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Fünftes Kapitel: Die Verfolgung des Liebespaares

 

I.

Als der Zug mich von Birmingham nach Monkshampton entführte, trug er mich nicht nur in eine Gegend, in der ich noch nie gewesen war, sondern auch aus dem Licht des Alltags und der Berührung und Umgebung gewohnter Dinge hinaus in die seltsame, einzigartige Nacht, die von dem Riesenmeteor jener letzten Tage beherrscht war.

Der gewöhnliche Unterschied zwischen Tag und Nacht war um diese Zeit merkwürdig unterstrichen. Eine immer größer werdende Differenz in der Bewertung aller menschlichen Dinge machte sich bemerkbar. Tagsüber figurierte der Komet nur in den Zeitungsartikeln; tausend lebendige Interessen verdrängten ihn; er war belanglos gegenüber dem Kriegsgewitter, das über uns stand. Er war ein astronomisches Phänomen, irgendwo, weit über China, Millionen von Meilen entfernt in den Tiefen des Himmelsgewölbes. Man vergaß ihn. Aber sobald die Sonne sank, wandte man sich wieder gen Osten, und das Meteor nahm seine Herrschaft wieder auf.

Man wartete auf sein Erscheinen; und jede Nacht kam es als neue Überraschung wieder. Immer stieg es heller empor, als man erwartet hatte, immer größer, mit wunderbar verändertem Umriß, jetzt mit einer seltsamen, weniger leuchtenden grünen Scheibe in der Mitte, die mit seinem Wachstum wuchs. Das war der Schatten der Erde. Das Meteor leuchtete auch in einem eigenen Licht, so daß dieser Schatten nicht scharf oder schwarz war, sondern da, wo die Kraft der Sonnenstrahlen aufhörte, nur eine geringere, phosphoreszierende Leuchtkraft aufwies. Wenn es zum Zenit emporstieg, wenn das letzte Tageslicht zögernd der abdankenden Sonne folgte, dann bannte dies grünlich-weiße Licht die Wirklichkeiten des Tages und goß eine seltsam gespenstische Helle über alle Dinge aus. Es wandelte den sternenlosen Himmel ringsumher in ein unvergleichliches tiefes Blau, die tiefste Farbe der Welt, wie ich sie weder vorher noch nachher je wieder gesehen habe. Ich entsinne mich auch, daß mir, während der Zug Monkshampton zurasselte, beim Hinausschauen ein kupferrotes Licht auffiel, das sich in alle Schatten mischte, die der Komet warf. ...

Der Komet wandelte unsere häßlichen englischen Industrieorte in Geisterstädte. Überall war die Straßenbeleuchtung eingestellt – man konnte bei seinem Licht den kleinsten Druck lesen. So wanderte ich durch Monkshampton, durch bleiche, weiße, ungewohnte Straßen, deren Bogenlampen Schatten auf den Weg warfen. Da und dort brannten erleuchtete Fenster orangerot, wie Löcher in einem Traumvorhang vor einem glühenden Schmelzofen. Ein Schutzmann führte mich mit lautlosen Schritten zu einem aus Mondlicht gewebten Gasthof; ein Mann mit einem grünen Gesicht tat uns auf. Dort verbrachte ich die Nacht. Am nächsten Morgen erwachte das Haus unter gewaltigem Spektakel und entpuppte sich als eine schmutzige kleine Spelunke, die nach Bier stank; der Wirt war ein fetter, schmieriger Kerl mit roten Flecken auf dem Hals; und draußen, auf dem Pflaster, tobte ein reger, geräuschvoller Verkehr.

Nachdem ich meine Rechnung bezahlt hatte, trat ich hinaus. Die Straße hallte wider vom Geschrei zweier Zeitungsausrufer und vom lärmenden Gebell eines Hundes, der sich zum Wettbewerb aufgestachelt fühlte. Sie schrieen: »Großer Verlust der Engländer in der Nordsee. Ein Kriegsschiff mit der ganzen Bemannung verloren.«

Ich kaufte ein Blatt und ging zum Bahnhof, indem ich die Einzelheiten las, die über diesen Triumph der alten Zivilisation berichtet wurden – die Sprengung eines großen Panzerschiffes voll Kanonen und Explosionsstoffe, voll der kostspieligsten, feinsten Maschinerien, die man damals herzustellen verstand, samt neunhundert gesunden, leistungsfähigen Menschen durch eine schwimmende, von einem deutschen Unterseeboot gelegte Mine. Ich las mich in eine fieberhafte Erregung hinein. Dabei vergaß ich nicht nur das Meteor, ich vergaß sogar eine Zeitlang den Zweck, der mich auf den Bahnhof führte, mich veranlaßte, ein Billett zu kaufen, und mich nach Shaphambury trug.

Der heiße Tag kam wieder zu seinem Recht; man vergaß die Nacht.

Und immer eindringlicher leuchtete jede Nacht die Schönheit, das Wunder, das Wahrzeichen der Unendlichkeit auf uns herab, und wir standen versunken in stummem Staunen. Und bei den ersten grauen Tönen des dämmernden Morgens, mit dem Öffnen der Riegel und dem Rattern der Milchkarren vergaßen wir alles. Gähnend, sich reckend, kehrte der staubige Alltag zurück. Wolken von Kohlenrauch wälzten sich zum Himmel auf, und wir erhoben uns, um den schmutzigen, unordentlichen Schlendrian des Lebens von neuem zu beginnen ...

»So ist es immer gewesen!« sagten wir. »So wird es immer sein!«

Die Herrlichkeit jener Nächte wurde fast allgemein als ein bloßes Schauspiel betrachtet. Sie bedeutete uns nichts. Im westlichen Europa wenigstens sah nur ein kleiner, unwissender Bruchteil der unteren Klassen den Kometen als ein Vorzeichen des Weltuntergangs an. Im Ausland, wo es noch ein Bauerntum gab, war es anders; aber in England waren die Bauern längst verschwunden. Jedermann las. Die Zeitungen, die in den ruhigen Tagen vor dem rasch ausgebrochenen Zwist mit Deutschland zur höchsten Blüte emporgeschossen waren, hatten in der Frage des Kometen jeder Möglichkeit einer Panik die Spitze abgebrochen. Die Landstreicher auf der Straße, die Kinder in der Kinderstube hatten bereits gelernt, daß jene ganze leuchtende Wolke allerhöchstens einige zwanzig Tonnen wiegen konnte. Diese Tatsache war unwiderleglich erwiesen durch die ungeheueren Abweichungen, die den Kometen schließlich so geradeswegs auf unsre Erde zugeschleudert hatten. Er war ganz nah an drei der kleinsten Asteroiden vorübergegangen, ohne nur die geringste nachweisbare Abweichung in ihrem Lauf hervorzurufen, während er selber fast um drei Grad abgewichen war. Wenn er auf die Erde stieß, so mußte zweifellos ein großartiges Schauspiel erfolgen, das die Menschen, die gerade auf der betreffenden Seite unseres Planeten waren, sehen würden – weiter nichts. Ob das unsere Seite sein würde, war zweifelhaft. Das Meteor würde immer größer am Himmel erscheinen, aber der Schatten unserer Erde würde den Kern seiner Helligkeit verdunkeln; schließlich würde es den ganzen Himmel füllen, einen Himmel aus leuchtend grünen Wolken, mit einem weißlichen Schein am westlichen und östlichen Horizont. Dann ein Stillstand von nicht genau zu bestimmender Dauer, und dann ohne Zweifel ein großes Schwarmfeuer von Sternschnuppen. Diese mochten vielleicht infolge des unbekannten Elementes, auf das jene Linie in Grün deutete, von ungewöhnlicher Farbe sein. Eine kleine Weile würde der Zenit Sternschnuppen speien. Einige davon – so hoffte man – würden die Erde erreichen und eine Untersuchung ermöglichen.

Das, behauptete die Wissenschaft, würde alles sein. Die grünen Wolken würden durcheinanderwirbeln, es würde vermutlich Gewitter geben. Aber durch die dünner werdenden Streifen des Kometenlichts würde der alte Himmel, würden die alten Sterne wieder scheinen, und alles würde sein, wie es zuvor gewesen war. Und da das Phänomen am kommenden Dienstag – (in Monkshampton schlief ich Sonnabend nacht) – zwischen ein und elf Uhr morgens eintreten mußte, so konnte es auf unserer Erdhälfte nur teilweise sichtbar sein – wenn überhaupt. Vielleicht, wenn es sehr spät kam, würde man nichts sehen, als tief am Himmel eine Sternschnuppe. Für all das hatten wir vollkommen zuverlässige wissenschaftliche Belege. Und doch hinderte es nicht, daß diese letzten Nächte die schönsten und denkwürdigsten waren, die Menschenaugen je geschaut haben.

Die Nächte waren sehr warm geworden. Als ich am Tag darauf Shaphambury vergeblich durchstreift hatte, quälte mich bei der Wiederkehr jener unvergleichlichen nächtlichen Herrlichkeit der Gedanke, daß im Segen dieses Lichtes der junge Verrall und Nettie sich ihrer Liebe freuten ...

Hin und her wanderte ich, hin und her, am Meeresufer entlang, und spähte den jungen, promenierenden Paaren ins Gesicht, die Hand bereit in der Tasche, mit einem sonderbaren Schmerz im Herzen, der mit Zorn nichts gemein hatte, bis zuletzt alle Spaziergänger nach Haus und zu Bett gegangen waren und ich allein blieb mit dem Stern.

Der Frühzug von Wyvern nach Shaphambury hatte eine Stunde Verspätung gehabt; man sagte, das komme von den Bewegungen der Truppen, die einem möglichen feindlichen Einfall von der Elbe her zu begegnen hätten.

 

II.

Shaphambury machte mir von Anfang an einen wunderlichen Eindruck. Irgendwie schärfte sich wohl gerade zu jener Zeit meine Empfindung für die Sonderbarkeit vieler überlieferter Dinge. Heute, beim Zurückblicken, erscheint mir der Ort doppelt wunderlich. Die ganze Stadt war für meine nicht durch Reisen verwöhnten Augen fremdartig. Erst zweimal in meinem Leben war ich an der See gewesen – mit Vergnügungszügen – an zwei Küstenorten von Wales, deren große Felsenklippen und bergiger Hintergrund den Eindruck des Horizonts wesentlich anders erscheinen lassen, als an der Ostküste von England. Hier waren die sogenannten Klippen eine kaum fünfzig Fuß hohe, bröckelige Erhöhung aus weißlichbrauner Erde.

Gleich nach meiner Ankunft durchforschte ich Shaphambury systematisch. Bis auf den heutigen Tag steht mir der Plan, den ich austüftelte, klar vor Augen; und ich weiß noch genau, wie meine Erkundigungen dadurch erschwert wurden, daß jedermann das dringende Bedürfnis fühlte, von der Möglichkeit eines feindlichen Einfalls der Deutschen, noch eh die Kanalflotte auf unsere Höhe kommen würde, zu reden. Den Sonntag übernachtete ich in einem kleinen Gasthof in einer der Nebenstraßen von Shaphambury. Ich hatte den Ort wegen der geringen Zahl von Sonntagszügen erst um zwei Uhr nachmittags erreicht, und erst spät am Montag nachmittag fand ich die erste Spur. Als der kleine Lokalzug, um die Biegung eines schwellenden Hügels herumpustend, in Sicht des Ortes kam, erblickte man eine Reihe welliger Rasenflächen, auf denen eine Anzahl schreiender Reklameschilder das Auge auf sich zog und die ferne Linie des Meereshorizonts unterbrach. Die meisten bezogen sich auf Nahrungsmittel oder Arzneien, die nach dem Essen einzunehmen waren, und waren in Farben gehalten, die weniger auf Schönheit als darauf berechnet waren, sich dem Gedächtnis einzuprägen und von den weichen grünen Tönen der Küstenlandschaft abzustechen. Der größte Teil solcher Ankündigungen überhaupt, die im Leben jener Tage eine so hervorragende Rolle spielten und die Existenz der großen Zeitungen ermöglichten, bezogen sich, wie ich bemerken muß, auf Nahrungsmittel, Getränke und Tabak, ferner auf solche Apothekerwaren, die eine Wiederherstellung des durch ersterwähnte Genüsse untergrabenen leiblichen und geistigen Gleichgewichts verhießen. Wohin man ging, überall erinnerten grelle Lettern daran, daß der Mensch wenig besser war als ein Wurm, ein Ding ohne Augen und Ohren, das klaglos im nahrhaften Schlamm lebt und wühlt – »ein Ernährungskanal mit dem nötigen Zubehör«. Außer diesen Reklameschildern waren da noch die großen schwarzen und weißen Plakate, die mit der Anpreisung der verschiedensten »Grundstücke« prahlten. Der individualistische Unternehmungsgeist jener Zeit hatte dazu geführt, daß fast alles Land in der Nähe der Seestädte in Straßen und Bauplätze parzelliert wurde; mit Ausnahme eines kleinen Teils der Süd- und Ostküste war alles in diesem Zustand; und wären alle die vielversprechenden Pläne verwirklicht worden – die ganze Bevölkerung der Insel hätte man an der Seeküste unterbringen können! Natürlich geschah nichts der Art. Die ganze Verhäßlichung der Küstenlinie diente lediglich dazu, törichte Spekulationen in Bauplätzen zu unterstützen. Überall sah man Schilder von Agenten – in jedem Stadium der Neuheit oder des Verfalls – schlecht angelegte, grasüberwachsene Erschließungsstraßen und da und dort an einer Ecke ein Schild: »Trafalgar Allee« oder »Meerblickstraße«. Hier und da hatte auch ein kleiner Kapitalist, ein Ladenbesitzer mit »Ersparnissen« seine Seele den lokalen Baumeistern überantwortet und ein Haus hingestellt, das nun da stand – ungeschickt entworfen, häßlich, vereinzelt, auf schlecht gewähltem, billigem Terrain, über dem inmitten einer trostlosen Öde die häusliche Wäsche im Wind flatterte. Dann kreuzte unser Zug eine Chaussee, und eine Reihe gemeiner, gelber Backsteinhäuser – Arbeiterwohnungen – und schmutziger schwarzer Schuppen, wie sie die Gartengrundstücke jener Zeit zu einer Augenqual machten, deuteten darauf hin, daß wir uns dem Zentrum eines – ich zitiere den Ortsführer – »eines der entzückendsten Aufenthaltsorte im ostenglischen Mohnland« näherten.

Dann weiter schlecht aussehende Häuser, das häßliche Skelett der elektrischen Kraftstation – mit einem riesigen Schornstein, weil damals niemand die Kohlen richtig auszubrennen verstand –; schließlich liefen wir in den Bahnhof ein, wo wir kaum mehr eine Viertelstunde Wegs vom Zentrum dieser Stätte der Gesundheit und Schönheit entfernt waren. Eh ich Erkundigungen einzog, besichtigte ich gründlich die Stadt. Die Straße fing schlecht an – mit einer Reihe billiger, aufgeputzter, überschuldet aussehender Läden, einem Wirtshaus und einem Droschkenstand. Hinter einer Reihe kleiner roter Villen, die zum Teil in buschigen Gärten verborgen lagen, verbreiterte sie sich zu einer buntverworrenen, aber nicht unfreundlichen Hauptstraße, deren Läden an diesem Nachmittag geschlossen waren und die in sonntäglicher Stille dalag. Irgendwo im Hintergrund bimmelte eine Kirchenglocke und Kinder in neu aussehenden Kleidern gingen in die Sonntagsschule. Weiter – über einen Platz mit stucküberladenen Mietskasernen, der wie ein schöneres und reinlicheres Abbild meines heimatlichen Platzes aussah – zu einer Anlage aus Asphalt und Euonymus – dem Strand. Ich setzte mich auf eine gußeiserne Bank und überschaute zunächst die breiten Striche schlammigen, sandigen Gestades mit ihren wunderlichen Badekarren, auf denen Reklamen für die Pillen irgendeines Quacksalbers gemalt waren, und die Hausfassaden, die auf diese Ratschläge zum besten der Verdauung herabschauten. Pensionen, Privathotels, Logierhäuser drängten sich rechts und links von mir eng auf Terrassen zusammen und hörten dann auf; in einer Richtung deuteten Gerüste auf ein Bauunternehmen, in einer andern erhob sich hinter einem leeren Platz der häßliche, rote Kolossalbau eines Riesenhotels, das alles übrige erdrückte. Nordwärts standen niedrige, helle Klippen mit weißen Zeltspitzen, wo die Freiwilligen der Stadt, die alle einberufen waren, ihr Lager hatten. Südwärts dehnte sich weithin eine Einöde von Dünen, gelegentlich unterbrochen von Buschwerk, Gruppen verkümmerter Kiefern und vereinzelten Reklameschildern. Ein harter, blauer Himmel hing über der ganzen Aussicht, der Sonnenschein warf tintenschwarze Schatten, und im Osten lag das weißliche Meer. Das Mittagessen hielt die Leute noch in den Häusern zurück. ...

Eine wunderliche Welt! dachte ich schon damals –; jetzt würde sie bis zur Unmöglichkeit wunderlich erscheinen! – Und nach einer Weile zwang ich meine Gedanken zur Beschäftigung mit meinen eigenen Angelegenheiten zurück.

Wie sollte ich fragen? Wo sollte ich fragen?

Lange grübelte ich darüber nach – erst ziemlich müde und gleichgültig – dann kamen meine Gedanken in Fluß.

Das Auskunftsmittel, auf das ich verfiel, war ganz sinnreich. Ich erfand folgende Geschichte: Ich machte zufällig einen Ausflug nach Shaphambury und benutzte die Gelegenheit, nach der Eigentümerin einer wertvollen Federboa zu suchen, die im Hotel meines Onkels in Wyvern von einer jungen Dame, die mit einem jungen Herrn reiste – zweifellos ein jung verheiratetes Paar – vergessen worden war. Sie hatten Shaphambury irgend wann am Donnerstag erreicht. Ich überdachte die Geschichte wieder und wieder und gab meinem imaginären Onkel und seinem Hotel möglichst wahrscheinlich klingende Namen. Auf jeden Fall konnte die Erzählung als völlige Rechtfertigung dienen für alle Fragen, die ich etwa zu stellen wünschte.

Das war erledigt. Aber ich blieb noch eine Weile sitzen, da mir die Energie zur Ausführung fehlte. Dann wandte ich mich dem großen Hotel zu. In seiner luxuriösen Großartigkeit erschien es meinem unerfahrenen Urteil gerade als der Ort, den ein junger Mann aus guter Familie zum Aufenthalt wählen würde.

Eine große, zugsichere Tür wurde von einem ironisch höflichen Hotelportier in prunkender grüner Livree vor mir geöffnet. Er musterte, während er auf meine Frage lauschte, meinen Anzug und verwies mich dann mit deutschem Akzent an einen pomphaften Oberportier, der mich zu einem fürstlich aussehenden jungen Mann hinter einem Schaltertisch aus Messing und poliertem Holz führte. Es sah aus wie in einer Bank. Der junge Mann heftete, während er mir antwortete, den Blick auf meinen Kragen und meine Krawatte – und ich war mir bewußt – sie sahen abscheulich aus!

»Ich möchte gern eine Dame und einen Herrn ausfindig machen, die am Donnerstag nach Shaphambury gekommen sind.«

»Freunde von Ihnen?« fragte er mit furchtbar spitzer Ironie. Schließlich erfuhr ich soviel, daß die jungen Leute keinesfalls hier gewohnt hatten. Sie mochten hier gespeist haben, aber Zimmer hatten sie nicht genommen. Ich ging, während man mir nochmals dienstfertig die Tür öffnete, mit dem Gefühl einer sozialen Niederlage weg und nahm an jenem Nachmittag kein zweites Etablissement vor.

Meine Entschlossenheit befand sich in einer Art Ebbezustand. Auf der Promenade waren jetzt mehr Menschen, deren Sonntagseleganz mich bedrückte. Ich war so ganz mit mir selbst beschäftigt, daß ich mein weiteres Ziel vergaß; und weil ich fühlte, daß die starke Schwellung meiner Tasche, die von dem Revolver herrührte, auffallend war, schämte ich mich. Dieser Stimmungsumschlag beherrschte mich den ganzen Nachmittag. Abends, gegen Sonnenuntergang, ging ich zum Bahnhof und fragte die Gepäckträger aus.

Aber Gepäckträger waren, wie ich entdeckte, eine Menschenklasse, die sich des Gepäcks genauer entsannen als der Menschen, und ich hatte keine Ahnung, was für Gepäck der junge Verrall und Nettie bei sich hatten!

Dann geriet ich mit einem unflätigen, stelzbeinigen alten Kerl ins Gespräch, der einen silbernen Ring trug und die Stufen fegte, die von der Promenade zum Strand hinunterführten. Er wußte mancherlei von jungen Paaren zu erzählen, aber nur im allgemeinen, und nichts von dem besonderen jungen Paar, das ich suchte. Er gemahnte mich in widerlichster Weise an die sinnlichen Seiten des Lebens, und es tat mir nicht leid, als bald darauf ein Kanonenboot auf hoher See erschien, das der Küstenwache und dem Lager signalisierte und die Bemerkungen des Alten über Feiertage, Strandleben und Moral abschnitt.

Ich ging weiter – die Zeit meiner Ebbe war mittlerweile vorüber –, setzte mich an der Promenade auf eine Bank und beobachtete das Hellerwerden jener steigenden Wolken kalten Feuers, gegen die der rotglühende Westen zahm erschien. Meine mittägliche Mattigkeit schwand, mein Blut kreiste wärmer. Und als das Zwielicht und die dunstige Helle den Staub und das Sonnenlicht verdrängten und diesen mir fremden Ort all seiner nüchternen Seltsamkeit, seines Eindruckes von ziellosem Materialismus entkleidete, kehrte mir die Romantik zurück, die Leidenschaft, die Gedanken an Ehre und Rache. Ich weiß noch, daß der Stimmungswechsel bei dieser Gelegenheit sehr lebhaft eintrat; aber ich glaube, ich hatte ihn schon öfters zuvor durchgemacht, bloß weniger ausgesprochen. In den alten Zeiten hatten Nacht und Sternenlicht etwas von intimer Wirklichkeit, das dem Tag abging. Der Tag, wie man ihn in Städten und bevölkerten Orten erlebte, packte einen ohne Zweifel; aber nur etwa wie ein Aufruhr; er zerstreute, verwickelte einen in Kampf, fesselte. ... Das Dunkel verschleierte die augenfälligsten Seiten jener Ausgeburten menschlicher Verkehrtheit; in ihm konnte man leben – phantasieren.

Ich litt in jener Nacht unter der seltsamen Vorstellung, daß ich Nettie und ihrem Liebhaber ganz nah war und plötzlich auf sie stoßen müßte. Ich ging durch die Dämmerung und suchte sie in jedem Paar, das sich näherte. ... Schließlich schlief ich in einem fremden Schlafzimmer ein, das mit prahlerisch dekorierten Stoffen behangen war, und fluchte mir selbst, weil ich einen Tag vergeudet hatte.

 

III.

Am nächsten Morgen suchte ich sie ebenfalls noch vergebens; aber am Nachmittag fand ich in rascher Folge eine verblüffende Menge von Spuren. Nachdem ich erst kein junges Paar hatte finden können, das dem jungen Verrall und Nettie entsprochen hätte, entdeckte ich plötzlich ein ganzes Quartett von verdächtigen Paaren.

Jedes dieser vier Paare hätte das von mir gesuchte sein können; aber bei keinem konnte ich Genaues feststellen. Alle waren sie am Mittwoch oder Donnerstag eingetroffen. Zwei Paare hatten ihre Zimmer noch inne; aber beide waren nicht zu Hause. Am späten Nachmittag reduzierte ich meine Liste, indem ich einen gelbbraun gekleideten jungen Mann mit Backenbart und langen Manschetten ausschaltete, den eine Dame von dreißig oder mehr Jahren und von ausgesprochen damenhaftem Auftreten begleitete. Ihr Anblick empörte mich! Das andere junge Paar machte eben einen weiten Spaziergang und ich verfehlte es, obgleich ich seine Pension bewachte, bis über mir die Feuerwolke aufflammte und ihr Licht mit dem eines ungewöhnlich prächtigen Sonnenuntergangs zusammenfloß. Später entdeckte ich die beiden beim Diner an einem separaten Tisch im Bogenfenster, mit rotbeschirmten Kerzen zwischen sich, wie sie immer wieder nach dem leuchtenden Himmel spähten, der weder Tag noch Nacht war. Das Mädchen in ihrer rosa Abendtoilette erschien mir sehr hübsch – hübsch genug, um mich wütend zu machen! Sie hatte schöngeformte Arme und weiße, feine Schultern. Die Rundung der Wange und das blonde Haar über dem Ohr war voll zarter Reize; aber Nettie war es nicht. Und der Glückliche ihr gegenüber war einer von jenen sonderbaren, entarteten Typen, wie unsere alte Aristokratie sie so merkwürdig häufig hervorbrachte: ohne Kinn, mit starker, knochiger Nase, kleinem blonden Kopf, mattem Ausdruck und einem Hals, der einen wahren Ärmel von Kragen erforderte und auch umhatte. Ich stand außen im fahlgrünen Licht des Meteors, voll Haß gegen sie und Verwünschung, weil sie mich so lange aufgehalten hatten. Bis sie mich ganz augenscheinlich bemerkten, blieb ich so stehen – ein schwarzes Bild des Neids, das sich gegen die Helle draußen abhob.

Damit war Shaphambury erledigt. Jetzt galt es, die Frage zu erwägen, welches der beiden andern Paare ich verfolgen sollte. Ich kehrte auf die Promenade zurück und versuchte, meinen nächsten Schritt auszudenken, indem ich laut vor mich hinmurmelte; die leuchtende Wunderpracht ging einem aufs Gehirn und machte einen ein bißchen verdreht.

Ein Paar war nach London gefahren; das andere in das Sommerdorf bei Bone Cliff. Wo, fragte ich mich, ist Bone Cliff?

Auf den Stufen traf ich wieder meinen Mann mit dem Stelzbein.

»Hallo!« sagte ich.

Er deutete mit seiner Pfeife aufs Meer hinaus, wobei sein silberner Ring im Schein des Himmels glänzte.

»Komisch!« sagte er.

»Was?« fragte ich.

»Scheinwerfer! Rauch! Schiffe nordwärts! Wenn nicht die verdammte Milchstraße da droben grün geworden wär', könnte man's sehen!«

Eine Zeitlang war er zu beschäftigt, um auf meine Fragen zu achten. Dann warf er mir über die Achsel weg zu:

»Das Sommerdorf? Freilich! Künstler und so was! Es geht schön zu dort! Baden miteinander – ein Skandal! Jawohl!«

»Aber wo liegt es?« fragte ich in plötzlicher Erbitterung.

»Da!« sagte er. »Was ist das, das Leuchten? Ein Kanonenblitz – oder ich bin des Teufels!«

»Das würde man hören,« entgegnete ich, »lang, eh man den Blitz sehen könnte.«

Er antwortete nicht. Erst als ich ihm klarmachte, daß ich nicht eher Frieden geben würde, bis er mir gesagt hätte, was ich wissen wollte, gelang es mir, ihn von seiner Betrachtung des Gespenstertanzes zwischen Meereshorizont und Lichtglanz abzulenken, in die er ganz versunken war. Ich faßte ihn schließlich sogar am Arm und schüttelte ihn. Da wandte er sich mir fluchend zu.

»Anderthalb Stunden,« sagte er, »hier, die Straße entlang. Und jetzt scheren Sie sich zum Henker!«

Ich gab als Dank ein schmutziges Schimpfwort zurück und machte mich auf den Weg nach Bone Cliff.

Kurz hinter dem Ende der Promenade fand ich einen Schutzmann, der dastand und in den Himmel blickte. Ich fragte auch ihn, um die Anweisungen des Stelzfußes auf ihre Richtigkeit hin zu prüfen.

»Ein einsamer Weg, Herr!« rief er mir nach.

Eine seltsame Ahnung überkam mich, daß ich endlich auf der richtigen Spur war. Mit der ruhigen Zuversicht eines Reisenden, der sich seinem Ziel nähert, ließ ich die dunkle Masse von Shaphambury hinter mir und drang in das blasse Dämmerlicht der Nacht hinaus.

Der Zwischenfälle jenes langen Marsches entsinne ich mich nicht in geordneter Reihenfolge. Das einzig Fortschreitende ist die Erinnerung an eine wachsende Müdigkeit. Das Meer lag zum größten Teil glatt und leuchtend wie ein Spiegel – eine weite Fläche spiegelnden Silbers, von breiten, langsamen Wellen durchzogen; einmal wehte, einem schwachen Seufzer vergleichbar, eine leichte Brise und furchte die langen Wellenleiber zu blassem, schuppigem Gekräusel, das nicht mehr ganz erstarb. Zuweilen war die Straße sandig, zugeweht von silbrigem, farblosem Sand, zuweilen kalkig und rauh, mit Schollen bedeckt, deren Bruchflächen im Licht glänzten. Schwarzes Strauchwerk stand, manchmal in Dickichten, manchmal in einzelnen Büschen zwischen den verschlafenen Sandhügeln. An einer Stelle kam Gras und geisterhaft große Schafe ragten im Grau auf. Nach einer Weile schoben sich schwarze Kiefernwaldungen dazwischen und warfen langgezogene Schatten auf die Straße, Wälder, die am Saum von unheimlich verkrüppelten und verkümmerten Bäumen wie von Fransen eingefaßt waren. Dann tauchten einzeln stehende, gespenstisch aussehende Fichten auf und winkten mir, als ich vorüberging, mit starren Gebärden. In grotesker Zusammenhangslosigkeit mit all diesen Formen traf ich dann wieder auf Grundstückschilder, die in Stille und Schatten und Licht hinaustrompeteten: »Häuser werden ganz nach Wunsch des Käufers gebaut!«

Einmal, das weiß ich noch, hörte ich lange irgendwo landeinwärts einen Hund bellen; und mehrmals zog ich meinen Revolver heraus und prüfte ihn sehr sorgfältig. Während ich das tat, muß ich wohl von meinem Vorhaben ganz erfüllt gewesen sein; ich muß an Nettie und an Rache gedacht haben; aber ich vermag mich dieser Empfindungen nicht mehr zu entsinnen. Indessen sehe ich wiederum noch sehr deutlich, die grünlichen Lichter vor mir, die über Drücker und Lauf liefen, als ich die Waffe in der Hand hin und her drehte.

Und dann der Himmel, dieser wundervolle, leuchtende, sternenlose, mondlose Himmel, und die leeren blauen Tiefen am Rand, zwischen Meteor und Meer!

Einmal sah ich – gleich unheimlichen Phantomen – weit draußen auf der Lichtfläche, sehr klein und fern, drei lange schwarze Kriegsschiffe ohne Masten, ohne Segel, ohne Rauch und ohne Lichter, drei dunkle, todbringende flüchtige Fahrzeuge, die sehr rasch dahinfuhren und sich in gleichem Abstand voneinander hielten. Als ich später wieder hinsah, waren sie noch kleiner, und schließlich hatte die Fläche sie verschlungen.

Dann einmal ein Blitz und ein Knall, den ich für einen Kanonenschuß hielt, bis ich aufblickte und noch ein verblassendes Wölkchen grünlichen Lichts am Himmel hängen sah. Und darauf ein Zittern und Raunen in der Luft, ein verstärktes Pochen in den Adern, ein Gefühl der Erfrischung, eine Erneuerung des Willens. ... An einer Stelle unterwegs gabelte sich die Straße; aber ich weiß nicht mehr, ob das näher bei Shaphambury oder näher am Ende meines Marsches war. Nur mein Zögern zwischen den beiden ausgefahrenen Straßen steht mir noch klar vor Augen.

Zuletzt ward ich müde. Ich kam an aufgetürmte Haufen verwesenden Tangs, Karrenspuren liefen dahin und dorthin; dann hatte ich den Weg verloren und stolperte zwischen Sanddünen dicht am Meer entlang. Ich trat auf den im Dunkel glitzernden sandigen Strand hinaus; ein Aufleuchten zog mich zum Rand des Wassers. Niedergebeugt spähte ich nach den leuchtenden Flecken, die in den Wellchen schwammen.

Dann richtete ich mich mit einem Seufzer auf und betrachtete den einsamen Frieden jener wunderbaren letzten Nacht. Das Meteor hatte jetzt seine leuchtenden Netze über den ganzen Himmelsraum gezogen und neigte sich dem Untergang zu; im Osten verstärkte sich wieder das Blau; das Meer bildete eine tiefschwarze Kante; und jetzt wurde, dem grünen Schein entronnen, noch schwach, in zitternder Tapferkeit ein matter, undeutlicher Stern sichtbar, der am Rand des Unsichtbaren schwebte.

Wie schön es war! Wie still und schön! Friede – Friede! Der Friede, der höher ist als alle Vernunft – – in einem Gewand verklingenden Lichts. ...

Mir schwoll das Herz. Und plötzlich weinte ich.

In meinem Blut fühlte ich etwas Neues, Fremdes. Mir ging auf, daß ich eigentlich gar nicht töten wollte.

Ich wollte nicht töten. Ich wollte nicht länger der Sklave meiner Leidenschaften sein. Ein großes Verlangen hatte mich erfaßt, ein Verlangen, aus dem Leben, aus dem Tageslicht, das Hitze, Kampf und Begehren ist, zu entfliehen in die kühle Nacht der Ewigkeit und der Ruhe. Ich hatte ausgespielt – ich war am Ende!

Ich stand am Rande des weiten Ozeans, erfüllt von einem unaussprechlichen Geist der Anbetung, und mich verlangte sehr nach Frieden – Frieden vor mir selbst.

Und bald würde dort im Osten die rote Sonne wieder aufgehen und den dunklen Schleier von all diesen Geheimnissen reißen; die endliche Welt würde wiederkehren, die ganze, wachsende, harte Gewißheit des Tagesanbruchs. Ich wußte, mein Entschluß würde wieder über mich kommen. Dies war die Ruhepause, ein Zwischenspiel; aber morgen würde ich wieder William Leadford sein, schlecht ernährt, schlecht gekleidet, schlecht ausgerüstet, unbeholfen, ein Dieb und ein Geschändeter, eine Wunde im Antlitz des Lebens, ein Quell der Sorge und des Kummers selbst für die Mutter, die ich liebte; und die einzige Hoffnung, die mir blieb: Rache vor meinem Tod.

Wozu dies jämmerliche Ding – Rache? Mir kam der Gedanke, ich könnte ein Ende machen – jetzt – und die andern sich selbst überlassen.

Hinauswaten ins Meer, in das warme, schmeichelnde, lockende Meer, das die Naturen von Wasser und Licht in sich vereinte, hinein bis an die Brust, und dann den Lauf des Revolvers in den Mund halten – –?

Weshalb nicht?

Mit einer Anstrengung machte ich kehrt. Langsam, grübelnd ging ich den Strand hinauf.

Ich wandte mich um und blickte aufs Meer zurück. Nein! Irgendetwas in mir sagte: Nein!

Ich mußte überlegen.

Der Weg war unbequem; denn die Dünen und das wilde Buschwerk begannen von neuem. Ich setzte mich in einem schwarzen Dickicht von Sträuchern hin und ruhte, das Kinn in die Hand gestützt, aus. Den Revolver zog ich aus der Tasche und sah ihn lange an. Leben? Oder Tod? ...

Es war, als ergründe ich alle Tiefen des Seins; in Wahrheit aber versank ich in Träume und schlief unmerklich ein.

 

IV.

Zwei Menschen badeten im Meer.

Ich war erwacht. Noch herrschte die weiße, wunderbare Nacht und der blaue Streifen klaren Himmels war nicht breiter als zuvor. Die Menschen mußten gekommen sein, als ich eben einschlief, und mich sofort wieder geweckt haben. Sie wateten bis an die Brust ins Wasser, kehrten wieder um und kamen landwärts; eine Frau, die sich das Haar um den Kopf geschlungen hatte, und, nach ihr haschend, ein Mann – anmutige Gestalten in Schwarz und Silber. Helles, grünes Wasser floß von ihnen ab und bildete rings um sie her ein Muster von blitzenden Wellchen. Er schlug ins Wasser und spritzte sie; sie gab es ihm zurück; dann standen sie nur noch bis an die Knie darin und gleich darauf glänzten ihre Füße einen Augenblick durch den langen Silberrand des Meers.

Beide trugen enganliegende Badeanzüge, die von der leuchtenden, tropfenden Schönheit ihrer jungen Formen nichts verbargen.

Sie blickte über die Schulter zurück; er war näher, als sie gedacht hatte. Sie fuhr zusammen, stieß, scheinbar erschreckt, einen leisen Schrei aus, der mir bis ins Herz drang, und floh schräg den Strand hinan, auf mich zu. Wie der Wind lief sie an mir vorüber, verschwand zwischen den schwarzen, zerzausten Büschen und war, ebenso wie ihr Verfolger, in einem Nu hinter den Sandhügeln verschwunden.

Ich hörte ihn noch zwischen Erschöpfung und Lachen rufen. ... Und plötzlich war ich voll einer tierischen Wut. Ich sprang mit erhobenen, geballten Fäusten auf, für einen Moment erstarrt in einer ohnmächtig gen Himmel drohenden Gebärde. ...

Dies sich sträubende schnelle Geschöpf des Lichts und der Schönheit war Nettie – – und dies war der Mann, um den sie mich verraten hatte!

Und wie eine Flamme stand vor mir der Gedanke: Und du hättest sterben mögen – ungerächt – bloß weil deine Willenskraft erlahmte!

Im nächsten Moment lief ich stolpernd, den Revolver in der Faust, stumm und geräuschlos über den weichen Sand hinter den Ahnungslosen drein.

 

V.

Ich kam über den Rücken des kleinen Hügels und fand das Sommerdorf, nach dem ich suchte, in ein halbmondförmiges Dünental gebettet. Eine Tür schlug zu, die beiden Läufer waren verschwunden, und ich machte spähend halt.

Eine Gruppe von drei Sommerhäuschen lag vor mir – näher als die andern. In einem von ihnen waren sie verschwunden; aber ich kam zu spät, um zu sehen in welchem. Bei allen standen Tür und Fenster sorglos offen, in keinem brannte Licht.

Dieser Ort, den ich endlich gefunden hatte, war eine Frucht der Reaktion künstlerisch veranlagter und leichtlebiger Menschen gegen die kostspielige und ungemütliche gesellschaftliche Steifheit der eigentlichen Seebäder jener Zeit. Man muß wissen, daß es damals bei den Eisenbahngesellschaften Sitte war, die Wagen, die seit einer Reihe von Jahren veraltet waren, zu verkaufen; und irgendein genialer Kopf war auf den Gedanken gekommen, sie in kleine bewohnbare Häuschen für die Zeit der Sommerferien zu verwandeln. Sie waren bei einer bestimmten Klasse von Leuten, die zur Bohème neigten, Mode geworden. Man fügte Wagen an Wagen, und diese kleinen improvisierten Häuser standen mit ihrem bunten Anstrich, ihren breiten Veranden und sonstigen zur Bequemlichkeit dienenden Anbauten im hellsten Kontrast zu der steifen Langeweile der vornehmen Sommerfrischen. Natürlich brachte ein solches Kampieren mancherlei Unbequemlichkeiten mit sich, die eben mit guter Laune hingenommen werden mußten; und so war dieser breite Sandstrand nur der Lebenslust und Jugend geweiht. Bunte Phantasiestoffe, Banjos, chinesische Laternen und Spirituskocher – das sind, glaube ich, die Leitmotive in der Erinnerung derer, die solche Orte einmal näher gekannt haben. Für mich war diese Niederlassung von Vergnügungsansiedlern ein Geheimnis und eine Überraschung, ein Eindruck, der durch die meine Phantasie erregenden Andeutungen des Stelzfußes in Shaphambury eher verstärkt als gemildert wurde. Ich sah das Ganze nicht als einen Sammelpunkt leichter Herzen und heiteren Müßiggangs an, sondern voll Grimm – nach der Art armer Menschen, die durch die Unterdrückung all ihres Verlangens nach Freude vergiftet sind. Dem Armen, dem rußbedeckten Arbeiter, waren Freude und Reinlichkeit einfach versagt; aus einem Leben voll schmierigen Schmutzes und unreiner Begierden blickte er auf seine glücklicheren Mitmenschen mit bitterem Neid und gemeinem, folterndem Argwohn. Man denke sich eine Welt, in der die gewöhnlichen Leute die Liebe für eine Art Bestialität – für die nächste Schwester des Trunks hielten! ...

Stets lag etwas Grausames auf dem Grund jeder sinnlichen Liebe in jener alten Zeit. Wenigstens ist das der Eindruck, den ich über den Abgrund der großen Wandlung mitgebracht habe. In der Liebe Erfolg zu haben, war ein Triumph, wie ihn kein anderer Erfolg verlieh; der Mißerfolg aber schändete. ...

Mir kam es als etwas Selbstverständliches vor, daß dieser wilde Gedanke wie ein roter Faden durch den wirren Knäuel meiner Empfindungen lief und sie jetzt ganz beherrschte. Ich glaubte – und ich meine, mit vollem Recht – daß damals die Liebe aller wahrhaft Liebenden eine Art Herausforderung war, daß die beiden einen geschlossenen Kreis für sich bildeten und die Welt draußen verhöhnten. Man liebte gegen die Welt, und diese beiden liebten gegen mich. Ihr Liebesspiel ward von der wilden Leidenschaft eines andern belauert und bedroht. Ein Schwert, ein grimmes Schwert, die schärfste Schneide des Lebens, lag zwischen ihren Rosen.

Wie viel oder wie wenig auch hiervon für andere wahr sein mag – für mich und meine Phantasie jedenfalls war es rückhaltlos wahr. Ich war nie für Tändelei, ich war nie ein scherzender Liebhaber gewesen. Ich begehrte wild und liebte voll Ungeduld. Vielleicht hatte ich eben deshalb so sinnlose Liebesbriefe geschrieben, weil ich mit diesem strengen Thema nicht zu spielen vermochte. ...

Der Gedanke an Netties leuchtende Gestalt, an ihre scheue und doch kühne Hingabe an ihn, dem der Sieg über sie so leicht geworden war, flößte mir jetzt eine Wut ein, die für mein Herz, meine Nerven und die gespannten Kräfte meines rein physischen Ichs fast zu viel war. Langsam stieg ich durch die bleichen Sandhaufen zu jener seltsamen Stätte sorgloser Sinnlichkeit hinab, mein schwächlicher Körper voll Gier nach Schmerz und Tod, durchtränkt von dunkel glimmendem Haß – ein Schwert des Unheils – zum Morden gezückt.

 

VI.

Ich machte halt und überlegte, was ich zu tun hatte. Sollte ich von Haus zu Haus gehen, bis eins von den beiden, die ich suchte, auf mein Klopfen antwortete? Aber, wenn ein Dienstbote dazwischen kam?

Sollte ich warten, wo ich war – vielleicht bis zum Morgen – und Wache halten? Und inzwischen ...

In all den näher gelegenen Sommerhäusern war es jetzt still. Wenn ich mich leise heranstahl, vielleicht, daß ich durch ein offenes Fenster, durch irgend etwas, das ich sah oder hörte, einen Wink erhaschte, der mich führen konnte? Sollte ich mich auf einem Umweg nähern, sie beschleichen, oder geradeswegs auf die Tür zugehen? Es war so hell, daß sie mich auf viele Schritte weit deutlich erkennen konnten.

Die Schwierigkeit lag meiner Meinung nach darin, daß ich unter Umständen, wenn ich andere durch Fragen mithineinzog, den Verrätern im Beisein der andern gegenüberstehen würde, und daß diese mir die Waffe entreißen und mir die Hände fesseln konnten. Und dann – unter welchem Namen mochten sie hier leben?

»Bum!« Der Schall drängte sich meinen Sinnen auf und wiederholte sich noch einmal.

Ungeduldig, wie gegen eine Unverschämtheit, wandte ich mich um und erblickte keine Meile weit draußen ein großes Panzerschiff, das rasch über das gesprenkelte Silber dampfte. Aus seinen Schornsteinen sprühten glühend rote Funken in die Nacht. Während ich mich umdrehte, blitzten seine Kanonen, die seewärts feuerten, heiß auf, und als Antwort zuckten rote Blitze und strömender Rauch zwischen Meer und Himmel. So gibt meine Erinnerung es wieder, und ich weiß noch, wie ich in einem Zustand dumpfen Gehemmtseins hinüberstarrte. Es kam so unvermittelt. Was hatten diese Dinge mit mir zu tun?

Mit schaurigem Zischen schoß von einer Landzunge hinter dem Dorf eine Rakete auf und zerplatzte heiß-golden im Lichtschein; dann erreichte mich der Schall des dritten und vierten Kanonenschusses.

Die Fenster der dunklen Sommerhäuser blitzten eins nach dem andern auf; Vierecke rötlich flackernden Lichts gingen langsam in eine stetige Helle über. Dunkle Köpfe tauchten empor und blickten seewärts, eine Tür tat sich auf und ein kurzer gelber Lichtstreif fiel heraus, der sich mit der Helle des Kometen mischte und sich in ihr verlor. Das brachte mich auf meine Angelegenheiten zurück.

»Bum! Bum!« Und als ich nochmals auf das große Panzerschiff sah, loderte hinter seinen Schornsteinen ein kleiner, fackelartiger Flammenstrahl. Ich konnte das Pochen und Stoßen der angestrengten Maschinen hören. ...

Ich hörte, wie im Dorf die Menschen einander zuriefen. Eine weißverhüllte Gestalt unter einer Kapuze, irgendein Mensch im Bademantel, dessen sonderbare Erscheinung an einen Araber im Burnus erinnerte, schlüpfte aus einem der zunächstliegenden Häuser und stand klar und schattenlos im Lichtschimmer.

Er hielt sich die Hände über die seewärts gerichteten Augen und rief anderen Leuten im Hause etwas zu.

Den Leuten da drinnen – meinen Leuten! Meine Finger schlossen sich eng um den Revolver. Was kümmerte mich der Kriegsunfug? Ich würde zwischen den Dünen hinten herumgehen und mich den drei Häusern unauffällig von der Seite nähern. Dieser Kampf zur See konnte meinen Zwecken dienlich sein – ein anderes Interesse hatte er für mich nicht. Bum! Bum! Die dröhnenden, weithin hallenden Donnerschläge brausten über mich hin, machten mein Herz erbeben und verhallten. Jeden Augenblick mußte Nettie erscheinen, um zuzusehen. ...

Eine weitere Gestalt im Bademantel und dann noch zwei kamen aus den Häusern und traten zu der ersten. Deren Arm wies aufs Meer, und ihre Stimme, ein voller Tenor, erhob sich, um die Situation zu erklären. Ein paar Worte konnte ich hören. »Es ist ein Deutscher,« sagte der Mann. »Er ist gefangen.«

Jemand bestritt das und es folgte ein kurzes, undeutliches Stimmengewirr. Inzwischen ging ich langsam auf dem Umweg weiter, den ich mir ausgedacht hatte, die Augen immer auf jene Leute gerichtet.

Plötzlich schrieen alle so laut auf, daß ich haltmachte und ebenfalls aufs Meer hinaussah. Ich sah eine ungeheure, aufspritzende Wassermasse, die ein Geschoß aufwarf, das eben das große Kriegsschiff gefehlt hatte. Ein zweites Geschoß schlug noch näher bei uns ein, ein drittes, ein viertes; dann erhob sich von der Landzunge, wo die Rakete aufgestiegen war, ein großer Staubkegel, eine wirbelnde Wolke, die sich langsam und schwerfällig nach links und rechts verbreitete. Unmittelbar darauf ein ungeheurer Krach und der Mann mit der vollen Stimme sprang in die Höhe und rief: »Getroffen!«

Was nun? Natürlich mußte ich hinter den Häusern herumgehen und dann von hinten auf die Gruppe zukommen.

Eine laute Frauenstimme rief: »Flitterwöchner! Flitterwöchner! Kommt heraus und seht!«

Ein schwacher Lichtschein drang aus dem Dunkel des zunächstliegenden Hauses, und eine Männerstimme antwortete von innen. Was sie sagte, war mir unverständlich, aber plötzlich hörte ich Nettie sehr deutlich rufen: »Wir kommen eben vom Baden!«

Der Mann, der zuerst erschienen war, rief: »Hören Sie denn die Schüsse nicht? Eine Schlacht – keine Meile vom Land entfernt!«

»Was?« fragten die aus dem Haus und ein Fenster öffnete sich.

»Da draußen!«

Infolge des leisen Raschelns meiner eigenen Bewegungen hörte ich die Antwort nicht. Offenbar waren alle diese Menschen zu sehr von der Schlacht in Anspruch genommen, um nach meiner Richtung zu blicken; und nun ging ich gradeswegs auf das Dunkel zu, das Nettie und das schwarze Ziel meines Verlangens umschloß.

»Sehen Sie!« rief jemand und zeigte zum Himmel hinauf.

Auch ich blickte auf, und siehe! Der ganze Himmel war von lichten, grünen Streifen durchzogen. Sie strahlten von einem Punkt aus, halbwegs zwischen dem westlichen Horizont und dem Zenit. Innerhalb der leuchtenden Meteorwolken hatte eine strömende Bewegung begonnen. Mit knatterndem Geräusch, als wäre der ganze Himmel von geisterhaften Pistolenschüssen belebt, schien sich das Meteor zugleich nach Westen und nach Osten zu ergießen. Mir war, als käme es mir zu Hilfe, indem es, mit tausendfachem Krachen, niedersank, wie ein Vorhang, um die sinnlose Torheit draußen auf dem Meer zu verdecken.

»Bum!« krachte eine Kanone auf dem großen Panzerschiff. »Bum!« Und die Kanonen der verfolgenden Kreuzer blitzten Antwort.

Wenn man zu den wirbelnden Lichtstreifen am Himmel aufsah, schwindelte einem der Kopf. Einen Augenblick stand ich geblendet und ganz benommen da. Ich lebte eine seltsame Sekunde rein beschaulichen Denkens. Wenn die Fanatiker schließlich recht hatten und die Welt wirklich unterging! Welch ein Triumph für Parload!

Dann bildete ich mir ein, all diese Dinge geschähen, um meine Rache zu weihen! Der Krieg auf Erden, die Zeichen am Himmel waren das Gewittergewand meiner Tat! Ich hörte Netties Stimme keine sechzig Schritt entfernt rufen, und meine Leidenschaft rauschte von neuem auf. In dieser Stunde des Schreckens würde ich noch einmal vor sie treten, um ihr den unerwarteten Tod zu bringen. Ich würde sie besitzen – durch meine Kugel – unter Donner und Entsetzen. Und bei diesem Gedanken erhob ich meine Stimme zu einem Schrei, der ungehört verhallte, und ging, den Revolver offen in der Hand, entschlossen weiter.

Noch fünfzig Schritte – noch vierzig – noch dreißig – die kleine Gruppe, die meiner immer noch nicht achtete, erschien mir jetzt größer und bedeutender, der gründurchflammte Himmel und die kämpfenden Schiffe ferner. Jemand stürzte aus einem Haus heraus und blieb, sich in einer Frage unterbrechend, stehen, als er meiner plötzlich gewahr wurde. Es war Nettie; sie hatte einen koketten dunklen Umhang umgeschlagen, und der grüne Schein leuchtete auf ihrem reizenden Gesicht und dem weißen Hals. Ich konnte deutlich ihren Ausdruck des Entsetzens und Schreckens bei meinem Anblick sehen; es war, als habe etwas sie am Herzen gepackt und halte sie fest – als Ziel meiner Schüsse.

»Bum!« dröhnte die Kanone des Panzerschiffes, gleich einem Kommando. »Paff!« Und die Kugel sprang mir aus der Hand. Selbst jetzt wollte ich sie noch nicht erschießen. Paff! Und schon hatte ich im Vorwärtseilen ein zweitesmal geschossen – und hatte beide Male offenbar gefehlt.

Sie tat einen Schritt auf mich zu, immer noch mit starrem Blick; dann sprang jemand dazwischen; ich sah dicht neben ihr den jungen Verrall.

Ein schwerfälliger Mensch – der Fremde in dem Bademantel mit der Kapuze – ein korpulenter Mann, offenbar ein Ausländer, sprang unvermutet wie ein Schild vor sie hin. Es war eine alberne Unterbrechung. Sein Gesicht war voll Staunen und Entsetzen. Mit ausgebreiteten Armen und geöffneten Händen stürzte er mir in den Weg, etwa wie man ein durchgehendes Pferd aufzuhalten versucht. Dabei stieß er ein paar sinnlose Worte hervor. Er schien mich überreden zu wollen, abzulassen – als ob dazu noch die Zeit gewesen wäre!

»Nicht Sie, Sie Narr!« rief ich heiser. »Nicht Sie!« Aber Nettie verdeckte er mir trotzdem.

Nur mit ungeheurer Anstrengung widerstand ich dem Impuls, ihm eine Kugel durch seinen fetten Körper zu jagen. Aber ich wußte, ihn durfte ich nicht töten. Einen Augenblick war ich unschlüssig, dann wandte ich mich plötzlich seitwärts und umging seinen ausgestreckten Arm nach links, fand aber zwei andere fremde Menschen unentschlossen mir im Weg stehen. Ich feuerte einen dritten Schuß in die Luft, genau über ihre Köpfe weg, und lief auf sie zu; sie flohen nach rechts und links. Ich machte halt, da ich mich keinen Meter entfernt einem fuchsgesichtigen jungen Menschen gegenüber sah, der von seitwärts kam und mich packen wollte. Als ich entschlossen stillstand, wich er einen Schritt zurück, duckte sich und hob abwehrend den Arm. Die Bahn war frei, und vor mir sah ich den jungen Verrall und Nettie laufen. Er hielt sie an der Hand, um ihr vorwärtszuhelfen. »Natürlich!« dachte ich.

Ich feuerte einen vierten wirkungslosen Schuß ab; dann sprang ich ihnen in einem Anfall von Wut über meine Fehlschüsse nach, um sie über den Haufen zu rennen und sie aus nächster Nähe von hinten zu erschießen. »Diese verdammten Kerle!« knirschte ich, »das hat grade noch gefehlt!« .... »Noch ein Meter,« keuchte ich ... »ein Meter! – Bis dahin nimm dich zusammen, erst dann ... erst dann darfst du wieder losdrücken!«

Irgend jemand verfolgte mich ... einer ... vielleicht auch mehrere ... ich weiß es nicht. Wir ließen sie alle hinter uns. Wir rannten. ... Eine Zeitlang war all mein Denken nur auf die einförmige Bewegung von Flucht und Verfolgung gerichtet. Die Dünen erschienen mir wie wirbelndes grünes Mondlicht, Donner erfüllte die Luft. Ein leuchtender grüner Nebel umgab uns. Was ging das mich an! Wir rannten weiter. Kam ich näher oder blieb ich zurück? Sie schlüpften durch eine Lücke in einem verfallenen Zaun, der plötzlich aus dem Nebel auftauchte und wandten sich nach rechts. Ich merkte, daß wir auf einer Straße waren. Aber dieser grüne Dunst! Es war, als schneide man mit dem Pflug eine Gasse durch ihn. Der Nebel schien die beiden verschlingen zu wollen. Bei diesem Gedanken machte ich ein paar Sätze, die mich ihnen auf ein paar Meter näher brachten.

Sie strauchelte. Er faßte sie am Arm und zog sie vorwärts. Dann machten sie eine plötzliche Wendung nach links. Wir waren wieder von der Straße abgekommen und auf Grasboden. So wenigstens kam es mir vor. Ich stolperte und fiel über einen Graben, der voll dichten Nebels war. Sofort sprang ich wieder auf; aber jetzt waren sie Phantome, die in den fahlgrünen Wirbeln um mich her kaum noch zu sehen waren.

Trotzdem lief ich weiter.

Vorwärts, vorwärts! Ich stöhnte vor übergroßer Anstrengung. Ich stolperte nochmals und fluchte. Ich fühlte, wie die Detonationen großer Kanonen durch das Düster an mir vorüberrollten.

Fort! ... Alles schwand ... ich lief weiter. Und wieder stolperte ich. Irgend etwas hemmte meine Füße, hohes Gras oder Heidekraut; aber ich konnte nicht erkennen, was es war; nur den Rauch sah ich, der mir um die Knie wogte. In meinem Gehirn war ein Dröhnen und Wirbeln, ein fruchtloses Ankämpfen gegen einen grünen Vorhang, der Falte auf Falte fiel und fiel. ... Alles ward dunkler und dunkler. Mit einer letzten wahnsinnigen Anstrengung hob ich meinen Revolver und feuerte meinen vorletzten Schuß aufs Geratewohl ab; dann fiel ich jählings zu Boden.

Und siehe, der grüne Vorhang ward zu einem schwarzen, und die Erde und ich und alle Dinge hörten auf.


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