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In der inneren Verwaltung herrscht bei uns der spezifisch bürokratische Begriff des »Dienstgeheimnisses«. In erstaunlichem Gegensatz dazu vollzogen sich eine Reihe der verschiedensten Akte unserer Außenpolitik in einer höchst dramatischen Öffentlichkeit. Und zwar in einer Öffentlichkeit von sehr besonderer Art.
Während mehr als eines Jahrzehnts, vom Krüger-Telegramm bis zur Marokkokrise, erlebten wir es, daß die politische Leitung Deutschlands die Veröffentlichung rein persönlicher Äußerungen des Monarchen über außenpolitische Fragen durch irgendwelche beflissene Hofbeamten oder Telegraphenagenturen teils duldete, teils geradezu ihrerseits dabei mitwirkte. Es handelte sich da um Vorgänge, welche von der allergrößten Tragweite für die Art der Gestaltung unserer Weltpolitik und insbesondere auch für das Zustandekommen der Weltkoalition gegen uns gewesen sind. Dabei sei nun von vornherein bemerkt: daß die Richtigkeit der Stellungnahme und die inhaltliche Berechtigung der Äußerungen des Monarchen hier nicht zur Erörterung stehen. Sondern ganz und gar das Verhalten der Beamten. Unter einer Deckadresse gegen den Monarchen persönlich zu polemisieren, würde der vom Nutzen monarchischer Institutionen in Großstaaten überzeugte Schreiber dieser Zeilen ebenso verschmähen wie die pseudomonarchische Schmeichelei oder das sentimentale Untertanengerede von Interessenten und Spießbürgern. Ein Monarch, der öffentlich mit ganz persönlichen, zum Teil außerordentlich scharfen Äußerungen hervortritt, muß sich allerdings erforderlichenfalls eine ebenso scharfe öffentliche Kritik gefallen lassen. Denn vor der Tatsache stehen wir: daß jene Methode unseres politischen Auftretens, welche in der Veröffentlichung monarchischer Äußerungen lag, tatsächlich stets erneut geduldet wurde. Wenn nun diese Methode ein schwerer politischer Fehler war – und davon wird die Rede sein –, dann beweist die Duldung jener trotzdem erfolgten Wiederholung, soweit dafür der Monarch materiell verantwortlich ist, die Notwendigkeit seiner unbedingt maßgeblichen Beratung ausschließlich durch die führenden Politiker, unter Ausschluß aller anderen, seien es höfische, seien es militärische oder irgendwelche sonstige Instanzen von der Möglichkeit irgendwelcher solcher Eingriffe in politisch wichtige Fragen. Würden »reale Garantien« dafür, daß dies geschieht, nicht gegeben, dann würde allerdings die Wendung einer ganz rückhaltlosen Kritik gegen den Monarchen auch ganz persönlich schlechthin politische Pflicht. Politisch wünschenswert wäre aber eine solche öffentliche Erörterung gegenüber dem Monarchen ganz gewiß nicht. Es ist durchaus kein veralteter Zopf, sondern Produkt alter politischer Weisheit und Erfahrung, welche den Monarchen gerade davor, in der demagogischen Art in die Öffentlichkeit gezerrt zu werden, wie es bei uns mehrfach geschah, zu bewahren sucht, indem sie sein Auftreten an strenge Formen und Voraussetzungen bindet und dadurch die Möglichkeit schafft, seine Person der Diskussion des Parteikampfs in der Öffentlichkeit grundsätzlich zu entziehen. Eben dies gibt ihm die Möglichkeiten Fällen nationaler Erschütterungen, wo es wirklich erforderlich ist, seine Person mit um so unbezweifelbarerem Gewicht einzusetzen. Um eine Diskussion etwaiger Fehlgriffe des Monarchen handelt es sich also hier nicht. Sondern um die ganz andere Tatsache: daß die verantwortlichen Leiter des Reichs teils – und zwar in mindestens einem Fall sogar trotz der persönlichen Bedenken des Monarchen selbst dagegen – sich seines öffentlichen Auftretens oder der Veröffentlichung seiner Stellungnahme als diplomatischen Mittels geradezu bedienten, teils aber, ohne sofort ihr Amt zu quittieren, es duldeten, daß Äußerungen des Monarchen durch nichtverantwortliche Instanzen über ihren Kopf hinweg der Öffentlichkeit übergeben wurden. Es steht selbstverständlich und undiskutierbar dem Monarchen das Recht jeder politischen Stellungnahme zu. Ob aber diese und die Art ihrer Kundgebung nach Inhalt und Form der Öffentlichkeit zu unterbreiten ist und wie dies wirkt, – darüber muß die Erwägung und Entschließung unbedingt und ausschließlich in die Hände geschulter und verantwortlicher leitender Politiker gelegt werden. Der führende Staatsmann muß also vor jeder Veröffentlichung (überhaupt: vor jeder Weitergabe einer hochpolitischen Äußerung des Monarchen, welche zu deren Veröffentlichung führen kann) vorher um seinen Rat gefragt, und dieser muß befolgt werden, solange er im Amt ist. Er und seine Kollegen verletzen ihre Pflicht, falls sie auf ihren Posten verbleiben, wenn dies auch nur ein einziges Mal nicht geschieht. Hinter allem Gerede: daß »die Nation keinen Schattenmonarchen wolle« und ähnlichem, verbirgt sich, wenn die leitenden Staatsmänner des Reiches jene Konsequenz nicht ziehen, Amts kleberei und sonst gar nichts. Mit »Parlamentarismus« hat diese Frage als solche zunächst nichts zu tun, sondern einfach mit Pflichten der politischen Ehre. Darin aber ist wieder und wieder, und zwar in der allerschlimmsten Weise, bei uns gefehlt worden. Und daß diese Fehler gemacht sind, beruhte durchaus auf der falschen politischen Struktur unseres Staatswesens, welche Leute mit Beamtengeist dahin setzt, wohin Männer mit eigener politischer Verantwortung gehören. Die ganze Frage der Parlamentarisierung gewinnt ihr hochpolitisches Gepräge erst dadurch: daß es unter den heutigen Umständen keinerlei anderes technisches Mittel gibt, hier Wandel und zugleich Garantien des Wandels zu schaffen. Ausdrücklich sei, damit die Fragestellung nicht verschoben wird, noch hinzugefügt: nicht nur subjektiv begreiflich war in fast allen Fällen die persönliche Stellungnahme des Monarchen, sondern – soweit sich das damals übersehen ließ wenigstens in manchen von ihnen auch politisch richtig. Und in einer Anzahl von ihnen war es überdies nicht unwahrscheinlich, daß die diplomatische Bekanntgabe seiner energischen persönlichen Stellungnahme (in geeigneter Form) an diejenigen Regierungen, welche sie anging, politisch nützlich wirken konnte. Die öffentliche Bekanntgabe, für deren Duldung oder Veranlassung die politischen Leiter Deutschlands die Verantwortung trugen, war das politisch Unverantwortliche. Denn es ist, was bei uns vergessen scheint, ein ganz gewaltiger Unterschied, ob ein leitender Politiker (Ministerpräsident oder selbst Präsident der Republik) öffentlich, etwa im Parlament, eine noch so geharnischte Erklärung abgibt, oder ob er eine persönliche Äußerung des Monarchen öffentlich bekanntgeben läßt und diese dann mit zugleich effektvoller und billiger Geste »deckt«. Die Wahrheit ist: Ein öffentliches Wort des Monarchen ist der rücksichtslosen Kritik im Inland entzogen; es deckt dort also den Staatsmann, der es dazu mißbraucht, gegen rückhaltlose Kritik an seinem eigenen Verhalten. Aber das Ausland macht davor nicht Halt und – hält sich an den Monarchen. Ein Politiker kann und soll gehen, wenn die Lage sich ändert und also die erforderliche Stellungnahme sich verschiebt. Der Monarch dagegen soll bleiben. Mit ihm aber bleiben seine Worte. Vergebens sucht er, einmal persönlich öffentlich engagiert, sie, der veränderten Situation entsprechend, rückgängig zu machen. Leidenschaften und Ehrgefühl sind erregt; denn für die Nation wird es ein Ehrenpunkt, sich hinter den Monarchen zu stellen, dilettantische Literaten, wie die »Alldeutschen« und – ihre Verleger, machen gute Geschäfte. Inland und Ausland halten sich dauernd an die einmal gesprochenen Worte, und die Lage ist unelastisch festgefahren. Nach diesem Schema sind tatsächlich alle diese Fälle verlaufen. Gehen wir eine Anzahl von ihnen einmal rein sachlich durch, um zu erkennen, wo dabei der politische Fehler steckte.
Zunächst: das Krüger-Telegramm. Die Entrüstung über den Jamesoneinfall war berechtigt und wurde auch in der ganzen Welt (wie erinnerlich: auch vielfach in England selbst) geteilt. Nachdrückliche diplomatische Vorstellungen in London (auch unter Bezugnahme auf die Erregung des Monarchen) hätten angesichts dieser Situation recht wohl Erklärungen des damaligen englischen Kabinetts zur Folge haben können, über welche später vielleicht nicht ganz leicht hinwegzukommen gewesen wäre. Nebenher aber wäre vielleicht die Möglichkeit einer allgemeinen Verständigung über die beiderseitigen afrikanischen Interessen nähergerückt, wie sie z.+B. Cecil Rhodes recht willkommen gewesen wäre und wie sie durchaus nötig war, wollten wir nach anderen Richtungen: im Orient, freie Hand haben und Italien beim Bündnis halten. Das veröffentlichte Telegramm aber wirkte selbstredend wie eine Ohrfeige, die jede sachliche Diskussion für beide Seiten ausschloß. Der Ehrenpunkt war nun im Spiel, realpolitische Interessen ausgeschaltet. Infolgedessen fanden spätere, vor und während des Burenkrieges und nachher unternommene Verständigungsaktionen über Afrika oder die allgemeine Politik die innerliche Zustimmung keines der beiden Völker, deren Ehrgefühl gegeneinander engagiert worden war, obwohl beide Teile dadurch sachlich auf ihre Rechnung hätten kommen können. Sie verliefen im Resultat so, daß Deutschland nach dem Kriege in der Rolle des Geprellten erschien. Über genügende Machtmittel zur wirksamen Unterstützung des Protests aber hätten wir 1895 schlechterdings nicht verfügt. Das Ende: der Nichtempfang des landflüchtigen Präsidenten, bleibt besser ohne Kritik. Denn die Hauptsache: die Preisgabe der Buren, trotz jenes Engagements des Monarchen, war unvermeidlich. General Botha aber erklärte bekanntlich im südafrikanischen Parlament 1914: das Verhalten Deutschlands war es, das uns unsere Unabhängigkeit gekostet hat.
Das Verhalten Japans 1914, Chinas 1917 hat in Deutschland Erstaunen hervorgerufen. Das erstere pflegt man ausschließlich mit der bekannten Aktion wegen Port Arthur von 1897, das letztere ausschließlich mit amerikanischem Druck, beide außerdem mit Opportunitätsgründen zu motivieren. So viel Richtiges daran sein mag, so trat doch ein anderes recht wichtiges Moment hinzu. Glaubt man bei uns denn wirklich, irgendein gebildeter Chinese oder Japaner hätte vergessen, daß gerade in Deutschland in Wort und Bild die Warnung vor der gelben Gefahr und die Mahnung zur »Wahrung der heiligsten Güter« durch den Monarchen öffentlich bekanntgegeben wurde? Die Rassenprobleme gehören in der internationalen Politik zu den allerschwierigsten, weil durch die Interessenkonflikte der weißen Völker komplizierten Fragen. Daß der Monarch dazu eine Stellung zu gewinnen suchte, war nur zu billigen. Aber welchem Ziel und vollends welchem deutschen politischen Ziel, gleichviel welcher Art, diente diese Art von Veröffentlichung seiner damaligen Stellungnahme? Ließ sie sich mit den deutschen Interessen in Ostasien auch nur irgendwie in Einklang bringen? Welche Machtmittel standen hinter ihr? Wessen Interessen mußte sie im Effekt dienen? Ferner: welchen politischen Zielen diente die Veröffentlichung der Chinareden gelegentlich der Sendung des Grafen Waldersee? Welchen die Veröffentlichung der im Kreise der Offiziere vielleicht ganz angebrachten Flottenreden? Der Ertrag der deutschen Chinapolitik stand in peinlichem und, muß hinzugesetzt werden: in keinem zufälligen Mißverhältnis dazu, welches dann unserem Prestige schwer schädlich wurde. Über die wenig erfreuliche Episode der Behandlung der »Sühnegesandtschaft« und ihrer – wiederum: öffentlichen – Erörterung sei vollends hinweggegangen. Es ist einfach unerfindlich, welchem realpolitischen deutschen Zweck Fürst Bülow mit der Zulassung dieser das chinesische Ehrgefühl ganz nutzlos verletzenden Romantik zu dienen wähnen konnte. Und falls er klug genug war, die politische Wertlosigkeit und Schädlichkeit all dieser Vorgänge zu durchschauen, dennoch aber mit Zuständen rechnen mußte, welche ihre Duldung herbeiführten, so mußte er gehen, im Interesse der Nation sowohl wie insbesondere auch in dem des Monarchen.
Ob die Veröffentlichung der Rede in Damaskus nach der politischen Lage gegenüber Rußland zweckmäßig war, ist schon von anderer Seite stark bezweifelt worden. Unsere Sympathien für die Islamkultur und unsere politische Interessiertheit an der Integrität der Türkei kannten die beteiligten Völker und Politiker auch ohne einen so lauten Akt. Den Schein aber, welchen diese öffentliche Kundgebung erweckte, hätten wir, auch abgesehen von der damaligen politischen Konstellation, in jedem Fall besser vermieden. Wessen Absichten dadurch gefördert werden mußten, war auch hier leicht zu sehen. –
Könnte man aber in diesem letzten Falle noch zweifeln, so liegt jedenfalls bei der, wiederum: öffentlichen, Rede in Tanger zu Beginn der Marokkokrise die Sachlage ganz klar. Die Stellungnahme Deutschlands an sich ist auch von neutraler Seite durchaus gebilligt worden. Schwer fehlerhaft aber war wiederum das öffentliche Einsetzen der Person des Monarchen. Wenn auch noch nicht bekannt ist, welche Anerbietungen Frankreich nach Delcassés Sturz gemacht hat, so war jedenfalls so viel klar: entweder man mußte entschlossen sein, für die Selbständigkeit Marokkos Krieg zu führen, oder aber man mußte die Angelegenheit sofort definitiv in einer Art, die den Interessen und dem Ehrgefühl beider Teile Rechnung trug, gegen Kompensationen Frankreichs zum Abschluß bringen. Das hätte vielleicht für die Beziehungen zu Frankreich weitgehende Konsequenzen haben können. Warum geschah es nicht? Die Ehre der Nation, hieß es, sei durch das Wort des Monarchen für den marokkanischen Sultan engagiert, den wir nun nicht »im Stiche lassen dürften«. Krieg zu führen, war aber gleichwohl nicht die Absicht. Die Folge war: die Niederlage von Algeciras, dann die »Panther«-Episode und schließlich – die Preisgabe Marokkos, zugleich aber, unter dem Druck der endlosen nervösen Spannung, das Aufflammen der Kriegslust in Frankreich. Also: die Förderung der Einkreisungspolitik Englands. Und dazu wiederum der Eindruck: Deutschland weicht zurück – trotz kaiserlicher Worte. Dies alles ohne jegliches irgendwie hinlängliche politische Äquivalent für uns. –
Die Ziele der deutschen Politik, auch und gerade der Überseepolitik, waren, gemessen an den Erwerbungen anderer Völker, überaus bescheiden, ihre Resultate vollends geradezu dürftig. Dabei aber schuf sie Reibungsflächen und machte ein Geräusch wie die keines anderen Landes. Und immer wurden diese politisch ganz nutzlosen und schädlichen Sensationen wieder durch solche Veröffentlichungen von Äußerungen des Monarchen geschaffen. Und nicht nur bei den uns fremd oder als Neutrale gegenüberstehenden Mächten wirkte diese Methode schädlich.
Nach der Algeciraskonferenz war es das Bedürfnis des Monarchen, dem Grafen Goluchowski seinen Dank auszudrücken. Statt der dafür sonst üblichen Mittel wurde das bekannte Telegramm veröffentlicht. Der prompte, für uns peinliche Sturz des Adressaten zeigte zu spät: daß keine Regierung ihre leitenden Staatsmänner von anderen, auch den nächsten Verbündeten, öffentlich mit einer guten Zensur versehen läßt.
Auch in der inneren Politik sind ganz die gleichen Fehler gemacht worden.
Oder gehörte etwa die im Unmut des Augenblicks gesprochene »Zuchthausrede« in die Öffentlichkeit, wo sie als ein politisches Programm erschien und wirkte? Was aber sollte man vollends davon denken, daß nun die Bürokratie, nur weil von »Zuchthausstrafe« für Streiks gesprochen und dies veröffentlicht worden war, einen entsprechenden Paragraphen für die Antistreikvorlage ausklügeln mußte? Es hat erst der gewaltigen Ereignisse von 1914 und der jetzigen Ankündigung des gleichen Wahlrechts bedurft, um die selbstverständliche Nachwirkung dieser ganz zwecklosen Publikation auf die Haltung ehrliebender Arbeiter auszutilgen. Lag das etwa im Interesse der Dynastie? Oder welchen sonstigen irgendwie zu verantwortenden politischen Zweck verfolgte die Veröffentlichung?
Indessen, hier sollte nur von der Außenpolitik die Rede sein. Und da fragt man naturgemäß: Wo steckten bei allen jenen Veröffentlichungen diejenigen Reichstagsparteien, welche für die Haltung der Regierung ausschlaggebend sein konnten und welche dann dem Reichskanzler von Bethmann Hollweg die »Mißerfolge« dieser Politik, welche uns »die ganze Welt zum Feinde gemacht habe«, vorwarfen, – oder die ihm vorhielten: er »decke sich hinter dem Monarchen«? Was taten sie in allen jenen Fällen? Sie nutzten die Kritik der äußersten Linken dazu aus, um deren »antimonarchische« Gesinnung zu denunzieren! Einwendungen sind von ihnen – das muß auf das nachdrücklichste festgestellt werden – öffentlich erst erhoben worden, als es zu spät war. Und auch dann nur, soweit ihre egoistischen Interessen nicht im Spiel waren. Auf die bekannten Vorfälle von 1908 soll im einzelnen nicht zurückgekommen werden. Aber daran sei erinnert: Die konservative Partei hat, im Gegensatz zu der unzweifelhaft eindrucksvollen Adresse ihrer Vertrauensmänner an den Monarchen, den Fürsten Bülow später in aller Form im Stich gelassen und, wie üblich, ihren Pseudomonarchismus wieder hervorgesucht, als es sich um eigene materielle Interessen handelte. (Übrigens mag der Monarch nicht wenig erstaunt gewesen sein, daß gerade dieser Kanzler, der doch in mindestens einem Fall seinerseits ihm ein sehr prononziertes öffentliches Hervortreten gegen seine Bedenken direkt angeraten hat, sich plötzlich unter dem Druck einer nationalen Erregung gegen ihn wendete!) Wo aber steckten vollends in all diesen Fällen unsere Literaten? Sie klatschten öffentlich Beifall oder schwatzten davon – wie es die Presse der Parteien der Rechten noch jetzt tut –: daß der Deutsche eben keine Monarchie nach englischer Art liebe. Die Mißerfolge aber schoben sie, den traurigsten Spießbürgerinstinkten schmeichelnd, auf die »Diplomatie«. Ohne auch nur einmal zu fragen: wie denn diese unter derartigen Bedingungen überhaupt arbeiten konnte! – Privatim freilich – das wäre ein langes und für die Agitatoren, welche so tapfer die »Hungerfrieden«-Mehrheit öffentlich schmähen, nicht ehrenvolles Kapitel!
Unverantwortlich und beispiellos in der Politik aller Großstaaten war aber vor allem das Verhalten unserer leitenden Staatsmänner in allen diesen Fällen. Ein öffentlicher Vorstoß von dieser Stelle war nur zulässig, wenn man es, und zwar sofort, auf den Ernstfall absah. Aber weder für die Buren noch gegen die Mongolen noch für den Sultan von Marokko hatten wir in Wahrheit die Absicht, in den beiden ersten Fällen auch weder den Beruf noch die Machtmittel, mit den Waffen einzutreten. Gleichwohl ließen die leitenden Politiker zu, daß durch ein öffentliches Einsetzen der Person des Monarchen eine sachliche Verständigung mit England über die beiderseitigen südafrikanischen, mit Frankreich über die nordafrikanischen Interessen unmöglich gemacht wurde, weil eben nun unsere Stellungnahme nach Art eines Ehrenpunktes festgelegt schien und dann schließlich doch – preisgegeben werden mußte. Peinliche, noch heute jedem Deutschen auf der Seele brennende diplomatische Niederlagen und schwere dauernde Schädigung unserer Interessen waren die unabwendbare Folge. Vor allem der höchst gefährliche Eindruck, daß Deutschland nach Anwendung der stärksten äußeren Gesten dennoch zurückzuweichen pflege, – dieser für das Verhalten der englischen Politik Ende Juli 1914 sicher mitbestimmende Glaube geht darauf zurück. Diese unnatürliche Weltkoalition gegen uns ist in starkem Maße auch durch diese ganz unglaublichen Fehler zusammengeführt worden Und nicht nur das. Sie wirken noch jetzt nach. Jener Schwindel, der jetzt in der Welt mit dem Gerede von der deutschen »Autokratie« getrieben wird, ist: Schwindel, – aber seine Möglichkeit ist politisch alles andere als gleichgültig. Wer hat es nun den Gegnern, die daran so wenig glauben wie an andere Märchen über Deutschland, möglich gemacht, diesen Schwindel mit Erfolg zu treiben? Wer hat den ungeheuren, politisch keineswegs gleichgültigen, Haß einer ganzen Welt auf das Haupt gerade dieses Monarchen geladen, dessen Haltung notorisch für die Bewahrung des Friedens wiederholt, auch in Augenblicken, wo rein realpolitisch vielleicht der Krieg für uns zweckmäßiger gewesen wäre, ausschlaggebend war? Wer hat es möglich gemacht, daß die Massen im Ausland vielfach ernstlich glauben, Deutschland schmachte nach »Befreiung«, und wenn man nur lange genug durchhalte, werde diese unterdrückte Stimmung sich schließlich Luft machen? Wer hat diesen unerhörten Unsinn der gegenwärtigen Lage möglich gemacht? Solange die Möglichkeit der Wiederkehr besteht, darf die Nation nicht vergessen: das hat die konservative Beamtenherrschaft getan, welche in den entscheidenden Momenten Leute mit Beamtengeist an leitende Stellen setzte, auf welche Politiker gehörten, das heißt: Leute welche im politischen Kampf die Tragweite des öffentlichen Wortes zu wägen gelernt und welche vor allem das Verantwortungsgefühl eines leitenden Politikers und nicht das an seinem Platz richtige, hier aber verderbliche Subordinationspflichtgefühl eines Beamten gehabt hätten.
Der Abgrund, der beide scheidet, wird gerade hier am deutlichsten sichtbar. Der Beamte hat seine eigenen Überzeugungen seiner Gehorsamspflicht zu opfern. Der leitende Politiker hat die Verantwortung für politische Handlungen öffentlich abzulehnen, wenn sie seiner Überzeugung widersprechen, und hat dieser seine Amtsstellung zu opfern. Niemals aber ist dies bei uns geschehen.
Denn es ist mit dem Gesagten immer noch nicht das Schlimmste ausgesprochen: Von fast allen jenen Männern, welche in dem erwähnten verhängnisvollen Jahrzehnt unserer Politik deren Leitung in der Hand hatten, ist zuverlässig bekannt: daß sie privatim, und zwar nicht nur gelegentlich, sondern wieder und wieder, die materielle Verantwortung für die entscheidende Veröffentlichung, die sie formell »deckten«, abgelehnt haben. Fragte man erstaunt: warum wohl der betreffende Staatsmann, augenscheinlich der Machtmittel beraubt, die nach seiner Überzeugung bedenkliche Veröffentlichung zu hindern, auf seinem Platz geblieben sei, so bekam man gewöhnlich zu hören: »Es hätte sich ja ein anderer gefunden.« Das wird wohl so sein, und da lag dann eben der alles weitere entscheidende Fehler des Systems als solchen, der uns hier allein angeht. Würde sich auch dann ein anderer gefunden haben, wenn der politische Leiter als Vertrauensmann eines machtvollen Parlaments die Verantwortung hätte tragen müssen?
An diesem entscheidenden Punkt kann man sehen: was ein Parlament, dem gegenüber effektive Verantwortlichkeit der Beamten besteht, bedeutet. Es ist schlechterdings durch keine andere Macht zu ersetzen. Oder: durch welche? Auf diese Frage schuldet jeder Antwort, der heute noch bei uns auf den »Parlamentarismus« zu schelten sich legitimiert fühlt. Und an dem gleichen Punkte kann man mit Händen greifen, daß das Verantwortungsgefühl des Beamten einerseits, des Politikers andererseits zwar jedes an seiner Stelle, aber auch nur dort, am Platze ist. Denn es handelte sich nicht etwa um untüchtige oder ungeschulte, sondern um zum Teil recht hervorragende Beamte und Diplomaten, denen aber das fehlte, was man im rein politischen Sinne des Wortes, der mit der privaten Moral gar nichts zu tun hat: »Charakter« nennt. Er fehlte ihnen aber nicht zufällig, sondern infolge der Struktur des Staates, der für dergleichen eben keine Verwendung hatte. Was soll man zu diesem in aller Welt bei einer Großmacht nicht wieder zu findenden Zustand sagen: daß Zivilkabinette oder Hofchargen oder Telegraphenagenturen, oder wer immer sonst, sich herausnehmen, eine Publizität solcher für die internationale Politik wichtigsten Vorgänge herbeizuführen und dadurch unsere Politik auf Jahrzehnte festzufahren und zu verpfuschen, und daß der leitende Politiker das mit Achselzucken und einigen vermeintlich noblen Gesten über sich ergehen läßt? Und das in einem Staat, wo gleichzeitig in innerpolitischen Angelegenheiten im Machtinteresse der Verwaltungschefs das »Dienstgeheimnis« als Perle der Beamtenpflichten figuriert! Daß ausschließlich und allein die Interessen der Beamten an verantwortungsfreiem Ämterbesitz den scheinbaren Widerspruch erklären, liegt auf der flachen Hand. Was soll man zu einem System sagen, welches Politiker, die schwere Fehler ihrer Überzeugung zuwider dulden, auf ihren Posten beließ? Und was schließlich dazu, daß trotz dieser vor aller Augen liegenden Dinge sich noch immer Literaten finden, welche eine Staatsstruktur, die im politisch entscheidenden Punkt so funktioniert hat, als »glänzend bewährt« hinzustellen sich nicht scheuen? Mehr als glänzend bewährt hat sich, wie gesagt, die dienstliche Leistung der Offiziere und Beamten da, wo deren Qualität entscheidet. Aber da, wohin der Politiker gehört, hat die Beamtenherrschaft seit Jahrzehnten nicht etwa nur versagt, sondern sie hat das Odium ihres eigenen, politisch völlig desorientierten Verhaltens, um sich zu decken, auf den Monarchen persönlich abgeladen und hat dadurch die gegen uns gerichtete Weltkonstellation herbeiführen helfen, welche ohne die großartigen Leistungen unseres Heeres ihm seine Krone, Deutschland aber seine ganze politische Zukunft hätte kosten können. Jede Struktur des Staates, die dies verhindert, ist: im Interesse der Nation und in demjenigen der Monarchie selbst besser als dieser Zustand. Er muß, koste es, was es wolle, aufhören. Es steht völlig fest (und ist übrigens leicht erweislich): daß über diese schweren Schäden in Deutschland keinerlei parteipolitische Meinungsverschiedenheit besteht. Nur waren die Politiker der Rechten teils zu wenig politisch charaktervoll, teils – zu interessiert, um ihre privatim stets mit der größten Schärfe geäußerte Meinung auch öffentlich zu vertreten. Und vor allem: um daraus die sachlichen Konsequenzen zu ziehen. Denn ohne »reale Garantien« ist hier nicht weiterzukommen. Das hat uns die völlige Unbelehrbarkeit der für jene Veröffentlichungen verantwortlichen höfischen Kreise gezeigt. Die Schaffung solcher Garantien ist politisch ungleich wichtiger als alle politischen Probleme, welcher Art auch immer, einschließlich der Parlamentarisierung und Demokratisierung. Die erstere ist vielmehr für uns in erster Linie das unvermeidliche Mittel, solche realen Garantien zu schaffen. Denn daß nur die Parlamentsmacht und die effektive Verantwortlichkeit der führenden Politiker gegenüber dem Parlament gegen derartige Vorgänge eine Garantie geben kann, steht außer Zweifel.
Eine wirklich leistungsfähige Parlamentsleitung zu schaffen, ist aber nach dem Schlendrian von Jahrzehnten eine Sache zum mindesten von Jahren. Was kann denn nun inzwischen, solange diese Reform noch nicht durchgeführt ist oder ihre Früchte noch nicht getragen hat, geschehen?
Eines ist natürlich selbstverständlich: überall, auch und gerade in der »Demokratie«, werden die verantwortlichsten Entschließungen der Außenpolitik von einer kleinen Zahl von Menschen gefaßt: Amerika und Rußland sind gerade jetzt die besten Beispiele. Keine Literatenideologie ändert das. Jeder Versuch, es zu ändern, schwächt die Last der Verantwortung, auf deren Schärfung ja gerade alles ankommt. Unverändert fortbestehen werden daher die unter effektiver Verantwortlichkeit des Reichskanzlers auszuübenden kaiserlichen Rechte des Art. 11 der R. V. Aber der gefährliche Mißbrauch, den verantwortungslose und unbekannte höfische oder journalistische Interessenten mit den die Außenbeziehungen des Reiches berührenden rein persönlichen Äußerungen des Monarchen in der Öffentlichkeit treiben konnten, muß sofort, und zwar gesetzlich, gehindert werden. Schwere, in Fällen bewußten Mißbrauchs entehrende, Strafe ist durch ein Spezialgesetz dem anzudrohen, der sich künftig herausnimmt, sie in die Öffentlichkeit zu bringen oder an das Ausland zu geben, ohne daß vorher alle Garantien gegeben sind. Selbstverständlich also muß die verfassungsmäßige Verantwortlichkeit gerade für die Veröffentlichung von dem leitenden Politiker vorher übernommen sein. Darauf kommt alles an. Es ist eine inhaltsleere Phrase, wenn der leitende Staatsmann nachträglich, Reklamationen im Parlament gegenüber, erklärt: »Er decke die Veröffentlichung mit seiner Verantwortlichkeit.« Denn einmal kann die Äußerung des Monarchen auch dann ohne politische Gefährdung seiner Stellung nicht rücksichtslos kritisiert werden. Vor allem aber ist eine solche Redensart nicht nur bedeutungslos, sondern politisch einfach nicht wahr, wenn er nicht vorher gefragt worden ist und sie gutgeheißen hat, wie es der Verfassung allein entspricht. Ist das nicht geschehen, so besagt jene Phrase lediglich: daß er trotz jener Veröffentlichung keine Neigung verspüre, sich pensionieren zu lassen, daß er also an seinem Amt »klebe«. Und daher muß – abgesehen von der Bestrafung der Schuldigen bei unbefugter Veröffentlichung – für die Gutheißung oder Duldung jeder solchen Veröffentlichung der Reichskanzler durch die sonst wenig praktikable »Anklage« mit dem Ziel der Amtsentsetzung und dauernder Ämterunfähigkeit, am besten vor einem Parlamentsausschuß, zur Verantwortung gezogen werden können, um den nötigen Druck auf ihn auszuüben, mit der größten Umsicht zu Werke zu gehen. Die Gutheißung jeder solchen Veröffentlichung durch den Kanzler sollte lediglich nach eingehender Erwägung mit erfahrenen Politikern erfolgen. Und daher wäre es recht ratsam, wenn einer geeigneten beratenden Körperschaft vorher Gelegenheit gegeben werden müßte, sich über die Zweckmäßigkeit der Veröffentlichung (denn nur um diese handelt es sich ja) zu äußern. Soll sie kein reiner Parlamentsausschuß sein, so steht als Anknüpfungspunkt vielleicht ein anderes Gebilde zur Verfügung.
Der verfassungsmäßig aus Bevollmächtigten der Mittelstaaten gebildete »Bundesratsausschuß für die auswärtigen Angelegenheiten« war bisher eine Art schlechter Witz der Reichsverfassung, rein dekorativ, ohne formelle Befugnisse und ohne tatsächlichen Einfluß. Denn es ist nicht nur nicht die Verpflichtung des Reichskanzlers statuiert, wirklich Rede zu stehen, sondern Art. 11 schließt diese Pflicht aus. Formell kann er sich auf passive Entgegennahme von Bemerkungen beschränken. Höflich ist er, wenn er ein formales »Exposé« vorlegt, wie es der Öffentlichkeit im Parlament dargeboten zu werden pflegt. Dies war in der Regel offenbar der Hergang, obwohl doch hier im intimeren Kreise recht wohl eine meritorische Erörterung möglich war. Im Krieg scheint die praktische Bedeutung des Ausschusses wenigstens zeitweise eine leise Steigerung erfahren zu haben: auch das wäre kein Zufall. Ihm könnte recht wohl die beratende Stellungnahme vor einer Veröffentlichung außenpolitisch wichtiger Äußerungen des Monarchen zugewiesen werden. Noch besser wäre es freilich, wenn er zu einem Reichskronrat entwickelt werden könnte, der unter Zuziehung der zuständigen Ressortchefs und älterer Staatsmänner vor besonders wichtigen Entschließungen der Reichspolitik, möglichst in Gegenwart des Monarchen, derart verhandelte, wie dies jetzt, in Ermanglung einer kollegialen Reichsinstanz, der preußische Kronrat nicht selten auch da tut, wo nicht innerpreußische, sondern politisch entscheidende Fragen des Reiches (und also auch der nichtpreußischen Bundesstaaten) berührt werden. Die Tätigkeit kann formell nur beratend sein, denn außer der verfassungsmäßigen Stellung des Monarchen bei der Vertretung des Reichs nach außen darf auch die verfassungsmäßige Verantwortung des Reichskanzlers keinesfalls abgeschwächt werden. Man diskreditiert natürlich jeden solchen Gedanken, wenn man ihn – wie das der Bürokratie leider naheliegt – zur Ausschaltung oder Schwächung des Einflusses des Parlaments auszunutzen sucht. Immerhin könnte eine »Verantwortlichkeit« des Reichskanzlers gegenüber dem Bundesrat gerade hier: in der Pflicht, Rede zu stehen, ausdrücklich statuiert werden. Das Problem läge aber in dem Verhältnis dieser beratenden Instanz zu den Spezialausschüssen des Parlaments, insbesondere dann, wenn man daran dächte, auch Parlamentsmitglieder zuzuziehen. Davon später.
Gleichviel aber ob und wie jener Vorschlag verwirklicht wird, jedenfalls dürfen niemals wieder Verhältnisse und Vorkommnisse, wie die geschilderten, geduldet werden. Und es muß daher festgestellt werden: konservatives Parteifabrikat auf der Grundlage der Bismarckschen Demagogie war die tief unwahrhaftige pseudomonarchische Legende, auf welche sie sich beriefen. Rein innerpolitische Parteiinteressen verbargen sich, wie jetzt im Krieg hinter der »Fronde«, so vorher hinter dieser Legende. Die Beamtenstellen, vom Landrat bis zum Minister, als konservative Parteipfründen, der staatliche Beamtenapparat als Wahlapparat der konservativen Partei, Wahlrechtsprivilegien in Preußen, um dies aufrechtzuerhalten, und zu diesem Zweck: die Diskreditierung und Schwächung des trotz allem immer noch besten deutschen Parlaments: des Reichstags, waren die Zwecke, denen diese Interessenten-Legende diente. Und wenn heute, wo die politischen Resultate zutage liegen, die Hebung der Leistungsmöglichkeit und Machtstellung des Parlaments als einer Stätte der Verwaltungskontrolle und künftig einmal der Auslese politischer Führer verlangt wird, so kennen wir ja im voraus jene Phrase, welche die Interessenten der unkontrollierten Beamtenherrschaft bereithalten: »Die Monarchie sei in Gefahr.« Es stände schlimm um die Zukunft der Monarchie, wenn diese interessierten Schmeichler dauernd allein das Ohr der Fürsten behielten, wie es bisher der Fall war. Sich mit dem Versuch, die Dynastien durch die Angst vor der »Demokratie« einzuschüchtern, auseinanderzusetzen, ist Sache der Dynastien selbst, nicht die unsere.