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Die Krieger des alten Königs, der jenseits der Berge lebte, kamen in das Ochoriland herunter und nahmen zehn Weiber und vierzig Ziegen mit sich und gerade im Jahre der Seuche, wo Ziegen sehr wertvoll waren. Und eine Woche später kamen sie noch einmal, und abermals nach einer Woche wiederholten sie den Beutezug.
Herr Bezirksamtmann Sanders schickte eine dringende Botschaft nach dem Lande des alten Königs und reiste zu den Ochoris, um den Gesandten des alten Mannes zu treffen.
Eines schönen Tages kam Buliki, der erste Minister des alten Königs K'salugu-M'pobo über die nördlichen Hügel; er war recht aufgeblasen, kam mit vierundsechzig Speeren als Bedeckung, und jeder Krieger trug das Leopardenfell des königlichen Dienstes – das heißt, ein Leopardenfell mit drei Affenschwänzen, das die Schnelligkeit, die Wildheit und die Behendigkeit dieser Männer ausdrücken sollte. Er prahlte, daß er der vierzigste seines Geschlechtes sei, der im Königskral säße und Gesetze gäbe.
Sanders wartete, von einer bescheideneren Bedeckung umgeben, in Ochoristadt auf die Ankunft dieser Gesandtschaft, die sich zwei Tage verspätet hatte und eben in diesem Augenblicke ankam; nicht in der Morgendämmerung, wie getreulich versprochen worden war, sondern in den heißen Stunden des Tages. Sanders saß, die Beine übereinandergeschlagen, auf seinem Segeltuchstuhl, kaute an einer nicht angezündeten Zigarre und zeichnete mit seinem Ebenholzstock kleine Muster in den Sand.
Hinter ihm stand, groß und gerade, – den nackten, braunen Rücken geschwellt von Muskeln, die bei jeder Bewegung spielten, – Bosambo, der Häuptling und König des Ochorivolkes im Norden wie Süden.
Hinter dem Schutzdach, das man errichtet hatte, um als Palaverhaus zu dienen, befand sich eine Abteilung Haußas, Männer mit braunen Gesichtern in blauer Uniform, die ihre Büchsen mit einer leichten Vertraulichkeit handhabten und so dem dichten Haufen des Ochorivolkes, der dieser denkwürdigen Zusammenkunft als Zeuge beiwohnen wollte, ungeheuere Ehrfurcht einflößten.
Sanders sagte kein Wort; er sah ein, daß dieses kein Augenblick für den Austausch von Mitteilungen sei, und daß Bosambo aller Wahrscheinlichkeit nach über die Verbrechen des großen Königs genau soviel wußte wie er selbst. Denn nördlich von den Hügeln lag Gebiet, das noch unabhängig war und keine Regierung und keinen König anerkannte als seinen eigenen.
Ob das so bleiben würde, hing nicht gänzlich von dem Erfolg dieser Aussprache ab; denn niemand wußte besser als Sanders, daß nicht weniger als vier Bataillone nötig wären, um die Engpässe der großen Berge zu besetzen, und gerade damals war Krieg bei der Britischen Regierung sehr unbeliebt.
Die Königswache, die der König seinem Minister als Bedeckung mitgegeben hatte, schwenkte auf das große Viereck ein und stellte sich gegenüber Sanders in Front auf. Die Haußas betrachteten sie mit jenem besonderen Interesse, welches Soldaten für mögliche Zusammenstöße haben. Buliki war ein umfangreicher Herr, breit, groß und stämmig. Er kam prahlend zum Palaverhaus herauf, ohne jedes Verständnis für die Bedeutung des Mannes, den er hier treffen sollte.
»Ich sehe dich, weißer Mann!« sagte er auf Bomongo, das in einer Ausdehnung von sechshundert Meilen nördlich und westlich der Gebiete gesprochen wurde.
»Ich sehe dich, schwarzer Mann!« antwortete Sanders. »Welche Botschaft bringst du von deinem Herrn?«
»Herr!« klang es anmaßend aus des Mannes Mund, »mein Gebieter hat keinerlei Botschaft für dich außer der folgenden: Solange er sein Land regiert, kennt er keinen anderen König als seinen eigenen wunderbaren Willen und kein anderes Gesetz als jenes, das er selber vorschreibt.«
»O, ko,« sagte Sanders, gezwungen lachend, »er muß einen sehr mächtigen Iu-ju haben, um so kühn zu sprechen. Und du, Buliki, hast sicher den Magen eines Löwen. Denn hier herum bin ich Gesetz, und Männer, die im Herrentone zu mir sprechen, hänge ich kurzerhand.«
Sein Ton war frostig, schneidend kalt, und seine Augen schweiften unbewußt zu dem hohen Baume hinauf, der vor dem Palaverhause stand.
Buliki, der nichts von der Unantastbarkeit einer Gesandtschaft wußte, wurde grau unter seinem lohfarbenen Fell, und seine Füße bewegten sich in nervöser Unruhe.
»Herr!« verteidigte er sich, mit gänzlich veränderter Stimme, »ich bin ein müder Mann; ich bin heute schon über den Berg mit dem kalten, weißen Pulver gekommen, das in der Sonne vergeht. Darum spring sanft mit mir um; ich bin ein armer Häuptling und kenne nicht weißen Mannes Art.«
»Geh zurück zu deinem Herrn, Buliki, und sage ihm: Sandi, der an Stelle seines Königs am Großen Fluß sitzt, wünscht, daß keine Krieger mehr aus des Königs Land kommen, um Weiber und Ziegen der Ochoris zu rauben. Denn ich bin sehr schnell mit dem Töten und achte weder Könige noch Häuptlinge. Ich habe kleine Könige unter die Erde gepflügt, und die Ernten meines Volkes gediehen auf Boden, den die Gebeine von Fürsten düngten. Wo ist M'balagini, der seine Speere gegen mich richtete? Er ist tot, und sein Haus ist im Regen verrottet. Wo ist Kobolo, der N'Gombikrieger, der seine jungen Männer in die Schlacht gegen mich führte? Ihr werdet den Wald umsonst nach seiner Stadt absuchen, und sein Geist weint aus dem Großen Berge. Kleine Könige sind mein tägliches Brot. Wie mächtig sind sie im Hause ihrer Weiber! Wie klein sind sie, wenn ich sie in Ketten auf mein großes Schiff bringe! Geh zurück zum alten König und sage: Die Häuptlinge oder Krieger, die auf diese Seite des Geisterberges kommen, sollen Sklaven meines Volkes werden und froh sein, wenn sie am Leben gelassen werden. Das Palaver ist aus!«
Nachdem die Gesandtschaft abgereist war, sagte Bosambo: »Verdammter Nigger! Alberner Esel!« – Er war selbst schwärzer als ein Pikas, aber er besaß den Vorzug einer christlichen Erziehung. Und dann fügte er in seiner eigenen Sprache hinzu, denn Sanders hatte kein Verständnis für Küstenenglisch: »Lord! Dieser alte König ist sehr verschlagen, und im Schatten seiner Hütte sitzt ein weißer Mann, der die Wege der weißen Herren kennt.«
»Den Teufel tut er!« rief Sanders überrascht, denn das war neu für ihn, daß » Joe« dorthin gegangen war.
Oben, in des alten Königs Lande, lag Buliki, lang ausgestreckt, auf seinem Gesichte vor dem alten dürren Manne und erzählte die Geschichte seiner Gesandtschaft; und der König horchte zu und strich seinen dünnen gekräuselten Bart.
Joe, der Händler, er hatte keinen anderen Namen, hörte ebenfalls zu und ließ sich Teile dieses Berichtes übersetzen.
»Sag' dem Alten,« befahl er seinem Dolmetscher, »das ganze Zeug ist Schwindel. Sage ihm, Sanders hat nicht mehr als fünfzig Soldaten! Sage ihm, wenn er 'runter zum Gouverneur schickt und sich über diese Drohungen beklagt, kriegen sie Sanders beim Kanthaken! Sanders hat gar keine Berechtigung, so was zu tun.«
Wenn Joe seine halbwegs nüchternen Augenblicke hatte, galt er als eine Autorität in dem, was man das ungeschriebene Gesetz der Wildnis nennen konnte. Er war Afrika herauf und herunter gewandert; vom Sambesi bis zum Lado, und wußte 'ne ganze Menge. Von Charter bis Dakkar gab es nicht ein einziges Gefängnis, dessen Insasse er nicht gewesen war. Er hatte schon zu Bula Matadis (Stanleys) Zeiten Hinterlader und Genever gegen Elfenbein eingetauscht und war jetzt nach der einzigen Freistatt verschlagen worden, wo der rechte Arm irgendeines Gesetzes ihn nicht erreichen konnte.
Von allen Menschen in der Welt haßte er Sanders am meisten; und er hatte allen Grund für seine Antipathie, denn Sanders ließ die Schnapshändler peitschen und ließ sogar weiße Gentlemen, die die gutgläubigen und blutdürstigen Eingeborenen mit Feuerwaffen versorgten, aufhängen.
»Hier ...!« Joe war ganz aufgeregt bei diesem Gedanken. »Sage ihm, er soll Sanders zu einem großen Palaver fordern – irgendwo auf den Geisterbergen – auf dem Wege dorthin ist Sanders leicht zu fassen ...!«
Dieser Plan wurde pflichtgemäß übersetzt. Des alten Königs trübe Augen leuchteten auf, und er rieb sich die Hände; denn er hatte geschworen, daß er seine neue Kriegstrommel mit der Haut des Mannes, der ihn quälte, überziehen lassen würde – und das Gestell der Trommel hatte sich in den Jahren des Wartens schon ganz krumm gezogen und Risse bekommen.
»Das ist eine feine Rede«, sagte ein Ratgeber ungnädig zu des Königs weißem Gast. »Aber es ist bekannt, daß Sandi unverletzt aus den schrecklichsten Gefahren hervorgeht, weil ihn M'shimba M'shamba, der fürchterliche Dämon, schützt. Man sagt, daß ihm ganze Regimenter von bösen Geistern beistehen, die so fürchterliche Schreie ausstoßen, daß da, wo er vorübergeht, selbst die Leoparden vor Schrecken wie tot da liegen.«
Dies machte sichtlich Eindruck auf den allen König und er leckte die vier Finger seiner rechten Hand ab, damit nichts Böses über ihn komme.
»Unsinn!« sagte Joe laut. »Geister – Blödsinn! Ihr werdet ihn schon richtig kriegen, und dann werden sich diese Vögel hüten, ihre Nase in Zukunft noch über die Berge zu stecken ...«
Der König lauschte und wandte seinen Hals nach dem Dolmetscher hin.
»Mann, das soll so sein!« sagte er und befahl Buliki aufzustehen.
Genau so, wie die Jahre des alten Ägyptens mit den vorübergehenden Perioden der Könige identifiziert wurden, gab es eine Zeitrechnung am Fluß, die mit einem gewissen Leutnant Tibbetts von den Königshaußas in bezeichnende Verbindung gebracht wurde. Oben am Sitz des Gouvernements sprechen die kleineren Abteilungsvorsteher von dem zweiten Jahr von Bones' Dienstzeit wie vom Aufstieg eines Herrschergeschlechts.
Es war ein Annus mirabilis, ein wunderbares Jahr, das, in der Hauptsache, nicht das geringste mit Bones zu tun hatte, wie Hamilton von den Haußas seinen schmächtigen Untergebenen getauft hatte.
Noch hatte es etwas mit den Wundertaten zu tun, die Bones zu Wasser und zu Lande verrichtete; noch konnte behauptet werden, wenn man genau bei der Wahrheit bleiben will, daß Bones einen bemerkenswerten Einfluß auf den fruchtbaren Boden ausgeübt hatte, der in diesem Jahre die erstaunlichste aller Ernten hervorbrachte. Noch hatte er den Fluß veranlaßt, über seine Ufer zu steigen (wie es tatsächlich geschehen war) und fünfunddreißig Fischerdörfer zu vernichten und Krokodile zehn Meilen weit in den Urwald hinein zu bringen, wo diese auf viehische Weise mit Leoparden und Büffeln kämpften.
Noch war er, und das muß zu seiner Rechtfertigung gesagt und weit verbreitet werden, im geringsten verantwortlich für die Anwesenheit und das Wesen eines Mannes, der leichtfertig als »Lord« geschildert wurde.
Neue Besen mögen nicht immer gut kehren; aber, allgemein gesprochen, wirbeln sie Staub genug auf, um manche Menschen zu ersticken und anderen Tränen in die Augen zu bringen. Macalister Campbell-Cairns war der neueste Besen, der jemals in einem Brandungsboot an Land kam, um die fieberverseuchten Hinterländer zu beunruhigen und den Drang zum Morden an die Oberfläche zu bringen, der dort draußen so dicht unter der Oberhaut, auch der dem Gesetz am meisten Gehorchenden, steckt.
Dieser Mann war eine Exzellenz und hatte an seinem Rockaufschlag Miniaturkreuze und Nichtse, die an verschiedenfarbigen Bändern glitzerten; er trug, wozu er bei solchen Gelegenheiten berechtigt war, einen strahlenden Stern über seiner Bauchspeicheldrüse und konnte seinem Namen eine Reihe von Buchstaben (der Engländer drückt auf diese Weise Rang, Würden und Auszeichnungen aus) anfügen, die länger war als der Name selbst. Er fiel aus dem Brandungsboot in die Arme eines Sergeanten der Königshaußas, geriet von der prunkhaften kleinen Kutsche, die ihn zum Gouvernementshaus brachte, in die Hände eines zweiten und dritten Sekretärs, eines Offiziers des Stabes und seines Haushofmeisters und fiel schließlich in den dick gepolsterten Stuhl, der ihm Rechtens und dank seinem hohen Amte zukam.
Und fast im selben Augenblicke fing der neue Besen an, sich um die staubigen Stellen herum zu bewegen; und vom Hauptsitz der Verwaltung wurde eine Tagesordnung herausgegeben, die, in jeder Hinsicht eine Willkommensadresse für Sir Macalister Campbell-Cairns, von Sir Macalister Campbell-Cairns geschrieben und von seiner unleserlichen Klaue unterzeichnet war. Er war – wie er sagte – gekommen, um Licht in das Dunkel zu bringen, um Weißen und Schwarzen gleichmäßig Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, um den Niedergedrückten Begeisterung und Hoffnung zu bringen, um die Verwaltung zu zentralisieren und die ungewünschte Neigung der Beamten, das Gesetz in ihre eigene Hand zu nehmen, zu unterdrücken. (Er sagte das nicht gerade, aber er meinte es.) Und zuletzt, aber nicht zum wenigsten beabsichtigte er, jeden vorgeschobenen Posten der Zivilisation, für den er verantwortlich sei, selbst kennen zu lernen. Und wenn irgend jemand Beschwerden habe, dann solle er sie freundlich für sich behalten, bis er käme.
»O, mein Gott!« stöhnten dreiunddreißig Bezirksamtleute, Inspektoren und Schutztruppenoffiziere und dergleichen, als sie diese Botschaft erreichte.
Beigefügt war dieser Willkommensadresse ein »sehr geheimes und streng vertrauliches« Schreiben für die bedeutenderen seiner Untergebenen.
»Es ist zur Kenntnis des Gouverneurs gelangt, daß Todesurteile häufig von untergeordneten Beamten, besonders in den Reservierten Gebieten, verhängt und vollstreckt werden. Diese Gepflogenheit muß aufhören. Alle Untersuchungen von Fällen wie Mord, Hochverrat, Anstiftung zum Aufstand müssen der Zentralverwaltung übermittelt und von einem Tatbericht in dreifacher, von einem Vernehmungsprotokoll in doppelter Ausfertigung und von einem Bericht dessen, was der Gerichtshof herausgefunden hatte, begleitet sein.«
Einen Monat nach dem Erlaß dieses Tagesbefehls verfolgte Leutnant Tibbetts, mit dem Beinamen Bones, einen Mann, der H'kema, den Waldmenschen, ermordet und dessen Weib geraubt hatte. Bones erwischte ihn an der Grenze des Landes, in dem der alte König regierte, und hängte ihn innerhalb einer Stunde nach seiner Gefangennahme.
Darauf war der Teufel bei der Zentralverwaltung los, und der musikalischen Laufbahn Leutnant Tibbetts drohte der Untergang.
Das Jünglingsalter ist eine Krankheit, die durch scharf umrissene Perioden von Hitze und Erröten, Frostschauern des Körpers und Schädelsummen gekennzeichnet ist. Das Sonderbare und Bezeichnende dieser Entwicklungsstufe sind merkwürdige Gelüste und Abneigungen und eine gewisse Sonderlichkeit bei der Wahl von Gewürzen. Denn das Brot der Jugend schmeckt besser, wenn es mit einer unverdaulichen Leckerei gewürzt wird, die den mehr kultivierten Geschmack sogar abstößt.
Das Kind, dessen Augen nicht sehnsüchtig auf einen Lokomotivführer gerichtet sind, ist kaum normal; der Jüngling, der nicht den Dirigenten eines Orchesters beneidet hat, hat kaum menschliche Empfindungen. Bei dem jungen Mann, der es vermag, sich an ein Klavier zu setzen und mit einer gleichgültigen Miene seine Finger über die Tasten gleiten zu lassen, und der darauf unvermittelt zu der schwierigsten musikalischen Komposition übergehen kann, ist etwas nicht ganz richtig.
Bones war in dieses Entwicklungsstadium gelangt, als er leidenschaftlich begehrte, Musik zu treiben. Er hatte ein tragbares Harmonium in einer Ecke seiner Hütte und eine Geige unter seinem Bett. Er konnte fast auf einen Blick den Unterschied zwischen einem tiefen B und einem hohen F aus irgendeinem Notendruck unterscheiden. Er hatte eine kleine Bibliothek über die Theorie der Musik, jedes Buch in Königsblau, mit seinem Monogramm in Gold in den Ecken. Eine Tambourausrüstung nahm einen Tisch ein, der gewöhnlich und passender für die Beschäftigung mit Clearys taktischen Abhandlungen und für das Studium des Kriegsrechts bestimmt war.
Bones begann die seiner unwürdige musikalische Laufbahn mit dem Ankauf einer Klarinette – eines langen Dinges aus Holz und glitzerndem Metall. Er kaufte sie, wie er meistens unnötige Dinge kaufte, weil er auf der Seite seines Lieblingsmagazins eine Anzeige gelesen hatte, die ihm sagte:
»Lernen Sie das Klarinettespiel! War Buchhalter, jetzt Dirigent der Tawoomba-Silber-Kapelle: Klarinettespiel machte diesen Mann zum Herrn seines eigenen Hauses und ließ ihn 10 000 000 Dollars in ›Farmers Bank‹ legen.«
»Dieses Mannes« Bild war beigefügt, um die Glaubwürdigkeit der Aufforderung zu beweisen. Bones dachte, 10 000 000 Dollars seien zehn Millionen und schickte 25 Dollars mit der nächsten Post. Er konnte niemals diesen vielversprechenden Anzeigen widerstehen, die einem befehlen, »den Abschnitt auszufüllen und das Geld sofort einzusenden«.
»Ich habe eben ein weiches Herz, lieber, alter Offizier«, entschuldigte er die Klarinette, als diese schließlich ankam. »Sie ist für mich wie ein Getränk. In dem Augenblick, in dem ich einen dieser verdammten Abschnitte sehe, muß ich ihn unterzeichnen. Ich lasse mich sehr leicht leiten, geehrter Herr und Kamerad, aber treiben kann man den ollen Bones nicht. Sie können ihn leiten, aber – Sie können ihn nicht treiben. Das liegt bei uns in der Familie.«
»Schwachsinnig?« deutele Hamilton an.
»Nöö! Nich schwachköpfig, Sie Unart! Unart!«
Bones schüttelte vorwurfsvoll den Kopf.
»Die Pointe ist die, Bones ...«
Hauptmann Hamilton drehte sich aus seinem Stuhle herum, und seine Augen blickten kalt, sein Ton war geradezu unfreundlich: »Ich werde Ihnen nicht erlauben, dieses Teufelsinstrument innerhalb fünf Meilen von unserer Wohnung spielen zu lernen.«
»Ham, oller Herr,« sagte Bones sanft, »nennen Sie das Gerechtigkeit, lieber, oller Herr? – Gerechtigkeit, Ham, oller Vorgesetzter, segnet, wie der olle Shakespeare so nett sagt, den, der gibt, und den, der nimmt.«
Hamilton machte sich oft Vorwürfe wegen seiner Nachgiebigkeit in dieser Klarinettenangelegenheil. Er hätte Bones ins Loch stecken oder vergiften sollen oder so was.
Bones' Liebe für Musik wuchs in dem Maße, wie er sie ausübte. Das Harmonium wurde erst zum Unfug, als er es an einem warmen Abend ins Freie brachte und es vor hundertzwanzig begeisterten Haußasoldaten, deren unzähligen Weibern und Sprößlingen spielte. Das Glockenspiel, das das nächste Entwicklungsstadium seiner Krankheit kennzeichnete, war ein Fluch; zweimal lief Hamilton Hals über Kopf zum Essen, weil er dachte, er habe sich zum Lunch verspätet; nur um zu entdecken, daß Bones das Lied: »Klingt weit, ihr wilden Glocken!« übte. Einmal wurde das ganze Lager um Mitternacht alarmiert, um Ali Ahmets Lieblingsschimpansen zu fangen, der seine Kette zerrissen hatte und auf der Suche nach Leckerbissen war.
Es nahm drei Tage in Anspruch, um ihn von einem hohen Kopalbaum herunter zu bekommen, aus den er sich mit einer hohen G-Glocke in der einen Hand und einer C-Dur-Glocke in der anderen zurückgezogen hatte, und wo er sie abwechselnd Tag und Nacht mit einem Ausdruck tiefsten Schmerzes erklingen ließ, der einem das Herz brach.
Das Kornett, das Bones aus Empfehlung von einem Händler in Sierra Leone bezogen hatte, wurde auf Sanders' Befehl zurückgesandt, weil es sich als demoralisierend für die bewaffnete Macht der Krone erwiesen hatte; denn die ersten Töne (wie Bones sie hervorbrachte) von »Ein Seemannsleben« glichen dem »Alarm- und Sammelsignal« so zum Verwechseln, daß sich die Station in einem Zustande dauernder Gärung befand, oder daß bewaffnete Männer herbeiliefen, um ihren Posten einzunehmen.
»Ich habe mit dem Bezirksamtmann gesprochen,« sagte Hamilton, »und wir sind übereingekommen, daß Sie in Zukunft Ihre musikalischen Übungen auf eine stumme Mundharmonika zu beschränken haben ...«
»Sehr niederträchtig, lieber, oller Offizier!« murmelte Bones. »Sehr Hoi polloi, lieber, oller Herr!«
»Oder auf eine Judenharfe oder auf eine Konzertina.«
Und als er die Augen Leutnant Tibbetts aufleuchten sah, fügte er hinzu: »Eine sehr kleine natürlich, noch lieber eine auf Gummireifen.«
»Er, der keine Musik in seiner ollen, netten Seele hat, is reif für die Aschengrube«, antwortete Bones mit Würde.
»Ich möchte Sie nicht gerade gerne dort sehen, Bones, aber ich freue mich, daß Sie die Grenzen Ihrer musikalischen Fähigkeiten erkennen.«
Die Spannung der sehr dicken Luft wurde durch einen Befehl des Gouverneurs beseitigt, der nach dem Offizier verlangte, der die Hinrichtung des Untertans des alten Königs vollstreckt hatte. Bones war ungeheuer gespannt.
»Ich wußte, daß etwas danach kommen würde, lieber, oller Herr«, sagte er nachdenklich. »Passen Sie auf, sie lieber, oller Streber ...«
»Bones!« sagte sein Vorgesetzter mit schrecklichem Ernst.
»Ich meine, ich beabsichtige nicht, irgendwelche Ordensauszeichnung anzunehmen, lieber, alter Herr«, antwortete Bones bestimmt. »Ich werde einfach dieser netten, ollen Exzellenz sagen: ›Sir, ich würdige die Ehre, die das nette, olle Gouvernement aus mich abzuladen wünscht, und ich verdiene sie. Ich habe wohl die ganze Arbeit getan, aber solange wie der olle, nette Ham seinem Namen keinen Bezirksamtmannstitel hinzufügen kann‹ ...«
»Ich wünsche, daß Sie überhaupt nicht von mir sprechen«, sagte Hamilton kalt. »Und wenn Sie denken, daß Sie zum Gouverneur befohlen werden, um dort Blumensträuße zu empfangen, so möchte ich Ihnen nur sagen, daß die einzigen Blumen, die man Ihnen wahrscheinlich verabreichen wird, die sein werden, die für Ihren Nachfolger bestimmt sind. Hier handelt es sich um einen Tritt. Haben Sie denn das ›Private und Vertrauliche‹ nicht gelesen?«
Herrn Tibbetts Gesicht wurde länger. Er befestigte sein Monokel im Auge und maß seinen Vorgesetzten mit strengem Blick.
»Wenn irgendein Tritt kommen sollte, lieber, oller Vorgesetzter, warum für mich? Wer hatte damals den Oberbefehl am Ochori? Sie, lieber, oller Ham! Na, nu versuchen Sie bloß nicht, sich da 'rauszureden. Uriah der Hitiddly-hi-ti machte es ebenso, und was für einen schrecklichen Ruf hat er bekommen! Und was diesen alten Befehl vom Gouverneur anbelangt, so hielt ich ihn für 'nen Scherz...«
Ein Besuch bei irgendeinem Gouverneur ist eine feierliche und auf die Nerven fallende Angelegenheit. Dem Ruf zu einem neuen Gouverneur muß man mit zitternden Knien Folge leisten.
Und Sir Macalister Campbell-Cairn war nicht nur neu, sondern unerfahren. Man nannte ihn bei verschiedenen Spitznamen – ein böses Zeichen. Der Mann mit einem Familiennamen kann sehr beliebt sein, mit zwei sehr bekannt, mit mehr als einem halben Dutzend ist er wahrscheinlich unbeliebt.
Er hatte sein Amt kaum länger als fünf Minuten inne, als er der Welt auch schon sein System der verantwortlichen Kontrolle schenkte, das ungefähr folgendes war: Jede Verwaltungseinheit wurde in so viele Bezirke eingeteilt, als es europäische Beamte gab. Jeder Beamte hatte einen Bezirk unter sich und sollte verantwortlich für dessen Wohlfahrt und Ruhe sein. Der Umstand, daß seine Wohnung dreihundert Meilen außerhalb des Bezirks lag, machte wenig oder gar keinen Unterschied. Es war gleichgültig, ob es ein Subalternoffizier war, dem die Ausbildung von Haußarekruten oblag, die militärisch gedrillt werden sollten, und die zum ersten Male lernten, daß ein Gewehr nicht ein Werkzeug sei, um Leute zum Tod zu erschrecken, sondern eine zuverlässige Waffe, die gewisse Verrichtungen mit mathematischer Genauigkeit ausübte; nämlich, daß tatsächlich die Kugel und nicht das »Bumm« die wirkliche Ursache alles Unglücks sei, das dem Abfeuern folgte.
Die Zentralverwaltung war die lange Bezeichnung einer kleinen Stadt und insofern bemerkenswert, als sie sich einer Stadtverwaltung, eines Kraftwerks, eines Wasserwerks und Staubeckens rühmte und überdies einer Anzahl flachdachiger, weißgekalkter Häuser, die in Gärten errichtet waren, in denen nur mehr oder weniger exotische Blumen blühten. Von Pferden gezogene Straßenbahnen rasselten die Boulevards entlang, und Eisenbahnen tauchten in unregelmäßigen Zwischenräumen in die Dschungeln des Hinterlandes unter. Auf den Hörnern der wie ein Halbmond geformten Wasserfront gab es zwei Forts, die aussahen wie umgekehrte Pillenschachteln; aber jedes davon beherbergte einen Schnellfeuer-Vorderlader und zwei 4,7 Schnellfeuer-Geschütze modernerer Ausführung.
Die Bevölkerung bestand in der Hauptsache aus eingeborenen Damen und Gentlemen, die Unterröcke und Hosen trugen. Es gab drei Kirchen, die für drei Grade der Christenheit, die zu jedem eingeborenen Gemeinwesen kommen, Bekenner sammelten: die schmale und hoffnungslose, die breite und hoffnungsvolle und die amtliche, die regelmäßigen Besuch am Sonntagmorgen fordert und Tennis und andere passende Spiele für den übrigen Teil des Tages gestattet.
Alle Bezirksamtleute hassen den Gouverneursitz, wo Eingeborene Englisch reden, Mister genannt werden und am Sonntag Gehröcke, Zylinder und enge Lackschuhe tragen. Die Beamten des Gebietes betrachten eine Aufforderung, diesem gottlosen Orte ihren Besuch zu machen, mit demselben Gefühl, mit dem eine Familienmutter eine Einladung in das Weiße Haus zu Washington betrachten würde, wenn dieses wegen Masern abgesperrt wäre.
Bones, der in seiner Seele keine Furcht kannte, fuhr längs der Küste zum Hauptquartier; sein Geist war vollkommen in Anspruch genommen von einem eben geborenen Entschluß, alle 44 Musikinstrumente zugunsten des Saxophons zu verabschieden. Gelegentlich widmete er auch dem wütenden Gouverneur einen seiner Gedanken.
Macalister hielt es mit Maschinengewehren, Briefverkehr in dreifacher Ausfertigung und Vertrauen auf den »Mann im Amt«. Dieses entstand, als er herausfand, daß er dieser Mann war. Er haßte alle ausländischen Weine und ausländischen Gerichte, hatte eine Leidenschaft für schottischen Hammelbraten und Whisky und hatte nicht das geringste Zutrauen zu der heranwachsenden Generation. Als er ein Junge war, war alles anders. Die Leute, die in die Diplomatenlaufbahn eintraten, waren Gentlemen, die Frauen bescheiden und wußten, wohin sie gehörten; Kinder sprachen niemals, außer wenn sie angeredet wurden.
Er war ein großer breiter Mann, mit Schultern wie ein Ochse und mit einem roten Gesicht, das viel harte Arbeit gesehen hatte. Es schien ursprünglich in rotem Wachs modelliert und leichtsinnig in der Sonne zurückgelassen worden zu sein.
»Seine Exzellenz wünscht, Sie sofort zu sehen!« sagte der dritte Sekretär und sah auf seine Uhr. »Sie kommen zehn Minuten zu spät.« Er schüttelte seinen Kopf.
»Der Dampfer kam einen ganzen Tag später, Herr!« antwortete Bones.
Der dritte Sekretär schüttelte von neuem seinen Kopf, nahm seinen weißen Tropenhelm ab und starrte mit halbgeschlossenen Augen in dessen Tiefen; seine Lippen bewegten sich; er schien zu beten.
»Diesen Weg, Mr. Tibbetts!« sagte er darauf und ging hastig den Gang entlang.
Bones, der den Widerwillen und die Verachtung des Soldaten gegen den Zivilberuf hatte, folgte in einem langsameren Tempo, um seine Unabhängigkeit auszudrücken.
Sir Macalister schritt in seinem großen Zimmer auf und ab, seine Hände auf seinem Rücken gefaltet, Gewicht und Last eines Kaiserreiches auf seiner bewölkten Stirn. Er warf einen Blick auf den Ankömmling, aber hielt in seinem Spaziergang nicht inne.
»Mr. Tibbetts, Euer Exzellenz!« sagte der dritte Sekretär in dem Tone eines Mannes, der des Besuchers nach einer anstrengenden Jagd habhaft geworden ist.
»Huh!« antwortete seine Exzellenz.
Der Sekretär zog sich zögernd zurück; er hätte gern alles mit angehört, was der Gouverneur zu sagen hatte.
» So – you – are – Mr. – Tibbetts!«
»Ja, Herr.«
»Eure Exzellenz!« verbesserte Sir Macalister bissig. »Mit dem letzten – äh – Sir John Tibbetts doch nicht verwandt?«
»Ja, Herr –, mein Vater.«
»Oh!«
Der Gouverneur geriet ins Hintertreffen. Sir John war der höchste Beamte, der jemals an die Küste gekommen war.
»Wirklich? Nun, Herr, wollen Sie mir sagen, warum ... wollen Sie mir, bitte, sagen, warum Sie einen gewissen Talaki ohne Richter oder Geschworene hin – gerichtet haben, als Sie in den Chimbiribezirk kamen? Sie werden mir sagen, daß Sie sich damals fünfhundert Meilen von der nächsten Behörde befanden. Sie werden mir sagen, daß Sie auf Präzedenzfälle zurückgreifen können. Sie werden mir sagen, daß der andere Bösewicht entwischte, weil Sie minderzählig waren.« Er hielt inne und starrte Bones an.
»Nein, Herr!« antwortete Bones höflich. »Keiner dieser niedlichen kleinen Gedanken kam mir.«
»Nicht, Herr! Oh, in der Tat, Herr! Nun, Herr ... Verstehen Sie, Herr! Von diesem Augenblick an, Herr ...! And Sie können das Ihrem Bezirksamtmann sagen, Herr! Daß kein Mann in diesen Gebieten mehr sterben soll, bis sein Todesurteil von mir unterzeichnet und gesiegelt ist; von mir ... dem Gouverneur, Herr! Oder meinem bevollmächtigten Vertreter! Sagen Sie das Mr. Sanders, Herr!«
Bones war nicht im geringsten aufgeregt. »Ja, Herr!« antwortete er. »Und wenn Mr. Sanders den Abschied nimmt, dann werden Eure Exzellenz das vielleicht seinem Nachfolger sagen?«
»Abschied nimmt?« Sir Macalister wurde purpurrot. Sanders hatte einen Ruf im Auswärtigen Amt. Das letztemal, als er den Abschied nahm, wurde ein sehr bedeutender Gouverneur zurückgerufen. Als dieser nach Hause kam, wurde ihm gesagt, daß es viel leichter sei, einen neuen Gouverneur zu finden als einen Ersatz für den Bezirksamtmann der Flußgebiete.
»Meinen Sie, daß er den Abschied nehmen wird, Mr. Tibbetts?«
»Alle guten Götter!« war beinahe ein milder Ausruf.
»Gewiß, Herr! Ganz undienstlich, diese Art Botschaft durch einen netten, ollen Untergebenen zu übersenden.« Bones schüttelte vorwurfsvoll seinen Kopf und fügte hinzu: »Ich müßte ebenfalls meinen Abschied nehmen.«
Die Wirkung dieser Drohung war nicht wahrnehmbar. Bones behauptete nachträglich, daß »Rudolfchen taumelte«. Jedenfalls nahm dieser seinen Spaziergang wieder auf.
»Ich werde hinuntergehen und ihn selber sprechen. Es ist tödlich ungesund, aber ich muß gehen. Warum haben Sie diesen Kerl denn gehängt?«
»Weil, Herr,« antwortete Bones, »weil er einen anderen Kerl ermordet hat, Herr, und weil er dessen alte Dame nahm ...«
Er erklärte, auf welche Weise. Mr. Macalister, der rauhen Seiten des Daseins ungewöhnt, schauderte und unterbrach Bones, ehe dieser noch halb mit seiner Erzählung zu Ende war.
»Fürchterlich ... Besser, Sie kommen zum Essen, und dabei können wir's ja besprechen, Tibbetts ... Sieben Uhr, dreißig, genau! Lassen Sie mich nicht warten, oder ich werde Sie entlassen! Beiläufig, ehe ich's vergesse, soweit ich's verstehe, gibt's Unruhe in dem Lande des alten Königs. Kniffliche Sache ... Fordert Takt. Sagen Sie Sanders, ich werde mit nächstem Dampfer 'runterkommen und ihn ersuchen, ein Palaver mit dem alten Mann anzusetzen. Eh? Nein, nein! Sanders will ich dabei nicht haben. Ich werde diese Grenzfrage erledigen ... Sieben, dreißig, genau, und wenn Sie eine Minute zu spät kommen, bei ... Dann schmeiße ich Sie aus der Armee, das tu' ich, zum Donnerwetter!«
Draußen auf dem Gange traf Bones einen Kameraden, mit dem er in Sandhurst (Kadettenanstalt) zusammengewesen war; einen gewissen Stewart Clay, ein Kind, in Weiß gekleidet, der die goldenen Achselschnüre eines Adjutanten trug. Nach dem ersten Begrüßungsgeheul von Freude und Frohsinn, sagte der Adjutant nicht eben achtungsvoll: »Er ist kein schlechter alter Satan, aber er ißt zuviel, und er trinkt zuviel ..., besonders trinkt er zuviel! Wenn du ihn wie einen Dundee-Müllerburschen reden hörst, weißt du, dann brauchst du ihn bloß zum Trinken aufzufordern. Er hat auch in der Liebe Pech gehabt«, fügte der Adjutant spöttisch hinzu. »Ich rate dir, heute nacht nicht auf das Thema Weiber und vor allem nicht auf das Thema »schottische Weiber« zu kommen.«
Bones versprach ihm das.
Er kam rechtzeitig und fand Sir Macalister in dem lustigen oder Cock-tail-Stadium von Leutseligkeit. Bones durfte es sogar wagen, seinen Ankauf eines Saxophons zu erwähnen. Der Gouverneur lehnte Saxophone hohnlachend ab, aber gegen das Ende der Tafel bekannte er seine eigene Schwäche für Musik.
»Maan!« sagte der Gouverneur, »Sie sind verrückt, wenn Sie nicht die schäunen Fläuten jedem Saxophone-Galgengedudel vorziehen. Stewart, Jungchen, jiv mi de Fläuten ut mien Koffer!«
Wenn Sir Macalister so sprach, war er glücklich; dann wurde aus dem strengen Gouverneur ein menschlich denkender Schotte.
Zwei Stunden lang saß Bones voll ehrfurchtsvoller Scheu auf dem Rande seines Stuhles, seine großen Hände auf seinen Knien, und starrte, Monokel im Auge, mit allen Zeichen der Hochachtung auf einen großen Mann im Gesellschaftsanzug, dessen Brust voll glitzernder Orden war, und der, einen mit Tartan (gewürfeltem schottischem Zeug) überdeckten Dudelsack mit vier aufrechtstehenden bebänderten Pfeifen unter dem Arm, den langen Speisesaal elastisch auf- und abschritt.
Der Gouverneur spielte »Blumen des Waldes« und »Die Klage des Prinzen« ... Die Pfeifen klagten geisterhaft, traurig, aber schön. Und mit seinen höchst eigenen Gouverneurshänden quetschte er den Dudelsack unter den Arm seines Gastes und lehrte ihn das sonderbare verrückte Spiel der Dudelsackpfeifen. Bones trat auf Luft ...
»Se maaken dat schäun! Ick will Ihnen een oolen Dudelsack schenken, den ick för Stewarden med rut braocht häw, man dat Jungchen haett gaor keen Talent nich för de Pipen.«
Und um Mitternacht:
»Set di daol, Herr Tibbetts! Du nimmst den lütten Damper un geihst morgen fröh nao de Gebiete taurügg? Jao – du bist noch fix jung. Als ick in dien Oller waer, mien Jung, waer ick achter ne ganz lütten Deern her ... Maggie Braun heet se. Se waer de Dochter vun nen Kätner. Se waer nich vun mien eegen Stand, versteihst ...?«
Stewart Clay brachte den Besuch nach seinem Hotel zurück.
»Er ist kein unrechter alter Kerl, aber ich wünschte, Maggie Braun wäre gestorben, ehe er sie zu Gesicht bekam. Ich bekomme sie jede Woche zwei Nächte lang unverfälscht und unverwässert vorgesetzt!«
»Lieber, oller Stewart!« bat Bones dringend. »Was für 'ne Pfeife ist das, die man um seinen Hals hängt? Ist das die, die das iiii-Geräusch hervorbringt oder diesen netten, ollen o-o-o-Ton?«
Bones kehrte als vollkommen verwandelter junger Mann auf seine eigene Station zurück, und der Ingenieur der kleinen »Bassam« war froh, als er erst Bones Rücken sah.
»Ich dachte, irgend etwas sei in die Leitung gekommen, Mac,« sagte er zum Kapitän, »und ich Esel überschwemmte die verdammte Maschine mit Öl, um das Quietschen zu stoppen. Und dabei war es diese Heringsseele von Offiziersschnösel, der in einem fort auf seinem Dudel-Dudel-Duliö spielte.«
Für Sanders machte das Kommen des Gouverneurs nichts aus. Die Anwesenheit eines Gouverneurs langweilte ihn damals eher, als daß sie ihn in Ehrfurcht versetzt hätte. Er ging zu dem kleinen festen Kai hinunter, um sich von Seiner Exzellenz zu verabschieden, und da er der Ausrüstung der »Zaire« fürsorglich gewisse Bequemlichkeiten zugefügt und den ärmlichen Getränkevorrat des großen, weißen Fahrzeuges auf seinen vollen Bestand ergänzt hatte, war Sir Macalister beinah liebenswürdig.
»Tut mir leid, Ihnen soviel Mühe gemacht zu haben, Mr. Sanders!« sagte er leutselig. »Aber ich werde diesen Besuch jedes Jahr machen. Die früheren Gouverneure sind ein bißchen zu lau gewesen.«
»Wenn ich Sie wäre,« sagte Sanders, »würde ich mich sehr vor dem alten König in acht nehmen, Herr. Ich persönlich hätte dieses Palaver nicht gehalten. Die bloße Tatsache, daß er so bald nach der kleinen Unterredung, die ich mit seinem Häuptling hatte, darum nachsuchte, sieht mir sehr verdächtig aus. Es ist Ihnen doch klar, daß dieses Palaver vom König und nicht von mir veranlaßt wurde. Er kam Ihrer Botschaft um vierundzwanzig Stunden zuvor.«
»Um so besser, Mr. Sanders!« strahlte Seine Exzellenz. »Ich werde ihn dann in versöhnlicher Stimmung antreffen.«
Das Heckrad der »Zaire« fing an rückwärts zu schlagen. Bones, in fleckenloses Weiß gekleidet, stand aus dem Vorderdeck und grüßte stolz und steif. Die »Zaire« drehte, langsam bis zur Strommitte rückwärtsgehend, ihre Nase nach den schwarzen Wassern und kam, unter dem aufgeregten Wirbeln ihres Heckrades, um die Flußkrümmung bald außer Sicht.
»Ich hoffe, er ersäuft«, sagte Hamilton tückisch, als sie zusammen zur Wohnung zurückgingen. »Und selbst Ertrinken ist zu gut für einen Menschen, der Bones' Bekanntschaft mit dem Dudelsack vermittelte!«
Bones war sehr froh, einmal in seinem Leben das Fahrzeug den bewährten Händen Hokas, des Hauptmaschinisten und Sandbank-Riechers, überlasten zu können.
»Ich bin hier, wenn ich gewünscht werde, Herr und Exzellenz«, erklärte er würdevoll. »Die bloße Tatsache, daß ich aus diesem netten, ollen Deck stehe, gibt den Kerlen so 'ne Art Selbstvertrauen.«
Sir Macalister ging, seinen Tropenhelm im Nacken, die sonnensegelverdeckte Brücke auf und ab.
»Sie müssen mir alle wichtigen Plätze, an denen wir vorbeikommen, bezeichnen, Mr. Tibbetts!« war seine einzige Anweisung, und Bones redete den ganzen übrigen Teil des Tages lang.
»... Das hübsche olle Inselchen da, lieber Herr, war das, wo ich aus dem Boot fiel und beinahe von einem unartigen, ollen Krokodil verschlungen wurde ... Wenn Sie aus diese Seite herüberkommen, lieber, oller Herr, können Sie's sehen ... Nöö, Sie können es nicht ...! Doch, Sie können. Das dort ist ... das Dorf zwischen den Bäumen ... Dort wurde ich von einem elenden, ollen Moskito gestochen, und mein netter, oller Arm schwall – schwellte – schwoll auf wie Ihr hübscher, oller Kopf ... einfach fürchterlich! ... Sehen Sie die Sandbank, Herr? In der Mitte des Stromes, Herr? Es war einfach gräßlich ... Nix als Wasser zu sehen ... Das Dorf da, Herr, heißt ... verdammt, wenn ich's weiß, wie es heißt.«
Der zuhörende Yoka flüsterte leise den Namen: »Umbula« ... klingt fast wie Umbrella, Regenschirm, nich? Ha, ha! Nich schlecht, was, alter Herr?«
Nun, und was geschah in diesem Dorfe?«
»Hundebiß! Herr! Wurde von 'nem ollen kochend wütenden Hunde gebissen ... einfach fürchterlich ...! Hatte den ganzen Tag über im Bett zu bleiben ... Dieses Gewässer heißt ...« Yoka kam wieder zu Hilfe. »Libisini, richtig! Führt nach 'nem hübschen, ollen See ... alles voll Wasser und solchen Sachen ... Wurde ganz naß ...«
Bei der Ochoristadt erwartete Bosambo seine Gäste, und als er entdeckte, daß Sanders nicht mitgekommen war, machte er ein langes Gesicht.
»Herr, das ist ein sehr schlimmes Palaver!« sagte er, und für einen Bosambo war er sehr ernst. »Denn meine Späher haben mir gemeldet, daß zwei von des alten Königs Regimentern auf der anderen Seite der Berge warten. Und deshalb habe ich alle meine Sperre versammelt und im ganzen Lande nach meinen jungen Kriegern herumgeschickt.«
Bones zog an seiner langen Nase und schnitt eine Grimasse – ein sicheres Zeichen seiner Beunruhigung.
»O, ko! Du bringst mir schlechte Nachrichten,« sagte er traurig, »denn dieser Herr hier ist ein Königsmann und ein sehr hoher.«
Bosambo betrachtete den dieses Umstandes sich nicht bewußten Macalister, der in diesem Augenblick damit beschäftigt war, durch seinen Dolmetscher zu den Vorleuten zu sprechen, die sich versammelt hatten, um mit ihm zusammenzutreffen.
» Mir sieht er aus wie eine fette Kuh!« sagte Bosambo, ohne jede beleidigende Absicht. »Und das wundert mich, daß alle eure hohen Beamten fett und alt sind.«
Bones ärgerte sich verzeihlicherweise.
»Du bist ein alberner Quatschkopf!« sagte er.
»Und Sie ebenso! Und nicht zu knapp!« erwiderte Bosambo liebenswürdig.
Diesen ganzen Abend verbrachte Bones vergebens damit, der großen Kanone von diesem Marsch abzuraten. Sie hatten eine Bedeckung von zwanzig Haußas bei sich, und der Weg zu den Bergen führte durch unwegsames Dickicht, in dem Scharfschützen nicht verwendungsfähig waren.
»Mr. Tibbetts!« sagte Seine Exzellenz donnernd, »ein britischer Beamter weicht niemals von seiner Pflicht ab. Dieses heilige Wort sollte in goldenen Lettern über seinem Kopfe angebracht sein, damit er es schlafend oder wachend stets vor Augen hat!«
»Persönlich, lieber, oller Herr, schlafe ich niemals mit offenen Augen. Die Pointe ist die ... liebe, olle Exzellenz ...«
»Mr. Tibbetts, Sie werden zu vertraulich!« sagte Macalister.
Bones erörterte die Angelegenheit mit dem Adjutanten des großen Mannes, und Leutnant Stewart Clay gewährte ihm wenig Trost.
»Er hat keine Phantasie,« sagte dieser, »ausgenommen, was schottische Weiber anbetrifft, die Braun heißen. Gib ihm noch 'nen Cock-tail, und du wirst sehen, was er tut.«
Der weitere Cock-tail löste in dem Gouverneur nur einen Wunsch nach Musik aus. Zehntausend Ochorikrieger – denn die Stadt war nun ein bewaffnetes Feldlager – horchten atemlos dem Liede »Die Campbells kommen« (einem berühmten schottischen Hochländermarsch) zu.
»Herr!« flüsterte Bosambo hingerissen, »warum tut der große Herr auf- und abmarschieren, wenn er diese sonderbaren Bauchgeräusche macht? Werden da noch schlimmere Töne kommen?«
Als Bones später seine eigenen buntbebänderten Dudelsackpfeifen hervorholte, erhielt Bosambo eine Antwort auf seine Frage.
Bei Tagesanbruch marschierten sie: Zehn Haußas und hundertundfünfzig ausgewählte Lanzen. Sie kamen an den Fuß der Berge, als die letzten Sonnenstrahlen quer über den niedrigen, gesträuchartigen Baumbestand fielen.
»Wir wollen hier eine Stunde rasten und den Marsch in der Kühle der Nacht vollends zurücklegen«, befahl Macalister, der die letzten zwölf Meilen in der Hängematte getragen worden war.
Bones trocknete sich die nasse schmierige Stirn.
»Besser, wir warten bis zum Morgen!« riet er. »Die Leute sind hundemüde.«
Sir Macalister lächelte.
»Halten Sie sich nur munter, Jungchen!« sagte er leutselig. »Ich weiß, die Musik wird ihnen Beine machen. Und Sie sollen sich ein wenig darin üben, Tibbetts; mein Junge... Sie sind noch nicht perfekt im Dudelsackblasen.«
In dieser großen Schlucht des Geistergebirges, die M'shimba M'shamba in einer fürchterlichen Sturmnacht in das Gestein gebissen hatte, warteten zwanzig feindliche Speere in der Dunkelheit.
Der alte König, in seine Felldecke gehüllt, kroch unter den Schutz der hohen Felsen; er hatte einen heißen Napf mit glühendem Holz unter seiner Bekleidung, der ihn erwärmen sollte. Zu seinen Füßen hockte Joe, der Händler, und sog an einer kurzen stinkenden Pfeife.
»... Sage ihm, wenn Sanders zum Teufel geht, kann er runter zu den Ochoris gehen, sobald es ihm paßt ...«
Einer der anwesenden Ratgeber hatte flach und bewegungslos, sein Ohr auf den Boden gedrückt, auf dem felsigen Wege gelegen. Jetzt stand er auf.
»Sie kommen!« sagte er und stieß ein zischendes Geräusch aus.
Aus den zwanzig Speeren wurden hundert. Eine Gestalt nach der anderen huschte vorüber, der schwindende Mond strahlte von ihren breiten Speerblättern zurück – die Gestalten huschten vorbei und verschwanden. In dieser Gegend ist die Erde besät mit Felsblöcken, und jeder Block gewährte Schutz für drei Mann.
»Kein Mann zuschlagen, bis sie nicht eine Speerslänge von mir entfernt sind!« hüstelte der König. »Den Sandi bringt ihr mir lebendig und auch den jungen Mann mit dem silbrig glänzenden Auge ...«
Des Königs Ratgeber an seiner Seite wurde unruhig.
»Wenn jene fürchterlichen Geister kommen ...«, begann er, und Joe wußte, was der Mann meinte.
»Unsinn!« murmelte er. »Hör' mal, sage ihm, er kann sich an meine eigene Haut halten, wenn uns irgend etwas zustößt! Komm nur, Sanders, du Schönheit!«
Sie hörten ein Trapsen von Füßen, fingen das flüchtige Aufleuchten einer schwankenden Laterne auf. Die Männer hinter den Felsblöcken saßen auf dem Sprung und packten fiebernd ihre Schlachtspeere.
Hinter dem Busch hervor, der die unteren Hänge des großen Hügels bedeckte, kam jetzt die Laterne in Sicht, um nicht wieder zu verschwinden.
»Tötet!« flüsterte der König.
Aber gerade, als er sprach, kam aus dem vorrückenden Trupp heraus ein höchst sonderbarer und fürchterlicher Ton. Es war der Schrei einer verwundeten Seele – der Schrei eines Mannes, der über alles, was ein Mensch ertragen kann, hinaus gemartert wird – ein wildes, frohlockendes Geheul zwischen dem höllischen Gekicher riesiger Fabelwesen der Unterwelt.
Einen Augenblick stand der König aufrecht, gelähmt, wie vom Schlage getroffen; nur in seinem Gesicht arbeitete es furchtbar; und dann begannen die verborgenen Krieger, aufschreiend vor Furcht, blind vor Schrecken, ein wildes Rennen und warfen auf ihrer Flucht Speer und Schild von sich.
»Sag' ihm ... bloß Dudels...«
Joes Worte endeten in einem Seufzer, und er brach in die Knie, indem er vergeblich den Speer herauszuziehen versuchte, der ihn getroffen hatte; denn der Ratgeber des alten Königs hatte ihn durchbohrt, als er flüchtete.
»Ja, lieber, alter Herr!« sagte Bones, als sie bei Tageslicht nach Ochoristadt zurückmarschierten. »Schrecklich unhöflich und dergleichen. Wenn Hänschen ein Stelldichein verabredet, dann sollte Hänschen das auch halten.«
»Es war ein Hinterhalt, bei allen Göttern!« zitterte Seine Exzellenz, auf- und niederstoßend, wenn die Sänftenträger gerade eine recht holprige Stelle des Weges nahmen. »Es hat keinen Zweck, mein lieber Mann, mir weiszumachen, daß das keine Falle war ... Dieser schreckliche weiße Mann, mit dem Speer in seinem Leichnam ... Guter Gott ... Fürchterlich!«
»Es kann ein Hinterhalt gewesen sein, liebe, olle Exzellenz!« gab Bones zu. »Aber wenn es einer war, warum liefen die netten, ollen Sünder denn dann weg? Das ist mir schleierhaft.«
Und Bones meinte das in tiefstem Ernst.