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Die Wolken stießen an die Berge, und mürrisches, unstetes Wetter war zu gewärtigen. Trotzdem war der Freiherr Johannes von Talemberg, Bischof zu Königgrätz, bei grauendem Morgen mit seinem Troß von der Schwelle des Gebirges aufgebrochen und reiste nun hoch droben auf schmalen Köhlergassen ins Gewölk empor, indem er auf einem Tisch saß, den die Bauern, die im Gefolge waren, wechselnd trugen. Hinter ihm schritten sein Kaplan und der blasse, verschlossene Jesuit aus dem Städtlein des Tales und hernach Leute, die allerhand kirchliches Gerät schleppten, wie es zu einer Bergmesse dienlich ist, und auch Pelze und Decken sowie Speisen und Wein mitführten, denn droben auf dem Hochkamm bestand keine wohlbestellte Herberge. Im Nachtrab stelzte ein schwarzes Kamel tölpischen, bergungewohnten Trittes durch den Nebel, im Schreiten wunderlich mit dem unholden Haupt nickend. Es trug das Zelt und wurde von einem mit Donnerbüchse und Säbel wohlberüsteten Mann getrieben.
Unaufhörlich rieselte der Nebel, und urplötzlich schien droben im trüben Himmel eine Wasserklause gesprengt worden zu sein, denn ein hastiger, ungestümer Regen schlug nieder, als wolle er Mann und Maus ins Tal zurückschwemmen. Der Bischof schlüpfte unter den Tisch, sich darunter die trockene Haut zu wahren, bekam aber noch genug des tückischen Sprühwerkes ab, das er sogleich als Gaukelei des übelbeleumundeten Geistes Rübezahl erkannte.
Da das Gewölk nicht abließ, das Wasser auszuschütten, flüchteten sie sich in eine armselige, dem Verfall nahe Baude.
Sie war leer. Ein vergilbtes Lutherbildnis haftete an der Wand. Der Jesuit riß es herunter.
Als der Freiherr von Talemberg fragte, wo die Ansäßner seien, meldete sich der Richter David Schier, ein eisgrauer Mann, und sagte, in diesen Tagen seien viele heimliche Ketzer geflohen, aus Furcht, der Bischof wolle ihnen Gewalt antun ob ihres Glaubens.
Er sei kein Henker, murmelte Talemberg unwillig, und wolle nur durch Wort und Warnruf, keineswegs aber mit Reckbank und Schrauben die Verirrten zu Gott heimführen. Dabei blickte er ernst den Ring an, der ihm seit dem festlichen Tag der Weihe am Finger leuchtete als Zeichen hoher geistlicher Führerschaft: aus lauterem Gold war er geschmiedet und mit teuerem Gestein und lichten Perlen überreich verbrämt und war dem Bischof das liebste aller Dinge, da es ihn an seine Würde band wie an eine Braut.
Draußen war die arge Wasserkunst Rübezahls versiegt.
Weiter ging die Fahrt. Der Wind setzte aus, und totes Wetter lastete unsagbar bang auf dem verborgenen Land.
Nun wurde der Kaplan trotz seines kurzen Atems seltsam geschwätzig. Er deutete häufig in den Nebel und meinte, es wäre ratsam, das Greuelgebirg aus seiner Fremdheit nicht aufzustören und es seinem Oberstgewaltigen streitlos zu überlassen. Doch der Bischof sprach, er kehre erst um, wenn er den Rübezahl gebannt habe.
Er haust gar zu üppig, dieser tolle Absonderling. Die unwirtliche Einöde genügt ihm nimmer, er stößt Verderben und Verwirrung in die Gefilde des Bistums: den mächtigen Schnee löst er von den Lehnen des Gebirges, daß er die Hütten zertrümmert und Menschen und Vieh beschädigt; er sendet Donner und Feuerstrahl aus; jäh schwellt er den Strom, der aus den elf Brunnen springt, deren vornehmster der Elbenbrunn ist, und der Strom bricht, mit aller Tücke und Vollmacht des tollen Bergherrn beseelt, in das gesittete Land, zerreißt Klausen und Gestade, versandet die Saat, schwemmt Gärten, Häuser, Höfe, Dörfer davon, ersäuft die Leute und schafft Elend, wohin seine überwallenden Wasser dringen.
Seitdem Talemberg den Krummstab über das Land am jungen Elbstrom hielt, wurmte ihn der Übermut des dreisten Geistes, und er brannte manches Jahr darnach, ihn in seinem innersten Machtkreis anzufallen wie einen Bären in seiner Klause, mit geistlichen Waffen ihn zu bedrängen und aus dem Feld zu schlagen. Nun war die Stunde da, wo seine Begier sich sättigen konnte an dem frommen Abenteuer und er eindrang in des Unholds verhülltes Reich.
Nun lichtete sich der geschlossene Wald, die adlig schlanken, aufrechten Tannen schwanden, und statt ihrer krümmten sich einsiedlerische, oft bis zum Boden verästete und vertrackt gewirbelte Bäume wie graue Gespenster über die Bergfahrer, Nebel dampften in elbischen Schwaden unheimlich durch das mit Flechten verwucherte, grausig verrenkte und trüb sausende Astwerk, mancher Stumpf ragte vom Blitz zerkeilt, dürr und tot, und kralliges, gefährlich glattes Gewurz spannte über den Pfad. Hier nahm alles die Gebärde der Drohung an.
»Bodenlos mögen die Schründe sein, die der Nebel birgt,« klagte der Kaplan. »Ihr mögt mich ädern und rädern, ich steige nimmer höher in die grausame Wüstenei.«
Mit abgewandtem Gesicht, schwindelnden Hirnes taumelte er an einem schroffen Felsabschuß vorbei. Die Angst schoß ihm in kalten Tropfen aus der Stirn, die Augen quollen ihm, seine Kniee knickten ein, er stöhnte: »Bischöfliche Gnaden, ich wittere hinter dem Dunst einen furchtbaren Abgrund. Ich kann nicht weiter. Mir graut. Ich ersticke.«
»Kehr' um!« lachte der Bischof. »Wie aber willst du einst den Weg ins Himmelreich gehen, der nicht so gemächlich steigt wie dieser hier?«
Als der Kaplan mit seinem Führer abwärts eilend im Nebel vertauchte, wandte Talemberg das vom Aufstieg kräftig gerötete, heitere Antlitz dem Jesuiten zu. »So hat mich mein zager Gehilfe verlassen. Nun müßt Ihr, Bruder Fulgentius, als einziger geistlicher Mann mir helfen, den Geist dieser jähen Einöde anzulaufen.«
Das schmale, fahle Gesicht unter dem Rollhut zuckte, doch beherrschte sich der Mönch sofort und neigte sich in stummer Ehrerbietung.
Doch des Bischofs kluges, helles Auge hatte das flüchtige Spiel dieser nun wieder kühl versteinerten Miene erspäht, er nagte unwillig an seinen Lippen und sagte dann: »Ihr spottet meiner seltsamen Fahrt. Und doch ist es notwendig, daß ich den höchsten Brunn im Land weihe. Springt doch daraus die Herzader Böhmens, die Elbe, die die feistesten Gefilde des Landes durchrinnt. Der Quell ist von abenteuerlichem Ruf. Ihr wißt, von fernen Strichen, selbst von dorther, wo die Moldau in diesen Strom tritt, wallfahren die Bauern zum Elbbrunn, und würgen dort schwarze Hennen zum Ruhme unvergessener Götzen. Diesen Mißbrauch will ich abstellen. Auch treibt dort der Rübezahl sein Afterwerk und heidnisch Wesen. Also bewegt mich zwiefacher Grund, Berg und Brunnen heimzusuchen und mit starkem Gebet zu bannen, was unrecht ist.«
Er hatte kaum vollendet, da begann ein geisterhaftes Wetterleuchten, als spiele einer hinter dem hangenden Nebel mit bleichem Feuer, und auf einmal zuckte ein Blitz aus der Erde auf, verästelte sich zum flammenden Strauß, und die Donner brüllten gen einander in der aufgeschreckten Öde.
Dann geisterte lautlos eine große gelbe Kugel durch die Luft, knapp an Talemberg vorbei, der entsetzt davor den Leib zurückbog, und sie flog träg dahin und prallte endlich gen einen Baum und zerplatzte, eine höllische Seifenblase, fahle Strahlenbüschel auszuckend, mit einem gräßlichen Knall.
Glühende Luft stieß dem Bischof in Mund und Nase hinein; er tastete in sein Haar, als wäre es gesengt. Er fühlte, daß das nicht Gottes Gewalt gewesen, sondern daß er in Zwing und Bann eines andern geraten war. Das Donnerfeuer hatte den Baum in Fetzen geschlissen.
Doch nahm der Bischof sich ein Herz und erhob in Zorn die volle, starke Stimme: »Donner will ich gegen Donner setzen. Mit Gottes Beistand scheuch' ich dich, Rübezahl. Dein Bubenwerk ist eitel.« Und unverzagt schritt er über die zersplissene Fichte hinweg.
Dem Unfaßlichen, der hinter dem immer dicker und dunkler andringenden Nebel lauerte und wirkte, schien es an dem Entsetzen zu genügen, das er gestiftet hatte, und es ward unheimlich still. Die verrenkten Bäume drohten noch geistischer aus dem blassen Dämmer, das sie umschwebte.
Bald blieb auch diese spukhafte Verknorrung zurück, und die Männer wanderten auf ebener, kaum kenntlicher Wegspur zwischen fahlem, feuchtem Gras und den düsteren Siedeleien eines stachligen Gewächses, das nicht Baum noch Strauch war.
Auf der Elbwiese hielten sie Bergrast und erbauten das Zelt.
Die Bauern schichteten dürre Knorren auf und schlugen Feuer. Doch blies der Wind mit aller Arglist eines Kobolds darein und löschte die Funken und verhinderte den Brand. Und da sie das Zelt errichtet hatten, erhob sich dermaßen der Sturm, als brause der Rübezahl selber in den Lüften heran. Die Männer warfen sich auf den Rasen und hielten sich daran fest. Das Kamel, das sein Treiber mittels eines langen Strickes an das Knieholz gebunden hatte, kniete hin, drückte den Kopf an die Erde, gurgelte ängstlich und lauschte. Der Sturm stieß gewaltig an das Zelt, knickte stracks eine Stange und legte sich wieder.
»Unser wartet eine harte Nacht,« murmelte der Bischof, der mit Unbehagen überall die Kraft des geheimen Widersachers spürte, den er zu bannen gekommen war.
Indes die Bauern in den Wald hinabgingen, eine neue Stange zu brechen, ließ er sich zu dem nahen Quell führen.
Es war ein geringes Brünnlein, daraus in matten Blasen das Wasser quoll, und Talemberg schüttelte das Haupt. Das also war die Wiege des weltberufenen Stromes, der nutzbar die Lande tränkte und hochgefährlich Brücken und Bollwerke brach.
Doch sein Staunen schlug in blanken Zorn um: am Rand des Elbenbrunnens lagen schwarze Federn zerstreut.
Es war also gewiß, was das Gerücht meldete, daß man hier noch wie in Heidentagen opferte, den Stromteufel zu bestechen. Hier vergötzten dumpfe Pilger den Swantewit oder den Rübezahl und drosselten ihm in törichter Abgötterei die schwarzen Hennen und schleuderten sie, die Hölle anrufend, in den Wind und wagten dunkeln Frevel, verruchte Geister zu ehren und zu bestärken in ihrer Gewalt.
Als es Nacht worden war, lagerten sie vor dem Zelt um das spät entbrannte Feuer, wortkarges Volk, und zuweilen nur kniete einer auf, die Glut zu schüren und zu nähren.
Veit Thurnknopf, der Kameler, begann: »Morgen wird dem Rübezahl unser Räucherwerk in die Nase stinken, ausräuchern wollen wir ihn wie einen Fuchs.«
»Ich fürchte, der Bischof bannt Ihn nicht,« zweifelte einer.
»Daß dich der Ratz beißt!« wetterte der Treiber. »Du bist wohl auch so ein luthrischer Fant, dem der Rübezagel teurer ist als die heilige Jungfrau!«
»Nenn' Seinen Namen nicht, Kameler, sonst steht Er hinter dir!« warnte der Schütze. »Wir haben Seine Kunst heut schon genug genossen. Versuchen wir Ihn nicht!«
Wolf Schier, ein krummes Bäuerlein, redete träumerisch in die Flammen: »Hab' einmal in jungen Jahren in Seinem Lustgärtlein die Alraunwurzel graben wollen. Hab' wollen reich werden. Ist mir nicht geglückt. Mittags geh' ich den schlesingschen Weg, sitzt einer auf einem Stein, hat eine Mönchskutte an, schaut mich still und stier an, schaut mir nach, rührt sich nicht. Er ist nicht jung gewesen und nicht alt. Hab' keinen armen Seufzer gewagt. Das ist Er gewesen.«
Der Glasmacher Elias Preißler hub an: »Bei Mondschein bin ich einem begegnet im Goldgrund unterm Ziegenhals. Der hat einen gar breiten Hut getragen. Hab' deswegen sein Gesicht nicht sehen können, nur lauter graues Haar, ob ich ihn von vorn oder von hinten angeguckt. In meinem Fürwitz lüpf ich ihm den Hut. Da faucht er: ›Brrr!‹ Ei, bin ich da erschrocken! Bin fein zart von hinnen geschlichen, hab' gewußt, wer es gewesen.«
Dann begann der Förster Jeremias Schauwald: »In Hirschberg drüben in der schlesischen Welt haben sie einen zum Galgen gebracht. Wie ihm der Henker das Eisen durch den Hals haut, rollt statt des Kopfes ein grünes Krauthäuptlein zur Erde. Seither rennt Er ohne Kopf herum. Ja, Er ist gestorben und lebt noch.«
Da erinnerte sich einer eines Zötleins und erzählte es mit halber Stimme, daß es der Bischof im Zelt nicht höre. »In einen dürren Baum hat er sich einmal verzaubert. Ein arm bucklig Weib findet ihn, freut sich, das Holz wäre trocken und gut zu brennen im bittern Winter, sie hebt ihn auf die Achsel, trägt ihn mühselig heim eine harte Meile. Wie sie vors Dorf kommt, hebt der Baum auf einmal zu reden an: ›Halt still, du alte Hur, hast mich lang genug getragen!‹ Ei, wie hat sie ihn hurtig fallen lassen, den Baum! Ist ein gar frommes Weib gewesen.«
Aber David Schier, der eisgraue Richter, sagte ernsthaft zu den Leuten: »Scheltet den Geist nicht! Keiner von uns kennt ihn. Vielleicht ist er eine arme, verwunschene Seele, die sich selber zum Leid Böses stiften muß und bange nach Erlösung schmachtet.«
Da verstummten die Männer und sannen.
Im Zelt drin lag Talemberg, in Decken und Pelze warm gehüllt, und horchte, wie draußen die Rede ging, und hub nachdenklich an: »So nachte ich nun auf dem wunderhohen Gebirg, ein Gewaltbote Gottes wider den Unhold, der noch von Heidentagen her hier seine Herrschaft behauptet. Wie seltsam führt mein Weg!«
Der Jesuit kauerte neben ihm, das blasse Antlitz im Schein der Laterne wie tot. Er erwiderte: »Dieser Reise hättet Ihr entraten können, Gnaden. Es wäre löblicher, im Tal drunten zu ertreten und auszureuten, was dort noch an luthrischem Wesen grünt.«
»Laßt heute Welt und Ketzer drunten!« wehrte der Bischof ab. »Ihr seid ein hochbelesener, erfahrener Gelehrter, Bruder Fulgentius. Sagt mir, was haltet Ihr vom Rübezahl? Ist er ein harmloser Faun? Ist er der Satan, der hier seinen letzten Horst gefunden? Ist er ein irrend Lichtlein, das seinen Frieden sucht?«
Fulgentius entgegnete: »Es ist alles Fablerei. Ihr streitet wider den Dunst.«
Darauf sagte Talemberg streng: »Als ich den bischöflichen Stuhl zu Königgrätz bestieg, da schwur ich bei dem köstlichen Ring hier, der mir als ein Zeichen göttlicher Gunst schimmert und mir zu meinem Amte täglich junge Kraft verleiht, da schwur ich, in Gottes Rittertum zu reisen wider den Rübezahl. Nun ich den verdrießlichen Weg in diese Barbarei vollendet, wollt Ihr mir den Feind verleugnen, nach dem ich herzhaft verlange? Nein, nein, ich lasse mir den Rübezahl nicht entwinden.« Und in andere, tiefere Gedanken jäh sich verlierend, flüsterte der Bischof: »Warum hat Gott seine Widersacher erschaffen? Warum hat er dies Gespenst ins Gebirg gepflanzt? Was läßt er den Teufel walten?«
Da reckte sich Fulgentius und zischte: »Gott ist selbst der Teufel.«
Als zacke der Blitz vor ihm ins Erdreich, fuhr der Bischof auf: »Rasest du, Mönch?«
Der schmale Mund des Jesuiten ward hart, die Brauen hingen wie finsteres Gewölk über den starren Spiegeln seiner Augen, und er redete eintönig: »Wenn Gott der Gebärer des Weltalls ist, dann ist er alles: das Wesen des Lichtes ebenso wie der Kern der Finsternis, die Reinheit des Heiligen wie des Sünders Laster. Gott ist der frohlockende Heiland und der stöhnende Satan, Seligkeit des Erlösten und Verzweiflung des Verworfenen zugleich.«
»Was verwirrt Euch?« rief Talemberg entsetzt. »Welch zügelloser Geist lenkt Eure Zunge?«
»Ich rase nicht, Herr. Mein Verstand ist klar und kalt. Ich will nur einmal, nur ein einziges Mal einem Menschen anvertrauen, was ich an letzter Erkenntnis heimlich und heuchlerisch tragen muß. Ich muß es sagen, dann liegt es minder qualvoll auf meiner Brust. Hier in überhöhter, banger Wildnis wage ich es, dem Bischof von Königgrätz mein verschlossenes Herz zu öffnen.«
Talemberg starrte ihn schaudernd an. »Mönch, sage, glaubst du an Gott?«
Ein Eishauch wehte von dem Jesuiten weg, seine Augen glühten trüb. »Ich weiß es nicht. Oft meine ich, er spinne nur in unserm Hirn. Die Dichter weben aus der Welt einen Teppich und schelten ihn Gott. Und was ist Gott dem großen Haufen? Nicht Geist, kaum noch Gespenst, nur Popanz. O könnte ich das Geheimnis aufreißen wie einen Vorhang, ich fürchte, ich starrte in Nebel und Nichts. Herr, und ob Ihr auch wider mich ergrimmet, ich muß es sagen: Aller Glaube irrt; und ein Weibermärlein ist es, daß die Welt auf dem Galgenberg bei Jerusalem erlöset worden. Die Menschheit kann nicht und will nicht erlöst werden.«
Dem Bischof war, er stürze mit erstarrten Flügeln in einen Abgrund. »So glaubst du auch nicht an ein ewiges Leben, Mönch?«
»An beiden Flanken des Lebens türmt sich Finsternis. Kein Wissen, selbst die verwegenste Ahnung nicht überflügelt sie. Herr, ich weiß nichts.«
Da grollte Talemberg: »All mein Leben hab' ich es aus frommer Ehrfurcht nie gewagt, in den göttlichen Ungrund forschend mich zu senken. Scheu, geschlossenen Blickes kniete ich an der versperrten Pforte, und meine Seele war heiter. Du aber treibst sie auf aus ihrem stillen Genügen. Du aber sprichst, vermessener Mann, solch teuflische Erkenntnis frevelnd aus. Unheil wird dich treffen.«
Der Mönch zuckte die hoffärtigen Brauen. »Ich suche nicht Glück. Ich suche die Wahrheit.«
»Und drunten in der Welt dienst du gleisnerisch dem Herrn, den du hier leugnest,« brauste der Bischof auf. »Du verfolgst das Wort des Ketzers von Wittenberg, du quälst, bedrängst und verjagest herzlos seine Gemeinde und bist doch tausendmal verlorener als Luthers Volk.«
»Die Wahrheit fordere ich nur für mich. Der Menge aber ziemt Gehorsam und Unterwerfung. Und weil ein Herr sein muß, der den geilen Stier jocht und die gierige Meute zügelt, so gönne ich die Gewalt der Kirche. Ich glaube an nichts. Ich will eines: die Herrschaft unserer Kirche.«
»Du hassest die Menschheit, Mönch. Auch darin irrst du.«
»Bischof, ich kenne die Menschen. Denn ich kenne mich.«
Fulgentius erhob sich und verließ das Zelt.
Der Bischof schloß in dieser Nacht seine Augen nicht. Seine Gedanken flackerten fieberisch an dem Geheimnis Gottes empor, dabei verfinsterte sich ihm die Welt und ward unklar und nimmer zu verstehen.
In diese Bergesöde hatte er die Fehde tragen wollen gegen einen schalkischen Kobold, und nun wuchs hier ein Riese andrer Art furchtbar vor ihm auf und sog an seinem Blut und drohte, seinen Geist zu sprengen.
Hat des Mönches unbarmherziger Blick Gott durchschaut und dessen Nichts entlarvt? Ist Gott wirklich nur das dumpfe, überriesige All, worin Fluch und Segen bunt ineinander geschüttet sind, ohne Sinn, verworren, ziellos? Ist er nur Werk und Traum des Menschenhirnes? Ist nirgendwo ein Zeugnis, daß er sein eigenes Leben lebt und aus seinem Ewigkeitsland ordnend herab in diese Welt greift?
Dem Bischof war, die Stirn blute ihm vor lauter Denken. Aber er lotete ins Grundlose: Gott verschloß sich, ein ehernes, unerbittliches Rätsel, seinem werbenden Geist.
»Ich will schildwachen, daß der Zweifel meiner nicht Herr werde,« ächzte er. Er trat vor das Zelt.
Draußen herrschte öde Nacht, leer wie des grauen Gottes Seele, die gleichgültig und erstorben den Allraum füllte. Kein Stern glühte. Die Wächter schliefen um den erloschenen Herd. Im wilden Wind schauderte das Gras.
Und der Bischof hörte Brunnen raunen, derer er am Tage nicht bewußt gewesen. –
Grau und trostlos war der andere Tag.
Ein hölzernes Kreuz stak im Boden, auf dem Tisch davor ragten aus bronzenen Leuchtern die Kerzen, und darüber standen tot die Flammen. Johannes von Talemberg las die Hochmesse. Aber in seiner Brust war tödliche Wüste, sein Amt deuchte ihn Gottesschändung und Heilandsmord, und er zweifelte, ob heute das Brot in seinen Händen zu Gottes Leib werde. Viel Volk war aus der Tiefe heraufgestiegen, der Beschwernis des Weges nicht achtend, von Frömmigkeit und Neugier getrieben, manche darunter erst vor kurzem durch des Jesuiten Kunst und Zwang in den Schoß der römischen Kirche zurückgebracht.
Talemberg löste die Spange eines elfenbeinernen Buches und las lateinisch den Bann über den Geist Rübezahl. Wie ein Schatten stand Fulgentius in seiner schwarzen Tracht neben ihm, dienend hielt er den Krummstab und stimmte mit dunkler Stimme in die Verschwörung ein.
Als der Bischof die vielen Beter Knie an Knie vor sich sah, floß eine aufschürende Kraft aus der Menge in ihn über, und ihn durchglühte aufs neue der halbzerstörte Glaube an den Unhold. Und da erschien es ihm auf einmal notwendig, mit dem ungelehrten Kobold ein deutsches Wörtlein zu reden, und in gläubigem Grimm rief er: »Ich verfluche dich, du schlimmer Geist! Aus diesen Bergen bann ich dich. Sinke zurück in die Hölle, die dich ausgeboren, und irre nimmermehr den Frieden des Gebirges!«
Da duckte sich die Menge, als müsse, von greulichem Haar umsträubt, das grobe Götzenhaupt aus dem Nebel grinsen.
Der Fluch scholl und verhallte. In das Antlitz des Jesuiten schnitt sich der Hohn.
Empört zuckte der Bischof auf. All seinen Willen und Glauben setzte er daran, er mußte den Spott aus den Augen des kalten Mönches reißen, und leidenschaftlich, als könne sein Schrei den unsichtbaren Geist zermalmen, schrie er: »Alle Geister, so in Gnade oder Ungnade stehen, beugen sich vor dem Herrn. Also zwinge ich dich im Namen des Allmächtigen, erscheine, Absproß der Hölle, auf daß ich mit dir rechte!«
Erwidernd aus verhüllter Nähe drang ein ungeheures, häßliches Gebrüll, und plump und grauenhaft trottete etwas heran. Die Knieer schnellten verstört empor. Der Bischof selber packte erschrocken den Prunkstab und hielt ihn wie ein Schwert schirmend vor sich.
Aus dem Nebel tauchte eine schwarze Abgestalt mit struppigem Scheitel und wüster, bärtiger Kehle, die Brust darunter gräßlich verschwielt und behöckert den zottigen Rücken. Die Nüstern des Scheusals rasten, es regte die häßlichen Lefzen, fletschte die Zähne und schäumte. Ein widerlicher Gestank wehte von ihm aus.
Die Männer, einerlei ob sie das Untier kannten oder nicht, stoben in blindem Schrecken auseinander, eine gefährliche Gaukelei des Rübezahl fürchtend. Erst als Veit Thurnknopf das Kamel am Zaum faßte, stand es still, roch gegen den Himmel, starrte dann blöden Blickes darein und seufzte.
Während des Wirrwarrs war Johannes von Talemberg in den Nebel zurückgetreten. Seine Stirn brannte in Scham. Und darunter dröhnte mit betäubendem Hammer der Zweifel. Wenn es einen Gott gab, wie konnte dieser seinen frommen Diener also lächerlich demütigen, den ernsten, gläubigen Kampf zum Possenspiel verzerren und damit offenkundig auf die Seite des bösen Bauernkobolds treten?
Der Krüppelwald düsterte aus dem Nebel, der in ewiger Jagd friedlos huschte. Auf schwingendem Moor schritt der Bischof dahin, ihm war, nun müsse er auf unwegsamer Heide durch schweifendes Grau ins Nichts hinübergehen. So wild und bitter war ihm zumute. Er nahm den krummen Prunkstab und beugte das Knie daran, ihn zu knicken. Und Gott löste sich vor seiner verzweifelnden Seele zu kahlem Dunst.
Plötzlich rauschte es im Knieholz. Ein unbestimmtes Wesen schlich fliehend dahin und duckte sich, als wolle es sich verbergen. Der Bischof rannte darauf los. War es der Schrat, der das Kamel aufgestört und ihm zum Spott zugeschickt hatte? Talemberg schwang den Stab wie einen Dreschflegel, das Gespenst zu töten.
Im Gestrüpp kauerte ein zerlumptes Weib, am Schoß ein Kind, das ein graues, armes Stücklein Brot in der Hand gekrampft hielt. Ängstlich staunte sie den hohen Mann an und flehte mit den abgezehrten Armen empor: »Tut dem Kind nichts!«
»Woher kommst du?« fragte bewegt der Bischof.
»Herr, wir sind jetzt heimatlos. Wir sind verscheucht worden.«
»Warum?«
»Wir glauben anders. Im Wald haben wir uns versteckt. Nun ist der Bischof kommen, den Teufel führt er gekettet mit sich.«
»Was fürchtest du den Bischof?«
»Uns Luthrischen will er mit Feuer ein Kreuz in die Stirn brennen,« stammelte sie. »Drum sind wir höher ins Gebirg gelaufen. Herr, tut dem Kind nichts!«
»Wieviel Kinder hast du?«
Sie stand mühsam auf: »Das eine, fremder Herr. Das andre schläft noch in mir.« Sie sah auf ihren gesegneten Leib hinab und schien traurig zu sein ob ihres Zustandes. »Drei Nächte irren wir. Mein Mann ist im Nebel von uns abgekommen. Uns friert. Wir sind arm, Herr, wir haben nur das Leben. Nehmt es uns nicht!«
Das Kind hub kläglich an zu wimmern. Da beugte sich der Bischof zu ihm hinab, lächelte es feuchten Auges an, streichelte es und sagte zart: »Was weinst du, Mägdlein? Ist dir die Docke zerbrochen?«
Und wie er so begütigend zu dem Ketzerlein redete, ward es um ihn wundersam hell: ein erster zager, frohlockender Sonnenstrahl durchbrach den Nebel.
Der Bischof stand im reinen Licht, die hochgehörnte Mütze auf dem Haupt, das weiße Gewand leuchtend und leuchtend das Kreuz vor seiner Brust, in Händen den elfenbeinernen Stab mit der silbernen, kleinodglühenden Krümme. Er segnete das heimatlose Häuflein, und jähbewußt der übergroßen Güte, womit Gott sich liebreich zu den Menschen niederkauert, zog der Priester den kostbaren Reif vom Finger: »Nimm, Weib, den Ring, und verkauf' ihn, daß du dein Elend stillest und dich des kommenden Kindleins freuen kannst!«
Sie griff scheu nach dem Geschmeide, gurgelte ein wirres Wort, und ihre wilden Tränen flossen in das Haar des Kindes nieder.
Als der Bischof zu seiner verlassenen Gemeinde zurückkehrte, war sein Herz stark und fröhlich geworden und alle Qual verflog, wie um ihn die Nebel sich lichteten und zerflossen.
Er trat zum Quell hin; im Ring umstand ihn die andächtige Schar. Lautlos und geheimnisvoll perlte es aus dem lichten Kies, indes der Bischof erzählte, wie der Gottestaufer die Welle gegossen über die Locken des jungen Heilands und fortan das lichte, rege Wasser erkoren blieb zum weihenden Zeichen der Gemeinschaft mit Christo.
Dann ergriff er das hölzerne Kreuz und trieb es mit starkem Arm mitten in den Grund des Brünnleins hinein und segnete, was hier aus der Brust des Gebirges quoll. Beraten nur von seinem warmen Menschentum, sprach er zu dem Quell wie zu einem Kindlein in der Wiege, dem ein erhabener Beruf bestimmt ist: »Strömlein, quill und spiele! Fall hinab ins Menschenland! Wachse! Treibe Mühlen, trage Schiffe! Kühle den Sommer! Erquicke mit frischem Bad den Müden! Spiegle die fruchtbaren Gefilde und ziere die Erde! Ruh' aus im Meer! Und kehre mit den Wolken ewig kreisend wieder! Gott sei mit dir!«
Ein Bergfalke schwebte hoch droben und schrie. Immer leuchtender ward der Tag, nahe und ferne Farben erwachten. Gewaltig landete das Licht.
Der Bischof kniete zum Brunnen hin, darin die blaue Höhe spiegelte, füllte einen Kelch und trank das helle, frische Wasser und genoß in einem Trunk der Erde Kraft und des Himmels Reinheit. Er bot den Männern den Kelch: »Trinket und lebet!« Das Volk war ergriffen von der Gottergriffenheit des hohen, prangenden Mannes und dem Wunder des während der Weihe sich urschnell klärenden Himmels und von der großen, weiten Stille der entschleierten Bergöde. Sie tranken, als nähmen sie das Abendmahl.
Nach der Weihe trat der Mönch Fulgentius, der abseits regungslos zugeschaut hatte, zu dem Bischof hin. »Gnaden, Ihr habt Euern Ring verloren.«
»Freund,« lächelte Talemberg, »ich habe ihn einer luthrischen Mutter geschenkt.«
Dann faßte er die Monstranz und trug sie auf eine nahe Koppe. Schweigend folgten die Menschen.
Als er, von lauterster Luft angespült, droben vor den Abgründen hielt und die Erde in den Fernen sich breitete voll feiernder Kraft und das Gebirge, Gottes Knieschemel, in ungeheurer Gelassenheit ragte, betete der adelige Mann: »Gott! Kein grelles Wort entschleiert dich mir. Nimmer darf ich erkennen, was du mit Geheimnis verdunkelt hast. In Demut und Einfalt aber will ich mich auftun deinen Wundern. Wahrlich, heute hast du mir ein Zeichen gesandt. Und ich preise mich, da ich erfahren: höher denn alle Erkenntnis ist das gute Werk.«
Alles strahlte. Alle Grenzen waren aus der Welt verschwunden, die sich verdehnte in heiligem Überschwang. Die Herrlichkeit Gottes in seinen Bergen war groß.
Drunten lagen die furchtbaren Felsenkessel ausgewaldet und gähnten dräuend empor. Weiterhin aber reihten sich lieblich die bewaldeten Vorberge, und weiter draußen blinkten die Dörfer und Städte und Türme Böhmens. Das Gebirge zog geschlossen dahin mit öden Kegeln und weich verschwingenden Graten, mit gewaltigen, vernarbten Flanken, daran die jungen Flüsse wie silberne Fäden flatterten, und am Ende des erhabenwilden Hochkammes starrte überragend und kahl und adelig schroff, ein Erzkönig, strahlend und weißgekrönt mit frühem Winter, die Schneekoppe.
Welterfüllt, gotterfüllt, gotteinig und beruhigt schwenkte der Bischof den goldenen Zierat wider die Ferne.
Dann segnete er das schwere Gebirge und segnete lächelnd darin Rübezahl, Gottes Kreatürlein. Und siehe, wundersam! Da schwamm über dem Knieföhricht ein letztes, schlankes Schleierlein wie eine weiße, erlöste Seele.
Und der Bischof stieß die Monstranz leidenschaftlich gegen den Abgrund und segnete ihn und kehrte dann das flammende Gerät dem bleichen Mönche zu, und Fulgentius ächzte schmerzlich auf, schlug unter der Wucht eines brausenden, fremden Gefühles ins Knie und deckte sein Antlitz.
In abgründiger Lust aber jauchzte der Bischof auf: »Ehre sei Gott in der Höhe!«
Himmel und Erde klangen feierlich zusammen. Gott klafterte mit ungeheuren Strahlenschwingen über dem Abgrund der Welten. Und der Urgrund brauste.