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Tobolaka, der König der Isisis, wurde, da er ein Christ war, wegen seiner Vorzüge zum Bakkalaureus der schönen Künste ernannt. Eine Zeitlang regierte er sein Land weise, und er hätte in allen Ehren grau werden können, aber ein allzu großer Ehrgeiz gewann die Oberhand über ihn.
Denn Tobolaka war, als er noch ein Knabe war, von einem allzu eifrigen Baptisten mit nach Amerika genommen worden; er wurde auf einem College erzogen und hatte sogar Vorträge in Amerika und England gehalten. Er machte, wie man mir berichtete, ganz leidliche lateinische Verse, erklärte gewandt die freie Silberwährung Mr. Bryans und trug Lacklederschuhe mit breiten seidenen Schnürsenkeln.
In London zog er die Aufmerksamkeit eines neugebackenen Unterstaatssekretärs für die Kolonien auf sich. Dieser Unterstaatssekretär war ein Neffe des Ministerpräsidenten, ein Vetter des Kriegsministers und Schwiegersohn des Großkanzlers; aus diesem Grunde hatte er Verbindungen, die die meisten Unterstaatssekretäre für gewöhnlich nicht besitzen.
»Was für Pläne haben Sie, Mr. Tobolaka?« fragte ihn der Unterstaatssekretär.
Herr Tobolaka war etwas zurückhaltend.
»Ich fühle, Mr. Cardow,« sagte er, »daß meine Lebensaufgaben in meinem Lande liegen – nein, ich will damit nicht etwa sagen, daß ich irgendwelche Neigung für den Missionarsberuf habe. Für Verwaltung fühle ich mich schon eher berufen. Ich bin, wie Sie ja wissen, ein Isisi, also reiner Bantuschlag, soweit die Sage diese Streitfrage unterstützt –, und ich habe oft daran gedacht, daß hier außergewöhnliche Möglichkeiten für ein Ansammeln von Interessen liegen, da die Isisis eine herrschende Rasse sind. In der Tat ...«
»Eine glänzende Idee ...! Eine großartige Idee!« rief der Unterstaatssekretär begeistert.
Dieser junge Mr. Cardow suchte schon seit Jahren nach irgendeinem Plane, den er zu seinem eigenen Nutzen fördern könne. Nach Art aller sich entfaltender Parlamentarier suchte er sehnlichst mit einer Bewegung Verbindung, die Zeitungsartikel und Abhandlungen nach sich zöge, und die ihm den Beifall oder die Mißbilligung der Presse eintrüge, je nach den besonderen politischen Schattierungen, die die einzelnen Zeitungen vertraten.
Deshalb entwickelte er in der Stille seines Zimmers in Whitehall Court einen Plan, den er seinem Vorgesetzten unterbreitete. Dieser große Geist versprach, die Arbeit an einem bestimmten Tage zu lesen und war bestürzt, als er sich einer Schrift von vierzig Folioseiten in Maschinenschrift gegenübersah, gerade in dem Augenblicke, als er den 10 Uhr 35 Minuten nach den Cotswold-Golf-Feldern abgehenden Zug zu erreichen eilte.
Er stopfte das Manuskript in seine Aktenmappe und vergaß es gänzlich. Bei seiner Rückkehr in die Stadt entdeckte er, daß er durch irgendwelchen unglücklichen Zufall den Entwurf zu dem großen Plan irgendwo liegengelassen hatte.
Da er indessen nicht umsonst Politiker war und sich also zu helfen wußte, schrieb er an seinen Untergebenen.
»Lieber Cardow, ich habe Ihr wertvolles Dokument mit mehr als gewöhnlichem Interesse gelesen. Ich halte es für eine ausgezeichnete Idee.« – Er wußte, es war eine Idee, weil Cardow ihm das gesagt hatte. – »Aber ich sehe viele Schwierigkeiten. Schicken Sie mir doch eine Abschrift davon! Ich möchte es einem Freunde senden, der mir sein Sachverständigenurteil darüber abgeben soll.«
Es war ein schlauer, aber ein unvorsichtiger Brief, denn auf Grund dieses Briefes warb der Unterstaatssekretär die Sympathien und den tatkräftigen Beistand der Kollegen seines Vorgesetzten.
»Hier haben wir einen Eingeborenen, und zwar einen Eingeborenen von Erziehung, der patriotisch gesinnt und intelligent ist und voller Pläne steckt. Es ist das eine seltene Gelegenheit, eine glänzende Gelegenheit. Lassen Sie ihn in sein Vaterland zurückkehren und dort seinen Faden spinnen!«
Diese Unterhaltung fand im Zimmer des Ministerpräsidenten statt; es waren drei Minister der Krone anwesend, einschließlich eines Unterstaatssekretärs des Innern, der sich offensichtlich langweilte, denn er verfolgte seine eigenen Pläne und hätte viel lieber ein von ihm entworfenes Handwerker-Grundstücksgesetz erörtert.
»Befindet sich nicht ein Bezirksamtmann Sanders in jener Gegend?« warf er matt ein. »Ich glaube, mich eines solchen dieses Namens erinnern zu können. Und sind nicht Unzuträglichkeiten mit den kleineren Häuptlingen wahrscheinlich, wenn wir so 'ne Sorte von »Zentralafrikanischem Kaiser« einsetzen?«
»Darüber kommen wir schon hinweg,« meinte Cardow eifrig, »und was Sanders anbetrifft, so erwarte ich dessen Unterstützung. Eine am Isisifluß eingesetzte Dynastie könnte allen Unruhen ein Ende bereiten, die wir dort gehabt haben.«
»Es könnte auch anderen Dingen ein Ende bereiten«, sagte der ungeduldige Staatssekretär des Innern. »Zum Beispiel, wegen des Grundstücksgesetzes sollten wir, denke ich, Cronks Verbesserungsvorschlag annehmen.«
Einige Wochen später wurde Mr. Tobolaka nach Whitehall Court gerufen.
»Ich glaube, Mr. Tobolaka,« begann Cardow zuvorkommend, »ich habe alles so weit, um einen Versuch mit unserem Plan zu machen. Die Regierung hat zugestimmt – nach einem harten Kampfe mit den maßgebenden Stellen, gebe ich zu –, Sie am Isisi als König und obersten Herrscher über die Isisis, Ochoris, N'Gombis und Akasavas einzusetzen. Man wird Ihnen eine jährliche Apanage zubilligen und Ihnen eine Residenz in der Isisistadt bauen. Sie werden Mr. Sanders etwas – äh – schwierig finden, aber Sie müssen eben große Geduld haben.«
»Herr,« antwortete Tobolaka mit tiefer Bewegung, »ich bin Ihnen ee–ewig zu Dank verpflichtet. Sie waren wahrhaftig gütig gegen mich, und ich hoffe, ich werde alles zum besten lenken.«
Während der Fahrt Tobolakas nach seinem Reich befahl Sanders alle Häuptlinge zu einem Palaver, und sie kamen, um ihn in der Isisistadt zu treffen.
»Häuptlinge und Älteste,« redete Sanders sie an, »ihr wißt, daß das Isisivolk sich vor vielen Monaten in einem unglücklichen Augenblick erhob, um vom Gesetz verbotene Opfer zu bringen. Deshalb kam ich damals mit meinen Soldaten und nahm den König mit mir in die Stadt der Ketten, wo er sich noch befindet. Weil nun die Isisileute ein unzuverlässiges Volk sind, setzt meine Regierung einen neuen König ein. Dieser neue König ist Tobolaka, der Sohn Yoka 'n'kemas, des Sohnes Ichulomos, des Sohnes Tibilinos.«
»Herr,« schnappte ein Isisiältester, »diesen Tobolaka kenne ich. Die Missionare nahmen ihn mit sich in ihr eigenes Land, wo er lernte, ein Weißer zu werden.«
»Dennoch verspreche ich euch, daß er schwarz ist,« entgegnete Sanders trocken, »und er wird noch schwärzer werden. Außerdem, ihr Häuptlinge von Ochori, N'Gombi und Akasava, dieser neue König wird auch euch regieren, da er als Oberherrscher dieser Gegenden eingesetzt ist. Und ihr sollt ihm Geschenke bringen und Tribut zahlen, wie das Sitte ist.«
Verhängnisvolles Schweigen trat ein.
Darauf sprach O'kara, der Häuptling der Akasavas, ein alter und anmaßender Mann:
»Herr,« sagte er, »ich habe viele Dinge gelernt, so zum Beispiel geheimnisvolle Dinge und Teufelszauber. Aber noch niemals in meinem Leben habe ich gehört, daß die Akasavas an die Isisis Tribut zahlten. Denn, Herr, im Jahre der großen Überschwemmungen fochten die Akasavas mit den Isisis und schlugen sie in die Flucht; auch zur Zeit, als es noch Elefanten gab, besiegten wir die Isisis zu Lande und zu Wasser, ja, wir säßen heute in ihrem eigenen Lande, wenn Euer Lordschaft nicht mit Soldaten und Geschützen gekommen wäre und uns zur Rückkehr veranlaßt hätte.«
Die Akasavaältesten murmelten Beifall.
»Auch wir N'Gombileute«, sagte einer ihrer Häuptlinge, »sind wackere Kämpfer, und oft haben die Isisileute vor unseren mächtigen Schlachtrufen gezittert. Ich für meinen Teil schämte mich, wenn ich Tobolaka Tribut zahlen müßte.«
Nun wartete man darauf, daß Bosambo von den Ochoris in diesem Palaver das Wort ergriffe, aber dieser schwieg, weil er noch nicht sicher war, worauf der Bezirksamtmann hinaus wollte. Andere Männer ergingen sich in weitschweifigen Reden, indem sie das von ihren Häuptlingen hingeworfene Stichwort aufnahmen. Nur die Ochorileute sagten nichts.
»Denn, wie sollte ich reden?« fragte Bosambo nach dem Palaver. »Niemand weiß, wie Eure Lordschaft denkt.«
»Ihr habt doch Ohren«, antwortete Sanders etwas unwirsch.
»Groß genug sind sie«, gab Bosambo zu. »So groß, daß sie Eurer Herrlichkeit schöne Stimme hören, dennoch sind sie nicht so lang, um Eurer Herrlichkeit liebevolle Gedanken zu erraten.«
Sanders' Gedanken waren durchaus nicht liebevoller Natur, und sie büßten an Liebesfülle von Tag zu Tag um so mehr ein, je näher das Schiff kam, das Tobolaka nach seinem Reiche trug.
Sanders ging nicht an den Strand, um ihn zu empfangen. Er erwartete Tobolaka auf der Veranda seines Wohnhauses, und als dieser ankam, von Kopf bis zu Fuß in fleckenlosem Weiß und einen Tropenhelm genau nach kolonialem Muster auf dem Schädel, fluchte Sanders geläufig auf alle sich dreinmischenden und experimentierenden Regierungen.
»Ah, Mr. Sanders, ich darf mir wohl erlauben?« sagte Tobolaka auf englisch und streckte ihm seine Hand entgegen.
»Häuptling,« antwortete Sanders im Isisidialekt, »du weißt, daß ich Sandi bin, deshalb rede nicht wie ein Affe, sondern sprich lieber die Sprache deines Volkes, dann werde ich dich besser verstehen und du mich auch.«
Tobolaka hatte sich nämlich eine würdevolle kleine Rede ausgedacht, in deren Verlauf er beabsichtigte, Sanders zu der glänzenden Verfassung, in der sich dessen Bezirk befand, zu beglückwünschen und ihn seiner eigenen freudigsten Mitarbeit zu versichern, und die er in einer Versicherung seiner Wünsche ausklingen zu lassen gedachte, daß immer herzlichstes Einvernehmen zwischen ihm und dem Staate bestehen sollte.
Diese Rede war aufgebaut auf eine ähnliche Rede, die König Peter von Serbien hielt, als er die Krone annahm. Aber unglücklicherweise war diese Rede englisch abgefaßt, und der am nächsten kommende Ausdruck für Beglückwünschung im Isisidialekt ist eine landläufige Phrase, die wörtlich meint: »Hoher Mann sieht freundlich auf Hund von einem Sklaven, der zu seinen Füßen liegt«. Und das, empfand Tobolaka, wäre natürlich verfehlt gewesen, denn er war doch gekommen, um den Bezirksamtmann auf seinen Platz zu verweisen.
Sanders ließ sich später herbei, Englisch zu sprechen, als Tobolaka sich über die Minister seines zukünftigen Kabinetts unterhielt.
»Ich werde – auf den Vorschlag des Premierministers hin – bemüht sein, Bezirksräte einzusetzen,« sagte Tobolaka, »ich glaube, es ist möglich, den Eingeborenen zu einem Verständnis seiner Verantwortlichkeit zu bringen. Wie Cicero sagte ...«
»Kümmere dich doch nicht um Cicero!« sagte Sanders kalt. »Es handelt sich nicht darum, was Cicero sagte, sondern darum, was Bosambo sagen wird. Es gibt Philosophen an diesem Fluß, die die Alten weit hinter sich lassen.«
Tobolaka fuhr in einem ihm von den Isisileuten gesandten Kanu nach seinem neuen Heim. Er winkte mit dem Zaunspfahl, daß ein feierlicher Einzug an Bord der »Zaire« recht angebracht wäre.
»Und ein Salut mit zehn Geschützen!« knurrte Sanders in der Isisisprache. »Mach', daß du in dein Land kommst, Häuptling, ehe ich meine Geduld verliere, denn ich bin nicht in Stimmung, mit dir zu palavern.«
Tobolaka hielt sich lange genug am Bezirksamtssitz auf, um privatim an den bewundernswerten Herrn Cardow zu schreiben; er klagte, daß das Verhalten des Bezirksamtmanns ihm gegenüber wenig entgegenkommend gewesen sei. Dieser habe ihm eine beklagenswerte Abneigung gezeigt. Dieser Brief schloß mit achtungsvollen Wünschen für Mr. Cardows Gesundheit und einem Nachsatz, der sich bezeichnend und unheilvoll in der Richtung bewegte, daß der Schreiber hoffe, die guten Beziehungen, die bereits zwischen Großbritannien und den Vereinigten Staaten beständen, durch Mittel, die er nicht angab, weiter zu befestigen.
Der ausgezeichnete Mr. Cardow war offensichtlich durch diese rätselhafte Nachschrift vor eine schwierige Frage gestellt, aber er war zu beschäftigt, um Tobolaka zu antworten.
Tobolaka kam in seiner Stadt an und wurde stürmisch von einem Volke bewillkommnet, das jederzeit bereit war, über etwas zu jubeln, das Tänze und Feste versprach.
Er saß in seinem weißen Tropenanzug und weißen Tropenhelm im Palaverhaus, einen Kavalleriepallasch (den Sanders nicht gesehen hatte) zwischen seinen Knien und die weiß behandschuhte Hand auf dem Degenkorb.
Er hielt eine Ansprache in der Isisisprache, die sie verstanden, und sprach dann auf englisch zu ihnen, das sie nicht verstanden, aber für wundervoll hielten. Er rezitierte auch so viel aus der »Ilias«, wie er sich zu erinnern vermochte; dann wurde er im Triumph und ein wenig heiser zu dem großen Häuptlingshaus geleitet, wo junge Mädchen ihn bedienten und zu seiner Unterhaltung vor ihm tanzten.
Sanders erfuhr von diesen Dingen, und nicht nur davon. Er erfuhr, daß die Isisis nach europäischer Art regiert werden sollten. Eines Tages kam Cala zu Tobolaka, ein verleumderischer Ältester aus dem Dorfe Toroli, mit glatten schmeichlerischen Worten. Tobolaka ernannte diesen zum Justizminister, obwohl der Kerl ein berüchtigter Dieb war. Mijilini, den Häuptling eines Fischerdorfes, machte er zu seinem Kriegsminister; er hatte einen Minister des Innern, einen Landwirtschaftsminister und einen Fischereikommissar.
Sanders, der flußaufwärts dampfte, stieß auf das Kanu Limibolos, des Akasavamannes, und dessen Kanu war mit Zeug und Speeren geschmückt, wie zu einer Hochzeit.
»Herr,« sagte Limibolo würdevoll, »ich fahre nach meinem Dorf, um da ein Palaver zu halten, denn mein Herr und König hat mich mit einem gewissen Namen bezeichnet, den ich zwar nicht verstehe, aber der mit dem Aufhängen von Bösewichten zu tun hat, und, bei Iwa! ich kenne zwei Leute in meinem Dorfe, die mir Salz schulden, und, beim Tode! sie sollen sofort hängen!«
»Dann werde ich kommen, und du sollst auch hängen«, sagte Sanders mißgestimmt. »Darauf kannst du dich verlassen!«
Es sickerte durch, daß der lustige Limibolo zum Sheriff ernannt worden war. Tobolaka war im Begriff, zur Erhöhung seines Ansehens eine Armee zu schaffen, als Sanders auf der Szene erschien. Er kam ohne Ankündigung an, und Tobolaka hatte keine Gelegenheit, um ihn mit jener Pracht zu empfangen, zu der der König sich selbst sowie dem Vertreter des Gouvernements gegenüber für verpflichtet hielt.
Aber er hatte reichlich Zeit, um an das Ufer hinunterzugehen und den Bezirksamtmann zu begrüßen, wie es Sitte war. Anstatt dessen blieb er vor seiner Hütte sitzen und sandte seinen diensttuenden Minister, den Lumpen Cala.
»O Cala,« sagte Sanders, als er über die schmale Laufplanke von der »Zaire« an Land trat, »was stellst du in diesem Lande vor?«
»Herr, ich bin ein großer Diebfänger auf Befehl meines Königs. Auch halte ich das Böse im Schach, wo immer es auftritt.«
»O Ko!« klang es in beleidigendem Tone von Sanders, »da du der größte Dieb von allen bist, halte ich es für das beste, du fängst erst dich selbst, ehe ich dich fange.«
Sanders ging durch die Stadt.
Der König war geschäftig gewesen. Rohe Tafeln waren an jeder Straßenecke errichtet worden. Es gab da eine »Downing Street«, eine »Fifth Avenue«, eine »Sacramentostraße«, ein »Piccadilly« und einen »Broadway«.
»Das hier«, erklärte Cala, »sind gewisse Teufelszeichen, die mein König aufgestellt hat, um Hexen und böse Geister zu warnen, und sie müssen eine große Zauberkraft haben, denn, Herr, mein Sohn war von Schmerzen im Magen befallen, als ihn hier« – er zeigte auf »Broadway« – »die Schmerzen verließen.«
»So, so«, sagte Sanders.
Tobolaka erhob sich von seinem Throne und bot Sanders die Hand.
»Es tut mir leid, Mr. Sanders,« begann er, »daß Sie mir Ihre Ankunft nicht vorher angezeigt haben.«
»Wenn ich ein anderes Mal komme, Tobolaka,« Sanders starrte mit seinen durchdringenden, grauen Augen auf die weißgekleidete Gestalt, »dann hast du ans Ufer zu kommen und mich dort zu erwarten, wie das Sitte ist.«
»Aber nicht Gesetz«, lächelte der König.
»Meine Gepflogenheiten werden hier Gesetz«, sagte Sanders. Er ließ seine Stimme sinken, bis sie wenig über ein Flüstern ging.
»Tobolaka,« sagte er, »ich habe deinen Vater aufgehängt und, wenn ich nicht irre, auch dessen Vater. Nun höre auf mich, du magst dieses Königsspiel so lange spielen, als es deinem Volke Spaß macht, aber du spielst es ohne Soldaten. Solltest du ein Heer, zu welchem Zweck es auch immer sein mag, aufstellen wollen, dann werde ich kommen, euere Stadt verbrennen und dich auf den Weg deiner Vorfahren senden, denn in diesem Lande gibt es nur einen König, und ich bin sein erster Minister.«
Im Gesichte des Königs arbeitete es, und er schlug die Augen zu Boden.
»Herr,« antwortete er, indem er das landläufige »Iwa« seines Stammes anwandte, »ich beabsichtigte damit nichts Böses. Ich wünschte damit nur, mein Weib zu ehren.«
»Du wirst es am besten ehren, wenn du mich ehrst«, gab Sanders zurück.
»Cicero sagt ...«, begann Tobolaka auf englisch.
»Zum Teufel mit Cicero!« antwortete Sanders bissig in derselben Sprache.
Er blieb an diesem Tage da, und Tobolaka machte seine Unhöflichkeit wieder gut. Gegen Abend hörte sich Sanders Tobolakas Klagen an, denn dieser hatte seine Nöte.
»Ich habe alle Häuptlinge zu einem Palaver laden lassen,« erklärte er, »da ich wünschte, ein System entsprechend den Grafschaftsräten einzurichten. Darum sandte ich zu den Akasava-, zu den N'Gombi-, zu den Ochorihäuptlingen. Nun, Herr,« fuhr der verletzte Tobolaka fort, indem er ins Englische zurückfiel, »keiner dieser unhöflichen Kerle ...«
»Rede in der Landessprache, Tobolaka!« befahl Sanders gelangweilt.
»Herr, kein Mann kam«, antwortete der König. »Auch Tribut haben sie mir nicht gesandt. Und ich wollte sie gern bei meinem Hochzeitsfeste haben, damit mein Weib einen guten Eindruck empfängt. Und da ich christlich getraut werde, wäre es gut, wenn diese kleinen Häuptlinge einmal mit ihren eigenen Augen die Gebräuche der Gottesmänner kennen lernten.«
»Dennoch kann ich die Häuptlinge nicht zu deinem Palaver zwingen, Tobolaka«, antwortete Sanders.
»Herr,« fuhr der Häuptling fort, »einer dieser Leute ist Mohammedaner und hat eine böse Zunge. Und als ich ihm sagen ließ, er solle mir huldigen, antwortete er mir mit so entsetzlichen Worten, daß ich sie nicht wiederholen kann.«
»Du mußt dir deine Häuptlinge warm halten, König«, riet Sanders und gab dem niedergeschlagenen Häuptling keine herzlichere Ermunterung.
Sanders reiste am nächsten Tage an seinen Sitz zurück und vergaß in der Eile, danach zu fragen, wann das Hochzeitsfest stattfände.
»Und je eher er heiratet, desto besser«, sagte er zu dem Hauptmann der Haußatruppe. »Nichts fällt einem so auf die Nerven wie ein europäisierter und amerikanisierter Eingeborener. Es ist ein ebenso abstoßender Anblick wie ein vernegerter Weißer.«
»Er wird sich schon beruhigen, es geht nichts über ein Weib«, sagte der Haußa. »Es soll mich nicht wundern, wenn er darüber sogar den alten Cicero vergißt. Wessen Häuptlings Tochter soll denn die Ehre haben?«
Sanders schüttelte den Kopf.
»Ich weiß nicht; es ist mir auch gleichgültig. Er könnte vielleicht einen guten Häuptling abgeben – ich gebe zu, daß ich gegen ihn voreingenommen bin. Es ist ebenso leicht möglich wie nicht, daß er in Jahresfrist seine Arbeit hinwerfen wird, wenn sie ihn inzwischen nicht ›auffressen‹. Diese Akasavas sind unsichere Teufel. Die Zivilisation übt eine mächtige Anziehungskraft auf ihn aus. Er erhält fortwährend Briefe aus England und Amerika.«
Der Schutztruppenhauptmann biß seiner Zigarre die Spitze ab. »Ich hoffe, er wird Cicero nicht auf Bosambo anwenden«, sagte er anzüglich.
Der nächste Tag brachte die Post – ein Ereignis.
Gewöhnlich war Sanders dann unten am Strand, um das Boot abzufangen, das die Post brachte. Aber an diesem Tage tat er es nicht, weil er gerade zwei Kundschafter anhörte, die mit wichtigen Nachrichten angekommen waren. Aus diesem Grunde sah er auch den weiblichen Fahrgast nicht, bis er auf der Schwelle seines Wohnhauses stand.
Sanders sah auf, als ein Schatten über die hölzerne Schwelle fiel, erhob sich und entließ vorläufig die beiden Leute mit einer Handbewegung. Dann ging er der Dame langsam entgegen.
Sie war klein und in gewisser Beziehung hübsch, das Gesicht durch den Gang vom Strande zum Hause etwas gerötet. Ihre Züge waren regelmäßig, ihr Mund klein, das Kinn trat etwas zurück. Es schien ihr nicht ganz behaglich zumute zu sein.
»Wie geht es Ihnen?« begrüßte Sanders sie, durch die unerwartete Erscheinung etwas unsicher. Er zog einen Stuhl für sie heran, und sie ließ sich mit einem dankbaren Lächeln darauf nieder, beherrschte sich aber sofort, als ob sie sich selbst eine unangenehme Aufgabe gestellt habe, und als ob sie sich durch eine höfliche Handlung seinerseits nicht beeinflussen lassen wolle.
»Und was bringt Sie gerade hierher an diesen wenig einladenden Ort?« fragte er sie.
»Ich bin Millie Tavish«, sagte sie. »Ich nehme an, daß Sie von mir gehört haben.« Sie sprach mit einem sonderbaren Akzent. Als sie ihm ihren Namen nannte, erkannte er es als schottisch mit amerikanischem Einschlag.
»Nein, ich habe nichts von Ihnen gehört«, antwortete Sanders. »Ich nehme an, daß Sie auf eine Missionsstation in den Busch wollen. Es tut mir leid – ich sehe nicht gern weibliche Missionare im Lande.«
Sie lachte ein etwas schrilles, aber nicht unmelodisches Lachen.
»Soviel ich weiß, bin ich keine Missionarin«, antwortete sie artig. »Ich bin die Königin.«
Sanders sah sie erwartungsvoll an. Gegen weiße Frauen in seinem Bezirk hatte er eine wohlbegründete Abneigung. Verrückte Frauenzimmer schloß er davon aus.
»Ich bin die Königin«, wiederholte sie, augenscheinlich geschmeichelt von der Sensation, die sie hervorrief. »Du lieber Gott! Ich habe mir's nicht träumen lassen, daß ich jemals eine Königin werden sollte. Mein Großvater war nämlich Gärtner bei der Königin Viktoria, ehe er nach New-York kam.«
»Aber ...« stammelte der Bezirksamtmann wie vor den Kopf geschlagen.
»Es war so,« rasselte sie weiter, »als Tobiaschen auf dem theologischen Seminar in Philadelphia lernte, war ich als Stütze bei Miß Van Houten – es war 'ne Pension –, und Tobiaschen erwies mir 'ne höllische Menge Aufmerksamkeiten. Ich dachte zuerst, er machte mir was vor, als er mir sagte, er würde ein König werden, aber er hat es doch schließlich fertig gebracht. Und ich habe ihm jede Woche geschrieben, und er sandte mir das Reisegeld, um hierherzukommen.«
»Tobiaschen?« fragte Sanders, »wer ist Tobiaschen?«
»Mr. Tobolaka – König Tobolaka«, antwortete sie.
Ein Ausdruck des Erschreckens, den zu verbergen er sich nicht die Mühe nahm, kroch über das Gesicht des Bezirksamtmanns.
»Sie – sind hierhergekommen, um ihn – zu heiraten? – Einen Schwarzen?« fragte Sanders mühsam, nach Atem ringend.
Das junge Mädchen errötete tief.
»Das ist meine Absicht«, entgegnete sie förmlich. »Ich bin nicht hierhergekommen, um mir Ihren Rat zu holen. Nebenbei – ich habe bereits von Ihnen gehört. Ihr Name ist Dreck an dieser alten Küste, aber ich fürchte mich nicht vor Ihnen. Ich habe einen Erlaubnisschein, nach Isisi zu gehen, und nach Isisi gehe ich.«
Sie war aufgestanden und hatte die beiden Arme in die Hüften eingestemmt. Ihre Augen funkelten vor Zorn; denn mit echt weiblichem Instinkt fühlte sie dieses Mannes heimliche Gegnerschaft.
»Mein Name mag Dreck sein,« gab Sanders ruhig zurück, »und was die Leute über mich sagen, stört mich nicht im Schlaf. Aber, was die Leute sagen würden, wenn ich Ihnen erlaubte, ins Innere zu gehen und einen Schwarzen zu heiraten, das nähme mir meine Nachtruhe. Miß Tavish, der Postdampfer geht in einer Stunde nach Sierra Leone. Dort werden Sie einen Dampfer finden, der Sie nach England bringt. Ich werde für Ihre Überfahrt sorgen und darauf sehen, daß man Sie in Southampton abholt und für Ihre Überfahrt nach New-York sorgt.«
»Ich gehe nicht«, rief sie heftig. »Mit dieser Sorte Bluff kriegen Sie mich nicht! Ich bin amerikanische Bürgerin, und kein aufgeblasener britischer Beamter wird mich unterkriegen. So! Da haben Sie's!«
Sanders lächelte.
Er war bereit, die Dinge jetzt zu überstürzen, Verträge zu verletzen, Krisen heraufzubeschwören, aber er war nicht bereit, etwas zuzulassen, was er als eine Schmach empfand.
Sie bettelte und drohte abwechselnd, sie brach sogar in Tränen aus. Und Sanders' Haar sträubte sich schier vor Entsetzen. Um die Lage noch zu erschweren, war ein prächtiges Isisikanu mit zwanzig Paddlern angekommen, um sie nach der Isisistadt zu bringen. Und der Führer des Kanus hatte einen Brief ihres zukünftigen Gebieters gebracht, in dem dieser sie in geschraubtem Englisch willkommen hieß. Sanders gestattete, daß der Bote ihr diesen Brief ablieferte.
Schließlich begleitete Sanders, nachdem er sich brieflich schnell mit dem Kapitän des Dampfers verständigt hatte, Millie Tavish an den Strand.
Sie rief jegliches Unglück auf seinen Kopf herab, das sich in ihrem Wortschatz vorfand. Sie warf ihm mit bezaubernder Unparteilichkeit die Schlacht von Bannockburn und Bunkers Hill an seinen dummen britischen Schädel. Ja, sie rief die Schatten Washingtons und William Wallaces aus der Unterwelt an.
»Sie werden davon hören,« rief sie, als sie in das Brandungsboot kletterte. »Ich werde diese Geschichte jeder Zeitungsredaktion erzählen.«
»Danke!« sagte Sanders, seinen Tropenhelm in der Hand. »Ich fühle, daß ich's nicht anders verdiene.«
Er beobachtete das Boot, wie es langsam zum Dampfer hinkroch, und kehrte in sein Bungalow zurück.
* * *