. Du mußt mir alles schreiben, auch wenn es noch so schlimm ist. Ich hoffe, daß dein interessanter Freund glücklich von seiner gefährlichen Expedition ins Innere zurückgekehrt ist. Er wollte gerade aufbrechen, als er seinen Brief abschickte, und schrieb von den geringen Aussichten, davon wieder gesund zurückzukehren ...«
Hamilton las den Brief wieder und wieder und ließ endlich Bones zu sich rufen.
Fröhlich und glückstrahlend kam er daher.
»Ich habe eben einen Brief über Sie bekommen, Bones«, sagte Hamilton leichthin.
»Über mich, Sir? Wohl vom Kriegsministerium? Habe ich eine Auszeichnung bekommen oder etwas dergleichen?« fragte er besorgt.
»O nein, nichts so Tragisches. Es ist nur ein Brief von meiner Schwester, die bei der Familie Vernon zu Besuch ist.«
Bones wurde plötzlich feuerrot.
»Was für ein bescheidener Kerl Sie doch sind!« sagte Hamilton voll Bewunderung. »Sie haben ganz allein eine Löwenjagd erlebt und niemandem ein Wort davon verraten!«
Bones schickte sich an, sich zu entschuldigen.
»Ich habe bis jetzt nicht einmal gewußt, daß es in diesem Land überhaupt Löwen gibt«, fuhr Hamilton erbarmungslos fort. »Lügner wohl, aber Löwen nicht. Aber es ist ja möglich, daß Sie welche mitgebracht haben. Aber Sie sollten doch wissen, daß es bei Löwenjagden als ein Akt äußerster Rohheit gilt, den Tieren mit den Fingern die Augen auszustechen? Auch verrät es wenig Weidmannsgefühl, das zu sagen. Und außerdem muß der Löwe entsetzliche Qualen gelitten haben.«
Bones schnitt verzweifelte Grimassen.
»Was würden Sie dazu sagen, wenn ein Löwe seine Finger in Ihre Augen steckte?« fragte Hamilton ernst. »Übrigens, Bones ich muß Ihnen noch meinen größten Dank aussprechen.«
Er erhob sich, nahm die Hand des widerstrebenden Bones in die seine und drückte sie herzlich.
»Ich danke Ihnen«, sagte er mit gebrochener Stimme, »daß Sie mir das Leben gerettet haben.«
»Aber ich bitte Sie –«, begann Bones schwach.
»Einen Mann achtzig Meilen weit auf dem Rücken fortzutragen, ist keine Kleinigkeit, Bones, besonders, wenn ich während der Zeit noch bewußtlos war –«
»Ich habe nicht behauptet, daß Sie das Bewußtsein verloren hatten, Sir.« Leutnant Tibbetts wußte nicht, was er weiter sagen sollte. Er war so rot wie eine Päonie.
»Und doch hatte ich kein Bewußtsein«, bestand Hamilton, »und auch jetzt weiß ich noch nichts von der Sache. Ich kann mich nicht an Ihre heroische Tat erinnern, Bones, aber ich danke Ihnen jedenfalls.«
»Lassen Sie mich doch aufklären –«
»Dann diese gefährliche Expedition, zu der Sie ausgezogen sind, eine Expedition, von der Sie nicht wieder zurückkehren wollten –«, sagte Hamilton. »Das ist die beste Geschichte, die ich seit Jahren gehört habe.«
»Sir«, erwiderte Bones in höchster Erregung, »ich bin erledigt. Die unterhaltsamen Märchenerzählungen, die ich schrieb, um sozusagen das Krankenbett eines unschuldigen Kindes zu erheitern, sind auf mein Haupt zurückgefallen.«
»O Bones, Bones!« lachte Hamilton.
»Sie müssen nicht denken, daß ich ein vollkommener Lügner bin«, begann Bones ernst.
»Das glaube ich ja auch gar nicht. Im Gegenteil, Sie sind der unvollkommenste, der mir jemals begegnet ist.«
»Ich bin ein Romancier, mein Herr!« Bones stand stramm und salutierte. Hamilton wußte nicht recht, ob dieser Gruß ihm oder dem romantischen Geist gelten sollte oder ob sich Bones diesen Salut in reiner Bewunderung eigener Größe selbst zudachte.
»Also, ich muß Ihnen sagen –«, erklärte Bones vertrauensvoll, »ich schreibe nämlich ein Buch!« Er trat einige Schritte zurück, um die Wirkung seiner Worte besser beobachten zu können.
»Worüber?« fragte Hamilton neugierig.
»Über Dinge, die ich erlebt und gesehen habe«, sagte Bones möglichst ausdrucksvoll.
»Ach so – eins von diesen kleinen Westentaschenbüchern?«
Bones schluckte die Beleidigung hinunter.
»Man hat bei mir angefragt, ob ich ein Buch schreiben wolle über meine Abenteuer und solche Dinge. Natürlich brauchen sie sich nicht wirklich ereignet zu haben –«
»Dann haben Sie recht, Bones. Wenn Sie ein Buch über Erlebnisse schreiben, die Sie nicht erlebt haben, dann sind dem Umfang und der Größe Ihres Werkes keine Schranken gesetzt.«
»Sie sind ein netter, grausamer alter Offizier, Sir«, sagte Bones, dem die kalte Ironie seines Chefs auf die Nerven fielen. »Ich meine es sehr ernst damit. Das ganze Land hier bietet unendlich reichen Stoff, und jeder sagt, daß ich ein Buch darüber schreiben müsse. Ich bin doch schon zwei Monate hier, zum Donnerwetter.«
»Mir scheinen es Jahre zu sein«, stöhnte Hamilton.
Bones meinte es wirklich so, wie er es sagte. Er sammelte Stoff zur Veröffentlichung eines Buches und träumte schon von einer großen literarischen Karriere und davon, daß man ihn schließlich zum Mitglied des Athenäumklubs machen würde. Es war wie eine Erleuchtung über ihn gekommen, daß er zu diesem Beruf ausersehen sei. Eine Woche, nachdem er sich endgültig dazu entschlossen hatte, seine Gaben als Schriftsteller zu nutzen, war die Post, die er absandte, schwerer denn je. Dreiundzwanzig englischen und amerikanischen Verlegern, deren Namen er einem kleinen Handbuch entnommen hatte, machte er den geschäftlichen Vorschlag, ein Buch von etwa 316 Seiten Umfang herauszugeben, Type und Satzspiegel wie beigefügtes Muster. Das Buch sollte den Titel führen:
Mein wildes Leben unter den Kannibalen
von
Augustus Tibbetts, Haussa-Leutnant,
Mitglied der Königlich Geographischen Gesellschaft, Mitglied der Königlich Asiatischen Gesellschaft, Mitglied der Ethnologischen Gesellschaft und des Klubs der jüngeren Armeeoffiziere
Bones bekleidete zwar alle diese Ehren nicht, mit Ausnahme der letzten, aber er sagte sich, daß es bald dazu kommen werde, wenn sein Buch erst ein großer Erfolg war. Kaum hatte er aber seine Briefe aufgegeben, so änderte er seine Absicht wieder und schrieb dreiundzwanzig weitere Briefe an dieselben Verleger mit einem neuen Titel:
Die Schreckensherrschaft der Wilden
Einige Beobachtungen der Gewohnheiten und Gebräuche wilder Stämme
von
Augustus Tibbetts, Leutnant
Es war unmöglich, Bones einzuschüchtern oder ihn von einem einmal gefaßten Vorsatz abzubringen. Er schrieb in jedem freien Augenblick unentwegt an seinem großen Buch. Seine gewöhnliche Korrespondenz litt schwer darunter, aber er war in dieser Beziehung rücksichtslos gegen sich und andere. Hamilton schickte ihn nach Norden, um die Hüttensteuer einzutreiben. Bones weigerte sich zuerst, den Befehl auszuführen, da er fest davon überzeugt war, daß Hamilton ihn nur an seiner Arbeit hindern wolle.
»Natürlich werde ich Ihnen gehorchen, wenn Sie mir einen Befehl in Übereinstimmung mit den Dienstvorschriften und all dem anderen Unsinn geben, aber glauben Sie mir, Sir, Sie begehen ein Unrecht an der Literatur. Ungeborene Generationen werden Rechenschaft von Ihnen fordern –«
»Nun aber Schluß!« sagte Hamilton ärgerlich.
Bones fand, daß ihm die Fahrt nach oben für das Schreiben seines Buches gut zustatten komme. Denn er brauchte Informationen aus erster Hand über viele interessante Dinge. Er nahm große Hefte auf seine Reise mit, auf die er Schilder geklebt hatte mit Aufschriften wie »Die Eingeborenengebräuche«, »Tänze«, »Ju-Jus«, »Alte Legenden«, »Mythologie« usw. Die Hefte waren fast alle leer und stellten beabsichtigte Kapitel seines großen Werkes dar. Es wäre wahrscheinlich alles gutgegangen mit Bones. Viele leere Seiten hätte er leicht mit seiner großen Handschrift füllen können, und wenn das Buch erst einmal gedruckt war, hätte es schon seinen Weg zu den billigen Buden des Farringdon-Marktes gefunden, wo es in beschmutzter Herrlichkeit neben den besten Werken unserer Zeit gelegen hätte. Aber Bones hatte plötzlich einen hervorragenden Einfall. Es gab ein Kapitel, das interessanter als alle anderen werden sollte. Er schrieb die verlockende Ankündigung in schönen Buchstaben und unterstrich sie zweimal:
»Die Seele der Eingeborenenfrau«.
Es war ein wunderbarer Titel. Er klang gut, entsprach dem ersten Thema und steckte voller Möglichkeiten. »Die Seele der Eingeborenenfrau«, wiederholte Bones in ekstatischer Begeisterung und Selbstbewunderung. Und nachdem er sich nun diesen Vorwurf gewählt hatte, wollte er auch etwas darüber herausfinden.
Bosambo hätte zu jener Zeit, wenn er es gewollt und literarische Fähigkeiten besessen hätte, viele Bücher über Frauen schreiben können. Sie hätten allerdings nur von einem Mädchen gehandelt, das D'riti hieß ...
D'riti war fünfzehn Jahre alt, herrlich gewachsen, trug ihr Haupt stolz erhoben und war sehr hochmütig, denn sie war die Tochter von Bosambos Hauptratgeber und die Enkelin eines Ochorikönigs. Außerdem besaß sie den Ehrgeiz, Bosambos Frau zu werden.
»Dies ist ein schlechtes Palaver«, sagte Bosambo, als ihr Vater ihm diesen Vorschlag machte, »denn du weißt, meine Frau ist mir tausend Frauen wert.«
»O Herr, ich werde dir zehntausend Frauen wert sein«, entgegnete D'riti kühn, die bei der Unterredung zugegen war. »Auch ist es vorhergesagt bei meiner Geburt, daß ich einen König heiraten werde oder einen, der größer ist als ein König.«
»Das bin ich«, sagte Bosambo, der seine Verdienste selbst nicht schmälerte, »aber es kann nicht sein.«
So verheirateten sie D'riti an den Sohn eines Häuptlings, der sie schlug, bis sie ihm eines Tages einen Blechtopf an den Kopf warf, der davon zerbeult wurde. Darauf schickte er sie zu ihrem Vater zurück und verlangte seine Morgengabe wieder, außerdem den Preis für den Kochtopf.
D'riti hatte einen großen Anhang, denn sie war eine berühmte Tänzerin und hatte einen geschmeidigen und schönen Körper. Sie hätte sich leicht wieder verheiraten können, aber sie verachtete die gewöhnlichen Männer so sehr, daß keiner um sie anzuhalten wagte. Auch war die Geschichte mit dem eisernen Kochtopf noch in frischer Erinnerung. So lebte sie müßig in dem Dorf ihres Vaters. Wenn die hochgewachsene, mädchenhafte Frau durch die Straßen ging, schauten ihr alle nach, wie sie sich in den schönen Hüften wiegte. Viele begehrten sie, aber keiner fragte um ihre Hand.
Sie kannte die Männer zu gut, um ihnen zu trauen. Mit einer fast unheimlichen Intuition, die gewisse Frauen aller Rassen besitzen, hatte sie die Männer durchschaut. Sie sprach mit einer so bewußten Überlegenheit von ihnen, daß die Leute, die in Hörweite waren und ihre beißenden Bemerkungen vernahmen, böse über sie wurden und sie ein schamloses Weib nannten.
So standen die Dinge, als die »Zaire« nach Ochoristadt kam. Bones war von freudiger Hoffnung erfüllt.
Denn wer konnte ihm besser über das Problem der Seele der Eingeborenenfrau Auskunft geben als Bosambo, der bereits sein Vertrauter und Busenfreund geworden war und wunderbarerweise eine offene Zuneigung zu seinem neuen Herrn gefaßt hatte. Nach einer langen Verhandlung über die Abgaben konnte Bones endlich auf sein Ziel losgehen.
»Bosambo, die Leute sagen, daß du sehr weise bist. Erzähle mir etwas von den Frauen der Ochori.«
Bosambo schaute Bones etwas verdutzt an. »O Herr«, sagte er, »wer kennt die Weiber? Denn steht es nicht geschrieben in der heiligen Sure des Djin, daß die Weiber und der Tod jenseits jeglichen Verstehens sind?«
»Das mag wohl wahr sein«, erwiderte Bones, »aber sieh her, ich mache ein Buch von weisen und wundervollen Dingen, und es wäre weder weise noch wundervoll, wenn nicht ein Wort über die Frauen gesprochen würde.«
Er erklärte ernst, daß er die Seele der Eingeborenenfrau kennenlernen und etwas von ihren Gedanken, ihren Träumen und ihren letzten Wünschen erfahren müsse.
»O Herr«, sagte Bosambo, nachdem er lange und tief nachgedacht hatte, »gehe zu deinem Schiff zurück. Ich werde dir ein Mädchen senden, das mit großer Weisheit denkt und spricht, und wenn du dich mit ihm unterhältst, wirst du mehr erfahren, als ich dir jemals erzählen kann.«
Gegen Sonnenuntergang kam D'riti auf die »Zaire«. Sie war nackt bis zur Mitte und trug nur einen dünnen Rock aus feiner Seide, den ihr Vater von der Küste mitgebracht hatte. Sie hatte ihn eng um sich geschlungen, aber doch nicht so eng, daß er sie am Gehen hinderte. Plötzlich stand sie vor Bones, der durch ihren Anblick außer Fassung geriet. Eine ihrer schmalen Hände stützte sie auf die Hüfte, neigte den Kopf ein wenig zu ihm und schaute ihn aus dunklen, langbewimperten Augen fragend an.
Bones sah, daß sie viel schöner war als alle Eingeborenenfrauen. Sie hatte eine gerade, schmale Nase, volle Lippen, die aber nicht wulstig waren. Sie war eine Ochorifrau, und die Ochoris sind entfernt mit den Araberstämmen verwandt.
»O Herr, der König Bosambo sandte mich, um mit dir über Frauen zu sprechen«, sagte sie einfach.
»Das kann ja gut werden!« sagte Bones zu sich selbst und wurde rot.
»O D'riti«, begann er verlegen, »es ist wahr, ich wollte über Frauen sprechen, denn ich mache ein Buch, das alle weißen Leute lesen werden.«
»Deswegen bin ich gekommen. Nun höre, o mein Herr. Ich werde dir von Frauen erzählen und von all ihren Gedanken, von ihrer Liebe zu den Männern und von der sonderbaren Art, wie sie ihre Liebe zeigen. Auch von Kindern –«
»Meine Liebe«, sagte Bones laut, »ich wünsche keine vertraulichen Mitteilungen.«
An ihrem Stirnrunzeln sah er, daß sie ihn nicht verstand.
»O Herr, ich werde dir alles sagen«, sprach sie sanft. »Denn du hast ein freundliches Gesicht, und ich sehe, daß dein Herz rein ist.«
Und nun begann sie, und Bones hörte mit offenem Munde zu ... Später fühlte er, wie sich ihm die Haare sträubten. Er versuchte zu protestieren, aber sie ließ sich nicht stören. Mit rückhaltloser Eindeutigkeit sprach sie über Dinge, über die man niemals spricht. Es war unmöglich, ihr Einhalt zu gebieten.
»Gütiger Himmel!« stöhnte Bones.
Sie erzählte ihm, was Weiber von Männern denken und was sich die Männer über die Gedanken der Weiber einbilden. Und es lag ein ganz gewaltiger Unterschied darin, wenn man ihren Worten Glauben schenken durfte.
Er fragte sie, ob sie verheiratet sei.
»O Herr«, sagte sie schließlich und sah ihn nachdenklich an, »es steht geschrieben, daß ich einen Mann heiraten soll, der größer ist als die Häuptlinge.«
»Ich will auch wetten, daß dem so ist«, dachte Bones, und dabei kam ihm der Angstschweiß.
Als sie sich verabschiedete, nahm sie seine Hand und preßte sie an ihre Wange.
»O Herr«, sagte sie sanft, »morgen, wenn die Sonne am Untergehen ist, werde ich wiederkommen und dir mehr erzählen ...«
Bones fuhr vor Tagesanbruch fort. Er hatte alles von ihr erfahren, was er für sein Buch brauchte, und noch viel mehr. Als er den Fluß hinunterfuhr, machte er an mehreren Plätzen halt.
Bei Ikan ließ er die »Zaire« für die Nacht festmachen. Während seine Leute das Feuerholz an Bord schafften, setzte er sich nieder, um das aufzuschreiben, was er gestern erfahren hatte. Er war noch eifrig an der Arbeit, als Abibu zu ihm kam.
»O Herr«, sagte er, »eben ist die Frau in einem schnellen Kanu gekommen, die gestern abend mit dir gesprochen hat.«
»Donnerwetter!« Bones wurde blaß. »Sage ihr, daß ich nicht da bin.«
Aber D'riti kam in diesem Augenblick schon um die Ecke des Deckhauses, scheu und bescheiden, aber doch mit einem gewissen Zutrauen.
»O Herr«, sagte sie, »siehe, ich bin hier, deine arme Sklavin. Es gibt noch viele wunderbare Dinge über Frauen, die ich dir nicht erzählt habe ...«
»O D'riti«, sagte Bones verzweifelt, »ich weiß alles, und es ist nicht schicklich, daß du mir nachfolgst und dich so weit von zu Hause entfernst. Du setzt dich bösem Gerede aus.«
Er sandte sie zu der Hütte der Frau des Häuptlings M'linifobini von Ikan und gab Anweisung, daß sie am nächsten Morgen nach Hause zurückgeschickt werden sollte. Dann machte er sich wieder an die Arbeit, aber er fand sie jetzt sehr langweilig. Er traf alle Vorsichtsmaßregeln, daß sich das am folgenden Tag nicht wiederholen konnte.
Beim Morgengrauen fuhr er den Fluß in voller Fahrt hinunter und hielt bis zum Abend nirgends an, so daß er nur noch eine kurze Tagesreise von der Residenz entfernt war.
»Heute wird mich das arme, nette Ding nicht mehr einholen«, sagte er zufrieden und entdeckte gleich darauf, daß sich das arme, nette Ding in der Nacht hinter einem Stoß Feuerholz auf dem Dampfer versteckt hatte.
»Das ist aber schrecklich unangenehm«, sagte Hamilton und hustete.
Bones schaute seinen Vorgesetzten mit einem ergreifenden Blick an. »Es ist ganz verteufelt unangenehm, Sir«, gab er traurig zu.
»Sie will nicht zurückkehren?«
Bones schüttelte den Kopf. »Sie sagt, ich bin für sie der Mond und die Sonne, und all solche verrückten Dinge«, seufzte er und trocknete seine Stirn.
»Schicken Sie die Frau einmal zu mir«, sagte Hamilton.
»Seien Sie aber freundlich«, bat Bones, dem elend zumute war. »Nach allem scheint das arme Mädchen in mich verliebt zu sein. Sir – das menschliche Herz –, ich weiß nicht, warum sie eine Neigung zu mir gefaßt hat.«
»Ich weiß es auch nicht«, sagte Hamilton kurz. »Wenn sie verrückt ist, werde ich sie zum Missionskrankenhaus an die Küste schicken.«
»Sie haben ein hartes und kaltes Herz«, sagte Bones traurig.
D'riti kam, bereit, ihren ganzen Ärger und ihre Beredsamkeit auf Hamilton loszulassen. Sie drohte sogar in Feindseligkeiten auszuarten.
»D'riti«, sagte Hamilton, »morgen werde ich dich zu deinem Volk zurückschicken.«
»O Herr, ich bleibe bei Tibbetti, der die Frauen liebt und glücklich ist, wenn er von ihnen sprechen kann. Und eines Tages werde ich sein Weib sein, denn dies ist prophezeit worden.« Dabei schaute sie den armen Bones zärtlich an.
»Das ist unmöglich«, sagte Hamilton ruhig. »Denn Tibbetti hat drei Weiber. Sie sind alt und böse –«
»O Gott!« jammerte Bones.
»Und sie werden dich schlagen – auch mußt du Holz und Wasser tragen!« fuhr Hamilton fort. Er sah, wie D'ritis Gesicht einen Ausdruck der Furcht zeigte. »Und außerdem ist mein Herr Tibbetti verrückt, denn bei Vollmond tritt Schaum vor seinen Mund, dann beißt er und brüllt fürchterlich!«
»Gemeine Arglist!« seufzte Bones.
»Gehe deshalb, D'riti!« sagte Hamilton. »Und ich werde dir ein Stück feines Tuch schenken und Perlenketten in vielen Farben.«
Es ist eine geschichtliche Tatsache, daß D'riti wieder nach Hause ging.
»Ich weiß nicht, was Sie von mir denken«, sagte Bones bescheiden, »ich konnte sie aber nicht mehr loswerden –«
»Sie haben es wahrscheinlich gar nicht versucht«, sagte Hamilton und suchte in seiner Tasche nach der Pfeife. »Sie hätten sie schon loswerden können, wenn Sie nur gewollt hätten!«
»Wie hätte ich das machen sollen?«
»Sie hätten ihr nur mit Ihren Fingern die Augen auszustechen brauchen!«
Bones schluckte seinen Ärger hinunter.