Edgar Wallace
Der Mann, der seinen Namen änderte
Edgar Wallace

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11

»Was ist nur mit Marjorie los?« fragte Lance Kelman nachlässig und zündete sich eine Zigarette an.

Mrs. Stedman saß mit ihrem Neffen im Empfangszimmer. Sie zuckte die Schultern, was andeuten sollte, daß sie darüber nichts wüßte.

»Ich kann das Mädchen überhaupt nicht verstehen. Je älter sie wird, desto mehr lebt sie für sich«, klagte sie. »Sie nimmt nicht mehr die geringste Rücksicht auf mich und weiß auch nicht, was sie mir schuldig ist.«

»Ach, sie ist noch sehr jung«, meinte Lance wohlwollend. »Wenn sie erst einmal etwas mehr reist und die Welt kennenlernt, bekommt sie auch einen weiteren Gesichtskreis und bessere Urteilsfähigkeit.«

Er tröstete seine Tante stets, und sie bewunderte dafür immer aufs neue seine elegante Erscheinung.

»Ich wünschte nur, Marjorie käme endlich einmal zur Vernunft. Das beste wäre doch wirklich, wenn sie sich verheiraten würde. Ich hoffte eigentlich damals, als du diese gefährliche Reise nach Südafrika machtest, daß mein Schwager dir irgendeine Lebensstellung verschaffte, damit du heiraten könntest.«

»Du meinst, damit ich Marjorie heiraten könnte?« fragte Lance ruhig, denn dieser Gedanke erschien ihm vollkommen selbstverständlich. »Ich dachte auch schon daran. Sie ist ein ganz nettes Mädel, nur leider etwas engherzig und einseitig, Tante.«

»Genau meine Meinung«, entgegnete sie und schaute nervös nach der Uhr. »Ich möchte nur wissen, wie lange sie wieder fortbleibt.«

»Gehst du heute nachmittag aus?«

»Ja«, erwiderte sie leise. »Aber bitte sage nichts davon zu Marjorie. Sie hat ein so unvernünftiges Vorurteil gegen Lady Tynewood.«

»Ach, willst du Lady Alma besuchen? Nun, da tust du ganz recht. Sie ist eine sehr liebenswürdige Dame. Ich habe ihr neulich einmal von meiner Reise nach Südafrika erzählt, und da fragte sie mich, ob ich nicht zufällig ihren Mann, Sir James, dort getroffen hätte. Du weißt doch, daß er sie verlassen hat. Ich bin aber nie ganz hinter die Geschichte gekommen.«

»Ja, die Leute haben viel darüber gesprochen«, begann Mrs. Stedman gerade, als sie durch das plötzliche Erscheinen Marjories gestört wurde. Das junge Mädchen trug Reitkleidung und sah in dem hellgrauen Anzug vorzüglich aus. Lance betrachtete sie mit aufrichtiger Bewunderung.

»Bei deinen sonst soliden Ansichten kleidest du dich manchmal etwas gewagt, Marje.«

»Darüber kannst du nicht urteilen. Und nenne mich doch vor allem nicht Marje. Das klingt so gewöhnlich, ich will es nicht hören.«

»Aber Marjorie, wie kannst du nur so schroff sein!« rief ihre Mutter entrüstet.

»Bist du fertig, Lance?« fragte Marjorie kurz und ging, ohne seine Antwort abzuwarten, nach draußen, wo die Pferde bereitstanden.

Er eilte ihr nach, um ihr behilflich zu sein, aber schon ehe er ankam, hatte sie den Fuß in den Steigbügel gesetzt und sich in den Sattel geschwungen.

»Du bist ja kolossal selbständig geworden«, beschwerte er sich, da er sich zurückgesetzt fühlte.

Sie ritten durch eine lange Allee, die von hohen Hecken eingefaßt war, und Marjorie blieb zunächst schweigsam. Sie hatte die Absicht, Lance kurz mitzuteilen, was sie telegrafiert hätte, und sie zweifelte natürlich nicht daran, daß er ihre Handlungsweise verurteilen würde.

»Deine Mutter hat von Schloß Tynewood gesprochen«, begann er schließlich, und sie ärgerte sich, daß dieser Name fiel.

»Ich hoffe nur, daß sie heute nachmittag nicht wieder zu Lady Tynewood geht«, sagte sie plötzlich, aber Lance schwieg über diesen Punkt.

»Hast du das Schloß eigentlich schon einmal gesehen?«

Sie erinnerte sich gut genug an den schrecklichen Abend, den sie dort zugebracht hatte, und schauderte leicht.

»Nein, ich kenne es nicht.«

»Es ist ein schönes, altes Gebäude aus der Tudorzeit, und der Park ist wirklich großartig. Ich verstehe nicht, daß Sir James es fertigbringt, seine hübsche Frau und eine solche Besitzung im Stich zu lassen und in der Wildnis umherzustreifen. Ich halte das direkt für Wahnsinn!«

»Du scheinst ja mit den Verhältnissen der Familie Tynewood ziemlich gut Bescheid zu wissen.«

»Ja, man erfährt so allerlei. Der Baron hat seine Frau verlassen, und zwar einige Tage nach der Hochzeit. Die wirklichen Zusammenhänge sind hier allerdings nicht bekannt. Er hat nämlich zwei große Güter und hält sich meistens auf dem anderen auf. Hier in Schloß Tynewood ist nur der alte Pförtner, der ihn schon seit seiner frühen Jugend kennt. Vor vier Jahren hat Sir James ganz plötzlich geheiratet. Lady Tynewood war früher Schauspielerin, das weißt du wohl auch.«

»Ja, ich habe davon gehört.«

»Er muß nicht ganz bei Verstand gewesen sein. Ohne daß er ihr die geringste Mitteilung machte, hat er sie einfach verlassen. Die beiden haben in London geheiratet.«

»Wer hat dir denn das alles erzählt?«

»Nun, wenn ich offen sein soll – Lady Tynewood selbst. Sie hat mich in diese traurige Angelegenheit eingeweiht, als ich neulich zum Tee bei ihr war«, sagte Lance gleichgültig.

»Ach so, jetzt verstehe ich.« Marjorie lächelte ein wenig. »Aber sprich nur ruhig weiter. Ich interessiere mich sehr für Sir James Tynewood.«

»Also, der Mann ist unbegreiflicherweise auf und davon gegangen«, fuhr Lance fort. Er war sehr stolz darauf, daß er die Geschichte aus erster Hand hatte. »Soweit ich die Sache beurteilen kann, hatte er einen etwas aufbrausenden Charakter und war in mehrere unangenehme Affären verwickelt, bevor er Alma traf – ich meine Lady Tynewood. Man hat seinerzeit viel in den Zeitungen über ihn geschrieben. In einem Artikel wurde auch erwähnt, daß Lady Tynewood in den Besitz des berühmten Halsbandes kommen würde. Es ist ein herrliches Brillantkollier.«

»Ich weiß, daß es kein Hundehalsband ist«, erwiderte sie ironisch.

Er sah sie mißtrauisch von der Seite an.

»Lady Tynewood bestand darauf, daß James es ihr bringen sollte. Das war in ihrer Londoner Wohnung. Er kam bis hierher zum Schloß, und von dem Augenblick an« – er machte eine dramatische Pause – »hat man nie wieder etwas von ihm gesehen. Am nächsten Morgen erhielt sie einen Brief von seinem Rechtsanwalt, daß sie unter keinen Umständen den Versuch machen dürfte, das Schloß und den Park von Tynewood zu betreten. Und dabei war sie doch rechtmäßig verheiratet! Es wurde ihr ein jährliches Einkommen ausgesetzt, aber es ist viel zu gering für eine Frau von ihrer Stellung. Und dann las sie in der Zeitung, daß James Tynewood nach Südafrika gereist sei.«

»Nach Südafrika?« wiederholte sie mit besonderer Betonung. »Natürlich, das Schiff ›Carisbrooke Castle‹ fährt ja nach Kapstadt.«

»Den Namen des Schiffes habe ich doch gar nicht erwähnt«, entgegnete Lance etwas verblüfft. Aber er war zufrieden mit der Wirkung seiner Worte und machte sich nicht die Mühe, Marjorie näher auszufragen. »Warum hast du denn eigentlich eben so merkwürdig ›Südafrika‹ gesagt?«

»Weil ich mich dafür interessiere«, erwiderte sie schroff.

Er sah sie erstaunt an.

»Ich heirate nämlich einen Pretoria-Smith«, fuhr sie fort.

»Pretoria-Smith?« rief er atemlos. »Aber was soll denn das heißen?«

»Hier – lies bitte.«

Sie nahm den Brief aus der Tasche und gab ihn Lance, der sein Pferd anhielt.

»Du wirst doch nicht einen derartigen Unsinn machen«, sagte er heftig, als er die Zeilen überflogen hatte. »Diesen Pretoria-Smith kenne ich sehr gut, er ist ein entsetzlicher Mensch! Furchtbar aufdringlich, spricht nur von sich selbst, verprügelt die Neger und ist ein roher, wüster Kerl. Ich habe mit meinen eigenen Augen gesehen, wie er einen Eingeborenen geschlagen hat. Es war so schlimm, daß ich dazwischentreten mußte. Einmal stand er auch vor Gericht, weil er einen Buschmann erschossen hatte. Den Namen habe ich vergessen, aber auf jeden Fall bleibt die Tatsache bestehen, daß er vor Gericht stand. Und dann trinkt der Mensch. Ich war mehrmals Zeuge, wie er stockbesoffen durch die Straßen wankte. Man sagt auch –«

»Ach, hör doch auf!« sagte sie schaudernd und fuhr mit der Hand über die Augen.

»Aber Marjorie, das kann doch nicht dein Ernst sein. Du wirst diesen Mann nicht heiraten! Ich selbst hoffe, dich in allernächster Zeit um deine Hand bitten zu können.«

»Dich könnte ich niemals heiraten, Lance«, erwiderte sie ruhig. »Bitte, mache die Sache nicht noch komplizierter, als sie schon ist.«

»Aber das ist doch Wahnsinn! Das erlaube ich nicht!«

Sie lächelte bitter.

»Du kannst doch gar nichts dagegen tun. Und es bleibt mir wirklich nichts anderes übrig.«

Sie erzählte ihm nichts von den Torheiten ihrer Mutter und von ihrem eigenen Kummer, als sie weiterritten. Lance war wütend und fühlte sich persönlich gekränkt, während sich Marjorie hilflos dem unabwendbaren Schicksal gegenübersah.

Schließlich kamen sie an das Parktor von Tynewood.

»Ich möchte mir den Park heute nicht ansehen«, sagte sie abgespannt. »Aber wir wollen einen Augenblick hier ausruhen.«

Sie hatten einen schönen Blick auf die großen Wiesen, die alten, mächtigen Bäume mit den weitausladenden Ästen und das graue Haus, dessen Fenster in der Nachmittagssonne glänzten.

»Es ist wirklich herrlich hier«, sagte sie leise.

Während sie die wundervolle Aussicht genoß, vergaß sie für einen Augenblick ihre Sorgen.

Plötzlich kam ein Auto in Sicht und hielt gleich darauf vor dem Parktor. Eine Dame stieg aus.

»Lady Tynewood«, flüsterte Lance.

Marjorie wollte eigentlich davonreiten, ohne sich umzusehen, aber ihre Neugierde hielt sie doch zurück.

Der Pförtner öffnete, blieb aber mitten im Weg stehen.

»Kann ich etwas für Sie tun, Mylady?« fragte er und legte die Hand an die Mütze.

»Ich möchte mir den Park ansehen«, erwiderte Alma.

Der Mann rührte sich jedoch nicht von der Stelle.

»Es tut mir sehr leid, Mylady, aber ich habe strengen Befehl, Sie unter keinen Umständen einzulassen.«

»Und ich gebe Ihnen jetzt den strikten Auftrag, zur Seite zu treten und mir den Weg freizugeben«, entgegnete sie aufgeregt. »Ich habe mich allzu lange den Wünschen von Sir James gefügt, aber jetzt bestehe ich auf meinem Recht. Ich will den Schloßpark betreten, wann es mir paßt.«

Der Pförtner trat einen Schritt zurück und schloß das schwere Tor vor ihrer Nase.

»Es tut mir sehr leid, Mylady, aber meine Instruktionen sind eindeutig. Ich kann Ihnen nicht gestatten näherzutreten.«

Als sich Lady Tynewood wütend umdrehte, entdeckte sie Marjorie.

»Wie kommen Sie denn hierher?« fragte sie mit heiserer Stimme und legte die Hand an die Kehle, als ob ihr das Atmen schwerfiele. »Das ist eine neue Unverschämtheit von Ihnen, daß Sie mir hier nachspüren! Aber das soll Ihnen schlecht bekommen!«

Marjorie sagte zunächst nichts, und es entstand eine peinliche Pause.

»Ich spüre Ihnen nicht nach«, erwiderte das junge Mädchen schließlich gelassen. »Nicht einmal, wenn Sie meiner Mutter beim Bridgespiel das Geld abnehmen.«

Sie wandte ihr Pferd und ritt davon.


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