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Die Höhle des Propheten in der Martergasse.
Der Hauptmann Klingen hatte in der That den Degen mit der Feder vertauscht und war der Redacteur des »Propheten« geworden, jenes, unter den Auspicien des Museendirectors gegründeten Blattes, welches gleich bei seinem ersten Erscheinen ein so großes Aufsehen hervorrief...
Es war in den spätern Nachmittagsstunden desselben Märztags, dessen Morgen wir im Garten des Geheimeraths von Olbers verlebten. Klingen saß allein auf einem Sessel mit Rohrgeflechte und niedriger Rücklehne in dem Redactionsbüreau des Propheten.
Das Haus, in welchem sich auch zugleich die Druckerei des Blattes befand, lag in einer engen, düsteren Straße, in welche die steilen Giebel nur selten einen Sonnenstrahl fallen ließen. Die Straße gehörte zu dem ältesten Theil der Hauptstadt und die hohen, grauen Fronten mit den hervorspringenden Erkern, dem Schnörkelwerk und den breiten, thorähnlichen Hausthüren von dunklem Eichenholz gaben ihr ein durchaus mittelalterliches Gepräge. Dazu noch die Einsamkeit und Stille, die grell abstach gegen des lebendige, vielgestaltige Treiben des Verkehrs in den neueren Stadttheilen... In den alten, hohen Häusern dieser finstern, dumpfigen Straßen, zwischen deren feuchtem Pflaster Gras hervorwuchs, wohnten meist ältere, einzelne Leute, pensionirte Beamte aus dem Junggesellenstand, welche den Rest ihres Lebens, der geringen Miethe wegen, hier zubrachten... Selbst der Name der Straße hatte etwas Düsteres, Unheimliches. Sie hieß: die »Märtyrergasse,« zum Andenken an den Apostel der Deutschen, Bonifazius, dessen Statue in früheren katholischen Zeiten am Eingange der Straße gestanden. Der Volksmund, dem das griechische Wort nicht geläufig, hatte den Namen in »Martergasse« verwandelt, eine Bezeichnung, die deshalb Viele sogar für die richtigere hielten, weil in der Straße sich ein Gebäude befand, welches vor Jahrhunderten, nach chronikalischen Angaben, der Sitz des hochnothpeinlichen Halsgerichts gewesen... In diesem Gebäude, an welches der Volksglaube eine Menge schaurige Traditionen knüpfte, war die Druckerei und Redaction des »Propheten.«
War es Zufall oder Berechnung des Gründers des Blattes, daß er dasselbe aus so düsterer, mittelalterlicher Stätte in die Welt gehen ließ?
Vielleicht vereinigte sich Beides.
Der Besitzer der Druckerei war ein alter, mürrischer Mann, ein Böhme von Geburt, wie es hieß, katholischen Glaubens. Er war vor Jahren als Schriftsetzer eingewandert und hatte die Wittwe des ehemaligen Besitzers geheirathet... Die Ehe war kinderlos geblieben und Valerian Stracka schon seit Jahren Wittwer... Er war ein erbitterter Feind aller jener Ideen, welche seit 1789 die Welt der Geister, wie die Staatenwelt in Gährung gesetzt und eine Bewegung hervorgerufen haben, die voraussichtlich nicht eher mit einer festen, dauernden Gestaltung abschließen wird, als bis diese Ideen der bürgerlichen und religiösen Freiheit nebst allen den damit verbundenen ihre Anerkennung im politischen wie gesellschaftlichen Organismus gefunden und die Einrichtungen unseres modernen Culturlebens umgeschaffen und mit ihrem Inhalt erfüllt und durchtränkt haben.
Die innere Einrichtung des Hauses entsprach dem düsteren Aeußeren. Lange, dunkle Corridors, enge, finstere Wendeltreppen, Schwibbbogen und Nischen in der dunklen, weiten Hausflur und in den Vorsälen des ersten und zweiten Stockwerks eine große Anzahl in einanderlaufender Zimmer, meistens gewölbt und mit dunklem Holz getäfelt... Dicht an das Haus schloß sich ein Hof und ein großer Garten, der zwar von einer hohen Mauer umgeben, aber sonst nirgends eine Spur irgend welcher Pflege zeigte. In dem vorderen Theil waren einige große Rasenplätze mit Gesträuchen eingefaßt, in den hinteren Partien sah es aber geradezu urwäldlich aus. Dichtes Buschwerk, Lerchenbäume, Tannen, Pappeln, Brombeerbüsche und Unkraut jeglicher Art gaben dem Ganzen den Character einer Wildniß; ein Eindruck, der durch einen kleinen, trüben Fluß vermehrt wurde, welcher, von dem südwestlichen Stadttheile kommend, diese Gartenwildniß begrenzte, bis er sich unter einer Wölbung der Mauer einen Weg in's Freie bahnte...
Hinter dem Garten und dem Flusse lagen weite, öde Baustellen, welche besonders in der herbstlichen und winterlichen Jahreszeit mit ihrem wüsten Durcheinander von aufgeworfenen Tand- und Erdhaufen und dem von schlammigen, übelriechenden Wasser angefüllten noch nicht überpflasterten Abzugscanälen einen häßlichen Anblick boten...
Doch kehren wir wieder in das Redactionszimmer des »Propheten« zurück.
Das schöne Frühlingswetter des Morgens hatte sich, wie es in diesen Uebergangsmonaten so häufig der Fall, am Spät-Nachmittag in ein stürmisches, regnerisches verwandelt. Große Regentropfen klatschten an die erblindeten und staubbedeckten Fensterscheiben der alten Druckerei. Durch die langen Corridors pfiff und heulte der Wind und drehte offene Thüren knarrend in den verrosteten Angeln...
Die Officin, in welcher außer dem Besitzer nur noch zwei Gehülfen, die schon lange im Geschäfte des Herrn Stracka standen und ein Mann an der Presse beschäftigt waren, war schon seit einer halben Stunde geschlossen...
Valerian Stracka hatte, erbittert durch die neuen Preßzustände, sein Geschäft auf's Kleinste reduzirt und seitdem er der Drucker des »Propheten« geworden, hatte er alle andern Aufträge von der Hand gewiesen. Das kleine Personal, denn er selbst arbeitete von Früh bis Abend mit, war hinreichend zur Herstellung des Blattes...
War er doch ohnehin ein sehr vermögender Mann, der gut von seinen Zinsen hätte leben können...
Ebenso wunderlich und unheimlich wie in der ganzen Straße und in dem Hause sah es im Redactionszimmer des Propheten selbst aus.
Der polirte Sessel aus Kirschbaumholz mit Rohrgeflechte, auf welchem der Hauptmann vor dem schweren alten Schreibtische saß, der vielleicht zu dem Inventar des hochnotpeinlichen Halsgerichts gehört hatte, war das einzige moderne Möbel des Gemachs. Dieses selbst schmal und tief und spitz gewölbt. Alte, graue Tapeten, die da und dort in den tiefen Nischen mit einem grünlichen feuchten Moder überzogen waren, kleideten die Wände. Im Hintergrunde des Gemachs befand sich ein mächtiges Kamin, davor ein Estrich von Gyps. Aus der Kohlenglut züngelten noch zuweilen kleine Flammen empor, die dann ihre röthlichen Reflexe auf die grauen Tapetenwände und den vor sich hinbrütenden Hauptmann warfen. Große, dunkelbraune Schränke, auf denen Ballen von Makulatur, alte Actenfascikel, in Pergament gebundene Bücher, Himmelsgloben und anderes altväterliches Gerümpel stand, erhöhten das Düstere des Gemachs...
Für furchtsame, ängstliche Gemüther war sicherlich aber das Unheimlichste der ganzen Ausstattung dieses Zeitungsbüreaus ein großes, männliches Gerippe, welches in einer Nische zwischen zwei Schränken, unweit des Kamins, in aufrechter Stellung stand... Zu beiden Seiten des Skelets hingen die Waffen des Hauptmanns, der Degen und die Pistolen.
Mit diesem Skelet hatte es eine besondere Bewandtniß. Herr von Wolkowsky, der süße Geigenvirtuos, welcher bei einem Concert, das er in Gemeinschaft mit seinem Freunde, dem Flötenspieler Rubinsky, gab, diesem vor Bewunderung in die Arme fiel, worauf jener aus gleicher Bewunderung seinem Freunde Wolkowsky in die Arme fiel; dieser schmachtende Kunstjünger, der sehr fleißig im Redactionsbüreau verkehrte, erzählte den spärlichen Besuchern, welche sich in die Höhle des Propheten wagten, über das Gerippe Folgendes: Als Herr Stracka vor einigen dreißig Jahren das Geschäft und Haus übernommen, habe er die unterirdischen Räumlichkeiten, die Keller und Gewölbe durchforscht. In einem dieser Gewölbe habe er das Skelett an einer Kette gefunden. Ein Freund aller mittelalterlichen Antiquitäten habe er es in die oberen Gemächer gebracht und dort als einen knöchernen Beleg für die prompte Justiz des Mittelalters gegen Zauberer – denn ein solcher sei das Gerippe – aufgestellt. Indessen hütete sich der Virtuos wohlweislich, diese Geschichte von dem Zauberer-Gerippe in Gegenwart des Hauptmanns zu erzählen, denn in Bezug auf das Skelet verstand der alte ehemalige Landsknecht und Söldling des Don Carlos und Ferdinand von Neapel keinen Scherz...
Die Wahrheit war die: das Skelet war erst mit dem Hauptmann, der im Redactionslocale wohnte, in's Haus gekommen... Es war eine seltsame Geschichte, die in des Hauptmanns früheren Jahren gespielt hatte. Das Skelet war das eines Jugendfreundes, der mit ihm durch gleiches Schicksal aus dem deutschen vaterländischen Dienst nach Spanien zu dem Don Carlos getrieben worden. Es war die Veranlassung dieser Flucht ein höchst scandalöser Vorfall gewesen, – welcher mehrere blutige Duelle zur Folge gehabt und in welchen auch eine fürstliche Person verwickelt gewesen war. In Spanien hatten die Beiden lange mit einander gekämpft und waren dann, als der Prätendent seine Sache aufgab, nach Neapel in die Dienste des Königs Ferdinand II. getreten. Das Jahr 1848 kam, mit ihm die bekannten Ereignisse. Der Bourbonenkönig gab eine Verfassung, die er beschwor, um sie später bei gelegener Zeit zu vernichten und das constitutionelle Ministerium, das ihn gerettet, in die Bagno's von Neapel zu werfen. Die Fremdenregimenter und Lazzaroni's waren des Königs Werkzeuge bei diesem Staatsstreich, der an brutaler Abscheulichkeit seines Gleichen sucht. Doch ging es nicht ohne Widerstand und Blutvergießen ab. Besonders auf Sicilien war der Kampf ein ziemlich hartnäckiger. Hier war es, wo des Hauptmanns Freund in einem kleinen Scharmützel mit dem Volke fiel – und zwar durch die Hand eines deutschen Arztes, der sich damals in Palermo aufhielt und sich der Sache des Volkes angeschlossen hatte... Die Wuth und der Schmerz des Hauptmanns waren grenzenlos, umsomehr, da es ihm nicht vergönnt war, den Tod des Freundes an dessen Gegner zu rächen... Er sah ihn aus der Ferne fallen und das Getümmel des Kampfes riß ihn fort nach einer andern Richtung... Doch die Züge jenes Mannes hatte er sich fest eingeprägt und wenn es keine Täuschung seiner, von schwerem Wein erhitzten Einbildungskraft war, hatte er mehrere Jahre später dieses Gesicht in einer wüsten Spielnacht auf einen Moment unter der Menge, die den Tisch, an welchem er als Banquier stand, umgab, hier in dieser Stadt auftauchen sehen... Doch das Skelet! Als das Gefecht geendet, hatte Klingen seinen Freund unter den Gefallenen hervorgesucht. Den Leichnam hatte er einem jener italienischen Chirurgen übergeben, die halb Charlatane, halb Aerzte, in allen italienischen Orten zu finden, Alles thun, falls sie nur gut bezahlt werden. Dieser hatte ihm den »Cadaver präparirt« und das Skelet zusammengefügt. Es wurde des Hauptmanns treuer Begleiter auf allen seinen abenteuerlichen Kreuz- und Querfahrten... Sonderbar!.. Dieser Mann kannte seit seinen frühen, längst dahingegangenen Kinderjahren kein edleres, menschlicheres Gefühl mehr. Nur wüste, dumpfe Leidenschaften, die in ihm gährten und jener trübe Niederschlag religiöser und politischer Anschauungen, den man in der Regel bei solchen verwilderten Naturen zu finden pflegt. Das Gefühl der Freundschaft für den Gefallenen war die einzige bessere Empfindung, die in ihm gewohnt. Mag die Quelle, aus welcher diese Freundschaft entsprang, auch noch so unlauter gewesen sein – war der, welchen der Hauptmann seinen Freund nannte, ein gleich wüster, gewaltthätiger Mensch: die gemeinsam bestandenen Gefahren in Schlachten und tausend andern Abenteuren ihres bewegten Lebens hatten ein festes, unauflösliches Band um die Beiden geschlungen, das nur der Tod zerschneiden konnte... Aber auch von ihm, dem furchtbaren Feinde alles Lebendigen, wollte der Hauptmann sich den Freund nicht entreißen lassen und so begleitete ihn des Waffengefährten Skelet überall hin und stand stets in seinem Wohnzimmer. Sein Bursche, der ihn bediente, behauptete oft gegen die Mägde der Nachbarschaft, daß sein Herr in der Nacht Zwiegespräche mit dem Gerippe halte, daß dieses ihm antworte und dabei mit den Knochen klappere – höchst unheimlich und Grausen erregend. Entsetzliche Flüche und Schwüre wollte der Bursche mitunter während solcher Unterredungen mit dem Skelet gehört haben, wie wenn der Hauptmann dem Todten, unter furchtbaren Verwünschungen, ein Gelöbniß leiste; wahrscheinlich einen Racheschwur...... Es schlug sechs Uhr. Der trübe, regnerische Himmel ließ den Abend zeitig hereinbrechen. Der röthliche Schein, den die glimmenden Kohlen des Kamins warfen, war das einzige Licht, welches das Gemach erleuchtete...
Der Hauptmann liebte diese düsteren Dämmerstunden, in denen er sich oft einem dumpfen Hinbrüten überließ... Dann fing seine Phantasie an zu gähren und ihm, wie einem Opiumraucher, glühende Bilder einer wilden, rohen Leidenschaft vor die Augen zu stellen. Wilder Sinnengenuß bei Weibern, bei der Flasche und jene Aufregung des Spiels, die bei zerrütteten Naturen oft noch die einzige ist, die ihnen bis an's Ende bleibt, das waren die Mittelpunkte seines Träumens...
Dazu im tiefsten Grunde seiner Seele den dumpfen Haß gegen die Freiheit, gegen die Gesittung, vor Allem aber gegen den, welchen er den Mörder seines Freundes nannte. Seine blinde, tolle Wuth, mit welcher er sich überall für die brutale Gewalt, für den Absolutismus schlug, hatte seit dem Tode seines Genossen einen neuen Stachel bekommen und sein Haß gegen die Freiheit und den Geist der neuen Zeit dadurch, daß er ihn auf eine Person übertragen konnte, frische Nahrung erhalten.
Der Hauptmann wartete auf den Museendirector; es war die gewöhnliche Stunde, in welcher Marecampus in das Büreau zu kommen pflegte, um seine Anordnungen für den folgenden Tag zu geben. Klingen hatte mit der eigentlichen geistigen Arbeit an dem »Propheten« wenig zu schaffen. Er lieh den Namen als verantwortlicher Redacteur, besorgte die Durchsicht und schrieb zuweilen unter der Rubrik »der Beobachter« im Feuilleton des Blattes kleine, kurze Artikel, die sich ebensowohl durch den grotesken, wilden Styl als durch den Cynismus und verbissenen Ingrimm, welchen sie gegen die freisinnigen und nationalen Bestrebungen athmeten, auszeichneten...
Vor Marecampus hatte er einen tiefen Respect.
Seit dem Morgen, da Marecampus zu ihm mit den Worten: Ich bin es, der zu Ihnen kommt, in's Zimmer getreten, hatte er eine fast willenlose Ergebenheit gegen denselben gezeigt. Daß der Museendirector nicht der katholischen Kirche, wie er, Klingen, angehörte, übte in diesem Falle keinen Einfluß. Der Hauptmann fühlte zwischen seinem Glauben und jener finstern, protestantischen Orthodoxie, wie sie der Museendirector in sich trug, einen gewissen Zusammenhang, eine Ähnlichkeit. Dazu die Hochachtung des Marecampus für das Gebäude der katholischen Hierarchie, die Sympathien für den Cultus des katholischen Glaubens... Außerdem war der Hauptmann an das blinde Gehorchen gewöhnt, diesen unbedingten Gehorsam aber verstand sich Marecampus wie irgend Einer zu verschaffen. Ein Blick, ein kurz hingeworfenes Wort, eine Geberde waren hinreichend.
Anders war sein Verhältniß mit Wolkowsky, dem Geigenspieler. Mit diesem hatte ihn blos die äußere Notwendigkeit zusammengeführt; tiefere Berührungspunkte gab es zwischen den Beiden nicht – eine gemeinsame Leidenschaft für das Hazardspiel und gewisse Sinnengenüsse ausgenommen, in welchem Geschmack sich der Soldat der Legitimität und des Absolutismus und der Jünger der Kunst begegneten...
Die Congregation hatte ihnen einen gemeinsamen Wirkungskreis angewiesen, sie waren von dieser an Marecampus überwiesen worden: das war das Band, welches die Beiden aneinander kettete...
Seit zwei Tagen war der Virtuos nicht in der Höhle des »Propheten,« wie die Spötter der Gegenpartei das Redactionsbüreau des Blattes nannten, gewesen... Ein Auftrag, den ihm Marecampus ertheilt, hatte ihm keine Zeit dazu gelassen...
Der Hauptmann hatte den Kopf in die Hände gestützt und starrte vor sich hin...
Die allmählig erlöschende Kohlenglut des Kamins warf ihre letzten matten Reflexe auf diese tiefgefurchten Züge mit dem bräunlich-fahlen Teint, den dicken, grauen, buschigten Augenbrauen, dem kurzgeschnittenen, harten, sich graufärbendem Haar und dem dichten, überhangenden Schnurrbart.
... Da klopften drei kurze, dumpfe Schläge gegen das äußere Thor. Der alte Stracka, welcher es durch einen einfachen Mechanismus so eingerichtet halte, daß er von dem obern Zimmer aus durch den Druck auf eine Feder das Thor öffnen konnte, ließ den Klopfer ein.
In den Mantel gehüllt, von dem die Regentropfen niedersickerten, trat Marecampus in's Gemach...
Der Hauptmann fuhr aus seinem Brüten auf. Er richtete sich empor, nahm eine militärische Haltung an und begrüßte den Museendirector mit einer Geberde, welche zugleich Gehorsam wie Ergebenheit ausdrückte...
Dieser warf den Mantel weg, zog einen alten, bestaubten schweren Sessel mit Lederpolster heran und warf sich mit der Miene eines Erschöpften in denselben...
Der Hauptmann wollte die Wachskerzen auf den Leuchtern anzünden...
Aber Marecampus wehrte ab.
»Das Licht zerstreut... Die Dunkelheit ist die Mutter guter Gedanken. Haben Sie schon von dem neuen Wahlcandidaten gehört?«
Der Hauptmann verneinte.
»Es ist einer unserer erbittertsten Gegner. Der Redacteur der Tribune... Hardungen.«
Klingen stieß einen wilden Fluch aus.
»Kennen Sie ihn persönlich?« frug Marecampus.
Bei dieser Frage schoß dem alten, wilden Landsknecht das Blut in's Gesicht und eine für ihn schmachvolle Erinnerung stieg in seinem dumpfen Hirne auf...
»Oh, oh,« lachte er mit einer Stimme, die wild und heiser, wie die eines Raubthieres klang, »ich kenne die Fratze wie mich selbst, aber verdammt meine Seele bis zum jüngsten Gericht, wenn ich nicht noch die Farbe seines Blutes sehe.«
Marecampus war die wüste Art des Hauptmanns schon gewohnt. Sie berührte ihn nicht, für ihn war der Mann blos ein Werkzeug in seiner Hand, das er wegwarf, wenn er es nicht mehr brauchte, ohne sich weiter zu kümmern, was daraus wurde. Aber in diesem grimmigen Lachen des Hauptmanns lag mehr als der Haß der Meinung...
Diese Worte rochen nach Blut...
Blitzesschnell schossen in des Museendirectors Seele Gedankenkeime auf. Vielleicht hatte er den Mann, der ihn von dem unbequemsten Gegner befreien konnte, gefunden... das wie? war eine Frage von untergeordneter Bedeutung.
»Man hat mir ihn,« fuhr Marecampus, anscheinend nur die politische Seite der Angelegenheit im Auge, fort; »als einen Mann von Talent, Thatkraft und nicht ohne persönlichen Muth geschildert...«
Der Hauptmann antwortete nicht, aber Marecampus hörte das Knirschen seiner Zähne und sein Athemholen, welches dem Fauchen eines Tigers glich...
»Wenn er in die Kammer gewählt würde, so wäre das ein harter Schlag für die Sache des Thrones und der Kirche, er würde der Führer jener revolutionären Zerstörer werden... Und wir müssen uns auf so Etwas gefaßt machen. Dieser Mensch besitzt Anhang in vielen Bevölkerungsschichten...«
»Wählt man auch Todte?« Die Stimme des Hauptmanns, dem der Haß und die innere Wuth die Kehle zusammenpreßte, klang bei dieser Frage so unheimlich heiser und pfeifend, daß selbst Marecampus ein leichtes Grauen befiel.
»Die Todten?«.. frug er überrascht zurück... »Wer spricht von den Todten... Unsere Feinde sind nur zu lebendig...«
»Der aber, dessen Name über Ihre Lippen ging, gehört zu den Todten,« wiederholte der Andere mit dumpfem Tone, »noch ehe acht Tage vergehen, wird er nicht mehr unter den Lebendigen wandeln.«
In des Hauptmanns Hirn wälzten sich wild durcheinander blutige, gewaltthätige Pläne und Entwürfe und seine Augen hefteten sich lauernd auf den Mund seines von der Congregation ihm Vorgesetzten. Leben und Tod hing an Marecampus Lippen, wie bei jenem schrecklichen Alten vom Berge, dessen Gräuelthaten noch heute die Berge und Thäler Syriens erzählen. In Marecampus Seele kämpfte die Moral mit der »höheren Pflicht.«
Glänzen Sixtus V., Armand Richelieu, Mazarin, Kaunitz, Metternich nicht als »Staatsmänner« erster Größe am geschichtlichen Himmel? Sixtus, welcher dem Papstthum eine nie wieder erreichte weltliche Macht gab, Richelieu und Mazarin, welche die bewundernswürdige Centralmaschine, die noch heut zu Tage von Paris aus Frankreich regiert schufen – Kaunitz und Metternich, die zwar nicht auf die Dauer, aber doch periodisch ganz Europa unter den Druck ihres Systems beugten...
Moral, die engherzige, bürgerliche Katechismus-Moral – und die höhere Staatsraison? Kann ein Mann, der sich berufen fühlt einzugreifen in die Geschicke der Menschen nur einen Augenblick in solchem Conflict zögern?.. Betrachtet doch ihr spießbürgerlichen Moralisten diese »großen Staatsmänner« unter der Lupe eures Sittengesetzes, wägt und prüft ihre Handlungen mit der moralischen Goldwage – und sagt dann, wie ihr sie befunden habt. Wie es nach Blut und Kerkerluft um diese Großen riecht! Aber gab es einen bessern Kitt für den Bau ihrer und ihres Staates Größe – als den besonderen Saft? Und der Kerkerduft war die wohlthätigste Luft für die widerspenstigen Gegner ihrer Staatsraison. Sie befreite sie am raschesten von ihren Leiden.
Ein Menschenleben – ein Atom in der Schöpfung. Und wenn durch das eine Opfer Tausende vom Verderben gerettet werden?..
Und immer dichter ringelte sich die glatte, schlaue, kalte Schlange sophistischer Selbsttäuschung um Marecampus Seele...
In feurigen Buchstaben standen des Hauptmanns Worte vor seinen Augen:
»Noch ehe acht Tage vergehen, wird er nicht mehr unter den Lebendigen wandeln!«
Hosiannah! Dann ist der Stein des Anstoßes und Aergernisses aus dem Wege geräumt, dann ist die Stimme des gefürchtetsten Widersachers und Verführers der großen Menge erloschen...
Die Kaminglut warf noch einmal aufleuchtend ihren röthlichen Schein auf das Gesicht des Hauptmanns... Bei dem zuckenden Wiederschein, der über diese fahlen Züge glitt, sah Marecampus, wie die Augen des Andern mit funkelnder Gier der Erwartung an seinem Munde hingen...
»Er wird in acht Tagen nicht mehr unter den Lebendigen wandeln,« stand auf der Stirn, unter welcher jene Augen hervorfunkelten, geschrieben...
Schon öffnete sich sein Mund zu dem entscheidenden Worte an dem eines Menschen Leben hing – der Andere war ja nur der willenlose Arm, der den Streich führte, da dämmerte eine Jugenderinnerung in ihm auf. Er hatte als Schulknabe eine Taube, die arglos auf dem Rande des Hofbrunnens saß, mit einem Steinwurf getödtet...
In dem Augenblick war sein alter Lehrer aus der Thür getreten, hatte den kleinen, blutigen Leichnam des armen Thieres aufgehoben, dem jungen Mörder vor die Augen gehalten, ihm mit einem Blick, den Marecampus noch heute sah, die Worte gesagt:
»Du sollst nicht tödten!«
Daß ihm jetzt diese fatale Jugenderinnerung wiederkommen mußte...
Und wieder begann der Kampf zwischen Moral und »Staatsraison.«
Thor, der du bist, zu zaudern – wo es nur ein Leben gilt? Was wären die Alexander, die Cäsaren, die Napoleone mit solcher weichherziger Bedenklichkeit geworden? Was so viele Heroen der Geschichte, die Tausende dem höheren Zwecke opferten?...
Und diesen Hardungen! Er haßte ihn nicht nur als politischen Gegner, als den gefährlichsten Feind der guten, heiligen Sache, der Sache des Thrones und des Glaubens, er haßte in ihm auch den Mann, den Menschen...
Die verhängnißvolle Begegnung in jenem einsamen Zimmer war ihm nie aus den Gedanken gekommen... O, er hatte es den Mienen des Verhaßten angesehen, daß er sein Gespräch mit Mathilde belauscht, daß er Mitwisser eines Geheimnisses war, von dem nur drei Menschen Kunde hatten und daß Jenem damit eine gefährliche Waffe in die Hand gegeben war.
Und dann Linda! Warum trieb es dem Museendirector bei der Erinnerung an diesen Namen und ihn in Verbindung mit Hardungen gedacht, einen wilden, heißen Schauer über den Körper. Warum stach es ihn wie mit tausend spitzen Nadeln, wenn er an jenes Gespräch der Beiden an dem Festabende bei dem Geheimerath dachte?
Und dann heute, als der Geheimerath plötzlich so plump hereinbrach in seinen geistigen Verkehr mit Linda und den verhaßten Namen nannte, wie sie da rasch aufblickte, welche Spannung in ihren Zügen...
Aber er sollte noch peinlichere Empfindungen dulden...
In das Haus zurückgekehrt, hatte man das begonnene Thema weiter gesponnen und selbst Frau von Olbers, Mathilde, hatte sich, als Hardungen erwähnt, mit sichtlichem Interesse an dem Gespräch betheiligt, sie, die sonst in seiner Gegenwart sich in fast auffallendes Schweigen hüllte...
Sie hatte von der Persönlichkeit seines verhaßten Gegners gesprochen, vor dem Besuche, den er ihr nach dem Feste gemacht. Und Linda, die zufällig nicht zu Hause, nahm ihrer Cousine jedes Wort, das sie über jenen sprach, fast vom Munde weg, er sah es ihr an, wie sie beinahe eine Art Unmuth darüber fand, daß sie bei jenem Besuche Hardungen nicht anwesend...
Und giftiger Haß und bittere Galle quoll in der Seele des Museendirectors...
Aber du sollst nicht tödten!..
Die Wagschaale der Moral stieg immer höher, die der »Staatsraison« sank immer tiefer.
Du sollst nicht tödten! Aber erschlug der, welcher seinem Volke das Gebot in die steinerne Tafel grub, nicht selbst der Egypter einen? Einen Feind seines Volks, seines Glaubens?
Und immer dichter ringelte sich die kalte, schlaue, glatte Schlange sophistischer Selbsttäuschung um Marecampus' Seele.
Es ist ja kein gemeiner, gewöhnlicher Mord, wie ihn der Bandit ausübt, um Geld oder Geldeserwerb halber... Und dann – dann wird ihn der Hauptmann nicht wie ein Räuber anfallen, er wird ihn tödten, wie tausend Andere schon erschlagen worden sind, unter Beobachtungen aller Formen und Förmlichkeiten...
So brütete seine Seele...
Indessen war die volle Dunkelheit der Nacht hereingebrochen... Der Regen schlug von Wind gepeitscht gegen die alten bestaubten Fenster, durch deren Scheiben das ungewisse, flackernde Licht der Straßenlaterne, die drüben an der andern Straßenseite brannte, einen matten Schein in das düstere Gemach warf. Durch die Gänge und Wendeltreppen des alten Hauses heulte der Wind, dazu klapperten und kreischten die losen Thüren in ihren Angeln und aus allen Winkeln und Ecken drang jenes unheimliche Stöhnen und Seufzen, welches durch den Nachtsturm entsteht, wenn er sich in großen, winkelig gebauten Häusern verfängt...
Dem Hauptmann, der dem Skelet gegenüber saß, welches mit seinen weißen, gebleichten Knochen gespenstig leuchtete, dauerte dieses Brüten, dieses Zögern seines Herrn und Meisters zu lang... Er fühlte das Bedürfniß, sich aufzuregen; vielleicht auch zu betäuben...
Mit sicherem Griff zog er eine starkbauchige Flasche hinter dem Pulte, vor dem er saß, hervor...
Eines Glases bedurfte er nicht. Nach alter, langgewöhnter Lager- und Bivouacsitte setzte er die Flasche an den Mund, ließ die wie Feuer brennende Flüssigkeit: Portwein mit Rum gemischt, sich in die Kehle laufen... Ohne abzusetzen trank er die Flasche leer und warf sie dann in den weiten Papierkorb neben dem Pulte...
Während Marecampus noch grübelte und brütete, fing es an in dem alten Landsknecht zu lodern...
Die Erinnerungen an das spanische Kriegsleben, an die Zeiten des Königs Bomba wurden in ihm wach...
Wüste Bilder des rohesten, brutalsten Sinnengenusses, wie ihn der wildeste Bürgerkrieg dem entmenschten Söldner gewährt, drängten sich in seinem erhitzten Hirn.
Er trommelte auf dem Pulte einen wilden, baskischen Marsch und sang mit halber, heiserer Stimme ein altes Carlistenlied dazu:
Die Geier stiegen auf von ihrem Neste
Und die Basken steigen von ihren Bergen!
Wehe euch, Christinos, Söhne von Hunden,
Es kommen die Basken, es kommen die Geier!
Es kommen die Basken, die euch würgen,
Es kommen die Geier, die Euch fressen,
Die Söhne der Berge kommen zu euren Weibern,
Es lebe der Krieg, es lebe der König!
Und immer dröhnender wurde das Trommeln auf dem Pulte, immer lauter der wilde Gesang. Jetzt zündete er eine Kerze an und singend und eine andere Flasche hervorziehend, trat er auf das Skelet zu...
Und er drückte seine Lippen an die Mundhöhle des Gerippes, küßte dies und raunte ihm in abgebrochenen, kurzen Sätzen Erinnerungen aus ihrem Kriegsleben zu, dann trank er wieder und stieß wilde, entsetzliche Verwünschungen aus, den Tod seines Freundes an seinem Gegner zu rächen und dann, dann Hurrah! Dann wollte er zum letzten Mal hinaus in die Welt und den Krieg ziehen, hinunter wieder nach Italien, nach Neapel, wo es von Neuem gährte und Landsknechtsarme theuer bezahlt wurden... Und dann hob er von Neuem an, während in seinem sonst bräunlich-fahlen Gesicht dunkelrothe, scharf gezeichnete Flecken auf den hervorstehenden Backenknochen brannten und seine Hand in dem grauen, flatternden Schnurrbart wühlte:
Es kommen die Basken, die euch würgen,
Es kommen die Geier, die euch fressen,
Die Söhne der Berge kommen zu euren Weibern,
Es lebe der Krieg, es lebe der König!
Darauf ein wildes Hurrah und ein schriller, klirrender Klang der zerbrechenden Flasche, die der Berauschte gegen das Kamin schleuderte...
Marecampus sprang, emporgeschreckt durch den wüsten Lärm, aus seinem Brüten auf...
Der Hauptmann hatte das Skelet umschlungen und küßte es... »Herzensbruder... Freund... Kamerad... bei der ewigen Verdammniß... ich... ich räche dich... O, ich finde ihn, ich werde ihn finden...«
»Unglücklicher! Sind Sie wahnsinnig geworden!« rief der Museendirector.
Da dröhnten drei rasche Schläge gegen das äußere Thor... Ein schnarrendes Rasseln des Mechanismus und das Thor öffnete sich...
Man hörte die Schritte eines Tappenden, welcher sich durch den Corridor dem Bureau näherte... Die Thür öffnete sich und ein Mann, triefend vom Regen, erhitzt vom schnellen Lauf, trat herein...
Es war der Geigenvirtuos Wolkowsky...
»Gut, daß Sie kommen –« rief ihn Marecampus entgegen, mit einer Geberde des Ekels auf den Hauptmann deutend, »dieser wüste Mensch ist wieder trunken...«
»Nicht trunken, Herr, nicht trunken...« stammelte Klingen, noch immer das Skelet umarmt haltend, »nicht trunken von dem wässerigen Zeug... aber das Blut ist mir zu Kopf gestiegen! Ha, ewig verdammt sei du, Sohn eines Hundes! dessen Hand dich,« und er wendete sich wieder an das Gerippe, »traf an meiner Seite... im Kampf für unsere heilige Sache... in ewigem Fegefeuer soll meine Seele brennen...«
»Werden Sie endlich schweigen?« rief Marecampus, dem selbst äußerst mäßig der Anblick eines Berauschten im höchsten Grade widerwärtig war...
Indessen hatte der Geigenspieler, nachdem er den Museendirector ehrfurchtsvoll begrüßt, aus einem Fache des Schreibpults eine Glasflasche mit einer hellen Flüßigkeit gezogen, von welcher er einige Tropfen, die einen stechenden Geruch verbreiteten, in ein kleines Glas Wasser träufelte...
»Gedulden Sie sich, Herr Director,« bat der Virtuos, indem er sich dem Hauptmann näherte, »ich kenne diesen Paroxysmus und auch das Mittel dagegen.«
Klingen hatte seine stieren Augen auf den Geigenspieler gerichtet, der, dem Hauptmann das Glas entgegenhaltend, ausrief:
»Der Todte soll leben.« –
»Und der Lebendige verdammt sein!« schrie der Hauptmann, das Glas dem Andern entreißend und es mit einem Zuge leerend...
Marecampus, der über das Seltsame dieser Scene, im Augenblick alles Uebrige vergaß, richtete einen erstaunten, fragenden Blick auf Wolkowsky...
Dieser hatte indessen den Hauptmann, der, nachdem er den Trank genommen, in eine gewisse Erschlaffung versunken, in der er Alles mit sich geschehen ließ, in den alten Sessel niedergesetzt...
»Mit diesem Trinkspruch können Sie ihm Gift reichen – und er würde den Becher nehmen,« flüsterte Wolkowsky dem Museendirector zu, dem bei diesem wüsten Gebahren eine Art Abscheu überschlich.
»Es hängt das mit dem da,« und er deutete auf das Skelet, »zusammen. Das ist der Todte, den er dann leben läßt und der Lebendige jener unbekannte Gegner, der seinen Freund bei Palermo im Gefechte niederstach. Ein deutscher Arzt, wie er sagt. Sie werden übrigens sofort die Wirkung dieser Mixtur sehen – der Rausch wird sogleich verschwunden sein... Ah, sehen Sie, er richtet den Kopf empor...«
... Und in der That richtete sich der Hauptmann in dem Sessel straff auf, seine Augen verloren jenen stieren Ausdruck und jenen gläsernen Glanz, und die dunkelglühende Röthe seiner Wangen wich einer tiefen Blässe...
Er warf einen Blick auf die Scherben am Kamin und murmelte dann, als er sah wie Marecampus' Auge finster und verächtlich auf ihm ruhte, einige unverständliche Worte, die wie eine Bitte um Verzeihung, wegen des begangenen Excesses klangen...
Marecampus antwortete ernst, gebieterisch. Er nannte solche Leidenschaften abscheulich, ja verbrecherisch, da sie unfähig machten, im Dienst der guten Sache thätig zu sein. Nur eine Sühne gebe es dafür, unbedingte Hingabe an die große Aufgabe, die sie sich gestellt, die heilige Sache der Throne und Altäre gegen die frechen, gotteslästerlichen Angriffe der Neuerer zu vertheidigen...
»In diesem Kampfe,« so schloß er, seine Blicke dabei fest auf den Hauptmann richtend, der, den Kopf in beide Hände gestützt, zuhörte, »in diesem Kampfe müssen alle Kräfte aufgeboten werden, wenn wir siegen wollen. Das Werk der Zerstörung ist zu weit vorgeschritten... Vernichten müssen wir unsere Feinde oder sie vernichten uns und mit uns fallen auch die Säulen göttlicher und menschlicher Ordnung...«
»In diesem Kampf blickt Gott nicht auf die Wege, die zum Ziele führen, er blickt nur auf das Ziel selbst.«
In dem Auge des Hauptmanns zuckte und blitzte es auf... Eine wilde, blutdürstige Freude brach unter seinen grauen, struppigen Brauen hervor. So dumpf und wüst dieses Gehirn war: der Instinkt des Hasses sagte ihm, daß Marecampus, sein Oberer, dem er nach dem Befehle der Congregation unbedingten Gehorsam schuldig, ihm mit diesen Worten Hardungen überlieferte...
Wolkowsky hatte der Ansprache des Museendirectors äußerlich anscheinend mit tiefem Ernst, innerlich aber sehr zerstreut zugehört.
Ihn fesselte, obgleich er aus einer ultramontanen-katholisch-polnischen Familie stammte, kein tieferes Interesse an der Partei, der er dienen mußte.
Es war in Paris gewesen, wo der junge, leichtsinnige, nach Lebensgenuß jeglicher Art haschende Mensch durch eine Handlung, die ihn vor die Assissen der Seine bringen konnte, in die Hände der Congregation gefallen...
Diese, unermüdlich thätig, frische Werkzeuge und willenlose Diener zu gewinnen, hatte unter der Bedingung, daß er ihr fortan dienstbar, ihren schützenden Mantel über ihn gebreitet und ein Document, welches ihn zum Fälscher stempelte, mit einem nicht unbedeutenden Geldopfer an sich gebracht...
... Sie verwendete ihn hier und dort, nicht ohne Nutzen. Das harmlose, fast geckenhafte Wesen des Geigenkünstlers, seine Schwärmerei für die Musik, der er ausschließlich zu leben schien, sein elegantes Wesen ließen ihn vollkommen unverdächtig erscheinen...
Natürlich mußte er oft seine Kunst dem Dienst der Congregation unterordnen und es war selbstverständlich, daß diese ihn dafür entschädigte. Sie that es, wie immer, reichlich, aber doch nicht in solchem Maaße, um ihm stets die Mittel zu liefern, dem Dämon, der ihn vor Allen beherrschte, die Spielwuth und die Leidenschaft für verlorene Frauen, denen er im Augenblicke des Rausches Hände voll Gold in den Schooß warf, zu befriedigen... Gerade in der Zeit, wo er mit dem Museendirector bekannt wurde, befand er sich in sehr precären Verhältnissen...
Marecampus besaß ein Talent, welches ihm schon so viele Erfolge erringen half. Er sah die Schwächen der Menschen durch jede Verhüllung hindurch, als lägen sie unter krystallener Scheibe vor ihm ausgebreitet.
Um seiner Leidenschaft für das Spiel und die Buhlerinnen fröhnen zu können, bedurfte Wolkowsky des Goldes – und Marecampus gebot über hinreichende Mittel... Daher der Eifer des Virtuosen für eine Sache, der er eigentlich mehr gezwungen als freiwillig diente...
Es war eben eine jener verlornen Naturen, wie sie die Cultur unserer modernen Zeit, zumal in großen Städten, so häufig als Schaumblasen auf die Oberfläche wirft! Gold zur Befriedigung seiner Leidenschaften, das war der Sporn, der den Geigenspieler durch Wind und Wetter noch an diesem Abend in den abgelegenen Stadttheil und in das Redactionsbüreau des »Propheten« trieb... Er wußte daß Marecampus zu dieser Stunde in der Höhle des »Propheten« anwesend war.
Marecampus gab ihm ein Zeichen, seine Mittheilung zu beginnen, die das Resultat seiner Spionage war, mit welcher er seit einigen Tagen Hardungen verfolgte...
Für den Museendirector mußten diese Mitteilungen ein hohes Interesse haben; er machte sich sogar zuweilen kurze Notizen in sein Taschenbuch... Von Selma Schütz, der Schauspielerin und Hardungens Verhältniß zu ihr, von dem Doctor Schilden und dem Schriftsetzer Wenzel, von dem gefundenen Kinde erzählte er...
»Doctor Schilden?« frug Marecampus, wie von einem plötzlichen Einfall ergriffen, »kennen Sie den Mann persönlich? Beschreiben Sie mir ihn...«
Wolkowsky gab eine kurze, ziemlich ähnliche Schilderung... Mit jedem Wort steigerte sich des Museendirectors Spannung und Interesse... Sein Auge nahm dem Erzähler fast jedes Wort vom Munde.
Aber auch der Hauptmann war bei Wolkowsky's Schilderung des Arztes aufmerksam geworden und wie bei Marecampus, so steigerte auch bei ihm jedes Wort, das Jener sprach, seine Aufregung. Als aber Wolkowsky, der mit sichtlichem Erstaunen die ihm unerklärliche Aufregung bemerkte, welche sein Bericht über Schilden bei den beiden Männern erzeugte, mit den Worten schloß: »Uebrigens ist er sehr leicht an zwei Merkmalen zu erkennen, an einer dunkelrothen, schmalen Narbe, auf der Stirne, welche im Zickzack läuft und an seinem rheinländischen Accent,« da sprangen beide Männer, wie von einem elektrischen Schlage berührt, empor: »eine Narbe an der Stirn... in Zickzack, Tod und Verdammniß! Das ist er – dieser Sohn eines Hundes, der meinen Kameraden bei Palermo erschlug...«
»Er ist es... ich täuschte mich nicht, als ich ihn in jener Nacht begegnete... aber dann ist der Name Schilden blos ein angenommener... sein wirklicher ist Hayden...«
So klang es gleichzeitig aus des Hauptmanns und Marecampus Munde. Doch schon im nächsten Moment hatte sich der letztere wieder gefaßt und einem neuen Wuthausbruch des Hauptmanns zuvorkommend rief er diesem zu: »Ruhig, Herr, man schlägt seine Feinde nicht, wenn man sich wie ein Verrückter geberdet – entwerfen wir einen Plan.«...
Lange noch saßen die drei Männer in geheimnißvoller Berathung zusammen und die Laternen auf den Straßen waren schon längst wieder erloschen, als noch der düstere Schein der herabgebrannten Kerze aus dem Bogenfenster der Höhle des »Propheten« heraus auf die einsame Straße fiel. Es schlug elf Uhr als sie sich endlich trennten...
Wolkowsky flüsterte dem Hauptmann einige leise Worte in's Ohr, während Marecampus in die Hand des Virtuosen ein dünnes Päckchen gleiten ließ...
... Am Ende der Straße schied Marecampus von den Beiden...
»Vorsicht und Umsicht – und die Gelegenheit erfaßt...« ermahnte er sie noch einmal und verschwand dann in einer Seitengasse...
Der Mond warf durch das trübe Regengewölk einen bleichen Schimmer auf die dunkle, einsame Straße, in der jedes Leben erstorben und wo man nichts hörte als das eintönige Plätschern eines Brunnens, der aus einem steinernen Löwenkopf seinen Wasserstrahl niederfallen ließ...
Der Geigenkünstler legte seinen Arm in dem des Hauptmanns, schwenkte den Hut und rief: » Vive la joie! vive le jeu! auf nach Valençia, auf zu ihr – der Dame des Glücks...
»O, Klingen, ich sage Ihnen, diese Selma ist ein göttliches Weib. Ma soi! Ich spiele! Ich spiele, va banque um sie. Zu ihr, zu ihr...«
Und er trällerte »Mon père est à Versailles, ma mère est à Paris.« Erinnerungen an das lustige Leben in Paris, an Mabille und die große Oper schossen in ihm auf...
Der Hauptmann ließ sich von dem aufgeregten Genossen mit fortziehn...
»Ha... ha...« lachte er dabei wild auf, »sagte ich ihr es nicht an dem Morgen, coeur ist à tout – verdammt, wie es eintrifft... aber verflucht meine Seele, wenn ich nicht den Stich mache... Vorwärts... vorwärts mein Junge... Es lebe der Krieg, es lebe der König... Ah, wir führen gegen diese Schufte Krieg bis auf's Messer, bis zum letzten Athemzuge...«
»Freue dich, Ignaz!« so hieß sein bei Palermo gefallener Kamerad, »du bekommst Gesellschaft, zwei auf einmal... Halunken von der schönsten Sorte...«
So zogen sie durch die öden Straßen hin zum Hause der Schauspielerin, wo die Fenster des Salons noch hell erleuchtet waren und sich eine bunte Gesellschaft um Frau Selma Schütz versammelte, welche in demselben Augenblick, wo die Beiden in den Salon traten, die Karte mit den Worten abzog:
» Messieurs le jeu est fait... Coeur-Dame.«